Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Schon ist mir das Thal gefunden,
Wo wir einst zusammengeh'n,
Und den Strom in Abendstunden
Sanft hinunter gleiten seh'n.
Goethe.
Es war ein prächtiger Frühmorgen im hohen Sommer des Glücksjahres 1848. Die Ernte sammelte sich in Garben auf den Hügeln um den Ort Neuenzell, und die aufgehende Sonne lachte von den fernen, duftigen Höhen herein.
Eben rollte der Eilwagen durch das Dorf, und wendete um die Ecke des Wirthshauses. Der Conducteur warf einen Lederbeutel auf den Vortritt der hohen Freitreppe, und grüßte den Wirth, der aus dem Fenster sah, und seine Zipfelmütze lüpfte.
Es war hier keine Poststation; zur schnelleren Beförderung aber wurden Briefschaften und Zeitungen für die Behörden, die Privaten und die nächsten Adelssitze im Vorüberfahren abgegeben.
Kaum hatte der Wirth den Beutel geöffnet, und den Inhalt auf die Tafel der sogenannten Honoratiorenstube ausgeschüttet, als der Handelsjude Simon Schwarzschild von seiner Wohnung herüber kam, um sein Frankfurter Journal in Empfang zu nehmen. Es war ja die bewegte Zeit des Frankfurter Parlaments, wo man mit jedem Zeitungsblatte den außerordentlichsten Dingen entgegen sah. Was sich auch Einer unter dem Glücke Deutschlands vorstellen mochte: Keiner versprach sich weniger, als das große Loos, Jeder aber gerade von der Nummer, auf die er sein Leben eingesetzt hatte. Ja, selbst diejenigen, die ihren Tag mit dem schönen Lied anfingen: »Ich hab meine Sach' auf nichts gestellt«, hatten vielleicht damals das lauteste »Juchhe.«
Daß zu diesen Simon Schwarzschild nicht gehörte, verrieth sich schon in der Art, wie er sein Zeitungsblatt, auf echt hebräisch, von hinten zu lesen begann, von den Handelsnachrichten und sachlichen Bekanntmachungen. Und nicht lang, so sprang er von der Fensterbank auf und rief mit wunderlichen Geberden:
Gute Morge, Glück! Gottes Wunder! Glück für's Haus Schwarzschild und den Ort Neuenzell! Das gibt Credit! Schwarzschild, Credit und Compagnie! – – Ui! was fällt mir ein? Ihr habt Theil daran, Nachbar Hambach, – oder Euer Sohn Lorenz! Aber – ich will doch erst nachsehen! Wegen einer einzigen Ziffer bin ich ungewiß!
So lief er fort, die hohe Treppe hinab, seinem Hause zu, wo eben das Kramlädchen mit den buntesten Kleinwaaren geöffnet wurde.
Der Wirth sah ihm nach, wollte weiter lesen, konnte aber nicht lassen, dem Judenräthsel entgegen zu sehen. Simon kam jetzt viel stiller zurück, nicht niedergeschlagen, sondern mit geheimnißvollem Selbstgefühl, winkte den Wirth in die Ecke des Zimmers und las halblaut:
»Frankfurt, am 17. August. Nach einer eben eingelaufen telegraphischen Nachricht ist in der am 15. d. in Prag abgehaltenen öffentlichen Auslosung die schöne Besitzung Zlubek, in der fruchtbarsten Landschaft von Böhmen, auf die Nummer 73,747 gefallen. Dem glücklichen Besitzer dieses Loses steht es bekanntlich frei, die Güter mit nächstem Michaelis in Besitz zu nehmen, oder die Summe von 300,000 Gulden W. W. dafür zu empfangen. Das hiesige Bankierhaus Philipp Anton Zahlhas –«
das ist das Frankfurter Haus, das besorgt die Sache, unterbrach sich der lesende Simon, ungeduldig des Eindrucks, den die Nachricht auf den Wirth machen sollte.
Dieser aber versetzte auf Simons: Nun Hambach? eher etwas verdrießlich:
Nun, was geht das mich an, oder meinen Lorenz?
Was es Euch angeht? Ist doch das Loos aus meiner Collekte, und Euer Lorenz – aber still! Nur vorsichtig! Ihr kennt unser umherziehendes Gesindel. Heut sind sie hinter den Standesherrn, morgen kommen sie an die Juden, übermorgen an den Hirschwirth. Was wollen sie? Theilen wollen sie!
Aber mein Lorenz? fragte Hambach.
Es ist ja das Loos, das die drei Mädchen zusammen bei mir genommen haben, erklärte Simon. Die Suschen Maienschein droben auf der Burg hat ja das Dritthel.
Was? schrie Hambach, fuhr aber auf eine abwehrende Bewegung des Juden leiser fort: Hat dreimal hundert –
Einmal von dreimal, Nachbar! Gewinnt ihre einmalhunderttausend.
Die schwere Hacke noch einmal! fluchte der Wirth, und riß seine Mütze ab, die er fort auf den Tisch warf. Gulden, Simon? Zeigt her! Ja, da steht's Gulden W. W.
Wiener Währung, Hambach. –
Ja, wiener Währung. Lorenz! rief Hambach aus der Stubenthür. Einmal hundert tausend –! Lorenz! Wo hat Dich denn jetzt der Teufel. – Nun mag er sie heirathen, die wiener – die Suschen Maienschein, sag' ich.
Lorenz erschien, – ein ganz hübscher, frisch aussehender Bursche, halbstädtisch im Anzug, mit etwas blonder »Märzerrungenschaft« um Kinn und Mund.
Lorenz, redete ihn der Vater mit einer gewissen gnädigen Gravität an, die Susette Maienschein hat's große Loos gewonnen. Ich gebe nun meine väterliche Einwilligung, daß Du sie heirathest. – – Denn, Nachbar Simon, gegen ihre Person hab' ich nie was gehabt: ein sauberes, geschicktes Weibsbild war sie immer, manierlich, gescheidt und recht appetitlich in ihrem ganzen Wesen. Was ich gegen sie hatte, war eben, daß sie nichts hatte. Jetzt ist ihr ein Dritthel von 300,000 – da steht's Lorenz! das W. W. bedeutet wiener Währung. Ich sage zugefallen, und das ist ein anderer Fall, das ist nun so ein Heirathsfall.
Lorenz war so überrascht, daß er ordentlich etwas einfältig aussah; wenn ihn nicht etwa ein geheimer Zweifel so unbeholfen machte. Der kluge Simon rieth ihm, sich mit seiner Erklärung zu beeilen, ehe Susette etwas von ihrem Glück erfahre. Die Christinnen, meinte er, wären leicht verschnupft, wenn man sie um ihres Geldes willen nehmen wolle, nicht so natürlich, wie die Judenmädel, die ja nicht anders wüßten, als daß Heirathen ein Lebensgeschäft ist und ein Betriebs-Kapital verlangt.
O Nachbar Simon, versetzte Lorenz mit Empfindung, Susette weiß, daß ich sie liebte und nehmen wollte, auch als sie noch nichts hatte, und daß ich sie genommen hätte, wenn ich – meinetwegen –.
Er schwieg in Erinnerung an heftige Auftritte, die er seiner Neigung halber mit dem Vater gehabt hatte.
Gut! meinte Simon; aber Ihr müßt nun auch Euern Vater in ein generöses Licht bei ihr stellen, damit sie seiner väterlichen Abneigung halber keinen Anstand nehme.
Recht, Nachbar Simon! rief der Wirth. Die schwere Hacke, ich kann auch generös sein, wenn was dabei herauskommt, und der Hirschwirth – keinen Bock schießt.
Die Zeitungen, Journale und Briefschaften für die freiherrliche Familie von Stöckelberg wurden jeden Morgen abgeholt, und nicht selten kam Susette selbst von der Burg. Heut sollte Lorenz aus einer Art von Zuvorkommenheit die Sachen hinauf tragen und Gelegenheit suchen, sein Wort anzubringen. Er beeilte daher einen schmuckern Anzug, dieweil der Vater die Sachen für die freiherrliche Ledertasche aussuchte.
Simon, der sich jetzt als Mann von Wichtigkeit im Haus fühlte, erinnerte, daß Lorenz möglicherweise Susetten nicht sprechen oder diese sich Bedenkzeit ausbitten könnte; dann würde sie ihr Glück vor ihrem Jawort erfahren, und Lorenzens Bewerbung so wie des Vaters Zustimmung damit in Verbindung bringen. Und – wie wird's dann mit der Liebe und mit der Generosität aussehen? fragte der Schalk. –
Der alte Hambach schob seine Mütze von einem auf's andere Ohr. Ei was! rief er endlich. Die Lotterie-Nachricht steht ja im Beiblatt: wir halten's Beiblatt zurück. In so unruhigen Zeiten kann auch ein Beiblatt einmal ausbleiben.
Dann müßt Ihr aber auch die andern Beiblätter, des Amtmanns, des Pfarrers u. s. w. behalten; sonst kommt die Sach' doch aus, meinte Simon, und Hambach erklärte:
Richtig, wir halten sie auch zurück. Die Beiblätter kommen nach.
Während er die Beiblätter unter lächelndem Kopfschütteln des Juden wirklich beseitigte, fiel ihm einer der Briefe in's Auge, der ihm noch bedenklicher, als ein Beiblatt, erschien. Er stieß seinen gewohnten unschuldigen Fluch aus, und las mit der Vermuthung, daß es wohl gar schon ein Freiersbrief sei, die Adresse: »An Susette Maienschein, Kammerjungfer auf Burg Stöckelberg bei Neuenzell.«
Das scheint mir die Hand des Jägers Peter! sagte er verdrießlich.
Lorenz, der mit der künstlichen Schleife an der Halsbinde nicht fertig werden konnte, eilte von dem kleinen, schräg gestellten Spiegel herbei, und erkannte wirklich Peters Handschrift.
Ui! rief Simon, da giebt's Concurrenz in der Speculation. Aber hat's denn der Peter Tanner wirklich mit dem Suschen gehabt? Ein hübscher Mensch war er, und brav, – ehrlich wie Gold. Ich hab' ihn geprobt. So ehrlich gegen seinen Herrn, daß er ordentlich dumm war. Wo steht er denn jetzt?
Er wollte nach Amerika, versetzte der Wirth, der Brief hat aber das Postzeichen Frankfurt.
Da hat er gewiß einen guten Platz gefunden, meinte Simon; es kommen jetzt viel reiche und vornehme Herrn zum Parlament. Er ist ja auch ein gelernter Gärtner, und ich weiß, daß er ein Capital gesucht hat, um eine Kunstgärtnerei anzulegen. Nun kann's ihm die Suschen geben!
Ei was! rief der Wirth, wir halten den Brief auch zurück, bis Du mit dem Mädchen einig bist, Lorenz. Dann sehen wir zu, ob sie den Brief noch zu lesen braucht, die Suschen.
Der Jude lächelte noch schalkhafter durchs Fenster hinaus. – Bei Euch kann man was lernen, Hambach! sagte er. Die Demokraten schlagen jetzt so zu, daß ein ehrlicher Mann unterschlagen muß, was er retten will.
Wie er aber Hambach's verdroß'ne Miene bemerkte, lenkte er mit der Frage ab:
Wen werden sie wohl in Frankfurt zum deutschen Kaiser machen?
Ich denke, sie werden beim Haus Oesterreich bleiben, brummte der Wirth.
Meint Ihr, Hambach? Ihr wart ja doch bisher gut preußisch gesinnt.
Ei was! Ich hab' nun keine Tresorscheine mehr. Dagegen bekommen wir nun wiener Währung. Denke, Dir, Lorenz, – einmalhunderttausend W. W.! Wie steht jetzt die wiener Währung, Simon?
Immer per Gulden ein silberner Zwanziger.
Nur? rief Hambach. Thät' also – – nur etwa 40,000 rheinisch?
Ei, Vater, ist das nicht genug? fiel Lorenz ein.
Das ist gescheit, Lorenz! versetzte Simon. 40,000 Mitgift: das ist ein Gift, damit kann man sich heilen für Kinder und Kindskinder. Hab' ich Recht, braver Lorenz? Aber – seht doch, dort vom Geisberg herab – hm?
Man blickte vom hintern Fenster der Wirthsstube einen anmuthigen Wiesengrund entlang, der sich rechts um einen waldigen Hügel wand, hinter welchem sich die Stöckelburg versteckte; links aber zog sich den ziemlich kahlen Berg hinauf der Burgweg, und einem so frischen geübten Auge, wie Lorenzens, blieb die dort herab schwebende schlanke Gestalt kein Räthsel. Es war Susette. Der erschrockne Bewerber warf seinen Demokratenhut auf den Kopf, raffte die auf die Ledertasche gelegten Sachen zusammen, zu eilig, um sie einzupacken, und stürzte fort, um der Geliebten noch vor dem Dorfe zu begegnen. Der Vater und Nachbar Simon blickten ihm durch's Fenster nach. Jener, die Hände über'm Bauche gefaltet, sagte mit Nachdruck:
Ist es nicht ein hübscher Bursche, mein Lorenz? Und hat Stadtmanieren. Was will die Jungfer Maienschein? Er ist mein Einziger und bekommt einmal Feld- und Hauswirthschaft: Das wiegt doch wohl ein Lotterieloos auf. Früher konnte ich aber die Heirath nicht zugeben. Sagt selber, Simon: hättet Ihr an meinem Platze so eine splitternackte Kammerjungfer in's Haus genommen.
Gewiß nicht, Hambach! Meine Frau hätt's nicht gelitten! lachte schalkhaft der Jude.
Sie wurden von einem: Guten Morgen, ihr deutschen Bürger! unterbrochen. Der Amtsadvokat Wilhelmi kam herein, wie gewöhnlich, die Zeitungen zu lesen, ehe sie so früh abgeholt wurden. Er galt für einen unruhigen Kopf, etwas Rabulist und keiner Gelegenheit unachtsam, wo sich eine Sache umrühren ließ, um im Trüben zu fischen. Sein Aeußeres war über den Anstand vernachlässigt, und die starke Nase, so wie der näselnde Ton seiner gedehnten Redeweise verriethen den übermäßigen Gebrauch des Schnupftabacks. Auch zog er gleich neben die geborgte Zeitung die Riesendose an sich, die zum allgemeinen Gebrauch der Gäste auf dem Tische stand, mit der Inschrift: »Dem deutschen Volk« – in goldnen Buchstaben auf halb schwarzem, halb rothem Felde.
Während er lesend das Zeitungsblatt vor das Gesicht hielt, sah Simon dem gedankenvoll umhergehenden Wirth an, welcher Zweifel ihm aus dem Herzen auf die Zunge steigen wollte. Vergebens suchte er ihn durch bedenkliche Winke abzuhalten; den Kopf schüttelnd platzte Hambach endlich heraus:
Herr Procurator, eine Frage! Wir sprachen vorhin vom Lotteriewesen in jetzigen Zeitläuften. Gesetzt, die drei Mädchen, die ein gemeinschaftliches Loos auf eine böhmische Besitzung haben, thäten gewinnen: wie kämen sie am besten zu dem Gelde?
Was für Mädchen? fragte Wilhelmi.
Der Nachbar Hambach sorgt für ungelegte Eier, Herr Anwalt! lachte Simon, wobei er dem Wirthe abermal warnend zublinzte. Hat doch die Susette Maienschein auf der Burg, die Kathrine Stehling, die früher beim Herrn Pfarrer diente, und die Schwester des Rentereischreibers Kloß, die Dorothe, wie sie noch auf'm Amt war, ein Lotterieloos in meiner Kollekte genommen. Wer die Besitzung gewinnt, kann sie antreten, oder sich mit der bestimmten Summe abfinden lassen. – Ja, wer sie gewinnt! da hangt's!
