Leopold Kompert
Ohne Bewilligung
Leopold Kompert

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Mit ihrem Gepäcke unter dem Arm ging sie nun an der Seite ihres Vetters zur Stadt hinaus. Denn der Hausirer wohnte draußen in der Rossau. Seine Frau und Kinder hießen die Angekommenen freundlich willkommen, wiewohl sie selbst in zwei kleinen Stuben sich ganz enge behelfen mußten. Auch ihnen mußte Resel den Zweck ihrer großen Fahrt nach Wien berichten, aber auch sie wunderten sich nicht im Geringsten. Nur der Student, der den Lehrer der Kinder Szimches vorstellte und dafür Kost und Quartier bekam, zeigte darüber einiges Befremden.

»Haben Sie sich auch eine gute Bittschrift aufsetzen lassen?« fragte er; denn man muß wissen, daß der Student sich auch mit diesem Fache beschäftigte.

Resel bejahte es und holte die Bittschrift. Der Student nahm sie zur Hand und begann darin still zu lesen. Kaum war er aber über die ersten Zeilen, als er in ein lautes Gelächter ausbrach. Resel erschrak und fragte ihn, warum er denn lache, und ob er was Unschickliches darin gefunden habe.

»Wer hat denn die Bittschrift aufgesetzt?« fragte er noch immer lachend.

»Ein Kanzellist vom Magistrat.«

»Und mit der Bittschrift wollen sie zum Kaiser gehn?«

»Warum nicht?«

»Weil man Sie mit der Bittschrift hinauswirft beim Kaiser.«

Das konnte aber Resel nicht glauben, sie hielt sich für versichert, daß der Kaiser jede Bittschrift, sie laute wie sie immer wolle, gnädig aufnehme, wenn sie ihm nur die Sache gehörig ans Herz lege.

»Das ist's ja eben«, rief der Student, »was das Papier da nicht enthält. Die Bittschrift ist ein elendes Machwerk, das nicht ein Kanzellist, sondern ein Ofenheizer beim Kreisamt gemacht haben muß. Vom Styl will ich gar nicht reden.«

Jetzt wurde Resel wirklich geängstigt. Denn was sollte sie mit einer schlechten und nahe zu verwerflichen Bittschrift anfangen; wenn schon der Student dazu lachte, was mußte erst der Kaiser dazu thun? dachte sie. Da kam ihr der glückliche Gedanke, daß sie den Studenten bat, ihr doch das Papier vorzulegen; denn in der Hast ihrer Abreise, hatte Resel mit ihrem Mann die Vorsicht vergessen, sich mit dem Inhalt bekannt zu machen. Wie konnten sie auch daran denken, daß aus des Advokaten Händen ein ›Machwerk‹ statt einer Bittschrift hervorgehen werde?

Der Student bereitete sich mit einer gewissen höhnischen Freude zum Vorlesen, und indem wir selbst bei dieser Gelegenheit, die ganze Bittschrift viel besser als bei der Audienz hören können, wo sie der Kaiser nur stille durchsehen wird, schicken wir auch voraus, daß wir sie ohne die spaßhaften und kritischen Bemerkungen des Studenten über Rechtschreibung und Styl vollständig und unverstümmelt an den Fürsten selbst wollen gelangen lassen. Die Bittschrift lautete:

 

»Allergnädigster und durchauslauchtigster Herr Kaiser,
Euer kaiserlich königlicher Majestät!

