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III. Flederwisch und Wetterhexe.

Seit einem halben Jahre hatte Mr. H. P. World die Angewohnheit angenommen, beim Sprechen sich immer schmunzelnd die Hände zu reiben, und er hatte allen Grund dazu.

Bisher war er in New-York nur ›ein lumpiger Millionär‹ gewesen, welcher von allen denen, bei denen der wirkliche Mensch erst mit der hundertsten Million beginnt, verächtlich über die Achsel angesehen wurde. Aber nicht lange mehr, so würde auch Mr. World zu dieser exklusiven Geldaristokratie gehören, die Einkünfte eines hundertfachen Millionärs hatte er bereits! – Was allein diese Annoncen einbrachten! Vier Seiten Unterhaltung, vierzig Seiten Annoncen und Reklamen, die Zeile zwei Dollar! – und wenn er dieses ideale Ziel eines jeden echten Yankees nicht mehr erreichte, dann doch ganz bestimmt seine Kinder und Kindeskinder. Die Gründung einer neuen amerikanischen Milliardärsfamilie war gesichert.

»Mein lieber Mister Nobody – ehem – es ist heute gerade ein Jahr her – ehem – daß Sie mir Ihren genialen Gedanken unterbreiteten – ehem – wissen Sie noch ehem? – und – ehem – ich möchte mich gern erkenntlich zeigen – ehem – und – ehem – wenn Sie erlauben – ehem – Ihnen von jetzt an für jedes Tausend sechs Dollar geben – ehem.«

Denn wem hatte er alles zu verdanken? Nur diesem Nobody, diesem Teufelskerl! Und ›Teufelskerl‹ war das schmeichelhafteste Lob, die höchste Respektbezeugung, die Mr. World einem Menschen zuteil lassen werden konnte.

Aber es hatte eine Zeit gegeben, da Mr. World auf diesen Teufelskerl ganz gotteslästerlich geschimpft und ihn den ersten und letzten Nagel zu seinem Sarge genannt hatte, und das war die Zeit gewesen, da Nobody seine achttägige Vorstellung im Atlantic-Garden beendet hatte, um sich in den Dienst des neuen literarischen Unternehmens zu stellen, und als Mr. World drei Wochen lang jeden Tag geglaubt hatte, heute endlich müsse die Geschichte losgehen.

Das erste war gewesen, daß Nobody den Verlagsbuchhändler veranlaßt hatte, 500 000 Pfund Papier zu kaufen, welche 30 000 Dollar kosteten. Dieses Papier mußte bereitliegen, um sofort, wenn der geeignete Zeitpunkt da war, von der ersten Nummer der neuen Zeitschrift Millionen Exemplare in die Welt hinauszuschleudern.

Aber dieser verdammte Kerl, dieser vermaledeite Lumpenhund, dieser › bloody Dutchman ‹ hatte ihn ganz sicher zu diesem Kaufe nur deshalb überredet, um die 500 000 Pfund Papier als Sargdeckel für den biederen Buchhändler zu verwenden. Wirklich, der ungeheure Stapel Papier, der so unbenutzt dalag, wurde noch der Tod des alten Mannes.

»Nobody, jetzt müssen wir aber endlich anfangen, ich kann doch nicht die 500 000 Pfund Pap ...«

»Noch nicht, Mr. World, noch ist keine günstige Gelegenheit vorhanden, mit der ersten Nummer herauszukommen. Es muß ein ganz sensationeller Fall sein.«

»In San Franzisko ist ein Raubmord ...«

»Der Raubmörder ist bereits gefaßt.«

»In Genf sind 142 Menschen an giftigem Schweizerkäse gestorben, es steht in sämtlichen Zeitungen der Welt.«

»Giftiger Käse ist kein passendes Sujet für die erste Nummer unserer neuen Zeitschrift.«

»Haben Sie's schon gehört? Es steht in allen Zeitungen. Auf Honolulu sollen die kleinen Kinder, gleich wenn sie geboren werden, die brennende Zigarre in den Mund bekommen. Nobody, da müssen Sie schnell hin, ob das wirklich wahr ist. Das ist besonders etwas für unsere Frauenwelt.«

»Nein, Mr. World, deshalb gehe ich nicht nach Honolulu.«

»Ei die Deiwel!« schrie Mr. World jetzt entrüstet. »Ich muß aber doch meine 500 000 Pfund Pap ...«

»Mr. World, das überlassen Sie nur mir, ich halte meine Augen schon offen, ich warte einen anderen Fall ab, es ist jetzt gerade eine faule Zeit, aber ich versichere Ihnen, daß wir, wenn ich einmal mit der ersten Nummer herauskomme, mit einem Schlage jede Woche eine Million feste Abnehmer für unsere Zeitung haben.«

 

Und das ging nun schon drei Wochen lang so fort! Immer und immer wieder eine Vertröstung! Und was trieb inzwischen Mr. Nobody? Der trieb sich in New-Yorker Kneipen herum, machte sich das Leben schön, und wie schön! Denn daß er dies tat, das merkte man vor allen Dingen daran, daß er bereits nach vierzehn Tagen zu Mr. World ins Kontor kam und um Vorschuß bat, oder solchen vielmehr forderte, gleich 1000 Dollar, er habe sie dringend nötig, und dann kam er nochmals und forderte wiederum auf seine zukünftigen Reisespesen 1000 Dollar Vorschuß – – und zuletzt ließ sich der Lump überhaupt nicht mehr sehen. In seinem Hotel hatte er hinterlassen, daß er für acht Tage verreist sei, nichts weiter.

Mr. World war im Geschäftsleben ein sehr ruhiger und besonnener Mann, durch seine energievolle Kaltblütigkeit war er zum reichen Manne geworden, und er hatte auch schon größere Verluste mit Gleichmut ertragen, als diese 30 000 Dollar für das Papier für ihn bedeuteten, das er ja überhaupt noch verwenden konnte. Im Geschaftsleben hatte Mr. World auch warten

gelernt, er wußte, daß Rom nicht an einem Tage erbaut worden ist – – aber seinem Personal gegenüber zeigte sich der alte Herr manchmal von einer höchst nervösen Seite. Wenn ihm in seinen Geschäftsräumen etwas in die Quere kam, wenn da nicht gleich jeder seiner Winke verstanden wurde und nicht gleich alles sprang, da fing der Herr Prinzipal allemal gleich mit Händen und Füßen zu strampeln an und konnte höchst unangenehm werden. Freilich war dann alles ebenso schnell wieder vergessen.

 

»Nein, Artur, nein,« sagte Mr. World zu seinem Schwiegersohne, der ihn im Kontor besucht hatte, »das geht so nicht weiter. Denkt der Kerl vielleicht, ich habe meine 500 000 Pfunds Pap ...«

»Aber lieber Schwiegerpapa, beruhige dich doch. Ich habe zu Nobody Zutrauen, er wird dich nicht im Stich lassen.«

Mit den Füßen zappelte der alte Herr bereits, er ging aufgeregt im Zimmer hin und her, immer im Sturmschritt, jetzt fing er auch mit den Händen an.

»Artur, unterbrich mich nicht! Und ich sage dir: der Kerl ist ein Lump! Wo sind denn die 10 000 Dollar, geblieben, die er von Mr. Lewis hat ausgezahlt bekommen? Verludert hat er sie. Jawohl, innerhalb von 14 Tagen verludert! Sonst hätte er mich doch nicht schon angepumpt! In zwei Jahren zehn Millionen, in 14 Tagen 10 000 durchgebracht, jawohl, das kann so ungefähr stimmen. Und ich Narr schmeiße diesem Lumpen auch noch 2000 Dollar nachträglich in den Rachen, und jetzt sitze ich mit meinen 500 000 Pfund Pap ...«

»Er wird schon wiederkommen, lieber Schwiegerpapa.«

»Artur, ich sage es dir zum letzten Male, laß mich aussprechen, daß wir uns nicht wegen dieses infamen Halunken noch erzürnen!« schrie der alte Herr wütend.

»Aber jetzt weiß ich, was ich zu tun habe. In einer Woche wollte er wieder zurück sein, die Woche ist vergangen, jetzt gibt es bei mir nur noch ein Entweder – Oder. Hast du den Fall in Brasilien gelesen, in der Provinz Guarani, die Geschichte von der reichen Minenbesitzerin, Ines da Costa heißt wohl das Frauenzimmer, und die Geschichte mit ihrem toten Hunde?«

Nein, Mr. Law hatte noch nichts davon gelesen, und das entstammte von neuem den Zorn des Schwiegervaters, der sich eben wieder etwas beruhigt hatte.

»Was? Du hast nichts davon gelesen? Wo's in allen Zeitungen steht? Und du willst ein Journalist sein? Schämen sollst du dich was! Also, da ist in Brasilien in der Provinz Dingsda eine Donna Dingsda gewesen, eine ungeheuer reiche Minenbesitzerin, die hat einen Hund gehabt, Apollo hieß das räudige Vieh, und wie der Hund krepierte, da hat ihn die alte Donna Dingsda begraben und hat sein Grab gepflegt. So wenigstens hat's im Testamente gestanden. Die Donna Dingsda hat ganz einsam auf einer Plantage von so 5000 Acker Umfang gelebt. Und weiter steht in dem Testament, daß ihre Erben das Grab dieses räudigen Viehes immer pflegen müssen, das wird ihnen zur Pflicht gemacht, sonst kriegen sie eben nischt. Ja, heißt es aber jetzt: wo liegt denn nun eigentlich der Hund begraben? Das Grab ist in dem riesig großen Garten nicht zu finden, und Gott weiß, wo die Donna Dingsda den Hund überhaupt begraben hat. Jetzt schreien alle die Erben ängstlich: wo liegt der Hund begraben? Und alle Zeitungen schreien mit: wo liegt der Hund begraben! – Siehst du, da muß Nobody jetzt sofort hin nach Brasilien und nachsuchen, wo der Hund begraben liegt, und wenn er ihn gefunden hat, dann geben wir die erste Nummer von unserer Zeitschrift heraus. – Paß auf, das wird ein Bombenerfolg! Unser Detektiv hat den toten Hund von der Donna Dingsda gefunden ... na, was hast du denn zu feixen?«

»Aber, lieber Schwiegerpapa,« lachte Mr. Law aus vollem Halse, »das ist doch wirklich nicht so wichtig ...«

»Was, nicht so wichtig?!« schrie aber der Schwiegerpapa erbost. »Na ja, du hast eben die Zeitungen nicht gelesen, das kommt davon. Ich sage dir, alle Zeitungen stehen voll davon – wo liegt der Hund begraben – die ganze Welt schreit: wo liegt der Hund begraben. – Der ›New-York Herald‹ hat den Stanley nach Afrika geschickt und den verschollenen Livingstone suchen lassen. Das hier mit dem toten Hunde ist noch etwas ganz anderes! Da handelt es sich um Hunderte von Millionen! Und die Donna Dingsda hat ganz dicht an der argentinischen Grenze gewohnt, wenn jetzt die Argentiner mit nach dem toten Hunde suchen und ihn finden – paß auf, Artur, das kann zwischen Argentinien und Brasilien noch zum Kriege kommen – na, ganz sicherlich, das kommt noch so weit! – und Chile steht natürlich auf argentinischer Seite – aber da macht jetzt auch Mexiko mit – und da kommt selbstverständlich auch gleich England gelaufen, jedenfalls verbündet mit Frankreich – aber das läßt sich doch der Nordamerikaner nicht gefallen, wir machen also auch mit ... na, Artur, ich sage dir, ich werde es hoffentlich nicht mehr erleben, aber du ganz sicher noch – paß auf, das kommt noch zu einem internationalen Weltkrieg, und dies alles nur wegen so eines lausigen Hundes!«

Mr. World, der sich immer mehr in den Eifer hineinredete, trocknete den Schweiß von der Stirn und fuhr fort:

»Ueberhaupt, mir ganz egal, mein Entschluß ist gefaßt. Jetzt muß Nobody endlich einmal zeigen, ob er etwas kann oder ob er nur ein Großmaul ist. Er muß fort nach Brasilien und suchen, wo der Hund begraben liegt, und das sogleich. In einer Woche wollte er zurück sein, die Woche ist um, ich schreibe ihm jetzt einen eingeschriebenen Brief wegen dieser Sache, schicke Paddyn hin, ist Nobody nicht im Hotel, so quittiert der Portier,

bekommen muß Nobody den Brief auf alle Fälle, und reist er dann nicht sofort nach Brasilien und sieht zu, wo der Hund begraben liegt, dann ... pfffffffft!«

Nach diesem letzten Laute, mit einer entsprechenden Handbewegung und einem Fingerschnalzen begleitet, öffnete Mr. World eine Nebentür, welche zum Hauptkontor führte.

»Bitte, Miß Haddock, ich will Ihnen einen Brief diktieren.«

Eine junge Dame zwischen zwanzig und vierzig mit sehr spitzer Nase und vergißmeinnichtblauen Augen trat ein und setzte sich an den für sie bestimmten Tisch.

Der Journalist brannte sich eine Zigarette an, kreuzte die Beine und legte sich behaglich in seinen Stuhl zurück, des Kommenden wartend. Denn er wußte schon, wie das immer ausfiel, wenn sein Schwiegerpapa in solch aufgeregter Stimmung einen Brief diktierte. Der alte Herr rannte noch immer wie ein hungriger Löwe im Käfig auf und ab.

»Sind Sie bereit?«

»Jawohl, Mr. World,« piepsten die vergißmeinnichtblauen Augen.

»Also los: An ... ehem ... haben Sie das

geschrieben?«

»Jawohl, Mr. World.

»Sagen Sie es, wenn Sie nicht nachkommen, ich diktiere manchmal sehr rasch. Was haben Sie geschrieben? Lesen Sie vor.«

»An, Mr. World.«

Wie ein Wilder stürzte der Prinzipal auf die Schreiben los.

»An Nobodyn will ich doch schreiben, doch nicht an mich selbst!!!« brüllte er, da er die Antwort falsch verstanden hatte.

Er sah seinen Irrtum ein und beruhigte sich wieder, wenn auch seine sonstige Erregung blieb.

»Gut, sehr gut. Also: An Mr. Nobody. Sir! Ehem. Sie haben – ehem – sicherlich – ehem – von dem Falle in Brasilien – ehem – gelesen – ehem – wie die Donna – ehem – Ines da Costa – ehem – einen schönen – ehem – Hund gehabt hat – ehem – den sie – ehem – irgendwo begrub – ehem – und wie jetzt die Frage lautet – ehem – wo liegt der Hund begraben – ehem – Punkt – ehem. Haben Sie geschrieben?«

»Jawohl, Mr. World.«

In tiefem Sinnen schritt der Herr Prinzipal auf und ab, nach der Fortsetzung suchend.

»Wo liegt der Hund begraben?« wiederholte er. »Wo – liegt – der – Hund – begraben? Hm ... Wo war ich stehen geblieben? Wiederholen Sie den letzten Satz!«

»Wo liegt der Hut begraben.«

Mit einem Ruck blieb World stehen und wandte den Kopf nach der Schreiberin.

»Wuuooaaas?«

»Wo liegt der Hut begraben,« wiederholte die Dame.

»Wumwoooaaaaas? Höre ich recht? Was habe ich diktiert? Lesen Sie mir noch einmal das Ganze vor.«

»An Mr. Nobody. Sir! Sie haben sicherlich von dem Falle in Brasilien gelesen, wie die Donna Ines da Costa einen schönen Hut gehabt hat, den sie begrub, und wie jetzt die Frage lautet: wo liegt der Hut begraben ...«

Mit weit vorgerecktem Kopfe schlich der Prinzipal auf sie zu.

