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Dorten

Sehr geehrter Herr Karl Kraus,

Es tut mir vom Herzen leid, Ihnen diesen Brief schreiben zu müssen.

Es ist durchaus richtig, was Krausphilologen behaupten: »Sein Wort wächst mit der Nichtigkeit des Anlasses.« Müßte demgegenüber der Anlaß nicht geradezu hochmütig werden, dem der Vers gilt:

»Denn wer nur am Worte reibt sich«?

Ist es möglich, hat der Verfasser der »Chinesischen Mauer« u. des »Prozeß Veith« diese Zeile drucken lassen, die vor den Presber und Leipziger keine andere Tugend voraus hat, als das Ungeschick? Der Besessene der Sprache schreibt folgende zwei Verse?

»aus dem Orkus in das Café Arco,
dor ten, Freunde, liegt der Nachruhm, stark o«

Ist das wirklich die Sprache dessen, der die Sprache an allen jenen rächen will, die sie sprechen? Das ist gewiß ein Mysterium. Ich glaube, der Anlaß ist Ihnen nicht gewachsen.

Mit der Peinlichkeit dieses Kunstwerks fällt aber leider auch die Unantastbarkeit eines menschlicheren Problems in sich zusammen. Ich schicke voraus, daß mich gerade dieses Problem an sich wenig interessiert, daß ich im Gegenteil derartige Sittengerichtssitzungen nicht mehr als andere Gerichtssitzungen achte, aber gerade Sie haben ja öfters den bürgerlichen Komment zitiert.

Ich weiß nicht, ob es von einem besonderen Feingefühl zeugt, wenn ein Gast an die Adresse des gemeinsamen Hausherrn eine Melancholie über einen anderen Gast richtet, die aber, eher eine maskierte Cholerie, den fast hörbaren Refrain hat: »Wozu lädst du den noch weiter ein?« An diesem Taktbeweis ändert, wie ich glaube, auch die Tatsache nichts, daß der Hausherr die Bereitwilligkeit hatte, für den melancholischen Gast in einem Nebenzimmer decken zu lassen. Ferner dürfte es auch kein Milderungsgrund sein, daß jener Hausherr den zweiten Gast hochhält unter den Leuten seiner Gesellschaft, mit ihm verknüpft ist durch manches Opfer und in ihm zugleich einen Freund und eine Stütze seines Hauses sieht. Wenn der Hausherr auch noch so sehr im Irrtum ist, wäre das kein Milderungsgrund. Schließlich muß man noch bedenken, daß dieser Hausherr den verlästerten Gast gebeten hat, ihn beim Hausbau zu beraten, und daß dieser es war, der mit Herzlichkeit, guten Wünschen und Worten die Einladung dem andern Gaste überbracht hat, die der Verfasser der Chinesischen Mauer und jener zitierten Verse doch annahm!

Es soll damit nur bewiesen werden, daß das Bewußtsein des Gastes im Nebenzimmer recht unkontrolliert ist, was ich ihm weniger übelnehme, als die Tatsache, daß er das nicht einsieht und nie einsehen wird.

Ich prophezeie ihm aber, daß dieses Bewußtsein, wenn es in seiner unbewußten Tiefe unsicher ist, ihm immer den Streich lächerlicher Verse spielen wird. An seinen Früchten werde ich ihn erkennen.

Im übrigen wird, Karl Kraus (der Sie die Chinesische Mauer geschrieben und die Worte: wer an der Sprache reibt sich, auf Leipzich gereimt haben) Ihr Haß einseitig bleiben.

Feldp. 431.        25. 11. 16.                                Franz Werfel

   