Das wär' eine gar verwickelte Sache! erklärte der Advokat. Da muß man die östreichischen Praktiken kennen. Ohne einen gescheidten Advokaten würden die Gewinner zu gar nichts kommen.
Das dachte ich mir eben! trumpfte der Wirth. D'rum fragte ich eben.
Ich dacht' es auch, und d'rum fragte ich eben nicht! nahm Simon den Trumpf. Wo Geld gewonnen wird, will Jeder behülflich sein, um etwas abzurupfen. Wenn ein Loos in meiner Kollekte gewinnt, hab' ich für den Bezug des Gewinnstes zu sorgen. Warten wir's ab! Ich denke eben an Euern Lorenz, Hambach: wenn Der nicht gewinnt, werdet Ihr keinen Advokaten nöthig haben. Nachbar Hirschwirth, – wir wollen keinen Bock schießen.
Dieser Wink mit Lorenz schien dem Wirth einzuleuchten. Er schwieg; nur daß er dem abgehenden Simon nachrief:
Der Hirschwirth schießt keinen Bock, Nachbar Simon!
Lorenz war indeß mit seinem Päckchen in der Hand zwischen den Häusern und Gärten hinaus auf den Wiesenpfad gelangt, – ängstlich von den Nachbarn bemerkt zu werden, und noch ängstlicher durch sein Vorhaben. Zwischen seiner natürlichen Gutmüthigkeit und der ihm aufgedrungenen List war ihm unbehaglich zu Muth. Er nahm sich aber zusammen und verließ sich auf seine vermeintliche Gewandtheit. So nannte er die Verschobenheit, worin er sich mit seinem halb städtischen, halb ländlichen Geschmack in seinem Anzug und in seinen Redensarten gar sehr gefiel.
Beinahe wäre der gedankenvolle Bewerber an dem Gegenstande seiner Absicht vorübergerannt. Denn Susette hatte sich, von dem stillen, thauigen Morgen bewegt, in den Schatten eines breiten Apfelbaumes gesetzt, da wo seitwärts des umbiegenden Pfades zwischen Hecken eines vorspringenden Hügels ein Ruheplätzchen für den Wanderer angebracht war.
Susette, aus einer zurückgekommenen Beamtenfamilie stammend, war bei natürlichem Verstande nicht ohne Bildung des Sinnes und Herzens. Hierzu hatte sie, im Dienst einer feinen und wohlwollenden Edelfrau, neben manchen Geschicklichkeiten, auch im äußern Benehmen eine anmuthige Gewandtheit angenommen. Sie war noch jung genug, um zuweilen auch muthwillig zu sein, und gerade diese Heiterkeit, mit der sie ihren Verehrer, wenn er sich recht fein auszudrücken meinte, in Verlegenheit brachte, hatte ihn vollends für sie eingenommen.
In solcher Stimmung war sie aber jetzt nicht von der Burg herangekommen; vielmehr hatte sie sich zu einem wehmüthigen Nachdenken unter den Baum gesetzt. Als aber Lorenz sie bemerkte und zum Gruße seinen grauen Filzhut schwenkte, raffte sie sich auf und zwang sich zu ihrer sonstigen Munterkeit. Guten Morgen, Herr Hambach! rief sie. Schon so früh, und so heraus staffirt? Wir haben doch heut keinen Feiertag!
Feiertag? lachte er und nahm den Hut ab, den er aus Verlegenheit wie ein Rad um die rechte Hand schwenkte. Wenn Sie wollen, Fräulein Suschen, so habe ich Ostern, Pfingsten und Christtag auf einmal. Sie können mir bescheren, und – ich beschere Ihnen.
Das kann's nicht sein, lieber Herr Hambach, was Sie so zeitig auf die Füße gebracht hat.
Auf die Füße? lachte er verlegen. Ja, wenn Sie wüßten, was das für Füße sind! Rathen Sie einmal, was das für Füße sind! Freiersfüße sind es.
Wahrhaftig? Nun, dann gratulire ich von Herzen! D'rum waren Sie auch so zerstreut und hastig. Ihr Herz war den Füßen weit voraus. Dann will ich Sie aber um alles nicht länger aufhalten.
Sie setzte sich mit einer grüßenden Verneigung in Gang. Er aber vertrat ihr den Weg und suchte ihre Hand zu erfassen, die sie ihm stets geschickt zu entziehen wußte.
Sie betrüben mich recht mit Ihrem Glückwunsch, Susette, sagte er. Ich dachte, Sie sollten ein wenig erschrecken und blaß werden.
Warum soll ich vor einem Bräutigam erschrecken, Herr Hambach, wenn er mir an einem Sommermorgen im Grünen begegnet. Ei, da freue ich mich.
Ja, Suschen! rief er. Er begegnet, aber gerade Ihnen. Sie wissen ja, daß ich nie eine andere gewollt, als Sie, und daß nur mein Vater der Hemmschuh unseres Glückes war.
Unseres, Herr Hambach? Nicht doch! Er wollte nur, daß Sie sich nicht übereilen sollten. Mit Ihrem jetzigen Freiersgang ist Ihr Vater also einverstanden?
Ganz einverstanden Susette!
Und Sie haben da wohl ein feines Brautgeschenk eingewickelt, glücklicher Lorenz?
Nein, das ist aber famos! lachte er vergnügt.
Famos? Was ist das, lieber Lorenz, – famos?
Verzeihen Sie! Ich sage es ist famos, wie Sie alles errathen, und mich so geschickt darauf bringen, daß ich mich gegen Sie erkläre. Ja, ja, geliebte Susette, – ehrlich währt am längsten, und Sie sollen mich nicht hinterlistig finden. Sehen Sie, – ich gehe Ihnen eben ausdrücklich entgegen, um Ihnen das hier zu überbringen.
Was ist es Herr Hambach? erwiderte sie mit Ernst. Oeffnen Sie es selber!
Er öffnete das Päckchen, und sie erblickte mit Befremden, was sie abzuholen unterwegs war. – Wollen Sie mich zum Besten haben, Herr Hambach? sagte sie.
Was denken Sie, Suschen? erwiderte er betroffen und zog sich in seiner Befangenheit auf den festeren Boden seiner Ehrlichkeit zurück. Nein, es steckt wirklich ein Brautgeschenk oder so 'was in der Zeitung, – in einem andern Blatt. Sehen Sie, ich wollte Ihnen die Sachen entgegen oder auch auf die Burg bringen, um Ihnen zum schönsten Guten Morgen – zu sagen, daß mein Vater nichts mehr gegen Sie hat, und mich sogar antreibt, ihm recht bald Ihr Jawort nach Haus zu bringen. Und nun, herzliebste Susette, – nicht wahr, das Eine haben Sie mir nun abgenommen, und das Andere geben Sie mir mit?
Er wollte ihre Hand fassen, sie wendete sich aber mit den Worten:
Lassen Sie uns lieber gehen! Es hat zwar heut weniger Eile mit den Zeitungen: die Herrschaft ist die Nacht abgereist.
Verreist? der Herr Baron?
Mit der Familie, ja. Das Gesindel der Umgegend wird so lästig und anmaßend, und die gnädige Frau ist unwohl und ängstigt sich. Ich habe zuerst auch mit gesollt, die gnädige Frau will sich aber vor der Hand mit der Kammerjungfer der Comtesse Adelheid behelfen, bis sie etwa länger ausbleiben. Sie wollen nämlich abwarten, ob die Jäger-Compagnien, die in die Gegend einrücken, Ruhe und Ordnung zu Stande bringen.
Sie hatte den Wiesenpfad zurück eingeschlagen. An der Stelle der jenseitigen Bergsteige, wo sie vom Wirthsfenster aus gesehen werden konnten, blieb Lorenz stehen.
Liebste Susette, sagte er, Sie haben mir noch keine Antwort gegeben, – von meines Vaters wegen.
Eigentlich verstehe ich Sie noch gar nicht, Sie braver Sohn Ihres Vaters! lächelte Susette. Sie sprechen von einem Brautgeschenk, und überreichen mir Zeitungen. Sie reden von alten Geschichten, und geben mir die frischesten Neuigkeiten. Das ist ein charmantes Räthsel, und – gönnen Sie mir Zeit es zu lösen. Ich freue mich, wenn es mir gelingt, und Sie dann ausrufen werden: Nein, das ist aber famos, wie Sie alles errathen!
Ich verstehe Sie wohl, Susette, erwiderte er, und spielte mit der Pfauenfeder an seinem Hut: Sie wollen sich Bedenkzeit nehmen zu Ihrem Jawort. Aber – wozu das? Sie kennen mich lang; ich habe Ihnen die schönsten Worte und Beweise meiner Liebe gegeben und bin Ihnen treu und anhänglich geblieben, meinem Vater zum Trotz. Ich war immer wie Ihr Hündchen, wie Ihres Herrn Barons Damon. Ich habe Ihnen apportirt, bin über Ihren Sonnenschirm gesprungen, oder was sie wollten. Sie kennen mich, und wozu brauchen Sie Bedenkzeit? Auch meine Verhältnisse sind Ihnen bekannt und –.
Er schwieg, sein Mund zwinckerte von innerer Bewegung. Susette, von seiner Ehrlichkeit bewegt, erwiderte mit freundlichem Ernst:
Ich weiß das, lieber Herr Hambach, ich gedenk' es Ihnen auch, und warum sollte ich nicht sagen, daß ich Ihnen auch immer gut war, wie man nur einem Menschen sein kann, der die besten Gesinnungen für ein armes Mädchen hat, und sich so ehrlich und uneigennützig erweist. Ich kam mit besonderm Wohlwollen meiner gnädigen Frau auf die Burg und fand anfangs Mißgunst und manche Tücke unter den Leuten. Damals erzeigten Sie mir alle Freundlichkeit, und ich betrachtete Sie wie einen lieben Verwandten, dem man auch zuweilen eine Zumuthung machen, eine Gefälligkeit abnehmen darf. Pfui, nennen Sie das nicht – apportiren. Indem aber Ihr Vater das gute Verhältniß bald bemerkte und von meiner Seite Absichten fürchtete, die ihn bewogen, daß er mir sogar unfreundlich, um nicht mehr zu sagen, begegnete: so kam ich auf Ihre Herzenserklärungen gar nicht dazu, mich zu fragen, ob ich Sie glücklich machen könnte, und ob Sie für mich der rechte Mann wären. Und nun Sie mir erklären, Ihr Vater stimme Ihrer Neigung bei: glaube ich zwar Ihrer ehrlichen Versicherung, die Sie mir ja auch in Ihrem feierlichen Anzug abgeben; – Ihrem Vater aber – verzeihen Sie mir! – traue ich doch nicht zu, daß er seine Denkungsart wirklich geändert habe. Nein, Lorenz, glauben Sie mir, – es würde ihm alle Morgen wieder einfallen, und er würde mir's in den Kaffee brocken, daß ich vermögenlos in seine Wirtschaft gekommen sei, und – Sie wissen ja, wie ungern der Hirschwirth einen Bock schießt.
O wenn's nur das ist –! rief Lorenz vergnügt, dann bist du mein, Herzens-Susette, dann sag' nur Ja, und alles ist abgemacht!
Er schlug seinen Arm um ihre Schulter, so daß Susette mit rascher Wendung ausweichend versetzte:
Herr Hambach!
Das ist's ja eben Susettchen, fuhr er unverdrossen fort, daß der Vater seine Gesinnung grundmäßig geändert hat! denn – nun ja doch! Du bringst ihm ja ein herrliches Vermögen zu, und kannst ihm schon auftrumpfen.
Sie sind nicht klug, Herr Hambach! antwortete sie ungeduldig und zerstreut, weil sie jetzt angesichts der Burg von den Leuten in Vertraulichkeit mit dem jungen Menschen bemerkt zu werden fürchtete. – Wissen Sie was, Herr Hambach? Ich will Ihnen etwas vorschlagen.
Ach ja, Susetten-Engel! Einen Vorschlag zur Güte!
Legen Sie Ihr freundliches Du zu meinem herrlichen Vermögen und lassen wir beide mit einander fertig werden. Nicht wahr? Und nun haben Sie schönen Dank für Ihre Begleitung! Adieu!
Sie nahm einen raschen Schritt bergauf; doch Lorenz erreichte sie am Arm mit den lachenden Worten:
Halt, halt, mein Schatz! Ich nehme den Vorschlag an. Sie setzen also Ihr Vermögen zu meinem Du?
Herr Hambach, entgegnete sie etwas empfindlich. Treiben Sie keine Possen, keine Wortspielereien! Sie verstehen doch unter Vermögen Geldeswerth?
Versteht sich, Suschen! Gelder oder Güter. Also Dein Vermögen zu meinem Du? Schlag' ein.
Er reichte seine Hand hin mit einem so drolligen Ausdruck gespannter Zufriedenheit, daß sie um der Narrheit ein Ende zu machen lächelnd ihre Hand in die seinige legte.
Verlobung! rief er jubelnd aus, daß Susette erschrocken zurück fuhr. Er hielt aber ihre Hand fest, und sprach weiter:
Geld bei Du, und Du bei Geld! heißt in der Verlobungssprache – Hut bei Schleier und Schleier bei Hut. Und nun nimm erst Dein Vermögen in Empfang!
Er zog die Beilage des Zeitungsblattes aus der Tasche. – Rathe, was hier steht! Eure Lotterie-Nummer hat die böhmische Besitzung gewonnen.
Susette besann sich einen Augenblick, erblaßte, und fragte mit bebender Stimme: Unser Loos, unser 73,747?
Hat gewonnen. Da lies! Er reichte ihr das Blatt, sie las; ihre Hand zitterte, ihre Knie wankten; sie mußte sich auf einen gefällten Eichenstamm niederlassen und brach in helles Weinen aus.
Die Erscheinung, daß man ein großes, plötzliches Glück mit Weinen empfangen könne, war für Lorenz so befremdend, daß er ein Weilchen unbeholfen und unbehülflich dastand. Er ahnete natürlich nicht, in welchem Zusammenhange die Glücksnachricht mit den wehmüthigen Betrachtungen stand, denen Susette unter jenem Apfelbaume über die Zukunft ihres geliebten Tanner nachgehangen hatte. Nur eine flüchtige Besorgniß stieg ihm auf, ob sie nun etwa die eingegangene Verlobung bereue. – Er kniete daher verlegen vor ihr nieder und faßte ihre Hand mit blödem, fragendem Blick.
In ihrer ersten Aufwallung, wie sie den Überbringer einer so unerwarteten Freude vor sich, wie um Dank bettelnd, knien sah, vergaß sie aller gewöhnlichen Rücksichten. – Tausend, tausend Dank, lieber guter Lorenz! rief sie wie entzückt aus. Ach! es ist ein großes mir vom Himmel beschertes Glück!
Sie drückte den Knienden einen Moment an ihre Brust; sein Demokratenhut fiel zwischen die Heidelbeerstauden; einen flüchtigen Kuß auf seine Stirne, und sie sprang auf, ihm den Hut wieder auf den Kopf zu setzen.
Nicht wahr, Suschen, lachte er, – Hut bei Schleier? Den Hut hast Du jetzt mir geschenkt, den Schleier für Dich kaufe nun ich!