»Hund!« donnerte er sie an. »Hund!! ... Hund!!!«

Langsam stand die Dame auf und musterte den Prinzipal mit ihren vergißmeinnichtblauen Augen von oben bis unten.

»Meinen Sie damit mich, Mr. World?«

»Den Hund meine ich, den Huuhnd! Wo liegt der Huuhhnd begraben! Doch nicht der Hut! Da hört doch, weiß Gott, alles auf! Nichts weiter als Hüte die gekränkte Antwort.

»Haben Sie etwa schon einmal einen Hut begraben?«

Die vergißmeinnichtblauen Augen wurden schwärmerisch zur Decke emporgeschlagen,

»Ja, ich habe einmal einen Hut begraben, mein verstorbener Bräutigam hatte sich darauf gesetzt ...«

»Nehmen Sie einen neuen Briefbogen. Schon wieder ein Briefbogen futsch! Sie denken wohl, weil ich 500 000 Pfund Papier daliegen habe, nun kann darauf losgewüstet werden, was?«

Der neue Brief ward glücklich zu Ende geführt. Nobody sollte sich also unverzüglich nach Brasilien begeben, um zu suchen, wo der Hund begraben lag, der alle Welt beschäftigte, und wenn er's nicht tat, immer wieder eine Ausrede hatte, dann ... pfffffft!

Der Prinzipal unterschrieb, die Schreiberin adressierte das Kuvert.

»Paddy!«

Ein rothaariger, krummbeiniger Mann erschien, dem man den Irländer schon von weitem ansah.

»Sssssssssssssssssss,« fing er bei seinem Eintritt wie eine Lokomotive zu zischen an, und dann war es nicht anders, als ob die nachfolgenden Worte mit einer Kanone herausgeschossen würden, »... ie wünschen, Mr. World?«

Paddy, der Firma langjähriger Kassenbote, stotterte nämlich ein bißchen. Aber wenn ein Kassenbote sonst treu und zuverlässig ist, so hat das nichts weiter zu sagen. Paddys Stottern war auch gar nicht so schlimm. Nur das erste Wort brachte er immer nicht gleich heraus. Entweder verweilte er längere Zeit bei dem ersten Buchstaben, oder er wiederholte mehrmals die erste Silbe. Desto schneller ging es dann, die anderen Worte sprudelte er nur so heraus, man dachte wirklich immer an das Abschießen einer Kanone. Nur wenn er erregt war, dann machten ihm auch die nächsten Worte Schwierigkeiten, bis er erst richtig in Schuß kam.

»Du weißt doch, wo Mr. Nobody logiert.«

»Ho-Ho-Ho-Ho-Ho-Ho-Ho ...«

»Hotel,« kam ihm Mr. Law zu Hilfe.

Das hätte er nicht tun sollen, denn jetzt ging es noch einmal los:

»Kakakakakakakakakalifornia.« Und nun mit Vehemenz: »Hotel Kalifornia.«

»Hier, diesen Brief trägst du hin, und wenn Mr. Nobody nicht da ist, läßt du vom Portier quittieren. Verstanden?«

»A-a-a-a-a-a-a-a-a-a-a-allemal, Mr. World.«

Die krummen Beine marschierten ab.

In einer Viertelstunde war Paddy wieder da. Mr. Law befand sich auch noch im Kontor.

»Mimimimimimimi ...«

»Mister,« wurde ihm unvorsichtigerweise zu Hilfe gekommen.

»Nononononononono ...«

»Nobody!«

»Bobobobobobobobobo ...«

»Body! Zum Himmeldonnerwetter, was ist denn heute mit dir los?«

Der Mann sah auch recht echauffiert aus. Aber so eine Bevormundung ließ sich der brave Paddy nicht gefallen, das kränkte ihn, er war selbst Mann genug, seine eigenen Worte herauszubringen, da brauchte ihm niemand zu helfen, und wenn es einmal gar nicht ging, dann stampfte er mit dem Fuße auf, und dann krepierte die Granate jedesmal mit absoluter Sicherheit. Also noch einmal denselben Vers von vorn:

»Mimimimimimi ...« nun ein kräftiges Aufstampfen und »... Mister Nobody war zu Hause und hat den Brief gleich gelesen.«

»Ach was! Da muß er gleich selbst herkommen.«

»U-u-u-u-und ich soll Ihnen gleich die Antwort bringen.«

»Was für eine Antwort? Was hat er gesagt?« rief Mr. World mit begreiflicher Lebhaftigkeit.

»Ssssssssssss,« fing die Lokomotive jetzt wieder zu zischen an. »Sssssssssssssssss ...«

»Na, da stampfe doch einmal mit dem Fuße auf!«

Das besorgte Paddy denn auch gründlich, das ganze Haus wackelte, hinter der Tapete rieselte der Kalk.

»Ssssssssssie sollten selber nach Brasilien gehen und nachsehen, wo der Hund begraben liegt.«

»Was?! Das hat der Kerl zu sagen gewagt?!«

Und Mr. World gab seiner gerechten Entrüstung weiteren Ausdruck, bis diese wieder in demjenigen Gedanken ausklang, der ihn schon seit drei Wochen Tag und Nacht wie ein Schreckgespenst verfolgte.

»Diesem Halunken ist es nur darauf angekommen, mich mit den 500 000 Pfund Pap ...«

Das verhängnisvolle Wort blieb ihm in der Kehle stecken, denn sein Blick war auf den krummbeinigen Paddy gefallen, und was er da zu sehen bekam, das war das Menschenunmöglichste, was er jemals in seinem Kontor zu sehen bekommen hatte.

Griff dieser Mensch, sein Kassenbote, sein Angestellter, sein Sklave, ganz kaltblütig in die seinem Schwiegersohne zur Verfügung stehende Zigarettenkiste und brannte sich ganz gemütlich eine an, hier im Kontor, in Gegenwart seines Prinzipals!!!

»Mensch, bist du denn plötzlich wahnsinnig geworden?! Oder hast du dir draußen einen Sonnenstich geholt?! Oder bist du besoffen?!«

»Nichts von alledem,« erklang es fließend und ruhig aus dem Munde des rothaarigen Irländers zurück, während er das Streichholz in den Aschenbecher legte, »ich bin persönlich gekommen, um Ihnen zu sagen, daß ich nicht nach Brasilien gehen werde, daß ich mir von Ihnen, Mr. World, überhaupt nichts vorschreiben lassen werde, ich tue und lasse, was mir gefällt, denn ich bin nicht Ihr Angestellter, sondern in Sachen der projektierten Zeitung Ihr Kompagnon.«

Schon beim ersten Klange dieser plötzlich so veränderten Stimme war der Journalist wie von einer Tarantel gestochen von seinem Stuhle aufgeschnellt, und auch er sah, wie die stark geschweiften Beine des Irländers mit einem Male gerade wurden, und jetzt nahm er die roten Haare vom Kopfe, eine Perücke, die nicht gerade von besonderer Geistesfähigkeit sprechenden Gesichtszüge veränderten sich ...

»Nobody!!!« riefen die beiden wie aus einem Munde, und ihr grenzenloses Staunen war begreiflich.

Und es war nicht etwa das erstemal, daß der Verwandlungskünstler zu Mr. World in einer fremden Maske kam. Dieser hatte ihn überhaupt noch niemals wieder in seiner eigentlichen Gestalt gesehen. Wenn Nobody ein Anliegen gehabt hatte, so war er in diesem Kontor stets als ein anderer erschienen, bald als alter Mann, bald als junge Dame, immer wieder in einer anderen Gestalt, und nicht etwa, daß er sich sofort zu erkennen gab, sondern der arme, alte Mann hatte unter irgend einem Vorwand um Unterstützung gebeten, bei der jungen Dame war es zuletzt auf einen Liebesantrag hinausgelaufen, und erst wenn Nobody den alten Herrn zu seinem eigenen Ergötzen lange genug veralbert hatte, gab er sich zu erkennen.

Es war schon so weit gekommen, daß Mr. World ganz irre geworden, jeden Unbekannten, der ihn in seinem Kontor in irgend einer Angelegenheit zu sprechen wünschte, ob Mann oder Weib, zuerst immer für den Verwandlungskünstler hielt, den oder die Betreffende bat, doch die Maske fallen zu lassen, woraus natürlich die merkwürdigsten Szenen entspringen mußten.

Dies war auch der Grund, warum Mr. World mit diesem Manne gar nicht mehr persönlich verkehren wollte, nur noch schriftlich, er fürchtete sich förmlich vor ihm – und für diese Furcht war auch schon ein anderer und wirklich sehr triftiger Grund vorhanden, wie wir gleich sehen werden.

Bisher aber war Nobody immer nur in der Maske irgend einer Gestalt erschienen, welche dem alten Herrn unbekannt war. Dies war das erstemal, daß Nobody sich in einen Mann verwandelt hatte, den Mr. World von Grund auf kannte – er kannte doch seinen Paddy, seinen Kassenboten, dem er nun schon länger als zehn Jahre die größten Geldsummen und die wichtigsten Einschreibebriefe anvertraute, und er hätte dies auch noch vor einer Minute getan, denn das war doch kein anderer als sein stotternder Kassenbote gewesen, und ...

Kurz und gut, der alte Herr war nicht nur starr vor Staunen, als sich sein Kassenbote plötzlich so verwandelte, sondern er entsetzte sich förmlich wie vor einem nicht wegzuleugnenden Gespenste.

»Ist doch nicht die Menschenmöglichkeit!« stöhnte er. »Nobody, sind Sie denn das nur wirklich oder habe ich nur eine Vision?!«

»Ich bin es, und ich komme, um endlich einmal zwischen uns ...«

»Ja, wie ist denn das aber nur möglich?! Wo ist denn Paddy? Sie haben doch seine Sachen an?«

Es half alles nichts, World hatte alles Geschäftliche vergessen, erst müßte Nobody dieses Rätsel aufklären.

Es war sehr einfach – wenigstens für Nobody. Er war in seinem Hotel gewesen, hatte den Brief gleich gelesen, und – das mußte man ihm lassen, dieser Mann hatte auch nichts weiter als Verrücktheiten im Kopfe, oder aber, er mußte eben schauspielern, Komödie treiben, anders ging es nicht bei ihm – kurz und gut, er hatte den biederen Paddy bewogen, ihm seine Kleidung zu geben, eine rothaarige Perücke besaß er unter seiner Garderobe, er war als der stotternde Kassenbote gekommen, und die Täuschung war eine vollkommene gewesen. Wahrscheinlich hätte ihn sogar Paddys eigene Frau für ihren Mann gehalten.

Derartiges steht nicht ohne Gegenbeispiel da. So trat Emil Devrient, der berühmte Schauspieler, oftmals als Doppelgänger von bekannten Personen auf, setzte sich an den Stammtisch, man hielt ihn für einen anderen, und mit diesem brauchte Devrieut für gewöhnlich nicht die geringste Aehnlichkeit zu haben, und der Irrtum wurde erst bemerkt, wenn dieser andere Stammgast eintrat. –

»Wollen wir jetzt vom Geschäft sprechen?« begann dann Nobody wieder.

Mr. World raffte sich auf. Jetzt oder nie!

Wir müssen den Grund angeben, warum sich der alte Verlagsbuchhändler seit den letzten beiden Wochen förmlich fürchtete, mit Nobody mündlich zu unterhandeln.

Wie oft hatte sich World nicht schon vorgenommen, das nächstemal, wenn er mit Nobody wieder zusammentraf, diesem die Leviten zu lesen, ihm die Alternative zu stellen, ob er sich nun endlich dem geplanten Unternehmm widmen oder nicht lieber von der ganzen Sache zurücktreten wolle, vielleicht gegen eine Entschädigungssumme, denn er selbst, Henry World, habe keine Lust mehr, sich von einem Abenteurer und Projektemacher an der Nase herumführen zu lassen.

Aber es war ganz merkwürdig. Der alte, sonst so energische Geschäftsmann konnte seine wohleinstudierte Rede niemals anbringen, oder vielmehr: er vergaß sie in Nobodys Gegenwart, oder er wagte es nicht – jedenfalls ging Nobody stets als Sieger von dannen und hatte den, der mit ihm ein für allemal hatte brechen wollen, jedesmal auch noch tüchtig angepumpt.

Kam das nur daher, daß Nobody immer in einer fremden Gestalt erschien und so erst eine große Ueberraschung bereitete, welche alles andere vergessen ließ?

Nein, sicher nicht. Es lag im Benehmen, im Auftreten, im Blick im ganzen Wesen dieses rätselhaften Mannes. Es war etwas an ihm, es ging etwas von ihm aus, was ... sich nicht mit Worten beschreiben läßt.

Es war ganz dasselbe, was damals an Bord den beiden Yankees nicht erlaubt hatte, ihn nach seinem Alter zu fragen.

»Ich glaube, es ist ein Raubtierbändiger,« hatte der eine gesagt.

Bisher nun war Mr. World immer allein gewesen, wenn Nobody gekommen. Diesmal aber war sein Schwiegersohn anwesend, das gab ihm Mut.

»Nun, mein Herr?«

»Mr. World, ich komme mit einem großen Anliegen. Nach reiflicher Ueberlegung brauche ich zu dem Vorhaben, welches in unserem beiderseitigen Interesse liegt, eine eigene, schnelldampfende Jacht, schneller als der schnellste Passagierdampfer, was bei solch einer kleinen Jacht mit genügend Pferdekraft sich auch erreichen läßt, obwohl ich an eine Jacht von wenigstens 500 Tonnen denke, bedient von mindestens 12 Matrosen und Heizern. Ich muß eben imstande sein, den schnellsten Passagierdampfer zu überholen, ich muß immer eher da sein als derjenige, auf den ich es abgesehen habe. Was solch eine Jacht kostet? Na, sagen wir: rund eine Viertelmillion Dollar, für Sie eine Kleinigkeit ...«

Mr. Law mußte sich schnell auf die Lippen beißen. Er wäre bald in ein schallendes Gelächter ausgebrochen, nämlich über das Gesicht, welches ihm sein Schwiegervater zuwendete. Dieses Staunen, dieser Schreck, dieser hilfeflehende Blick, der auf den Schwiegersohn gerichtet war, diese Dummheit, die in den sonst so klugen Zügen des alten Herrn plötzlich lag – – es war ein unbeschreibliches Gesicht!

»Sie machen doch nur Spaß!« brachte World endlich hervor.

»Ich? Nein, ich spreche im Ernst. Aber ich denke, Sie haben nur ein Witzchen machen wollen, als Sie mir zumuteten, ich solle mich wegen jener verrückten Erbschaftsgeschichte, bei welcher das verschollene Grab eines Hundeköters die Hauptrolle spielt, gleich nach Brasilien begeben.«

Mr. World sah nochmals nach seinem Schwiegersohne, dieser nickte ihm zu, und der alte Herr verstand dieses Zunicken falsch, er glaubte, Law spreche ihm Mut ein – »jetzt gehe einmal energisch vor!« – und er ging denn auch endlich einmal energisch vor.