Ich ergebenst Unterfertigte bin nur ein ganz gemein Weib, und thu' mich doch erdreisten vor das Angesicht Euer kaiserl. königl. Majestät hinzutreten. Was hätt' ich aber anders anfangen sollen? Euere kaiserl. königl. Majestät sein wie das Sonnenlicht am Himmel, was überall thut Wärme und Glanz ausbreiten und warum sollt' sich so ein arm Judenweib nicht auch getrauen, ein Stückel von diesem Licht zu bekommen? Ich hab' mich auch nicht lang bedenkt und hab' die weite Reis' von Böhmen auf Wien gemacht und komm' Euer kaiserl. königl. Majestät fußfällig und auf meinen Knien bitten, dem Jaikew Lederer eine ›Familie‹ zu geben. Dieser Jaikew Lederer, Euer kaiserl. königl. Majestät, ist der beste Mensch von der Welt und er ist schon in meinem zwanzigsten Jahre mein Bräutigam gewesen. Aber bei allem dem hat ihn Gott unschuldigerweis' mit Unglück geschlagen; denn ich frag' Euer kaiserl. königl. Majestät selber, was kann der Jaikew Lederer dafür, daß er ein Viertgeborner ist? und der Magistrat hat ihm darumb auch keine ›Familie‹ wollen geben. Der Jaikew Lederer ist einmal mein Bräutigam gewesen; hätt' er mich denn in sein Leben nicht nehmen sollen? Jeder Bauernjung und Holzhacker bei uns kann das thun, und der arme Jaikew Lederer, weil er Jud' ist, soll sich kein Weib nehmen dürfen? In unsern Synagogen thut man eben so für Euer kaiserl. königl. Majestät Leben und Gesundheit zu Gott dem Allmächtigen bitten und da steh' ich und Jaikew Lederer immer auf und thun auch mitbeten, wenn unser Vorsänger anfängt zu singen. Also thu' ich Euer kaiserl. königl. Majestät, meinen allergnädigster und allerdurchlauchtigster Kaiser auf meinen Knien anflehen, wie daß Euer kaiserl. königl. Majestät ruhen möge, dem Jaikew Lederer eine Familie zu geben. Es soll das nicht geschehen wegen ihm oder wegen meiner; denn ich leb' schon mit dem Jaikew über ein und zwanzig Jahr, sondern wegen dem Kind, was ich von ihm hab' und das ist als ein uneheliches eingeschrieben worden auf dem Rathaus. Ich schwör aber zu Gott, Euer kaiserl. königl. Majestät, daß mein Kind ist ein ehrlich Kind und braucht nicht roth zu werden vor der Welt. Geben nur mein allergnädigster Herr Kaiser dem Jaikew Lederer eine Familie, so ist uns Beiden und dem Kind auch geholfen. Also thu ich noch einmal und auf fußfällig anflehen, Euer kaiserl. königl. Majestät möcht den Jaikew Lederer begnadigen, weil er ein sehr guter Mensch ist und will auch auf meine Thränen heruntersehen, die ich vor Herzeleid schon hab' geweint. Euer kaiserl. königl. Majestät sein so gut und helfen so vielen Menschen, was soll denn aus der allerunterthänigst Unterfertigten werden, wenn ihr nicht geholfen wird? Wenn Eine auf Erden ist und lebt, die zu Gott betet, für Euer kaiserl. königl. Majestät Leben und Gesundheit und glorreiche Regierung, so ist es gewiß die allerunterthänigst Unterfertigte,

die in Ehrfurcht sterben thut
vor Euer kaiserlichen königlichen Majestät

ergebenste und niedrigste Unterthanin
Resel Mireles.«

 

Wer den Verfasser der Bittschrift bis jetzt noch nicht erkannt hat, dem können wir wahrhaftig nicht helfen. Der Kanzellist vom Magistrat war es nicht. – –

»Und mit dem da wollen Sie zum Kaiser gehen?« rief wieder der Student, als er zu Ende gekommen und brach in ein neues Gelächter aus.

Auf Resel hatte aber die vorgelesene Bittschrift einen gewaltigen Eindruck gemacht; sie hatte die Augen voll Thränen. War denn ihr tiefes Weh darin nicht hinlänglich geschildert, brauchte der Kaiser mehr? Eine innere Stimme, die ihr schon zur Reise nach Wien angerathen, sprach mächtig in ihr, sie hielt die Bittschrift für gut genug. Als der Student zuletzt seine höhnische Bemerkung ausstieß, stand sie rasch auf und nahm ihm das Papier aus der Hand.