Jetzt war Susette doch ein wenig betroffen über einen Scherz, den der thörichte junge Mensch sehr ernst nehmen konnte.
Nun ja, Lorenz, erwiderte sie, ängstlich lächelnd. Wir beide verstehen Spaß! Aber – es ist jetzt keine Zeit zu Spaß.
Gewiß, Herzchen-Suschen! Nein, mit Verlobung ist kein Spaß zu treiben. Ich habe Deinen Handschlag und Deinen Verlobungskuß.
Susette erschrak. Sie warf einen Blick nach der Höhe der Burg, und wandelte gedankenvoll wieder bergab, indem sie mit einer Handbewegung den verblüfften Lorenz von sich abwies. Ein Sturm von Gedanken ging ihr durch den Kopf. – Der junge Bewerber war ein abhängiger Mensch, sein Vater ein habsüchtiger Mann, der die Sache gerichtlich verfolgen würde. Wie es das Gericht damit nehmen könnte, wußte sie nicht; aber sie kannte das Sprüchwort: Versprechen macht Schulden. Am Ende war es mit einer Abstandssumme abzuthun, so leid ihr auch im Augenblick diese Einbuße vorkam. Die Hauptsache blieb aber die Hebung des Gewinnstes. Durch wen sollte sie nun ihr Interesse besorgen lassen? Die Angelegenheit durfte nicht versäumt werden, und welche Chicanen des Wirthes, der es mit dem Juden Simon und dem Advocaten Wilhelmi hielt, zog sie sich durch einen erklärten Bruch mit Lorenz oder durch Verhandlungen vor Gericht zu? Das gewonnene Glück hatte sie gleich im ersten Moment ihrem geliebten Peter Tanner zugedacht, ihm zu helfen, ihm eine Zukunft zu schaffen. An diesem Stolz ihres Herzens, an Tanners Eigenthum wollte sie möglicherweise keine Verluste erleiden. Das Geld, das sie noch nicht hatte, war ihr schon an's Herz gewachsen. Wäre nur ihr gnädiger Herr nicht verreist: der menschenfreundliche, für seine Leute besorgte Baron hätte ihr rathen und helfen können!
Diese, und wer weiß welche sonstigen Erwägungen noch blitzschnell durch ihren Kopf gingen, bewegten ihre Brust, als die Kirchenglocke vom Ort herauf die Zeichen gab, daß die Frühmesse geendigt sei. – – Ha, der Pfarrer Mihm! fiel ihr ein. Der freundliche Seelsorger, der vertraute Vetter ihres Peter Tanner! Ja zum Pfarrer!
Sie blieb stehen und wendete sich gegen Lorenz.
Lieber Lorenz, sagte sie, wollen Sie so gut sein und die Briefe und Zeitungen hinaufbringen? Der Verwalter muß die Briefe gleich der Herrschaft nachsenden, und er selbst wartet auf die Zeitungen. Ich eile hinab zum Pfarrer Mihm; dort können Sie mich finden, wenn Sie mit überlegen wollen, wie mein Gewinnst am besten zu heben ist. Sie begreifen, daß dies das Dringendste ist.
Lorenz in seiner verdutzten Gutmüthigkeit nahm ihr das Päckchen ab; aber er beklagte sich darüber, daß Susette Sie zu ihm sage.
Lieber Lorenz, erklärte sie ihm, es würde sich für Sie und mich nicht gut ausnehmen, wenn wir auf die erste Nachricht von meinem Lotteriegewinnst als Verlobte auftreten wollten. Es würde gerade so aussehen, als ob Sie nur auf Geld und ich auf einen Mann gewartet hätten, und für mich verbitte ich mir das! Die erste Sorge muß jetzt sein, unser Loos geltend zu machen; alles Andre wird sich finden.
Sie eilte fort, nicht ohne heimliche Beschämung über die Zweideutigkeit ihrer so resoluten Erklärung, die eine Täuschung für Lorenz enthielt. – – Ach ja, seufzete sie, das Geld ist doch der Köder des bösen Feindes, des Vaters der Lüge! Kaum, daß man nur ein Recht darauf hat, nimmt schon die Unwahrheit Besitz von unserm Herzen. Ich muß eilen, daß ich es in Tanners Hände bringe: das Geld verlangt seinen Mann der es bewältige.
Der Pfarrer Mihm hatte sich eben zu seinem Frühstücke gesetzt, ein voller, gedrungener Vierziger, das Gesicht bräunlich roth in gesättigten Farben, Haar und Augen tiefschwarz. Ein stark duftender Kaffee floß ihm aus einer Filtrirkanne in eine große Tasse; eine Schnitte frischer Butter und eine Honigscheibe standen neben dem Backwerke seiner Haushälterin, der Jungfer Charitas oder Pfarrers Charitas, wie sie im Orte kurzweg hieß.
Die Behaglichkeit womit der geistliche Herr im Lehnstuhle saß und das Gute behandelte, das ihm der Himmel bescheerte, verrieth den Ehelosen, der für eine ganze Familie allein genießen mußte. Seine Charitas, eine hübsche, blonde Person, reinlich, wenn auch eben nicht nett im Anzug, und von Formen, die auf einigen Mitgenuß geistlichen Ueberflusses deuteten, bediente ihn ab- und zugehend und überlegte mit ihm den wirthschaftlichen Tag.
Mit Susettens Eintritt legte sie etwas von ihrer Freundlichkeit ab, machte sich aber öfter im Zimmer zu thun mit einer Miene, die der Pfarrer mit lächelnder Schonung behandelte, indem er jedesmal die schäkernde Art, die er gegen Susetten angenommen hatte, in einen salbungsvollen Ton umstimmte.
Mihm war überhaupt mehr ein Mann des Lebens, als der Lehre, und gehörte noch zu dem ältern Schlage katholischer Priester, die mehr human – nicht wie die jüngern bloß ultramontan gesalbt waren. Er ließ in seiner Dogmatik auch einmal fünf gerade sein, und stand, nicht durch tieferes Forschen, sondern durch gesundes Naturel, soweit über dem Kirchlichen oder frei darin, daß er zuweilen, so zu sagen – den Humor davon hatte.
In seinem augenblicklichen Behagen mochte dem Pfarrer die Unruhe und Verwirrung der anmuthigen Susette noch mehr auffallen. Nun denn, lieb Bäschen in Tanner, sagte er, was gibt's denn, was ist denn vorgefallen?
Mit der Erinnerung an den Geliebten, hatte Susette schnell Muth gefaßt, und fragte, ob noch immer keine Nachrichten von ihm da seien.
Was? lachte er, der Schatz, die so zu sagen Braut, fragt beim weitläufigen Vetter nach Briefen?
Susette nahm den Scherz etwas empfindlich auf. – Ew. Hochwürden wissen doch, sagte sie, daß Peter mir erklärt hat – es war ja hier im Zimmer – mir werde er nicht eher schreiben, bis er einen guten Platz hätte, eine passende Unterkunft für uns beide. Wenn nun nicht etwa ein Brief verloren gegangen ist: so scheint Peter noch immer umher zu irren. Ich hoffte aber, er würde Nachrichten von seinen Unternehmungen vielleicht an Sie geben, und ich würde dann etwas davon erfahren, was mir jetzt so nöthig wäre.
Nein, Närrchen, an seine alte Mutter in Mainz wollte er schreiben, und sie sollte mir die Briefe mittheilen. Die kränkliche Frau wird's vergessen haben. Nur Geduld, Jüngferchen! Tanner ist ein Mann von Wort, weißt Du, und kommt nun einmal ein Brief, so kannst Du gleich auf die bloße Adresse hin, Anstalten zu Eurer Heirath treffen. Was hinter der Adresse stehen wird, kann ich Dir gleiche sagen: »Juchhe, Susette, Herzensschätzchen, ich bin am Ziel. Nun kann's losgehen. Lauf nur gleich zum Vetter Mihm in's Pfarrhaus; der Pfaff soll uns dreimal von der Kanzel werfen, und Du sorgst inzwischen, daß wir dann weich fallen. Du hast ja lang genug Martinsgänse gerupft, und Bettfedern geschlissen.« – Nicht wahr? ha, ha!
Susette lächelte dem Pfarrer zu Gefallen, und sann auf einen Uebergang zu ihrer Glücksmittheilung.
Wie wär's, sagte sie, wenn ich nach Mainz machte?
Der Pfarrer blickte sie forschend an. – Ei was? rief er. Hat's denn so gewaltig Eile? Hm! – – Steh' doch einmal auf, Susette. Geh' hole mir dort die große Pfeife und die Tabacksbüchse!
Sie that es unbefangen, ohne den schalkhaft strengen Blick zu bemerken, womit er ihre Gestalt musterte. Wie lang ist denn Tanner fort? fragte er.
Mit Anfang April, Herr Pfarrer. Sie wissen, die unruhigen Bewegungen ließen ihm keine Hoffnung, sich als Kunstgärtner auf eigene Hand zu setzen.
Und euch Beiden war's damals gar zu sehr um's Heirathen zu thun, nicht wahr? Und nun setz' Dich nur wieder! – seh' ich Dich in heller Unruhe, willst nach Mainz zu Tanner's Mutter, bist so verwirrt, so empfindlich, was steckt denn hinter alledem? Nur heraus damit, Jungfer Susette, oder – Mamsell? Habt Ihr etwa?
Er räusperte sich.
Was denn, Hochwürden? fragte sie lächelnd.
Brauchst nicht zu lächeln! Wär mir eine schöne Geschichte, wenn ihr in meiner Pfarrei – – ich will sagen, ein Unglück – –
Im Gegentheil, Hochwürden!
Wie? Im Gegentheil? Was ist's Gegentheil?
Ein Glück!
Was? Ein Glück habt ihr angerichtet?
Nein, zugefallen ist es uns. Ich habe das große Loos gewonnen, und weiß nun nicht, wo Tanner steckt, für den ich's doch gewonnen habe und der's nun heben und manteniren müßte.
Die schwere Hacke noch einmal, – flucht der Hirschwirth! rief Mihm. So erzähl' doch Susel!
In der heutigen Zeitung steht, daß die Nummer gewonnen hat, Sie erinnern sich, das Loos –
Ganz recht! fiel der Pfarrer ein. Ihr drei Mädchen habt's beim Simon Schwarzschild genommen, Du, meine Base Katharine, wie sie noch bei mir war, und die Dorothea Kloß, – auf die böhmische Besitzung.
Eben brachte die Haushälterin das Journal und der ungeduldige Pfarrer rief ihr entgegen:
Gebt her, Charitas? Denkt Euch, die haben's große Loos gewonnen, die Susette, unsere Katharine – –
Was? die Katharine auch? fiel die Köchin etwas verbittert ein. Ei, da kann sie ja nun Nonne werden. Sie wollte ja doch immer nach Fulda oder Fritzlar in's Kloster und es fehlte ihr nur am Einstandsgeld. Eine schöne Nonne, die Frömmlerin, die ihre Nase in anderer Leute Thun und Lassen steckt.
Der Pfarrer hustete mit einem warnenden Blick über die Zeitung hinaus, in der er suchte, während Susette entschuldigend einwendete:
Sie war aber ein gutes, vernünftiges Mädchen, die zuverlässigste von uns Dreien, darum wir ihr auch das Loos in Verwahrung gegeben haben, als sie und Dortchen von hier wegkamen. Eine konnt' es doch nur in Händen behalten.
Mag sein, fuhr Charitas fort, aber neugierig war sie wie 'ne Katze und horchte an den Thüren. Wir konnten sie drum auch nicht behalten, – der Herr Pfarrer heißt das.
Dieser hatte die Zeitung hingelegt, und stopfte seine meerschaumne Pfeife mit einer Miene auf Charitas, worin deutlich zu lesen war: »Könnt' ich Dir doch's Maul stopfen, Du Hagelgans!« Wo steht's denn mit dem Loos, Susette? fragte er.
Es war im Beiblatt, Hochwürden.
Wo ist's Beiblatt, Charitas?
Es ist keins mitgekommen.
Geschwind lauft hinüber: wo's Beiblatt wär? Da unten steht ja auch: »Hierbei eine Beilage.«
Wo das mit dem großen Loos drin steht. Ich weiß schon, rief die forteilende Köchin.
Nun geht die Neuigkeitsglocke durch's Dorf, lachte der Pfarrer.
Susette erzählte nun ihr Mißverständniß mit Lorenz und wie sie gekommen sei, des Herrn Vetters Rath zu holen. Sie klagte sich an, den offenherzigen Burschen nicht ehrlich und offen abgewiesen zu haben und fragte, ob es nicht eine erlaubte Klugheit sei, durch solcherlei Ausflüchte sich der etwaigen Ränke habsüchtiger Menschen zu erwehren.
Hast ganz Recht! versicherte der Pfarrer. Es gibt Rechtsverdrehungen, die gewissenlos und doch bei den bürgerlichen Gerichten durchzusetzen sind. Da muß man zur Klugheit seine Zuflucht nehmen und mit unschuldiger Täuschung sein gutes ehrliches Recht behaupten. Wort und Versprechen messen alles nach der Schnur ab; aber im Thun und Lassen haut man doch zuweilen einmal über die Schnur. Darüber beruhige Dich, und hast Du ja ein großes Vorbild von kluger Benutzung der Zeit und Umstände an unserer heiligen Kirche. So hat auch sie sich in allen Bedrängnissen glücklich durchgeschlagen, hat die Habsucht und die Uneinigkeit der Könige benutzt, um sich so oder so, wie's am besten ging, empor zu arbeiten. Auch wird sie sich jetzt wieder beim Frankfurter Parlament nicht vergessen, wie ich gelegentlich von Männern gehört habe, die dort alles machen und anlegen. Dabei fällt mir auch ein, daß es doch ein gutes Vorzeichen ist – euer Lotterieloos nämlich. Drei arme Mädchen aus dem Volk machen gerade jetzt, wo beim Parlament das Glück unseres Volkes berathen wird, den großen Gewinn. Eine herrliche Vorbedeutung, wie's mit dem Parlament ausgehen wird!
Eben kam Charitas mit dem Beiblatte zurück, und meldete den Hirschwirth an, der sogleich mit seinem Sohne erscheinen und die »Braut« abholen wolle. Das ganze Dorf sei in Bewegung erzählte sie, und gratulire dem Herrn Lorenz zur reichen Braut.
Der Pfarrer, ärgerlich über dies für Susetten verdrießliche Gerücht rief aus:
Ei was Lorenz! Der wär ein guter Bissen für 'ne rechtschaffene Köchin, um seines Schutzpatrons willen; denn der heilige Martyrer Laurentius ist auf dem Rost gebraten worden.
Dieser sonderbare Humor des geistlichen Herrn bestärkte nur Susetten in ihrer entschlossenen Haltung gegen die Bewerber, die sie denn auch sehr gefaßt empfing.
Vater Hambach reichte ihr die Hand, und begrüßte sie als künftige Tochter. – Die schwere Hacke, Herr Pfarrer, sagte er in seiner Verlegenheit, Sie bekommen da ein Paar zu trauen, das sich gewaschen hat. Statiös! Was wahr ist, darf ich auch von meinem Sohne sagen. Zugleich wollte ich mir die Ehre auch von Ew. Hochwürden ausbitten, benebst der Jungfer Braut zu 'nem Löffel Suppe, wie man zu sagen pflegt. Es wird aber noch einiges bei der Suppe sein, und im »Hirsch« ist nicht Schmalhans Küchenmeister.
