Isolde Kurz
Florentiner Novellen
Isolde Kurz

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Der heilige Sebastian

Ich, Fra Anastasio, Laienbruder von San Marco, der in der Welt einst einen hochgefeierten Namen trug, habe diese Blätter geschrieben, mir selbst zur Erkenntnis, denen, die nach mir leben, zur Aufklärung über ein dunkles Geschick, das als ein Rätsel und eine halbvergessene Sage ihnen von den Vorangegangenen überliefert ist.

Wer diese Beichte liest, wird einen Mann finden, der, ohne schlimmer zu sein als andere, Schweres verbrochen und noch Schwereres gelitten, der, zu schwach für seine Leidenschaften und die gewaltig ringende Zeit, ein Spielball der Starken wurde, die ihn auf ihrem Wege fanden. Aber er hat auch bitterer gebüßt als alle, die mit ihm fehlten, indem er sein Höchstes, den schöpferischen Funken, den ihm Gott verliehen, als demütiges Opfer darbrachte.

So will ich denn noch einmal demjenigen, der einst der Maler Gaetano gewesen, fest in die Augen blicken, ehe seine vergängliche Form zerfällt und er aufgeht im Schoße dessen, vor dem alles Leben nur rinnendes Wasser ist, bestimmt, in schwankendem Schein seine ewigen Gedanken zu spiegeln.

Im Sabinergebirge, auf einem Landgut des Herrn Latino Orsini, habe ich das Licht erblickt. Meine Mutter, eine freigegebene Sklavin aus der Levante, war zur Wartung und Pflege des kleinen Fabrizio, des Jüngstgeborenen, in das Haus genommen worden, und im darauffolgenden Jahre kam ich zur Welt. Herr Latino gab meiner Mutter später eine gesicherte und ehrenvolle Stellung, indem er sie mit dem Verwalter des Gutes vermählte, einem braven, einfachen Manne, der mich stets mit einer Art scheuer Hochachtung behandelte, obwohl er sich in der Folge zu meinem leiblichen Vater bekannte. Doch die große Fürsorge, die ich von Herrn Latino zu seinen Lebzeiten und noch darüber hinaus erfuhr, legte mir und anderen schon früh den Gedanken nahe, daß er selbst der Urheber meiner Tage gewesen, und daß nur die Rücksicht auf seine stolze, eifersüchtige Gemahlin ihn verhindert habe, mich als Miterben und Träger seines Namens anzuerkennen. Denn ich durfte die Familie überallhin begleiten, genoß die gleiche Erziehung wie die Söhne des Hauses, und Herr Latino duldete nicht, daß dem kleinen Mohrenjungen, den er seinen Kindern zum Gespielen gegeben hatte, irgend schlecht begegnet wurde.

Dennoch war meine Kindheit freudenarm, denn der Kummer über mein Äußeres nagte mir an der Seele. Frühzeitig bemerkte ich, daß die Blicke der Menschen widerwillig auf mir ruhten, ich hatte ja von meiner afrikanischen Mutter die dunkle Hautfarbe und das allzu krause Haar geerbt und war zudem nicht ganz gerade gewachsen. Der kleine Fabrizio dagegen, der mir den Jahren nach am nächsten stand, war mit seinem Cherubsgesicht und dem geringelten Goldhaar der Abgott aller, die ihn sahen, und nur meine angeborene heiße Liebe für die Schönheit konnte mich vor dem bittersten Neid bewahren. Ich, der ich im Gefühl meiner Häßlichkeit allen Menschen unwirsch begegnete und keiner Seele etwas zuliebe tat, gab mich zu seinem freiwilligen Sklaven her und ertrug von ihm Gewalttätigkeiten, die ich dem älteren Bruder mit wütenden Püffen heimzahlte. So wurde ich der erste, der in den Knaben den verhängnisvollen Glauben pflanzte, daß einem Götterliebling alles erlaubt sei.

Nur einen Punkt gab es, wo meine Eigenliebe auch ihm den Vorrang nicht gönnte, und dieser Ehrgeiz wäre uns beiden fast verderblich geworden. Da ich nicht zur Liebe geschaffen war, glühte ich danach, den Menschen Achtung abzuringen, und ich wollte meinen von Geburt schwächlichen Körper durch Ausdauer und Anstrengung jeder Art zwingen, es den Kräftigen, Wohlgebauten gleichzutun. Als ich daher eines Tages beim Baden Fabrizio den tiefen und reißen Strom durchschwimmen sah, stürzte ich mich unbesonnen nach und wurde von der Strömung fortgerissen. Ich schrie um Hilfe, Fabrizio erfaßte mich, wurde nachgezogen, und wir versanken beide.

Als ich zum Bewußtsein kam, fand ich mich gerettet am Ufer, aber neben mir lag Fabrizio triefend, bleich und ohne Atem auf dem Rasen, und über ihn geworfen ein struppiger, wild aussehender Bauer, die Schenkel in zottiges Ziegenfell gekleidet, der ihn durch Reiben und Schütteln ins Leben zu rufen suchte. Noch steht mir dieses Bild vor der Seele: durch das fahle Grün der Oliven leuchtete der tiefblaue Himmel, die Todeswasser rauschten anmutig fort, und ich empfand zum ersten Male das erbarmungslose Lächeln der Natur bei der menschlichen Verzweiflung. Ich wälzte mich wie ein Rasender unter den blühenden Gräsern, zerfetzte mein Gesicht in den starkduftenden Thymiansträuchern und wußte nicht, wie schnell genug das kaum gerettete Leben wieder von mir werfen. Mit Mühe verhinderten mich die Landleute, mir den Kopf an dem Felsgestein zu zerschmettern, indem sie mir in die Ohren schrien, daß der schöne Knabe wieder zu atmen beginne.

Den Eltern blieb der Vorfall verborgen, wir beide aber konnten fortan nicht eine Stunde mehr ohne einander leben. Er schenkte mir sein bestes Spielzeug und teilte jeden Leckerbissen mit mir, ich vergalt ihm mit grenzenloser Dankbarkeit, mit völliger Weggabe meines Ichs und klammerte mich an ihn, wie ein Enterbter, Ausgestoßener sich an das einzige Wesen klammert, von dem er Liebe erfahren hat.

Aber dieses Glück brachte mir nur neue Schmerzen, denn ich verlangte für meine Hingabe Erwiderung, Fabrizio hingegen war flatterhaften Gemüts und machte jeden, der ihm schmeichelte, zum Freund. Wenn ich klagte und schalt, so schüttelte er seine schönen langen Haare und entsprang. Was mich aber mit den Jahren am meisten schmerzte und zu heftiger Eifersucht trieb, war die Entdeckung, daß er sich die Mädchen anzusehen begann und daß er einer jugendlichen Bauernschönheit seine besonderen Huldigungen darbrachte.

Unterdessen aber reifte in meinem Innern eine Kraft heran, die mir für alle knabenhaften Nöte und selbstgeschaffenen Leiden Trost verhieß. Ich hatte schon in frühester Kindheit den Drang gezeigt, die Gegenstände, die mir unter die Augen kamen, nachzubilden, indem ich sie teils in Holz ausschnitzte, teils mit Kohlenstückchen an den Boden malte. Da ich zu Jahren kam, wuchs das Talent mit mir, und ich erlangte ohne jede Anleitung die Fertigkeit, Gestalten meiner Umgebung so leibhaft an die Wand zu bannen, daß sie für jeden auf den ersten Blick kenntlich waren. Am liebsten formte ich Fabrizios reizende Züge, und diese Tätigkeit stillte ein wenig meine eifersüchtige Leidenschaft für das schöne Urbild.

Herr Latino sah mein ausgesprochenes Talent nicht ungern und beschloß, mich ganz der Kunst zu widmen, als dem einzigen Beruf, bei dem auch ein unehrlich Geborener zu Reichtum und Ansehen gelangen könne. Er gab mich einem tüchtigen Meister in die Lehre, und ich zeigte, sobald mein Ehrgeiz in sein natürliches Bette geleitet war, einen solchen Fleiß, daß ich schon in wenig Jahren von meinem Lehrer nichts mehr zu lernen hatte. In der Darstellung des menschlichen Körpers übertraf ich ihn sogar bei weitem, und alles, was aus meinem Pinsel floß, hatte nach dem Urteil der Kenner einen besonderen Zauber warmer Fleischfarbe, den ich der Meisterin Natur, nicht meinem Meister verdankte. Ein glänzender Horizont von Ruhm und Glück tat sich vor meinen Augen auf und versöhnte mich sogar mit meiner Mißgestalt. Allein je mehr ich mir Beifall erwarb, um so höher stieg in meinen Augen die einzige Naturgabe, die durch keinen Fleiß zu gewinnen ist: körperliche Schönheit.

Auch fehlte es auf meinem Wege nicht an Kampf und Schmerzen, denn meine Ideale wichen weit ab von denen meines Meisters, der noch zu der strengen alten Schule gehörte und mich nur Gewandfiguren aus der heiligen Geschichte malen lassen wollte, dagegen ich mit allen Sinnen nach der Antike und ihrer keuschen Nacktheit strebte. Die abgezehrten, gequälten Heiligengestalten, an denen er mich zu malen zwang, wurden mir je länger je mehr zuwider, und bald schien meinem ungeduldigen Geist das Joch, unter dem ich seufzte, unleidlich.

Als ich eben hoffte, daß es mir durch Herrn Latinos Güte beschieden sein sollte, eine eigene Werkstätte zu eröffnen, nahm mir der Tod den natürlichen Beschützer hinweg. Der älteste Sohn, der jetzt das Haupt der Familie geworden war, an Stolz und Habsucht das Ebenbild der Mutter, enthielt mir unter allerlei Ausflüchten das gestiftete Legat vor. Nun hieß es aufs neue auszuharren, ich malte auf Befehl meines Meisters mit Zähneknirschen einen von ihm entworfenen Johannes, der ganz Haar und Knochen war und den der Meister nachmals, da mein Ruhm begann, für hohen Preis verkaufte.

Gerade zu jener Zeit, als das unterdrückte Feuer des Altertums immer stärker in mir brannte, begab sich jenes denkwürdige Ereignis, daß beim Umgraben eines Grundstücks an der Via Appia ein antiker Marmorsarkophag mit Namensinschrift gefunden wurde, der die wohlerhaltene Leiche eines wunderschönen jungen Mädchens barg. Die ganze Stadt geriet in Bewegung, alles strömte zum Kapitol, wo der Fund zur Schau stand, die Künstlerschaft vollends war in Ekstase. Denn die Leiche war schöner als alles, was man je in Fleisch und Blut gesehen hatte, und so frisch, als ob noch ein Rest von Leben zurückgeblieben sei, unwillens sich von so viel Schönheit zu trennen.

Wer nur den Pinsel zu führen wußte, eiferte, die göttlichen Züge festzuhalten, und keiner war so von Sinnen wie ich selber. Diese Julia, Tochter des Claudius, die nach tausendjährigem Schlummer aus dem Boden der Erde herausgestiegen war – mir schien's, als ob sie mir viel näher angehöre als den anderen, durch ein geheimnisvolles Band mit mir verbunden sei. Und während die Kunstgenossen in wortloser Ehrfurcht den Sarkophag umstanden, glücklich, nur die Umrisse des herrlichen Kopfes zu zeichnen, stieg ein frevelhafter Gedanke in mir auf. Ich wußte mir bei Nacht den Eintritt in die wohlbewachte Halle der Konservatoren zu verschaffen, wo der Sarkophag aufgedeckt unter freiem Himmel stand. Ich hob mit zitternder Hand das Tuch auf, das den Leichnam verhüllte. Der volle Mond, der hoch über dem kapitolinischen Hügel schwebte, begünstigte mein Vorhaben, denn er beleuchtete hell das marmorweiße Gesicht und die schwarzen, kunstreich geflochtenen Haare. Doch dies war nicht genug, ich wollte den antiken Leib in seiner nackten Herrlichkeit schauen, damit der Geist des Altertums ganz in meine Seele einzöge.

Ich suchte zuerst vorsichtig die Hüllen zu lösen, aber es gelang mir nicht, denn ich wagte den Körper nicht zu berühren, der ganz von ihnen umwunden war. So zog ich meinen Dolch hervor und zerschnitt den Gewandstoff. Mit Schauern entzückter Ehrfurcht stand ich vor dem jungfräulichen Leib, den eine kunstvolle Einbalsamierung so frisch wie im Augenblick des Todes erhalten hatte. Nie hat die Phantasie eines Bildhauers etwas Vollkommeneres geträumt als diese römische Julia, die von den Göttern im ersten Jugendreiz hinweggenommen worden war, um nach mehr als tausend Jahren, noch immer sechzehnjährig, in kaum entfalteter Blüte mir, dem entzückten Gläubigen, die göttliche Schönheit des Altertums zu enthüllen.

Als sei mir eine Religion geoffenbart worden, deren heilige Lehre ich bewahren und der Welt verkünden müsse, zog ich Papier und Stift hervor und zeichnete die Tote. Dann stand ich von meinen Knien auf; mir war's, als müsse ich nun ein feierliches Gelübde ablegen, wodurch ich mich auf immer zum Priester dieser neuen Offenbarung weihte. Ich legte, obwohl grausend, meine Hände auf ihre Hände, die starr waren wie die eines Bildes, ich fühlte, daß ich mich losriß von der Gnade meines Erlösers, die Zunge sträubte sich, aber eine dämonische Gewalt öffnete mir den Mund, zwang mich, wider Willen laut die Worte zu sprechen: »Dir, Julia, Tochter des Claudius, gelobe ich meine Seele!« Meine Stimme widerhallte so seltsam von der leeren Säulenhalle, daß es war, als habe ein Fremder gesprochen, und zugleich trug der Nachtwind von dem nahen Forum Romanum das klagende »Kiuh, Kiuh« der Eulen, die dort nisteten, herüber. Da packte mich das Grausen, ich steckte mein Blatt, das den Raub enthielt, hastig zu mir und stürzte ins Freie. Aber beim Zurückblicken meinte ich auf den Stufen von Araceli eine verhüllte Gestalt sitzen zu sehen, die mir mit weißen Schleiern winkte, und zugleich streifte eine Fledermaus mit ihren weichen schwarzen Flügeln mein Gesicht. Das genügte, um mein schwankendes Gleichgewicht vollends umzuwerfen, ich kam mit Fieber nach Hause und lag tagelang krank an schweren Delirien.

Herrgott, vergib mir meine Sünde, ich wußte nicht, was ich tat. Ich war damals kein Christ, obwohl Herr Latino mich nebst seinen Söhnen aufs sorgfältigste in den Lehren unserer heiligen Kirche hatte unterrichten lassen. Aber die Namen der Venus und Minerva waren mir geläufiger als die der allerheiligsten Jungfrau und unseres Herrn Jesu; die Schrift kannte ich fast gar nicht, desto besser die Gesänge Virgils, denn die Taten des Äneas waren unsere Kinderspiele gewesen. Doch ich sollte ihn noch erkennen lernen, den man nicht ungestraft abschwört: einem Schatten hatte ich mich verlobt, und er hat es wahr gemacht, denn mein Leben ist mir selbst darüber zum Schatten geworden. Schon damals rächte sich die Sünde, denn es kam ein unruhiges, verstörtes Wesen über mich. Sooft der Mond sich wieder füllte, trieb es mich ruhelos die Nächte auf den Monte Pincio hinaus, dort sollte die Leiche auf päpstlichen Befehl heimlich verscharrt worden sein, denn der Frevel jener Nacht war sogleich ruchbar geworden, wenn auch sein Urheber unentdeckt blieb, und auf dem Kapitol war von nun an nur noch der leere Sarkophag zu sehen. Ich strebte dann mit dem Geiste den Boden der Erde zu durchdringen, um die Stelle zu finden, wo der süße Leib begraben war, ich träumte mir das schöne Mädchen erwachend und in meine Arme. Ich lebte eine lange, leidenschaftliche Liebesgeschichte mit ihr durch; die Glut, die jener nächtliche Anblick in mir entzündet hatte, bemächtigte sich leise fortbrennend meiner ganzen Seele und wühlte dumpf in meinen Sinnen, bewahrte mich aber zugleich vor anderen Verirrungen. Meine Studien vernachlässigte ich nicht, mit meinem wenigen Geld wußte ich mir heimlich ein weibliches Modell zu verschaffen und ich malte mehr aus meiner entzündeten Phantasie als nach der vorhandenen Natur ein Bild, das ich das Erwachen der Venus nannte und das mir zuerst die Kühnheit gab, mich für einen Maler zu halten. Beim Untergang der alten Götterwelt – das war die Fabel, die mir bei dem Gemälde vorschwebte – war die Göttin der Schönheit in das Meer zurückgekehrt und hatte sich in ihrer Muschel zum Schlummer niedergelegt. Über tausend Jahre hat sie an einer Korallenbank im Weltmeer geschlafen, von Tritonen gehütet. Da regen sich plötzlich die Lüfte, Zephyre mit aufgeblasenen Backen kommen über das Meer daher und fächeln die Wellen auf, die sich heben, die Muschel von den Korallenzinken, daran sie festhing, lösen und zum Gestade treiben, wo die Hirten eben ein fröhliches Fest begehen.

Vergessen liegen die Tempelsäulen der alten Götter im Grase, ein jonisches Kapital dient dem Ältesten als Sitz, aber beim Landen der schwimmenden Muschel lassen die Strandbewohner ihren Reigen und kommen voll Staunen hinzu. Ein kecker Knabe sprengt die Schale, in der die Göttin eben vom Schlummer erwacht. Die unteren Glieder liegen noch starr vom Todesschlaf befangen, aber die süßen Augen öffnen sich, ein Lächeln löst die Lippen, die Arme ringen sich aus der Starrheit los und strecken sich dem Erwecker entgegen, und der schöne Busen drängt sich nach, während der Glückliche bei ihr niedersinkt und die Hirten sich anbetend vor der heimgekehrten Göttin neigen. Dieses Bild war so ganz aus dem Vollen meiner Empfindung geflossen, daß es alle Beschauer mit sich fortriß. Ein reicher Kaufmann bot mir vierzig Goldgulden für mein Werk, allein so sehr ich des Geldes bedurfte, ich konnte mich von dem Bilde nicht trennen. Nun richtete mir Fabrizio, der die allgemeine Bewunderung teilte, eine bequeme Werkstatt ein und trug Sorge, daß ich keine mageren Heiligen mehr zu malen brauchte. Sobald ich frei war, entwickelte ich eine Fruchtbarkeit, die mich selber überraschte, und meine Gedanken verstiegen sich bald ins Maßlose, denn vor dem, was ein grüner Anfänger will, ist auch der größte Meister immer noch ein Stümper.

Fabrizio hielt als Jüngling, was seine liebenswürdige Kindheit versprochen hatte: ein Antinous an Schönheit, unwiderstehlich durch sein rasches, offenes Wesen, dem der jugendliche Leichtsinn gut zu Gesicht stand, mit einer äußerst wohlklingenden Stimme, die im Gesang geschult war. Meister in allen den Künsten, die von einem Edelmann gefordert werden, großmütig, unerschrocken und selbstbewußt, so war er das glänzendste Vorbild der adeligen Jugend und ein geborener Liebling der Frauenwelt.

Seit ein paar Monden ging er im dunkeln geistlichen Gewand, um sich auf eine hohe Würde vorzubereiten, denn der Papst, der zu Herrn Latino in nahen Beziehungen gestanden, hatte dem jüngsten Sohn des Hauses den Purpur zugedacht. Obwohl der Jüngling keine sonderliche Neigung zum geistlichen Stand in sich verspürte – denn der Klerus legte damals seinen Mitgliedern wenigstens noch einen Schein von apostolischer Strenge auf, der schlecht zu Fabrizios überschäumender Jugend paßte –, mußte er dem Druck der Familie nachgeben und sprang fast widerwillig mit geschlossenen Augen in die Kardinalswürde hinein.

Mir war er noch immer brüderlich zugetan, obgleich seine Stellung uns äußerliche Vertraulichkeiten verbot und die Jahre auch eine innere Kluft zwischen uns gebracht hatten. Da der Papst meinem Talent keine Beachtung schenken wollte, so benützte der Kardinal die Verwandtschaftsbande zwischen den Medici und den Orsini, um mich nach Florenz zu bringen, wo damals der große Lorenzo alle Kunst Italiens unter seinem Schutz versammelte, und eines Tages wanderte ich mit leichtem Säckel, aber das Herz von unbändigen Hoffnungen geschwellt, der Arnostadt zu, denn das »Erwachen der Venus«, das als Geschenk des Kardinals mir vorangegangen war, hatte an Lorenzos Hof eine begeisterte Aufnahme gefunden. – Die Erinnerung an ihn ist noch zu frisch in aller Herzen, als daß ich seine Persönlichkeit zu schildern brauchte, nur das eine will ich sagen, daß die vielen Münzen und Bildnisse, die von ihm im Umlauf sind, seiner Erscheinung nicht gerecht werden, da sie nur die unschöne Bildung seiner Gesichtszüge, nicht aber die Majestät seiner Haltung noch die Macht seines Blickes wiederzugeben vermögen. Ich war darauf gefaßt, von einem so erleuchteten Herrscher mit Güte empfangen zu werden, aber was ich fand, ging über alle Erwartungen, ja man hätte aus der freudigen Wärme seiner Begrüßung schließen können, daß ich ihm bis jetzt zu seinem Glück gefehlt habe. Und nichts erinnerte an den Herrscher, der zu einem künftigen Diener seines Hauses sprach, ich fühlte nur den Mann vor mir, der mich und alle Zeitgenossen um Haupteslänge überragte. Er empfing mich im Bacchussaal, wo über einer Tür in glücklichster Beleuchtung das »Erwachen der Venus« hing. Wie tief verpflichtet er Monsignore sei für ein solches Geschenk und für das noch größere, welches er ihm mit meiner Person gemacht habe, diese schmeichelhafte Versicherung wiederholte er fort und fort in immer neuen Wendungen, und ich gewahrte zum ersten Male den Genuß, mit dem der feine Geist des Florentiners sich auf dem leichtwogenden Strom der toskanischen Rede schaukelt. Ich wagte kaum, ihm meine blinde Ergebenheit zu versichern, so hilflos und ungelenk erschien mir dagegen mein eigenes Sprachorgan. Er stand mit mir vor dem Gemälde und legte mir den tiefen Sinn aus, den ich, mir selber unbewußt, in dieses Bild hineingemalt hatte.

»Der junge Hirte«, sagte er, »ist unser enterbtes Jahrhundert, das aber an den Küssen der Schönheit des wiedererweckten Altertums ewige Jugend und Unsterblichkeit trinken soll.«

Ich stammelte ganz verblüfft, daß ich beim Malen eben an weiter nichts gedacht hätte als an die Figuren, aber er ging über meine Tölpelhaftigkeit weg und löste mir allmählich die Zunge, indem er mir die Antworten in den Mund legte, bis mein Selbstvertrauen wuchs und ich von ihm lernte, mich mit Anstand auszudrücken.

Er redete vielerlei mit mir von den Zielen der Kunst und von den Hoffnungen, die er auf mich setze, Dinge, die ich nachher nicht wiederzugeben vermocht hätte, die mich aber wie Duft des stärksten Weines berauschten.

Doch erinnere ich mich, daß er mir schon damals von einem finsteren, schönheitsfeindlichen Geist der Askese sprach, der sich in Florenz eingeschlichen und aller Kunst den Krieg erklärt habe.

»Ein Fanatiker aus Ferrara«, sagte er, »predigt in San Marco, ein unwissender Mönch ohne Geschmack und Bildung, der durch phantastische Visionen und Unglücksprophezeiungen unserem Volk den reinen Kelch des Lebens vergiftet. Die Weiber und der Pöbel, die immer das Neue lockt, laufen ihm in Scharen zu. Ich weiß nicht, welche Gaukeleien er treibt, aber die törichte Menge fabelt von Wundern. Wir aber wollen beweisen, daß es die Kunst ist, die die wahren Wunder vollbringt.«

Er hatte mir die Hand vertraulich auf die Schulter gelegt, während er mit einem besonderen Lächeln um den geistreichen Mund sagte: »Wir müssen sie auf ihrem eigenen Boden aufsuchen, diese lichtscheuen Mächte, und ihr Schwert in einen Rosenzweig verwandeln – was meinst du, Gaetano?«

Ich bejahte hingerissen, obschon ich ihn nicht ganz verstand.

Sobald ich Lorenzos Zauber empfunden hatte, war ich mit Leib und Seele sein geworden, und als ich fortging, fühlte ich mich um einen halben Kopf größer, ja es war mir, als atmete ich jetzt erst die Luft, die mir zum Leben nötig sei.

Meister Bertoldo mag mich wohl für sinnlos gehalten haben, da ich wie ein Trunkener durch die Baumgänge des Gartens taumelte und vor den Marmorstatuen und Bronzen stand, unfähig, ein Wort hervorzubringen. Beständig ging mir der Wahlspruch Lorenzos durch den Sinn, den er als Jüngling auf dem Schilde geführt hatte. »Le temps revient – le temps revient«, murmelte ich vor mich hin, und ich gedachte mit Stolz, daß es auch mir beschieden sei, mein Teil beizutragen zu dieser Wiederkehr.

Lorenzo hatte mir einen Auftrag in Aussicht gestellt, bei dem ich die Erwartungen, die er von mir hegte, bewähren sollte, und ich konnte seitdem vor Aufregung nicht schlafen noch essen. Die Zwischenzeit benützte ich nun, mich in der Stadt umzusehen und einige Meister meiner Kunst, an die ich empfohlen war, in ihrer Werkstätte aufzusuchen. Ich stand aber nicht mit der Demut, die mir geziemt hätte, vor ihren Werken, sondern ein frevelhafter Übermut hatte mich befallen, daß ich mich im stillen vermaß, es allen zuvorzutun. Überall hörte ich Lorenzos Güte preisen, die jeder an sich selbst erfahren hatte, und die hohe Herrschgewalt, mit der er als die Waage Italiens das Gleichgewicht der Staaten unverrückt in beiden Händen halte, und wie er doch unter den Mitbürgern nur als ihresgleichen lebe. Aber ich mußte zugleich erfahren, daß kein Glück der Erde vollkommen ist, denn man flüsterte heimlich, es gehe mit seiner Gesundheit bergab, und das wilde, unverständige Wesen seines Sohnes Piero schaffe ihm deshalb viel geheime Sorgen, ja mancher sagte es geradeheraus, daß die Größe seines Hauses und damit der Friede der Welt auf Lorenzos beiden Augen stehe. Mir war das alles neu, denn ich hatte bisher wenig von der Welt außerhalb meiner Werkstätte gewußt.