»Ich will gar keine andere«; sagte sie mit der Freudigkeit eines gewissen Stolzes, »die Bittschrift ist gut genug, sie meint's, wie ich's mein, der Kaiser wird sie schon verstehen.«

»Meinetwegen«, entgegnete der Student mit Achselzucken, »die Bittschrift ist, um mich nur gelinde auszudrücken, ein elendes Machwerk ohne Styl und Form; hätte Ihnen jedenfalls eine bessere gemacht.«

Trotz dieser nun offen ausgesprochenen Absicht, blieb Resel dennoch bei ihrem Vorsatz, sie wollte mit keiner andern zum Kaiser gehen. Der Student lächelte nur verächtlich und zuckte ein über das anderemal die Achseln. –

Später ließ sie sich in die kaiserliche Burg aufs Oberhofmeisteramt führen, wo sie den Zettel zur Audienz erhielt, die auf morgen um 8 Uhr anberaumt war. Resel war die Achte an der Reihe. –

Abends wollte man sie in's Leopoldstädter Theater führen, wo sie gerade eine lustige Posse aufführten. Man versprach ihr ungeheuren Spaß davon, sie aber sprach wie Hannah, die Mutter Samuels: »Wie kann ich lachen gehen in die Komödie, wenn mein Herz ist voll Traurigkeit und Bängniß? Weiß ich denn schon, ob ich beim Kaiser was werd' ausrichten? Meine Seel' ist so voll Angst und Schauer, daß mich das eigne Wort erschreckt, was ich sprach.« Sie wollte sich auch nicht in der Stadt herumfahren lassen, um die Merkwürdigkeiten zu besichtigen. »Bin ich denn dessenthalb auf Wien gekommen?« meinte sie, »ich muß an mein Kind denken. Das ist mir das Merkwürdigste.« –

Nachts konnte das arme Weib lange nicht schlafen. Die morgige Audienz, die Erinnerung an Mann und Kind, der Bürgermeister und der Advokat, ihr ganzes Weh aber auch die Hoffnung seines baldigen Endes zogen in wirren Bildern an ihrer Seele vorüber. Sie wachte noch, als die Töchter ihres Vetters aus dem Leopoldstädter Theater zurückkamen, sie traten lachend und singend ein, und erzählten sich im Bette noch lange nachher von den Späßen des Komikers und wie lustig das ganze Stück gewesen sei. Resel beneidete halb diese Sorglosigkeit und dachte sich, wie glücklich doch diese Leute in Wien sein müßten, die Tag für Tag in die Komödie gehen könnten, immer heiter und vergnügt, die das Leben genießen, wie kein Anderer. »Was hat man aber in der Khille (Gemeinde)? Nichts als Kummer und Verdruß.« Mit diesen Gedanken schlief sie ein. –

Es war gegen zwei Uhr in der Nacht, als sie plötzlich durch ein heftiges Pochen an der Hausthüre aus dem Schlafe geweckt wurde. Sie schlug erschrocken die Augen auf, da sah sie ein seltsames Schauspiel in der Stube. Ihr Vetter Szimche lief halbnackt mit einem Licht in der Hand, wie wahnsinnig auf und nieder; Frau und Kinder waren ebenfalls aus ihren Betten aufgesprungen und standen mit bleichverstörten Gesichtern um ihn herum. Das Pochen an der Thüre dauerte fort. –

»Um Gotteswillen«, schrie Resel, »was ist geschehen, ist wo Feuer im Hause?«

»Still, still«, flüsterte man ihr zu, »die Polizei ist vor der Thür', wir haben keine Aufenthaltskarte.«