»Sie haben ganz recht, mein Herr. Diese Hundeaffäre war nur das erste beste, was ich aus der Fülle von interessanten Neuigkeiten, die zur Zeit alle Welt beschäftigen, den Zeitungen entnahm, um Sie zu einem definitiven Bescheid zu zwingen, und nun, mein Herr, frage ich Sie zum letzten Male, ob Sie sich unserer Sache endlich widmen und einen Anfang machen wollen, oder ob Sie vielleicht denken, ich habe mir nur zum Privatvergnügen die 500 000 Pfund Pap ...«

»Zum letzten Male wollen Sie mich fragen?« unterbrach Nobody den Sprecher. »Sie haben mich überhaupt noch gar nicht deswegen gefragt. Aber gut, daß Sie davon anfangen. Aus der Alternative, die Sie mir stellen, und wie Sie diese Hundegeschichte als Mittel zum Zweck wählen, daraus ersehe ich, daß mich die Herren, oder doch Sie, Mr. World, überhaupt noch gar nicht richtig verstanden haben, obgleich ich mich damals doch deutlich genug erklärte. Sie wollen, unsere Zeitung soll als erste Nummer und dann auch immer später etwas recht Sensationelles, Mysteriöses oder sonst etwas, was zur Zeit gerade alle Welt beschäftigt, herausgreifen, mit der Bemerkung, daß ich als Berichterstatter und Detektiv mich sofort an Ort und Stelle begeben würde, um den Fall aufzuklären, den Verbrecher zu fassen, usw. Nichts falscher als das! Und wenn mir das nun einmal nicht gelingt? Ich bin auch nur ein Mensch.

Dann sind wir die Blamierten, und das fällt auf die ganze Zeitung zurück. Nein, das werde ich anders machen, und wir werden ganz sicher gehen, niemals wird uns etwas mißlingen, nie werden wir das Publikum täuschen und enttäuschen. Ich fange gewissermaßen immer von hinten an. Passen Sie auf, meine Herren, wie ich das meine. Ich promeniere auf der Straße, hier in New-York oder in Paris oder in Peking, ich beobachte die Straßenpassanten, da fällt mein Blick auf einen Mann – – halt, sage ich mir sofort, der hat irgend etwas begangen, der hat kein reines Gewissen – – der hat einen großen Diebstahl ausgeführt, wenn nicht gar einen Raubmord. Dabei braucht dieser Mann durchaus kein auffälliges Benehmen an den Tag zu legen, es kann der kaltblütigste Bösewicht sein, der jeden seiner Gesichtsmuskeln in der Gewalt hat. Das ist eben bei mir eine ganz eigentümliche Gabe, ich möchte es fast Instinkt nennen, daß ich die innersten Gedanken eines jeden Menschen sofort erkenne, sein Gewissen liegt gewissermaßen offen vor meinen Augen ...«

»Können Sie das wirklich,« unterbrach ihn der Journalist, »jedem Menschen ansehen, ob er ein reines Gewissen hat oder nicht?«

»Ganz gewiß. Auch Sie, Mr. Law haben kein reines Gewissen.«

»Ich?« lachte der junge Mann. »Nanu! Was soll ich denn verbrochen haben?!«

»Lassen Sie sehen ..., « Nobody zog aus seinem Halse an einer Schnur einen Klemmer und betrachtete den Dasitzenden mit forschenden Augen, » ... jawohl, ganz rein ist Ihr Gewissen nicht ... im Gegenteile ... es ist furchtbar belastet ...Mensch, was haben Sie denn eigentlich begangen?! Meiner zuverlässigen Ansicht nach einen Kirchenfrevel. Jawohl, Sie haben eine Kirche geschändet, es kann meiner Diagnose nach gar nicht so lange her sein, und das liegt Ihnen nun furchtbar schwer auf dem Herzen.«

Und Nobody nahm seinen goldenen Kneifer mit einer Bewegung ab, welche allein schon seine tiefinnerste Ueberzeugung von seiner Unfehlbarkeit ausdrückte.

Mr. Law saß natürlich wie vom Donner gerührt da, obgleich es doch offen zutage lag, daß Nobody nur Scherz machen konnte. Aber das war denn doch etwas gar zuviel des Scherzes, so etwas konnte man eben gar nicht für möglich halten.

»Was?! Ich – ein – Kirchen – schänder?!«

»Gewiß ist es so. Und ich irre mich nie. Oder ist es vielleicht kein Frevel gegen das Allerheiligste, wenn man in der Kirche während der Predigt einschläft und seiner andachtsvollen Frau und der ganzen Gemeinde etwas vorschnarcht?«

Da lehnte sich Mr. Law in seinen Stuhl zurück und brach in ein Lachen aus, daß ihm die Tränen an den Backen herunterliefen, und Mr. World stimmte gleichfalls mit ein. Denn es war in der Tat so, und der Sünder hatte schon seinem Schwiegervater von seinem gestrigen Malheur erzählt. Gestern war nämlich Sonntag gewesen. Seine Gattin hatte ihn, der ausnahmsweise zu Hause war, am Morgen mit in die Kirche geschleift, und der Journalist, etwas übernächtig, war eingeschlafen, war im besten Schnarchen von seiner empörten Frau aufgerüttelt worden.

»Woher wissen Sie denn das? Waren Sie denn gestern in der Markuskirche? Gehen Sie denn überhaupt auch in die Kirche?«

»Ich werde mich hüten. Nein, ich weiß eben manches, was andere nicht wissen, ich habe ganz sonderbare Augen. – Ihnen, Mr. World, sehe ich auch gleich an, daß Sie kein gutes Gewissen haben. Sie haben – warten Sie, lassen Sie sich in die Augen sehen ... äh, bei Ihnen ist es ja ganz klar, Sie haben stibitzt.«

»Was – habe – ich?«

»Stibitzt, gemaust, gestohlen. Und zwar Geld ... Na, machen Sie keine Geschichten – das kann ich alles in Ihren Augen lesen. Ja, ich wage sogar die Höhe der Summe anzugeben, welche Sie sich unrechtmäßig angeeignet haben, und zwar heute. Sie schwankt zwischen 995 Dollar und 86 Cents und zwischen 1007 Dollar und 18 Cents. So genau kann ich meine Augendiagnose stellen.«

»Na,« sagte der alte Herr empört, »mit solchen Witzen hören Sie mal gefälligst auf, das sind nicht mehr unschu ...«

Mitten im Wort stockte er. Während er dies mit einiger Entrüstung sagte, hatte er beide Hände in die Rocktaschen gesteckt, in der rechten mußte er etwas gefühlt haben, was nicht hineingehörte, er zog es heraus, ein grünes, knisterndes Blatt Papier, eine Tausenddollarnote, und da also erstarb ihm plötzlich das Wort auf den Lippen, und der alte Herr machte wieder eines seiner unbeschreiblichen Gesichter.

»Ja, wie kommt denn die Tausenddollarnote in meine Rocktasche?« brachte er mit höchster Bestürzung hervor.

»Na, nun verstellen Sie sich mal nicht,« rief Nobody, »markieren Sie mal nicht den Unschuldigen! Sehen Sie, das ist dasjenige Geld, welches! Wie das böse Gewissen den Mörder immer wieder nach dem Ort seiner Bluttat zurückführt, so hat das böse Gewissen Ihre Hand in die Rocktasche gelenkt, auf daß alle Welt erfährt, daß Sie sich unrecht Gut angeeignet haben. Und wie genau ich die Größe Ihrer Sünde zu taxieren verstanden habe!!«

Während Mr. Law sein erstes Staunen schnell überwunden hatte und dann über das dumme Gesicht seines Schwiegervaters in ein schallendes Gelächter ausbrach, stand dieser noch länger mit solchem Gesichte da, die Banknote in der Hand.

Dann freilich war ihm auch alles klar, dieser Eskamoteur hatte sie ihm eben in die Tasche gespielt, auf welche Weise, das allerdings war ganz rätselhaft. Nobody hatte dem alten Herrn vorhin nur einmal auf die Schulter geklopft, aber man hatte von ihm ja schon ganz andere Sachen gesehen, und jetzt hatte sich Mr. World gefaßt, jetzt wollte er den Spieß herumdrehen.

»Nein, mein lieber Herr,« begann er plötzlich zu schmunzeln, »diese Tausenddollarnote habe ich nicht gestohlen, ich erhielt sie vorhin und steckte sie einstweilen in die Rocktasche, ich dachte nur nicht mehr daran, jetzt aber werde ich sie besser verwahren.«

Damit zog er seine Brieftasche hervor, legte den Schein hinein und steckte die Tasche wieder ein.

Es war doch etwas merkwürdig, daß Nobody dies so ruhig hinnahm, auch gar kein Wort mehr darüber verlor, ganz so tat, als wäre dies vollständig in der Ordnung.

»Wo war ich vorhin stehen geblieben?« begann er sofort wieder. »Ja, wie die erste Nummer unserer Zeitschrift erscheinen und was sie bringen muß, um mit einem Schlage in ganz Amerika eingeführt zu sein, und das für immer in einer Auflage von mindestens einer Million. Ein toter Hund darf da nun freilich nicht die Hauptrolle spielen, der zieht nicht genug. Ich will doch gleich einmal den Inhalt der ersten Nummer aufsetzen, daraus ersehen Sie zugleich, wie ich mir das Ganze denke, wie ich also sozusagen immer von hinten anfange. Ich werde diktieren. Mr. Law, würden Sie die Güte haben, nachzustenographieren?«

»Gewiß, ich bin bereit.«

Er nahm Bleistift und ein großes Blatt Papier, Nobody ging mit auf dem Rücken verschränkten Armen im Zimmer hin und her.

»Erst einige sensationelle Ueberschriften – bitte, die recht fett stenographieren. Also: Fälschungen auf dem Schatzamt zu Washington! – Haben Sie?«

»Oho!« ließ sich Mr. World mit lächelndem Gesicht vernehmen.

»Weiter, die zweite Ueberschrift: Für hundert Millionen falsches Papiergeld!«

»Na, na,« meinte jetzt auch der stenographierende Journalist, »lassen Sie Ihrer Phantasie nur nicht gar zu sehr die Zügel schießen.«

»Wissen Sie was,« wandte sich da Nobody an Mr. World, »Sie sind jetzt hier ganz überflüssig, und wir haben keine Minute mehr zu verlieren, morgen früh muß die erste Nummer mit diesem Artikel wenigstens für New-York in 100 000 Exemplaren heraus sein, und da gibt es noch zu drucken. Was sehen mich denn die Herren so erstaunt an?«

Ja, die beiden Männer sahen den Sprecher allerdings mit ganz eigentümlichen Augen an. Es war heute ein sehr heißer Tag, und ...

»Sie denken wohl, mir ist die Hitze zu Kopf gestiegen? Hier ...,« er knöpfte Paddys Rock auf, unter diesem trug er seine eigene Weste, er knöpfte auch diese auf und zog aus den Innentaschen zwei große Pakete heraus. »Hier sind zweimal fünfhundert Tausenddollarnoten, also eine Million Dollar Falsifikate, aber nicht von echten zu unterscheiden, denn sie sind gedruckt im Schatzamt von Washington, Abzüge von den echten Platten – aber doppelte! – und es sind noch neunundneunzig Mal so viel da, fix und fertig, um in bares Geld verwandelt zu werden. – Also los!! Mr. World, gehen Sie in die Setzerei, machen Sie alles bereit, ich diktiere Mr. Law den Text.« –

 

Am nächsten Morgen wurde in den Straßen New-Yorks die erste Nummer von ›Worlds Magazine‹ ausgerufen, und was man da zu lesen bekam, das erzeugte erst in New-York, dann in ganz Amerika eine wahre Panik.

Ein hoher Staatsbeamter, welcher sich die neu herausgegebene Zeitschrift ahnungslos kaufte, schoß sich einige Minuten später eine Kugel vor den Kopf, bald darauf begingen in Washington zwei hohe, am Schatzamt angestellte Beamte ebenfalls Selbstmord, und fast das ganze Schatzamt wurde wie ein Räubernest von der Polizei ausgehoben.

Es war ein Fall, wie er nur in Amerika möglich ist. Auf dem Schatzamt waren von der Stahlplatte, welche die Tausenddollarnoten druckt, nach und nach 25 000 doppelte Abzüge gemacht worden, und es ist ganz selbstverständlich, daß sich im Bunde mit den Gaunern die höchsten Beamten dieses Staatsinstituts befanden. Nur noch einige Tage, dann wäre dieses falsche Papiergeld in bar umgesetzt worden, alles war schon vorbereitet gewesen, daher auch bei den Bankhäusern die große Nachfrage nach Gold, und wenn sich die Banknoten als doppelt erwiesen, wären die ungetreuen Beamten mit ihrer Beute von hundert Millionen schon längst über alle Berge gewesen. Und was das in ganz Amerika für einen Schaden angerichtet hätte, das läßt sich mit kurzen Worten gar nicht andeuten. Schon beim Lesen dieses Artikels drohte in New-York eine Panik auszubrechen. Die größten Bankhäuser wären krachen gegangen, ihr Sturz hätte sich auch noch dem kleinen Handwerker schmerzlich fühlbar gemacht.

Die neue Zeitschrift ›Worlds Magazine‹ hatte die Katastrophe noch rechtzeitig verhindert. Nein, nicht diese Zeitung, sondern ihr Berichterstatter, ein Privat-Detektiv, jener famose Nobody! Und ›Worlds Magazine‹ hatte für die nächsten Nummern Stoff genug, denn dieses erstemal schilderte Nobody ganz ausführlich, wie er einen Verdacht geschöpft hatte, daß auf dem Schatzamt etwas nicht recht geheuer sein könne, und wie er Schritt für Schritt vorgegangen war, bis er sich von der Tatsache der Fälschungen überzeugt und die Namen aller Beteiligten erfahren hatte. Auf diese Weise hatte er die drei Wochen ausgenützt, die letzte sogar im Schatzamt zu Washington an einer Druckmaschine gearbeitet als gewöhnlicher Tagelöhner.

Doch gerade dieser erste Fall interessiert uns sehr wenig. Genug, daß wir den Erfolg kennen. ›Worlds Magazine‹ hatte von der ersten Nummer an in Amerika einen Leserkreis von Millionen.

Als der alte Verlagsbuchhändler und jetzige Zeitungsherausgeber den Mann, den er so schmählich verkannt hatte, nach dem ersten Bombenerfolge wiedersah, wäre er ihm beinahe weinend um den Hals gefallen.

»Verzeihung, mein liebster, bester Nobody, ich habe Ihnen bitteres Unrecht zugefügt. Ich möchte es gern sühnen, verlangen Sie von mir, was Sie wollen – ehem – wollen Sie vielleicht eine Zigarre rauchen? Aber bei Gott, als ich die 500 000 Pfund Pap ...«

»Lasten Sie es gut sein,« unterbrach ihn Nobody, aus dem präsentierten Etui eine Zigarre nehmend. »Aber von nun an vertrauen Sie mir, und passen Sie auf, wir machen noch ganz andere Geschäfte zusammen, die Sache muß noch ganz anders kommen. Wenn ich auch immer meinem Vergnügen nachgehe und Allotria treibe, das Geschäft lasse ich dabei niemals außer acht, denn das bringt Geld ein, und Geld muß ich haben, um es verhauen zu können. – Ja, Mr. World, nun wollte ich mit Ihnen noch einmal über die erwähnte Jacht sprechen.«

Au! das hätte nicht kommen dürfen! Der alte Herr war diesem Manne ja sehr, sehr dankbar, er hatte ihm doch auch schon eine Fünfcentzigarre geschenkt, aber eine Jacht, welche eine Million Mark kosten sollte – soviel brachte das Geschäft denn doch noch nicht ein.

Aber Nobody, der unbedingt ein Gedankenleser war, wußte ihn schnell wieder zu beruhigen.