Daß Gewure auf deutsch die Kraft heißt, weiß man schon aus jener getadelten »Melancholie« und hätte damit zum Verständnis der Weimarischen Richtung in der neueren deutschen Lyrik genug profitiert. Vielleicht war es aber noch nötig, zur besseren Einfühlung in den Euripides zu erfahren, daß κούζπη auf deutsch Frechheit heißt. Diese nun unternimmt ihre hoffnungslosen Versuche immer dann, wenn sich herausstellt, daß ich, was so oft im Lauf der letzten zehn Jahre der Fall war, in der Entwicklung eines hochbegabten Literaten zurückgeblieben bin und plötzlich nicht mehr imstande war, seine leidenschaftliche Verehrung für mich zu teilen. Ich kann wahrhaftig die Enttäuschung eines jungen Dichters viel besser nachempfinden als er ein Goethesches Gedicht, und ich könnte daraus doch nur klappernde Verse machen, von denen er mit Recht behaupten würde, sie seien nicht meine Sprache – nur wäre der Unterschied eben der, daß ich mich in solchen Erlebnissen parodistisch einstellen müßte, wobei also meine Sprachschöpfung im Geräusch der niedrigeren Region wirkte, während sein Formtalent sich mit dem Pathos der höheren Sphären anfüllen darf. Der Franz Werfel ist zweifellos der weitaus glücklichste von allen Zauberlehrlingen des Wortes, die heute Wunder »auch« tun, und zum Glück zeigt er sich in seinen Gedichten noch informierter über das Mysterium als in seinen Briefen. Von den Stationen, die ich auf der Höllenfahrt durch das literarische Scheinmenschentum durchzumachen hatte, war die Bekanntschaft mit dem jungen Werfel sicherlich eine, deren Schein von einer Sonne schien und die eine Zeitlang das Jungsein, den »schönen strahlenden Menschen« darzubieten schien. Aber es ist nun einmal das Verhängnis der Erscheinungen, deren Materie der Glanz ist, daß dem Betrachter im Augenblick, und wie durch diesen selbst, der gesehene Schein sich in den erkannten Schein verwandelt. Denn was die Natur dem Schmetterling und der Frau als tragischen Vorzug gewollt hat, verbleibt im Reich des Geistes als ein trauriger Defekt. Daß ich nun der Mann war, solche Unstimmigkeit mit der Schöpfung durchproben zu müssen und dann verwerfen zu können, daß von mir angezogen wurde, was von mir abzustoßen war, durfte die Generation zwar jeweils enttäuschen, aber endlich nicht mehr überraschen. Wo sich mir einmal der Spalt zwischen Wort und Wesen auftat, da konnte ich mit Stolz sagen, daß der Ephialtes ein Muster der Nibelungentreue gegen mich gewesen ist. Denn mir ist es, wie ich dem Franz Werfel an den von ihm bemängelten Sprachbeispielen und an der von ihm getadelten Lebenshaltung beweisen will, mit jener einzigen Verbindung, die ich je im Leben angestrebt habe, furchtbar ernst und, ein gründlicher Kenner jenes hysterischen Zwitterzustandes, der die eigene Duplizität an der Einheit rächen möchte, indem er sie ihr vorwirft, kann ich das Mitleid mit den Teilbaren – mit den an mir leidenden Hälften, von denen die eine mich liebt, die andere mich haßt, oder mit den Individuen, die nur die Halbscheit sind – keineswegs in eine Raison hineinsprechen lassen, die mit dem Rest zwischen Dichten und Trachten als dem einzigen Bestand der heutigen Geisteswelt unerbittlich aufräumt. Ich weiß mich nicht frei von Schuld: »Ich bin«; und darum bin ich auch schuld an den Verwirrungen jener, die »Wir sind« bekennen. Ich weiß schon, daß ich, wie ich der Erreger solcher Unruhe und der Anreger solchen Zerfalls bin, auch Schuld daran trage, daß sich die arme Haut nun wund reibt an mir, daß eine zuerst in Ekstase und dann in Selbstbehauptung vergehende Jugend in der Debatte mit mir sich selbst auseinandersetzt, und ich bin nicht fühllos gegen den Anblick, wie sie die Pfeile, die sie zu ihrem Schutz erhob, in ihrem Fleisch nach Hause trägt. Aber was sollten zwei Adjektive, die miteinander im Streit sind, gegen ein Hauptwort ausrichten können, als die Botschaft der Ohnmacht? Werfel tut ganz recht, zu versichern, daß ihn das menschliche Problem »an sich wenig interessiert«, aber ich weiß mich, wie er gleichfalls mit Recht vermutet, von der Rückständigkeit eines solchen Interesses, pro domo et mundo, nicht ganz frei und werde ihm beweisen, wie übertrieben seine besondere Gefälligkeit war, den bürgerlichen Komment gegen mich schützen zu wollen, obschon es sich weniger um diesen als um den menschlichen handelt.

Es ist die eigenste lyrische Note des Franz Werfel, daß er das Kindheitserlebnis, welches ihn eine Zeitlang an der Hand der Sprachkönnerschaft in den Verdacht der Echtheit gebracht hat, über die Altersgrenze hinaus hätschelt, und wenngleich ich nicht imstande war, dem Aufschwung des Dichters aus dem Kinderpark in den Kosmos bewundernd nachzublicken, sondern im Gegenteil auch hierin nur eine Kinderei erblickt habe, so muß ich doch sagen, daß jene pantheistischen Sonntagsausflüge Horizont hatten im Vergleich mit der Kinderei dieser Auseinandersetzung, die der Autor bereits in einem alliebenden und allverzeihenden Gedicht versucht hat, mit dem im Gegensatz zu meinem keine Sprachkritik etwa beabsichtigt war. Seine Frage, ob es möglich sei, daß der Verfasser der »Chinesischen Mauer« und des »Prozeß Veith« die eine Zeile hat drucken lassen und der Besessene der Sprache die zwei Verse geschrieben hat, beantwortet sich am besten mit der Versicherung Nestroys, daß Wirklichkeit immer das schönste Zeugnis für die Möglichkeit ist, eine Erkenntnis, der allerdings wieder Goethes Konklusion entgegensteht, er habe es gesehen, aber er glaube es nicht. Ich selbst kann es nicht leugnen. Ja mehr als das. Jene Verse hat sogar der Verfasser des Gedichtes »Der Reim«, als den er sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu erkennen gab, drucken lassen und jene Zeile der Verfasser von »Abenteuer der Arbeit«. Herr Werfel scheint ihn aber für fast so dumm zu halten wie er sich stellt, wenn er glaubt, daß einer, dem der Wortdienst nicht nur Tätigkeit, Problem, Lebensluft ist, sondern auch Inhalt dieser Sprachabenteuer wie der bemängelten Arbeit selbst, nicht gemerkt und nicht verhütet habe, daß ihm so etwas passiert. Er kann ja, wenn er Lust dazu hat, die Zeile »denn wer nur am Worte reibt sich« für wertloser halten als die Lyrik, der sie gilt: – zu glauben, daß einem Gedanken, dessen Material die Sprachkritik ist, eben das widerfahren sein könnte, was der Gedanke tadelt: ein »sich nur am Worte reiben«, ist zu simpel. Denn die naheliegende Vorstellung, daß man sich an dem Worte reiben könnte, hätte die Korrektur geboten. Also sei ihm, von dem ich wie von dem letzten zufälligen Zeugen meiner Arbeit jederzeit einen Rat im Zweifelsfalle annähme, dessen Urteil nach getanem Werk aber eine Anmaßung ist, Aufschluß über den Prozeß erteilt, den das Wort durchgemacht hat, bis es die Unzufriedenheit eines Sprachkünstlers erwerben konnte.

Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß manche Zeilen, die ich geschrieben habe, die Herren Presber und Leipziger zustande brächten und manche mit größerem Geschick. Wo einer recht hat, hat er recht. Und ich gehe sogar so weit, einzuräumen, daß sie einen Werfelschen Vers nicht zustande brächten. Dagegen sicher einen von Goethe. Wie das nur kommen mag? Ich verwirre den Tadler noch mehr, wenn ich das Problem so fasse: Die meisten Verse von mir könnten die Herren Presber und Leipziger mit größerem Geschick schreiben als ich, wenn auch nicht mit so großem wie Herr Werfel, an den die beiden keineswegs hinanreichen. Aber ich bin noch unbescheidener: ich glaube, daß die drei Herren eine Zeile von mir, wie sie ist, hinschreiben könnten, und wie gesagt auch eine von Goethe, von Klopstock, Claudius, Eichendorff usw. Das Geheimnis besteht nur darin, wer die Zeile schreibt, in welchem Gedicht sie steht, in welcher Luft sie lebt und atmet. Mit dem Vers geht's da nicht anders zu als mit dem Wort selbst, das allen gehört und das alle treffen. Sollte der Presber nicht imstande sein, das Schlußwort der Iphigenie: »Lebt wohl!« zu verfassen, diesen größten Abschied, den es in deutscher Sprache gibt? Und der Leipziger nicht fähig, »leider« zu sagen wie Claudius in dem Satz: »'s ist leider Krieg ...«, diesen tiefsten Komparativ von Leid, vor dem alle Leidenslyrik vergeht? Die Zeile: »denn wer nur am Worte reibt sich« ist an und für sich schlecht und der Reim auf Leipzich an und für sich billig. Teuer wird er mir erst in dem Zusammenhang und Zusammenklang der Sphären, die hier sächselnd und jüdelnd einander zusprechen. Ein »sich am Worte reiben« soll Gestalt bekommen und bekommt sie in einem klappernden: »denn wer nur am Worte reibt sich« und dieses Geräusch ist, wenn's auch dem Lyriker unfaßbar scheint, zugleich mit dem Reim »Leipzich« dagewesen und nicht diesem zuliebe erfunden worden. Daß es keinen andern Reim auf Leipzig geben kann, muß etwas zu bedeuten haben, und es klappert nicht durch mein Ungeschick oder durch mein Versehen, sondern es klappert das, was klappert und so dargestellt werden soll. Herr Werfel ahnt gar nicht, wie unbewußt hier das Gelingen und wie bewußt hier das Mißlingen ist, und er nehme getrost an, daß da keine andere Arbeit geleistet wurde als an jedem der andern Gedichte, als an jeder Zeile der Chinesischen Mauer, und nur ein geringerer Wert zustande kam, wenn das Erlebnis der Drucklegung Werfels etwa ein geringeres ist als das der europäischen Moral oder meiner Wortschöpfung oder des Anblicks eines tangotanzenden Mörders, dessen Beschreibung in Versen ihn zu ekstatischem Beifall hingerissen hat. Der Wertunterschied meiner Abenteuer geht ihn aber herzlich wenig an, und sollten die Kraus-Philologen mit der Ansicht, daß mein Wort mit der Nichtigkeit des Anlasses wachse, recht haben, weil ja auch der Wert der Gottesschöpfung mit der Nichtigkeit ihrer Zerstörer wächst, so sollte er, anstatt »hochmütig« zu werden und von dem Unwert meiner Zeile auf seinen eigenen Wert, lieber umgekehrt von seinem Unwert auf den Wert der Zeile schließen und beruhigt nach Hause gehen.