Das Klopfen wurde immer stärker und heftiger, dazwischen tönten drohende Stimmen von draußen. In der Stube stieg die Verwirrung aufs Höchste, Szimche lief noch immer mit dem Licht in der Hand wie sinnenverwirrt in der Stube herum, Resel konnte deutlich hören, wie ihm die Zähne knackend auf einander schlugen. Der Student schien noch die meiste Geistesgegenwart zu behaupten, er schrie ihm zu, sich doch zu besinnen, oder zu öffnen. Die Schläge an der Thüre wiederholten sich. Da ermannte sich endlich Szimche von seinem Schrecken; er riß das Leintuch aus dem Tuche, wickelte es rasch um den ganzen Leib und warf sich in der Mitte der Stube auf den Boden nieder. Resel sah diesem Beginnen mit ängstlicher Erwartung zu.

»Jetzt stell's mir ein Licht zu Kopf«, befahl Szimche, »und macht's auf. Sagt der Polizei, daß ich todt bin.«

Das war ein furchtbarer Augenblick. Der Student nahm das Licht und stellte es dem Todtlebendigen zu Häupten. Seine Tochter schlug ihm das Leintuch über das Gesicht, die Frau war zur Thüre gegangen, um der Polizei zu öffnen. Gleich darauf traten zwei Vertraute in Begleitung mehrerer Soldaten ein; ihr erster Blick fiel auf die Leiche am Boden. Es sah wirklich wie in einem Todtenhause aus. Bleiche verstörte Gesichter rings herum, die der Polizei ihren Schmerz um ein so eben Verlorenes, Theueres, deutlich genug erzählten.

»Wann ist er gestorben?« fragte der eine Vertraute und trat zur Leiche hin.

»Grad vor einer Stund'«, sagte die Frau, zitternd vor Angst.

Der Vertraute schlug der Leiche das Tuch vom Antlitz weg und ließ es sogleich wieder sinken.

»Der ist todt«, sagte er zu den andern, »Wir haben hier nichts Weiteres zu thun.« Sie gingen darauf fort, ohne um die Aufenthaltskarte gefragt zu haben.

Kaum aber war die Polizei zum Hause hinaus und man konnte noch den Schall ihrer Tritte in der einsamen Gasse vernehmen, als Szimche aufsprang und das Leintuch von sich abwarf.

»Nu«, rief er, »hab ich den Todten nicht gut gemacht? Kein Federl hat an mir gezuckt. Schön sind sie angekommen.«

Und als wäre er wirklich auferstanden aus den Banden des Todes, standen die andern freudig um ihn und lachten und scherzten über die Gefahr, die sie einen Augenblick vorher so sinnlos gemacht hatte. Das Licht wurde wieder ausgelöscht, man suchte die Betten auf und eine Viertelstunde später war es still in der Stube. Keiner hätte es geahnt, daß diese Menschen so eben in den Rachen einer furchtbaren Gefahr geblickt hattenNur die ›tolerirten‹ Juden, das sind solche mit Genehmigung der Regierung geduldete, genießen ihren Aufenthalt in Wien ohne sonstige Behelligung und Störung, die übrigen müssen ›Aufenthaltskarten‹ lösen, denen besonders die armen Hausierer, die oft seit ihrer Kindheit schon in Wien leben, schon um des Zeitverlustes willen, den ein jedesmaliger Besuch des ›Judenamtes‹ mit sich bringt, auf mannigfache Weise zu entgehen wissen. Die Polizei – und was sollte ihr unbekannt sein? – kennt und weiß das Alles. Dafür hält sie nächtliche Hausuntersuchungen – die ohne Karte Betretenen erwartet der ›Schub‹. Infandum renovare dolorem . .