»Es ist nicht nötig, daß Sie die Viertelmillion Dollar bar bezahlen,« fuhr Nobody lächelnd fort. »Zu Ihrer Beruhigung will ich Ihnen mitteilen, daß ich mir überhaupt nur einen Scherz erlaubte, als ich sagte, Sie sollten mir eine Jacht kaufen. Wenn ich eine Jacht brauche, und das ist allerdings der Fall, so bezahle ich Sie auch aus meiner Tasche ...«

»O, wenn Sie unbedingt eine Jacht haben müssen, so trage ich natürlich gern etwas dazu bei,« mußte der Kompagnon jetzt doch einlenken.

»Nein, nein, das ist nicht nötig, das nehme ich auch gar nicht an. Da uns der Coup geglückt ist, wird mein wöchentliches Einkommen von jetzt an mindestens 5000 Dollar betragen, in spätestens einem Jahre habe ich die Jacht abbezahlt, so etwas wird überhaupt niemals sofort bezahlt ...«

»Haben Sie denn schon eine bestimmte Jacht in Aussicht oder lassen Sie sich erst eine neue bauen?«

»Das ist, weshalb ich hauptsächlich mit Ihnen sprechen wollte. Ja, ich spekuliere auf eine bestimmte Jacht, sie liegt noch auf der Werft, wurde auf Bestellung von Mr. Mac Orphy gebaut. Kennen Sie diesen reichen Sonderling und Sportsman?«

»Reich? Der hat vor vierzehn Tagen bankrott gemacht.«

»Das ist es eben. Jetzt sitzen die Gebrüder Hiemann drin. Die Jacht liegt halbfertig auf der Werft, und Hiemanns werden wohl schwerlich einen anderen Käufer für das verrückte Ding finden. Orphy hatte einen Torpedojäger im Auge, nach solch einem Typ ist die Jacht gebaut, wer aber wird eine derartige Zigarre kaufen, die im Innern absolut keine Bequemlichkeit bietet, weil die Räume viel zu klein und zu niedrig sind, wenn jemand eine Lustjacht haben will. Und das Fahrzeug als Kriegsschiff an irgend eine Marine loszuwerden, dazu ist auch wenig Hoffnung vorhanden, dann müßte es gepanzert werden, und das läßt sich jetzt schwer machen. Für mich aber ist das gerade etwas. Ich lasse in die Stahlzigarre eine kolossale Maschine hineinbauen und werde dann das schnellste Schiff der Welt besitzen. Nun darf aber kein einziger Mensch wissen, daß Nobody der Besitzer dieser Jacht ist, daß er sich meistenteils darauf aufhält, daß er an Bord dieses Schiffes immer seinen äußerlichen Menschen verwandelt ...«

»Ah, jetzt verstehe ich, wozu Sie eine Jacht haben wollen!«

»Dann ist es gut, dann brauche ich mich nicht länger dabei aufzuhalten. Die Welt wird noch viel von dieser Jacht sprechen, ihr Name soll noch berühmt werden ...«

»Haben Sie schon einen Namen gewählt? Wie soll sie heißen?«

»Die Wetterhexe.« –

 

Die Waterstreet und nähere Umgebung mit ihren Boardinghäusern, Kneipen und Tingeltangels ist in New-York das Paradies der Seeleute.

Gegenwärtig war freilich eine sehr stille Zeit. New-York war mit Seeleuten überfüllt, es kamen und gingen keine Schiffe, und die regelmäßig fahrenden Linien haben ihre ständige Besatzung.

Ein Bild von dieser faulen Sommerzeit gab die Gaststube von Tiedemanns Boardinghaus. (Boardinghaus ist eine Matrosenherberge, der Wirt heißt Boarding-Master, in Deutschland wird er Heuerbaas genannt, und diese Herbergsväter sind in aller Welt auch Deutsche.)

Es sah traurig genug aus in der Gaststube. Von den Dutzend Matrosen und einigen Steuerleuten, welche bei Tiedemann im Logis lagen, spielten drei Mann Karten, spielten um Nasen ...um Hosenknöpfe, wollen wir lieber sagen, die anderen hockten untätig herum, sogen an ihren kalten Pfeifen und bliesen samt und sonders Trübsal. Keiner hatte ein Glas Bier vor sich stehen, nicht einmal eine Pfeife Tabak gab es mehr, denn Heuerbaas Tiedemann behauptete, es sei schon genug, wenn er den Arbeitslosen Wohnung und Kost auf die zukünftige Heuer kreditiere.

Die meisten waren vor zwei Wochen von ein und demselben Schiffe abgemustert worden, und an jenem Tage, dem Gotte Mammon gewidmet, war es hier anders zugegangen. Auf der Bar, hinter welcher des Wirtes Töchterlein die Spiegel putzte, stand die Zierde dieser Gaststube, das Vermächtnis eines splendiden Steuermannes, ein Champagner-Service, der Eiskübel aus geschliffenem Krystallglas mit dazugehörigen Gläsern, und die konnten davon erzählen, wie man hier in dulci jubilo gelebt hatte, von früh bis abends und von abends bis früh. Dann folgten einige Tage, an welchen man die letzten Silberstücke zusammensuchte, dann einige Tage mit Zechkredit, und dann kamen diese Tage, von denen sie sagten, daß sie ihnen nicht gefielen.

Die Tür öffnete sich, ein neuer Gast trat ein, Kleidung und Gang, überhaupt sein ganzes Aussehen verrieten ihn gleichfalls als einen Matrosen.

Die Kartenspieler hielten einen Augenblick inne, die anderen blickten einmal nach dem Manne, der hier noch nie gesehen worden war, dann fielen sie alle wieder in ihre vorige Teilnahmlosigkeit zurück. Seeleute ohne Geld sind an Land Stockfische.

Was wollte der fremde Matrose? Nach einer Heuer fragen? Hier logieren? Da mußte man wohl lange warten, ehe man den Zweck seines Kommens erfuhr. Er ging an die Bar, bestellte ein Glas Bier, blieb an der Bar stehen und stierte vor sich hin, und so lange er bei diesem ersten Glase Biere war, würde er wohl schwerlich den Mund zu einer Frage auftun.

Da schnellte der eine, der den Blick zum Fenster gerichtet gehabt, wie elektrisiert auf.

»Kapitän Flederwisch!!!«

Dieser Ruf wirkte nicht anders, als ob in die Gaststube plötzlich eine Granate geschlagen wäre. Die Karten flogen an den Boden, alles sprang auf, daß die Stühle umstürzten, und rannte an die Fenster.

»Wahrhaftig, Kapitän Flederwisch!!!«

»Vater, Mutter, Kapitän Flederwisch kommt!!« rief die Wirtstochter zur Haustreppe hinauf, und die Gerufenen kamen so schnell herab, als es ihre Wohlbeleibtheit erlaubte, ihnen nach die Dienstmagd und der Hausknecht.

Die Tür ging auf, im Rahmen stand die sechs Fuß hohe, breitschultrige Gestalt eines noch jungen Mannes, als Seemann in den unvermeidlichen blauen Anzug mit trichterförmigen Hosen gekleidet, den der nordische Matrose auch im heißesten Sommer nicht ablegt, und es war schon eine große Ausnahme, daß dieser hier keine Weste trug, sondern unter der offenen Jacke das feine, gelbseidene Hemd zeigte, nur daß er noch um die Hüften eine rote Schärpe geschlungen hatte.

Der breite Strohhut beschattete ein tiefbraunes Gesicht von wahrhaft klassischer Schönheit, und was der gebildete Menschenkenner vor allen Dingen in diesen Zügen las, das war die liederliche Genialität.

»Hallo, Jungens! Steuert ihr wieder einmal mit der Ebbe? Aber Kapitän Flederwisch kommt stets mit der Flut. – Guten Tag, Vater! – Na, Gustel, was machst du? Komm her, Alte, gib mir einen Kuß. Ziere dich nur nicht, wenn der Alte tot ist, heirate ich dich doch. Aber nicht zu lange. – Bier her! – Halt, aus Gläsern wird nicht getrunken, das kann jeder. – Wieviel Fässer hast du im Keller? – Herauf damit! – Wir trinken heute aus ...«

»Um Gottes willen, Kapitän!!« kreischte die Wirtin auf.

Als jener sie umschlungen hatte, um ihr einen Kuß zu rauben, obgleich ihr Mann daneben stand, war er gegen das Champagner-Service gestoßen, daß die Gläser klirrten.

»Ach wat! Was kostet das Zeug?«

»Fünfzig Dollar.«

Der junge Riese packte das Tafelbrett an, hob es in die Höhe – bruch! lag alles in Scherben am Boden.

Und dann griff er lachend in die Tasche und warf auf die Bar eine Hand voll Gold und Silber, mindestens das Dreifache der genannten Summe.

So fing es an, so ging es weiter. Die Bierfässer wurden hereingerollt, der sogenannte ›Kapitän‹ aber allem Anschein nach doch auch mir ein Matrose, bezahlte nach amerikanischer Sitte jedesmal sofort, aber immer nur in die mit Geld gefüllten Taschen greifend, ohne erst nachzuzählen, dann nahm er den ersten besten Filzhut vom Nagel und ließ ihn unter dem Hahn vollaufen, trank das Bier aus dem Hute, und alle folgten seinem Beispiele. Als die Fässer leer waren, mußte der Wirt an Wein und Schnapsflaschen herbeischaffen, was sich im Hause befand, an die 100 Flaschen waren es mindestens, eine Bowle sollte gebraut werden, das mußte aber auch wieder auf besondere Weise geschehen, als Bowlengefäß diente eine große Badewanne, in diese wurden der Wein, der Champagner, die verschiedensten Schnäpse und Liköre geschüttet, wie sie in die Hand kamen, ein Bündel Bambusrohre wurde aufgetrieben, und nun setzte sich die ganze Gesellschaft um die Badewanne herum und sog durch die Rohre das höllische Gebräu mit vollen Zügen ein, dabei als einzige Unterhaltung Matrosenlieder brüllend. Das Ideal eines echten Matrosen war erreicht. Das menschliche Leben hat, so lange man an Land ist, nur einen einzigen Zweck: trinken ... oder vielmehr saufen, immer saufen, und die höchste Glückseligkeit liegt darin, sinnlos betrunken zu sein. Lange würde es ja auch nicht währen, so war dieses herrliche Ziel erreicht.

Wenn nun auch bei einer derartigen Zechgesellschaft schwer eine Unterhaltung aufkommen konnte, so lag hier doch ein Rätsel vor, und jeder schien sich zu hüten, dieses mit einer Frage zu berühren.

Ganz offenbar war dieser Kapitän Flederwisch soeben erst an Land gekommen, war erst von einem Schiffe abgemustert worden, daher das viele Geld, welches schleunigst durchgebracht werden mußte. Aber der Mann zeigte auffallend viel Gold und Papiergeld, so viel kann ein Matrose nicht verdienen, auch wenn er eine zweijährige Reise gemacht hat, ohne Vorschuß aufgenommen zu haben, nicht einmal ein Kapitän hätte solch eine Summe mitbringen können, und dann hätte ein Kapitän sie doch auch nicht mit Matrosen in der ersten besten Spelunke verpraßt. Und keiner der Matrosen stellte eine Frage, auf welchem Schiffe und wie lange jener denn darauf gewesen sei.

Und dann kamen unter der um die Badewanne hockenden Korona manchmal doch merkwürdige Fragen vor.

»Das also ist dieser Kapitän Flederwisch, welcher ... ?« flüsterte ein Matrose seinem Nachbar heimlich zu.

»Ja, das ist er,« wurde ebenso heimlich zurückgerannt. »St, nichts merken lassen, er will davon nichts wissen.«

Die Tochter verstieg sich zu einer offenen Frage.

»Wo ist denn Kapitän Flederwisch das halbe Jahr gewesen, daß er so viel Geld verdient hat?«

»Halts Maul!« fuhr sie der gefragte Vater barsch an, aber auch im leisesten Tone. »Das geht uns gar nichts an! Kapitän Flederwisch ist ein nobler Bengel, der sein Geld springen läßt, und damit basta! Gestohlen hat er es nicht, darauf kannst du dich verlassen, das ist der ehrlichste Kerl, den je die Sonne beschienen hat.«

Auch der fremde Matrose war bald in das Zechgelage gezogen worden.

Ein Matrose, der einen intelligenteren und einen weit weniger rohen Eindruck machte als die anderen, war auf ihn, der von der Bar aus dem wüsten Treiben zugeschaut hatte, als sich dieses noch um die Bierfässer drehte, zugetreten.

»Wie heißt du?«

»Ich heiße Ernst Mroch.«

»Bist wohl auch ein Deutscher?«

»Ja, aus Bremen.«

»Und ich aus Geestemünde. Komm, du mußt mitmachen, sonst nimmt's Kapitän Flederwisch übel, und das ist auch ein Deutscher, obgleich er's nicht mehr sein will. Kennst du den Flederwisch schon?«

»Gehört habe ich von ihm, aber sehen tue ich ihn jetzt zum ersten Male.«

»Komm nur, es sind hier noch genug, die den Kapitän auch nur vom Hörensagen kennen.«

Ernst Mroch setzte sich, also mit an die Badewanne, nutschte an seinem Bambusrohr und fiel mit ein in die »Shandies«, welche Kapitän Flederwisch anstimmte.

»Jetzt wollen wir erst etwas essen,« meinte nach einer Weile sein deutscher Kamerad. »Kommst du mit?«

Ernst kam mit, auch ein englischer Matrose schloß sich ihnen an. Die anderen dachten jetzt nicht an so etwas. Ja, wenn man den Hammelbraten, mit dem die Wirtin aufwartete, auch hätte trinken können!

»Es ist ein Fehler im Schöpfungsplan, daß man das Essen nicht auch saufen kann.«

Die drei begaben sich in ein Hinterzimmer, wo ihnen die Wirtin auftischte, natürlich immer auf Rechnung des splendiden Kapitäns. Ganz nüchtern waren sie nicht mehr, aber es ging noch.

»Ist der denn wirklich ein Kapitän?« begann Ernst das Gespräch.

»I wo,« meinte der Engländer, »der ist nichts weiter als ein Matrose wie ich. Nur weil er immer den feinen Kerl heraussteckt, etwas Besonderes sein will, wird er aus Spaß ›Kapitän‹ genannt.«

»Sooo?« sagte aber der Geestemündener, kein so junger Mann mehr. »Und ich sage dir, Flederwisch ist nicht nur in der chilenischen und in der holländischen Marine Offizier gewesen, sondern er hat auch das deutsche Kapitänspatent in der Tasche, und das will noch etwas ganz anderes heißen! Hat er doch auch bei uns als Einjähriger gedient, ich habe ihn in Kiel als Rekrut ausgebildet, ich kenne ihn doch ganz genau. Er ist nämlich sogar aus meiner Heimatsstadt, sein Vater war unser Nachbar.«

Der Mann erzählte, von dem fremden Matrosen, der sich sehr dafür interessierte, durch Fragen unterstützt. Wir geben die Erzählung, nur mit kürzeren Worten, wieder. –

 

Allzeit voran! – das war das Losungswort schon des Knaben gewesen, den eine gütige Natur verschwenderisch mit allen Gaben gesegnet hatte, die sie nur einem Menschen verleihen kann, mit Kraft und Geist, mit Gesundheit und Schönheit. Aber solche Gaben können auch gefährlich werden.

Paul – dieser Vorname möge genügen – war der späte Sprößling eines hohen Geistlichen, nicht nur eines Pastors, und wenn der alte Vater stolz auf seinen so aufgeweckten Jungen war, so blickte der erfahrene Mann doch auch mit bangen Augen in die Zukunft des sich körperlich und geistig gar zu schnell entwickelnden Knaben, welcher, während seine gleichaltrigen Kameraden verächtlich von den Mädchen sprachen und deswegen nicht mit ihnen spielen wollten, schon ganz toll hinter diesen her war.