Auch von dem anderen Pfahl in seinem Fleische, dem Dominikanermönch, war öfters die Rede. Er sei ein gewisser Fra Girolamo Savonarola, der von dem Herrn selbst auf Verwenden des Fürsten von Mirandola nach San Marco berufen und mit den gewohnten Wohltaten überschüttet worden sei, der aber von dort einen seltsamen Zauber über die Menge gesponnen habe und dem Herrscher die Herzen des Volkes entfremde.

Die jüngeren Leute spotteten über ihn, und einer, der ein besonderes Geschick im Fratzenmalen besaß, schmierte das Zerrbild des Dominikaners auf alle Mauern in den abenteuerlichsten Tiergestalten mit hervorschießenden Augen und dem Ausdruck der Beschränktheit und fanatischer Wut um die enge Stirne, daß ich neugierig wurde, den Mann in Fleisch und Bein zu sehen. Dieser Wunsch sollte mir aber erst später und ganz anders, als ich dachte, erfüllt werden, denn jetzt war es mit dem müßigen Herumstreifen zu Ende. Lorenzo überwies mir den Auftrag, für die Familie der Pucci die Kapelle des heiligen Sebastian in der Servitenkirche der Santissima Annunziata mit Fresken aus dem Leben dieses Märtyrers zu schmücken, und ich vertiefte mich sogleich in die Aufgabe, die meinem Sinne ganz gemäß war, weil sie sich zur Entfaltung menschlicher Schönheit eignet wie wenig andere Gegenstände unserer Kirche. Die Skizzen wurden mit Feuer entworfen, und bald war ich soweit, daß ich das Gerüst in der Kapelle aufschlagen konnte.

Auf dem ersten Feld rechts vom Altar stellte ich den Todesgang der beiden christlichen Prätorianer Marcus und Marcellinus dar, die von ihrem Waffenbruder Sebastian ermahnt werden, standhaft im Glauben zu bleiben. Zum fernen Hintergrund wählte ich den palatinischen Hügel mit den im Abendglanz rötlich schimmernden Säulen des Kaiserpalastes; vorn auf der breitgepflasterten, grasdurchwachsenen Römerstraße wußte ich geschickt die Verurteilten zu gruppieren, wie sie von der kaiserlichen Leibwache mit kurzen Schwertern vorwärts gedrängt und zugleich von einer Schar jammernder Weiber und Kinder zurückgehalten werden. Ein Greis in schleppendem Faltenwurf, den die Ähnlichkeit der Züge als Vater kenntlich macht, hält den Vordersten flehend am Ärmel gefaßt und deutet auf einen Säugling an der Brust der knienden Mutter. In die ungewisse Haltung der Verurteilten legte ich noch den ganzen Kampf der Gefühle; aber von den Gesichtern glänzte es schon wie der Widerschein eines todesfreudigen Opfermuts, der ganz von der lichtvollen Gestalt des Heiligen ausstrahlte. Diesen hatte ich so gestellt, daß er mit der Linken das Kreuz emporhielt, während seine Rechte eindringlich und gebietend auf den Todesweg wies. In seiner Erscheinung vereinigte ich die Kraft des waffengeübten Kriegers mit allem Liebreiz jugendlicher Glieder. Von den goldbraunen Locken, die unter dem Helm hervor auf den schöngeformten Nacken quollen, bis zu den leicht gespannten Muskeln des vorwärtsschreitenden Beines und der hochgeschwungenen Sohle wollte es mich dünken, als ob die Kunst nie ein vollendeteres Menschenbild geschaffen hätte. Ein reicher Mantel, der ihm eben von den Schultern glitt, sollte ausdrücken, wie hoch sein Träger in der kaiserlichen Gunst stand, und hob durch sein sattes Rot den matten Ton der Fleischfarbe aufs glücklichste.

Den Kopf malte ich, um nicht alle Bolzen auf einmal zu verschießen, von dem Beschauer abgekehrt und ließ nur durch das verlorene Profil ahnen, daß die Züge des Gesichts dieser reizenden Gestalt würdig seien.

Ich malte mit solchem Feuer, daß ich kaum gewahr wurde, wie sich die Kapelle mit Menschen füllte, die das Malergerüst umstanden und sich zwischen Brettern und Pfosten durchdrängten, um jeden Strich meines Pinsels mit gespannter Aufmerksamkeit zu verfolgen. Ich achtete nicht auf die entzückten und ermunternden Zurufe der einen, noch auf das Kopfschütteln der anderen, die mir gute Ratschläge spendeten und zu verstehen gaben, das sei kein christlicher Heiliger, sondern ein heidnischer Gott, ein Apollo oder etwas Ähnliches. Ich dachte dabei an Lorenzo, der mir geraten hatte, mich an christliche Gegenstände zu halten und sie ganz zu durchtränken mit der Schönheit des Griechentums. Ich stritt schon im Geist mit dem düsteren Ferraresen, dem ich mich unterfing, die Seelen des florentinischen Volkes abzuringen, indem ich die Kirche von innen heraus erheiterte und verschönte.

Daher pinselte ich weiter, als ob ich taube Ohren hätte, bis eine Frauenstimme mir zurief: »Meister, laß ihn sich umdrehen!«

Da hielt ich einen Augenblick inne und rief von meinem Gerüst herunter: »Nur Geduld! Ihr sollt sein Gesicht sehen und sollt mir sterben vor Liebe zu ihm.«

Ein vielstimmiges Gekicher war die Antwort, die Weiber stießen sich mit den Ellbogen, und die, welche mich angerufen hatte, lachte keck zu mir herauf. Es war ein üppiges, noch jugendliches Weib mit blitzenden schwarzen Augen, die unter dem weißen, um Stirne, Wangen und Hals gewundenen Schleiertuch ausdrucksvoll umhergingen. Neben ihr aber gewahrte ich mit Überraschung ein wunderbar anmutiges junges Geschöpf, das, ohne zu mir aufzublicken, mit tiefer Andacht an meiner Arbeit hing. Der Schnitt der Züge und der kleine Kopf mit den tiefschwarzen Haaren, die schlanken Glieder, die, unter einem dunklen Gewand von strengstem Schnitt verborgen, ihr reines Ebenmaß nur in der vollendeten Anmut aller Bewegungen zeigten, waren einer Venus würdig, aber der innige Ausdruck zweier dunkelbefranster Augen vom allerleuchtendsten Blau und ein schwermütiger Reiz um den Mund gaben ihr jenen tieferen Zauber, dessen die menschlichen Züge erst teilhaftig geworden, seit uns der Heilige Christ eine Seele verliehen hat. Trotz der Jugend nämlich waren die Winkel des vollen Mundes ein wenig herabgezogen, wie bei jemand, der frühe mit dem Leid vertraut geworden ist, und Menschen mit solchen Gesichtern pflegen im Leben nicht glücklich zu werden, haben aber auch die Gabe, im Beschauer eine mehr als nur künstlerische Teilnahme zu wecken.

Andächtig, wie sie nach dem Heiligen, blickte ich nach ihr, aber der Kalk, der unter meinen Händen zu trocknen begann, verwehrte es mir, hinabzusteigen und ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen. Doch auch nachdem sie verschwunden, war es mir, als sei ein Teil von ihrem Wesen in diesem Raum zurückgeblieben und umschwebte mich fort und fort bei der Arbeit wie ein wunderbar feiner Blumenduft, der mir bekannt war, ohne daß ich ihn zu nennen wußte.

In der nächsten Gruppe, über dem Altar, galt es die Marter des Heiligen darzustellen, an die ich meine beste Kraft wenden wollte. Ich befand mich in einer Aufregung, die dem Werke sehr zustatten kam, denn von der noch völlig weißen Wand leuchtete mir schon das fertige Bild entgegen mit dem Farbenreiz, der es so hoch über die farblose Zeichnung erheben und zu einer völlig anderen Schöpfung machen sollte.

Da stieg der palatinische Hügel als schöner Hain mit Pinien und gewaltigen Zypressen auf, zwischen deren Gezweig weiße Götterfiguren und der Sprudelschaum der Wasserkünste hervorglänzten. Vorn an einen Granatbaum gebunden, die Hände auf dem Rücken zusammengeschnürt, stand der junge Glaubensheld, nur mit einer gewirkten Schärpe umgürtet, die abgelegte Rüstung ihm zu Füßen, der blühende Leib von Pfeilen durchbohrt, das Haupt mit den goldbraunen, geringelten Haaren emporgerichtet nach der Krone, die von zwei Putten getragen aus rosigen Wolken zu ihm niederschwebt.

Von Anfang an hatte ich mir Fabrizio als Urbild meines Sebastian gedacht, und schon auf dem ersten Felde war mir diese Ähnlichkeit wenigstens andeutungsweise aus dem Pinsel geschlüpft. Jetzt ließ ich sein herrliches Gesicht im Todeskampf zucken und gab ihm mit jedem Strich ein gewaltiges, höchst persönliches Leben.

Ich wußte nicht mehr, ob diese Vision leibliches oder geistiges Schauen war. Eine höhere Gewalt – war es ein Engel oder ein Dämon? – schien meinen Pinsel erfaßt zu haben und zog meine Hand fast wider Willen nach. Ich malte, ich mußte malen, daß mir der Schweiß vom Gesicht und die Farbe vom Ärmel troff. Während des Malens belebte sich der Heilige, ich meinte ihn atmen zu sehen, von den Augen gingen goldene Strahlen aus, der Mund lächelte wie durch einen Schleier von Schmerz, ich war ganz von Sinnen, ich schämte mich nicht ihn anzureden, ich hieß ihn auch sprechen, da er so schön lächeln könne, ich nannte ihn bald Fabrizio, bald Sebastian und bat ihn, mir die grausamen Wunden zu verzeihen, die ich seinem jugendlich-schönen Leib hatte schlagen müssen. Die blaue Kuppel über mir mit den darauf verstreuten weißen Rosen von Perlmutter leuchtete wie das verklärte Himmelsgewölbe mit kleinen weißen Wölkchen herab und vermehrte die Täuschung.

Zum Glück war ich allein in der Kapelle, denn ich hatte die Türen schließen lassen, um ungestörter bei der Arbeit zu sein; so hatte meine Torheit keine Zeugen.

Die Mittagsstunden waren vorüber, als ich mit der Gestalt des Heiligen fertig wurde, aber die Sonne stand noch hoch, denn wir waren im Sommer, das Feuer des Schaffens brannte noch in meinen Fingerspitzen, und ich fühlte, einen Tag wie diesen würde ich so bald nicht wieder haben.

Ich ließ darum frischen Kalk aufwerfen, um auch noch die Kriegsknechte zu malen, die keiner feineren Ausführung bedurften. Sie standen teils zielend, teils mit der abgeschossenen Armbrust da, die stumpfen Gesichter drückten Roheit oder die teilnahmslose Gewohnheit des Gehorsams aus, nur der Befehlshaber blickte mit Kummer und Rührung auf die hinsinkende Jünglingsgestalt; der Beschauer sollte in ihm einen künftigen Bekenner des Glaubens ahnen, für den der Heilige die Marter litt.

Da es unterdessen zu dunkeln begann, ließ ich Kerzen anzünden und malte bei ihrem Schein weiter, bis die ganze Gruppe vollendet war.

Als ich die Leiter hinabstieg, zitterten meine Glieder so, daß ich fast einen Fehltritt getan und die Tiefe mit meinem Körper gemessen hätte. Mir fiel jetzt erst ein, daß ich noch völlig nüchtern war. Das Eßkörbchen, das ich am Morgen mitgebracht, stand zwar in der Ecke der Kapelle, aber während jene glorreiche Vision die Räume füllte, hatte ich den profanen Gegenstand dort im Winkel ganz vergessen. Jetzt rächte sich der Körper für die Anstrengung und das lange Fasten, daß ich mich zitternd auf die unterste Sprosse der Leiter setzen mußte. Ein Frösteln ging durch meine Glieder, während mir erinnerlich wurde, daß ich schon in den letzten Tagen über all der Aufregung ein gar unordentliches Leben geführt hatte.

Aber ich raffte mich gleich wieder auf und befahl dem Küster und seinem Sohn, die Kerzen hochzuheben, daß ich mein fertiges Werk überschauen könne.

Wir traten alle drei nahe heran, aber meine Erschöpfung war so groß, daß es mir vor den Augen flimmerte. Schatten huschten über das Bild, das lebendig werden wollte, die Kriegsknechte reckten ihre Arme, mein schöner Märtyrer schien sich im Todeskampf zu winden und blickte mich aus Fabrizios brechenden Augen vorwurfsvoll an. Die Engel waren verschwunden und – was war das? Aus den Wunden des Heiligen quoll es wie frisches rotes Blut zu mir herunter – ich stürzte mit einem Schrei nieder und stieß im Fallen an die Leiter, die über mir zu Boden schlug.

Des anderen Tages lag ich fieberkrank zu Bette. Lorenzo hatte schon von meinem Unwohlsein gehört und schickte mir den Meister Pierleone von Spoleto, der mir zur Ader ließ und mich ermahnte, auf längere Zeit ganz von der Arbeit zu rasten.

Aber es dauerte nicht lange, so kamen ein paar junge Gesellen, mit denen ich Freundschaft angeknüpft hatte, jubelnd und glückwünschend in mein Gemach gestürmt.

»Was, er liegt im Bette«, hieß es, »während die ganze Stadt von seinem Ruhme widerhallt!« – Man höre nur noch den Namen Gaetano auf den Straßen, erzählten sie. Die Kapelle werde vom Morgen zum Abend nicht leer von Menschen, die mit lautem Entzücken meine Arbeit priesen, die Meister seien einig in meinem Lob, und auch der Neid der jüngeren Kunstgenossen müsse schweigen vor der allgemeinen Bewunderung.

Diese Kunde war für mich heilsamer als alle Aderlässe des Meisters Pierleone. Ich erhob mich alsbald vom Lager, und obwohl noch vom Fieber geschwächt, begab ich mich nach der Santissima Annunziata, dahin mich ein unwiderstehliches Verlangen zog. Als ich aber die vielen Menschen unter den Arkaden sah und ihr lautes Sprechen hörte, erfaßte mich eine Scheu, daß ich die Mütze tief in die Stirne zog, um nicht erkannt zu werden, und mich still durch die Menge vorüberdrückte. Nur einen raschen Blick wagte ich durch die offene Tür nach meinem Bilde zu werfen, das mir gar nicht mehr wie mein geistiges Eigentum erschien und nach dem ich doch eine heftige Sehnsucht empfand.

Ich konnte mein plötzliches Glück nicht fassen und lief wie töricht durch die Straßen zum nächsten Stadttor hinaus, um niemand Rede stehen zu müssen.

Erst des anderen Tages konnte ich den Drang meines Herzens befriedigen, nachdem ich dem Küster befohlen hatte, die Menge unterdessen fernzuhalten.

Jetzt sah ich erst, was ich gemacht hatte, und – sei mir dieses Bekenntnis verziehen – ich stand mit Staunen vor meinem eigenen Werke. War's möglich, daß ich dieses Angesicht geschaffen hatte, diese feuchten, sehnsüchtig dem Himmelsglanz sich öffnenden Augen, den fast göttlichen Mund, um den der Schmerz des Leibes leise zuckt, ohne zum Grund der Seele niederzudringen, die aus den Augen nach oben zu entschweben schien? Mit glücklicher Eingebung hatte ich die Aureole nur leise angedeutet, so daß der dunklere Goldton der Haare zu voller Geltung kam. – Es war Fabrizio, wie er leibte und lebte, und wieder doch nicht er selbst, sondern gleichsam sein edlerer Zwillingsbruder, meines sterblichen Kastor unsterblicher Pollux.

 

Ein zusammengefaltetes weißes Papier zu Füßen des Bildes, das auf den feuchten Kalk geklebt war, zog meine Blicke auf sich. Ich löste es ab und las die folgenden Zeilen:

Der schöne Leib, des Kräfte bald versagen,
Er duldet willig grausames Durchbohren,
Weil sein der Geist vergaß, in Gott verloren;
Nicht zuckt die Hand, die wohl gelernt zu schlagen.

»Ist es vollbracht?« scheint dieser Mund zu fragen,
Dies Aug', das Todesschatten schon umfloren,
Und Antwort wird ihm aus des Himmels Toren.
Zu solchen Höhen sollt ein Pinsel tragen?

Nein, diese schmerzdurchzuckte Lippe lebt,
Sie lechzt, die kühle Himmelsflut zu trinken,
Ich fühl den Atem, der den Busen hebt.

Noch sucht dies bange Aug' – bald wird es sinken –
Die Krone, die von oben niederschwebt,
Wo ihm die Engel der Verklärung winken.

Ich hielt das Blatt mit glückseligem Staunen vor mich hin. Ich hatte wohl schon von dem Brauch der Florentiner gehört, Kunstwerke durch heimlich angeheftete Sonette zu ehren, aber ich dachte mir, daß diese Auszeichnung nur den Besten zuteil würde, und so hoch mein Ehrgeiz zuvor gespannt gewesen, überraschte es mich doch wie ein Wunder, als ich die Erfüllung greifbar in Händen hielt.

Der Küster konnte mir nicht sagen, wer das Blatt gebracht habe, da die Kapelle in den letzten Tagen nie von Besuchern leer geworden war. Meine Gedanken verstiegen sich bis zu dem Montepulcianer, von dessen Dichterruhm Italien widerhallte, denn auch er hatte in Gesellschaft Lorenzos mein Werk besichtigt. In dieser Stunde habe ich zuerst erfahren, wie es denen zumute ist, die sich im Glanz des Ruhmes sonnen.

Es war nicht die einzige Ehre, die mir der Tag brachte. Ich wurde zu der mediceischen Tafelrunde gezogen und saß an einem Tisch mit den besten Männern Italiens, mit dem greisen Marsilio, der wie ein zweiter Orpheus die Sprache der Griechen aus dem Schattenreich heraufgeholt hatte, mit dem süßen Dichter von Montepulciano und mit dem schönen Pico von Mirandola, dem fürstlichen Wunderkind, das sie den Phönix der Geister nannten. – Die Auszeichnung, die mir von solchen Männern widerfuhr, war ein starker Wein für mich, und es bedurfte Gottes eigener Hand, um den eiteln Glauben, daß ich zu etwas unfaßbar Großem geboren sei, später wieder aus meinem Herzen zu reißen.

Das Sonett trug ich auf der Brust und fühlte zum öfteren, ob ich es noch bei mir habe. Als ich Angelo Poliziano vorgestellt wurde, errötete ich tief und forschte schüchtern in seinem Gesicht, ob er wohl der Verfasser sei. Mir war übrigens gar wunderlich zumute bei diesen Ehren, fast, als ob all das Lob nicht mir gelte, sondern einem ganz anderen, an dessen Platz ich hier stünde, und wohl mag dieses Gefühl schon manchen Größeren beschlichen haben, der sich zu plötzlicher Berühmtheit gekommen sah.

Nun schien es, als sollte ich mühelos die höchsten Stufen des Glücks erklimmen. Ganz Florenz schien von einer Raserei der Liebe für meinen Sebastian erfaßt, die sich, da er sie nicht erwidern konnte, auf meine Person übertrug. Wo ich ging, flogen die Mützen in die Luft, Weiber küßten den Zipfel meines Rockes, der heilige Sebastian war in aller Mund, Fromme und Weltkinder waren mir gleicherweise gewogen und zeigten mir eine Dankbarkeit, als hätte ich durch den schönen Märtyrer, der im Sterben lächelt, sie alle auf Stunden von dem Alpdrücken befreit, das damals schon die Gemüter zu überschleichen begann.

Das Leben ergriff mich jetzt mit voller Gewalt und zeigte mir meine kühnsten Phantasien als Wahrheit: einen Hofstaat der Geister, an dem ein Mann das Szepter führte, nicht weil er der Erste im Staat war, sondern weil er durch Geisteskraft und Gaben alle überragte; mich selbst, den mißgeschaffenen Bastard, geehrt unter den Mächtigen, denn Lorenzo betrachtete alles Talent wie eine gemeinsame Familie, und in wem er den schöpferischen Funken erkannt hatte, den ehrte er als seinen eigenen Anverwandten. Dazu ein Volk, das geschaffen schien, die Erde zu beherrschen, damals aber nur von dem einen Triebe beseelt war, die letzten Jahre seiner Herrlichkeit noch auszukosten. Üppige Liebeslieder, leichtfertige, verwegene Geschichten, deren Helden man sich heimlich zeigte, waren in aller Munde, schöne Weiber, den Männern gleich an Geist und Bildung, hielten mit sicherer Anmut und nicht allzu ängstlich die Zügel der Geselligkeit, und dazu eine Pracht der Kleidung und des Hausgerätes, ein leuchtendes Farbenmeer, das dem Künstlerauge wohltat, weil es dem feinsten Geschmack, nicht blindem Reichtum entsprang. Ich hätte am liebsten die Kapelle gleich zu Ende gemalt, aber ich suchte nun nach einer weiblichen Schönheit, die meinem Sebastian ebenbürtig war, und unter den schönsten Modellen, die sich mir anboten, fand sich nirgends ein Gesicht, das auch nur annähernd meinem Zweck entsprach. Darüber begann die frische Erfindung zu stocken, ich änderte zu mehreren Malen den Entwurf des Kartons, ohne mich selbst zu befriedigen, und da ich nicht hinter meinen früheren Leistungen zurückbleiben wollte, kratzte ich das angefangene Bild wieder von der Wand.

Doch blieb ich nicht müßig, sondern schuf gleich eine Reihe neuer Arbeiten für andere Besteller. Die Kunstgenossen schüttelten freilich zuweilen die Köpfe über den Weg, auf dem sie mich sahen, denn ich steuerte nicht im Kielwasser der florentinischen Meister, deren Kunst aus der Enge des bürgerlichen Lebens herausgewachsen war, sondern bildete mir eine eigene Manier aus, mit satteren Farben und einer wärmeren Fülle der Formen, so etwa, wie es nachmals in der venezianischen Schule wieder zum Vorschein kam. Bei den Laien aber gewann ich so großen Beifall, daß jede eitle Frau es für unerläßlich hielt, von mir gemalt zu werden, und daß mir für solche Bildnisse größere Summen bezahlt wurden als je zuvor einem anderen, auch weit verdienteren Meister. Die Schönsten aber malte ich unentgeltlich, wo ich sie fand, und verschenkte die Bildnisse, auf die ich häufig nur wenige Stunden verwandte, oder ich schmückte damit meine Werkstatt, die ob dieser Sammlung eine der Sehenswürdigkeiten von Florenz wurde.

Neigung der Frauen greift um sich wie das Feuer; kaum war es bekannt, daß eine mich mit wohlgefälligen Blicken betrachtete, so eiferten schon zehn andere, ihr den Rang streitig zu machen, und ich wurde trotz meiner Häßlichkeit ein sehr gesuchter Mann. Doch wie mich von je das Leichtgewonnene und Alltägliche abgestoßen, so konnte ich auch jetzt nicht schlechthin die Gegenwart genießen; ich suchte nach etwas ganz Außerordentlichem, nach einer durch höchste Weihe gehobenen Leidenschaft; ich wollte die himmlische und die irdische Liebe in einer Person besitzen, und alles, was ich erlebte, schürte nur jene unstillbare Sehnsucht, die mich mitten im Überfluß verschmachten ließ. Seltsamerweise geschah es jetzt zuweilen, daß die Gestalt jenes schönen, blassen Mädchens aus der Sebastianskapelle, das mir im Leben nur einmal und dann nie wieder erschienen war, mich im Geist besuchte. Im Rausch meines ersten Erfolgs hatte ich sie damals vergessen, jetzt wirkte die Erscheinung aus der Ferne nach, und in Stunden der Sehnsucht glaubte ich an einem heimlichen Faden zu schweben, der mich oft lange freiließ, bis er mir plötzlich mit einem leisen, schmerzhaften Zug wieder zur Empfindung kam.

Als ich eines Tages mit einem Bekannten durch die Straßen schlenderte, sahen wir einen großen Menschenauflauf vor San Marco und erfuhren, daß Fra Girolamo eben im Klosterhof predige. Da ich neugierig war, ihn zu hören, und ohnehin nie eine Gelegenheit versäumte, menschliche Gesichter zu studieren, trat ich mit meinem Begleiter ein. Aber wir kamen zu spät, die Predigt war schon zu Ende, und die Zuhörer strömten in Scharen heraus. Indes ich die verschiedenen Mienen beobachtete, fuhr es mir wie ein Pfeil ins Herz, denn an der Hand eines edlen weißbärtigen Greises erblickte ich meine schöne Unbekannte. Sie ging stille vor sich hin, und ihre strahlenden Augen waren ins Weite gerichtet, als ob die Gegenwart für sie nicht vorhanden sei. Ich konnte sie nur flüchtig, aber mit unaussprechlichem Entzücken betrachten, denn ich zog meinen Begleiter abseits, um keinen Müßiggänger auf die Spur dieser Schönheit zu setzen, und mußte mich zu meinem Grimm in einer anderen Richtung entfernen als der, in welcher meine Seele davongeführt wurde.

Verstimmt und unlustig ob des freundlichen Zufalls, den ich nicht zu benützen vermocht, begab ich mich gegen Abend in die Sebastianskapelle, die ich seit langem nicht betreten hatte. Dort sah ich auf dem Altar zu Füßen meines Heiligen einen halbverwelkten Blumenstrauß, und abermals war dem Bilde ein Blättchen angeheftet. Es trug dieselbe Schrift wie das erste; große, weiche Züge, die, wie ich jetzt gewiß war, nicht dem Poliziano angehörten:

Zum Heiland zog mich's mit allmächt'gem Drange,
Für ihn wollt ich in glühendem Begehren,
Ein leichtes Weihrauchwölkchen, mich verzehren,
Doch nun geschieht mir's, daß ich beb und bange.

Ein Bild erscheint und faßt mit neuem Zwange
Dies Herz und will mein Innerstes verkehren,
Denn herrlicher muß ich den Knecht verehren,
Als ich den Herrn geträumt auf irdschem Gange.

Darf den Vasallen solche Schönheit schmücken,
So scheut vorm Glanz des Höchsten meine Seele,
Und nicht ertrüg ich's, seinem Stuhl zu nahn.

Mich sättigt schon sein Abglanz mit Entzücken,
Und daß ich süßen Fürsprech mich befehle,
Knie ich vor dir jetzt, Sankt Sebastian!

Noch heute ist es mir unbegreiflich, wie beim Lesen dieser Worte mein Herz plötzlich in heftigen Stößen zu zittern begann, als fühlte es das Herannahen einer Gefahr oder einer seligen Erfüllung. Ich barg das Blatt an meinem Busen wie einen Liebesbrief und drehte die Blumen lange hin und her, um ihnen ihre verborgene Herkunft abzufragen. Eine Schmucknadel, die neben dem Altar am Boden gelegen, eine von denen, womit die Frauen ihre Haare aufstecken, blinkte mir lockend wie der Schlüssel des Geheimnisses entgegen und hatte mein Blut in solche Wallung gebracht.