Der Pfarrer blickte mit verstohlnem Kopfschütteln Susetten an, und diese erklärte mit freundlicher Gelassenheit:
Herr Hambach, wir dürfen noch kein solches Aufheben von der Sache machen. Ich darf mich gar nicht »Braut« nennen lassen: denn daß Lorenz sich gegen mich im Walde erklärt hat –. Nein, ich will nicht im Wald Braut geworden sein, nein!
Das ist's eben, Susette! erwiederte Hambach. Drum wollen wir's nun im Hirsch nachholen. Im Walde schießt man auch leicht einen Bock, und der Hirschwirth – – hält dafür, daß auch Zeugen schicklich sind. –
Das Schicklichste scheint mir vor allem den Gewinn herbeizuschaffen, erklärte Susette. Und dazu bedarf ich auch Eures Rathes und Beistandes, Vater Hambach. Denn ich habe ja hier außer dem Herrn Pfarrer Niemand, und Seine Hochwürden können sich doch nicht persönlich in die Sache mischen.
Pfarrer Mihm fand das vernünftig gesprochen. Hambach aber hatte manches einzuwenden. Der zurückgehaltene Brief Tanner's drückte ihn insgeheim. Er traute dem Inhalt nicht, und fürchtete dem Postzeichen nach ein Zusammentreffen des Jägers mit der in Frankfurt zu erhebenden Glücksbeute. Drum drang er so auf eine vorläufige Verlobung vor Zeugen und ging damit um, im Eheverlöbniß eine tüchtige Abstandssumme für einen etwaigen Reuefall festsetzen zu lassen, um auch dann noch eines Antheils am Gewinn sicher zu sein.
Susetten, wenn sie auch keine Ahnung von dem unterschlagnen Schreiben ihres Tanner hatte, entging doch die eigennützige Absicht des Wirthes nicht. Sie erwiederte mit schlauer Gutmüthigkeit:
Bei solchen Verlobungen wird Alles fest gemacht, nicht wahr? Was bestimmen wir denn für den Fall das Loos verloren wäre? Ich kann doch nicht umsonst Braut gewesen sein. Ich hab's Loos nicht in Händen, sondern des Herrn Pfarrer's Bäschen verwahrt's.
Ei, die wird doch nicht –? fiel Hambach erschrocken ein.
Ich denk's nicht, antwortete sie. Katharinchen ist sonst ein sehr ordentliches Mädchen. Aber man kann doch für nichts stehen, Herr Hambach, und die Sach' ist lang her.
So, so? Ja, ja! erwiederte er überlegend, indeß Pfarrer Mihm aus zurückgehaltenem Lachen dreimal nießen mußte.
Und Sie meinen also, fuhr Hambach fort, wir sollten lieber vor der Verlobung den Gewinn holen? Nun, – auch gut! Ich lasse mir ja Alles gefallen! Ja, Herr Pfarrer, die Frauenspersonen haben's gern fest und sicher. Ja, ja, Susettchen, Sie geben einmal eine rechte Sicherheits-Commissarin! Und der alte Hambach ist immer so eine ehrliche, nachgiebige Haut gewesen. Nicht wahr, Lorenz? Nun fragt sich's aber, wie wir's mit dem Loos und Gewinn am besten anfassen. Ich habe den Advocaten Wilhelmi zu mir bestellt: wie wär's, wenn Du ihn hierher holtest, Lorenz? Der Herr Pfarrer –
Da kommt er schon mit dem Juden Simon! bemerkte Lorenz.
Sie waren es wirklich und suchten den Wirth auf, beide in einem Wortwechsel begriffen, der auch nach ihrem Eintritt und hinter ihrer Begrüßung her, bald wieder anhob. Beide wollten – nach einem damals beim Parlament beliebten Ausdruck – »die Sache in die Hand nehmen.« – Simon pochte auf sein Vorrecht als Verkäufer des Looses, Wilhelmi machte sich als unentbehrlichen Anwalt gegen »östreichische Praktiken«, wie er es nannte, geltend. Simon ward heftig und grob, Wilhelmi blieb kalt und spöttisch. Wir wissen schon, Simon Schwarzschild, sagte er, was Ihr im Schilde führt: Ihr wollt am Lotterieloos zu einem Rothschild werden, und meint damit unsere Farbe zu bekennen. Aber fehlgeschossen! Gerade dann seid Ihr erst recht ein Schwarzer und wenn's nächstens an's »Theilen« geht, seid ihr der erste »Geldsack« in Neuenzell, der – aufgeknüpft wird! Dafür laßt mich sorgen!
Diese Drohung eines mit den Demokraten der Umgegend verbundenen Mannes schüchterte den Juden wirklich ein. Pfarrer Mihm nahm ihn bei Seite und suchte ihn dadurch zu beruhigen, daß er ihm für die übliche Provision oder Besorgungsgebühr gut sagte. Dennoch trat der gereizte Mann nicht zurück, ohne seinem Aerger wenigstens gegen den Wirth Luft zu machen. – Nachbar Hambach, rief er, winkte den Wirth bei Seite, und flüsterte ihm in's Ohr:
Ihr steht mir für meine gerechte Provision und ich halte mich an den unterschlagenen Brief. Ihr sollt's mit der Postdirection und mit der betrogenen Susette zu thun kriegen, so wahr ich Simon heiße!
Sobald der Jude fort war, wurde die Angelegenheit berathen. Wilhelmi setzte seinen Vorschlag durch, der dahin ging, daß Susette als Theilhaberin am Loose, der Wirth als Obmann und Susettens Beschützer und er selbst als Rechtsbeistand und Unterhändler alsbald nach Frankfurt abreisen, und sich mit dem bezeichneten Bankierhause in Unterhandlung setzen sollten. Susette, hieß es, stelle das Loos, der Advocat leiste Rath und Mühewaltung, und der Wirth müsse die Reisekosten vorlegen.
Wilhelmi, im Stillen auf den Vortheil rechnend der bei den jetzigen schwankenden Geld- und Papierverhältnissen in der Unterhandlung mit dem Bankier für ihn abfallen sollte, that sehr uneigennützig hinsichtlich dessen, was er für seine Mühewaltung in Anspruch nahm; so daß der Wirth wegen der Kostenvorlage ebenwohl den Generösen machte, und bei der Berechnung derselben nicht zu kurz zu kommen hoffte. Er ging daher auch darauf ein, den Rückersatz seiner Auslagen nicht aus der Tasche der Mitreisenden, sondern durch Abzug an dem Gewinn zu erhalten. Desto leichter sollten ihm die großen Ziffern hingehen. Die Uebereinkunft wurde schriftlich gemacht, und Pfarrer Mihm unterschrieb als Zeuge das Protocoll.
Da des Nachmittags ein guter Privat-Omnibus durch den Ort kam, so wollte man mit dieser bequemen Gelegenheit bis Münsterborn fahren, in dessen Nähe Katharinchen, die Verwahrerin des Glücklooses, ihrem alten Oheim die Wirtschaft führte.
Susette eilte nach der Burg, Urlaub zur Reise zu nehmen, und sich zu derselben einzurichten.
Der Omnibus, der zwischen beiden Provinzialstädten ging, war sehr stark und eben nicht von erlesner Gesellschaft besetzt. Die Unterhaltung ging in's Leidenschaftliche jener bewegten Zeit. Es gab »Volksverräther«, die gehenkt, »Geldsäcke«, die vertheilt werden sollten. Manche Mitreisenden wurden blaß dabei, aber desto eifriger henkten und theilten sie mit. Alles war erstaunlich offenherzig, wie es schien, und Niemand hielt mit seinem Vorhaben, mit dem Woher und Wohin seiner Reise, hinterm Berg. Indem aber Advocat Wilhelmi ebenfalls für sich und seine beiden Reisegefährten eine sehr kühne Reiseabsicht im »Volks-Interesse« zum Besten gab, faßte Susette einiges Mißtrauen gegen die Erzählungen auch der übrigen Mitreisenden. Dies bestärkte sie in ihrem guten Muth durch die Ueberzeugung, daß unter Umständen die Klugheit besser thue, ohne einen Heimathschein der Wahrheit zu reisen.
Zu den hitzigen Reden dampften die schlechten Freiheits-Cigarren von Christen und Juden; dazu die Schwüle des Sommertags, so daß die Fahrt lästig genug wurde. Glücklicherweise hatte Susette eines der offenen Fenster gewonnen, durch welches sie sich an der fächelnden Luft und am Anblick des grünen Flußthales erquicken konnte, bis zu vermehrtem Trost auch das reizende Dörfchen zum Vorschein kam, worin die Inhaberin des Glücksloses überrascht werden sollte.
In Münsterborn angelangt, bestellten unsere Reisenden im blauen Hecht Quartier für die Nacht, und nahmen einige Erfrischungen. Die Abendmahlzeit behielt Hambach noch späterer Bestellung vor. Er bangte noch um das Loos und suchte in dieser Ungewißheit zu sparen. Er besprach sich sehr angelegentlich mit dem Wirth, und an der Aufmerksamkeit, die seitdem der blaue Hecht gegen Susetten an den Tag legte, hätte sich ein Theil der vertraulichen Unterredung leicht errathen lassen.
Nun eilte man über den schönen breiten Wiesengrund auf einem Dammwege nach Sodau.
Das anmuthige Dorf lag am Fuße des langen, halb waldigen, halb angebauten Bergrückens, so zu sagen, unter Obhut eines alten Thurms, der sich am Abhange der Waldhöhe erhob. Sie fragten sich nach der Wohnung des Waldaufsehers oder Kreisers Remmert zurecht, und wurden von Katharinchen empfangen, die mit dem Melkeimer aus dem Ziegenställchen kam.
Das unerwartete Erscheinen der ihr nicht fremden, aber doch sonst nicht zusammengehörigen Menschen setzte sie augenblicklich in Verwirrung. Besonders war ihr der Advokat Wilhelmi ein Räthsel, und jagte ihr sogar eine schreckhafte Besorgniß ein. Ehe sie aber nur an eine Frage denken konnte, stürmte Hambach mit seiner Frage heraus:
Sie haben doch das Lotterieloos wohl aufbewahrt, und besitzen es noch?
Unser 73,747, Katharinchen, auf das böhmische Gut? erklärte Susette.
Um Gotteswillen hat's gewonnen? Gewiß besitz' ich's noch! Was denken Sie auch von mir?
Gott sei Dank! rief Hambach. Ja mein Engel, es hat gewonnen! Jedes von euch Mädchen bekommt einmalhunderttausend Gulden W. W., wovon einiges abgeht für Auslagen, Zehrung, Reisekosten u. s. w. nicht des Redens werth.
Katharinchen nahm gefaßter, als am Morgen Susette, die Freudenbotschaft auf. Doch war sie von dem ganzen Vorgang so zerstreut, daß sie mit gefalteten Händen das Tischgebet anhob:
»Herr Jesu komm', sei unser Gast,
Bei dem, was Du bescheret hast.«
Doch rasch erröthend fuhr sie lächelnd fort:
Ich hatte gleich mein Vertrauen auf die Nummer gesetzt: sie löst sich in lauter sieben auf. Noch neulich hätt' ich meinen Antheil gut verkaufen können; die Frau Rentmeister Haiz bot mir einen Abstand, der mich sehr verlockte, weil mir just so viel noch fehlte, um in's Kloster zu treten. Ich konnte mich aber nicht entschließen.
Unter dieser letzten Rede hatte Katharina ihre Gäste in die gute Stube geführt, deren Thür inwendig wie auswendig mit einem Hirschgeweihe als Superport geschmückt war.
Die Stube sah reinlich aus; der Fußboden mit weißem Sande bestreut, der Tisch gescheuert und mit Weidenstühlen umstellt; ein altmodischer Winkelschrank und ein hangendes Gebänkel waren mit Tassen und Gebetbüchern besetzt. Eine Schwarzwälder Uhr pickte über ihren Zuggewichten; ein Dompfaff hing im Fenster, und eine Buchfinkenhecke nahm die schmale Wand hinter'm Ofen ein.
Wunderlich geschmückt sah die lange Seitenwand aus: ein Kruzifix in der Mitte theilte gewissermaßen ein himmlisches und ein irdisches Reich. Rechts, dem Fenster zu, hatte Katharinchen ihre Heiligenbilder symmetrisch zu einem Altärchen angeordnet, alle in grellen, bunten Farben ausgeführt, wie man sie auf Jahrmärkten kauft. Die linke Seite hatte sich der Oheim für die Steindruckbildnisse der frankfurter Parlamentglieder von der äußersten Linken nicht nehmen lassen.
Aber, Katharinchen, wie kommen die Heiligen und die Revolutionsmänner so neben einander? bemerkte Susette. Worauf dieselbe verdrießlich erwiderte:
Ich hab's nicht hindern können; der Onkel wollte durchaus auch seine Leute an der Wand haben. Zuletzt hab' ich doch 'nen Sinn darin gefunden und mich beruhigt: es sind die linken Schächer neben dem Kreuz, die im Plapperment der Paulskirche aller Religion und Gottesordnung die Lästerzunge weisen.
Diese Aeußerung setzte einen Wortwechsel mit dem Advokaten ab, der mit der Rache der Demokraten drohte. Indeß blieb es beim Freundlichen, und man konnte sich am Contrast beider Streitenden erheitern, wenn dem trocknen, schnupftabakunsaubern, mit den Schultern überhangenden Juristen oder Rabulisten auf's lebhafteste die kleine, runde, reinlich-ansprechende Mädchengestalt gegenüber stand und mit Blick und Wort verrieth, daß in dieser vollen Brust ein eingeborner Liebesdrang gewiß nur ungern oder aus Verirrung der angenommenen Frömmigkeit und Klostersehnsucht Platz machte.
Der politische Streit war noch nicht beendigt, als der alte Forstlaufer Konrad Remmert mit Büchse und Ranzen in die Stube trat, – ein langer, hagerer Mann mit verwettertem, eigensinnigen Gesichte, worin der alte Waldgänger und neue Volksfreund die Märzstoppeln seines grauen Bartes borstenlang zu einem Demokratenschmuck hatte wachsen lassen.
Zuerst befremdet von dem Besuche, nahm er auf die Nachricht der ihm vorgestellten Personen von dem außerordentlichen Glücksfalle eine steife Höflichkeit und schmunzelnde Rückhaltungen an. – Hol's Loos, Käthe! gebot er.
Katharinchen brachte es aus ihrer Commode herbei. Er nahm's rasch an sich und fragte:
Wie lautet die Zeitungsnummer, Herr Advokat?
73,747, – da steht's! war die Antwort Wilhelmi's, der das Zeitungsblatt aus der Tasche zog. –
Damit hat's seine Richtigkeit. Wir haben das Gut oder Geld gewonnen. Wie viel macht's baar? fragte Remmert.
Für alle drei Jungf. – Fräulein zusammen 300,000 Gulden in W. W.
Nun, das ist schon 'was, Käthe! Und nun heißt's festgehalten, vorgesehen!
Hiermit steckte Remmert das Loos in die Hosentasche, und fragte:
Hast Du was zu Abend für die Gäste, Katharine?
Wir danken schön, sagte Hambach, haben schon Bestellung im blauen Hecht droben gemacht, und wollten nur vor allem Gewißheit wegen des Looses. Ich besorge die Reise-Auslagen.
So? erwiderte Remmert mit mißtrauischem Lächeln.
Und kommen, Euch selbst zu Abend einzuladen. Es muß nun 'was drauf gehen.
Aha! brummte der Alte. Danke schön, und wünsche gesegnete Mahlzeit, benebst geruhsamer Nacht.