Die trüben Ahnungen sollten denn auch in Erfüllung gehen, sie erfüllten sich ja überhaupt schon täglich, bis die Sorgen des Vaters einen Abschluß für immer fanden. Der zehnjährige Paul hatte wieder einmal einen Streich gemacht, gerade keinen schlechten, aber doch einen genügend dummen, und er entzog sich der Strafe durch Flucht aus dem väterlichen Hause, um dort niemals wieder gesehen zu werden.

An Bord eines amerikanischen Seglers auf hoher See tauchte Paul aus einem Fasse wieder auf. Man glaubte dem langaufgeschossenen Jungen, daß er schon 14 Jahre alt sei, man glaubte ihm seine anderen Flunkereien, wie er wegen schlechter Behandlung einem Waisenhause entlaufen wäre usw., und da in Amerika Papiere nicht nötig sind, wurde Paul als Schiffsjunge angenommen. Die weite Welt war immer seine Sehnsucht gewesen.

Gleich bei dieser ersten Reise erhielt er den Spitznamen, den er für immer behalten sollte.

Paul blieb auch an Bord der unverbesserliche Taugenichts, der nichts weiter als dumme Streiche im Kopfe hatte, dabei stahl er wie ein Rabe, aber nicht für sich, sondern für die Matrosen, welche er aus der Proviantkammer des Kapitäns mit Würsten, Schinken, Eiern und Schnaps versah. Das kam oft genug ans Licht der Sonne, aber merkwürdig, der amerikanische Kapitän, sonst ein roher Patron erster Güte, dem es nicht darauf ankam, nach den Beinen der auf der Raa stehenden Matrosen, wenn sie ihm nicht schnell genug arbeiteten, mit der Schrotflinte zu schießen, war in den Jungen ganz vernarrt, ließ ihm alles durchgehen, wobei freilich auch das in Betracht kommen mochte, daß der halbwüchsige Junge in der Seemannschaft der Tüchtigsten einer war.

»So ein Flederwisch!« schmunzelte der Kapitän dann jedesmal – und da war der Flederwisch eben fertig gewesen.

Unter featherbroom versteht der Engländer einen kecken, übermütigen, leichtsinnigen Gesellen, und das liegt wohl auch in dem deutschen Worte ›Flederwisch‹ ausgedrückt.

Aber dieser Name allein genügte noch nicht. Der Junge wollte immer gern kommandieren, und es war wirklich ganz merkwürdig, wie sich selbst die ältesten Matrosen dem zehnjährigen Bengel immer fügten. Zuerst merkte das der Kapitän, und als dieser eines Tages sagte: »Wo ist denn der Kapitän Flederwisch?« – da war aus dem zehnjährigen Paul eben schon ein Kapitän gemacht worden.

Er blieb bei der Seefahrt, avancierte rasch. Als er 14 Jahre alt war, also in einem Alter, da sich andere Knaben erst zu einem Berufe entschließen, war er schon weitbefahrener Vollmatrose mit einer Monatsheuer von 30 Dollar. In New-York hatte er sich gleich nach der ersten Reise ein Seemannsbuch auf den Namen Paul Flederwisch ausstellen lassen, und bei diesem Namen blieb es, er wurde in gewissen Kreisen sogar weltberühmt.

Der jugendliche Vollmatrose, auf dessen Oberlippe aber schon ein Bärtchen sproßte, kam im Laufe von drei weiteren Jahren noch weit in der Welt herum, und immer machte er seinem angenommenen Namen Ehre. Wie er an Land sein verdientes Geld durchbrachte, haben wir bereits vorhin gesehen, denn so hatte er es schon seit frühester Jugend gehalten, der schnöde Mammon mußte eben fort, eher hatte er keine Ruhe, und von den tollen Streichen, die er nebenbei beging, werden wir später noch genug zu hören bekommen. Es gab wenige große Hafenplätze in der Welt, von deren Polizei er nicht schon einmal ins Loch gesperrt worden wäre, nur daß Seeleute vor anderen sterblichen Menschen den Vorzug haben, daß sie bei Abgang ihres Schiffes sofort auf freien Fuß gesetzt werden müssen. Natürlich gilt das nur bei Polizeistrafen.

Nun mustern die gewöhnlichen Handelsschiffe die Mannschaft nach jeder Reise ab und neue wieder an, und wer schon einmal mit Kapitän Flederwisch gefahren war, der erzählte dann im Matrosenlogis von diesem Unikum und seinen losen Streichen, und die Seefahrt ist international, die Matrosen aller Nationen haben in jedem Hafen der Welt ihre Kneipen, wo sie sich zu finden wissen, und wenn nun irgendwo in der Welt die baumlange, charakteristische Figur in den Straßen auftauchte, so johlte allemal alles: »Hallo, Kapitän Flederwisch kommt, jetzt wird's lustig!!!« – so wie wir es vorhin gesehen haben, die Betreffenden brauchten ihn noch gar nicht persönlich gesehen zu haben, vom Hörensagen kannten sie den tollen Flederwisch alle. –

In seinem siebzehnten Jahre erinnerte sich Paul, einst eine Heimat besessen zu haben. Er begab sich nach Deutschland, und es gelang ihm gerade noch zur rechten Zeit, alles wieder zu ordnen, ehe er die Heimatsberechtigung verlor. Unterdessen war sein Vater gestorben, und obgleich Paul noch lange nicht mündig war, wußte der geriebene Junge es durch allerhand Manipulationen zu ermöglichen, daß ihm sein beträchtliches Erbteil in bar ausgezahlt wurde.

Mit diesem Gelde ging er nach Hamburg, bezog die Steuermannsschule, bestand schon nach drei Monaten sein Examen, obgleich eigentlich dazu ein Jahr fleißigen Studiums gehörte, und dabei brachte er es noch fertig, innerhalb dieser drei Monate sein ganzes Vermögen zu verprassen. Seine Lehrer begriffen nicht, wann dieser so überaus fleißige Mensch noch Zeit fand, einmal in die Kneipe zu gehen, und seine Kneipkumpane wußten nicht, wo dieser Saufbruder noch die Zeit zum Studieren hernahm. Ja, das ist eben, das Genie, und wenn's auch ein verlumptes ist!

Paul machte noch eine Reise als Steuermann, meldete sich dann zum Kapitänsexamen, bestand es wiederum glänzend und stellte sich hierauf in der deutschen Marine als Einjährig-Freiwilliger, wozu bekanntlich allein schon das Steuermannspatent berechtigt, von einer anderen Vorbildung wird in der Marine ganz abgesehen.

Offenbar hatte der junge Mann jetzt vor, seinem ferneren Lebenslaufe eine andere Richtung zu aeben. Er führte sich tadellos, und was er bezweckte, wurde klar, als er sich zum Kursus der Offiziers-Aspiranten anmeldete. Er wollte aktiver Offizier werden. Aber sein Gesuch wurde abgeschlagen, obgleich es dem tüchtigen Seemanne, der sich in jeder Weise auszeichnete, nicht an Protektion fehlte. Seinem Begehren stand ein unbesiegliches Hindernis entgegen. Nicht, daß er nicht das Reifezeugnis von der Schule aus hatte – dieses Hindernis ist in der Marine durch einen kaiserlichen Erlaß schon oft beseitigt worden – sondern sein Wunsch scheiterte an der kleinlichen Bestimmung, daß der Offiziers-Aspirant einen Bürgen stellen muß, welcher ihm während der Zeit seiner Einberufung oder für die ersten Jahre als aktiver Offizier einen gewissen Zuschuß zum ›standesgemäßen Leben‹ garantiert. Vermögen besaß Paul nicht mehr, einen Bürgen konnte er nicht stellen, hätte auch nichts geschenkt angenommen, und so wurde aus der ganzen Sache nichts.

Als Kapitän Flederwisch ging er wieder in die Welt hinaus. Aber Offizier wollte er noch immer werden. Er trat in chilenische Marine-Dienste, und schon nach einem Jahre hatte er es zum Offizier gebracht. Da eine Revolution, ein Präsidentenwechsel, und wiederum war alles vorbei. Und solch eines Umsturzes aller bestehenden Verhältnisse muß man ja in jeder dieser südamerikanischen Republiken jeden Augenblick gewärtig sein. In europäischen Staaten aber stand Paul zur Offizierskarriere überall das leidige Geld im Wege, ebenso auch in den Vereinigten Staaten. Nur noch einen Staat gab es, wo er sich in der Marine zum Offizier aufschwingen konnte: Holland – nur mußte er einen Umweg nehmen.

Er trat in die holländische Fremdenlegion ein, gleich als Leutnant, aber freilich bei der Infanterie, wurde in einem Feldzug gegen die Atschinesen zum Hauptmann befördert, und jetzt trat er als Kapitänleutnant zur Marine über. Da wegen einer Liebesaffäre ein Duell, in dem er seinen Vorgesetzten tötete, und wieder war alles aus.

Hatte der noch immer junge Mann eingesehen, daß er als ungehorsamer Sohn einen Fluch auf sich geladen hatte, dem er nicht mehr zu trotzen wagte? Oder gerade im Gegenteil, wollte er dem ihm feindlich gesinnten Schicksal Hohn sprechen? Wir sehen den ehemaligen Offizier als einfachen Matrosen wieder. Er hätte doch mit Leichtigkeit sofort eine Stellung als Handelskapitän gefunden, oder doch wenigstens wieder als Steuermann, er besaß doch seine Patente, seine Zeugnisse waren glänzend – nein, Flederwisch fuhr wieder als gewöhnlicher Matrose, und dabei blieb er.

Seine ehemaligen Kameraden freilich, mit denen er nun wieder zusammenkam, die fanden den Grund seiner freiwilligen Degradation bald heraus. Der gewöhnliche Matrose verdiente gar zu viel Geld, und mit seiner Anmusterung an Bord eines Schiffes war auch immer ein Geheimnis verknüpft.

Der ausrangierte Offizier hatte Bekanntschaft mit einer professionellen Schmugglerbande gemacht, war einer der ihrigen geworden, hatte sich ihr mit Leib und Seele verschrieben!

Auf welche Weise solch eine Schmugglerbande zur See, deren es genug gibt, operiert, kann hier nur mit kurzen Worten angedeutet werden.

Gewöhnlich sind es schon ältere Seeleute, am meisten ehemalige Kapitäne und Steuerleute, die wegen irgend eines Vergehens ihr Patent verloren haben, etwas Geld besitzen und von der Seefahrt nicht lassen können oder wollen. Sie rüsten auf eigene, und zwar auf geteilte Kosten ein Schiff aus, nehmen als sogenannte Deckung irgend eine solide Fracht und dann natürlich noch Schmuggelwaren, was das Schiff fassen kann. Nach Amerika werden Spirituosen gebracht, nach England Spirituosen und Tabak, für Frankreich ist die beste Schmuggelware Tabak und Streichhölzer, Streichhölzer desgleichen für die Türkei, für Nordafrika Salz, für Südamerika Oberhemden, Spitzenwäsche und Waffen, und so hat jedes Land sein Absatzgebiet für eine Ware, auf der ein besonders hoher Zoll steht.

Wie die zu schmuggelnde Fracht an Land gebracht wird, das ist ganz verschieden. Folgender Fall ist erst jüngst in Liverpool passiert.

Kommt da ein Dampfer von 4000 Tonnen an, dessen Solidität bekannt ist, er bringt aus Amerika ausschließlich Axtstiele mit, diese werden ausgeladen, da fällt es zwei Arbeitern ein, mit solchen Axtstielen Fechtübungen anzustellen, der eine zerbricht, es fallen aus dem hohlen Innern lauter Zigarren heraus. Die Untersuchung ergab, daß sämtliche Axtstiele mit Zigarren gefüllt waren, zusammen 1000 Tonnen oder zwei Millionen Pfund Tabak, wodurch, wenn der Coup geglückt wäre, der englischen Regierung sechs Millionen Mark Zoll hinterzogen worden wären, denn auf dem Pfund Tabak ruhen ca. drei Mark Zoll.

So etwas kommt aber in England täglich vor! Wenn nicht mit einem Male in solch großartigem Maßstabe, dann täglich in kleineren Portionen. Wieviel nach England geschmuggelt wird, zeigt folgendes Beispiel: In London befindet sich ein großer Ofen, oder vielmehr ein ganzes Gebäude, als ein einziger Ofen eingerichtet, im Volksmunde › the Queens pipe genannt, das ist auf deutsch ›die Tabakspfeife der Königin‹, und in diesem werden, damit sie den Markt nicht drücken, sämtliche mit Beschlag belegten Schmuggelwaren verbrannt, und dieser riesige Ofen brennt Tag und Nacht ununterbrochen.

In so kolossaler Weise betrieb die Gesellschaft, welcher Flederwisch angehörte, ihr Handwerk nun freilich nicht, es war auch mit mehr Romantik verbunden. Sie näherten sich mit ihrem kleinen Schoner heimlich der betreffenden Küste und paschten die verbotene Fracht in finsterer, stürmischer Nacht an Land, wo ihre bestimmten Abnehmer sie schon erwarteten. Falls sie ja schon vorher von einem Zollboot angehalten wurden, mußten sie auch eine Deckfracht an Bord haben. Außer dem Kampfe mit Klippen und Elementen bot diese Art des Schmuggelns keine besondere Gefahr. Gesetzt den Fall, sie waren einmal auf frischer Tat erwischt worden, so wurden natürlich Schiff und Ladung konfisziert, aber die Freiheitsstrafe wegen Schmuggelns ist nur eine sehr geringe, wenigstens für die Matrosen und sonstigen Leute, welche dabei mit geholfen haben, denn diese haben nur dem Kapitän gehorcht. Dieser freilich wird sehr hart bestraft, und vielleicht am härtesten dadurch, daß man ihm das Kapitänspatent entzieht.

Und dies war der Grund, weshalb Flederwisch nur noch als gewöhnlicher Matrose fuhr. Allerdings war er, der mit seiner Erfahrung die Küsten kannte und die Zollbeamten wie kein zweiter an der Nase herumzuführen wußte, immer die Seele des Ganzen, er war der eigentliche Kapitän, der Führer, aber anmustern tat er stets nur als gemeiner Matrose. Er hielt noch etwas auf sich, wollte sein Kapitänspatent nicht verlieren.

So trieb er es nun schon seit sechs Jahren. Das war bekannt, den Zollbehörden fast sämtlicher Länder war Kapitän Flederwisch als ein professionsmäßiger Schmuggler bekannt, und manch anderer dazu. Aber hinterher kann das Schmuggeln nicht mehr bestraft werden.

Die Regel bleibt bestehen: Das Schmuggeln ist erlaubt, man darf sich dabei nur nicht erwischen lassen!

 

»Wieviel verdient er denn bei so einem Schmuggeltransport?« fragte der fremde Matrose.