Der Sakristan, ein alter kurzsichtiger Mann, hatte weder die Blumen noch das Blättchen bemerkt und konnte wiederum keine Auskunft geben.

Wer war die Seele, die sich unbekannt an die meinige herandrängte und sich in jedem Wort als eine mir verwandte zu erkennen gab? Nach meinem sicheren Empfinden mußte ein Weib diese Zeilen geschrieben haben, die mir wie ein heimlicher Liebeskuß in der Seele nachglühten. Ich zögerte nicht, das tiefe Gefühl, welches daraus sprach, auf mich selbst zu beziehen, denn ich war es jetzt schon gewohnt, daß man das Kunstwerk pries und den Künstler liebte.

Ich ließ mir jede weibliche Gestalt, die in den letzten Tagen die Kapelle betreten hatte, einzeln nennen, aber keine stimmte zu der Vorstellung, die ich mir von der Schreiberin der Verse machte. Unter anderen sprach mir der Küster auch von einem weißbärtigen Herrn und einem jungen Mädchen, die lange allein unter den Malereien gestanden, aber die Gesichter waren ihm unbekannt, nur den Namen des Mädchens, den er zufällig aus dem Munde des Greises erhascht hatte, konnte er mir nennen: Pia!

Pia! Wie ein Strom von Poesie und Liebe quoll es mir aus diesem Namen entgegen, den der Dichter auf ewig mit seinem leidvollen Glorienschein umwoben hat. Ich ahnte, daß es dieselbe Gestalt sein müsse, die mich in meinen Träumen verfolgte, denn dieser Name konnte nach meiner Vorstellung zu keinem anderen Gesichte gehören. Vielleicht hatte sie die Blumen gebracht, als ich ihr mit dem alten Herrn begegnete, vielleicht war ihr die Nadel entfallen, die ich unter meinen Schätzen einschloß? Daß auch die Verse von ihr sein könnten, wagte ich nicht anzunehmen, so süß der Gedanke für mich war.

Von Stunde an wachte die Lust und Liebe zu der unterbrochenen großen Arbeit wieder in mir auf, und ich schämte mich, sie so lang vernachlässigt zu haben. Die weißen Wände der Kapelle waren mir ein stummer Vorwurf, und ich beschloß sogleich, daß es anders werden sollte.

Ich schob alle eingegangenen Verbindlichkeiten beiseite und verbrachte wieder meine Tage in der Kapelle, deren Türen ich geschlossen hielt. Es begann ein Bild zu entstehen, das die Wiederbelebung des heiligen Sebastian durch die fromme Christin Irene darstellte und das den beiden vorigen völlig ebenbürtig war, ohne eine Wiederholung zu sein, denn ich hatte diesmal den Hauptnachdruck auf die weibliche Figur gelegt, die das Mitleid in der menschlich rührendsten Gestalt verkörperte. Ein junges Weib in kummervoller Haltung, unter Gräsern und blühendem Gesträuch am Boden sitzend, der Märtyrer, dessen herabhängender Kopf jetzt nur in der Verkürzung sichtbar wurde, ohnmächtig auf ihrem Schoß und eine kniende Dienerin mit Binden und Salben um ihn beschäftigt. Das Gesicht des Weibes glich dem unbekannten schönen Mädchen, doch nicht mit voller Porträtähnlichkeit, sondern nur wie sich Geschwister gleichen, und ich gab ihr einen Ausdruck von religiöser Schwärmerei, der doch eine weibliche Teilnahme an dem schönen Jüngling nicht ausschloß.

So saß ich eines Tages über der Arbeit, und meine Gedanken schweiften von der Schönen, deren Ebenbild unter meinen Händen entstand, zu den beiden Sonetten über, die ich immer mit ihr in Verbindung bringen mußte, als die seitliche Tür der Kapelle leise aufging – der Sakristan hatte sie beim Hinausgehen angelehnt gelassen – und zwei Frauengestalten geräuschlos über die Schwelle traten: meine Unbekannte mit der stattlichen Begleiterin, in deren Gesellschaft ich sie das erstemal gesehen hatte.

Sie erschraken, als sie meiner auf dem Gerüste ansichtig wurden, und machten Miene, sich gleich zurückzuziehen, aber ich warf den Pinsel weg und war mit einem Sprung von der Leiter herunter.

Die Ältere grüßte mich mit einer Neigung ihrer stolzen Gestalt, die mich weit überragte, und entschuldigte die unbedachte Störung; ich stellte mich mit der allerunterwürfigsten Gebärde zwischen sie und die Türe und nötigte sie dadurch näher zu treten. Auch sie war eine Schönheit ersten Ranges, obgleich an dem Glanz der Wangen und dem rötlich leuchtenden Haar die Kunst noch mehr teilhaben mochte als die Natur. Aber welch ein Abstand zwischen diesen bewußten Reizen und dem schlichten Adel der Jüngeren, die selbstvergessen, mit gefalteten Händen dastand und so versunken war in den Anblick des Altarbildes, daß sie den Austausch artiger Redensarten zwischen mir und ihrer Gefährtin nicht beachtete! Ich fand nicht den Mut, sie anzureden, und richtete alles, was ich gern gesagt hätte, an ihre Begleiterin.

»Nun seht Ihr, daß er sich unterdessen umgedreht hat«, sagte ich, auf das Altarbild weisend. »Wie gefällt er Euch jetzt?«

»Ah«, rief die lebhafte Frau geschmeichelt. »Ihr erinnert Euch noch an unseren ersten Besuch?«

»Ewig, Madonna, werde ich mich dessen erinnern«, sagte ich ernst und blickte bedeutungsvoll auf ihre stumme Gefährtin. Aber diese wandte das Auge nicht ab von dem Altarbild, wo eben ein Lichtstrahl, der zu der halboffenen Tür hereinfiel, verklärend über den goldenen Sebastianskopf spielte und ihm einen Schein von Leben lieh.

Ich schob ein paar rohe Stühle herbei, die Frauen ließen sich zögernd nieder, und ich rollte die Skizzen und angefangenen Kartone, die ich sonst niemand sehen ließ, vor ihnen auf, nur um die schönen Gäste länger zu fesseln. Die Ältere verstrickte mich in ein angenehmes Geplauder, währenddessen die Zeit unmerklich verrann, aber die Stimme, nach der ich so sehnlich verlangte, gab keinen Laut von sich.

»Eure Aussprache beweist mir, daß Ihr hier nicht fremd seid«, sagte ich endlich zu der üppigen Schönen, »und dennoch lebt Ihr so verborgen? Ihr geht nie zu Festen, denn dort habe ich Euch vergebens gesucht, auf der Straße laßt Ihr Euch niemals blicken – wohnet Ihr denn ferne von der Stadt, oder seid Ihr so neidisch, uns den Anblick Eurer Schönheit zu mißgönnen?«

»Es ist wahr«, antwortete die schöne Frau lächelnd, »wir leben hier einsamer als uns selber lieb ist. – Das heißt, ich spreche nur von mir«, setzte sie rasch hinzu, »denn diese halbe Heilige ist der Welt schon entrückt und wird nicht lange mehr bei uns bleiben.«

Ich fühlte, daß mich die Farbe verließ, und ein lauter Seufzer, den ich nicht zurückhalten konnte, riß sich aus meinem erschütterten Busen.

»Madonna«, wandte ich mich zitternd an die Jüngere, »ist es wahr, daß Ihr Eure Jugend vergraben wollt und die Welt nicht länger Eures Anblicks wert haltet?«

Während ich dieses sagte, schämte ich mich an meinen eigenen Worten, die ich soeben als leere Redensart auch gegen die andere gebraucht hatte, und doch Gott weiß, wie ernst sie mir jetzt waren.

»Ja«, flüsterte das Mädchen fast unhörbar und hob die Augen, die im Dunkeln schwärzlich schienen, flüchtig zu mir auf.

»Nun, Pia«, sagte die Gefährtin, »du darfst deine Stimme wohl hören lassen und dem Meister auch anvertrauen, weshalb du gekommen bist.«

Dem Mädchen trat das Blut in die Wangen. Sie senkte einen Augenblick verschämt und zweifelnd den Kopf, schlug dann den Faltenmantel, der sie anmutig umfloß, auseinander, und ein frischer Blumenstrauß wurde auf ihrer Brust sichtbar.

»Für Ihn!« sagte sie leise und drückte mir die Blumen in die Hand.

Die Tränen traten mir in die Augen, und wären wir allein gewesen, so hätte nichts mich abgehalten, ihre weiche, warme Kinderhand zu küssen. So aber konnte ich nur mit glühenden Wangen einen verworrenen Dank stammeln.

Die Frauen schickten sich zum Aufbruch an, und da ich kein anderes Mittel mehr sah, ihre Gegenwart zu verlängern, führte ich sie vor die neue Gruppe, die sie noch nicht ins Auge gefaßt hatten, weil sie seitlich vom Chor eingetreten waren und das Gerüst den Anblick versperrte.

Die stattliche Frau warf einen erstaunten Blick von dem Bild auf Pia und von Pia auf das Bild, aber das Mädchen stieß einen leichten Schrei aus und errötete tief.

»O Betta!« rief sie ängstlich und klammerte sich ungestüm an den Arm ihrer Begleiterin.

Diese maß mich mit etwas befremdeter Miene und fragte, wie ich zu dieser Ähnlichkeit gekommen sei. Ich lächelte, zuckte die Achseln und berief mich auf die Rechte des Künstlers.

Sie ließ meine Antwort gelten und erzählte, nicht ohne eine gewisse Betonung, daß sie selbst von dem noch berühmteren Ghirlandajo auf einer seiner Fresken im Chor von Santa Maria Novella gemalt sei. »Es ist ein sehr schönes Bild. Ihr mögt es Euch nur ansehen«, fügte sie triumphierend hinzu, indem sie sich erregt mit einem Tüchlein Kühlung fächelte.

Während ich ihr bescheiden versicherte, daß ich den Meister um ein solches Modell noch mehr beneide als um seinen Ruhm, hatte sich Pia als rechte Evastochter der Gruppe doch wieder genähert, aber Betta ergriff ihre Fingerspitzen und rauschte mit ihr majestätisch aus der Türe, die ich ungern vor ihnen öffnete.

Ich war wieder mit meinen Träumen und meinem Zweifel allein. Der Strauß in meiner Hand berechtigte mich zu dem Glauben, daß auch jene ersten Blumen von Pia gewesen, ja und was verwehrte mir bei ihrem edlen Anstand und der feinen Erziehung der Florentinerinnen zu denken, daß die Verse gleichfalls von ihr stammten? Wenn dies aber wirklich der Fall war und ich meine sehnenden Gedanken, die nach zwei Wesen auseinanderstrebten, auf diese eine Gestalt vereinen durfte, dann war ich doppelt unglücklich, denn ich verlor ja beide zugleich, indem das süße Geschöpf, vielleicht als Opfer ihrer Familie, in das Grab der Lebendigen stieg.

Und noch wußte ich nicht einmal, wie sie hieß, noch wo sie wohnte, denn ich konnte ja, ohne zudringlich zu scheinen, nicht nach diesen Dingen fragen. Ich war ihnen zwar, um ihre Spur zu bewahren, eine gute Strecke weit aus der Entfernung gefolgt, aber, unerfahren in solcher Birschjagd, hatte ich sie in dem Straßengewinkel bei Borg'ognissanti aus dem Auge verloren.

Mein Diener Cecchino, ein verschlagener Florentiner, wurde beauftragt, heimlich in der ganzen Stadt nach den beiden Frauen zu forschen, die ich ihm aufs genaueste beschrieb. Ich selber aber hielt mich fest an meinen Pinsel als den Zauberstab, der sich schon einmal bewährt hatte, indem er den Gegenstand meines Verlangens heranzog. Ich malte unermüdlich fort und ließ die Kapelle wieder der Menge erschließen, ob nicht einer oder der andere beim Anblick meiner Gruppe in den Namen derjenigen ausbreche, von der das Frauenbild die Züge trug.

Doch so begeistertes Lob die neue Arbeit fand, niemand schien von einer Ähnlichkeit betroffen zu werden, und auch Cecchinos Nachforschungen blieben erfolglos. Dies verstimmte mich tief, ich warf mir selbst die Torheit vor, die mich trieb, aufs neue einem Schattenbilde nachzujagen, und um mich vor meinem eigenen Mißmut zu stützen, warf ich mich wieder in den Strudel der Weltlust, dem ich kaum entronnen war. Doch ich suchte auch hier die Ruhe vergebens, denn ich besaß nicht Lorenzos unerschöpfliche Natur, die sich immer aus sich selbst verjüngte, und wenn ich ihn im Morgengrauen von einem Bacchanal weg gelassen zum Vorsitz der Platonischen Akademie schreiten sah, so bewunderte ich ihn wohl, aber ich fühlte mich nicht fähig, es ihm auch nur im geringsten nachzutun. Ich geriet in Zwiespalt mit mir selbst und wurde unerträglich reizbar. Da erschien eines Morgens der Sakristan in meiner Wohnung, als ich noch zu Bette lag, und teilte mir geheimnisvoll mit, daß er am vergangenen Abend wieder einen Blumenstrauß und ein beschriebenes Blättchen in der Kapelle gefunden habe, in derselben Weise wie die früheren an der neuen Gruppe befestigt. Er hatte beides mitgebracht, und ich schalt ihn dafür sehr erzürnt aus, als seien die Gegenstände durch seine Hand entweiht. Die Blumen waren von derselben Gattung und genau ebenso zusammengestellt wie der Strauß, den mir Pia überreicht hatte. Dieses Zeichen und der Inhalt des Blattes, den ich heißhungrig verschlang, beseitigten meine letzten Zweifel.

Beneiden muß ich sie, die ihn gerettet,
Die seine pfeildurchbohrte Brust verbunden,
Auch sie beneid' ich, die mit Todeswunden
Den feuchten Leichnam in die Gruft gebettet.

Denn ewig wär' ich ihm wie sie verkettet,
Hätt' er auf seinem Weg auch mich gefunden,
Mit Binden hätt' ich liebend ihn umwunden,
Den Rasen leidvoll über ihm geglättet.

O daß aus Räumen, wo sie heiter thronen,
Ein Gruß nur tröstend zu mir niederstiege,
Um Liebe, die zu spät erschien, zu lohnen!

Dann, wenn ich auch in Nacht gefangen liege,
Wird doch in seinem Licht die Seele wohnen,
Bis ich mich droben ihm zu Füßen schmiege.

Nein, jubelte ich, es ist nicht zu spät für unsere Liebe! Wir brauchen nicht auf droben zu warten – und ein Kraftgefühl durchdrang mich, eine triumphierende Sicherheit, daß mein Wille stark genug sei, um alle Schranken zwischen mir und ihr zu durchbrechen. Wie aber sie finden, wie ihr beistehen, wenn sie sich selbst so ängstlich in Wolken hüllte? Das Blättchen enthielt auch diesmal keinen Namenszug, keine noch so leise Andeutung, die mich auf die Spur der Schreiberin führen konnte.

Doch nun erinnerte ich mich plötzlich an einen Fingerzeig, den ich, weil er nicht von ihr selbst gekommen war, vernachlässigt hatte: Die Fresken im Chor von Santa Maria Novella mußten ja auf die Spur der Geliebten führen, und in einer der weiblichen Gestalten auf der linken Wand meinte ich auch wirklich die stolze Schönheit wiederzufinden, die ich in Begleitung Pias kennengelernt, vorausgesetzt nämlich, daß der Künstler sie zu einer Zeit gemalt habe, als sie noch bedeutend jünger und schlanker war. Da diese Vermutung glücklich zutraf, hetzte ich meinen Spürhund Cecchino auf die gefundene Fährte, die er nicht wieder aufgab, bis er mich eines Tages triumphierend vor das Haus führte, das mein Kleinod umschloß.

Es war eines der hohen Häuser am westlichen Ende von Florenz, die damals noch flußaufwärts die Stadtmauer fortsetzten, ein alter, wunderlicher Bau, dem man ansah, daß ihm gelegentlich nach dem Bedürfnis der verschiedenen Bewohner ein Stück angeflickt worden war, denn ein in der ersten Anlage offenbar nicht geplanter Vorbau vergrößerte das erste Stockwerk und legte sich finster über die Straße heraus. Eine jener luftigen Steinbrücken, deren es in Florenz viele gibt, verband dieses unschöne Gebäude mit einem viereckigen Turm, einem nicht mehr kriegstüchtigen Veteranen, der gewiß einst manchem Sturm Trotz geboten hatte, aber jetzt nur noch ein steinernes Klagelied auf vergangene bessere Tage war. Ein kleiner Garten, fast in der Höhe des ersten Stockwerks zwischen Turm und Wohnhaus eingezwängt, erinnerte an die Zwingergärten alter Feudalsitze; zwei mächtige, dichtbelaubte Steineichen, ein paar Lorbeerbäume vom leuchtendsten Grün und hohe Zypressen, deren Zweige fast schwarz gegen den durchscheinenden Azur standen, machten sich auf dem engen Raum Licht und Boden streitig und drängten ihr Gewirr von Baumkronen bis zu dem einzigen Fenster des letzten Stockwerkes hinauf, das mit der Brücke in Verbindung stand. Aus dem Mauerrand sproßte fette Aloe, Zitronenbäume in Töpfen waren daneben aufgestellt, aber Gras und Farnkräuter drangen aus allen Spalten und gaben dieser Fülle der Natur ein verwahrlostes Ansehen. Von der hohen zerfallenden Brücke hing wucherndes Unkraut herab und mischte sich mit den Baumwipfeln, ein Zeichen, daß dieser Verbindungsgang seit langem außer Gebrauch war. Das Ganze mochte in alten Zeiten, als dieser Stadtteil noch außerhalb der Mauern lag, der stark befestigte Wohnsitz eines Großen gewesen sein; beim Bau der Straße hatte man dann die Überreste, so gut es ging, in die Häuserreihe eingeschlossen.

Die jetzigen Bewohner dieses Hauses waren die Abkömmlinge eines alten, edlen Geschlechtes und hatten ihren Namen unvergänglich in die Geschichte von Florenz eingeschrieben, denn manches ehrwürdige Monument der Stadt trug ihr Wappen oder doch verstümmelte Reste desselben. Ich nenne ihren Namen nicht, da noch ein Zweig der Familie lebt, der sich durch diese Aufzeichnungen, wenn sie je an die Öffentlichkeit drängen, verletzt fühlen könnte. Eine unselige Eifersucht gegen das herrschende Geschlecht trieb sie von Generation zu Generation, an jedem Aufruhr, jeder Verschwörung teilzunehmen, die gegen jene gerichtet war. Wo man die Todfeinde der Medici nannte, da waren die Vorfahren Pias unter den Ersten, und schon mehr als einmal hatten sie diesen Haß durch Verbannung und Verlust der Habe, selbst durch den Tod gebüßt. Sie hatten den alten Cosimo vertreiben helfen und den schwächeren Piero in steter Unruhe gehalten, und bei der letzten blutigen Verschwörung, der Lorenzos junger Bruder zum Opfer fiel, wurde auch Messer Tommaso, Pias Vater, als Mitwisser genannt. Es war noch Gnade, daß ihn Lorenzo, des furchtbaren Blutbades müde, dem Henkerbeil entzog und ihn viele Jahre im Elend der Verbannung schmachten ließ, Gnade war es, daß er dem Alternden endlich die Rückkehr gestattete und auch den Rest der Familie die Luft der Heimat atmen ließ, aber ihr Wohlstand war vernichtet, und in den Herzen blieb der Groll zurück.

Tommasos einziger Sohn Ruggiero stand als Soldführer in venezianischen Diensten und befand sich zur Zeit mit seinen Truppen im Winterquartier. Er war Pias Halbbruder, denn sein Vater hatte sich in vorgerückten Jahren, da er zu Rom in der Verbannung lebte, noch einmal, und zwar mit einem Mädchen niederen Standes, vermählt; dieser Ehe war meine Pia entsprossen, die man frühzeitig für das Kloster bestimmt hatte. Die schöne Betta dagegen, die mit ihrem wahren Namen Isabetta hieß und den anderen Flügel des Hauses bewohnte, war nicht von demselben Blut, sondern eine Stieftochter Tommasos aus erster Ehe, die man, als der Ruin des Hauses hereinbrach, an einen alten gebrechlichen Notar verheiratet hatte.

Ich wollte mir das Haus nun auch von der Rückseite betrachten und ging deshalb durch die Mauerpforte auf die schöne mit Pappeln und Steineichen bewachsene Anlage am Flußufer hinaus, wo im Sommer die Kinder spielten. Jetzt war alles still und öde hier, ich hörte nichts als das Rascheln des gelben Laubes unter meinen Füßen, das Klappern der Mühle und das Schäumen der aufgestauten Arnowasser über das Wehr. Flußaufwärts verengte sich der Raum, die Stadtmauer wendete sich in sanftem Bogen allmählich dem Flusse zu und ging am Ende in die Häuserreihe über, die immer näher an das Ufer heranrückte. Der alte viereckige Turm stand mit seiner Rückmauer schon im Strombett. Von hier gesehen war er höher und machte, durch das Nachbargebäude gestützt, noch einen ganz achtungswürdigen Eindruck, auch das Wohnhaus nahm sich minder trübselig aus, weil die Herbstsonne, die im Wasser glitzerte, sein finsteres Gemäuer mit ihren Strahlen erwärmte. Von der hohen Gartenmauer wuchsen hier die Schlingpflanzen fast bis zum Strombett herab, und die Brücke hoch in den Lüften erschien mit ihren Ranken wie ein zweiter hängender Garten. Kein Zugang führte von hier nach dem Gebäude, dessen Fenster hoch hinaufrückten, und auch der Turm hatte keine andere Öffnung als ein mit Rundbogen geziertes Fensterchen in jedem Stockwerk.

Des ungewöhnlich niederen Wasserstandes wegen hatte sich in diesem Herbst ein schmaler, trockener Streifen am Ufer gebildet, der das Gehen im Flußbett hart an den Häusern hin gestattete und eben jetzt trotz der vorgerückten Jahreszeit von ein paar barfüßigen Weibern zum Einstampfen und Klopfen der Wäsche benutzt wurde. Auf diesem ging ich fort, bis die Häuser aufs neue zurücktraten und einem kurzen Stück Straße Raum gaben, das von einem weidenbewachsenen Erdwall eingefaßt war und bis zu der Carrajabrücke führte. Durch ein kleines Tor zwischen der Brücke und dem letzten Haus, das aber in jenen friedlichen Zeiten nie geschlossen wurde, kehrte man von hier in das Stadtinnere zurück, und oft, wenn schon alles dunkel war, lehnte ich stundenlang auf dem Brückengeländer und spähte nach einem erhellten Fenster in dem alten Hause hinüber. – Heute würde man das alles vergebens suchen, denn bei der Belagerung von Florenz hat die ganze altertümliche Häuserzeile stärkeren Bollwerken den Platz geräumt.

Da ich nur über Frau Isabetta den Weg zu Pia finden konnte, sann ich darauf, mich im Hause des Notars einzuführen. An Mitteln fehlte es nicht, denn ich ging eben damit um, mir ein Landgütchen bei Castello zum Aufenthalt für die heißen Monate zu kaufen, und so ließ ich durch den Notar Salvestro – so hieß Madonna Isabettas Gatte – die Unterhandlung führen. Ich fand ein kleines stotterndes Männchen, das aus Furcht vor Zugluft alle Ritzen seiner Wohnung verstopft hielt und sich beständig fröstelnd die Hände rieb. Der Vertrag wurde aber in einer für mich sehr günstigen Weise abgeschlossen, und die Erledigung des Geschäfts führte ihn bald persönlich in meine Werkstatt, wo er sich aufmerksam umsah und als einen Freund der schönen Künste zu erkennen gab. Ich gewahrte mit Befriedigung, daß Isabetta mir in die Hände arbeitete, denn er bat mich um die Erlaubnis, wiederkommen und auch seine Gattin mitbringen zu dürfen. Es ging alles über Erwarten gut; Isabetta kam und verriet durch keine Bewegung, daß wir uns schon von früher kannten.

 

Ich hatte nicht ohne Absicht das unfertige Bildnis einer stadtkundigen Schönheit auf die Staffelei gestellt; auch sonst enthielt meine Werkstätte manches, was die Neugier einer Frau reizen mochte, denn ich pflegte hier alles zusammenzutragen, was ich an prächtigen und kunstreichen Gegenständen erwerben konnte. Die Kunstgenossen, denen solche Liebhaberei ganz fremd war, hatten mir daher den Spottnamen »die Dohle« gegeben, um damit meinen Hang für alles, was glänzte, und zugleich meine eigene düstere Tracht zu bezeichnen, denn ich kleidete mich immer schwarz, weil meinem mißratenen Körper nur das Einfachste anstand.

Isabetta betrachtete das Bild auf der Staffelei und sagte seufzend: »Welches Glück für eine Frau, von einem Meister wie Ihr gemalt zu werden. Das heißt eine ewige Jugend empfangen, denn sie darf sicher sein, daß man noch nach vielen Jahrhunderten ihre Reize bewundern wird.«

»Und wer wäre in dieser Hinsicht beglückter als Madonna Isabetta, die durch einen der Größten verherrlicht ist!«

»Es ist wahr«, antwortete sie lächelnd, »aber unsere Florentiner wissen nicht alle Vorteile zu nützen. Sollte man nicht nach ihnen glauben, eine schöne Frau bestehe nur aus Angesicht und Faltenwurf? Ihr habt da eine neuere Manier mitgebracht, die mir viel besser gefällt!«

Der Notar hüstelte und machte eine ängstliche Gebärde, aber die Wendung des Gespräches legte mir ganz von selbst die Bitte in den Mund, Frau Isabetta malen zu dürfen. Sie ging mit Freuden auf den Vorschlag ein, nur Salvestro brachte Schwierigkeiten vor, die ich aber rasch beseitigte, indem ich zu verstehen gab, daß ich das Bild ihm überlassen und mich durch die Ehre hinlänglich belohnt halten würde. Ich verbrachte nun täglich ein paar Stunden im Hause des Notars, denn Salvestro hatte die Bedingung gestellt, daß ich bei ihm malen müsse, weil meine Werkstatt zu zugig sei, und ich war völlig mit ihm einverstanden. Ich fand bei gutem Willen in der etwas trüben Wohnung ein leidliches Licht, und voll stiller Hoffnungen begann ich die Arbeit. Der Notar, der mich zuerst ein wenig unruhig betrachtete, faßte bald ein völliges Vertrauen, denn meine Ehrerbietung und Zurückhaltung gegen die schöne Frau waren musterhaft. Sie selber gab mir manches ermunternde Zeichen, aber ich trat nicht aus meiner Rolle des stummen Verehrers heraus, dagegen tat ich alles, was ich konnte, um ihr gefällig und angenehm zu sein. Ich wagte sogar von Zeit zu Zeit ein Geschenk, wie einen schöngewirkten Gürtel mit juwelenbesetzter Agraffe oder ein künstlich geschnitztes Nadelkästchen aus Elfenbein, lauter Dinge, bei denen die Kunst der Arbeit den Wert des Stoffes in den Hintergrund stellte. Doch das Alleinsein unter vier Augen, welches sie gelegentlich herbeiführte, benützte ich nur zu eifrigem Malen, so daß sie sich gewiß im stillen über den schüchternen Anbeter wunderte. Sie nötigte mich, von dem glänzenden Treiben am Hof Lorenzos zu erzählen, und flocht manchen bitteren Seufzer über ihr klösterliches Dasein in meine verführerischen Schilderungen ein, sie dagegen sprach von ihrer Jugend, ihren Familienverhältnissen, und ich erfuhr so ohne zu fragen manches, das mir zu wissen lieb war. Als sie ihrer Stiefschwester, der Novize, Erwähnung tat, fragte ich ganz beiläufig, warum man nicht vorgezogen habe, das Mädchen zu vermählen.