Resel aber lag vom fieberhaften Frost der Angst befallen und konnte die übrige Nacht kein Auge mehr schließen. Mit Thränen benetzte sie ihr Lager, denn es ahnte ihr nicht Gutes für Morgen. Wie wollte sie in einer Stadt, wo sich ihr Vetter Szimche todtstellen mußte, um der Polizei zu entgehen, eine ›Familie‹ und einen ehrlichen Namen für ihren Benjamin bekommen? Auch beneidete sie nicht mehr die Töchter ihres Verwandten – litten sie für das Vergnügen, tagtäglich in's Leopoldstädter Theater zu gehen und da die Possen des Komikers belachen zu können, nicht Angst und Jammer genug? –

Der Kaiser hatte die Bittschrift gelesen – er hatte gelächelt. Resel war in der Thüre des Audienzzimmers in die Knie gesunken, sie war einer Ohnmacht nahe. Da trat der milde Herrscher auf sie zu und mit einer Stimme, die wie ein goldener Strom auf sie fiel, sagte er ihr: »Steh' auf mein Kind, man muß nur vor Gott knieen.« Aber Resel stand nicht auf; aus der Tiefe ihrer Seele rief sie zu dem Herrscher auf. »Gnade, Gnade, Euer Majestät, geben Sie meinem Jaikew eine Familie!«

Da fragte der Kaiser:

»Ists wahr, daß du schon einundzwanzig Jahr mit ihm lebst?«

»Es sind schon bald zweiundzwanzig«, entgegnete sie – »und ich hab' auch ein Kind.«

Der Kaiser ging hierauf zum Tische, worauf die Bittschrift lag, und schrieb etwas auf die Rückseite derselben.

»Jetzt geh nur, mein Kind«, sprach er dann mit echt menschlicher Milde, »dein Jaikew wird eine Familie bekommen. Verlaß dich darauf, es wird schon besser werden.« –

Resel ging. Hätte ihre Seele in diesem Augenblicke das irdische Gewand abgestreift, ein Gebet für den Kaiser wäre das Erste gewesen, womit sie die Lichthallen des ewigen Lebens betreten hätte!

 

Vier Wochen darauf, nachdem Resel schon längst zurückgekehrt, hundertmal um die ›Audienz‹ befragt und angestaunt worden, erhielt Jaikew Lederer eine neue ›Zustellung‹ vom Bürgermeister, aufs Rathhaus zu kommen. Mit freudiger Ahnung im Herzen ging er diesmal die enge Wendeltreppe zum Bureau Nr. 5 hinan. Wie aber ward ihm erst, als der Bürgermeister mit freundlichen Worten erklärte, »es sei allerhöchster Befehl gekommen, dem Jaikew Lederer die erste beste Familie zu verleihen, und da gerade eine erledigt sei, so solle er darum nur ›einreichen‹, sie werde keinem andern zu Theil werden!« – –

Vierzehn Tage darauf war Jaikew Lederer ›Familiant‹. –

Nun entstand unter den Eheleuten die sonderbare Frage, ob sie denn – eine neue Hochzeit feiern sollten. Jaikew bezeigte wenig Lust, denn er meinte: »Jetzt bin ich Familiant, was scheert mich die Welt?« Resel aber sagte: »Na, Jaikew, so mein ich's nicht. Wenn ich auf Wien gegangen bin, für dich um eine Familie zu bitten, so will ich auch eine ordentliche Chasne machen. Reichen wir also um eine Reschojin (Bewilligung) ein.«

Das ganze Ghetto lobte diesen Entschluß. Wieder wurde das dicke Bündel mit Zeugnissen, Gutachten und Bestätigungen gesammelt, wie wir sie schon früher in den Leiden und Drangsalen Jaikews erwähnt haben. Denn die Gnade des Kaisers hatte ihm wohl die ›Familie‹, aber noch nicht den ›Reschojin‹ verschafft. Der mußte natürlich seinen gewöhnlichen Gang gehen. Lustig war es, daß das alte Ehepaar sich auch aus dem ›Bne Zion‹ mußte prüfen lassen und noch lustiger, was dabei vorfiel.