»Ach Gott, so happig ist das auch nicht. Das kommt auf seinen Einsatz an, den jeder einzahlen muß, das ist gewissermaßen eine Aktiengesellschaft, und dann bekommt Flederwisch noch etwas extra für seine besonderen Dienste. Jetzt ist er mit Tabak in Spanien gewesen, ich weiß es, er war ein Vierteljahr fort, und wenn er da 2000 Dollar verdient hat, so ist das schon sehr viel. Ich glaube es gar nicht. Er muß ja jedesmal das geliehene Geld doppelt und dreifach zurückbezahlen.«

»Was für geliehenes Geld?«

»Na, was er eben beizusteuern hat. Das muß alles auf geteilte Gefahr gehen, dann kann es keinen Verräter geben. Und Kapitän Flederwisch spart sich natürlich nichts. Er zahlt das geborgte Geld mit Zinsen zurück, und was dann noch übrigbleibt, das wird gleich am ersten Tage bis zum letzten Pfennig verhauen. Dann geht er wieder hin und pumpt sich das nötige Kapital.«

»Von wem?«

»Da ist kein Geheimnis dabei, das sagt er selbst. Härtung heißt er, er hat bei Brooklyn eine Mühle. Der leiht ihm immer das Geld, gehört also eigentlich auch mit zu der Schmugglerkompanie, wenigstens als stiller Teilhaber. Wieviel er ihm jedesmal gibt? Das weiß ich nicht. Tausend, ein paar tausend Dollar. Ein großes Risiko ist freilich vorhanden. Werden die Schmuggler einmal geklappt, dann hat natürlich auch Härtung sein Geld verloren. Aber was macht das? Der hat ja schon im ersten Jahre seinen Einsatz mindestens vierfach wieder herausbekommen, und, wie gesagt, Kapitän Flederwisch treibt's nun schon seit sechs Jahren, und Härtung ist gleich von Anfang an sein Bankier gewesen.«

Der fremde Matrose, welcher sich für alles dies so interessierte, fiel in ein tiefes Sinnen.

»Merkwürdig,« meinte er dann kopfschüttelnd, »solch ein Mann, aus guter Familie stammend, das Kapitänspatent in der Tasche, Offizier gewesen – – um ein paar Dollar mehr zu verdienen, so ein dunkles Handwerk zu betreiben, zu schmuggeln!«

»Halt, das sagt nicht!« fiel aber der andere schnell ein. »Des Verdienstes wegen schmuggelt Kapitän Flederwisch nicht! Denn ob er mit hundert Dollar wieder an Land kommt oder mit tausend Dollar, das ist ihm ja ganz gleichgültig, es wird doch am ersten Tage bis zum letzten roten Cent totgeschlagen, gleich in den ersten Stunden. Ihr seht ja selbst, wie er's treibt. Nein, die Lust an verwegenen Abenteuern, die Gefahr, das Spiel um Tod und Leben – das ist's, was ihn immer wieder dazu treibt. Es muß wieder einmal ein großer Seekrieg losgehen, darauf wartet Kapitän Flederwisch auch nur – dann sollst du mal sehen, was der noch aus sich zu machen weiß! Das wird ein Blokadebrecher, wie es noch keinen gegeben hat. Der bringt sein Schiff in jeden Hafen hinein und wieder heraus. – Hast du den Nobody gesehen, wie er sich im Atlantic-Garden immer verwandelte?«

Ueber das Gesicht des fremden Matrosen ging ein unmerkliches Zucken.

»Ja, den habe ich gesehen.«

»Na, was dieser Nobody mit sich selbst macht, daß man ihn im nächsten Augenblick gar nicht wiedererkennt, das macht Kapitän Flederwisch mit dem ganzen Schiffe. Er maskiert es. Aber wie! Wir hatten einen alten Schoner von 300 Tonnen, die englischen Zollbeamten hatten Wind von uns bekommen, wir waren signalisiert – ich ging vier Stunden zur Koje – nur vier Stunden! – als ich wieder an Deck kam, rieb ich mir immer nur die Augen – weiß Gott, ich erkannte unser Schiff selbst nicht wieder! Aus dem kleinen Schoner war mit einem Male ein großes Vollschiff geworden – freilich alles nur Bretter und Pappe – aber bei Gott, ich weiß heute noch nicht, wie dieser Kerl das fertig gebracht hat.«

»So so,« brummte Ernst wieder nachdenklich. »Da warst du also auch einmal dabei?«

Der Matrose blickte sich erst vorsichtig um, ob jemand von den Wirtsleuten im Zimmer sei, ehe er eine Antwort gab.

»Ja,« flüsterte er dann, »vor zwei Jahren. Aber nur eine einzige Fahrt habe ich mitgemacht. Denn ich sage dir: ich habe die Nase vollbekommen! Wir paschten eine Ladung Portwein an die englische Westküste. Im Januar, dazu noch ein bitterkalter Winter. Na, ich sage dir! Ich bin doch auch nicht von Kuchen, aber ... Ich habe einmal mitten im Südwinter Schiffbruch bei Kap Horn gehabt, wir sind vierzehn Tage im offenen Boot gewesen. Alles voll Eiszapfen. Aber Kinderspielerei gegen das, was ich damals in jener Nacht an der englischen Küste durchgemacht habe. Ein furchtbarer Schneesturm, die Brandung voller Eisschollen, und wir mußten die schweren Weinfässer durchseilen. Na, ich sage dir! Guck dir einmal dem Kapitän Flederwisch seine Fäuste an. Vor sechs Jahren hat der noch nicht solche Bärentatzen gehabt.«

»Da kommt es wohl auch manchmal mit den Zollbeamten zum Kugelwechsel?«

»Nein, niemals! Das ist es eben, darauf hält Flederwisch. Der kann als ehrlicher Kerl jederzeit wieder als Steuermann oder Kapitän fahren. Daß er früher geschmuggelt hat, das hat dann nichts zu sagen. Er läßt sich eben dabei nicht erwischen. Aber einen Mord oder so etwas ladet er nicht auf sein Gewissen. Freilich, im Stich läßt der auch niemanden, und da ist schon manches passiert, was noch weniger als das Schmuggeln erlaubt ist. Mir ist's nämlich selber passiert. Eben bei jener Fahrt. Ich wurde von Zollbeamten festgenommen, mit noch einem anderen. Das heißt, der Portwein war schon in Sicherheit. Wir beide wurden noch hinterher gepackt, wir sollten sagen, was das in der Nacht für ein Schiff gewesen, wer der Kapitän usw. Natürlich sagten wir nichts, nannten nicht unsere Namen, und Papiere hatten wir nicht bei uns. Wir kamen ins Gefängnis. In Hamford war's, ein ganz ansehnliches Städtchen. Na, mir war's höllisch zumute. Die ließen uns unser ganzes Leben lang nicht wieder heraus, wenn wir nicht erzählten. Aber schon in der nächsten Nacht kam er und öffnete unsere Zellentüren. Wie ein schwarzer Engel. Wie er's so lautlos fertiggebracht hat – ich weiß es nicht. Wachtmeister und Konstabler, alles lag gebunden und geknebelt da. – Ja, wenn so etwas in Südamerika passierte oder in Spanien! Aber in England, mitten in einer Stadt! Wenn man's erzählt, glauben sie's einem nicht. So etwas bringt eben nur Kapitän Flederwisch fertig. Ein verwegener Satan!«

 

Die drei begaben sich in die Gaststube zurück, wo noch immer gejohlt und mit den Bambusrohren das höllische Gebräu aus der Badewanne gesaugt wurde. Aber nur die Hälfte noch kauerte um dieses Gefäß und brüllte, die andere Hälfte lag am Boden und schnarchte.

Nur noch eine halbe Stunde, draußen brach die Dämmerung an, als auch von jenen dreien, welche im Zechen eine Erholungspause gemacht hatten, einer nach dem anderen umfiel, bis zuletzt nur noch Kapitän Flederwisch allein dasaß.

Er erhob sich.

»Jungens, jetzt gehen wir alle zusammen nach Tinkys Tanzsalon, dort folgt die Fortsetzung. Wer kommt mit?«

Komische Frage! Nur ein allgemeines Schnarchen antwortete.

Da drückte sich in dem schönen, dunkelgeröteten Antlitz des jungen, riesenhaften Mannes etwas wie eine unsagbare Verachtung, sogar wie Ekel aus, als sein Blick die sinnlos Betrunkenen überflog, und seine Worte gaben seine Gedanken wieder:

»Ihr jämmerlichen Affen, ihr Schweine, ihr Schwächlinge. Und ihr sagt, ich sei euresgleichen?!«

Dann wandte er sich schnell an den Wirt, welcher sich mäßig gehalten hatte:

»Ist alles bezahlt?«

»Alles bezahlt, Kapitän.«

Ohne noch ein Wort zu verlieren, wandte sich der junge Riese, dem der Alkohol nichts anhaben konnte, und verließ das Zimmer, trat auf die Straße hinaus.

Ebenso schnell verschwand der Wirt durch die Hintertür, um den Hausknecht zu rufen, daß ihm dieser behilflich war, den noch beträchtlichen Rest des Gebräues aus der Badewanne auf Flaschen zu füllen und dann die Leichen zu bergen.

In demselben Augenblicke, da sich die zwei verschiedenen Türen hinter den beiden geschlossen hatten, erhob sich einer der schnarchenden Matrosen, spähte mit klaren Augen um sich, zog unter seiner Jacke den Hut hervor und trat ebenfalls in die anbrechende Nacht hinaus. Es war der fremde Matrose gewesen, welcher sich Ernst Mroch genannt hatte. –

 

»Kapitän Flederwisch kommt!!!«

So war es auch jubelnd in Tinkys Tanzsaal erschollen, nur daß hier in diesen Ruf sich viele Weiberstimmen eingemischt hatten.

Dann ging es auch hier wie dort, Bier und Wein und Whisky mußten fließen. Aber hier artete die Zecherei immer mehr zu einer Orgie wüstester Art aus.

Und dann fehlte bald der Gastgeber, aber ohne vermißt zu werden. Kapitän Flederwisch hatte sich bald auf die kleine Galerie zurückgezogen, auf welcher sich jetzt kein Mensch befand, und beobachtete von hier aus, hinter einer Portiere verborgen, das lärmende, frivole Treiben zu seinen Füßen, und wieder war es Verachtung und Ekel, was sich in seinen Zügen ausprägte.

»He, Kapitän Flederwisch, hihihihihi!« kicherte da hinter ihm eine dünne Fistelstimme.

Unwillig wandte sich der Einsame um und sah ein kleines, altes Männchen mit karfunkelroter Nase in dem verwitterten Gesicht, in einen sehr schäbigen, blauen Anzug gekleidet, einen schmutzigen Schal um den Hals gewürgt – eine jener Gestalten, wie sie jede Hafenstadt aufzuweisen hat, ein verlotterter Seemann, der nur noch auf Kosten jüngerer Kameraden lebt, regelmäßig dem Trunke ergeben, und dieser hier machte davon keine Ausnahme, das sagte mehr noch als die rote Nase das gläserne Auge, und außerdem zitterte der alte, widrige Kerl ebenso mit den Händen und Knien wie mit dem Kopfe.

»Was wollt Ihr von mir?« fragte Flederwisch verdrießlich.

»Na, Ihr kennt mich wohl nicht mehr, hihihihi?« feixte der Alte, der aber noch recht gute Zähne hatte.

»Nicht daß ich wüßte.«

»Vor zwei Jahren, als Ihr den Portwein nach England brachtet, in Hamford, hihihihi. Ich bin doch der Jimmy, hähähähä.«

»Ach, laßt mich in Ruhe! Ich kenne Euch nicht.«

Aber der Alte zog einen Stuhl heran, setzte sich und tätschelte dem Riesen auf dem Knie herum.

»Kapitän, um Euch ist's doch eigentlich schade,« begann er in vertraulichem Tone.

»Sooo?« meinte Flederwisch mit gezwungenem Spott. »Kommt Ihr her, um mir das zu sagen? Könnt Ihr mir vielleicht helfen?«

»Ja, ich könnte Euch wohl helfen, hihihihi,« fing der alte Jimmy wieder zu kichern an, jetzt aber im leisesten Tone.

»Wißt Ihr denn, was mir fehlt?«

»Geld, hihihihi.«

»Geld? Hm. Das wäre bei mir das wenigste. Oder doch, gerade die Hauptsache. Könnt Ihr mir vielleicht zu so viel verhelfen, wie ich brauche?«

»Eine Million – fünf Millionen – zehn Millionen, hihihi.«

»Millionen was? Streichhölzer?« spottete Flederwisch, der jetzt aber doch auf das Gespräch einging.

»Dollar oder auch rote Pfund Sterling, zehn Millionen, hihihihi.«

»Nur her damit!«

Der Alte beugte sich vor und machte ein geheimnisvolles Gesicht.

»Kapitän,« flüsterte er, »Ihr seid gerade der Rechte, den ich schon seit lange suche. Ihr könnt doch tauchen?«

»Ach so,« lachte Flederwisch, »das ist ja so ein alter Schatztaucher!«

Wenn man sich in den Matrosenspelunken einer größeren Hafenstadt herumtreibt, so kann man mit Sicherheit darauf rechnen, immer einige verkommene Individuen zu treffen, welche ›ihr großes Geheimnis‹ zu verkaufen haben oder zur Ausbeutung desselben einen Kompagnon mit Geld suchen. Entweder wissen sie, wo der Schatz der Flibustier liegt, oder wo ein spanisches Goldschiff gesunken ist, oder so etwas Aehnliches, getaucht muß dabei auf jeden Fall werden; diese Menschen leben in ihrer Phantasie nur noch auf dem Meeresgrunde, und daher tüfteln sie nebenbei immer an einem neuen Taucherapparat herum, welcher jede Meerestiefe erschließt, während man bis heute noch nicht tiefer als 40 Meter hinabkommen kann,

»Habt Ihr von Pueblo Morgana gehört, hihihi?« fuhr der Alte fort.

»Aha, richtig, ein Flibustier! Jawohl, der Cartagena und sämtliche Klöster von Zentralamerika geplündert hat und dessen Schiff dann mit der ganzen, riesigen Beute unterging. Ja, wenn ich wüßte, wo der Schatz läge, dann säße ich jetzt nicht hier.«

»Ich weiß es, hihihihi.«

»So geht doch hin und holt ihn Euch.«

»Ja, wenn ich das allein könnte. Aber tauchen, hihihihi, tauchen! Kapitän, Ihr seid der Kerl, den ich brauche, tauchen werdet Ihr können, und ich glaube, Euch kaun ich vertrauen.«

»Das könnt Ihr wohl,« ging Flederwisch scheinbar auf den abenteuerlichen Vorschlag ein.

»Schwört mir, keinem Menschen etwas zu verraten, dann nenne ich Euch die Stelle.«

»Unsinn, schwören tue ich nicht, ich fluche höchstens. Aber mein Wort habt Ihr, daß ich nichts verrate.«

»Gut, Kapitän, ich habe Euer Ehrenwort, das genügt mir.«

Der Alte stand auf und streckte sich auf den Fußspitzen empor, bis sein Mund das Ohr des Riesen erreichte.

»21 Grad 89 Minuten 18 Sekunden südlicher Breite; 87 Grad 14 Minuten 52 Sekunden westlich von Greenwich,« wisperte er ihm ins Ohr.

»21, 39, 18 südlich,« wiederholte der junge Kapitän aus dem Gedächtnis, »87, 14, 52 ...«

»St, nicht so laut!!« rief der alte Mann erschrocken. »Wißt Ihr, wo das sein könnte?«

»Natürlich, das ist die Westküste der Halbinsel Yukatan.«

Der alte Jimmy nickte geheimnisvoll.

»Da liegt das Schiff, und gar nicht tief, hihihihi, gar nicht tief. Aber freilich, ein Fahrzeug und Taucherapparate braucht man dazu, und das kostet Geld, und das muß man erst haben.«

Kapitän Flederwisch war aufgestanden.

»Mann, ich will Euch etwas sagen. Ihr habt das Delirium, der Schnaps sieht Euch ja aus den Augen. Wenn wirklich etwas an Eurer Behauptung wäre, so würdet Ihr doch nicht dem ersten besten, der Euch in die Quere kommt, Euer Geheimnis preisgeben. Denn Ihr kennt mich doch nur vom Hörensagen. Ich habe nämlich ein ganz vorzügliches Gedächtnis und weiß bestimmt, daß wir uns noch nie gesehen haben. Geht hinunter, dort gibt es eine neue Lage, haltet Euch dazu, es ist die letzte auf meine Rechnung. Good bye. «

Damit entfernte sich der Kapitän schnell.