Wenn er »dorten« angelangt ist und den Zorn abgelegt hat, möge er den Grimm zur Hand nehmen. Aber nicht die Märchen, die seiner Entwicklung ja doch nicht mehr ander gemessen sind, sondern das Wörterbuch. Dorten wird er finden, daß diese deutsche Form, die sicherlich eine unorganische Form für dort ist, »schon im sechzehnten Jahrhundert«, also zu einer Zeit, wo die junge Prager Lyrik noch nicht die Freiheit hatte, sich in deutsche Sprachhändel einzulassen, »vorkommt und sich bis jetzt erhalten hat«. Hans Sachs: »und heiß aufsitzen dorten den Hüter meiner Ehrenporten«. »Dorten« sagt auch Kant. Wieland: »Bald da, bald dorten hin«. »Und die dorten liegen erschlagen am Boden«: Tischbein in Mercks Briefen. »Mit dem Vorsatz dorten Fabriken anzulegen«, »Den Professor Garve habe ich auch dorten kennen lernen«, »Ich fand in der Beschreibung von Mähren, daß es dorten eine Art Leoparden geben soll«: Karl August, Herzog von Weimar in Mercks Briefen. Womit wir uns sowohl bereits dem Zeitalter der alten Weimaraner bedenklich nähern als auch schon in Mähren sind. Wie sagt doch Goethe? »Liebe und lieble dorten nur, dorten«, »Die Bude die man dorten schaut«, »Eine Antwort von Rom – weil man dorten das Alte weder aufheben noch das Neue verhindern wollte«, »Von dorten soll sie in das fernste Land«, »Und es rauschte hier und rauschte dorten«, »Dorten zeigt sich das Meer und das Land und die Inseln der Ferne«, »Denn nicht die Gestalt, die in der Kunst ruht, gelangt in den Stein, sondern dorten bleibt sie, und es gehet indessen eine andere geringere hervor«. Das mag sein, aber man soll nicht leugnen, daß sie von der Kunst herkommt. »Die dorten wohnen, sind dir alle viel zu jung«. Womit wir vielleicht schon bei den jungen Pragern angelangt wären. Wie sagt doch Schiller (nicht der am Graben): »Denn dorten fand ich, die ich nie gesucht.« Und er rät: »Und frage mir die Knechte dorten, ob sie getan nach meinen Worten«. Nein, sie haben sie nur bewundert, aber nicht nach ihnen getan, und weil ich ihre Worte und ihre Taten nicht bewunderte, meine Worte geschmäht und meine Taten. Werfel drängt sich an meinen Schreibtisch und in mein Leben. Wie sagt doch Goethe? »Nein, nein, mein Herr, dort dorten ist Ihr Platz.« Und in welche Richtung weist wieder Schiller, wenn er sagt: »Das Wort klingt immer gut von dorten her«? Aber er scheint es nicht mit dem Weltfreund zu halten: »Dorten wirst auch du uns wieder finden, wenn dein Lieben unserm Lieben gleicht.« Wie sagt doch Rückert? »Hie und dorten, früh und spat bin ich nach dem Schein gezogen.« Ja, das ist mein Fall, und nun büße ich's: aber Platen tröstet: »Quacken mag im Sumpfe dorten jenes tückische Gelichter«. Und damit wären wir in der Tat im Café Arco eingetroffen. Nun würde es sich nur noch darum handeln, Belegstellen aus einem Milieu und einer Epoche zu erbringen, die einem jungen Prager leichter erschließbar sind, wenn ihm schon gegen alle Erwartung die Sitte der Dioskuren, »dorten« zu sagen, nicht geläufig war. Und hier muß ich ihm ein Geständnis machen. Ich verzichte freiwillig auf jede Chance, mich von den Klassikern verteidigen zu lassen: »dorten« ist ein, wenn auch geheiligter, Mißbrauch, ich will sogar zugeben, daß es nicht deutsch ist, ich will, meinetwegen, offen einbekennen, daß es jüdisch ist. Ich habe die Anwendbarkeit der Form nur bewiesen, um Herrn Werfel zu zeigen, welche Leistung von mir an dieses Wort gewandt wurde, welche Skrupel ich zu überwinden hatte. Ich wußte nämlich, daß »dorten« leider auch deutsch ist. und ich wollte durchaus, daß es nur jüdisch sei! Herrn Werfel ist die deutsche Anwendung nicht bekannt, nur die jüdische. Das ist mir eine Beruhigung. Denn ich habe die jüdische Form gebraucht, wie einen Bissen von Brod und gefürchtet, man werde es für deutsch halten. Nun benimmt Werfel meinen Zweifel und es ist mir dabei ganz gleichgültig, daß er nicht die Absicht versteht, die mich geleitet hat, und mir diese als Entgleisung anstreicht. Ich wollte entgleisen und er beweist mir, daß es mir gelungen ist. Er ist sachverständig; und jetzt weiß ich, daß das Milieu dorten, das ich in einem Wort fassen wollte, durch dieses glücklich gefaßt ist. Hielte er »dorten« für gut deutsch, was es ja leider auch ist, so wollte ich die Zeile lieber so setzen: »Dort, o Freunde...