»Was wollt Ihr?« war die Antwort. »Die Ungnade der Mächtigen ist keine gesuchte Mitgift. Es wurden auch nicht viel Umstände gemacht, als man mich weggab, und ein Kloster ist vielleicht noch besser als so.«

Aus meinem Bilde machte ich diesmal eine wahre Penelopearbeit. Ich malte und plauderte, plauderte und malte und änderte dabei beständig an dem Gemälde herum, daß Salvestro, dem der Ruf von mir erzählt hatte, ich sei nötigenfalls imstande, ein Bildnis in einer Stunde fertig zu machen, mir gelegentlich auf zarte Weise zu verstehen gab, ich möchte doch nicht so viel von meiner kostbaren Zeit dieser Sache opfern. Ich aber sagte lachend: »Als Kenner, der Ihr seid, wißt Ihr auch, daß wahrhaft gute Bilder niemals fertig werden.«

Da es nun eine der wenigen Lebensbefriedigungen des guten Männchens war, für einen Kunstkenner zu gelten, so hütete es sich wohl, anderer Meinung zu sein als ich. Ich hatte bei näherer Betrachtung die Gewißheit erlangt, daß die schöne Isabetta mir ganz bedeutend ins Handwerk pfuschte, denn die Farbe der Haare, der Wangen und der Lippen war nicht echt, und solche Kunstgenossenschaft minderte meine Freude an der Arbeit beträchtlich, aber ich nahm all mein Wollen und Können zusammen, um sowohl die eitle Frau selbst als auch ihren ängstlichen Gatten zu befriedigen, ich setzte ihre üppigen Reize in das hellste Licht, ohne doch der Bescheidenheit etwas zu vergeben.

Was ich erwartete und lange vorbereitet hatte, geschah. Salvestro und Isabetta waren beide so entzückt von dem Gemälde, daß sie die ganze Verwandtschaft zusammenriefen, um es bewundern zu lassen, und eines Tages, als ich eben die letzte Hand darin legte, erschien Isabettas Stiefvater selbst, ein schöner Greis mit regelmäßigem Gesicht und weißem Bart, derselbe, den ich einst auf der Straße an Pias Seite gesehen hatte. Salvestro mußte ihm schon viel Gutes von mir berichtet haben, denn er sprach mich vertraulich wie einen alten Bekannten an und drückte mir sein höchstes Wohlgefallen aus. In ihm fand ich einen wirklichen Kenner meiner Kunst, und es bedurfte wenig Zutun von meiner Seite, um in ihm den Wunsch zu erwecken, auch seine jüngere Tochter von mir gemalt zu sehen. Ich unterdrückte den Jubel meines Herzens und antwortete auf seine Frage, welchen Preis ich stellen würde, bescheiden, daß ich mit jeder Bezahlung zufrieden wäre und glücklich, dem Schwiegervater Salvestros, für den ich große Verbindlichkeiten hätte, einen Dienst zu leisten. Der Preis komme gar nicht in Betracht, denn das Porträtmalen sei für mich eine Erholung von meinen andern Arbeiten. Isabetta schlug vor, die Sitzungen in ihrer Wohnung abzuhalten, da bei Herrn Tommaso nicht das rechte Licht zu finden sei, und ich erklärte mich bescheidentlich mit allem einverstanden.

Als mir endlich Pia wieder leibhaftig gegenüberstand, überfiel mich die Fremdheit, die noch zwischen mir und ihr herrschte, mit solcher Macht, daß mir war, als würden durch die Nähe Welten zwischen uns geschoben. Sie ließ sich so wenig wie Isabetta von unserer früheren Begegnung etwas merken, aber sie zeigte auch nichts von jenem heimlichen Einverständnis, mit dem mir die ältere Schwester von der ersten Stunde an entgegengekommen war, und wenn ich ihre stille, ganz in sich verschlossene Miene sah, so mußte ich mich fragen, ob sie es denn auch wirklich sei, die mich so mächtig herbeschworen.

Erst als ich den Pinsel in der Hand hatte, wurde ich Herr meiner selbst und gewann den Mut, das schöne Wesen frei anzublicken und dem Köpfchen, das jedem Wink gehorchte, seine Haltung vorzuschreiben. Aber ich suchte durch kein noch so verstecktes Zeichen ihr zu sagen: Hier bin ich, gebiete über mich. Ich dachte, meine Gegenwart müsse ihr ja beweisen, daß ich ihren Ruf verstand und bereit war, alles für sie einzusetzen.

Ohnehin waren Herr Tommaso und Isabetta immerwährend zugegen, und die letztere verwandte kein Auge von mir. Der alte Herr sah bei der Arbeit zu, lobte und tadelte auch zuweilen mit verständigen Worten, daß es eine Freude war, ihn zu hören. Aus seinem ganzen Wesen sprach, mich tief bewegend, die Zärtlichkeit für dieses Kind, das ihm zur Wonne seines Alters geboren war und das er nun bald auf immer missen sollte. Zuweilen nickte er ein wenig im Lehnstuhl ein, das schöne, rein umrissene Haupt mit dem langen weißen Barte auf die Brust senkend; wenn er dann plötzlich auffuhr, hatte er die kleine Schwäche, zu versichern, daß er nicht geschlafen, sondern jedes Wort gehört habe. Am liebsten sprach er mit mir von Rom, wo er auch Herrn Latino gekannt hatte, als ich noch ein Kind war, und er erinnerte sich jener Zeiten mit Freude und Dankbarkeit, hatte er doch dort sein zweites Lebensglück gefunden.

Zur Pestzeit nämlich, als man sich der Seuche nicht mehr erwehren konnte, hatten sich die Frauen und Mädchen Roms zusammengeschart und zogen mit einer Fahne, darauf der heilige Sebastian gemalt war, durch die Straßen unter Gesang und Anrufung des Heiligen, daß er mit seinem ausgebreiteten Gewand die Pfeile des Verderbens abwehre. Pias Mutter, als eine der Jüngsten und Schönsten, durfte die Fahne tragen, und bei dieser Prozession sah sie Herr Tommaso zum ersten Male. Der Heilige erhörte die Bitte, und von Stund an erlosch die Pestilenz, einen andern Pfeil aber konnte er nicht entkräften, nämlich den, der Herrn Tommaso aus den Augen des schönen Mädchens getroffen hatte. Der Alternde folgte der Jungen in ihre Wohnung und warb um sie, die nicht von seinem Stande war, ihm aber die Bitterkeit des Exils in ein neues Jugendglück verwandelte und deren frühen Verlust er niemals aufhörte zu betrauern.

Bei Nennung des heiligen Sebastian war über Pias Wangen eine tiefe Glut gezogen, und aus ihren halbgesenkten Augen traf mich ein zitternder Strahl.

»Ihr habt allen Grund, diesen Heiligen zu ehren«, sagte ich mit Betonung, sie fest anblickend, aber sie antwortete nicht, und ihr Vater begann sich nun sehr lobend über meine Sebastiansfresken zu verbreiten, von denen er die beiden ersten gesehen hatte.

Was ich nicht aussprechen durfte, das sagte ich nun der Geliebten Tag für Tag mit dem Pinsel. Ich begnügte mich nicht mit der Ähnlichkeit der Züge, sondern legte Pias ganze Seele, wie ich sie ahnte, in das Bild hinein und gab dem Gemälde eine innere Leuchtkraft, neben der all meine anderen Bildnisse nur Farbenkleckse waren. Die Augen hatten etwas Hilfesuchendes, wie wenn die gefesselte Seele um Erlösung flehte, aber um den Mund schwebte ein kaum wahrnehmbares Lächeln, eine ferne, ahnungsvolle Glücksverheißung. Die zarte Gestalt blieb ganz unter den dunkeln Gewändern verborgen, nur der Ansatz des Kopfes, der blumenhaft wie auf schlankem Stengel saß, und die zarte, anmutige Linie, mit der der Hals in den Nacken überging, waren noch sichtbar, die dunklen Haare von spielenden Lichtern vergoldet, einfach gescheitelt und aufgesteckt. Ich änderte nichts, denn alles war Offenbarung, da es aus meinen verliebten Augen unmittelbar in den Pinsel floß, aber der Sitzungen wurden viele, und sie dauerten lang. – Der Notar bemerkte zuweilen, indem er sich die Hände rieb: »Ich sag es ja, die wahrhaft guten Bilder werden überhaupt nicht fertig.«

Endlich fand sich doch ein Augenblick, wo ich dem Mädchen unter vier Augen gegenübersaß, denn Herr Tommaso, der uns für heut allein Gesellschaft leistete, hatte die seinigen wieder einmal zu friedlichem Schlummer geschlossen. Sobald ich seine gleichmäßigen Atemzüge vernahm, beugte ich mich gegen das Mädchen vor und sagte leise: »Ihr seid mir nicht mehr böse, Madonna?«

Sie hob die großen Augen erstaunt gegen mich auf und fragte: »Worüber?«

»Weil ich für die Sebastiansgruppe Eure Züge stahl!«

»Was sagt Ihr nur?« flüsterte sie verwirrt. »Ich muß Euch ja dankbar sein, daß Ihr mich wert hieltet, in Eurer Kunst fortzuleben.«

»Und doch gingt Ihr damals zürnend fort und ließt mich in Schmerzen zurück.«

»Nicht zürnend«, stammelte sie – »ich war nur ins tiefste Herz erschrocken, als Ihr mir mich selbst zeigtet mit dem entseelten Märtyrer auf dem Schoße, denn es war mir, als hättet Ihr meine eigenen Gedanken gemalt.«

Ich wußte nicht recht, was sie damit sagen wollte, aber ich hatte den Pinsel weggelegt und hörte ihr zitternd zu. Ich schielte nach Herrn Tommaso hinüber; der schlummerte im Lehnstuhl ruhig fort. Da zog ich die Sonette aus dem Busen, die ich immer hier verborgen trug, faßte ihre Hand, die sie mir mit einem tiefen Blick vertrauend überließ, und fragte stammelnd, wer sie solche Worte gelehrt habe, die mein Herz unentrinnbar umstrickten, daß es ihr folgen müßte, wohin sie auch ginge.

Sie war tief erglüht und antwortete verwirrt, ohne die Verse abzuleugnen, sie sei es gewohnt, so vor sich hinzuträumen, das füge sich zuweilen von selbst zum Reim.

»Die Einsamkeit hat mich das gelehrt – denn, wenn ich sprechen soll, so kann ich nicht ausdrücken, wie ich's fühle, aber in Reimen kann ich alles frei heraussagen.« – Dabei blickte sie mich ernst und hingebend an.

Es schien mir nur natürlich, daß sie keine andere Sprache hatte als die Poesie, denn in ihrer zarten unirdischen Schönheit glich sie in diesem Augenblick einem Wesen von höherer Art.

Ich lag auf meinen Knien und bedeckte ihre Hand mit Küssen: »Ich habe alles verstanden, Pia«, jubelte ich, »auch was Euer Mund nicht sprechen kann –« aber ehe ich fortfahren konnte, hatte sie mir ihre Hand entrissen, ich hörte ein Geräusch hinter mir, und mich umblickend, gewahrte ich Herrn Tommaso, der sich die Augen rieb und mich verwundert ansah.

Ich stotterte, daß ich meinen Pinsel gesucht hätte, der mir allerdings entfallen war und neben Pias Stuhl am Boden lag.

Der alte Herr versicherte aber diesmal nicht, er habe alles gehört, sondern sagte: »Ich muß etwas geträumt haben.«

Dieser Vorgang spielte sich nicht in Salvestros Räumen, sondern in meinen eigenen ab. Ich hatte nämlich darauf bestanden, Pias Bildnis, welches das Entzücken der ganzen Verwandtschaft war, in meiner Werkstätte fertig zu malen, weil bei den kurzen, trüben Wintertagen das Licht in der düsteren Wohnung Salvestros zusehends schwand. Ich verfuhr dabei nach dem Grundsatz Cäsars, der den Feind zu trennen rät, denn ich war der ewigen Gegenwart Isabettas müde und meinte, den entscheidenden Augenblick nicht länger verschieben zu dürfen. Freilich fand ich mich eine Zeitlang in meinen Hoffnungen getäuscht, denn Isabetta, die sich zu Hause langweilte, machte sich's zur Aufgabe, die Schwester täglich zu begleiten, eine überflüssige Aufsicht, da der Vater selbst uns nie verließ.

Die letzten Sitzungen fielen gerade in den Beginn des Karnevals, der in diesem Jahr mit unerhörtem Aufwand und einer noch nie dagewesenen Pracht der Schauzüge gefeiert wurde. Lorenzo hatte mein Talent für pomphafte Schaustellungen und Dekorationen erkannt und überließ mir den Entwurf des Bacchuszuges, für den er selbst die unvergänglichen Verse gedichtet hatte. Die besten Architekten und Maschinisten, Maler und Musiker arbeiteten im Wettstreit Tag und Nacht, diese um den Teilnehmern die Chorgesänge einzuüben, jene um Schmuck und Gewänder auszuwählen, andere um die wunderbar künstlichen Maschinen zu fügen, aus denen schwebende Genien einen Blumenregen und lebendige Amoretten ihre Pfeile in die Menge streuen sollten. Ich war die Seele all dieser Erfindungen, und das laute, fieberhafte Treiben füllte die Zeit aus, die ich fern von Pia verbrachte, und beschwichtigte doch ein wenig meine verliebten Qualen.

Nun hatte ich, um der schaulustigen Isabetta und ihrer ganzen Verwandtschaft gefällig zu sein, das Dach meines Hauses durchbrechen und zu einer Art Terrasse umschaffen lassen, von wo aus der Festzug, der in der Via Larga vom Mediceerpalast seinen Ausgang nahm, bequem zu überschauen war. Denn wer keine Fenster nach einer der Hauptstraßen hatte, der mußte auf das Schauspiel verzichten, weil es in diesen Tagen lebensgefährlich war, sich unter die Menge zu wagen. So machten Isabetta mit ihrer ganzen Sippe und ihrer Freundschaft gern von meiner Terrasse Gebrauch, mit Ausnahme Salvestros, der sich zu erkälten fürchtete.

Ich selber aber war mit Pia und ihrem Vater in der Werkstätte zurückgeblieben, um das gute Licht noch zu benützen, wobei sich der Auftritt zutrug, den ich eben geschildert habe.

Das Jauchzen und Händeklatschen der Gesellschaft hallte bis zu uns herunter und mischte sich mit den dröhnenden Trompeten und den schrillen Pfeifen auf der Straße, die den Beginn des Schauzugs verkündeten.

Von der Werkstätte aus konnte man denselben nicht sehen, da die Fenster nach Norden gingen, deshalb kam Isabetta herabgestürzt, um uns auf die Terrasse zu holen. Für mich war es nun ein rechter Frondienst, die ganze Anordnung des Zuges zu erklären, den Pantherwagen mit der hochthronenden üppigen Frauengestalt und dem weinseligen Gotte, die springenden Bacchanten und taumelnden Silene mit ihrem Gefolge von Nymphen und Faunen, und was sonst meiner eigenen erfinderischen Phantasie entquollen war, was mich aber jetzt in meiner seligen Weihestimmung fast anwiderte.

Die beginnende Dunkelheit mahnte meine Gäste an die Heimkehr, aber eine dicht zusammengeknäuelte Menschenmasse, vor- und rückwärts wogend, ohne sich vom Platze zu bewegen, füllte die Straßen, die nach dem Dom führen. Aus den Fenstern ergoß sich ein ununterbrochener Regen von Blumensträußen, Orangen und Konfekt, als sei Florenz in ein einziges umgestürztes Horn des Überflusses verwandelt. Die Gassen waren ein Pandämonium von tanzenden Masken, fackelschwingenden Reitern, geschmückten Schauwagen und brüllenden Zuschauern, die mit ihrem Lärm das Himmelsgewölbe erschütterten.

Ich führte deshalb die Gesellschaft durch eine Hintertür und einen Garten nach menschenleeren Seitengassen, von wo ein jeder ungefährdet seine Wohnung erreichen konnte, aber hier ließ Herr Tommaso Isabetta und Pia ein wenig vorausgehen und hielt mich bei der Hand zurück.

»Ich habe heute einen sonderbaren Traum gehabt, mein Lieber«, sagte er leise. »Ich bin auch jung gewesen und weiß, wie das Herz mit jungen Leuten durchgeht, aber ich will nicht, daß solche Träume sich wiederholen, deshalb muß ich dich ersuchen, Pias Bild aus dem Gedächtnis fertig zu malen.«

Mir war bei den ersten Worten der Atem ausgeblieben, jetzt riß er sich mit einem lauten Schluchzen los, das wie ein Schrei klang.

»Was ist dir?« fragte der alte Herr bestürzt.

Ich antwortete nichts als: »Ihr tötet mich!«, aber ich sagte es in einem Ton so aufrichtiger Verzweiflung, daß er sich rühren ließ und mich fragte, ob ich denn das Mädchen wahrhaft zu lieben glaube.

Da gestand ich ihm alles – soweit es mich allein betraf –, wie ich seine Tochter zum ersten Male gesehen und wie mich ihre Gestalt von da an als mein eigener Genius umschwebt und zu meinem besten Schaffen befähigt habe, ich sagte ihm, daß ich nur um ihretwillen Isabettas Bild gemalt und daß sein eigenes wohlwollendes Entgegenkommen eine Hoffnung in mir genährt habe, ohne die ich das Leben nicht mehr ertragen könne.

Er schien von meiner Beichte bewegt, zumal ich nicht versäumte, ihn an die Zeit zu erinnern, da er um Pias Mutter warb, eine Mahnung, die, wie ich wußte, in sein Herz drang. Er fragte, ob ich denn nicht wisse, daß seine Tochter Novize sei; ich mußte dies bejahen, gestand aber, daß ich aus Andeutungen ihrer Schwester zu entnehmen geglaubt, man würde nicht verschmähen, sie zu vermählen, wenn sich eine passende Gelegenheit fände. Ich wisse wohl, daß mich meine Herkunft nicht berechtigen würde, die Augen zu seiner Verwandtschaft zu erheben, aber ich glaube, mir durch mein Talent eine ehrenvolle Stellung in der Stadt erworben zu haben und sei gewiß, daß es angesehene Männer gebe, die mir die Hand ihrer Töchter nicht weigern würden.

Herr Tommaso versank in längeres Sinnen und sagte endlich: »Es ist wahr, daß wir bei der Versorgung unserer Töchter nicht wählen können wie so viele andere, und es ist auch wahr, daß ich mich mit Schmerzen auf immer von meinem Kinde trenne. Aber ich muß dir gestehen, daß ich, wenn die Dinge anders ständen, niemals eingewilligt hätte, sie einem Maler zur Frau zu geben. Wenn du nach dieser freimütigen Erklärung auf deiner Werbung beharrst, so magst du dir dieser Tage die Antwort holen.«

Ich versicherte mit freudeklopfendem Herzen, daß ich mit seiner Erklärung völlig einverstanden sei und Pias Hand als eine unverdiente Gunst von ihm empfangen werde, für die ich bereit sei, mit meinem Leben zu danken.

Der alte Herr schien mit meiner Versicherung zufrieden, und ich wagte kaum zu atmen, um nicht aus meinem seligen Traum zu erwachen.

Nachdem wir eine Weile schweigend nebeneinander hingegangen waren, fragte er, aus Gedanken auffahrend: »Hast du den Dominikanermönch schon predigen hören?« Ich verneinte beklommen.

»Es ist wahr, er ist ein großer Redner«, fuhr Herr Tommaso fort, »aber ich bin alt, ich nehme nichts Neues mehr auf. – Mein Sohn Ruggiero ist einer seiner glühendsten Anhänger.«

Und wie mit sich selber sprechend, setzte er hinzu: »Es will mir nicht gefallen – ich fürchte, es ist nur, weil sie einen Haß, nicht weil sie eine Liebe haben.«

Als wir in der Nähe seines Hauses waren, sagte er plötzlich: »Ich will heute noch mit dem Mädchen sprechen, und dann mag Salvestro den Kontrakt aufsetzen. Geschehene Dinge müssen recht sein.«

Also war ich der Antwort sicher, und aus der vertraulichen Mitteilung über seinen Sohn durfte ich schließen, daß er mich bereits als ein Familienmitglied betrachtete.

Ich mußte die Seligkeit, die mir fast den Busen sprengte, durch das Stadttor in die freieren Lüfte tragen. Dort stand ich lange auf dem Flußdamm bei den Weiden, bis ich Pias Fenster sich erhellen sah und mir sagte, daß jetzt wohl die Unterredung mit dem Vater vorüber sei.

Kanonendonner und der tausendstimmige Jubelruf Palle! Palle! zerrissen die Luft, als über den schwarzen Häusermassen sieben feurige Kugeln, das mediceische Wappen bildend, langsam in die Höhe stiegen und eine flammende Palme ihre Funken bis hinauf zu den Gestirnen warf, die groß und ruhig niedersahen.

Ich saß in dieser Nacht noch lange in meinem Stübchen, zu dem nur ein kleines Stückchen Sternenhimmel hereinblickte, ohne ein Licht anzuzünden, und die Türe hatte ich auch verriegelt, damit mir nicht plötzlich eine Schar angetrunkener Masken hereinstürme und die stille Seligkeit meines Busens entweihe. Denn selbst bis in meine enge Gasse wälzte sich die nächtliche Orgie, die bis zum Morgen fortdauerte. Der Schöpfer des Bacchuszuges drückte unterdessen seinen Kopf in das einsame Kissen und träumte von der süßen, reinen Blume, die er durch die Macht seines Pinsels erworben zu haben glaubte. Aber durch die wonnevollsten Visionen hindurch klang immer wieder von unten herauf das warnende Ritornell des Bacchusliedes:

Di doman non c'è certezza!Was morgen sein wird wissen wir nicht

Salvestro erschien des andern Tages bei mir und zeigte sich von allem unterrichtet. Er kam, um die Bedingungen der Heirat in trockener Weise zu erörtern, und ich zeigte ihm meine Bücher, welche zur Genüge bewiesen, daß ich imstande war, eine Familie auf mehr als anständigem Fuße zu erhalten. Der Notar schied sehr befriedigt von mir, nachdem er erklärt hatte, daß er alle Schwierigkeiten für beseitigt halte und Messer Tommaso unverzüglich Mitteilung machen werde. Er ließ mich dabei durchblicken, welche Vorteile er von der neuen Verbindung für die ganze Familie erhoffe, und ich verstand wohl, was er meinte. Denn er hatte vordem ein öffentliches Amt besessen, das ihm gelegentlich seiner Heirat mit der Tochter eines Verbannten durch allzu diensteifrige Kreaturen Lorenzos entzogen worden war, und bei dieser Gelegenheit war er auch um eine Summe rückständigen Gehaltes gekommen, die er nie wieder erlangen gekonnt. Die Schuldforderung hoffte er durch meine Fürsprache bei Lorenzo selbst schon lange einzutreiben, und da ich den festen Vorsatz hatte, mich niemals in etwas zu mischen, das einer Staatsangelegenheit nur von ferne ähnlich sah, bat ich ihn, die Summe einstweilen als Vorschuß von mir anzunehmen, bis sich die Gelegenheit finde, seinen Ansprüchen Geltung zu verschaffen.

 

Wiewohl Herr Tommaso wünschte, die Verlobung geheimzuhalten, so war doch schon am selben Tage die ganze Verwandtschaft davon unterrichtet, und einer um den anderen kam, mir seine Freude zu bezeigen und aus meiner Vertrauensstellung bei Lorenzo irgendeinen Vorteil für sich zu erhaschen.

Herrn Tommaso sah ich in dieser Zeit nur ein einziges Mal und in seiner eigenen Wohnung, die ich damals zuerst betrat. Er empfing mich väterlich und ließ mich von meiner Jugend und Erziehung erzählen. Dabei fiel mir eine große Blässe und Müdigkeit in seinen Zügen auf, die mich bekümmerte, und mitten im Sprechen senkte er den weißen Kopf auf die Brust und entschlief. Noch schwebte mir die lange Halle im ersten Stockwerk vor, mit einem Fenster nach dem Flusse und dem anderen nach dem Gärtchen, zu dem von hier wenige Stufen hinabführten. Schwere, wurmstichige, aber schön geschnitzte Tische und Stühle bildeten das einzige Mobiliar, an der Wand hing eine Reihe Ahnenbilder von mittelmäßiger Arbeit, aber lauter edle, schöngeschnittene Gesichter, die Männer mit einem Zug von Gewaltsamkeit, der auf rasche Taten schließen ließ. Viele unter ihnen zeigten jene herabgezogenen Mundwinkel, die ich zuerst an Pia bemerkt hatte und die ein Abzeichen des Geschlechts zu sein schienen; diese hatten alle in der Blüte der Jahre gewaltsam geendet, einige davon auf dem Blutgerüst.

Ich blickte von diesen melancholischen Gesichtern weg auf den Schläfer, dessen greises Haupt ein Strahl der westlichen Sonne verklärte, der einzig lichte Punkt in dem düsteren Gemach. Sein Gesicht schien von dem traurigen Abzeichen übergangen zu sein, vielleicht war es auch nur durch den dichten Bartwuchs verborgen.

Als er aufwachte, fuhr er in demselben Gedankengang fort, bei dem ihn der Schlummer überrascht hatte, und schien von der Unterbrechung nichts zu wissen.

Pia bekam ich nicht zu Gesichte, und die Bescheidenheit verbot es, ihren Anblick zu suchen.