 

So weit von der letzten Vorstadt Brooklyns entfernt, daß man nichts mehr von dem geräuschvollen Leben spürte, lag in idyllischer Gegend auf einem Hügel Hartungs Windmühle. Aber ringsherum ist sumpfiges Land, des Anbaues nicht wert. Erst wenn es dem Besitzer gelang, den Boden zu entwässern, dann konnte er aus seinem vielen Grund und Boden Geld schlagen, und zu diesem Zwecke hatte er bereits überall Gräben angelegt, welche immer mit einem schwarzen Morast angefüllt waren.

Neben der klappernden Mühle stand eine einsame Sykomore, und im Schatten derselben lag ein Mann. Wir erkennen ihn sofort wieder: es ist Kapitän Flederwisch. Er wartet auf die Rückkehr des Müllers, seines ›Bankiers‹, welcher mit Frau und Kind in die Stadt gegangen ist.

Hat er einen moralischen Katzenjammer? Denn daß seine Taschen keinen Cent mehr enthalten, das ist bei Kapitän Flederwisch ganz selbstverständlich, wenn er sich hier befindet. Mürrisch oder niedergeschlagen sieht sein schönes, rotbraunes Gesicht gerade nicht aus, wohl aber träumerisch, sogar wehmütig, was diesem Manne gar nicht recht stehen will.

Jetzt fängt er mit tiefer und doch so weicher Stimme zu deklamieren an:

»Ach, hätte ein Eiland ich, schimmernd und hehr,

Verlassen und einsam im bläulichen Meer,

Ganz gewiß, Kapitän Flederwisch hatte einen Katzenjammer, und zwar einen tüchtigen!

Er war noch nicht fertig mit deklamieren, und jetzt mischte sich dem wehmütigen Ausdruck seiner Züge ein stark sehnsüchtiger, förmlich liebesschmachtender bei, und das hatte seinen guten Grund: denn jetzt kam in dem Gedicht auch das Ewig-Weibliche vor, er wollte nicht mehr allein sein auf seiner paradiesischen Insel.

Mit vor Sehnsucht zitternder Stimme fuhr er also fort:

»Da würden wir lieben auf sonniger Flur
Mit Seelen, so rein, wie die holde Natur;
Bumberumbumbumm!!!

Der Deklamierende schnellte auf, als ob ihn der Blitz getroffen hätte, obgleich es nur ein Donnerschlag gewesen war.

Der sonnige, stille Sommertag hatte sich verändert. Ein kühler Wind sauste durch die Zweige der Sykomore, am Horizonte stieg eine schwarze Gewitterwolke mit schwefelgelbem Saume auf.

Weit reichte der Blick von hier aus, der Mann sah noch das Meer, wie es brandend durch die Straße von Sandy Hook schoß, und das aufsteigende Gewitter und die weite See brachten den sentimental Gestimmten plötzlich auf andere Gedanken, was sich auch sofort in seinen Zügen und Augen ausdrückte, eine wilde Lust blitzte darin auf.

»Ach, ich Narr,« rief er mit weitschallender Stimme, »der ich von einer paradiesischen Insel und von weichen Lippen träume! Nein, das ist nichts für Kapitän Flederwisch, wenigstens nichts für die Dauer, da weiß er etwas anderes, was ihn fesseln kann:

»Weite See, wilde See,

Wieder ein Donnerschlag mit langanhaltendem Murren, ohne daß ein Blitz zu sehen gewesen, jetzt ging durch die Sykomore ein heulender Sturm, der die Mühlenflügel peitschte, und wieder beeinflußte dies die Stimmung des Kapitäns, er streckte verlangend beide Arme nach der Gewitterwolke aus, dorthin, wo er das unruhige Meer schaute, und jetzt begann er sogar zu singen, und es war eine prachtvolle, gewaltige Stimme, den Sturm und das Mühlengeklapper übertönend:

»Und das war Olaf Trikvason,
Das will ich dir wohl geben.«

Diesmal ein greller Blitz, der zur Erde niederschmetterte, ein furchtbarer Donnerschlag, und wie Kapitän Flederwisch herumfuhr, stand vor ihm der fremde Mann, der diese letzten Worte gesagt hatte, wie unter Blitz und Donner plötzlich aus dein Boden gewachsen.

»Wer seid Ihr?«

Jetzt war es der Fremde, welcher zu deklamieren begann, und zwar war es gleichfalls ein Gedicht des klassischen Burns, mit dem er die Antwort gab, oder doch der Anfang eines Gedichtes:

»Der auf dem Höllenthron ich sitze,

»Hallo!« lachte Kapitän Flederwisch. »Also der Höllenfürst in eigener Person!«

»Du sagst es. Nenne mich einfach Mephistopheles.« Wahrhaftig, einen passenderen Namen als Mephistopheles hätte dieser Mann gar nicht wählen können. Dieses bleiche, abgelebte Gesicht mit den großen durchdringenden Augen, der schwarze Zwickelbart, und nun vor allen Dingen dieses überlegene, spöttische, schadenfrohe, hinterlistige, boshafte, einfach satanische Lächeln, mit dem er den jungen Riesen anblickte – es war Mephistopheles in eigener Person. Nur der Pferdefuß fehlte. Heutzutage aber tritt der Teufel überhaupt nicht mehr als haariger Affe mit Hörnern und Schwanz auf, sondern immer als weltgewandter Kavalier, und das war auch dieser Mann. Der schwarze Gehrockanzug aus feinstem Tuche saß ihm wie der Zylinder tadellos, und an der weißen Weste brauchten nicht die schwergoldene Kette und an den Fingern mehrere kostbare Ringe zu blitzen, um sofort den reichen Herrn aus der großen Lebewelt erkennen zu lassen. Wer so auftritt, der kann unmöglich ein armer Schlucker sein.

»Das ist ja famos!« rief Flederwisch, immer noch lachend. »Den Teufel kennen zu lernen, habe ich mir schon immer gewünscht. Was willst du von mir, Freund Mephisto?«

»Dich selbst und deine Seele,« war die prompte Antwort.

»Hm. Höre, Freund, ich habe allerdings schon oft daran gedacht, mich dir mit Leib und Seele zu verschreiben. Aber die Sache hat einen bösen Haken. Ich bin nämlich ein viel zu ehrlicher Kerl, so ehrlich, daß ich dir ganz offen sage: mich kriegst du dereinst sowieso, dafür brauchst du mir gar nicht erst was zu geben.«

Das diabolische Lächeln trat noch stärker hervor, als jener erwiderte:

»Höre auch du, Freund Flederwisch, der du so oft sehnsüchtig an mich gedacht hast. Ich bin seit einigen Jahrhunderten verdammt vorsichtig geworden. Du kennst doch die Geschichte mit Gretchen – weißt du, die manchmal am Spinnrad sitzt und das bekannte Lied dazu singt – und dann den Doktor Faust, den Heimich, vor dem sich Gietchen manchmal graute, manchmal sich auch nicht vor ihm graute – – ich hatte die beiden schon so sicher in meiner Tasche, hatte für die beiden schon eine Wohnungseinrichtung auf Abzahlung gekauft – – und dann kommen die beiden doch noch in den Himmel ... Pech und Schwefel! Wenn einem so etwas mehrmals passiert, i da möchte sich der Teufel ja gleich selber holen!!«

»Nee, ach nee,« lachte jetzt der junge Kapitän aus vollem Halse, »ich entgehe dir nicht. Ueberhaupt, ich will gar nicht in den Himmel kommen. Unter den Lebensbäumen ewig träumen – weiter fehlte nichts, das wäre mir viel zu langweilig, das hielte ich keine acht Tage aus.«

»Und ich sage dir, ich traue keinem einzigen von euch Menschen mehr. Wenn ihr alt werdet, denkt ihr manchmal anders, und ihr habt den Teufel schon gar zu oft übers Ohr gehauen. Und nun gar du, der Kapitän Flederwisch, du maskierst dereinst dein Schiff, auf dem du in die Ewigkeit hinübersegelst, fährst mit falscher Takelage keck am Höllentor vorbei, und ich habe das Nachsehen.«

»Sooo?« stutzte jetzt Flederwisch. »Kennst du mich denn?«

»Natürlich kenne ich dich, und ich komme doch eben, um deine Wünsche zu befriedigen, die du vorhin hattest. Gut, ich bin bereit, sie dir zu erfüllen. Aber schriftlich muß der Pakt abgemacht werden. Mit deinem eigenen Blute braucht der Kontrakt nicht geschrieben zu werden, aber notariell muß er beglaubigt sein, ein Siegel darauf! Dann lasse ich es mir auch etwas kosten, und das Geld spielt bei dem Herrn der Fliegen und des Goldes ja gar keine Rolle.«

Flederwisch war zu der Ueberzeugung gekommen, einen Mann vor sich zu haben, der ihm einen großen Schmuggeltransport übertragen wollte, vielleicht ein Millionengeschäft, nach welchem er sich schon immer gesehnt hatte, das mit einem Schlage alle seine Verhältnisse änderte. Bisher hatte er vergeblich gehofft.

Aber noch behielt er den humoristischen Ton bei.

»Gut, wenn es so ist, dann können wir ja einmal verhandeln. Aber billig verkaufe ich meine dir so wertvolle Seele nicht.«

»Nenne deine Wünsche!«

»Ein schnelles Schiff.«

»Sollst du haben.«

»Aber es muß mir gehören.«

»Sollst du haben.«

»Ein Dutzend Matrosen darauf.«

»Sollst du haben.«

»Aber keine Waschlappen, fixe Jungens, jeder muß ein ganzer Mann vom Scheitel bis zur Sohle sein. Die ganze Mannschaft muß ich mir überhaupt selbst zusammensuchen können.«

»Sollst du haben. Was sonst noch zu einem Schiffe gehört, welches doch auch unterhalten sein will, weiß ich allein. Wünschest du noch mehr?«

»Meine eigene Insel.«

»Sollst du haben.«

»Die ich mit Kanonen bespicken kann.«

»Meinetwegen kannst du doch darauf machen, was du willst. Wenn du nur immer das zu alledem nötige Geld hast.«

»Richtig. Also wenn ich in die Tasche greife, muß ich immer die ganze Hand voll Goldstücke haben.«

»Sollst du haben.«

»Donnerwetter, du bist generös!«

»Dafür bin ich der Teufel und der Herr aller Schätze der Erde, und etwas hexen kann ich auch.«

»Halt, wenn es so ist, dann will ich die Geldangelegenheit gleich etwas genauer definieren. Meine linke Hosentasche muß immer voll Silber sein, die rechte voll Gold, greife ich in die Westentasche, so finde ich das zum täglichen Leben nötige Kleingeld, und in der Brusttasche ist das große Papiergeld, mindestens Tausenddollarnoten. Denn wenn ich z. B. einmal eine Million zu bezahlen habe, und ich soll die in Goldstücken aufzählen, das würde doch etwas gar zu lange dauern.«

»Sollst du haben. Nur in etwas bitte ich um Nachsicht. Könnte nicht vielleicht das Silber in deiner rechten und das Gold in deiner linken Hosentasche sein? Dieses Arrangement wäre mir nämlich viel bequemer, das hängt mit der Zauberformel zusammen.«

» Well, das ist mir gleichgültig,« lachte Flederwisch. »Na, da wollen wir den Pakt abschließen. Komm, Freund Mephisto, wir trinken eine Flasche Bier dabei, ich bin durstig.«

Er schritt der Mühle zu und betrat den Eingang. Der andere war ihm gefolgt.

In der Flur, gleich neben dem Treppenaufgaug, lags seltsamerweise direkt am Boden, ein großer Haufen Mehl, daneben stand ein Mühlknappe, welcher an einer Holzschaufel einen Stiel befestigte.

»Was liegt denn das Mehl hier?« meinte Flederwisch im Vorbeigehen, leckte am Finger, tauchte diesen in die weiße Masse und kostete.

»Pfui Deiwel!!« rief er sofort, heftig ausspuckend. »Wie schmeckt denn das Mehl?«

»Nee, Gabidän, nee,« sang grinsend der Mühlknappe im schönsten Sächsisch, »das is geen Mahl, das is Sie mehrschtendeels Gibs, mir dun heite Gibs mahln.«

»Pfui Deiwel!« wiederholte der Kapitän mit aller Energie, und dann wandte er sich an seinen Begleiter. »Verzeihe, Freund Mephisto, mit diesem Deiwel habe ich nicht dich gemeint.«

Er ging die Treppe hinauf, und da er hier ganz zu Hause war, betrat er eine Stube, in welcher es eigenartig würzhaft roch. Das Zimmer war keine eigentliche Backstube, es enthielt auch einige Möbel, aber in ihm stand auf zwei Holzböcken ein riesiger Backtrog, über zwei Meter lang und dementsprechend breit, angefüllt mit einem blasentreibenden Teig, dem der würzige Duft entströmte.

»Ich liebe diesen Geruch,« erklärte Flederwisch, »er erinnert mich immer an ...lassen wir das! Ich bin ein Mann der Arbeit, und schänden tut die Gegenwart eines Backtrogs mit Brotteig wohl auch keinen anderen Menschen. Die Hauptsache ist für mich, daß ich hier das Bier in meiner nächsten Nähe habe. Bitte, setzen Sie sich.«

Er entnahm einem Wandschrank zwei Flaschen und Gläser und setzte sich dem Fremden gegenüber.

»Sie kennen mich. Ich kenne nicht Sie,« begann Flederwisch dann in einem anderen Tone.

»Dorington.«

»Sehr angenehm. Was wünschen Sie, Mr. Dorington?«

›Ist Ihnen ein Mann Namens Jeremias oder Jimmy King bekannt?«

»Jimmy King?« wiederholte Flederwisch nachdenklich. »Nein.«

»Doch. Gestern abend in Tinkys Tanzhaus haben Sie mit ihm gesprochen.«

Sofort stutzte der Kapitän, der schon einmal sein ausgezeichnetes Gedächtnis erwähnt hatte.

»Der alte, verlumpte Kerl mit der roten Nase?«

»Derselbe.«

Kapitän Flederwisch bekam gleich ganz große Augen.

»Er schwatzte mir etwas von einem Geheimnis vor, von einem ... einem ... never mind. »Was ist mit diesem Manne?«

»Er sucht Sie schon seit langer Zeit.«

»Mich? Weshalb?«

»Um Ihnen das Geheimnis mitzuteilen, von dem ich annehme, daß er es Ihnen gestern abend anvertraut hat.«

Immer mehr stutzte der junge Kapitän. Wie, so sollte wirklich etwas daran gewesen sein? Er wußte sich zu beherrschen.

»Was wissen Sie von diesem Geheimnis oder von unserer gestrigen Unterhaltung?« fragte er kaltblütig.