« Aber der einfachere Vokativ »Freunde« ist mehr schillerisch und ich brauchte das zu dem jüdisch-schillernden Doppelgesicht, das jede Zeile haben soll. Es wäre also, wenn dorten rein jüdisch wirkt, mit »dorten, Freunde« in hohem Grade getroffen, so schön wie mit »zwo Gewuren«. Ist es nicht ein Spaß, daß das leibhaftige »Dorten«, das in Prag auf zwei Beinen steht, sich dagegen sträubt, gesehen zu werden? Daß einer, den ich höre, darum behauptet, ich könne nicht deutsch? Was wollte ich denn anderes, als daß aus dem Café Arco das »dorten« förmlich herausspringt, wenn man nur in Gedanken vorbeigeht? Was hörte ich denn anderes als den Dialog: »Bittich Haas, hast du Werfel nicht gesehn?« »Werfel is herich noch im Arco!? Is er nicht dorten?« »Ich war dorten mit Brod, Werfel is nicht dorten!« »Ich hab ihn doch dorten gesehn!?« »Ich hab doch dorten gewartet!?« »Schau her – dorten kommt er!« Wäre ich dabei, so würde ich ihn fragen, ob er nun meine Absicht versteht; daß sie erfüllt ist, könnte er nicht mehr leugnen. So wenig wie ich sein Recht, einen Reim wie den auf das Café Arco zu verpönen, der doch wahrlich der Poesie so schlecht ansteht wie dieser Begriff als solcher. Der Mangel, den er anstreicht, würde die Erhabenheit seiner Sprachwelt sicherlich herabmindern. Aber soll er das nicht? Will er nicht der beabsichtigte Schritt zum Lächerlichen sein? Man darf nur nicht zu schüchtern zitieren: der Satz ist nicht zu Ende, es folgt die sehr undeutsche Wendung von dem Nachruhm, der dorten »stark aufliegt«. Wieder paart sich etwas, es gibt ein »unerlaubtes Verständnis« zweier Gedanken im Reim, also ein Einverständnis, das keinen Sprachsittenrichter angeht: zwischen dem »stark aufliegen« und einem pathetischen Element, jenem Vokativ »o«, der Herrn Werfel geläufiger ist als Schillern und den er der neufranzösischen Lyrik verdankt. Es ist ein weiterer Spaß, daß Herrn Werfel die jüdische Färbung in der Form »dorten« sogleich, wenn auch nicht als meine Absicht, eingeleuchtet hat, während er den Nachruhm, der »stark aufliegt« anstandslos passieren läßt und alle die andern Jargongreuel, von denen das Gedicht strotzt. Bei »Gewure«, das ausdrücklich übersetzt ist, mag ja Herr Werfel verstanden haben, daß es nicht die Sprache des »Besessenen der Sprache« ist, aber Wendungen wie »ausgerechnet«, »unberufen«, »morgen hat er wieder andere Sorgen« sind ihm gar nicht aufgefallen, weil sie ja äußerlich deutsch sind, während »dorten«, das er äußerlich für eine Mißbildung hält, ihm den Verdacht eingab, daß mein »unsicheres Bewußtsein« sich eine Jargonwendung habe entgleiten lassen. Für seinen Zweifel, der den meinen (daß es für deutsch gehalten werden könnte) beseitigt hat, bin ich ihm dankbar. Er hat ganz recht, wenn er meint, daß es nicht die Sprache dessen ist, der die Sprache an allen jenen, die sie sprechen, rächen will; es ist wirklich die Sprache aller jener, die sie sprechen. Daß es mir aber darauf ankam, diese nachzusprechen, und daß meine Sprache auch die Kraft ist, dies zu vermögen, versteht er nicht oder er tut so, als ob er es nicht verstände. Nur ist es dann, so oder so, unbegreiflich, warum er nicht die hunderttausende von jüdischen, wienerischen und berlinerischen Wortfetzen, die von meinem Sprachstrom mitgenommen werden, tadelnd auffischt und behauptet, daß es schlechtes Deutsch sei. Ich glaube, er hat recht: Der Anlaß ist mir wirklich nicht gewachsen. Ich glaube, daß eine größere Dummheit nicht einmal von einem Oberlehrer in Leipzich versucht werden könnte, der etwa zum erstenmal ein Heft der Fackel in die Hand bekommt und nun aus der Glosse »Vor dem Höllentor« zu dem Eindruck gelangte: Ist es möglich, daß dieser Krause, der so'n gediegenes Deutsch schreiben soll, dieses lächerliche Negerlallen zustande gebracht hat?