Als ich nach einigen Tagen wiederkam, fand ich zu meinem höchsten Erstaunen die Treppe im Hof, die zu Tommasos Räumen führte, durch einen bewaffneten Bengel von soldatischem Ansehen und mit häßlichen, scheelen Augen gesperrt, der mir mit barschem Gebaren den Zugang wehrte. Auf meine Frage nach Messer Tommaso antwortete er kurzweg, der alte Herr sei nicht zu sprechen, und pfiff, sich gegen die schräg aufgestemmte Hellebarde lehnend, laut und höhnisch vor sich hin.

Mir ahnte Unheil, und da er auf mein gütliches Zureden nicht achtete und ganz danach aussah, als sei er gesonnen, gegen einen Wehrlosen Gewalt zu brauchen, eilte ich die freie Treppe zu Salvestros Wohnung hinauf, um mir eine Erklärung auszubitten. Ich fand aber nur Isabetta, die ich seit jenem Karnevalstag nicht wieder gesehen hatte und dir mir jetzt im heftigsten Zorn den Rücken wandte.

Ich bat und beschwor sie, mir zu sagen, was vorgehe, konnte aber nichts anderes erfahren, als daß ich ein sitten- und gewissenloser Mensch sei, der sein Gewerbe mißbrauche, um sich in ehrbare Familien einzuschleichen und Hader und Verwirrung zu stiften.

Endlich erschien Salvestro ganz zusammengedrückt und noch kleiner als sonst, er stimmte in die Litanei seiner Frau ein und stotterte: »Ich – ich sagte es Euch ja, es tut nicht gut.«

»Aber was um aller Heiligen willen ist denn geschehen?« rief ich außer mir.

Nun erfuhr ich, daß den Abend zuvor ganz unerwartet Ruggiero eingetroffen sei, niemand wisse, aus welcher Veranlassung. Er sei aber eben recht gekommen, um die Zügel der Hausregierung zu ergreifen, da er seinen Vater in einem Zustand tiefer Schlafsucht gefunden habe, aus dem der alte Herr nur vorübergehend durch die Reizmittel der Ärzte zu erwecken sei, und man sehe wohl, daß es rasch zu Ende gehe. Ruggiero habe, voll Grimm über die geplante Heirat, sofort den aufgesetzten Kontrakt zerrissen, und er, Salvestro, sei beauftragt, mir dies in bündiger Form mitzuteilen und alle meine weiteren Schritte im voraus für nutzlos zu erklären.

Den Grund dieser Gewalttat konnte oder wollte mir Salvestro nicht nennen, und ich bestürmte ihn vergeblich, einen lichten Augenblick zu benützen und gemeinsam mit mir den Kranken zu einer klaren Äußerung seines Willens zu vermögen. Der Notar zitterte bei dem bloßen Gedanken an einen Streit mit Ruggiero und versicherte, der alte Herr sei gar nicht mehr imstande, einen Willen zu haben, geschweige denn ihm Geltung zu verschaffen.

Trostlos verließ ich das Haus, das ich mit so stolzer Zuversicht betreten hatte. – Noch desselben Tages erschien jener Bursche mit den frechen, schielenden Augen in meiner Werkstätte, verlangte im Namen Ruggieros, daß ich ihm das bestellte Bildnis seiner Schwester ausliefere und meine Forderung dafür nenne, ich geriet aber in solche Wut, daß ich den Ungezogenen ohne weiteres zur Türe hinauswarf. Ich machte jetzt bei den Verwandten die Runde, die sich mir so freundlich genähert hatten, und bat um ihren Beistand, aber ich fand überall verlegene Gesichter oder gar geschlossene Türen, denn Ruggiero schien auf alle einen Bann zu üben, der selbst ihren Eigennutz zum Schweigen brachte.

Und dazu wie ein Hohn auf meine Verzweiflung der wilde Mummenschanz, der immer weiter tobte und mir als seinem Vater huldigte. Täglich neue Umzüge, Jubel und Gesang in meiner Gasse, wobei ich die Fenster verhängte, um nichts zu sehen noch zu hören.

Einmal, während ich so zu Hause saß, trat ganz plötzlich Ruggiero in meine Werkstätte. Auch wenn er seinen Namen nicht genannt hätte, würde ich ihn an der Ähnlichkeit mit Vater und Schwester erkannt haben, vor allem an dem Schnitt des Mundes, der den Familienzug besonders deutlich trug. Ihm allein eigen waren nur die dichten, zusammengewachsenen Augenbrauen, die ihm ein gewaltsames Ansehen gaben und die ich nur bei einem einzigen seiner unglücklichen Vorfahren so gefunden hatte.

Er teilte mir mit trockenen Worten mit, daß der alte Herr Tommaso das Zeitliche gesegnet habe, und daß er gekommen sei, die Verpflichtungen seines Vaters einzulösen. Er ersuche mich also, ihm das Bildnis seiner Schwester auszuliefern und jeden beliebigen Preis dafür zu fordern. – Unsere besonderen Beziehungen und das inzwischen Vorgefallene berührte er mit keinem Wort.

Ich bezwang mich und erwiderte ebenso ruhig, daß ich dem Sohne des edlen Toten zu jedem Dienst verpflichtet sei, daß ich aber die Arbeit nicht aus den Händen geben könne, bevor sie mein eigenes Gewissen befriedige, wozu noch eine weitere Sitzung nötig sei.

Doch diese List verschlug mir nichts, Ruggiero strich sich mit der Hand über das durch eine mächtige Narbe verunzierte Gesicht und sagte: »Ich weiß wohl, daß es bei Malern Brauch ist, niemals fertig zu werden, aber einmal müßt Ihr ja doch ein Ende machen, also gebt nur her.«

Während wir so stritten, hatte er mit seinen Falkenaugen das von einem Vorhang halb verdeckte Bildnis erspäht, er langte es ohne weiteres von der Staffelei und trat damit zum Fenster. Das süße Gesicht leuchtete aus dem dunkeln Hintergrund mit seinem unergründlichen Liebreiz um den ernsten, geschlossenen Mund und schien für seinen Maler zu bitten.

Auch Ruggiero verstand die stumme Gewalt der unwiderstehlichen Augen, es ging etwas Mildes durch seine herben Züge, und er sagte: »Das ist trefflich gemalt, ich kann Euch meine Anerkennung nicht versagen.«

»So müßt ihr auch erkennen, lieber Herr, daß dies keine Arbeit, die man beim ersten besten bestellen und sie ihm mit Geld vergüten kann. Ein solches Bild konnte nur malen, wer Eure Schwester höher schätzt als sein eigenes Leben, und es ward begonnen unter der stillschweigenden Bedingung, daß ich es nur aus den Händen geben würde, um das Urbild dagegen zu empfangen.«

»Genug und übergenug von diesem Gegenstand!« antwortete Ruggiero finster und wandte sich der Türe zu.

»Meine Schwester darf zwischen uns gar nicht mehr genannt werden. Ihr kennt unsern Entschluß. Und morgen werde ich zu Euch schicken und noch einmal fragen, was Eure Bedingungen sind wegen des Bildes, denn es kann mir nicht gleichgültig sein, die Züge meiner Schwester in fremden Händen zu lassen.«

Er wollte gehen, doch ich hielt ihn auf.

»Ihr müßt wissen, daß Drohungen hier gar nichts nützen, aber für Eure Freundschaft hätte ich jedes Opfer gebracht. Sprecht ein gutes Wort, so ist das Bild Euer.«

»Ich drohe nicht, ich bin kein Händelsucher, sonst würde ich anders reden, aber ein Freund meiner Feinde kann nicht der meine sein.«

Ich trat ihm lebhaft näher.

»O möchtet Ihr eine Seele nicht zurückstoßen, die sich Euch so herzlich zu verbinden wünscht! Gleich als ich hierher kam, hat mir das Herz geblutet, Euer edles Wappen geschändet zu sehen. Und doch wäre alles gutzumachen, wenn Ihr nur wolltet.«

Ruggiero trat ein wenig zurück und maß mich von Kopf zu Fuße. Ein stolzes Lächeln ging über seinen Mund.

»Und wenn Ihr Lorenzos rechte Hand wäret, hier ist niemand, den nach den Gnaden Eures Gebieters lüstet. Wißt, daß seine Ahnen sich bescheiden in ihre Buden gedrückt haben, wenn die meinigen über den Platz ritten. Und wir sollten ihn um Wohltaten angehen? Nein, ihn frei und offen hassen zu dürfen, ist alles, was wir von ihm wünschen, sagt ihm das!«

Das klang freilich anders, als was ich von Salvestro und den übrigen zu hören gewohnt war. Doch während mich des Jünglings Worte, seine edle Haltung und die Festigkeit, die aus seiner ganzen Erscheinung sprach, zu unwillkürlicher Sympathie hinrissen, mußte ich zugleich erkennen, daß es dieselben Eigenschaften waren, die mein Unglück unwiderruflich machten.

»Wie?« sagte ich, »ist dies gerecht, ist es menschlich? Ich kam als ein Fremder in diese Stadt, um Werke des Friedens hier zu schaffen, nicht um an ihren Kämpfen und ihrem Haß teilzuhaben; weiß ich doch kaum von den Parteiungen, die sie so lange entzweiten. Wenn hier Unrecht geschehen ist, soll ich es entgelten? Ihr seid Soldat, und wenn ein Kriegsherr Euch in Sold nimmt, so fragt Ihr nicht lange, ob seine Sache gerecht und ob seine Hände rein seien; so trat ich in Lorenzos Dienste, nur mit dem Unterschied, daß ich in seinem Namen kein Blut vergieße, niemand Ketten bringe.«

»Ist das gewiß?« sagte Ruggiero, und aus seinen Augen schlug es wie zwei Feuerflammen. Er tat mit erkünstelter Ruhe ein paar Schritte durch das Zimmer und setzte sich dann auf eine Stuhllehne. »Soll ich Euch etwas erzählen?« begann er. »Ich trieb mich gestern so auf den Gassen umher – ich suchte da zwei kostbare Dinge, Herr – die Freiheit von Florenz und die alte Zucht unserer Sitten. Da begegnete ich dem Panthergespann mit den thyrsusschwingenden Dirnen und ich mußte mich zur Seite drücken, sonst hätten sie mich niedergerannt. Es war schon etwas spät und die Lust auf ihrem Gipfel. Die schöne Ariadne glitt aus den Armen ihres taumelnden Gottes herunter, und ein fetter Silen mit Efeukranz um die Glatze – man sagt mir, es sei ein Bischof – trug die Beute davon. Das Volk aber jauchzte Lieder nach – ich will davon schweigen – man sagt ja, Seine Magnifizenz lasse sich selbst herbei, solche Gesänge zu dichten. Aber ich fragte, wer diesen schönen Schauzug ausgedacht habe, und man nannte mir Euren Namen. Es war nicht das erste Mal, daß ich ihn hörte, ich hatte ihn schon früher vernommen aus dem verehrungswürdigsten Munde und ich wußte, daß viele Eurer Bilder den Gutgesinnten ein Ärgernis sind, doch auf solchen Wegen dachte ich Euch nicht zu finden. Vielleicht daß Ihr es so genau nicht wißt, zu welchen Diensten Euch der Tyrann mißbraucht, der nicht mit Schwert und Dolch unter seinen Mitbürgern wütet, sondern ihre Seelen vergiftet und sie im Schlamm gemeiner Lüste wälzt, bis sie so stumpfsinnig werden, daß sie die Kette nicht mehr am Halse fühlen. Als ich vor Monden Florenz verließ, da war mein Herz voll Hoffnung, denn ein Geist des Ernstes war über das Volk gekommen, ein Besinnen, das der erste Schritt zur Freiheit ist. Das alles dankten wir den Feuerworten des einzigen Mannes, den der Himmel zum Strafen und zum Retten gesendet hat. Und wie habe ich jetzt meine Mitbürger wiedergefunden? Die Saat, von der wir eine reiche Ernte erwarteten, weithin überschwemmt von dem Schlamm Eurer wilden Orgien, und mancher, in dessen Herz schon die Donnerstimme des Propheten geschlagen hatte, rast jetzt neben dem Panthergespann her und klammert sich krampfhaft der fliehenden Lebensfreude ans Kleid, als könne er so dem Morgen entgehen. Ja, dieses Morgen! Nicht umsonst hat er den Propheten ermahnt, nicht so viel von dem morgigen Tag zu reden. Nicht umsonst brüllt es mir aus jeder Straßenecke entgegen: ›Kein Morgen! Haltet den Augenblick fest, denn es gibt kein Morgen!‹ Aber ich hoffe ihn noch zu erleben, den Aschermittwoch, der auf diesen Karneval folgen wird!«

Ich stand während dieser sprudelnden Rede wie gelähmt und vermochte nichts zu meiner Verteidigung zu sagen. Gewohnt, mich in Lorenzos Gunst zu sonnen, war ich dem großen Strome gefolgt und hatte mich seiner überwältigenden Persönlichkeit blindlings hingegeben, ohne je zu fragen, wie wohl die Kehrseite der glänzenden Schaumünze beschaffen sei. Jetzt erhob sich ein Etwas in meiner eigenen Brust und wollte dem Ankläger recht gegen mich geben, und während ich mich aufzulehnen suchte gegen die zugefügten Kränkungen und Schmerzen, überfiel es mich mit unsäglicher Verwirrung, daß sie vielleicht nicht völlig unverdient seien.

In solchem Zustand ließ mich Ruggiero zurück. Er hatte noch beim Fortgehen Miene gemacht, Pias Bildnis gleich mit sich zu nehmen, aber ich war davorgetreten, um mein Eigentum zu schützen, da hatte er sich in Geduld gefaßt, und mit den Worten: »Ich bin ein Christ und will keine Gewalt brauchen« – hatte er das Zimmer verlassen.

Doch noch von der Schwelle rief er zurück: »Ihr werdet mir das Bild senden, Meister, es ist meine Bitte!« Das Wort Bitte sprach er mit einer Betonung aus, die klang wie ein klirrendes Schwert.

Ich sah ihm lange nach, wie er die Straße hinabschritt mit dem ernsten, kriegerischen Anstand, den ich ungeachtet meiner Verzweiflung bewundern mußte.

Mein Leben in Florenz zog, ohne daß ich es wollte, an meinen inneren Augen vorüber. Die Freundschaft des Herrschers, die rasche Gunst bei der Menge und diese Geselligkeit, bei der alle Musen und Grazien zugegen waren. Ich stellte mir die Gesichter meiner neuen Freunde vor: welch eine Feinheit im Blick, wie viel Geist auf den klugen, schmalen Lippen; diese Züge sprachen eine Höhe des Denkens aus, wo der Begriff von Recht und Unrecht aufhörte, hier gab es keine Begeisterung mehr als die Kunst und außer der Schönheit keinen Gott.

Und dieses Mysterium für wenige Eingeweihte, war es wahr, daß ich es unter die Menge getragen hatte, die mit ihren groben Sinnen nur Gift und Verderben daraus saugen konnte? Ich wußte, ich hatte mit meinem Pinsel Familienglück zerstört und Mädchen um ihre Tugend gemalt, denn wo meine Kunst eingedrungen war, zog die Eitelkeit nach und öffnete der Verführung die Türen. Aber dies rechnete ich mir nicht als Verschulden, sondern als unglücklichen Zufall an. Und dennoch lag eine Beklemmung auf mir, wie das Gefühl von Schuld und die Ahnung von schwerer Buße.

Damals konnte ich freilich diese Dinge noch nicht so deutlich unterscheiden, wie ich sie jetzt aus der Entfernung eines halben Jahrhunderts und darüber wahrnehme, ich fühlte nur aus Ruggieros harten Reden die Macht der Wahrheit heraus und fluchte gleichzeitig der Schwäche meines Naturells, die mich in den Stand setzte, so gerecht zu sein und gegen mich selbst Partei zu nehmen.

Aus dieser Selbsterniedrigung trug mich endlich der Gedanke an das reine Geschöpf, das durch seine Liebe mich vor mir selbst geadelt hatte, wieder empor. Wenn Pia mir ihr Herz schenken konnte, wie brauchte ich da an mir zu zweifeln und nach anderer Menschen Beifall zu fragen?

Nur auf ihre Rettung hatte ich zu sinnen, sie dem Klosterzwang zu entreißen und auch gegen den Willen ihrer Familie für das Leben, für mich selber zu gewinnen. Aber würde ich das zarte, an keinen Kampf gewohnte Kind bereit finden, mir heimlich zu folgen und um meinetwillen den tödlichen Groll des Bruders auf sich zu nehmen? Ich wußte es nicht; ihre Seele war mir ein angestauntes, süßes, unergründliches Rätsel geblieben, mir fehlte jede Kenntnis, um zu berechnen, wessen ihre Natur fähig war.

Aller Zugang zu ihr blieb mir versperrt, selbst dem findigen Cecchino gingen die Mittel aus, denn der einzige Rat, den er noch wußte, Ruggiero durch eine falsche Denunziation ins Gefängnis zu bringen, wurde von mir als allzu florentinisch verworfen.

Ich stand stundenlang auf dem Damm unter den kahlen Pappeln und wartete, ob mir Pia nicht ein Zeichen gebe, aber die Fenster blieben geschlossen, und ich hätte glauben müssen, man habe sie schon ins Kloster gebracht, wäre mir nicht durch Cecchino berichtet worden, daß ihre Prüfungszeit noch daure und die nötige Mitgift noch nicht beisammen sei. Ich segnete in meiner Blindheit den Geiz Salvestros, der, was einmal sein war, mit beiden Händen festhielt, sonst hätte vielleicht mein eigenes Geld der Geliebten die Tore des Klosters öffnen müssen.

Eines Tages, als ich so auf meinem Posten stand, ging jener Bursche mit den scheelen Augen an mir vorüber und sagte, leicht an die Mütze greifend: »Herr, die Wasserdünste sind ungesund, ich möchte Euch raten, den Standpunkt zu wechseln.«

Ich drehte ihm wütend den Rücken, gesonnen, mich durch keine Drohung schrecken zu lassen, aber von Stunde zu Stunde wurde es finsterer und hoffnungsloser in meiner Seele.

Ich wandte mich nochmals an den Notar, den ich in viele Tücher gewickelt am Fenster sitzend fand und der mehr denn je über seinen Husten klagte. Der Tod seines Schwiegervaters mahnte ihn an das eigene Sterben, und außerdem beherrschte ihn die Furcht vor Ruggiero so, daß er auf meine Vorwürfe und Klagen nur ein Achselzucken zur Antwort hatte.

Das einzige, was ich erfuhr, war, daß Pia einen freiwilligen Schwur getan habe, ihre Gedanken ganz von mir ab auf Gott zu wenden, doch aus dieser Mitteilung machte ich mir nicht viel, denn unter dem Drucke der Gewalt gab es keinen freien Willen.

Isabetta hatte gleich zu Beginn unserer Unterredung das Zimmer verlassen; als ich fortging, begegnete sie mir im Flur vor der Treppe und steckte mir im Vorübergehen ein Blättchen in die Hand.

»Obgleich Ihr es nicht verdient habt«, so lautete das Schreiben, »sollt Ihr dennoch wahre Freundschaft kennenlernen. Seid vorsichtig, damit nichts Gewaltsames geschieht, und man wird Euch behilflich sein, diejenige wiederzusehen, um deretwillen Ihr Euch nutzlos verzehrt. Liefert das Bildnis aus, schließt Eure Wohnung, schickt die Diener fort und verbreitet in der ganzen Stadt die Nachricht, daß Ihr Florenz verlassen habet. Dann haltet Euch auf Eurem Landsitz verborgen, dort werdet Ihr weitere Nachricht erhalten.«

Ich war nicht gewiß, ob diese Weisung nicht vielleicht ein mit guter Absicht gelegter Fallstrick sei, der mich auf einige Zeit vom Schauplatz fernhalten sollte. Aber Cecchino drang in mich, den Rat, den er unter allen Umständen für den besten hielt, augenblicklich zu befolgen. So verschwand ich des andern Tages aus der Stadt, nachdem ich mein Fortgehen so offenkundig wie möglich gemacht hatte, und lebte in tiefster Verborgenheit auf meinem Landgut, wo ich mit niemand verkehrte als mit Cecchino, der mir täglich aus Florenz Nachricht brachte. Er mietete heimlich ein Zimmer Pias Hause gegenüber und sah das Mädchen, das seit meinem Weggang wieder mehr Freiheit genoß, täglich an der Seite des Bruders nach dem Klosterhof von San Marco wandeln, wo Fra Girolamo noch immer unter großem Zudrang die Apokalypse erklärte.

In dieser Muße spann ich meine Pläne, wie ich Pia befreien und mit mir nach Rom führen wollte, wo wir beide unter dem starken Schutz des Kardinals standen. Wenn ich des Mädchens Einwilligung erlangte, so machte die besondere Lage des Hauses gar nicht viele Vorkehrungen zur Flucht nötig; eine Leiter, nächtlicherweile von dem seichten Arnoufer aus an die Gartenmauer gelegt, ein Kahn, der uns unterhalb des Wehrs auf das andere Ufer übersetzte, und dort zwei Pferde, für die bereits gesorgt war, um uns auf die Straße nach Rom zu bringen, der Sicherheit und dem Glücke entgegen. Cecchino, der in Florenz zurückblieb, mußte durch auffallende Anstalten die Verfolgung nach einer anderen Richtung ablenken, bis wir einen genügenden Vorsprung erlangt hätten. Und waren wir erst in Rom, so konnte uns keines Bruders Grimm unsere Seligkeit mehr trüben. Endlich ließ mir Isabetta Tag und Stunde nennen, wo ich verkleidet in ihre Wohnung kommen könne, denn Ruggiero müsse über Feld und der scheeläugige Battista werde ihn begleiten.

Ich wanderte also an einem schönen Wintermorgen in schlechtem Kittel, mit grobem, bäurischem Schuhwerk, die Haare nach ländlicher Sitte zugeschnitten und einen Korb mit Käse und Eiern auf dem Kopf wie ein Bauer, der die Erzeugnisse des Landguts seiner Herrin nach der Stadt bringt, von Castello herein. Niemand erkannte mich, und ich wollte eben bei der Kirche Ognissanti in die Straße einbiegen, die zu Salvestros Wohnung führte, als ich den ewig lungernden Battista erblickte, der, den Arm in die Hüfte gestemmt, an einer Ecke lehnte. Er pfiff vor sich hin, ohne auf mich zu achten, und ich ging mit behäbigem Bauernschritt ruhig vorbei.

Unter der Haustür stand eine hübsche junge Magd mit klugem Gesicht, die mich scheltend empfing, weil ich so lange auf meine Eier warten lasse, auf der Treppe aber kam mir Isabetta selber entgegen und zog mich in eine tiefe Halle, deren Fenster nach dem Flusse gingen.

Sie legte mir die Hände auf die Schulter und sagte in innigem Ton: »Ich wußte, daß Ihr eine Tollheit begehen würdet, darum wollte ich die Gefahr vermindern, indem ich sie mit Euch teilte. Jetzt habt Ihr Euren Willen und werdet einsehen, wer es gut mit Euch meint.«

Dann nahm sie mir das Wort ab, was ich auch vernehme, die Fassung bewahren zu wollen, weil ich durch Lärm und Ungestüm mich selbst und alle in Gefahr brächte. Ihr Bruder, fügte sie hinzu, sehe in mir die ärgste Pest, die über Florenz und sein Haus kommen konnte, und ich hätte seinen Grimm noch mehr gereizt, indem ich ihm das Bildnis vorenthielt.

Während wir sprachen, trat Pia selbst herein. Ich wußte nicht, ob sie auf mein Erscheinen in dieser Verkleidung vorbereitet war, ihre Augen, die mit unnatürlich starkem Glanze leuchteten, als ob an ihrer Stelle dem alabasterweißen Gesicht zwei Diamanten eingesetzt wären, trafen mich ohne eine Spur von Überraschung, aber mit einem fremden, abwesenden Blick.

Ich war mit einem Sprung an ihrer Seite. »Erkennst du mich, Pia?«

Sie nickte, ohne auf meine Maske zu achten. Nun flüsterte ich ihr leise meinen Plan zu, während Isabetta sich zögernd nach dem Hintergrund des Saales zurückzog. Sie habe nichts anderes zu tun, erklärte ich ihr, als mir durch ein Lichtsignal anzuzeigen, ob es im Hause ruhig sei, und dann in den Garten hinauszuschleichen, wo ich sie ohne Gefahr die Mauer hinabtragen würde.

Sie aber schüttelte den Kopf und antwortete nur: »Nein, nein, ich darf nicht, ich kann nicht.«

»Glaubst du denn, ich wolle dich in Gefahr und Elend stürzen?« sagte ich ungeduldig. »O fürchte nichts – ich habe es dir nie gesagt, in Rom lebt mir ein mächtiger Blutsverwandter, der uns mit starkem Arm gegen alle Nachstellungen schützen wird. Du wirst in ihm einen besseren Bruder finden, als der ist, den du hier verlassest. Er wird dich zu den Füßen des Heiligen Vaters führen, daß du von deinem Schwur entbunden wirst, wenn es das ist, was dir Sorgen schafft.«

Ich redete noch viel mit der ganzen Gewalt meiner Liebe auf sie ein, aber sie schien nicht zu hören noch zu begreifen. Erst als ich heftiger wurde und einen Arm um sie zu legen wagte, wich sie weit zurück und rief mit flackernden Blicken: »Laßt mich, ich bin geweiht – nichts Irdisches darf mich mehr berühren.«

»Was soll das heißen?« stammelte ich in Herzensangst. »Was ist geschehen, das dich so verwandelt hat?«

Sie lächelte seltsam und legte den Finger auf den Mund. »In den Zeiten, da es Wunder gab, stiegen die Söhne des Himmels herab zu den Töchtern der Erde. Die Wunder können wiederkehren – Glauben und Schweigen, das ist die Losung. – Gelobt sei der Herr in Ewigkeit!«

Ich sah sie starr und entsetzt an, denn tief im Grunde ihrer Augen glühte ein irres Feuer. Sie näherte sich wieder und sagte geheimnisvoll: »Euch darf ich es enthüllen, denn Ihr seid selbst von den Auserwählten, die die Glorie der Seligen geschaut haben.«

»Ich beschwöre dich, Pia« – begann ich, aber sie winkte mir zu schweigen, und ich konnte aus den ins Leere starrenden Augen sehen, wie sie in dem Chaos ihrer Gedanken nach einem festen Punkt suchte.

»Wie es kam, weiß ich nicht mehr«, hob sie endlich an, »aber ich floh vor dem Strafgericht Gottes, vor Waffengetöse und Angstgeheul, und hatte mich in einen finstern Gang verirrt, in dem ich fort und fort gehen mußte, ohne Ende. Von den Wänden troff es auf mich nieder, und der Boden, auf dem ich mich mühsam fortschleppte, war feucht wie von Blut. Es fielen mir die römischen Katakomben ein, aus denen kein Weg mehr ans Tageslicht zurückführen soll, und alsbald haschten furchtbare Larven nach mir aus den Mauern hervor, Ungeheuer krochen vom Boden heraus und wollten mich festhalten. Ich riß mich los, eine Tür sprang vor mir auf, ich dachte der Heiligen, die in diesen Grüften begraben sind, und schrie in meiner Not nach Sankt Sebastian.