Alle stutzten, und der Advokat fragte:
Was gib's denn aber mit dem Loos?
Ja, Remmert, was gibt's mit dem Loos? fragte auch der Wirth.
Remmert klopfte auf die Tasche.
Beide Fragenden fragten einander mit befremdeten Blicken an; dann forderten sie Katharinen auf, den Ansprüchen ihrer beiden Freundinnen – »Rechnung zu tragen«, nach dem damals aus dem Parlament her gängen Ausdrucke.
Käthe steht in meinem Brot; erklärte Remmert, und Rechnung trage ich.
Er klopfte wieder auf die Tasche. So bitte ich mir mein Drithel vom Loos aus, Herr Forstmeister! sagte Susette mit einem scherzenden Knickse.
Das Papier läßt sich nicht theilen, gnädig Fräulein, sondern das Geld.
Das kann aber nur mittelst des Papiers gehoben werden, Herr Forstrath!
Kommt Zeit, kommt Rath!
Unsere Reisenden traten zusammen an's Fenster, um zu überlegen, was man mit dem eigensinnigen Menschen anfangen sollte. Und freilich war sein verschlossenes, innerlich brütendes, nach außen abwehrendes Benehmen allen ein Räthsel, selbst für Katharine, die sonst ihren Oheim genau kannte. Nur hatte sie ihn noch nicht im Selbstgefühl von Besitzthum gesehen, und darin eben lag es.
Remmert hatte zum erstenmal die Empfindung von vielem Geld, das er in der Anweisung auf solches fest hielt. Mißtrauen gegen den Advokaten und den Wirth war die erste Regung, die er aber nicht verrathen durfte. Von der andern Seite bedrängte ihn das demokratische Theilen, dem er bisher selbst das Wort geredet hatte. Aber auch diese Besorgniß durfte er nicht laut werden lassen; er mußte das Loos zugleich fest und geheim halten.
Dies war für einen Mann, wie Remmert zu viel: es machte ihn unbeholfen und stöckisch. Gewohnt in seinem Lebens- und Geschäftskreise, in dem Maße, als dieser beschränkt und roh war, hart und herrisch zu verfahren, fehlte es ihm an Ueberlegung für das Verwickelte und an gewandter Rede zum Unterhandeln. Er gehörte zu jenen ungebildeten Leuten, die das Verdrießliche in ihrem Innern sich ansammeln lassen, bis etwa unter anschwellendem Zorn und Zank ihre schwere Zunge flott wird; da sie dann desto heftiger losschlagen.
Und hierzu war der Anlaß näher, als Remmert dachte.
Die am Fenster Berathenden achteten nicht darauf, daß mehr und mehr Menschen sich um das Haus versammelten, bis ein entsetzliches Vivat hoch! erscholl.
Ehe der betroffene Remmert aber das Fenster erreichte, zu sehen, wem es gelte, traten drei lumpige, bärtige Gesellen in die Stube, reichten dem Forstlaufer die Hand und wünschten ihm Glück zum großen Gewinn. Endlich ist doch einem edeln Volksmann ein Glück, uns Allen voraus, zu Theil geworden, sprach der Wortführer, und unserm lieben Alten wird nun zuerst die Freude, zu zeigen, wie's Brüder miteinander halten sollen. Nicht wahr, Konrad?
Was wollt ihr, besoffene Schlingel? fuhr Remmert sie plötzlich an. Theilen wollt ihr, ihr Sackermenter?
Bruder, was ist das? versetzte der Sprecher. Ei wie kommst Du dazu, jetzt zu schimpfen? Seht doch! Bisher hast Du aus dem großen Maul mit uns getheilt, nun thu' auch einmal die Taschen auf!
Was? schrie der Alte von Jähzorn hingerissen. Euch soll gleich ein Donnerwetter, wenn ihr euch nicht auf der Stelle zum Teufel scheert! Theilen wollt ihr? Gut! Wir wollen kurze fünfzehn machen, – ich will mit euch theilen!
Und indem er mehrere Bilder von der Wand riß, und jedem der drei Abgeordneten eines, daß Glas und Rahmen brachen, vor die Füße warf, schrie er:
Da hast Du den Schlöffel! Da hast Du den Blum! Und Du den Trützschler! Und hier theilt euch in den Zitz – nach der Elle, – ihr zerlumpten Gauner! Ich will nichts mehr mit euch zu thun haben, ihr Hallunken!
Das war aber zuviel, selbst – oder besonders für Betrunkne. Sie drangen auf den Alten ein. Die beiden Mädchen sprangen abwehrend dazwischen; der Advocat bot Vergleiche an, worauf aber der unbedachte Alte – was Vergleich! rief, mit Pöbel ist kein Vergleich!
Dies damals so höchst verpönte Wort, zündete wie Pulver. – Pöbel hat er gesagt! schrieen sie durch einander, und Einer rief zum Fenster hinaus:
Volk, deutsches Volk, komm' herein! Hier hat euch ein Verräther »Pöbel« geschimpft. Henkt den Verräther auf! Er ist von Oesterreich bestochen und erkauft, und will Alles für sich behalten, der Russenspion!
Doch der Alte kam weitern Angriffen mit einem raschen Griff nach seiner Doppelbüchse zuvor, und schlug an.
Die Mädchen entflohen schreiend, der Wirth zog sich hinter Remmert's Rücken, der Advocat unter den Tisch; und es wäre ohne Zweifel zu Schlag und Schuß gekommen, hätten nicht einige der Jäger, deren Compagnie diesen Morgen eingerückt war, und die mit ihren Büchsen eintraten den bewaffneten Frieden hergestellt, und den wüthenden Forstlaufer zur Besinnung gebracht.
Jetzt, im Gefühle des Sieges und seiner Lossagung von der Sache der ohne Theilung abziehenden Brüder, ergoß der alte Mann sein polterndes Nachgewitter. – Theilen wollen sie! Lausevolk, das nichts gelernt hat, und nichts thun will. Addiren durch Fleiß und Arbeit, und ihr Rauchen, ihr Saufen und Spielen subtrahiren – das mögen sie nicht. Nur an's Multipliciren denken sie: Rothschild, multiplicirt mit Bethmann, gibt hundert Millionen. Und käm's zum Theilen, schlügen sie sich untereinander todt, um einen kleineren Divisor zu haben. Aber die Schulmeister sind ihr Verderben. Der Römhild droben ist ein großer Verführer. Singt ihnen der Gauner Abends vor: »Geld, Geld ist nur 'ne Schindmähre«. Was das für Grundsätze sind! Und die Nichtsthuer sollen Menschen bilden, die sich's um fünf Groschen sauer werden lassen? Aber – mein Loos!
Er griff rasch in die Tasche. Na, da ist es ja!
Nach diesem Sturm, worin der wunderliche Alte eine rechte Portion Angst und Argwohn ausgewettert zu haben schien, zeigte er sich heitrer von Gemüth und empfänglicher für die Vorschläge des Advocaten, zu denen beide Glücksmädchen herbeigerufen wurden. Die Sache machte sich sehr einfach; Remmert sollte mit seiner Nichte und als deren Beistand sich den Reisenden anschließen, und den Verhandlungen mit dem Bankier beiwohnen.
Dies war Remmert zufrieden; nur meinte er, in Frankfurt könne er sich mit seiner Montur nicht sehen lassen. Doch Katharine erinnerte ihn an den Dienstrock, der im Schranke sich recht gut erhalten habe.
Und für hübsche graue Modesten zum Rock sorge ich! rief der Advocat. Aus dem ersten Kleiderladen, der uns in der Allerheiligengasse zu Frankfurt aufstößt, stelle ich Euch eine neue Hose, und die alte, die sich um das Glücksloos so verdient gemacht hat, erhält ihre ehrenvolle Dimission, was man bei den Bauern hier recht passend den Auszug nennt.
Wie Remmert auf diesen Vorschlag vergnügt übers Gesicht strich, sagte er:
Na, da muß ich zu dem Staat mich auch ein bischen säubern und wieder einmal rasiren. Wer das heutzutag selber thut, wird nicht über'n Löffel barbiert. Der Pfarrer Bertig sagte letzthin, im Parlament schlügen sie Schaum auf Schaum, wer aber am Ende rasirt werde, das wisse der Himmel.
Der Wirth Hambach machte nun, da er über das Glücksloos beruhigt war, den heitersten Reisemarschal.
Je verzweigter eine Rechnung sei, bedachte er, desto leichter versteckten sich die Rechnungsfehler. Er überredete den Forstlaufer nun doch, mit Katharinchen nach Münsterborn zum Abendessen zu gehen, und übernahm das Paar auf die Auslagen der Reise, obgleich Katharinchen ihr Erspartes dazu anbot. – Nun behalt's nur, Käthe! schäkerte der vergnügte Oheim. Du wirst ja wohl doch in's Kloster gehen!
O lieber Oheim, erwiderte sie, meint Ihr mit dem Geldgewinnste hätte ich auch die eitle Welt lieber gewonnen? – –
Man nahm zwei Landjäger zur Sicherheit gegen die etwa lauernden theilungslustigen Brüder mit hinauf nach dem Städtchen. Unterwegs erinnerte Susette an die dritte Theilhaberin an Dortchen Kloß. –
Die schwere Hacke, das hält uns aber auf! rief Hambach.
Wir haben sie aber nöthig, entgegnete der Advocat. Die Dorthe, oder eine Torte müssen wir haben. Ich bin ein besonderer Liebhaber von Mandeltorten. Wie? Kloß heißt sie? Das ist aber merkwürdig, – Dorthe Kloß! Die stammt gewiß aus Baiern. Aber wie bekommen wir sie denn, – die Dorthe?
Sie wohnt in Liebenzell zwei Stündchen seitwärts der Chaussee, die wir morgen früh fahren, sagte Susette. Ich schreibe ihr gleich ein paar Zeilen, und wir schicken noch den Abend einen Boten dahin. Sie muß uns an der Chaussee erwarten. Sie kann sich ja den jungen Rector Schnegel zum Begleiter mitnehmen, ich glaube doch, daß sie mit ihm verlobt ist.
In Münsterborn angekommen, erfuhr man, daß von hier aus jene theilungslustigen Brüder ausgezogen waren. Hatte man nicht errathen können, woher sie so schnell Kenntniß von dem Lotteriegewinnst erhalten hätten: so schlug nun den Wirth Hambach das Gewissen. Sein »Hirsch« stand nämlich mit dem münsterborner »Hecht« in dem angenehmen Wald- und Wasser-Rapport, daß beide Gasthalter einander die Reisenden zuwiesen. So hatte der prahlerische Hambach nicht lassen können, seinem Collegen die reiche Braut seines Sohnes »im Vertrauen« zu zeigen; machte aber die vorläufige Erfahrung, daß Vertrauen überhaupt kein Gewinn, sondern eine Einbuße des Sommers von 1848 war.
Der Omnibus, der mit unserer anwachsenden Reisegesellschaft am frühen Morgen von Münsterborn abfuhr, war weniger, als der gestrige, besetzt. Auch ging es darin viel ruhiger zu: der Morgen war kühl, die Menschen nüchtern gestimmt, und wer unter Wegs einstieg, brachte auf eine Weile neues Befremden und Stocken in die Unterhaltung.
Die dritte Theilhaberin am Loose lag unsern Zusammengehörigen ohnehin mit einiger Unruhe der Erwartung im Gemüth. Doch hatten sie kaum die vereinzelt gelegene Schenke, »zum kalten Mann« genannt, wo der Kutscher zu füttern pflegte, erreicht, als Dortchen an die Thür zum Omnibus gesprungen kam, auf den Tritt hüpfte, und die Hand in den Wagen reichend – guten Tag, Susette, guten Tag, Kathinka! jubelte. Ach Gott, ihr Mädchen, was ein Glück ist uns doch bescheert worden! Aber sagt mir nur –
Man winkte ihr zu schweigen, öffnete den Schlag und stieg aus. Die Mädchen verständigten sich vertraulich unter einander, bis sie des jungen Mannes ansichtig wurden, der mit Dortchen gekommen schien. »Herr Rector Schnegel!« stellte sie ihn lachend vor, und setzte rasch verbessernd hinzu: »Herr Doctor« wollt' ich sagen.
Der Genannte, ein blonder, rundlicher Mann mit dem Ausdrucke der Kurzsichtigkeit in Blick und Benehmen, trat mit treuherziger Unbeholfenheit heran, indem er unter abgenommener Mütze eine glatte Stirne zeigte, die sich durch kurzgeschornes Seitenhaar in eine ausgebreitete Frühglatze verlief.
Fräulein Dortchen, sagte er lächelnd, in etwas pedantischem Tone, hat mich freundlich zu ihrem Ritter mitgenommen auf mir noch unbekannte Abenteuer, so hoffentlich keine Windmühlenkämpfe sein werden.
Immer vergessen Sie wieder, Herr Schnegel, daß ich nicht Dortchen heiße, sondern Doris.
Verzeihen Sie, Fräulein Kloß! lächelte er. Ich habe mich noch nicht recht an die Doris gewöhnt, wie Sie noch nicht an den Doctor, wie wohl beide zu guter Vorbedeutung mit D, delta, anfangen. Uebrigens ist Dorothea ein schöner und wohlklingender Name, aus dem Griechischen stammend und sich im männlichen Theodor wiederholend. Beides weist auf »Gottes Gabe« hin. Ich hab' einmal eine Novelle schreiben wollen »Theodor und Dorothe« betitelt, – gewiß ein schöner Gedanke! Aber die gelehrte Abhandlung zu meinem Doctorat über Deutschlands Bergzüge und Flußthäler bezüglich vor- und jetztweltlicher Pflanzen, sowie einheimischer und abgeleiteter Kultur –
Ach, der Herr Practicant Hertwig! rief Doris vergnügt.
Wirklich kam ein Reiter um den Garten gesprengt, hielt kurz an, und schwang sich vom steifen Klepper, den er grüßend am Zaume hielt, bis ihn der Hausknecht abnahm.
Hab' ich den Liebenzeller Flüchtling erreicht? rief der junge Mann geziert in Manieren, wie er es in seinem Anzuge war. Reizende Dorette, wie konnten Sie so verstohlen unserm Liebenzell das Liebenswürdige rauben und es Ihrem Verehrer zu einer Zelle der Verzweiflung machen? Doch Pardon! Sie haben mich den Herrschaften genannt, darf ich nun meiner Seits bitten –?
Dorette nannte ihm beide Freundinnen, und Susette setzte artig die Namen der Männer hinzu. Hertwig grüßte; dem Advocaten reichte er die Hand im Namen der Göttin Themis. Doch nahm Wilhelmi den Gruß offenbar mit Verdruß auf. Daß noch ein Jurist sich einmischen wollte, durchkreuzte seine Plane, seine Berechnung und war ihm sehr ärgerlich.
Der Practicant im Gegentheil suchte den Schein der Uneigennützigkeit geltend zu machen. Er hatte bisher an dem hübschen Mädchen nur die heimliche Ausstellung ihrer Vermögenlosigkeit gehabt. Nun hoffte er mit ihrer Hand einen guten Fang zu thun. Ihren erklärten und von der Mutter begünstigten Bewerber, den Doctor Schnegel fürchtete er dabei weniger, als den Verdacht, daß ihn der Gewinn zu seiner Bewerbung bestimmt habe; daher er den Unwissenden über das Loos zu spielen suchte.