Mit der »Peinlichkeit dieses Kunstwerks« fällt nun aber für Herrn Werfel, wie er versichert, »die Unantastbarkeit eines menschlicheren Problems« zusammen. Er beginnt also anzutasten. Er kommt mir wie jeder Patient, in dessen Brust zwei Larven wohnen, psychoanalytisch bei und überführt mich seiner Schwäche. Er weiß nunmehr, daß die Zweiheit in mir sitzt; daß mein Bewußtsein so lange unkontrolliert dahin gelebt hat, bis es von ihm, ausgerechnet oder unberufen, kontrolliert wurde; daß es in der unbewußten Tiefe unsicher ist und mir darum immer den Streich lächerlicher Verse spielen wird. An meinen Früchten wird mich Werfel fortan erkennen. Ich bin bescheidener und habe mich damit begnügt, die Früchte Werfels an ihm selbst zu erkennen. Ich habe so lange nicht gewußt, ob seine Verse etwas taugen, bis ich gewußt habe, daß er nichts taugt. Wenn ich nun wieder die Probe auf ihn machen müßte, so würde mir statt seiner Verse die Kritik, die er an den meinen übt, vollauf genügen. Er bezieht sie hauptsächlich auf sich und beweist wohl schon damit allein, daß er es mit Recht tut. Ich kenne die seelische Wurzel dieses Drangs, sich an meinem Wort zu reiben, ich habe zu lange im Zwielicht solcher Dioskuren-Seelen gelebt, um ohne jede psychoanalytische Vorbildung den Fall beurteilen zu können. Herr Werfel vermißt sich also, ganz in der Art, wie schon weniger begabte Abkömmlinge meines Lebenskreises, mir die Halbschlächtigkeit, die sein Ganzes bildet, zum Vorwurf zu machen. Er ist in ungereiztem Zustand sicherlich ein guter Junge und sein in die Nächstenliebe zurückgezogenes Literatentum keines schlechten Planes fähig. Er will mir wohl im Ernst nicht intriganten Neid und ein zimmerunreines Betragen vorwerfen, sondern wohl nur aus Ärger jene Disposition zu Bewußtseinstrübungen anheften, von der er sich gern befreien möchte. Es ist aber nötig, die Angelegenheit, in der die Beschwerde spielt, klarzustellen, damit diese nicht die Form jener Gerüchthaftigkeit annehme, die heute Druckerschwärze zur Verfügung hat, und damit ich Werfel ohne viel Federlesens davon überzeuge, wie schon Hans Sachs es mit mir hielt, als er justament sagte: »und heiß aufsitzen dorten den Hüter meiner Ehrenporten.« Herr Werfel also nennt mich einen »Gast«, der den »gemeinsamen Hausherrn« heimlich, aber öffentlich überreden möchte, einen andern Gast nicht mehr einzuladen. Dies findet er taktlos, wenngleich der Hausherr die Bereitwilligkeit hatte, für mich »in einem Nebenzimmer decken zu lassen«. Und um so taktloser scheint es ihm, als er, der andere Gast, es war, der die Einladung an mich überbracht hat, die ich »doch annahm«. Wenn die Manieren des anderen Gastes so schlecht wären, wie sein Gedächtnis, würde ich wirklich für den Hinauswurf stimmen. Nun stimme ich ja auch so für den Hinauswurf, aber ganz anders als er sich das vorstellt. Sein Vergleich ist verfehlt. Ich will nicht, daß der Gast entfernt werde, der unter den Gästen dieses Hauses beileibe nicht einer der übelsten ist, sondern ich will, daß das Haus gesperrt, das heißt von den Gästen gesäubert und von den »Stützen« befreit werde. Auch wenn damit auch mein Zutritt ins Nebenzimmer, wo für mich (begreiflicherweise) eigens gedeckt ist, unmöglich wäre. Nun liegt aber der Fall so, daß ich gar nicht essen will! Daß ich zu dem »Hausherrn« gar keine anderen Beziehungen habe, als die, daß er mir angenehm ist und daß ich ihn für einen der seltenen deutschen Menschen halte, deren Seele noch an den Wundern des neuen Deutschland Schaden nehmen kann; daß ich ihm wünsche, er wäre kein Hausherr, und daß ich ihn beklage, weil er, ehe er mein Wirken kannte, aus dem reinen Glauben an jungdeutsche Möglichkeiten Opfer für deren furchtbarste Erfüllungen gebracht hat. Durch eben die Errichtung des Hauses, bei der Herr Werfel als »Stütze« und Berater geholfen hat; durch eben die Gründung des Kurt Wolff-Verlags, der einem Menschen gehört, dessen Haut, wenn es noch einen Glauben an Menschliches gibt, an dem »Jüngsten Tag«, der bei ihm einbricht, welken muß. Dieser von mir als »edler Jüngling« öffentlich angesprochene, öffentlich in Gegensatz zu den Autoren seines Verlages gebrachte und nicht etwa in Privatbriefen um die Beseitigung des Herrn Werfel gebetene Verleger schien mir durch die stürmische Bewerbung um mein Werk, dessen Problem, Stoff, Inhalt, Sprache gegen die Existenz der Autoren des Kurt Wolff-Verlags, gegen das Chaos der Literaturhysterie denkt, handelt, wirkt, lebt, zu beweisen: daß es ihn menschlich angeht. In ungezählten Briefen, Telegrammen, Unterredungen hat er mir seinen sehnlichsten Wunsch bekundet, um die Verbreitung meiner Schriften in Deutschland bemüht zu sein. Auch Herr Werfel, dem die Befähigung zur Überbringung einer Botschaft nie bestritten wurde, war der Bote solchen Wunsches, den ich jedesmal unter Hinweis auf den grausamen