Da siehe, wunderbar! Aus der tiefen Wand leuchtete mir sein Angesicht entgegen, er schwang sich herab, er selbst, leibhaftig, im glänzenden Gewand; mit dem Schwert in der Faust vertrieb er die Larven und Tiere, die sich winselnd verkrochen. Mir wurde so leicht und selig, die Decke stieg hinauf, bis sie sich hoch oben wölbte, wie die Kuppel Eurer Kapelle, zwei starke Arme umfaßten mich gar sanft und zogen mich empor, die Erde wich zurück, über mir glänzte das Angesicht des Heiligen, wie Ihr ihn gemalt habt, in übermenschlicher Schönheit, mein Kopf ruhte an seiner Brust, und die dunkle Goldflut seiner Haare deckte mich zu wie ein bergender Schleier. Denn während wir aufstiegen, verbreitete sich eine blendende Helligkeit, die mein Auge nicht ertragen konnte, die Kuppel hatte sich in einen goldstrahlenden Baldachin verwandelt, der mit uns in die Höhe schwebte. Ich griff nach den flutenden Locken und zog sie gleich einem Vorhang fester um mein Gesicht. Die braunen Augen warfen goldene Strahlen in die meinigen, und von seinem Mund ging eine schmerzlich süße Gewalt aus, die den meinigen nachzog. – Ich weiß nicht, was er sagte, ich horchte nur auf den Klang seiner Stimme, die, an die Chöre der Seraphim gewohnt, sich um meinetwillen zu irdischen Lauten bequemte, aber ich verstand, daß er mir ein Wiedersehen verhieß und mir gebot, zu glauben und zu schweigen. Doch als seine Lippen die meinigen berührten, da konnte ich die unbeschreibliche Wonne nicht ertragen, ich schrie laut und stürzte auf die Erde zurück. Da lag ich in der leeren Kapelle, nur die süße Stimme des Heiligen hallte mir in den Ohren nach, und ich sah seine goldenen Haare wie ein fernes Wölkchen entschweben.«

Ich hörte mit Entsetzen dem Redestrom zu, wie er mit unaufhaltsamer Gewalt von ihren Lippen floß, die sonst nur halbe Worte stammelten.

»Sie ist wahnsinnig geworden«, dachte ich, aber dennoch konnte ich nicht von ihr lassen. Sobald ich die gelähmte Sprache wiederfand, bat ich sie sanft, sich zu beruhigen, ihre Sinne seien jetzt überreizt durch Kämpfe und Schmerzen, sie müsse den Blick vorwärts richten in eine bessere Zukunft, und ich beschwor sie fast fußfällig, mir in die Freiheit zu folgen, wo ihres Vaters Segen mit uns sei und uns Häuser bauen werde.

»Flieht Ihr selbst!« schrie sie plötzlich mit schriller Stimme und allen Gebärden des Schreckens. »Flieht und sagt es auch den andern! – Schon sind die sieben Siegel eröffnet, es kommt der Reiter auf dem fahlen Pferd, sein Name ist Tod, und die Hölle folgt ihm nach; nichts Lebendiges wird entkommen, wenn die Stadt durch die Flamme des Gerichts gereinigt wird.«

»So komm, daß wir uns retten!« rief ich und warf mich vor ihr auf die Knie, sie umklammernd, aber sie riß sich heftig los und sagte: »Laßt mich, ich bin geborgen, er ist da, um mich zu schützen, ich werde ihn wiedersehen, bald! bald! Schon jetzt ist er um mich, aus den Lüften rührt er mich an – hier und überall.«

»O Pia«, sagte ich verzweifelt, »du wirst wieder du selber werden, und dann wird es zu spät sein, du wirst die Arme ausstrecken und Klostermauern finden.«

»Er wird bei mir sein«, antwortete sie verzückt, »und ich werde dann seinen Anblick ertragen, denn alles Irdische hab ich ihm zum Opfer gebracht –«

Schon während wir sprachen, hatte ich Rufen und Klopfen von der Straße vernommen, jetzt kam die Magd an die Türe gestürzt und verkündete atemlos, Herr Ruggiero sei da und suche die Schwester. Isabetta zerrte mich an der Hand durch eine Reihe von Zimmern und Gängen eine dunkle Treppe hinab nach einem lichtlosen Raum unter der Erde, wo sie mich einschloß und allein ließ. In meinem Herzen war alles kalt, meine Gedanken standen still, ich sagte nur immer leise vor mich hin: »Sie ist wahnsinnig – o Gott, sie ist wahnsinnig.«

Desto schärfer nahmen meine Sinne die Außendinge wahr, den feuchten Holzgeruch, der mir sagte, daß ich mich an einem Ort befand, wo Brennholz aufgeschichtet lag, die Schritte über meinem Kopf, die Türen, welche auf- und zugeschlagen wurden, und zwischen alles durch Ruggieros befehlende Stimme.

»Jetzt ist es aus«, dachte ich, »er bringt sie fort ins Kloster.« Als alles still wurde, holte mich Isabetta aus meinem Gefängnis an das Tageslicht zurück.

»Ihr werdet nun ruhiger sein, seitdem Ihr sie selbst gesehen habt und begreift, daß ihr kein Zwang widerfährt. Diese Seele bedarf Eurer nicht, sie hat Euer Gefühl nie erwidert, sie hat gar keinen Raum für Eure Liebe.«

»Oh, sie ist wahnsinnig«, lallte ich.

»Nein, nicht wahnsinnig«, sagte Isabetta, »aber sie hatte von je einen Hang zur religiösen Schwärmerei; all diese Erschütterungen, der Tod des Vaters und die Predigten des neuen Propheten, die Ruggiero uns zu hören zwang, haben ihn zur Ekstase gesteigert.«

»Und das Bild, das unselige Bild«, setzte ich zähneknirschend hinzu, »aber ich will ihn vernichten, diesen lächelnden Götzen!«

Die schöne Frau ergriff beschwichtigend meine Hand und strich mir das verwirrte Haar aus der Stirne.

»Durch welchen Zauber hat sie Euch denn so ganz behext?« sagte sie mit sanftem Vorwurf. »Hatte das Leben denn einem Mann wie Euch kein anderes Glück zu bieten als dieses Mädchen?«

»O Madonna«, stammelte ich, »wenn Ihr wüßtet – wenn Ihr fühlen könntet!« –

»Ich weiß es ja – ich fühle es ja«, sagte sie und brach in Tränen aus, ihren Kopf an meiner Schulter bergend. – »Böser, undankbarer Mann, der es so gut haben könnte! Was habe ich nicht alles für Euch getan!«

Sie zog plötzlich meinen Kopf heran und küßte mich zärtlich, da ich aber schwankend stand, stieß sie mich zurück und rief: »Geht, geht, der Weg ist frei!«

Ich wollte reden, sie wiederholte den Befehl, ich beugte mich auf ihre Hände nieder, die sie mir heftig entriß, da küßte ich den Saum ihres Kleides und gehorchte der gebieterischen Gebärde, die mich zur Türe wies.

 

Es war Frühjahr geworden, die wilden Anemonen und frühen Tülpchen blühten auf Wegen und Stegen, als ich von der Bologneser Straße dem Tore entgegenritt, unter dessen Bogen ich an jenem traurigen Wintermorgen nach meinem Abschied von Isabetta der Arnostadt Lebewohl gesagt hatte. Ich war während meiner freiwilligen Verbannung viel im Lombardischen und Venezianischen umhergezogen, die lange Wanderung hatte mich erfrischt, und ich brachte eine neue Welt mit mir nach Hause; ein Bild, das ich in Mailand gesehen, verfolgte mich wachend und im Traume, ein gewaltiger Umschwung bereitete sich in meinem Innern vor, denn ein Höherer hatte mich mit seinem Geiste berührt.

Die Stadt sah ernster aus als sonst, trotz der Frühlingslichter, die darüber spielten; schon auf der Reise hatte man mir erzählt, Lorenzo liege siech auf seiner Villa zu Careggi. In meiner langverschlossenen Wohnung hauste noch der Winter, Fußboden und Wände waren kellerkalt, und dicker Staub lag auf den Studienblättern und Skizzen. Während zu allen Fenstern und Türen die Frühlingssonne einzog, stand ich unter der Haustüre und sah gedankenlos einem Flug Schwalben nach, der sich im Blauen wiegte, als ein paar Reiter die Straße herabkamen, schöne jugendliche Gestalten, auf stolz geschirrten Rossen vom edelsten Blut, Pagen schritten voran, die Hände in die Seiten gestemmt, mit der zierlichen Anmaßung, die dem jungen Völkchen eigen ist. Ich verbeugte mich tief, als ich in dem Vordersten den erlauchten Piero, Lorenzos Sohn, erkannte, der mir obenhin zunickte. Seinen Nachbarn zur Rechten hatte ich aus der Entfernung nach dem blonden gelockten Haar zuerst für den Fürsten von Mirandola gehalten, aber er war stattlicher von Wuchs, und da ich den Kopf wandte, wollte ich meinen Augen nicht trauen, denn ich sah den Kardinal Orsini vor mir. Er winkte erfreut und sprang vom Pferd, das der Knabe rasch am Zügel faßte, und während die andern ihres Weges weiterritten, drückte mich Fabrizio auf dem Hausflur in die Arme.

»Weißt du, daß ich schon lange hier bin, Landstreicher?« sagte er. »Unzähligemal habe ich an deine Werkstätte geklopft, aber niemand konnte mir sagen, wo der Wind dich hingeführt hatte. Nun, da bist du ja endlich. – Und ein ganzer Mann bist du geworden. Höre, Gaetano, ich bin stolz auf dich.«

Singend sprang er voraus die Treppe hinauf, die alte Marietta, die mir das Haus besorgte, sah sich fast die Augen aus dem Kopf nach dem schönen Jüngling. Oben in der Werkstatt stellte ich mich eine ganze Weile vor ihn hin und starrte ihn an, denn seine Schönheit, wenn ich sie lang entbehrt hatte, überraschte mich stets aufs neue.

Er stand lächelnd da, als sei die ganze Schöpfung nur der Rahmen für sein entzückendes Bild, und sagte: »Wie gefällt dir Sankt Sebastian im französischen Wams?«

Aber mitten in dem Scherz hielt er inne, ein Gedanke schien ihn zu berühren, und er sprang rasch auf anderes ab, indem er von seinem herrlichen Wohnsitz bei San Domenico erzählte und wie er sich mit Piero die trübselige Fastenzeit so gut als möglich vertreibe. Von Lorenzo sagte er mir, daß er trotz seines Leidens ganz der alte sei, voll unerschöpflicher Laune und »größer als ein sterblicher Mensch«.

Obgleich ich ihm versicherte, daß nach den neuen Eindrücken, die ich empfangen, mich der Anblick all meiner bisherigen Werke nur demütige, bestand er doch darauf, die Arbeiten in der Werkstätte zu besichtigen, und machte sich, ohne auf meine Einsprache zu achten, über die herumgestreuten Skizzenblätter her. Um seinem Blick nicht allzu wertlose Dinge preiszugeben, holte ich aus einem Winkel verschiedene angefangene und fertige Malereien hervor. Darunter stieß ich unversehens auf Pias Bildnis und erschrak fast vor dem süßen Gesicht, von dem der ganze Raum zu leuchten begann. Aber Fabrizio blickte darüber hinweg und griff nach einer zunächst stehenden Susanne von schwächlicher Komposition, die er lange und aufmerksam musterte.

Was ihn nach Florenz geführt hatte, teilte er mir gar nicht mit, ich konnte nur aus einzelnen Worten schließen, daß sein Aufenthalt am Arnoufer keinen kirchlichen Angelegenheiten diente. Er hielt sich, wie ich von ihm erfuhr, nur wenig in der Stadt auf und wünschte, um zwangloser zu sein, daß ich seinen Stand und Namen verschweige. Aber ich dachte mir gleich, daß sein allzu freier Wandel, über den ich schon in Rom hatte klagen hören, Anstoß erregt und seine zeitweilige Entfernung herbeigeführt haben müsse.

So wenigstens mußte ich den Seufzer deuten, mit dem er sagte: »Wir Kirchenfürsten sollten der Welt ein Beispiel geben; aber hören wir denn auf, Menschen zu sein, wenn wir den Purpur tragen?«

Als er gegangen war, konnte ich dem Zauber nicht widerstehen, ich holte Pias Bild wieder hervor und betrachtete es lange. Da überkam mich ein heftiges Verlangen, einmal wenigstens die gemalten Lippen zu küssen; ich drückte meinen Mund auf den des Bildes und sagte: »Jetzt mußt du mich doch dulden, wenn ich auch kein schöner Heiliger bin.«

Doch der unerwartete Rückfall machte mich selber bestürzt, ich verbarg die Tafel im entlegensten Raum des Hauses und gab mir das Versprechen, alles zu meiden, was mich an das unselige Mädchen erinnere.

Nun geschah es aber, daß ich an einem der nächsten Abende, von Castello nach der Stadt wandernd, mich in den Feldern verirrte. Ich hatte einen Fußpfad eingeschlagen und kam, da ich der Gegend nicht recht kundig war, erst spät nach mancherlei Kreuz- und Quergängen vor der Stadtmauer an, jedoch nicht bei der Porta al Prato, wie ich erwartet hatte, sondern bei der kleinen Pforte am Arno, die längst geschlossen war. Ich dachte nun den Flußdamm entlang und an den Häusern hin die Brücke alla Carraja zu gewinnen, und es war mir ein uneingestandener Vorteil, daß ich auf diesem Wege, ohne meinem Versprechen untreu zu werden, einen Blick, einen einzigen raschen Blick, nach Pias Fenster werfen konnte.

Der Wasserspiegel schimmerte in schwachem Mondlicht, als ich auf dem Damm unter den hohen, jetzt schon etwas belaubten Pappeln flußaufwärts schritt, dem alten Turm entgegen, der einen großen finsteren Schatten über das Gewässer warf. Aber es war nicht mehr möglich, das Flußbett zu betreten, denn der schmale Kiesstreifen des Ufers war weggefressen von dem Wasser, das bis herauf an den rohrbewachsenen Erdwall schlug. Die Gebäude lagen im Dunkeln, nur zwischen dem Turm und dem Wohnhaus war das Wasser eine Strecke weit erhellt, und ich gewahrte nicht ohne Befremden, daß seitlich vom Palast her aus dem Fenster, das auf die kleine Brücke führte, ein Licht durch das dunkle Baumgezweige fiel, verschwand und nach kurzem als ein gedämpfter, dauernder Schein zurückkehrte. Ich erinnerte mich, daß zu Tommasos Lebzeiten dieser Raum unter dem Dache unbewohnt war, und der Gedanke durchzuckte mich, ob nicht der grimme Ruggiero seine Schwester der besseren Bewachung wegen in dieses einsame Gemach verbannt habe.

Ich wollte eben umkehren, als ich eine Entdeckung machte, die mich in die äußerste Aufregung versetzte.

Unter dem Weidicht zu meinen Füßen vernahm ich ein Seufzen, wie wenn das Wasser gegen eine Bootswand klatscht, und das auseinandergebogene Gezweige gab einen länglichen dunklen Gegenstand frei, der hier verborgen gewesen und in dem ich trotz der Finsternis unschwer einen Nachen erkannte. Sein Seil lag flußaufwärts unter Wasser, aber wie sehr ich mich auch zwischen dem dichten Ufergestrüpp mühte, ich konnte nicht finden, wo er angebunden war.

Dieser rätselhafte Kahn, der seiner Form nach keinem Arnofischer gehören konnte, und das Licht da oben regten eine wilde Gedankenjagd in mir auf, daß mein Herz laut klopfte und mein Blut wie unsinnig durch die Adern raste. Ich nahm mir vor, nicht vom Platze zu weichen, ehe der Besitzer des Nachens erschienen sei, und verbarg mich zu diesem Zweck an der allerdunkelsten Stelle unter den Pappeln. Aber Stunde um Stunde verrann, es wurde immer stiller und dunkler, der frühe Mond war schon hinunter, ich sah statt der Gebäude nur noch Riesenschatten und hörte nichts mehr als das Klatschen des Wassers an den Nachen und das Klagelied eines Käuzchens über meinem Kopf, das sich in den Zweigen der Pappel eingenistet hatte und durch meine erzürnten Steinwürfe nicht zu vertreiben war. Endlich verstummte auch das Hu, hu, und auf der ganzen Stadt, so weit mein Ohr reichte, lag tiefes, mitternächtliches Schweigen; nur das Wasser rauschte leise, und die Mühle klapperte in der Ferne fort. Über den Wasserspiegel spann sich tiefe Dunkelheit. Dumpfer Orangenduft streifte vom Wind getragen an mir vorüber. Ich wartete und wartete noch immer, aber der Herr des Nachens wollte nicht kommen. Aus dem Arno stiegen feuchte, giftige Dünste auf, die mich kalt durchfröstelten, mein Schuhwerk war benetzt vom Nachttau, und von Schauern geschüttelt machte ich mich auf den Heimweg. Zwei mit Säcken beladene Esel wurden eben nach der Stadt getrieben, ich trabte als würdiger Bruder Langohr hinter ihnen über den Torweg, mit einem noch schwereren Gewicht auf der Seele. Doch ich kämpfte tapfer, um die Last abzuschütteln, und setzte den Fuß nicht mehr in jene Gegend. Aber mein böses Schicksal wußte es zu fügen, daß ich in einer der nächsten Nächte, von einem fröhlichen Bankett zurückkehrend, die Carrajabrücke überschritt, als eben über den Hügeln von Settignano sich die ersten Streifen zu färben begannen.

Da vernahm ich den Fluß herauf leisen, vorsichtigen Ruderschlag, während in den Straßen noch alles still war, und blieb jählings stehen. Es war noch nicht hell genug, um die Gegenstände zu unterscheiden, aber ich zweifelte keinen Augenblick, daß es derselbe Nachen sei, den ich drunten im Weidengestrüpp entdeckt hatte. Ich eilte rasch die steineren Stufen zum Fluß hinab und barg mich unter dem Brückenpfeiler, wo der Kahn landen mußte. Zwei Männer saßen darin, von denen nur der eine ruderte. Der andere, der in einem dunkeln Mantel gehüllt war, erhob sich, um ans Land zu steigen, und ich erkannte im fahlen Zwielicht die bleichen Züge des Kardinals. Mir entfuhr ein Schrei, als hätte ich einen Stich ins Herz bekommen. Fabrizio sprang aus dem Kahn, und wir blickten uns im Dämmerlicht wohl ein Ave Maria lang schweigend an.

Dann schob er mich mit seiner kräftigen Hand sanft zurück, denn ich stand in einer Haltung da, als wollte ich ihn in das Element zurückstoßen, aus dem er aufgetaucht war.

»Du hast mir aufgelauert«, sagte er vorwurfsvoll.

»Ist es denn möglich!« rief ich und preßte meinen Kopf zusammen, um die schrecklichen Gedanken zu erdrücken, denn ich wußte schon, ehe er ein Wort sprach, so gewiß, woher er kam, daß ich gleich die Hostie darauf genommen hätte.

»Stille, stille!« flüsterte er und führte mich am Arm die Stufen hinauf, weil ich so schwankte, daß ich nicht wußte, wohin ich trat.

»Siehst du, ich hätte es dir früher oder später doch erzählt«, sagte er leise, »aber es ist mir lieber so, denn jetzt weißt du gleich das Schlimmste.«

Er schleppte mich, ich weiß nicht wohin, ich habe nur die Vorstellung, daß wir unter einer Art Halle auf und nieder gingen; was er mir da erzählte, kann ich nicht mit seinen Worten wiedergeben, denn in dem wütenden Aufruhr meines Innern blieb mir nicht erinnerlich, wieviel ich gleich aus seinem eigenen Munde erfuhr und wieviel ich mir erst später aus den Ereignissen zusammenfügte. Ich habe so oft zu meiner Qual und Buße die ganze Entwicklung des unseligen Verhängnisses wieder durchdenken müssen, daß die Einzelheiten lebendig vor mir stehen, und mir ist, als hätte ich alles selbst erlebt.

Gleich am ersten Tage seines florentinischen Aufenthaltes war dem jungen Kardinal ein wundersames Abenteuer zugestoßen. Er stand allein im Chor der Sebastianskapelle, um meine Fresken zu betrachten, aus denen ihm klar wurde, weshalb die Leute auf der Straße sich oft so seltsam nach ihm umgewandt hatten, als von den Arkaden her Geschrei und Gelächter erscholl. Das Portal flog auf, und herein stürzte ein wunderschönes blasses, wie es schien zu Tode erschrockenes Mädchen, das mit dem Ruf »Sebastian!« vor dem Altar auf die Knie fiel und hinter ihr her eine Schar halbberauschter Masken, die sie zu ergreifen suchten. Fabrizio riß den Degen aus der Scheide und trieb die Trunkenen mit flachen Hieben zur Kapelle hinaus, deren Türe er hinter ihnen ins Schloß drückte. Dann eilte er zu dem schönen Kinde zurück, das noch immer vor den Stufen des Chors kniete, die Hände auf der Brust gefaltet und die strahlenden Augen in Anbetung auf ihn geheftet, als habe es ein solches Wunder erwartet. Er hob sie empor, gab ihr zärtliche Schmeichelnamen und glättete ihr verwirrtes Haar; sie schmiegte sich an seine Brust, daß er ihr armes Herzchen wie das eines gefangenen Vogels klopfen fühlte, bis heftig am Portal gerüttelt wurde und eine Frauenstimme »Pia, Pia!« rief. Da küßte er sie auf den Mund, ließ sie auf den Stufen des Altars niedergleiten und verschwand durch die angelehnte Seitentüre.

Das war Pias Vision gewesen, die ich für eine Ausgeburt des Wahnsinns hielt. In diesem Augenblick der Todesangst, als sie, vom Maskengewühl verfolgt, sich in die Kapelle flüchtete und den Retter mit blankem Degen hinter dem Altar vorstürzen sah, mochte es leicht den Anschein haben, als trete der Heilige selbst aus dem Bild heraus – ich hatte ihr ja nie gesagt, daß ein sterbliches Urbild ihres Götzen lebe.

Die Schönheit des Mädchens und der Reiz des unerhörten Abenteuers rissen den betörten Jüngling hin, die Komödie weiterzuspielen. Durch den schrankenlosen Einfluß, über den er verfügte, hatte er schon in wenigen Tagen alles erkundet, wozu ich Monde gebraucht, und mit dem gewohnten Leichtsinn setzte er seinen tollen Plan ins Werk, ohne nach dem Ende zu fragen. Ein Diener Pieros, der in halsbrechenden Unternehmungen erfahren war, mußte ihm behilflich sein, im Dunkel der Nacht den unzugänglich scheinenden Turm von der Rückseite zu ersteigen. Sie ließen auf dem von Regengüssen geschwellten Strom nächtlicherweile eine Leiter herabschwimmen, die sie an das Gemäuer lehnten. Unter dem Fenster standen aus Mauerluken starke Balken einige Zoll breit hervor, sie hatten vor alters zur Verteidigung des Turmes gedient, weil man in Kriegszeiten auf den herausgeschobenen Stützen schwebende Brücken errichtete, von wo die Mannschaft schwere Steine auf die Belagerer schleuderte, jetzt öffneten sie dem schlimmsten Feinde den Weg, denn sie boten der Leiter, die im Wasser schwankte, den erwünschten Stützpunkt und halfen dem von seinem bösen Geiste geleiteten Kardinal, den Turm zu erklimmen. Bei schwachem Mondlicht sah er sich in einem engen Gelaß, wo die Ratten erschreckt aus dem mächtigen, in der Ecke aufgeschichteten Steinhaufen herausfuhren, und tastete sich im Dunkeln mit Lebensgefahr auf einer zerbröckelnden Treppe in das obere Stockwerk hinauf, das von zwei Seiten Licht empfing. Er erkannte die Türöffnung, die auf die Brücke führte, und im nächsten Augenblick stand der verwegene Jüngling schon auf schmalem Bogen über dem gähnenden Abgrund. Das Steingeländer war stellenweise zerstört, die Brücke schlüpfrig durch Moos und Unkraut, und am Himmel nur ein schmaler Streifen der Mondsichel, um ihm den Weg zu zeigen. Aber drüben glänzte plötzlich ein Licht auf.

Pia betrat mit einem Öllämpchen das gegenüberliegende Gemach, das ihr der Bruder angewiesen hatte, um sie – bitterer Hohn des Geschicks – vor meinen Nachstellungen zu behüten.

Sie setzte das Licht auf den Tisch, band ihre langen schwarzen Haare los, dann kniete sie nieder und barg den schönen Kopf auf dem Betpult.

Doch plötzlich erhob sie sich, wie durch ein Geräusch beunruhigt, machte mit dem Licht in der Hand ein paar Schritte durch das Gemach und öffnete die Fenstertüre. Es war eine jener schwülen Nächte, wie sie ein verfrühter Lenz zu bringen pflegt, wenn er die jungen Keime vor der Zeit aus dem Mutterboden lockt, um sie dann treulos den nachrückenden Winterstürmen preiszugeben. Während sie zurücktrat, um das flackernde Licht zu schützen, überschritt der Versucher rasch und leise den Abgrund, der zwischen beiden lag.

Sie ward seiner erst ansichtig, als er mit seiner Gestalt die Türöffnung verdunkelte, es mußte ihr scheinen, als ob er geradewegs vom Himmel herabgestiegen sei. Sie sah ohne Schrecken zu ihm auf, während der Schein ihrer Lampe hell in sein Gesicht fiel, aber der starre Blick, mit dem sie ihn ins Auge faßte, hatte etwas Abwesendes, wie wenn er auf einer überirdischen Erscheinung ruhte.