»Sag' sie mir«, fragte der Kreiskommissär, der sie prüfte, »welche Pflichten hatte eine Mutter gegen ihre Kinder?«

Resel besann sich etwas lange, dann sagte sie mit strahlendem Gesichte:

»Sie gern haben, Herr Kreiskommissär.«

Der Kreiskommissär sah den Rabbiner, der ihn wieder an. Sie lächelten beide über die – Einfalt des Weibes.

»Und er«, fragte man den Jaikew, »sag' er mir, wie heißt das neunte Gebot?«

Dem Jaikew wollte das im Augenblicke gerade nicht einfallen; der Kreisrabbiner fing also das Gebot selbst an, um ihm auf die Bahn zu helfen.

»Du sollst nicht begehren nach deines Nächsten Weib –«

»Schöne Frag' das, Rebbe Leben«, lächelte Jaikew; »hätte ich denn so lang auf mein Resel gewart, wenn ich hätt' begehren wollen nach eines Andern Weib? Das Gebot hat Gott nicht gegeben für mich

Lachend entließ der Kreiskommissär das alte Brautpaar, und stellte ihnen das Zeugniß aus, daß sie aus dem ›Bne Zion‹ sehr wohl bestanden seien, woran im Grunde niemand zweifeln wird, denn die ›Moral‹ haben Resel und Jaikew doch verstanden. –

Der Reschojin ließ diesmal statt der vierzehn Jahre noch einmal so viele Wochen auf sich warten – immerhin ein bedeutender Unterschied.

Der Hochtzeitstag ward nun festgesetzt. –

Die Trauung unter der Chuppe (Brauthimmel) verrichtete nun nicht mehr ein armer Rebbe auf dem Dorfe, sondern der Kreisrabbiner selbst vollzog sie, wie es die Sitte erheischt, unter freiem Himmel. Resel trug ein seidenes Kleid und unter der goldenen Haube rannen diesmal nichts als Freudenthränen hervor. Sie gefiel auch dem Jaikew so wohl, daß er selbst gestand: »Du siehst heut' wie ein zwanzigjährig Mädel aus.« – – –

Am Hochzeitstische herrschte die lauteste Lustigkeit! Das ganze Ghetto hatte Geschenke geschickt, die nun unter Paukenklang vom Schuldiener ausgerufen wurden. Der reiche Schmul Brandeis hatte sich sogar herbeigelassen, vier silberne Leuchter dem Brautpaar zu verehren.

Gegen Abend, als die Freude schon aufs Höchste gestiegen war, sprang Salme Floh, der auch eingeladen war, plötzlich auf den Tisch und gebot Stillschweigen.

»Balbatim und Weiber«, rief er, »ich will euch ein Räthsel aufgeben: Wer ist heute zur Chasne am zeitlichsten gekommen?«

»Jaikew und Resel«, hieß es von allen Seiten.

»Gefoppt, gefoppt«, schrie der Räthselsteller, »Jaikews kleiner Benjamin wars, der ist um acht Jahr' zu zeitlich gekommen.« – –

Alles lachte und lärmte durcheinander, sogar Resel, die sonst in diesem Punkt keinen Spaß verstand. –

Dann sprang auch der Advokat Rebb Lippmann Goldberger auf den Tisch:

»Und wem, meints ihr«, schrie er, »wem verdankt's Jaikews Benjamin, daß er da sitzt bei der Chasne und ein Stück Tort aufißt?«

»Resele, Resele«, rief man ihm entgegen, »die ist ja beim Kaiser gewesen.«

»Gefoppt, gefoppt«, schrie er nun seinerseits, »Mir hat ers zu verdanken, denn ich hab' die Bittschrift an den Kaiser gemacht.«

Allgemeines Staunen folgte diesen Worten, dann Erklärung Lippmanns, wie er, statt zum Kanzellisten zu gehen, die Bittschrift selbst aufgesetzt habe, damit der Kaiser seine eigene Schrift lese, dann stürmischer Dank des Brautpaares und Jubel und Freude von allen Seiten...

Aber, Herr Advokat! haben wir denn das Alles nicht schon in Wien gewußt??


 << zurück