Kontrast meines literarischen Daseins zu der Richtung jenes Verlags abgewiesen habe. Gerührt durch die Selbstlosigkeit, die sich mit einem so unbequemen, unbeliebten, jedem Verlag, ja dem eigenen Vertrieb hinderlichen Autor abgeben wollte, beruhigt durch die Versicherung, daß die Art der Administrierung mich außer die Reihe der andern Autoren stellen würde, schloß ich einen Vertrag, durch den sich der Verleger auch zur kostspieligen Übernahme des damals sieben Jahre stehenden Satzes von »Kultur und Presse« verpflichtete. Aller materiellen Vorteile ungeachtet, entsagte ich ein Jahr später diesem Vertrag, weil einer der typischen Literarhysteriker, die in dem Verlag erscheinen, mich in einem Briefe, dessen Bote gleichfalls Herr Werfel war, mit den Worten anredete: »Ich weiß jetzt, daß Sie christushaft sind!« Ich wußte jetzt, daß mein Auftreten unter solcher Truppe, deren Bestand und Möglichkeit mich immer intensiver beschäftigte, eine Literaturpikanterie ohnegleichen wäre, und bat Herrn Kurt Wolff in einem April 1914 verfaßten Dokumente, das eine volle Klarstellung des Gegensatzes enthielt zugleich mit der Anerkennung seiner Freundschaft, der ich das Opfer bringen wollte, in keinem andern deutschen Verlag zu erscheinen, um Auflösung des Vertrages, denn ich wäre statt eines günstigen Kontrakts einen heillosen Kontrast eingegangen. Wie er den Widerspruch, in dem er zu der von ihm genährten Literatur mir zu leben scheine, in sich selbst austragen wolle, müsse ich ihm überlassen. Ausdrücklich war jeder Versuch eines Eingriffs in die wirtschaftliche Existenz der in ihrem geistigen Dasein gehaßten Literatenklasse vermieden, jede Möglichkeit, mein Erscheinen im Kurt Wolff-Verlag an die Bedingung des Nichterscheinens anderer zu knüpfen, abgewiesen und klipp und klar die Wirksamkeit meines Entschlusses bis zu dem Zeitpunkt erstreckt, da Herr Wolff die Unvereinbarkeit in sich selbst bereinigt habe, wobei ich es schließlich begreiflich fand, daß man einer reinern Lebenserkenntnis zuliebe wohl die Fackel schreiben könne und müsse, aber nicht aufhören müsse und könne, Verleger zu sein. Unter voller Würdigung meiner Beweggründe verzichtete er auf Einhaltung des Vertrags; und ohne daß sich das geringste an unserer persönlichen Beziehung geändert hätte. Ich hatte auf die günstigste Möglichkeit einer Verbreitung meiner Werke in Deutschland, auf einen unmittelbaren Vorteil, der sich aus dem Vertrag ergab, verzichtet, und dies alles, weil es mir unmöglich war, mit meinen glühenden Verehrern an einem Tische zu sitzen. Da kam Herr Wolff, etwa nach einem Jahr, mit dem Vorschlag, ein Nebenzimmer, nein, eine streng separierte Wohnung mit eigenem Eingang, für mich aufzusperren, einen besonderen Verlag für meine Werke zu gründen. Diese von ihm manifestierte vollständige Trennung von Tisch und Bett der Literatur-Liebschaften durfte mir genügen. Ihr Vollzug gibt aber auch hinreichend deutlich zu verstehen, daß mir die Luft in jenem andern Zimmer, die Gesellschaft dorten, ihre Gespräche, ihre Tischmanieren nicht erwünscht waren, nicht etwa umgekehrt. In meiner Entfernung ist so klar meine Aversion, mein Urteil über jene Gesellschaft, die Respektierung dieses Urteils durch den Verleger ausgesprochen, daß sie mit viel mehr Recht die Tatsache selbst als jede weitere Bemerkung, die ich dazu mache, mir, oder ihm, verübeln könnte. Worin die Taktlosigkeit bestehen soll, wenn ich im weiteren Verlaufe vor der Außenwelt, vor der ich keine Geschäftsgeheimnisse habe, in einer Anrede an den Hausherrn (die im Hause selbst reproduziert werden wird) ausdrücklich sage: »Ich sitze hier, weil dorten zuviel geschwätzt wird«, ist unerfindlich. Natürlich wünsche ich weiterhin und immer mehr, je näher ich den sympathischen Hausherrn kennen lerne, daß er von dem Unglück verschont bleibe, solche Gäste zu haben. Aber das ist doch weiß Gott ein menschliches und ein Literatur-Problem zugleich. Ich mißgönne ja keinem das Essen, jeder hat recht, wenn er so tief und so ungezogen in die Schüssel langt, wie er nur will und es in der Kinderstube gelernt hat: – nur daß ich eben lieber sähe, der Gastgeber wäre ein Agent aus Budapest-Berlin und kein Gentleman. Der Gast Werfel verlangt doch etwas zuviel von mir, wenn er mir zu bedenken gibt, daß jener durch manches Opfer mit ihm verknüpft sei, und mich ermahnt, bei meinem Tadel auf eben das Rücksicht zu nehmen, was ich tadle. Wären es selbst Opfer, die Herr Werfel gebracht hat, so ginge es mich wenig an. Aber mir die vorzuwerfen, die der Verleger ihm gebracht hat und von mir dafür Dankbarkeit zu verlangen, heißt denn doch die hysterische Auffassung des Lebens übertreiben. Ich muß immerhin sagen, daß ich einen Wink in Dingen des Anstands grundsätzlich lieber von alten Weimaranern als von jungen Pragern annehme, und ich denke wohl, daß jene mir bestätigen