Als Fabrizio das Gemach betrat, ließ sie beide Arme schlaff an der Seite herabsinken, und er hatte eben noch Zeit, ihr die fallende Lampe aus der Hand zu nehmen. Er rief sie mehrmals in den sanftesten Tönen bei Namen, sie lächelte selig, ohne zu antworten, aber als er sie umfassen wollte, öffnete sie mühsam den Mund und sagte tonlos, wie jemand, der im Schlafe spricht: »Berühre mich nicht, ich erwache sonst.«

»Kein Erwachen, Pia«, sagte er leise, »ich bin's, ich bleibe dir.«

Er legte mit sanfter Gewalt ihre Arme um seinen Hals, ihr Busen drängte sich ihm entgegen, sie seufzte leise. – »Nimm mich mit dir, da hinauf, wo du wohnst«, kam es in unaussprechlicher Sehnsucht von ihren Lippen. – »Komm, ich will dir hienieden zeigen, wie glücklich die Seligen sind«, sagte der Unglückliche und küßte sie sanft, und ihr Mund wuchs innig an dem seinigen fest, als wollte sie ihre Seele da verhauchen. Aber Pias Schutzgeist war nahe und rührte sie mit leisem Fittich an, daß sie aus der Bezauberung auffuhr und erschrocken weit zurückwich. Da warf sich der Kardinal zu ihren Füßen und bekannte, daß er nur ein armer sündiger, von Liebe betörter Sterblicher sei, und flehte um Erbarmen. Sie stieß ihn weinend von sich und drohte, ihn dem Zorn ihres Bruders preiszugeben, doch Fabrizio, der nur zu gut mit dem weiblichen Herzen rechnete, antwortete, er verlange nichts Besseres, als zu ihren Füßen zu sterben, und stellte sich, als wollte er selbst in Ruggieros Degen rennen. Erst als er ihre Verzeihung erlangt hatte, zog er sich auf dem gefährlichen Weg zurück, wobei ihm ihre Augen ängstlich folgten.

Was in Pias Busen vorging, seit sie vom Himmel auf die Erde gestürzt war, ist ein Rätsel, das kein Mann zu ergründen vermag. Ich glaubte damals, der Unselige habe Höllenkünste in Bewegung gesetzt, um nach jenem Rückzug ihr reines Herz dennoch zu bestricken, doch was bedurfte es anderer Mächte als der Jugend und Schönheit der beiden und des Mädchens Entsetzens vor der Klostergruft, nachdem sie das warme Leben in den Armen gehalten hatte? Wenn noch ein dämonischer Zauber wirksam war, so hatte ich ihn gesponnen, denn heute zweifle ich nicht mehr, daß Pias Verhängnis in der Stunde begann, wo sie meinen Sebastian zum ersten Male sah, und daß in ihrer erregbaren Phantasie Wahrheit und Täuschung zu einem starken, unwiderstehlichen Gefühl zusammenflossen. Denn was weiter geschah, habe ich kaum nötig zu erzählen: daß der Kardinal nicht ruhte, bis er ein zweites Mal in ihre Kammer gedrungen war, daß er sie blaß und abgezehrt, halb krank vom Kampf zwischen Furcht und Sehnsucht wiederfand; denn so lange gewohnt, sich die süßesten und frömmsten Träume unter Fabrizios Zügen zu verkörpern, hatte sie im Glauben, ein gottgefälliges Gefühl zu nähren, ihre Seele ganz hinweggegeben und konnte keine Macht mehr über sich erlangen. Von da an erstieg der Kardinal fast jede Nacht den alten Turm, nachdem er das Mädchen gelehrt hatte, ihm durch Lichtsignale den Weg zu zeigen und die Gefahr zu mindern. Für sie war er schlechtweg ein römischer Edelmann und Gast Lorenzos, der sein Leben an ihren Besitz wagte und nur deshalb nicht bei ihrem Bruder um ihre Hand warb, weil sie selber es ihm verboten hatte, denn seinen wahren Stand und Namen verschwieg er ihr. – –

Was ich auf diese Beichte ihm erwiderte und wie wir auseinanderkamen, ist mir nicht mehr erinnerlich, nur weiß ich, daß ich lange, lange durch die menschenleeren Straßen irrte, bald hundert Schritte vorwärts rennend, als ob ich im schnellsten Lauf die schreckliche Enthüllung hinter mir lassen könnte, bald plötzlich am Boden angewurzelt, wie einer, dem die jähe Überraschung die Füße lähmt; denn daß es so weit mit Pia gekommen, das wollte mir noch gar nicht zur dauernden Klarheit werden, sondern schlug nur von Zeit zu Zeit wie ein Blitzstrahl in mein Gebein.

Ich kam erst zur Besinnung an einer zischenden Brause, die mir über dem entblößten Kopf niederging, und fand mich weit weg bei San Niccolò, an der Brustwehr des Stromes lehnend, der seine gelben Wogen erzürnt vorüberrollte, denn Regengüsse in den Bergen hatten ihn über Nacht geschwellt. Ein grauer Flor verhüllte den ganzen Himmel und sandte einen dichten, alles verschleiernden Regen nieder mit einer Kälte, die mir das Gebein durchfröstelte. Die Sonne, nach der meine nassen, vom Regen blind gemachten Augen suchten, hatte wie aus Scham ihr Angesicht tief verborgen.

Zu Hause fand ich zu meiner größten Überraschung den Kardinal, der mich hier erwartete, nach dem er lange in den dämmernden Straßen nach mir gesucht hatte, denn ich war in stummer Verzweiflung von ihm fortgerannt. Aber die Müdigkeit hatte ihn überwältigt, daß er auf meinem Ruhebett eingeschlummert war – seine Mütze hatte er abgelegt, Degen und Mantel waren zu Boden geglitten, und mit dem emporgewandten friedlichen Antlitz, dessen wunderbaren Adel sein leichtfertiges Leben nicht zerstören konnte, glich er mehr als je meinem Sebastian.

Er erhob sich, sobald ich eintrat, und sagte, seine goldbraunen Haare aus dem Gesicht schüttelnd: »Geschehene Dinge sind einmal nicht mehr zu ändern.«

Ich hielt meine Augen von ihm weggewendet, während er schön wie ein Cherub im Zimmer stand, aber er legte mir beide Arme um den Hals und sagte im Tone des alten Vertrauens: »Komm, blicke nicht so finster weg – soll ich denn um dieses Mädchen einen Bruder verlieren? Sage mir nicht, du habest sie geliebt; man kann nicht lieben, was man nicht besitzt, und dein Leben gehört einer anderen Gottheit an. Was brächte es denn dir für Gewinn, wenn ich sie im Kloster hinwelken ließe? Komm, sei nicht traurig, sonst wünschte ich wahrlich, ich hätte sie nie gesehen.«

Und nun enthüllte er mir einen verbrecherischen Plan, zu dem er schon die Anstalten getroffen hatte, weil die doppelte Gefahr der Entdeckung stündlich über seinem Haupte schwebte. Er wolle sie auf ein Landgut in der Nähe Roms führen, wo er sie unerkannt besuchen könne; es müßten dort sichere, ihm blindlings ergebene Leute um sie sein. Er wolle sein Unrecht nach Kräften gutmachen, er denke selbst eine Art Trauung vornehmen zu lassen, damit ihr Gewissen sich ganz beruhige, »denn«, setzte er seufzend hinzu, »ich will lieber die Zahl meiner eigenen Sünden noch vermehren, als sie bekümmert sehen.«

Ich starrte ihn an, ob er im Fieber spreche, oder ob meine Ohren falsch gehört hätten.

»Ihr Laien nehmt solche Dinge viel zu ängstlich«, sagte er verlegen, als er mein sprachloses Entsetzen sah.

Ich suchte vergeblich nach Worten, um sein Gewissen zu rühren; ich stellte ihm vor, an welch reinem, kindlichem Gemüt er sich versündigt hatte; ich sagte, daß die Entdeckung der Wahrheit, die nicht auf immer ausbleiben könne, Pia zur Verzweiflung treiben müßte, und schlug ihm als einzige Rettung sein schleuniges Verschwinden vor.

Er fuhr heftig auf: »Was fällt dir ein? Ich würde lieber sterben als mich von ihr trennen. Ja, wenn ich sie jetzt verließe, dann würde sie verzweifeln.«

»Liebt sie dich denn so sehr?« fragte ich bebend.

Ein Lächeln ging über sein ganzes Gesicht, und er richtete die Augen nach oben: »Wenn ich sagte: ›Komm!‹, sie würfe sich von ihrem Turm herab in meine Arme.«

Ich mußte die Faust in den Mund schieben, um einen Schmerzensschrei zu ersticken. So waren alle Schätze, die mir das Leben zum Paradiese machen konnten, in den Kot geworfen, die Gottheit, der ich mich nur mit gebogenem Knie zu nahen wagte, so tief herabgewürdigt! Fabrizio begann allmählich zu begreifen, was ich litt; er suchte meine Eifersucht zu dämpfen, indem er sagte: »Du mußt darum nicht glauben, daß ich auf Rosen gebettet sei bei dieser Schwärmerin. Ein Heiliger ist keine bequeme Rolle, und wenn sie jetzt auch weiß, daß ich ein Mensch bin, muß ich mich doch hüten, daß ich ihrem Abgott nicht zu unähnlich erscheine« – aber er schwieg bestürzt, denn ich schrie laut auf vor Wut über diesen leichtfertigen Ton.

Ich nahm mich zusammen, um ihn auch jetzt mit keinem Worte zu verletzen; ich beschwor ihn nur aufs neue, sich loszureißen, sich für tot oder treulos beweinen zu lassen, Pia werde dann im Kloster Frieden finden. Aber er war für alle Mahnungen des Gewissens taub. Ich weinte vor ihm, ich umschlang seine Knie, ich drohte, ihn zu verraten, es war alles vergebens.

Er machte sich sanft von mir los und sagte: »Die schlaflose Nacht hat deinen Sinn verstört. Ruhe dich aus, Gaetano, wir reden ein andermal von diesen Dingen. Komm, laß mich gehen, Piero erwartet mich – du, und mich verraten! Eher fürchte ich, daß mein rechter Arm meinen linken zerfleische, als daß mein Gaetano mich verrät.«

Er ging mit zuversichtlicher Stirne hin und ließ mich in einer Hölle zurück. So ermattet ich war, die Schmerzen gönnten mir auf dem Lager keine Ruhe; ich zerbiß in plötzlichen Wutanfällen die Kissen, um die noch ein feiner Duft aus Fabrizios Gewand und Haar schwebte; mit meinem Dolch zerfetzte ich Polster und Teppiche und was mir in die Hände fiel, und lag dann wieder stundenlang gedanken- und regungslos, als ob eine Keule mir den Kopf zerspalten hätte. Er empfing vielleicht zur selben Stunde die glänzende Florentiner Jugend in seinem Hause und würzte mit tollen Geschichten das Tischgespräch, ohne eine Regung von Sorge oder Reue um das verratene Mädchen, das ihn an die Stelle Gottes gesetzt hatte. Ich war gewiß, wenn ich Fabrizios Seele um- und umwenden könnte wie einen Handschuh, ich würde nicht für einen Heller Gewissensbisse darin finden.

Ich eilte wieder ins Freie hinaus, denn die Blutwellen, die unablässig nach meinen Schläfen drängten, drohten mir das Hirn zu zersprengen. Draußen tropfte der verrinnende Regen noch von den Dächern, ich lehnte mich über die Arnobrücke, um deren steinerne Pfeiler eine donnernde Brandung schäumte, und blickte nach dem alten, moosumwachsenen Turm hinüber, von dem aus der Wolf die Hürde meines Lammes erschlichen hatte. Unwillkürlich malte meine Phantasie sich diese nächtliche Szene aus, ich sah die geschmeidige Gestalt meines beglückten Rivalen durch die Fensteröffnung schlüpfen, sah ihn hoch oben auf der schmalen Steinbrücke wieder zum Vorschein kommen, um dann Schritt für Schritt den unheimlichen Pfad in den Lüften zu durchmessen – und sein Fuß strauchelte nicht zwischen den schlüpfrigen Schlinggewächsen, kein schützender Genius breitete seine Arme über das verratene Mädchen aus und schmetterte den Ruchlosen in die Tiefe. Ich stand da und knirschte hilflos mit den Zähnen und sagte mir: es darf nicht sein, es muß ein Ende haben! Könnte ich den Verderber hier unten in den wirbelnden Fluten begraben und mit ihm auf ewig Pias Schande, und dann die Gerettete in meine Arme nehmen und sie weit forttragen in ein glücklicheres Land, wo kein Bruder in unnatürlichem Rasen die Schwester ihrer schönen Bestimmung entreißt und sie dem Wahn und dem Verderben in die Arme treibt!

Unterdessen hatte der Himmel aufs neue seinen Schoß geöffnet, und ein Regenguß entlud sich, wie ich meinte noch keinen erlebt zu haben. Das Wasser schoß mit solcher Gewalt herab, daß es sich nicht gleich im Niederfallen mit dem des Stromes mischte, sondern zuvor noch zurücksprang, daß es aussah, als ob der ganze Arno sich erhebe und gen Himmel zische.

»Brich aus und ersäufe die Greuel dieser Stadt!« schrie ich in den Aufruhr hinein und meinte wirklich das Steigen des Wassers mit den Augen verfolgen zu können. Unterhalb der Stadt war der Fluß bereits ausgetreten und überschwemmte die Wiesen, noch ein paar Stunden solchen Regens, so stand der ganze westliche Stadtteil im Wasser, und den zwei Verliebten war auf längere Zeit die Zusammenkunft verdorben.

Ich hatte mich unter das Vordach des Brückenhäuschens geduckt und ließ den ganzen Sturm der Elemente vertoben, ehe ich mich auf den Heimweg machte.

»Die Wahrheit kann und darf ihr nicht verborgen bleiben; je länger der Frevel dauert, desto härter wird sie ihn büßen«, dachte ich, »also lieber gleich!« – So glaubte ich zu denken. Aber ach, heute, nachdem ich mein Inneres wohl hundertmal geprüft und umgewendet habe, daß jede noch so versteckte Falte zutage trat, weiß ich: was mich zu der hastigen Tat trieb, war doch nur die blinde Eifersucht. Ich hatte wohl auf Pias Liebe verzichten müssen, aber daß ein anderer sie durch Betrug besaß, war mehr, als ich ertragen konnte.

Und doch wäre vielleicht mein Gewissen rein geblieben, hätten mir nicht die Dämonen, welche Blut beschlossen, meinen früheren Diener Cecchino gerade damals in den Weg geführt.

Er begrüßte mich mit Jubel und bot mir gleich wieder seine Dienste an, obwohl er unterdessen einen anderen Herrn gefunden hatte. Wenn es jetzt in dem alten Haus am Flusse etwas zu bestellen gäbe, das wäre gerade ein Geschäft für ihn, denn die hübsche Magd des Notars, dieselbe, die bei meinem letzten Besuch geholfen – auf Johanni trete sie aus dem Dienst, und da habe er versprochen, sie zu heiraten –, die tue ihm alles zulieb und könne jeden Auftrag besorgen, da sie das Fräulein täglich sehe. Es werde jetzt keine so strenge Überwachung mehr geübt, auch der scheele Battista habe anderes zu tun, denn – setzte Cecchino geheimnisvoll hinzu nach den Dingen, die ihm das Mädchen erzähle, komme es ihm vor, als stehe Ruggiero in geheimen Beziehungen zu den Verbannten und plane einen Staatsstreich.

Ich hörte von dem allem nur das eine, daß der Weg zu Pia offen stand, ich segnete den Burschen als meinen guten Engel und nahm ihn gleich mit nach Hause. Dort schrieb ich ein Briefchen, um Pia zu warnen, ich teilte ihr mit, wer ihr Geliebter sei, und beschwor sie, wenn sie Rat und Hilfe bedürfe, sich meiner brüderlichen Freundschaft zu vertrauen.

Cecchino ließ ich bei seiner Seele Seligkeit schwören, das Brieflein sicher in Pias Hände zu befördern. Er beteuerte, daß dies ein leichtes sei, und setzte mir alles haarklein auseinander. Die Lena komme jeden Morgen, ehe sie auf den Markt gehe, mit ihrem Körbchen nach Ognissanti zur Frühmesse, dort warte er auf sie und trage ihr zuweilen auch den Korb nach Hause. Ruggiero achte nicht darauf, seit meiner Abreise habe er die Sorge für das Fräulein einer alten Betschwester aus der Verwandtschaft übertragen, die taub sei und den halben Tag schlafe. Da finde sich leicht die Gelegenheit, im Garten oder auf der Treppe dem Fräulein ungesehen den Zettel zuzustecken. Das Mädchen sei treu wie Gold, und wenn ich versprechen wolle, ihn wieder in meine Dienste zu nehmen und die Lena dazu als seine Frau, so würden sie beide für mich durch Wasser und Feuer gehen.

So segnete ich den Zufall für diese unerwartete Güte und gab das Blatt aus der Hand, an dem ein Verhängnis hing. Als der Schritt geschehen war, wurde mir leichter, und ich ging nach all den Erschütterungen mit der Überzeugung, daß ich meine Pflicht getan, früh zur Ruhe. Aber nach ein paar Stunden festen Schlafes erwachte ich plötzlich an einem Druck, an einer unleidlichen Bangigkeit. Hatte ich schwer geträumt, war ein Nachtgeist unheilkündend an mir vorübergestreift? Ein unaussprechliches Wehgefühl zerriß mir das Herz, ich fühlte gar keinen Zorn mehr, nur ein grenzenloses Mitleid mit mir, mit Pia, selbst mit Fabrizio, mit der ganzen blinden, leidenden Welt.

Ich weinte wie ein Kind, ohne daß die Tränen meine Seele erleichterten, es litt mich nicht mehr auf dem Lager, ich kleidete mich mit zitternden Händen an und eilte in die dunkeln Gassen hinaus. Ein unklares Gefühl trieb mich dem Arno zu, ich wußte nicht, was ich dort wollte, es war mir nur, als ob Pia nach mir riefe. Und zum ersten Male tauchte der entsetzliche Gedanke in mir auf, sie könne sich in der Verzweiflung ein Leides getan haben, doch ich verscheuchte das Schreckbild, dessen Anblick ich nicht ertragen konnte, indem ich mir ihre glühende Frömmigkeit ins Gedächtnis zurückrief.

Die Nacht war so finster, daß ich mich an den Häusern vorwärts tasten mußte, nur da und dort gab mir an einer Straßenecke der Schein eines Tabernakels die Richte.

Ich suchte den Fluß hinab vom linken Ufer einen freien Ausblick nach Pias Fenster zu gewinnen, ob nicht das Licht in ihrem Zimmer meine Sorgen beschwichtige, aber das Viertel von San Frediano war von der wachsenden Gewalt des Stromes überschwemmt, und das Wasser stand schon in den Straßen. Daher kehrte ich um und strebte wieder meiner Wohnung zu, als mir die Brücke herauf zwei Männer entgegenkamen, die einen dritten in ihrer Mitte führten, ihn unter den Armen haltend. Dieser hing schwer bald auf die eine, bald auf die andere Seite und schien sich in einem Zustand bewußtloser Trunkenheit zu befinden, dergleichen ich nie gesehen hatte. Die beiden andern schwankten gleichfalls hin und her und sangen dazu, während im Näherkommen einer dem Stummen in der Mitte von Zeit zu Zeit einen Stoß versetzte und ihn ermahnte, selbst zu gehen. Sie trugen alle drei lange Mäntel mit über den Kopf gezogenen Kapuzen, auch war die Dunkelheit so groß, daß ich keine Gesichter sah. Aber als ich sie im Vorübergehen scherzend fragte: »Was habt ihr da geladen?« und einer von ihnen mir mit derbem Lachen antwortete: »Einen Schlauch Rotwein, wie du siehst«, da wollte mir die Stimme bekannt erscheinen, ohne daß ich wußte, wem sie gehörte. Sie gingen weiter, und ihr Gesang wurde bald vom Brausen des Wassers übertäubt. Ich hatte bemerkt, daß der Dritte beim Gehen die Füße nicht bewegte, sondern mehr geschleift als geführt wurde, wobei er wie eine tote Last nach vorwärts fiel. Als ich aber ein paar Schritte von der Brücke entfernt war, meinte ich einen dumpfen Fall zu hören, wie wenn ein schwerer Körper ins Wasser schlägt. Ich erschrak und eilte an den Ort zurück, aber da war nichts zu hören, noch zu sehen, die Dunkelheit hatte die drei Männer verschlungen, und die Wasser rauschten laut und schäumend um die Brückenpfeiler, daß ich glauben mußte, durch dieses Getöse getäuscht worden zu sein.

Beim Weitergehen stieß ich auf zwei bewaffnete Wächter mit Laternen am Stock, die mich fragten, ob ich nicht Degengeklirr und streitende Stimmen vernommen hätte. Ich verneinte und erzählte ihnen die seltsame Begegnung. Aber der Vorfall hatte meinen Gedanken eine andere Richtung gegeben, das Schäumen der Wasser brachte mir jene Stunde aus meiner Kindheit vor den Geist, wo mein Bruder mich aus solchen Todesstrudeln gerettet hatte. Jetzt, da ich dachte, ihm sein Opfer entrissen zu haben, schmolz mein Herz gegen ihn und kannte keinen Groll mehr, die Zeiten kehrten mir zurück, wo wir einander das Teuerste auf Erden gewesen, und ich sagte mir, daß er vielleicht der einzige Mensch sei, der mich wirklich liebte. Denn die Täuschung, als ob Pia im Werk meiner Hände mich selbst geliebt habe, war mit einem Male zerronnen, und jetzt hatte er sie so gut verloren wie ich, ich brauchte ihn also nicht mehr zu hassen. Ob er mir jemals verzeihen würde, was ich getan? – Eine tiefe Wehmut bemächtigte sich meiner und füllte mir die Seele mit unaussprechlicher Sehnsucht nach dem verlorenen Bruderherzen. Und während ich weinend weiterging, schien mir die Nacht wie ein großes Bahrtuch auf alles, was ich liebte, niederzusinken.

Der Morgen machte mich wieder zum Mann, aber die Redlichkeit forderte es jetzt, den Kardinal von dem Geschehenen in Kenntnis zu setzen. Ich wappnete mich in meine gute Sache und wanderte zu Fuß nach San Domenico, wo mir die Dienerschaft mitteilte, daß Monsignore schon den gestrigen Abend mit dem erlauchten Piero weggeritten und seither nicht zurückgekommen sei. Dieser Aufschub bedrückte mich, denn ich empfand ein dringendes Verlangen, mir die Seele zu erleichtern und dem Bruder frei in die Augen zu blicken.

Zu Haus erwartete mich Cecchino bestürzt und niedergeschlagen, er hatte mich, wie er sagte, seit dem vergangenen Abend gesucht und nirgends mehr finden können.

»Ich kam, um Euch zu warnen«, sagte er aufgeregt, »ich weiß nicht, was vorgeht, die Lena sollte gestern abend kommen und mir Nachricht bringen, wie wir verabredet hatten, aber sie blieb aus – auch heute früh kam sie nicht in die Kirche. Ich versuchte es am Ende und ging unter einem Vorwand gerade ins Haus, aber da wies mich der Scheeläugige mit barschen Worten ab und schlug mir die Türe vor der Nase zu.«

»Dann ist dem Fräulein etwas zugestoßen«, rief ich, denn eine ungeheure Angst hatte mich gleich bei seinen ersten Worten erfaßt und mir alle meine nächtlichen Ahnungen zurückgerufen. Aber der gute Mensch schüttelte den Kopf und suchte mich über diese Furcht zu beruhigen, indem er versicherte, er habe das Fräulein noch vor kurzem gesund und wohl oben im Garten an der Mauer lehnen sehen. Aber, setzte er zaghaft hinzu, er glaube, daß sie den Brief gar nicht bekommen habe.

»Nicht bekommen?« sagte ich, und eine andere, nicht minder schreckliche Furcht verdrängte die erste.

»Seht«, antwortete er, »sie nickte mir freundlich von der Mauer zu, denn wir hatten zuweilen ein Wort gewechselt, aber sie gab kein Zeichen, daß etwas Geheimes zwischen uns sei. Und dann, müßt Ihr wissen, ist es dem Herrn Ruggiero verredet worden, daß Ihr hier seid, denn der Notar begegnete mir gestern und sagte: ›Also dein Herr ist wieder da? Meine Frau hat ihn ums Haus schleichen sehen; er soll jetzt fein vernünftig sein und sich die verliebten Gedanken aus dem Kopf schlagen.‹ Ich hätte vielleicht besser getan, den Brief gar nicht zu bestellen, da Ruggiero gewarnt war, aber ich meinte zu verstehen, daß sie um Euretwillen das Fräulein rascher aus dem Haus schaffen wollen, und da, dachte ich, habe die Sendung doppelte Eile.«

»Und nun glaubst du –?« begann ich, aber ich konnte den Satz nicht zu Ende sprechen, denn die Zunge klebte mir an dem vertrockneten Gaumen.

»Ich fürchte, er hat der Lena aufgelauert und ihr den Brief entrissen, darum wollte ich Euch warnen, Herr, daß Ihr ihm nicht in den Weg rennt.«

 

Ich hatte mir vorgenommen, die Geschichte Schritt für Schritt, wie sie geschehen ist, gleich als eine fremde Begebenheit zu Ende zu erzählen, aber im Schreiben faßt mich das ganze Entsetzen von damals wieder und läßt mich nicht auf den Erinnerungen jener Tage verweilen. Das eine will ich nur sagen, daß ich gleich nach Cecchinos Mitteilung mich auf das schnellste Roß warf und mit verhängten Zügeln nach San Domenico sprengte, wo der Kardinal noch immer nicht erschienen war. Die Ruhe der Dienerschaft, welche an sein Ausbleiben gewohnt war, beschwichtigte ein wenig meine Aufregung, ich begann zu hoffen, daß ihm, solange er mit Piero sei, kein Unglück zustoßen werde und daß ich noch Zeit habe, ihn vor Ruggiero zu warnen. Ich versprach demjenigen eine hohe Belohnung, der mir zuerst seine Rückkehr anzeige, da ich Monsignore eine Mitteilung von allerhöchster Wichtigkeit zu machen habe. Aber der Abend kam, und ich erhielt keine Nachricht, und als ich ein drittes Mal mich in San Domenico zeigte, flüsterte mir Fabrizios Vertrautester, der mich von Rom her kannte, zu, es sei möglich, ja wahrscheinlich, daß Monsignore die Stadt verlassen habe – eine Angelegenheit der zartesten Art – ich werde ihn ja verstehen – und da ich heftig in ihn drang, mir alles zu sagen, erzählte er, daß am vergangenen Abend dem Kardinal durch einen schlecht gekleideten bäurischen Menschen noch spät eine mündliche Botschaft überbracht worden sei; er habe vom Nebenzimmer aus so viel verstanden, daß es sich um ein Fräulein handle, das gegen ihren Willen ins Kloster geschafft werden solle. Der Kardinal habe sich mit dem Menschen lang und umständlich verabredet und sei dann eine halbe Stunde später wohlbewaffnet in Pieros Gesellschaft weggeritten.

Hatte sich Pia unter Fabrizios Schutz geflüchtet? Das war nicht möglich, denn Cecchino hatte sie ja noch den folgenden Tag gesehen. So war es ein Fallstrick, den ihm Ruggiero gelegt hatte und ich mußte schweigen, mußte meine qualvollen Befürchtungen für mich behalten und die Nachforschungen allein fortsetzen, um Pias Namen nicht ins Spiel zu bringen.