Aber wissen Sie, graziöse Dorette, sagte er, daß ich mir den Kopf zerbrochen habe über alle denkbaren Veranlassungen ihrer Flucht? Auf Ehre, ich konnte mir das Räthsel nicht lösen. Keine Ahnung faßt auch jetzt noch Wurzel in meinem Herzen.
Was Sie sagen! lächelte Dorette. Und folgten mir doch? Woher wußten Sie denn aber –?
Mein Aufwärter Thomas schüttelte mich aus meinem süßesten Traume mit der Meldung, Sie seien eben im Geleit dieses glücklichen Schnegels zu Fuß fort, um in Frankfurt –. Doch ich lasse ihn nicht ausreden, ich jage ihn zum Wirth um ein Pferd. »Ein Pferd! Ein Actuariat für ein Pferd«! rufe ich à la König Lear. Das Wort Frankfurt bezeichnet mir die Weltgegend; ich jage was mein edles Roß Babieca vermag, hinter meiner verlornen Ximene her, und da bin ich, ihr durch alle Geheimnisse einer räthselhaften Flucht zu folgen.
Doch der Kutscher rief schon:
Wolle Se einsteige!
Und Dorette umarmte Susetten mit den leisen Worten:
Ach, er liebt mich Suschen! Verstehst du ihn denn auch, was er Alles spricht? So poetisch!
Lieber Colleg in Ulpian, flüsterte der Advokat dem Practikanten zu, ich sehe schon, Sie sind ein Liebhaber von – Mandeltorten!
Fräulein Doris, erlauben Sie mir!
Mit diesen Worten wollte der Rector seine Geliebte in den Omnibus heben. Sie aber, mit den schnöden Worten: Hören Sie denn nicht, daß ich Dorette heiße? Zögerte, bis der Practicant zusprang, und ihr die Hand bot. Ein zärtlicher Druck beider Hände besiegelte das Wechselverständniß.
Sie durchgehen aber rasche Metamorphosen! bemerkte der einsteigende Rector. Dorothea, Dortchen, Doris, Dorette –.
Thörin! flüsterte hinter ihm her der Advokat, ärgerlich auch über die Geliebte des ihm ärgerlichen Juristen.
Dorette war ein mageres, aber gut gewachsenes Ding, vom niedlichen Fuß aufwärts bis an die stark hervorstehenden Schlüsselbeine des Halses; ein Paar kokette Augen und eine schnippische Zunge, die ein wenig anstieß, belebten ihr niedliches Phantasiegesicht.
Gerade der Mißmuth, den der junge Rector über die so wandelbare »Gottesgabe« empfand, regte den sonst ziemlich pflegmatischen Mann dazu an, sich mit seiner Nachbarin Katharine in eine lebhafte und trauliche Unterhaltung einzulassen. Ein guter Verstand, ein wohlwollender Sinn und ernstes Gemüth überraschten ihn. Noch unerwarteter begegneten ihm gute Urtheile und Einsichten, die Katharinchen ohne Zweifel aus dem Pfarrhause mitgebracht hatte.
Dieser Verkehr, so traulich und annähernd, verdroß im Stillen doch die kindische Dorette, wenn auch nur, daß sie dadurch um den Triumph kam, ihren älteren Liebhaber durch die Huldigung des neuen zu reizen. Sie zog endlich Katharinchen auf ihren Schooß und flüsterte ihr in's Ohr:
Du hast da den närrischsten Kauz zur Unterhaltung, meinen alten Verehrer. Ach! er ist so langweilig und schwerfällig! Wenn Du ihn ärgern und los sein willst, so titulir' ihn nur »Herr Schulmeister«: denn er hört sich gar zu gern »Doctor« nennen.
Während dessen flüsterte der Advokat dem besprochenen Doctor zu:
Sehen Sie nur, was die Doris sich für ein allerliebstes Bruststück zugelegt hat. Das Accidenz wär' mir lieber als das Prinzipale, wie wir Juristen sagen.
Der Rector platzte in solches verbissene Lachen aus, daß er sich schneuzen mußte.
Katharinchen, die sich wieder zu ihm setzte, wollte ihn aber nicht ärgern; sie nannte ihn nicht nur Herr Doctor, sondern öfter auch lieber Herr Doctor.
Das wiederholte Aus- und Einsteigen der wechselnden Reisegesellschaft gab öftern Aufenthalt; so daß der Omnibus um einige Minuten zu spät für die Eisenbahn nach Frankfurt in der Provinzialstadt anlangte. Da nun vor zwei Uhr des Nachmittags kein weiterer Zug abging, und man mit einem Miethwagen just in die Mittagstunde des Bankiers zu kommen fürchtete; so entschloß man sich über Mittag zu bleiben.
Die Gesellschaft theilte sich nach verschiedenen Absichten. Hambach und der bisher sehr schweigsame Forstlaufer ergriffen das Nächste und setzten sich zu einer Flasche Wein im »Rebstock«, wo man angefahren war. Die Andern behielten sich ihren Appetit für den Mittagtisch vor, und gingen die Stadt zu besehen.
Practicant Hertwig hatte sich gleich Dorettens bemächtigt und wandelte den anderen voraus. Der Advocat nahm des Augenblicks wahr, da sich Susetten vom Rector mit einem Glase Wasser bedienen ließ, um Katharinchen anzureden. Aergerlich über den Practikanten als einen hinderlichen Juristen und zu kleinen Ränken immer aufgelegt, faßte er den Gedanken, den Doctor der Philosophie mit dem klösterlichen Katharinchen zusammen zu bringen. So ließ er sich denn gegen sie mit lebhaftem Lob über ihn aus und vertraute ihr an, wie eingenommen er von ihrer Bildung und Liebenswürdigkeit sei, und sich durch ihr solides Herz über die flatterhafte Dorette enttäuscht sehe.
Die Kleine schien sehr geschmeichelt. Sie verschwieg nicht, daß sie den Doctor bei seiner schlichten Offenherzigkeit in den paar Stunden Wegs als sehr schätzenswerth kennen gelernt habe, und ereiferte sich über Dorothea, die einem so braven Manne unziemlich begegne und ihm einen Gecken vorziehe.
Wie ich höre, sagte Wilhelmi, so haben Sie in ein Kloster gehen wollen. Wo denken Sie hin! das ist ein Irrthum in Ihrer Selbstkenntniß! das Kloster ist Ihr Beruf nicht.
Mein Beruf nicht? lachte sie verlegen. Woher kennen Sie denn meinen Beruf, Herr Procurator?
Woher? Ei der liegt doch am Tag. Ein liebreiches und liebebedürftiges Herz verräth sich dem Auge des Kenners. Was Ihnen die gütige Mutter Natur zum schönsten Schmuck gegeben, das gehört unter den Shawl einer Dame, nicht unter das Nonnenskapulier.
In ihrer unsäglichen Verlegenheit brachte die hocherröthende Katharina nur die bebenden Worte: Wenn Sie meinen –! hervor, und blieb, an ihrem Anzug ordnend, stehen, um zu ihrer Rettung das nachfolgende Paar zu erwarten – den Doctor mit Susetten. – –
Die Straßen waren ungewöhnlich lebhaft; die Fabriken stockten, und die Arbeiter betrieben die öffentliche Politik. Versammlungen fanden Statt und man sprach von drohenden Bewegungen in Frankfurt. Es sollte zu Malmö ein Waffenstillstand mit Dänemark abgeschlossen worden sein, wobei Preußen die ihm von der Centralgewalt ertheilte Vollmacht gegen das Interesse der deutschen Nation überschritten hätte. Man erwartete nur noch bestimmtere Nachrichten und sah den entsetzlichsten Folgen entgegen.
Stiller ging es dazwischen mit der Liebespolitik unserer mitreisenden Paare zu. Während beide Mädchen vor dem Putzladen einer Demoiselle Sponsel stehen blieben, nahm Wilhelmi den Rector bei Seite.
Ein prächtig Mädchen, das Katharinchen! sagte er. Laßt's Euch nicht entgehen, Doctor der Weltweisheit! Ich hab' ihr Euretwegen auf den Zahn gefühlt: sie beißt an, auf mein Wort!
Und indem er mit schalkhaftem Lächeln auf den Namen des Ladenschildes wies, setzte er hinzu:
Sponsalia, Doctor! Ominös! –
Der Doctor lachte in sein Sacktuch hinein, und der Advocat, um ihm Gelegenheit zur Erklärung zu geben, führte Susetten weiter, indem er sie auf das vorauswandelnde Paar aufmerksam machte.
Der Prakticant ging mit Entschlossenheit auf sein Ziel los.
Das Mädchen hatte ihm schon länger angestanden, nur nicht die Lage in der es mit der Mutter, einer Bauverwalterswitwe, von kleiner Pension und etwas Gartenbau lebte. Hieran war nicht viel zu theilen – indeß das Lotterieloos ein recht annehmliches Lebensloos versprach.
Er vertraute jetzt der Geliebten seine Aussicht auf Anstellung beim Justizamt, sprach von seinen Träumen einer schönen, geselligen Häuslichkeit, und warb um das süße Händchen, das ihm solche schaffen sollte, und das er eben in der seinigen hielt.
Mädchenhaft befangen und doch mädchenhaft vergnügt, halb ausweichend, halb aus Eitelkeit sich geltend zu machen, versetzte Dorette:
Lieber Hertwig, – vor Allem muß ich Ihnen sagen, welche Angelegenheit mich nach Frankfurt –
Nein, nein! fiel er ihr in's Wort. Ich habe schon bemerkt, daß es ein Geheimniß ist, an dem ich keinen Antheil haben will und darf, ehe ich nicht Ihr Herz besitze, himmlische Dorette. Das Herz ist die Kapsel der Seelengeheimnisse. Schenken Sie mir ihr Herz, so bekomme ich den Mitverschluß ihres Depositums, ich werde, wie es beim Amte heißt, – Condepositar ihres Geheimnisses.
Das war aber zu lieb von dem uneigennützigen Geliebten! Dorette drückte ihm die Hand, und blickte ihm erröthend in die Augen.
Also ja? Engel des Glücks – ja? fragte er, und vernahm ein halblautes: Ja, lieber Philipp!
Er drückte ihr wieder und wieder die Hand, indem er flüsterte:
O ich glücklicher Viellieb! Wie verwünsche ich diesen belebten Paradeplatz, der mir nicht gestattet, mein Glück und Alles an mein klopfendes Herz zu drücken! – –
Er mußte sich aber doch sehr an die Glücksbraut angeschmiegt haben; denn der hinter dem Paare herkommende Advocat machte Susetten aufmerksam auf diese Zärtlichkeit und deren Bedeutung. Mit einem lebhafteren Schritt erreichten beide auch das träumerische Paar, und der maliciöse Wilhelmi redete ihn mit den Worten an:
Aha, Herr Collega in Ulpian, Sie stehen an der juristischen Materie von der dos (Mitgabe); Sie decliniren aber nicht dos – dotis!, sondern dos – Doris!
Ach nennen Sie mich doch auch lieber Dorette, Herr Procurator! bat die rosige Schöne.
Recht gern! entgegnete er. Wie Sie es wünschen. Meinetwegen – Dorette wiener Währung.
Apropos, Herr Procurator! Ich höre, unser großer Gewinn sei – wiener Währung: was heißt denn eigentlich »wiener Währung?«
Will ich Ihnen sagen, schöne Dorette! versetzte, eine Prise nehmend der Advocat. Sehen Sie, weil man in Oesterreich so unpünktlich zahlt, daß es immer eine Ewigkeit währt, bis man sein Geld kriegt, so stellt man alle österreichischen Zahlungen auf wiener Währung.
Um Gotteswillen, das könnte ja mithin auch so mit unserm Gewinn gehen?
Möglich! Ja, er könnte ganz ausbleiben, neckte Wilhelmi. Drum müssen Sie's machen, wie jener Bauer der heirathen wollte, und mußte der Verwandtschaft mit seiner Verlobten halber die Erlaubniß vom Pabst haben. Da lief er alle Tage zum Pfarrer, ob die Erlaubniß noch nicht da sei. Der ungeduldige Pfarrer jagte ihn endlich fort mit den Worten:
Laßt mir Ruh', Nachbar Michel! Rom ist weit von hier. Müßt's abwarten. Sobald's kommt, werdet Ihr's hören! Worauf der Bauer versetzte: Nun, Herr Pfarrer, nichts für ungut! Ich will Geduld haben: aber – in der Hauptsach' fahren wir derweile fort. Sehen Sie, Dorette, so machen Sie's auch! Fahren Sie mit dem Heirathen all' die Weil fort!
Susette fand natürlich kein Wohlgefallen an diesen Späßen, und wendete sich gegen Katharine und den Doctor Schnegel zurück. Wilhelmi folgte ihr mit verbissenem Lachen.
Der glückliche Amtsprakticant hatte eine stille Wuth über den Advocaten, durfte aber nicht verrathen, daß er vom Loose und der wiener Währung etwas wisse, denn jetzt erst kam Dorette dazu, mit aller Hast ihrer Besorgniß, dem Geliebten den Glücksfall mitzutheilen.
Hertwig suchte sie zu beruhigen. Es ist eine glückliche Fügung, sagte er, daß ich Dir gefolgt bin, theure Dora! Dieser Rabulist und der Wirth Hambach haben offenbar betrügerische Absichten gegen Euch Mädchen, Beide, die doch das Geschäft gar nichts angeht, haben sich nur angedrängt, um ihren Schnitt dabei zu machen. Ich habe gleich diesem Wilhelmi den Aerger angemerkt, den er gegen mich faßte. Daher die läppischen Späße, mit denen er sich an mir zu reiben sucht. Mit der wiener Währung hat er Dich nur geneckt, zugleich aber auch seine böse Absicht verrathen. Vorgeblich, daß das wiener Haus noch nicht zahle, wollen Sie euch mit einer kleineren Summe abkaufen. Aber nun hat er es mit mir zu thun. Du gibst mir Vollmacht in Deinem Interesse zu handeln. Und wartet nur, ihr Eindringlinge! Wir wollen nun suchen, das Loos in die Hand zu kriegen, und ihnen beim Frankfurter Bankier zuvor zu kommen. Wir wollen uns des Vortheils bemächtigen, den sie im Auge haben.
Wie nun im täglichen Leben einer bösen Absicht nur allzu oft die gute Gelegenheit zur Hand ist: so hatte der junge Prakticant seine Voraussetzung einer betrügerischen Speculation kaum gefaßt, oder erfunden, als er sich von einer barschen Stimme mit: Hertwig, altes, fideles Haus! angerufen hörte, und ein bärtiges Gesicht erblickte, aus dem er nicht ohne einige Anstrengung einen Universitäts-Kumpan herausfand, der früher sehr glatt um's Kinn gewesen war.
Lebhafte Begrüßungen, hastige Fragen und stockende Antworten begegneten sich. Hertwig stellte Doretten aber nicht als seine Verlobte, sondern einfach mit Vor- und Familiennamen vor. Flügel begrüßte sie mit deutschem Händedruck und fragte im Ton des Geschäftigen:
Wo treffen wir uns heut? Wir haben uns viel zu sagen. Himmel, wie hätten wir diesen Umschlag der Zeit nur im Traum geahnt, Hertwig? Unser Volk hat über Nacht das große Loos seiner Zukunft gewonnen.
Apropos, Flügel, ich hab' ein Anliegen.
Gut! Wo seh'n wir uns? Ich muß jetzt fort. Wir haben eine Sitzung. Ich gehöre zum Volksrath. Wir wollen eine Petition an's Parlament erlassen, eine Deputation hinsenden mit der Forderung, daß jeder Friede mit Dänemark verworfen, und der preußische Particularismus verdammt werde.