würden, daß es, seitdem sie abgeschieden sind, keine reinere, weniger auf Gewinn gerichtete Beziehung zwischen einem Autor und einem Verleger gegeben hat als die zwischen mir und Herrn Kurt Wolff. Ich kann von ihm nicht verlangen, daß er meine Forderungen verwirkliche. Ich kann ihm wünschen, daß er seinen Erfüllungen entsage und aufhöre, Verleger zu sein, auch wenn dies meine Aussperrung bedeuten würde, worüber ich – der »Tisch« kann das nicht fassen – ganz fidel wäre. Ich muß es ihm überlassen, mit dem Konflikt fertig zu werden, da er ihn doch wohl erlebt. Daß er darum auf die reinlichste Art bemüht ist, weiß ich. Er wieder weiß, daß ich in geistigen Dingen keine Relativität zulasse und, wiewohl ich Werfel für besser halte als Presber, immer noch eher dafür bin, Wurst und Presber zu verlegen, als Brod und Werfel. Wohl nimmt der Händler des Genußmittels einen höheren Rang ein als jener, der von dem Fluche lebt, daß die Kunst ein solches geworden ist. Ist die Befriedigung eines Bedürfnisses zum Zwecke der Selbsterhaltung eine doppelt notwendige Funktion, so ist die Erniedrigung der Literatur zum Bedürfnis ein Kulturübel. Aber das gibt es schon und es bleibt als soziale Kategorie übersehbar. Schlimmer ist die Verfälschung des geistigen Nahrungsmittels, die Duldung und Begünstigung der scheinbaren Individualitäten, die Kreierung der farbigen Literatur, die Nährung und Honorierung der Hysterie, denn solcher Fortschritt stiftet Verwirrung und verschiebt die Grenzen der Kunst, die doch von den Unterhaltungen des Publikums nicht alteriert wird. Hier ist immer eine Trennung möglich, dorten Vermischung unausbleiblich, die Kunst wird das Opfer des Unterhaltungsdrangs, und sie leidet schwerer durch die Verwechslung des Schwindels mit ihr als durch die Bevorzugung des Handwerks vor ihr. Zehn schlechte Schmierer richten bei weitem keinen so großen Schaden an wie ein guter Expressionist, dessen halbe Seele sich gefährlicher in den Betrieb dieser neuen Welt fügt als die Hand des Romanhändlers, der vom Betrieb die Inspiration empfängt. Ich kann mir denken, daß im Zwang der Tatsachen ein anständiger Mensch einen Literaturhandel treibt wie irgend ein Unternehmen, wovon der Leib leben will, und ich weiß wohl, daß das Leben des andern nicht die Konsequenz meines Denkens vorstellen muß, ohne vor diesem schuldig oder auch nur zweifelhaft zu sein. Aber ich fürchte für den, der diesem Denken entgegenlebt und einer neuen Geistigkeit, die doch nur eine Fiebererscheinung der aufgegebenen Zeit ist, zu nahe kommt. Der Hausherr weiß, wie ich's meine, und daß ich's gut meine. Der Gast aber, dem ich für nichts als für die Nötigung, etwas zu äußern, zu danken habe, soll nicht glauben, daß ich ihm die etwas lebhafte Darstellung dessen, was taktlos ist, übel nehme. Im Gegenteil bin ich bemüht, ihm für seine weitere Entwicklung einen Halt zu geben, indem er doch in Gefahr ist, sich durch jeden Vorwurf, den er gegen seine Mitmenschen erhebt, zu nahe zu treten. Ich wüßte ja gar nicht, daß er »dorten« sagt, wenn er es mir nicht vorwürfe, und ich erführe nicht, daß er in geistigen Dingen aus der Gefühlssphäre der Konkurrenz heraus Stellung nimmt, wenn er es mir nicht zutraute. Er sollte bei der Nächstenliebe bleiben. Dieser Allerbarmer, der zum Schluß seiner Feldpostbriefe und Weltpostgedichte den Haß, den er mir nebst dem Neid zuschreibt – nach der Methode, mit der die neudeutsche Hysterie das Weltkriegsmotiv verschiebt –, immer am Tatort zurückläßt, ist zu schonungslos gegen sich selbst. Er vergißt, unter den Dingen, die ihm auf Erden Mitleid einflößen und die »sind«, damit er sich ihrer lyrisch erbarme, sich selbst in seinem Konflikt mit mir zu bedenken. So ist es an mir, den mir weltfreundlich zugestandenen Haß wieder abzulehnen und zu beweisen, daß auch ich des Mitleids fähig bin. Und so möchte ich ihm sagen, wie sehr es auch mir von Herzen leid tut, ihm auf seinen notgedrungenen Brief antworten zu müssen. Zumal jetzt. Denn ach, ich habe schon traurigere und würdigere Feldpostbriefe empfangen, und es ist wahrlich eine Zeit, in der das Herz nur eins ist mit dem Wort, wenn sie beide zerrissen sind, und nicht danach angetan, Fassung und wohlgesetzte Rede zu bewahren. Ich bemühe mich, weiß Gott, nur die Gurgellaute nachzusprechen, die unter dem Schicksalsgriff noch hörbar werden, und man tut Unrecht, mit mir über gutes Deutsch zu streiten. Ach, wir verfehlen es alle, und am sichersten gehen jene, die sprachlos stehen vor dem, was sich hienieden begibt! Denn selbst die es überstanden haben, rufen noch im traurigsten Distichon, das je einen Schmerz durch die Zeiten trug, einen Fehler ins Leben. Wie sagt doch Schiller?

Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest
Uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl.


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