»Wir können ja ganz offen sprechen. Was Ihnen der Alte da gesagt hat, das ist kein leerer Wahn. Der ist durch einen Zufall in den Besitz der geographischen Ortsbestimmung gekommen, an welcher Stelle der Westküste von Yukatan der bekannte Piratenkapitän Pueblo Morgana mit Schiff und ganzer Beute untergegangen ist. Dieser alte Jimmy King ist ein Sonderling. Er hat von Ihnen gehört und hat sich partout in den Kopf gesetzt, daß gerade Sie es sein müssen, mit dem zusammen er den unermeßlichen Schatz vom Meeresgrunde heben will. Aber dazu ist erst viel Geld nötig, vor allen Dingen müssen kostspielige Taucherapparate gekauft werden ...«

»Halt,« unterbrach Flederwisch den Sprechenden, »ich denke, wir können unsere Unterhaltung sehr abkürzen. Dieser alte Mann hat mir allerdings eine geographische Ortsbestimmung bis zu den Sekunden gemacht.«

»Also wirklich!« flüsterte der Fremde erfreut. »Nun ja, ich habe es ja erwartet.«

»Aber ich habe dem Manne mein Ehrenwort gegeben, dieselbe keinem Menschen zu verraten.«

Der Fremde mit dem diabolischen Gesicht hob phlegmatisch die Schultern.

» Nonsense – Unsinn! Es handelt sich hier um ein Geschäft, wie ein solches Ihnen noch nie ...«

»Halt,« unterbrach ihn Flederwisch abermals, »ich denke wirklich, wir können die Sache sehr abkürzen. Haben Sie verstanden, was ich Ihnen sagte? Ich habe diesem Jimmy King mein Ehrenwort gegeben, nichts von dem, was er mir mitteilte, zu verraten. Haben Sie das verstanden?«

»Allerdings, aber ...«

»Und Sie wollen jetzt diese geographische Ortsbestimmung von mir erfahren?«

»Das ist es, wir wollen gemeinschaftliche Sache machen. Sie sind der Mann, den ich dazu brauche, und ich habe das dazu nötige Geld. Der alte, versoffene Kerl ist dabei überflüssig, den lassen wir ganz aus dem Spiele ...«

»Herr,« unterbrach ihn Flederwisch zum vierten und letzten Male, »Sie haben sich erst für den Teufel ausgegeben, und da waren Sie mir angenehm, ich habe gar nichts gegen den Teufel, der Teufel ist ein ganz ehrlicher Kerl – – aber Sie, Mr. Dorington, Sie sind ein ... Schuft!!!«

Quatsch! Der vornehme Mephistopheles hatte einen Schlag ins Gesicht bekommen, eine sogenannte Ohrfeige, auch Maulschelle genannt, und zwar eine derartige, daß er vom Stuhle geschleudert wurde.

Zu Boden stürzte er allerdings nicht, aber er flog gleich gegen die Wand, oder doch bis dicht an den Backtrog, hier suchte er mit den Händen nach einem Stützpunkt ... und tauchte mit beiden Armen gleich bis an die Schultern in den weichen Teig hinein.

Im nächsten Augenblicke hatte er die Arme wieder herausgezogen und stand mit einem katzenähnlichen Satze vor dem Kapitän, den einen Arm, von dem der Teig in langen Nudeln herabtriefte,mit geballter Faust zum Schlage erhoben.

»Mensch, wenn du wüßtest, wer ich bin, ich könnte dich mit einem Schlage ...«

Flederwisch war aufgesprungen, sich in Boxerpositur stellend, um den Angriff abzuwehren.

Aber der Schlag fiel nicht, Mephisto vollendete den Satz nicht, es sollte alles anders kommen.

Blitzschnell hatte der fremde Herr seinen Gegner unterlaufen. War diese Gewandtheit der schlanken Gestalt wohl zuzutrauen, so doch nicht die gewaltige Kraft, mit welcher der riesenhafte Seemann ausgehoben wurde, seine langen Beine quirlten in der Luft herum, und dann lag Kapitän Flederwisch plötzlich in dem Backtrog, mitten im Teig, und Mephistopheles griff auch noch mit beiden Händen hinein und quatschte ihm das klebrige Zeug immer ins Gesicht und drückte ihn hinein, bis jener ganz verschwunden war.

»Hier friß, Du Luder, friß den Teig, dann braucht er nicht erst gebacken zu werden ...«

Da tauchten aus dem Teige zwei lange dicke Nudeln auf, das waren Kapitän Flederwischs Arme, sie griffen zu, Mephisto hatte zurückspringen wollen, allein es war zu spät gewesen, er befand sich in der Gewalt der teigigen Finger. Flederwisch zog, Mephisto riß – – und da stürzte der ganze Backtrog um, fiel auf den Boden, und auch Mephisto war gefallen, und jetzt wälzten sich am Boden zwei Menschen herum, die keine Menschenähnlichkeit mehr hatten.

Die Tür ging auf. Der Mühlknappe aus Sachsen war durch das Poltern heraufgelockt worden.

Mit starren Augen blickte er nach dem zappelnden Teighaufen. Denn die beiden ließen noch nicht von sich ab, auch in der zähen Substanz katzbalgten sie sich immer weiter herum.

»Nee awwer ... nee awwer ... nee awwer ...«

Mehr brachte der biedere Sachse in seinem Staunen nicht hervor.

Da plötzlich richtete sich der lebendiggewordene Brotteig auf, zwei in die Länge gezogene Hefenklöße tanzten engumschlungen durch die Stube.

»Nee awwer ... nee awwer ... nee awwer, so was labt ja gar nich un wackelt doch mit'n Schwanz!«

Der brave Sachse sollte noch etwas ganz anderes erleben.

In der Stube stand ein kleiner Kanonenofen, zu dieser Zeit natürlich ungeheizt, gegen diesen prallten die beiden ungebackenen Pfefferkuchenmänner mit voller Wucht an, der ganze Ofen ging in Trümmer, das Rohr brach ab, und das Rohr war seit dem letzten Winter noch nicht gereinigt worden, eine Wolke von Ruß stob auf die beiden weißen Gestalten herab, aus den Mehlwürmern im Nu kohlschwarze Raben machend, und die Rußdusche schien ihnen noch nicht zu genügen, jetzt legten sie sich wieder hin und kollerten sich, immer eng umschlungen, noch in dem Ruße herum.

»Nee awwer ... nee awwer ... bin ich denn nur verrickt oder sind die's?«

Da kamen die beiden schwarzen Gestalten wieder auf die Füße, wieder tanzten sie eng umschlungen durch die Stube, jetzt wie zwei aus dem Leim gegangene Schornsteinfeger. Sie erreichten die Tür, diese stand noch offen, und polternd kugelten die beiden die Treppe hinab und ... verschwanden in dem großen Gipshaufen!

Oben stand der Mühlknappe und stierte auf den lebendig gewordenen Haufen.

»Nee awwer ... nee awwer ... was machen die beeden denn eegentlich da in dem Gibse?!«

Er die Treppe hinab. Da aber richtet sich der Gipshaufen schon wieder auf, jetzt sind aus den beiden Schornsteinfegern abermals zwei weiße Mehlwürmer geworden, und immer dicker wird die Schicht, welche auf dem Teige vortrefflich hält.

Und noch immer wollen sie nicht von sich lassen, weiter geht die Katzbalgerei, weiter der tolle Tanz, zum offenen Mühlentor hinaus, und wie der Arbeiter draußen steht, da liegen die beiden schon wieder am Boden, kollern den Abhang hinab und verschwinden spurlos in der schwarzen Jauche eines Abzugsgrabens.

»Nee awwer ... nee awwer ... nu, was ham die beeden eegentlich da drin zu suchen?!«

Da aber geht dem hellen Sachsen doch ein Licht auf, um was es sich handelt, hier muß schnell geholfen werden oder die beiden, die gar nicht wieder zum Vorschein kommen, sind dem Tode geweiht.

»Färchtegott, he, Färchtegott, gomm mal fix her und bringe anne Ledder mit, hier sin zwee Gerle in de Sch ... gefall'n!«

Färchtegott kam mit der ›Ledder‹, das heißt mit der Leiter, sie wurde über den Graben gelegt, und als man die beiden schwarzen Sumpfhühner glücklich wieder heraus hatte, da endlich ließen sie voneinander ab, ihr erster Griff war nach dem Mund, den mußten sie zunächst von der deliziösen Sauce aus Teig, Ruß, Gips und Schlamm befreien, sie waren schon dem Erstickungstode nahe, und dann begannen die Mühlknappen mit Feuerspritze, Bürste und Teigkratze zu arbeiten.

Das war eine Arbeit!! Zuletzt mußte Hammer und Meißel zu Hilfe genommen werden. Denn es war gebrannter Gips gewesen, und wenn der schwarze, stinkende Schlamm auch wenig Anspruch auf den Namen ›Wasser‹ machen konnte, es war doch solches darin enthalten, und dieses tat seine Pflicht, es verband sich mit dem Gips zur immer härter werdenden Kruste, bis diese eben losgepocht werden mußte.

Zuerst wurden die Köpfe in Angriff genommen, und kaum konnte Kapitän Flederwisch wieder aus den Augen blicken, als er diese auch schon weit aufriß und nach dem Mephistopheles stierte, dessen Gesicht unter Bürste und Scheuerlappen schon etwas menschenähnlicher geworden war.

»Kreuz Klüverbaum und Katzenschwänze, was ist denn das?!«

Ja, die verschiedenen Verwandlungsperioden mit der nachfolgenden Abwaschung hatten bei dem Mephistopheles einen ganz merkwürdigen Erfolg gehabt. Verschwunden war der schwarze Knebelbart, das schwarze Kopfhaar war plötzlich hellblond geworden, es war überhaupt ein ganz anderes Gesicht.

»Das ist ja ... das ist ja ... der ... der ... Nobody aus dem Atlantic-Garden!«

»St, still!« warnte der Erkannte. »Ja, ich bin's. Zwischen uns liegt ein Mißverständnis vor. Ich bin ja gestern abend auch der alte Jimmy mit der roten Nase selber gewesen. Ich erkläre mich dann.«

Flederwisch gab sich denn auch vorläufig zufrieden. Außerdem kam ihm erst jetzt zum Bewußtsein, was sie bei der Balgerei alles durchgemacht hatten, er brach in ein unauslöschliches Gelächter aus, und Nobody stimmte mit ein.

Dann fanden es die Mühlknappen für das beste, den beiden doch lieber gleich die Kleider vom Leibe zu schneiden, dann mußten sie ins Bad, und da nur eine Badewanne vorhanden war, wurden sie für einige Zeit getrennt.

In einem anderen Zimmer der Mühle trafen sie wieder zusammen, mit Müllerzeug bekleidet.

»Teufel, Mann, was fiel Euch ein, mich in den Brotteig zu stecken?«

»Der Teufel seid Ihr selbst. Was fiel Euch ein, mir eine runterzuhauen? Das hätte Euch schlecht bekommen können. Aber das beste ist dabei, daß ich dieser Jimmy King von gestern abend selber gewesen bin!!«

Wieder lachten sie beide aus vollem Halse. Das wenigste war den beiden der verunglückte Brotteig und der andere Schaden, den sie angerichtet hatten. Das wurde eben alles bezahlt.

Dann saßen sich die beiden wieder gegenüber, um ernsthaft miteinander zu reden.

»Könnt Ihr Euch entsinnen, wie gestern bei Tiedemanns ein fremder Matrose war, der sich Ernst Mroch nannte?«

»Nein. Es waren mir sehr viele der Matrosen ganz fremd.«

»Dieser Ernst Mroch war ich ebenfalls. Ich war auf der Suche nach einem ... doch davon später. Ein Matrose, der Euch genau kannte, erzählte mir von Euch, und was ich da zu hören bekam, das gefiel mir, imponierte mir. Ihr wart der Mann, den ich brauchte. Um Euch zu prüfen, verkleidete ich mich nochmals, näherte mich Euch als jener verlumpte alte Kerl ...«

»Wieso prüfen?«

»Ob Ihr ein Geheimnis bewahren könnt, ob man Eurem Worte trauen darf. Das braucht Ihr nicht übelzunehmen, Ihr habt die Prüfung glänzend bestanden.«

»Uebelnehmen tue ich Euch das überhaupt nicht, aber ... hm ... was ist's nun mit dem untergegangenen Flibustierschiffe?«

»Mit dem Schatze? Gar nichts. Das habe ich rein aus der Luft gegriffen. – Halt, Kapitän, macht nicht ein so verdrießliches Gesicht. Denn wirklich, ich weiß etwas, wenigstens so etwas Aehnliches, es gilt auch einen Schatz vom Meeresgrund zu heben, und dazu bedarf ich eines eigenen Schiffes und zu diesem eines tüchtigen Führers. Kapitän Flederwisch, wollt Ihr als solcher in meine Dienste treten?« –

 

Wir brauchen nicht mehr zu hören, was für einen Vorschlag Nobody dem Kapitän machte, auf welchen dieser einging. Die späteren Erzählungen werden das Resultat ihrer Unterhaltung schildern.

Dagegen sei hier etwas anderes im voraus erläutert.

Featherbroom and Weatherwitch – – auf deutsch ›Flederwisch und Wetterhexe‹ – – das sind zwei Schlagworte, welche in England und im englisch sprechenden Amerika jedes Kind kennt.

Der tolle Kapitän Flederwisch, welcher auf seiner Jacht, genannt ›Wetterhexe‹, bis vor kurzer Zeit ruhelos auf allen Meeren herumsauste, war einer der populärsten Männer der Welt, ist es noch heute, noch heute existiert über ihn in der englischen Sprache eine eigene Literatur, noch heute ist er der Held von zwei zugkräftigen Theaterstücken, noch heute werden auf englischen und amerikanischen Variétébühnen Couplets über ihn gesungen, deren immer wiederkehrender Refrain zum Mitsingen ist:

»Flederwisch und Wetterhexe,

Da dürfte mancher deutsche Leser sagen: Ich habe noch nichts von diesem Kapitän Flederwisch oder Featherbroom und von seiner Jacht gehört.

Das ist glaubhaft.

Heute, da die Automobilrennen Mode sind, hat wohl jeder Deutsche den Namen Gordon Bennett gehört. Wieviel Deutsche aber haben noch vor wenig Jahren etwas von diesem exzentrischen Herausgeber des ›New-York Herald‹ gewußt?

Oder ein anderes, noch zutreffenderes Gleichnis.

Es gibt wohl wenig Deutsche, welche den Namen Baron Mikosch nicht kennen. Man mag nun die Nase rümpfen oder die Ohren spitzen – wenn der Name Baron Mikosch genannt wird, da weiß doch gleich jeder, was jetzt kommt.

Nun soll man aber in England jemanden fragen, ob er den Baron Mikosch kennt. Kein einziger Mensch!

Dieser Kapitän Flederwisch ist also der deutsche Baron Mikosch in englisch-amerikanischer Ausgabe, nur daß Kapitän Flederwisch wirklich existiert hat und heute noch lebt, und daß seine Originalität von einer ganz anderen Art ist. Wenn in England oder Amerika einmal der Name ›Kapitän Flederwisch‹ fällt, so weiß jeder sofort, was jetzt kommt, und da braucht keine Dame die Flucht zu ergreifen: ein neues, tollkühnes Stückchen von dem verwegenen Jachtkapitän, eine neue, verrückte Wette, eine neue phantastische Behauptung, woher er eigentlich das Geld nimmt, mit dem er achtlos um sich wirft, ein neues Geheimnis, wo sich die unerschöpfliche Schatzkammer des einstigen Matrosen befindet.

Das aber ist bisher unbekannt gewesen, davon hat auch niemals ›Worlds Magazine‹ berichtet, daß dieser Kapitän Flederwisch eigentlich nur ein von dem Detektiv Nobody ins Leben gerufener Schatten gewesen ist, daß Nobody der eigentliche Besitzer der Wetterhexe, daß es Nobodys Geld war, mit welchem Kapitän Flederwisch so freigebig umging.

Nobody brauchte diese Gestalt, deshalb schuf er sie.

Daher wird Kapitän Flederwisch in unseren Erzählungen noch öfters eine Rolle spielen.


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