Nochmal apropos! fiel Hertwig ein. Wir haben's eben mit einem privaten Particularismus zu thun. Wir begleiten Dich eine Strecke. Höre! Ein Wirth und ein Advocat aus Neuenzell gehen damit um, dies Fräulein und zwei Freundinnen, drei Töchter des Volks, um ein Lotterieloos zu prellen, das gewonnen hat, und dessen Betrag zu einem edeln Volkszweck verwendet werden soll. Klagen, Untersuchen wäre zu umständlich. Könnte man ihnen nicht das Loos abnehmen, und Beide ein vierundzwanzig Stündchen einstecken? Ließe sich das nicht von Volksrathswegen machen?
Warum nicht? erwiderte Flügel. Wofür hätten wir die neue Freiheit errungen, als daß man auch einmal solche Gesellen einstecken kann. Wo halten sie sich auf?
Im Rebstock, bis zum nächsten Bahnzug. Siehst du dort! der mit den beiden Frauenzimmern ist der Rabulist, und der Wirth sitzt beim Wein.
Gut! nun laß mich machen. Halt ihn hier ein wenig auf, daß wir ihn gleich finden.
Hertwig bat nur noch, daß man ihn selbst aus dem Spiel lasse. Dann trat er zum Advocaten und erzählte den beiden Mädchen, wie er eben einen Universitäts-Freund gefunden, und was er wegen einer Deputation an das Parlament von ihm erfahren habe.
Ich dachte, Sie wollten auf dem »Flügel« eine Freiheitssonate vierhändig spielen, bemerkte Wilhelmi.
Flügel? Kennen Sie ihn? fragte betroffen der Practicant.
Ich habe dort einen Bürger gefragt, und gehört, es sei ein beflügeltes Volksrathsmitglied.
Eben traten drei Bewaffnete von der Freischaar heran und forderten den Advocaten auf, ihnen zu folgen. – Der Practicant entfernte sich mit Doretten, und Wilhelmi protestirte vergebens, auch im Namen der Demokratie, gegen seine Arrestation: er wurde auf's Rathhaus zur städtischen Polizei abgeführt.
Flügel, der Volksmann, hatte sich bei seiner polizeilichen Vorkehrung nicht auf seinen Freund Hertwig, sondern nur auf dunkle Anzeigen gegen die beiden Durchreisenden aus Neuenzell berufen können. So kam's daß der untersuchende Polizei-Commissar auf durchaus unparteilichen Boden trat. Er war ein älterer, erfahrener Mann, der zu manchen Vorgängen jener Zeit lächelte. Und da ihm die Möglichkeit vorschwebte, daß die gegen beide Fremde gerichtete Beschuldigung betrügerischer Absicht und Gaunerei, bei der herrschenden Aufregung, auf Mißverständniß oder Parteilichkeit beruhen könnte: so glaubte er um so mehr sein Verhör beeilen zu müssen, als den vielleicht schuldlosen Reisenden durch Verzögerung doppeltes Unrecht geschehen würde.
Bei dieser Voraussetzung legte er kein großes Gewicht auf das Vorgeben des Advocaten, daß sie Abgeordnete der Demokratie ihres Wahlbezirkes seien, beauftragt mit den Frankfurtern über besondere Fragen Rücksprache zu nehmen. Nöthiger aber hielt es der Untersuchende die drei Frauenzimmer vorzuladen. Doch erschien nur Susette und Katharine: Dorette war mit ihrem Begleiter noch nicht in's Gasthaus zurück gekommen.
Nun verlangte der Commissar die Papiere der beiden Männer, – Heimathscheine, persönlichen Ausweis u. d. gl.
Wie nun Hambach seine Brieftasche hastig öffnete, fiel mit dem bekannten Zeitungsblatte ein noch unerbrochener Brief auf den Tisch, den der verblüffte Mann hastig wieder an sich nehmen wollte. Desto bestimmter aber forderte der Commissär ihn zu sehen, und las die Adresse:
»An Susette Maienschein, Kammerjungfer auf Burg Stöckelberg bei Neuenzell.«
Das bin ich ja! lispelte Susette erblassend.
An Sie ist der Brief? fragte der Commissär. Und wie kommt er in Ihre Tasche, Bürger Hambach.
An meinem Haus, wie die Jungfer selber weiß, wird die Post abgegeben, die Nachts vorüberkommt; denn wir haben keine Poststation, erklärte Hambach. Darunter war auch dieser Brief. Und da wir nächsten Morgen mitsammen reisen wollten, steckte ich den Brief für die Jungfer ein, und hab ihn über unsre Angelegenheit rein vergessen.
Da Susette um schnell in den Besitz des Briefes zu kommen, gegen diese ihr gleich verdächtige Erklärung nichts einwendete, so erhielt sie den Brief und der Untersuchende fragte nach dem Lotterieloos.
Das verwahrt der Forstaufseher Remmert, der mitreisende Oheim dieses Fräuleins, mit Zustimmung dieser beiden Theilhaberinnen berichtete Wilhelmi. Uns beide Begleiter geht die Sache nichts an: aber gelegentlich unserer Mitreise gehen wir den drei jungen Frauenzimmern gern mit Rath und Beistand an die Hand. Da hat sich aber noch ein Dritter zugedrängt; so ein banausischer Liebesbewerber des abwesenden Fräuleins, den ich unmittelbar vor meiner Arrestation sehr eifrig mit dem Volksrathe Flügel habe verhandeln sehen. Ich bitte, Herr Commissar hiervon »Act zu nehmen«, wie man sich jetzt ausdrückt. Dieser Dritte ist nicht in unserer Ordnung, sondern gehört – zur Dorischen Säulenordnung.
Was heißt das? fragte der Untersuchungsmann.
Ich will sagen, er bewirbt sich um die Mamsell Doris, die Mitbesitzerin des Looses, die er zu gewinnen sucht.
Der Commissar lächelte; glaubte nun aber auch den rechten Einblick in die Anklage gethan zu haben, und nach einigen weiteren Fragen entfernte er sich um auf der Stelle einen Beschluß in der Sache zu veranlassen.
Susette zog sich von den nun erfolgenden heftigen Ausfällen des Advocaten gegen den tückischen Prakticanten nach einem Fenster zurück, um ihren Brief zu lesen. Sie ahnte eine gute Nachricht von ihrem Tanner, obschon es ihr jetzt fast lieber gewesen wäre, wenn sie selbst ihm mit ihrem eignen Glück hätte beispringen müssen. Nur der Wirth Hambach, dem mit diesem Briefe, wie man zu sagen pflegt, die Butter vom Brote gefallen war, beobachtete die Lesende mit verstohlenen Blicken. Er hätte gern am Eindrucke, den das Schreiben auf sie machte, errathen mögen, wie's mit dem »Hochzeiter« bestellt sei. Und wirklich, als Susette über den beendigten Brief hinaus mit feuchtem, nachträumendem Auge gen Himmel blickte, nahm er diese leid- und freudvolle Rührung einer innigen Seele für Betrübniß und faßte wieder einige Hoffnung für seinen Lorenz.
Ihr hört mir so zerstreut zu, Hambach, bemerkte der Advocat. Nicht wahr, Ihr möchtet gar zu gern – Fräulein Susette!
Sie schrack bei diesem Anruf ordentlich zusammen.
Der Hirschwirth möchte gern wissen, was Sie von Mosjö Tanner für gute Nachrichten haben.
Den Brief zusammenfaltend erwiderte sie mit Lächeln:
O nein Herr Procurator, so neubegierig ist Nachbar Hambach nicht. Er müßte sich ja vor mir schämen: ich bin doch ein Frauenzimmer und verlange nicht zu wissen, wie es gekommen, daß Herr Hambach den Brief, dem Postzeichen nach, so lang zurückbehalten, und warum er ihn nicht mit den andern Briefschaften geschickt hat, die mir sein Lorenz gestern Morgen entgegen brachte.
Eben als Hambach zu seiner Rechtfertigung den Mund aufthun wollte, kehrte der Commissar höflich zurück mit der Erklärung:
Die Sache hat sich als ein Mißverständniß ausgewiesen. Nehmen Sie nicht übel, daß Sie incommodirt, und mit ihrem Mittagessen ein wenig verspätet worden sind. Letzteres trage ich selbst mit Ihnen und zwar bloß um Ihretwillen. Reisen Sie glücklich und nehmen Sie meine Gratulation zu dem hübschen Gewinnste, den Sie in Frankfurt zu empfangen haben. Möchte das Loos Deutschlands aus dem Glücksrade des Parlaments bald, gleich Ihrer Nummer, mit dem höchsten Treffer herauskommen!
Es lebe das Parlament! rief der Anwalt. Es lebe –
Er war im Augenblicke zweifelhaft, sollte er sagen – die Republik oder der deutsche Kaiser, und setzte daher, das Es auf das Parlament zurückbeziehend, hinzu: Ja, es lebe – hoch!
Mit einem Scharrfuß gegen den Commissar öffnete er beiden Mädchen die Stubenthür. Unter andern Umständen wäre er ganz der Mann gewesen, der wegen grundloser Verhaftung arg rumort, und von Entschädigung gesprochen hätte: jetzt war er zufrieden, so früh loszukommen, und hätte sich nur auch gestehen dürfen, daß der ihm ungewohnte Anstand des Commissars ihm doch ein wenig imponirt hatte.
Unterwegs zum Rebstock erklärte der Advocat, man müsse den Windbeutel von Practicanten seines boshaften Streiches wegen, eine innere Verachtung fühlen lassen, seine Gesellschaft ganz ignoriren und über die Vernehmung gänzlich schweigen. – Dies werde ihn am meisten drücken. – Uebrigens, sagte er, habe ich eine Feige in meiner Tasche, die er am schicklichen Ort an's Ohr bekommen soll.
Nur nicht in unserm Beisein, Herr Procurator! neckte ihn Susette. Das ist eine Heldenthat, die keine Zeugenschaft verträgt und von uns Mädchen lieber auf guten Glauben angenommen wird.
Ja, fügte Katharina hinzu, und wenn's eine Wohlthat sein soll: so heißt's ja in der Bibel: laß die Linke nicht wissen, was die Rechte thut.
Ihr Teufelsmädchen! rief Wilhelmi. Wo bekommt Ihr denn auf einmal den Witz her? Euer Liebessommer, glaub' ich, brütet solche Schnaken aus.
Wie sie, kaum schon erwartet, in's Gastzimmer traten, schienen in der That Hertwig und Dora so unangenehm, als Remmert und der Rector freudig überrascht. Man saß bereits beim Nachtische und da es auf zwei Uhr ging, so mußten sich die Verspäteten mit ihrer Mahlzeit kurz fassen. Der Advocat konnte doch seinen Aerger nicht ganz verwinden, und ließ ihn nach seiner Gewohnheit in gesuchten Witzen und Wortspielen aus. Er schob einige der vor ihm stehenden Schüsseln zurück, indem er mit anzüglicher Betonung sagte:
Von der einfältigen – Torte mag ich nichts! Auch der Rosinenkloß ist mir zuwider. Aber, Herr Gastwirth, die Windbeutel in Ihrem reichlichen Dessert hätten Sie sparen können: wir – practiciren schon mit dergleichen.
Aber Wirth Hambach schenkte dem Rebstock nichts, sondern leerte unter dem Bezahlen für seine Gesellschaft, von der er aber den Practicanten ausschloß, seine Flasche.
Auf dem Wege zum Bahnhof nahm Wilhelmi den Rector bei Seite, erzählte ihm die Tücke des Practicanten, und fragte, ob er sich gegen Katharinchen erklärt habe. Schnegel antwortete:
Wie ich so recht im Zeug und Zug war, wurde sie nach dem Rathhause abgeholt. Nun will ich eine gute Frankfurter Gelegenheit abwarten, und da sie selbst über ihren Gewinn sich gegen mich ausgesprochen hat: so ist's ja nun auch einerlei, ob ich vor oder nach dem Geldempfang werbe, Vertrauen oder Mißtrauen in meine Uneigennützigkeit bleibt ja so doch sich gleich.
Während dessen hielt sich Susette an Katharine, und erzählte ihr flüchtig den Inhalt des Briefes.
Peter Tanner hatte nach manchen vergeblichen Schritten durch glückliche Fügung eine gute Anstellung gefunden. Er war nämlich auf dem kölner Rhein-Dampfschiffe durch sein gutes Aussehen dem mitreisenden Prinzen Adolf in die Augen gefallen, und hatte sich ihm, auf dessen Anfrage als gelernter Gärtner bekannt gemacht. Der Prinz, ein großer Gartenliebhaber, nahm ihn mit nach Biebrich und Schwetzingen zur Besichtigung der Gärten. Dort ließ er ihn von den geschicktesten Garten-Inspectoren ihm selbst unvermerkt prüfen, und da er mit dessen Bildung so zufrieden war, als ihm Tanners Persönlichkeit schon gefallen hatte, bot er ihm die Stelle eines Hofgärtners auf seinen in Böhmen erkauften Besitzungen an. Die Bedingnisse waren günstig und die Erlaubniß zur Verheirathung gegeben. Nun verweilte der Prinz aus Interesse an den Parlamentsverhandlungen in Frankfurt und Tanner fragte in dem Brief an, wie bald er nach Neuenzell kommen und Susetten als Hofgärtnerin mit nach Böhmen nehmen könnte.
Ach Gott! rief Katharine unser gewonnenes Gut liegt ja auch in Böhmen. Da kann's ja Tanner übernehmen, und zahlt uns beiden andern heraus.
Aber wo so viel Geld hernehmen? fragte die überraschte Susette.
Ei, sein Prinz schießt's ihm vor, oder – der Prinz übernimmt noch die Besitzung, und vielleicht höher als sie für uns angeschlagen ist.
Gut! ich will's mit Tanner besprechen. Ei was bist Du so berechnend geworden, Katharinchen!
Ach, was werdet ihr nicht alles mündlich abzumachen haben! sagte Katharinchen über ihre eigene Schalkheit erröthend.
Du – Nonne! drohte Susette.
O wegen der Nonne –! lächelte die Kleine.
Hat dich der Doctor von Deiner Schleiersucht curirt? drohte Susette mit dem Finger.
Eduard hat sich ziemlich deutlich erklärt, er wurde aber gestört, flüsterte Katharine. Ach wie wurde mir, als er mich bei der Hand faßte so beklommen! Ich glaubte schon das platte Nonnenmieder anzuhaben.
Also Eduard heißt er? lächelte Susette. – – –
Es läutete zum zweiten Mal und man verließ den Wartesaal und eilte nach den Wagen. – –
Die Fahrt nach Frankfurt war nur 30 Minuten lang und ziemlich still. Als man, dort ausgestiegen, den Bahnhof durchschritt, fragte Susette, wo die Gesellschaft einkehren werde. Der Advokat schlug den Gasthof zur Windmühle, nahe der Zeil, vor. Nun übertrug Susette die Vertretung ihres Antheils an Remmert und Katharinchen, nahm einen Fiaker und eilte voraus – »Zum englischen Hof.«
Es fügte sich günstig genug, weil der Prinz erst um 4 Uhr zu Mittag speiste, und nicht eher auch seine Leute entließ, daß Peter Tanner zu Hause war, als Susette anfuhr und ihn beim Portier erfragte.
Er würde erschrocken sein, wäre sein Brief nicht voraus gegangen, dessen vergnügte Beantwortung er mit jedem Tage erwartete und nun zu erhalten glaubte.
Wie lieb ist es von Dir, Herzensbräutchen! sagte er, daß Du mir so umständlich antwortest.
Er führte sie in das Vorzimmer seines Herrn, der heut an der Table d'hote speiste, und drückte hier die ganze Umständlichkeit an sein Herz.
O nein, Peter, so ist's nicht gemeint, sagte sie. Du sollst mir nur aus einer großen Verlegenheit helfen, wobei ich auf Deine Großmuth rechne. Darum komme ich eben selber. Ich habe nämlich dem jungen Hambach, dem Lorenz, mein Wort gegeben. Du ließest ja monatelang nichts von Dir hören.
Der Schalk spielte um ihre Lippen bei diesem Bekenntniß, und so ward freilich ihr Muthwille mit Küssen, statt mit Eifersucht erwidert.
Aber ernstlich, Peter, – es ist nicht ganz ohne, wehrte sie sich. Er hat mir in aller Ehrlichkeit erklärt, er dürfe mich jetzt heirathen, weil ich sehr reich geworden sei. Da machte es mir Spaß, ihm die reiche Susette zuzusagen, und so war ich gefangen, als er darauf ein Zeitungsblatt hervorbrachte, wornach unser Loos – denk dir Herzenspeter! unser Loos – Du erinnerst Dich ja, Peter! die böhmische Besitzung gewonnen hat. Du lächelst? Nicht wahr, Du glaubst mir nicht? Aber ja, Peter – es ist richtig, und wir sind gekommen, das Geld zu heben, wir drei Mädchen, mit dem alten Hambach und dem Advokaten Wilhelmi, und Du mußt mir nun heraus helfen, gegen Hambach. Aber, – so glaub' mir doch, und lächle nicht so, wie der ungläubige Thomas. Da lies nur selbst in der Zeitung, und freue Dich mit uns!
Sie hielt ihm das Blatt hin.
Ja, ja, versetzte er, das ist das vorgestrige Blatt und ich erinnerte mich auch noch ganz gut eurer Nummer. Nun will ich dir auch gleich heraus helfen: der Lorenz verliert, und der Peter bleibt Peter. Es ist eben mit dem ganzen Gewinn – nichts, – ein reines Nichts. Du kannst heut an allen Ecken angeschlagen und in einem Extrablatte der Zeitung lesen, daß die erste Nachricht eine falsche Ziffer hat: es ist die 3 statt einer 5 telegraphirt worden. 75,747 hat gewonnen.
Heiliger Jesus! rief Susette, und die Augen wurden ihr feucht. Erst komme ich durch Deinen Brief um die Freude, Dir mit dem Gewinnst einen Weg zu machen, und nun –.
Sie mußte sich setzen: doch nur ein paar Augenblicke, und sie hatte sich gefaßt, trocknete die Augen und lächelte den Geliebten mit dem Ausruf an:
Nun, meinetwegen mag auch das ganze Glück zum Kuckuk fahren: ich hab's ja doch für dich nicht nöthig!
O du Engel! lachte Peter vergnügt. Du hast mir mit deinem Loos ein Sort machen wollen, wie sich deine Baronin ausdrückt, und mußt dich nun drein ergeben –. Aber, Suschen! Eigentlich hast du ja doch in Böhmen gewonnen: statt eines böhmischen Guts – einen böhmischen Hofgärtner! Statt eines Grundbesitzes – einen mobilen Burschen.
Ach ja, und die »Treue« hat also doch und allein gewonnen! rief Susette und umarmte ihn.
Mußt dich also mit meinem Sort begnügen, Kind!
Nun ja! klagte sie. Du willst wieder alles allein thun, und ich – was kann ich Dir denn sein, Peter?
Du? Ei Du bist meine Petersilie im Hausgärtchen. Und so wahr Gott herab sieht in den englischen Hof, wohin er mir einen Engel geschickt hat, – kein Gericht der Zukunft, keine Schüssel des Lebens soll mir ohne diese Petersilie angerichtet werden!
Als das Paar aus seiner Rührung und Zärtlichkeit zu weiterer Ueberlegung kam, sprach der wackre junge Mann seine heitere Ergebung in die Glückstäuschung aus. – Ei, sagte er, der Mann muß sein Lebensglück durch eigne Thätigkeit schaffen. Das liegt jetzt in unserer faulen Zeit, daß man nicht verdienen, sondern gewinnen, nicht arbeiten, aber genießen will.
Im Uebrigen wurde rasch das Nächste besprochen. Peter wollte ein Zimmer für Susetten im Gasthof nehmen. – Aber nicht in euerm, sagte sie. Du mußt wissen, daß ich noch fern von dir bin, und abgeholt sein will.
Du hast Recht! erwiderte er. Also drüben im pariser Hof oder im Weidenbusch. Morgen früh stelle ich dich meinem Prinzen vor.
Dem Prinzen, Peter? –
Sie blickte und strich mit beiden Händen an ihrem Anzug hinab, indem sie flüsterte:
Ist das auch gut genug für – Petersilie?
Peter nickte lachend, und fuhr fort:
Ich nehme dann Urlaub und bringe dich nach Mainz zu meiner – zu unserer Mutter.
Ach ja, das ist herrlich, Peter! Dort besprechen wir das Weitere. Nun aber mußt du zu deinem Prinzen, und ich will sehen, wie sich die Reisegefährten in's böhmische Glück theilen.
Peter begleitete sie nach dem pariser Hof, wo er mit ihrer Reisetasche ein Zimmer belegte.
Inzwischen war unsere Gesellschaft aus dem Bahnhofe nach dem Allerheiligenthor und durch die Allerheiligengasse gewandelt, erstaunt über das Drängen und Treiben in der Handelsstadt.
Der Praktikant, vernachlässigt wie er sich sah, schloß sich vorausgehend an den alten Forstlaufer an, der, wie er jetzt wußte, das Loos in der Tasche hatte. Wilhelmi traute ihm nicht, und rief den Alten an:
Remmert, die neue Hose nicht zu vergessen!
Richtig! versetzte dieser und kehrte zu den andern zurück. –
Der Gasthof hatte sein Schild in letzter Zeit verändert und hieß jetzt: Europäischer Hof. – – Der Wind hat sich gedreht, erklärte der befragte Gastwirth mit schalkhaftem Ernst, und da hab' ich meine Mühle abgebrochen. Das Parlament hat den Wind.
Das ist ein bedeutsames Ereigniß! meinte der Advokat. Da nebenan, auf dem Brunnen steht nämlich noch die schwarze Figur des römischen Königs. Wenn aber nun das Parlament den König von Preußen zum deutschen Kaiser wählt, so hat's der besser, als der alte Fritz: er hat mit keiner Windmühle mehr zu schaffen.
Auch über Hambach war durch das bewegte Leben eine eigne Jovialität gekommen. Er fragte nach richtigem Hochheimer und bestellte gleich drei Flaschen zu einer guten Collation. – Es muß 'was darauf gehen! rief er. Es muß mit Hochheimer dem Glück ein Hoch gebracht werden. Das Uebrige findet sich schon.
Eigentlich traute er dem guten Ausgang mit Susetten nicht mehr, und dachte, sich durch eine große Auslagenrechnung und den Mitgenuß des Besten einigermaaßen schadlos zu halten.
Nach eingenommener Erfrischung, bei der man dem Praktikanten kein Glas angeboten hatte, sollte es zum Bankier gehen. Hambach und Remmert hatten einen Spitz. Als sie sich der Fahrgassenecke näherten, da, wo man sich links nach Rothschilds Haus wendet, erblickte Remmert ausgehängte Kleider. – Hier gibt's Hosen! rief er, in die Hände, klatschend, und trat ohne weiteres in den Laden. Sein bescheidener Geschmack fiel auf ein Dunkel gewürfeltes Beinkleid aus baumwollenem Stoffe, das um wenige Gulden angeboten wurde.
Hambach in seinem milden Rausche, zog alsbald den Beutel, was dem Advokaten ganz recht war. Lachend rief Wilhelmi:
Nachbar Hambach, Euch passirt 'was!
Warum das, Advokat? fragte er.
Ihr ändert Eure Natur und fallt in's Freigebigkeitsfieber.
Ei was! versetzte jener. Hab' ich nicht gesagt, daß ich auch generös sein kann, wenn 'was dabei heraus kommt?
In diesem Augenblicke stürzte der Praktikant, etwas blaß, in den Laden, und nahm den Advokaten mit unerwarteter Vertraulichkeit am Arm mit sich auf die Straße.
Er hatte sich, das Ladengeschäft abwartend, an die nächste Ecke getrieben und die Anschläge gelesen. Stillschweigend wies er hier auf die Bekanntmachung wegen des vorgefallenen Irrthums in Betreff der Glücks-Nummer.
Auch der Anwalt hatte Mühe, sich zu fassen, und murrte unverständliche Worte vor sich hin. Er mußte sich gestehen, daß hier mit Advokatensprüngen nichts zu machen war.
Lassen Sie uns gehen! sprach jetzt der kleinlaute Praktikant. Die Mädchen kommen vom Laden her. Ich kann diese unglückliche Wendung der guten Dorthe nicht mittheilen, – nein, mein Herz vermag es nicht! Thun Sie's für mich, Herr Collega! Ich bin niedergeschmettert von Theilnahme, und gehe, einen Bekannten beim Parlament aufzusuchen, der mir etwas Geld –. Er wollte sich um die Ecke stehlen, aber Wilhelmi faßte ihn am Arm und sagte:
Hören Sie erst! Ich hatte die vertrauliche Absicht, Ihnen wegen des uns durch den Volksrath gespielten Streiches bei schicklicher Gelegenheit eine Ohrfeige zu spendiren. Nun haben Sie an der Ecke eben einen Schlag erhalten, der Sie gegenüber der jetzt sogenannten »Dorthe« zum niederträchtigen Schurken stempelt, und ich schone meine Hand. Gehen Sie!
Er stieß ihn in die Straße und wendete sich gegen die Herankommenden. Er theilte ihnen den Inhalt der Bekanntmachung mit und führte sie in den Gasthof zu einer Berathung zurück. –
Hier erfuhren sie vom Wirthe, daß wirklich ein Courier gestern die richtige Nummer überbracht habe. Der Gewinn sei einem Frankfurter Hause zugefallen, das die Besitzung in Böhmen antreten wolle und bereits einen Bevollmächtigten abgeschickt habe.
Aus der allgemeinen Niedergeschlagenheit kam Hambach zuerst zur Besinnung; indem er unter bewandten Umständen den Ersatz seiner Auslagen und Versäumniß zur Sprache brachte. – Der Advokat verlachte ihn aber, und erinnerte ihn an die schriftliche Uebereinkunft, wornach er die Hin- und Herreise vorbehaltlich der Erstattung aus dem Gewinn zu bestreiten übernommen hatte. Der Irrthum in der Nummer, sagte er, ist ein Zufall, und da heißt es: casum sentit dominus, – Unglück trägt der Hirschwirth.
Er rief zugleich den Wirth herbei und erklärte ihm, daß Herr Hambach für die Kosten der Gesellschaft gut sei.
Remmert saß wie verwirrt da, gestützt auf die beiden Elbogen. Er hielt fortwährend das Loos in der Faust, das erst so schwer, und nun wie ein ausgeblasenes Ei war. Er schien in ein Mährchen von einem in Kohle verwandelten Diamant verzaubert. Die Erwartung solchen Reichthums mit dem Opfer eines Bartes, – die plötzliche Enttäuschung mit dem Vortheil einer neuen Hose verknüpft, bannte seine schwerfälligen Gedanken in wundersame Widersprüche.
Dazwischen fragte Dorette wiederholt nach Herrn Hertwig. Der Advokat berichtete in seinem eignen Verdruß schonungslos, was ihm der Entwichne aufgetragen, der guten »Dorthe« zu sagen. – Sehen Sie, sprach er, wie schnell er beim unglücklichen Umschlag einer Nummer von den schönen, raschen Errungenschaften der Dora, der Dorette und Doris zur alten Dorthe zurückgegangen ist. Da haben wir die Reaktion in ihrer alten Herrlichkeit!
Bei dieser Nachricht erhob sich Doctor Schnegel und sprach zur schweigsam-betrübten Katharine:
Liebe Freundin, lassen Sie uns einen kleinen Wandel in die Stadt thun! Ich habe Ihnen etwas zu vertrauen.
Auf der Straße bot er ihr mit steifer Artigkeit den Arm, und fuhr in etwas schulmeisterlichem Tone fort:
Sie sind mir in den unvergeßlichen Stunden unserer kurzen Bekanntschaft so achtbar, schätzenswerth und lieb geworden, daß – wenn sich ebenso meine Wenigkeit in einigermaßen erklecklichem Grad Ihres Vertrauens erfreuen dürfte, ich Ihnen statt des verlornen Looses das freilich viel bescheidnere meines kleinen Schulhauses nebst Gärtchens anbieten würde mit dem Wunsche, unser beiderseitiges Lebensglück auf Nummer Herz zu setzen und auf einer Rabatte treuen Fleißes anzupflanzen.
O Sie edler, treuherziger Mann! flüsterte Katharine und drückte ihr Tuch an die Augen.
Und wollten Sie mir zu diesem höchsten Lob auch ein Zeichen Ihres zustimmenden Herzens –?
Schon drückte sie ihm die Hand mit: Geliebter Eduard! und schlug die glänzenden Augen zu ihm auf.
Ich danke Ihnen aus vollem Herzen, sagte er erröthend; den innigsten Kuß behalten wir uns auf sympathetischere Umstände vor, als dies brausende Straßentreiben ist, das uns umfluthet.
Eben stießen sie auf Susette. Ihr wißt wohl schon das Mißgeschick unseres Looses? fragte sie.
Ja, antwortete Katharine frisch. Hier aber ist eine bessere Nummer, die ich gezogen.
Sie stellte ihren Verlobten vor.
Beide Bräute umarmten sich. Susette lud das Paar in den pariser Hof ein, wo es auch ihren Peter finden sollte. Dann wandelten sie zurück nach dem Europäischen Hof, um sich dem Onkel vorzustellen.
Eduard wurde gebeten und versprach Dortchen seine Heimbegleitung anzubieten, damit sie sich gleich weniger verlassen fühle.
Eben verließ Hambach den Gasthof. Er hatte den Wirth für das bis jetzt Genossene der Gesellschaft abgefunden und eilte nach der Eisenbahn, um mit dem Abendzuge nach der Stadt – und mit dem nächtlichen Postwagen nach Neuenzell zurück zu kehren. Er hatte berechnet, daß er wenigstens die Kosten des Uebernachtens und der Rückfahrt für die vier Personen erspare, wenn er ihnen entschlüpfte.
Simon Schwarzschild war der Erste aus der Nachbarschaft, der ihn am Morgen seiner Ankunft in Neuenzell begrüßte. Er hatte das Mißgeschick seiner Collekte-Nummer bereits aus der Zeitung ersehen, und sich durch die Schadenfreude gegen Hambach über seine verlorne Provision beruhigt.
Willkommen, Nachbar! rief er ihm zu. Ihr kommt von Frankfurt und dem Parlament: Gott, was stehen uns für Zeiten bevor!
Was denn? Warum denn? fragte Hambach verdrießlich.
Warum? Ihr fragt auch noch warum? rief Simon. Hat das nichts zu bedeuten, wenn der Hirschwirth einen Bock geschossen hat? Aber nicht wahr, Ihr bringt Euerm Lorenz das Gestänge, das Hirschgeweih mit, und bezahlt das Schußgeld?