Ich eilte noch am selben Abend zu Piero, wo ich jedoch nichts weiter erfuhr, als daß sich der Kardinal etwas früher als sonst von der Gesellschaft getrennt habe und seitdem nicht mehr gesehen worden sei.

Ein zweiter Tag verging, dann ein dritter. Niemand sprach von dem Verschwinden des Kardinals, er hatte den Befehl hinterlassen, nicht nach ihm zu forschen. Mir fiel Minute um Minute wie Tropfen siedenden Öls auf die Seele, und die beiden Tage wurden zu zwei Jahrtausenden der Verdammnis. Da, eines Morgens – – – Herr Jesu, sei uns allen gnädig in der Stunde des Gerichts! – – – – –

*

Als der Arno fiel, hatten sie keine dreißig Schritte unterhalb des alten Turmes einen Leichnam aus dem Wasser gezogen, der im Weidengebüsch verfangen war.

Ich trieb mich eben in der Nähe umher, als vor der Pforte, die zu dem Fluß führt, ein Rennen und Laufen entstand. Ich drückte mich unter die Menge, aber ich wagte nicht an den Ort zu gehen, nur von den Zurückkehrenden fing ich einzelne Worte auf, die mir das Schreckliche enthüllten.

»Der arme Jüngling! Das Hochwasser hat ihn fortgerissen«, sagte der eine. Ein anderer antwortete: »Nein, er ist nicht ertrunken, er hat ja eine Wunde auf der Brust – ein Mord! –«

»Es muß ein großer Herr sein, nach der Kleidung zu schließen«, hieß es bei anderen – »ja, der Tod macht mit keinem Umstände« und achselzuckend gingen sie weiter.

Ich stand eingewurzelt bei der Mauer, nichts lebte in mir als das Ohr, das jedes Wort auffing. Und immer kamen neue Scharen und drängten sich zu der Unglücksstätte, Handwerker im Schurzfell, ihre Werkzeuge noch in der Hand, rannten aus den offenen Läden herbei, Weiber kamen mit Kindern auf den Armen, um sich an dem traurigen Schauspiel zu weiden.

»Die Müllerknechte haben ihn zuerst gefunden«, hörte ich in einer Gruppe sagen. – »Nein, die Fischer waren es.« – »Wer ist denn das Mädchen, das sie mit Gewalt von der Leiche wegtrugen?« fragte eine Frau, die eben von der Stätte zurückkam.

Ich stand noch immer und horchte. Ein paar Schritte über den Torweg und nach dem Arno hin hätten mir Gewißheit gegeben, aber ich war nicht imstande, mich zu regen. Endlich hieß es: »Da bringen sie die Bahre! – Mützen ab, es sind die Brüder der Misericordia.«

Die Vermummten kamen eilig heran, in ihrem gleichmäßigen Schritt, den Pilgerhut nach hinten über die schwarze Kapuze zurückgeschoben, die leere Bahre niedrig am Boden tragend.

Die Menge wich aus, ich blieb unbeweglich stehen, mir schien es, als ob all diese Augen aus den schwarzen Masken heraus auf mich einbohrten und mich unter der Menge als Mörder suchten. Endlich wollte ich mich aufraffen, um ihnen zu folgen und der Wahrheit ins Gesicht: zu blicken, aber eine ungeheure Feigheit lähmte meinen Willen. Noch konnte ich ja hoffen, so lang ich ihn nicht gesehen hatte, und so lang ich hoffte, lebte mir Fabrizio noch, und ich war rein von Brudermord.

Ein paar Stunden vielleicht konnte ich gewinnen, ehe die Hölle begann. – Und so schlich ich nach Hause, indem ich bei jedem Schritt mühsam den Fuß vom Pflasterstein losreißen mußte.

Ich saß wie ein Blödsinniger in meiner Werkstatt, als ein Häscher erschien und mir im Namen des Bargello befahl, mit ihm zu gehen. In meiner Verwirrung glaubte ich, daß man mich schon ins Gefängnis abhole, und folgte schwankend ohne Widerspruch. Aber er führte mich nach der Kirche Ognissanti, die von Menschen gefüllt war; viele Kerzen brannten am Altar, unter dem eine Leiche aufgebahrt war. Alle Augen hefteten sich auf mich, und die Leute rückten zur Seite, um meiner jammerwürdigen Gestalt Platz zu machen. Männer in roten Mänteln umstanden den Sarg und entzogen mir noch den Anblick des Toten. Einer von ihnen kam mir entgegen und begann eine umständliche Rede, daß die Arnofischer einen Leichnam aus dem Wasser gezogen hätten, in dem man den vermißten Kardinal Orsini zu erkennen glaubte. Da aber der Tote durch das längere Liegen im Wasser sehr verändert sei und man wisse, daß ich Monsignore von früher Jugend nahegestanden habe, werde ich aufgefordert, zu erklären, ob die Persönlichkeit mit der des verschwundenen Kardinals übereinstimme.

Ich brachte als Antwort nur einen tierischen Laut aus der Kehle, der Kreis öffnete sich, aber statt heranzutreten, wich ich weit zurück, denn mir war, als ob unter meinem Fuß die ewigen Flammen leckend aufschlügen. Einer von den Roten wollte mich vor die Bahre ziehen, aber ich sträubte mich, ich schrie, man solle mich lassen, denn ich bildete mir ein, daß bei meinem Herantreten ein roter Blutquell aus der Wunde brechen müsse, und als ich von den Rückwärtsstehenden mit Gewalt vorgeschoben wurde, wagte ich dem Toten nicht ins Gesicht zu sehen; nur ein flüchtiger Blick aus halbgeschlossenen Lidern hervor zeigte mir die geballte wachsweiße Hand, an welcher ein paar mir wohlbekannte Juwelen glänzten. Ich wußte nicht mehr, wo ich mich befand, ich meinte, der Tote hebe klagend die Hand gegen mich auf, ich schrie: »Fabrizio, verzeih mir, verzeih mir!« – und stürzte neben ihm zu Boden.

– – – – – Nach diesem Auftritt sah sich der Rat der Achte bewogen, mich in Gewahrsam bringen zu lassen. Mir erschien alles wie ein wüster Traum. Als man mich in den Palast des Podestà führte, empfand ich nur ein dumpfes Staunen, daß ich dieselben Räume, deren edlen Bau und künstlerischen Schmuck ich oft bewundert hatte, als Gefangener betrat, und auch jetzt starrte ich beim Hinaufsteigen sinnlos die Wappenschilder längs der Treppe an. Gefangen und des Mordes verdächtig; dieses Bewußtsein durchdrang mich langsam, als ich hinter doppelter Türe auf dem hölzernen Schrägen saß. Aber ich war fest entschlossen, um jeden Preis Pias Ehre zu retten und ihr den Bruder zu erhalten, und hatte deshalb gleich auf die Frage, ob der Kardinal Feinde besessen, verneinend geantwortet. Auch als man mir zu bedenken gab, daß ich durch meine Stummheit die eigene Lage verschlimmere, denn es habe sich ein Zeuge gegen mich gefunden, der mich unlängst in heftigem Wortwechsel mit dem Ermordeten gesehen, blieb ich bei meiner ersten Erklärung. Mochte es denn mein eigenes Leben kosten, ich war bereit, es als freiwillige Sühne darzubringen, ich dachte an den greisen Tommaso, der mich freundlich lächelnd dort oben empfangen werde, wenigstens einer, dem ich in die Augen blicken durfte, und in dem finsteren Abgrund meines Innern dämmerte ein Licht des Friedens auf.

Ja, nicht nur um den Täter, den ich allein kannte, vor Entdeckung zu schützen, um meiner selbst willen wollte ich den Mord auf meine Schultern nehmen, denn ich war ja doch der Schuldige, wenn nicht nach der Tat, so doch im Geiste, ich hatte den Streich nicht geführt, aber ich hatte den Arm des Mörders bewaffnet. Ich betete aus Herzensgrund, daß mein Blut als einzige Sühne für diese Tat fließen möge, und aus der Erleichterung, die mein Entschluß mir gewährte, meinte ich zu erkennen, daß Gott mein Opfer gnädig annehme. – Und doch, es war so grausam, von Henkershand zu sterben, so jung noch, in voller Kraft des Schaffens, ehe ich meinen Namen unsterblich gemacht. Alle die unerschaffenen Werke, die in meinem Geiste lebten, lockten schmeichelnd ins Leben zurück. Ich zitterte davor, daß ich schwach werden könnte; wo die Religion nicht ausreichte und das matte Licht meines Glaubens sich wieder zu verfinstern drohte, rief ich die Heldengestalten des Altertums zu Hilfe, daß sie mich stärken sollten.

So verbrachte ich die Stunden, die sich endlos dehnten; sooft ich auf dem Gang Schritte vernahm, meinte ich herausgeführt zu werden in die ewige Freiheit, aber niemand kümmerte sich um mich, und ich erfuhr nicht, was außen vorging.

Als mir der Gefangenenwärter das Essen brachte, flüsterte er mir zu: »Seid guten Mutes, Herr, Ihr steht unter starkem Schutz. Seine Magnifizenz glaubt nicht an Eure Schuld. Wäre es nicht ein Kardinal, so hättet Ihr längst Eure Freiheit wieder.«

Ich antwortete ihm nicht, denn ich hielt den Blick unverwandt auf jenes Licht geheftet, das mir den Ausweg aus aller Qual zeigte, mir Frieden verhieß und mich fast mit Freuden erfüllte, dem ich jetzt nachgehen wollte, ohne mehr nach dem Irdischen zurückzublicken. Dennoch verbrachte ich auch diese Nacht schlaflos unter dem vergeblichen Bemühen, mich zu Gott hindurchzuringen und meine Seele auf ihren höchsten Richter vorzubereiten. Wie sollte dies kahle, nie beackerte Erdreich jetzt mit einem Male Früchte des Glaubens tragen? Das göttliche Wort war mir ein Klang ohne Leben, ich hielt den Entschluß zu sterben aufrecht, aber ich fand den Weg zu meinem Erlöser nicht. Erst gegen Morgen entschlummerte ich aus Erschöpfung, und meine Seele, an deren Pforte kein Engel Wache stand, fiel den furchtbarsten Dämonen des Traumes zur Beute.

Meine Zähne schlugen wie im Fieber aneinander, und ich fühlte, daß eine Krankheit im Anzug war, als ich endlich vor meine Richter gestellt wurde. Unter ihnen erkannte ich einen gewissen Messer Niccolo, der zu den Kreaturen des Magnifico gehörte und an jenem Tage den Vorsitz führte. Er redete mich wohlwollend an, aus seinem ganzen Gebaren sprach die Absicht, mich schuldlos zu finden, als er nach den üblichen Formalitäten die Frage an mich stellte, was ich in jener Nacht, als der Kardinal verschwand, so spät noch auf der Carrajabrücke zu tun gehabt. Ich wußte nicht, wohin die Frage zielte, und da ich mich in ein wirres Stammeln verlor, schrie mich einer der Herren heftig an, die Wahrheit zu sagen, denn man habe Mittel, mir die Zunge mit Gewalt zu lösen.

Ich ließ einen entsetzten Blick durch das große viereckige Gemach schweifen, wo in einem Winkel ein unheimliches Werkzeug befestigt war. Ich wußte, daß mein schwacher, durch die lange Seelenqual erschöpfter Körper keiner Folter standhalten konnte, und schrie, während der Angstschweiß meine Stirne netzte: »Ihr Herren, macht ein Ende, fragt nicht weiter, die Tat habe ich begangen, ich allein, ohne Mitschuldige –«

Ein Ruf der Überraschung und des Unwillens unterbrach mich, und Messer Niccolo warf vorwurfsvolle Blicke auf seine Kollegen, ehe er sich wieder an mich wandte und in fast bittendem Tone sagte: »Du redest im Fieber, Gaetano, oder die Furcht hat deinen Sinn verwirrt. Wir wollen nichts von dir wissen, als wer die zwei Männer waren, die in jener Nacht mit einem Dritten, Regungslosen auf der Carrajabrücke an dir vorübergingen.«

»Die Männer, ihr Herren, kannte ich nicht, denn die Nacht war dunkel, wie euch die Wächter, die mich dort fanden, bezeugen können.«

»Besinne dich wohl, Gaetano, denn an deinen Reden hängt jetzt dein eigenes Leben! In einem Hofraum unweit Ognissanti ist eine starke, schon vertrocknete Lache Blutes gefunden worden, von dieser führten Spuren zur Arnobrücke und auf einem großen Bogen durch die Stadt nach dem Flusse zurück. Da ohne Zweifel ein Kampf stattgefunden hat, bei dem auch der Mörder verwundet wurde, so ist kein Zweifel, daß diese Spuren von dem letzteren herrühren. Also sage uns offen – denn du siehst, wir haben schon unsern Verdacht – ob du nicht in einem der Männer den Herrn Ruggiero, Tommasos Sohn, der dort am Flusse wohnt, erkanntest.«

»Ich habe niemand erkannt«, stammelte ich, den Rest meiner Kraft zusammennehmend, »ich weiß nichts von diesen Männern – der Mörder bin ich, ich allein.«

Aber ich wankte schon auf den Knien, daß mich ein Häscher stützen mußte, und der Saal kreiste mit mir.

Da hörte ich Messer Niccolo noch sagen: »Betrachtet, ihr Herren, den Körperbau dieses armseligen Menschen, der die Tat begangen haben will, und stellt euch dazu die athletische Gestalt des Kardinals Orsini vor. Des Toten Brust ist mit Wunden besät, und diesem ist nicht einmal die Haut geritzt. Ich glaube, daß wir von dieser Aussage eines Wahnwitzigen keine Kenntnis zu nehmen brauchen.«

Nun erhoben sich widerstreitende Stimmen, denen ich nicht zu folgen vermochte. Ich lag in den Armen eines Häschers, und obwohl ich den Blick abgewandt hielt, stand doch vor meinem inneren Auge beständig jenes schreckliche Werkzeug; eine ungeheure Furcht, daß ich, der all dieses Unheil verschuldet, auch noch durch körperliche Schwäche den Rächer verraten könnte, verdrängte jeden andern Gedanken. Unterdessen war ein Sbirre eingetreten und machte Messer Niccolo eine lange Mitteilung, wonach sich dieser mit erfreutem Tone an die Richter wandte.

»Gott sei gelobt! Der Schuldige hat sein Versteck in San Marco verlassen und liefert sich selbst der Gerechtigkeit aus. Er werde augenblicklich vorgeführt! Diesen hier«, fuhr er mit einem Blick auf mich fort, »bringe man hinweg. Er ist krank und war schon krank, als er hierher kam.«

Auf der Schwelle stieß ich mit Ruggiero inmitten der Häscher zusammen. Er trug einen Arm verbunden, sein Gesicht war totenbleich und die Winkel des Mundes so tief herabgezogen, daß er um vieles gealtert schien. Im Vorübergehen sandte er mir einen durchdringenden Blick zu. Ich weiß nicht, ob ich Erleichterung empfand, daß nicht ich es war, der ihn verriet, oder Zerknirschung, daß Gott mein Opfer verworfen hatte, aber gewiß ist, daß ich es für eine Ehre gehalten hätte, meinen Kopf neben den seinigen auf den Block zu legen. – Das erste, was ich nach langer Zeit deutlich wahrnahm, war ein Summen und Brausen wie von vielen Menschenstimmen, aber als ich meinen schmerzenden Kopf vom Schragen erhob, wußte ich nicht, ob das Geräusch von außen hereindrang oder ob es in meinen eigenen Ohren brauste.

Der Wärter erschien wieder und brachte mir Essen, das ich nicht berührte.

»Der Tausend!« redete er mich vertraulich an, »habt Ihr denn einen Kopf zu viel? Ich sagte Euch ja, Ihr hättet nicht zu fürchten, und unsereiner weiß doch, woher der Wind weht. Nun, Ihr könnt Gott danken, daß man den Rechten hat.«

Als ich ihn fragte, ob er auch den Lärm vernehme, sagte er: »Das will ich meinen. Ganz Florenz drängt sich da außen vor dem Palast. Hört ihr, wie sie schreien: Palle! Palle! Wenn man ihnen den Gefangenen auslieferte, sie würden ihn in Stücke reißen.«

»Was ist geschehen?« fragte ich, mühsam meine Gedanken sammelnd.

»Ein arges Komplott hat man entdeckt. Der Streich galt gar nicht dem Kardinal, das war nur ein Mißgriff in der Dunkelheit; auf den Herrn Piero war es abgesehen, und dann sollten der Reihe nach alle seine Brüder dran. Ich habe es den Ruchlosen selber sagen hören«, fuhr er leiser fort. »Denkt Euch nur, weil der alte Stamm faul sei und keinen Axthieb mehr brauche, habe er die jungen Schößlinge ausrotten wollen. Schon gestern waren die Herren ihm auf der Spur, denn sein Diener, der mitschuldig war, wollte sich verkleidet aus der Stadt schleichen und hat sich, da man ihn festnahm, selbst entleibt.«

Einen Augenblick wagte ich zu hoffen, daß Ruggiero die Wahrheit geredet habe und daß ich doch kein Brudermörder sei, dann aber wurde mir seine ganze Absicht klar: er opferte sein Leben, um seinen Stolz und die Ehre seiner Schwester zu retten; so verstand ich auch den fragenden, gebietenden Blick, den er mir an der Schwelle zugeworfen hatte; er war nur erschienen, um meinen Angaben zuvorzukommen. Und er hatte richtig gerechnet, denn, obschon Fabrizios Vergehen unter seiner Dienerschaft Mitwisser hatte, wurde niemals eine Stimme laut, die der Ermordung des Kardinals einen anderen Beweggrund unterschob. So groß auch damals schon die Verderbnis unter dem Klerus war, sie wagte sich noch nicht nackt und frech über die Straße, und mit der Erklärung, die Ruggiero für seine Tat gab, war allen Teilen gleich gedient.

Ich wagte es bebend, nach dem Schicksal des Gefangenen zu fragen.

»Ha, der wird dem Henker wenig Mühe mehr machen«, war die Antwort, »schade drum. Er schrie und tobte wie ein Rasender vor den Herren da drinnen, bis ihm eine Ader sprang, daß ihm das helle rote Blut aus dem Munde lief, denn er hatte einen Stich in der Brust. Sie trugen ihn eben ohnmächtig vorbei, als ich unter der Türe stand. Das Völkchen wird unzufrieden sein, wenn ihm das Schauspiel entgeht, sorgt nur, daß es durch Euch entschädigt wird.« –

 

Es wurde Abend und wieder Morgen.

Als der Tag graute, trat ein Mann im Dominikanerhabit in meine Zelle. Ich erhob mich und wartete ruhig, was er mir anzukündigen habe, aber mein formverwöhntes Auge konnte es auch jetzt nicht lassen, diese Erscheinung zu mustern. Ich erblickte ein Gesicht von gewaltsamer Häßlichkeit, wie durch einen inneren Vulkan herausgetrieben, alle Formen ins Übermaß gesteigert, und doch regte sich der Geist des Malers in mir, dem es nicht zuwider gewesen wäre, diese ausdrucksvollen Züge nachzubilden.

Seine Augen, von einem eigentümlich falben Grau, waren müde und tief nach innen zurückgezogen, wie zwei Löwen, die in ihren Höhlen kauern.

»Ich komme von einer schuldbeladenen Seele, die in diesem Augenblick vor ihrem Richter steht«, – begann er leise.

»Ist Ruggiero tot?« unterbrach ich zitternd.

»Er ist reuig hinweggeschieden.«

Nach dem Ton der Worte durfte ich hoffen, daß der Rächer an seiner Wunde eines ehrlichen Soldatentodes gestorben sei, aber ich hatte nicht den Mut, danach zu fragen.

»Er bittet Euch, ihm zu verzeihen, wie auch er verziehen hat«, fuhr der Mönch fort. »Er habe Euch unrecht getan, verblendet durch allzu große Liebe für die Tochter seines Vaters. Auch läßt er Euch danken für das, was ihr für ihn tun wolltet. Ich soll Euch das sagen, es ist sein Auftrag.«

Die Worte fielen nicht im Ton der priesterlichen Milde, sondern hart und kurz, wie widerwillig, aus seinem Munde.

»Eine Bitte hat er an Euch hinterlassen, es ist ein weltlicher Gedanke, dessen er sich auch in der Nähe des höchsten Richters nicht entschlagen konnte, wofür ihm Gott in seiner Barmherzigkeit ein gnädiges Maß der Strafe zuerkennen möge.«

»Ich habe verstanden, Vater, und schwöre, daß ich lieber tausend Tode leiden, als die Ehre seines Hauses mit einem Hauche trüben will.«

»Ferner bittet er, Euch der Verlassenen anzunehmen, die in einer feindlichen Welt zurückbleibt. Die heilige Zuflucht ist ihr verschlossen, denn Gott hat das Licht ihres Geistes umnachtet.«

»O Vater«, sagte ich in Tränen, »wenn ich je wieder frei werde, soll diese Erbschaft des Toten für mich eine heiligteure Pflicht sein.«

Der Mönch durchbohrte mich fast mit den Blicken.

»Fürchtet nichts, in ein paar Stunden werden sie Euch in Freiheit setzen – Ihr seid zu nötig«, – aus seiner Stimme klang ein schneidender Hohn, dann setzte er rasch hinzu: »Mein Amt ist zu Ende«, und entfernte sich, ohne die Hand zum Segen zu erheben.

Ein paar Stunden später war ich in Freiheit, wie mir der Mönch vorhergesagt hatte!

Heller Kerzenglanz fiel aus Herrn Tommasos Zimmer auf die düstere Treppe, als ich das alte Haus am Flusse betrat. Ich hatte die Haustüre offen gefunden, Weihrauchduft drang heraus, aber niemand begegnete mir im Hof, und kein Laut ward vernehmbar, denn die Nachbarn mieden die Räume, die einen Hochverräter beherbergt hatten.

Unter dem Fenster nach dem Flusse, das ein dunkler Teppich ganz verdeckte, stand ein schwarz ausgeschlagener Katafalk, und darauf lag Pia, mein drittes Opfer in wenigen Tagen! Nein, nicht sie selbst, ein weißes Marmorbildnis, das ihr glich und ihr doch gänzlich fremd war. Die schwarzen Haare – ich sah sie zum ersten Male gelöst – lagen in feuchten Strähnen auf beiden Seiten des Sarges und reichten über die Knie herab. Weiße Rosen waren dazwischen gestreut und die ganze Gestalt mitleidig mit Blumen überdeckt. Die langen Wimpern warfen tiefe schwarze Schatten unter die geschlossenen Augenlider, aber der schmerzliche Zug des Mundes hatte sich geebnet, und über dem ganzen Angesicht lag ein verklärter, seliger Friede, als ob sie unter überirdischen Wonnen entschlummert wäre. Sie war noch schöner als je im Leben, aber über ihrer Schönheit lag jetzt ein majestätisches Siegel, das sie von Liebe, Mitleid, Trauer abschloß. Diese Schönheit tröstete und erhob mein Herz, ich war gewiß, daß ihre reine Seele alles Erdenleids vergessen unter Paradiesesblumen spielte. Viele Wachskerzen brannten ihr zu Häupten, und der Schein glitt über die Ahnenbilder an der Wand, die mir alle strafend ihre Augen zuwandten wie belebte Wesen. Noch stand Tommasos Stuhl bei der Gartentüre, aber diese selbst war verschlossen.

Ich wollte mich zurückziehen, da es hier nichts mehr zu tun gab, aber hinter mir hüstelte es auf dem Gange, und ich vernahm die Stimme des Notars: »Oh, o Herr Gaetano – teurer, be-bester Freund, wie geht es Euch? Ich bin so glücklich, Euch wiederzusehen.«

»Ihr habt recht«, fuhr er fort, als ich keine Antwort gab, »der Anlaß ist zu traurig – ach, ach – die Pia, Eure Braut – es bricht mir das Herz. Wir hatten sie doch so gut gehütet, aber gestern abend nur einen Augenblick ließ meine Frau sie allein, da ist das Unglück geschehen – hier an diesem Fenster, denn sie wollte immer nach dem Flusse sehen. Wir eilten gleich zu Hilfe, aber es war zu spät; als wir sie herauszogen, weilte ihre Seele schon bei den Engeln.«

Der Notar war in diesen Tagen noch kleiner geworden und gänzlich zur Mumie eingeschrumpft.

»Wußte Pia von diesen schrecklichen Ereignissen?« fragte ich leise.

»Sie wußte es und wußte es nicht, denn als die Häscher das Haus durchsuchten – der Herr behüte jeden Christenmenschen vor solchem Kreuz –, da drangen sie auch in ihr Zimmer, aber Pia lachte über unsere Furcht und redete immer von ich weiß nicht welchem Heiligen, der kommen und uns beistehen werde. Auch müßt Ihr wissen, daß Ruggiero sie schon ein paar Tage vor der Entdeckung mit Gewalt ins Kloster schaffen wollte, aber sie sperrte sich verzweifelt, und ich sagte: ›Laß sie hier!‹ Ich schwöre Euch, daß ich es war, der das sagte, denn ich wußte, was wir Eurer Braut schuldig waren. Dann kam der Schreck, als man da unten den Toten aus dem Wasser zog, und hernach war sie immer wie von Sinnen. – Aber dieser Ruggiero! Er war ein schrecklicher Mensch, wie ich ja immer sagte. – Seine Kompanie nach Florenz führen, die Herren Medici vertreiben, denen die Stadt so vieles dankt – unsern teuren Magnifico – wie geht es ihm denn?«

Während dieser Reden entstand ein Geräusch im Totenzimmer, eine schwarze Gestalt erhob sich langsam vom Fußende des Katafalks, wo ich sie nicht beachtet hatte, und Isabetta schritt an uns vorbei nach der Treppe, ihrem Gatten einen Blick der Verachtung zuwerfend.

Auch ich wandte mich zu gehen, aber der Notar folgte mir mit gefalteten Händen: »Ihr geltet viel, lieber Herr Gaetano – Ihr werdet es diesen Herren sagen, daß der arme, alte Salvestro nichts wußte von diesen Ränken. – Hätte ich es gewußt, trotz der Verwandtschaft, mit dieser meiner eigenen Hand hätte ich die Anzeige geschrieben«, rief er mir noch die Treppe hinunter nach.

Am selben Tag fiel ich in eine schwere, fieberhafte Krankheit, die mein Leben bedrohte und von der ich als ein Gerippe aufstand. Ich wollte keinen Menschen mehr sehen und verbrachte die Zeit müßig, wie ein Tier in meiner Höhle verkrochen, voll Groll und tiefer Verstocktheit. Nun hatten alle Ruhe gefunden; was hatte denn nur ich so Schweres verbrochen, daß ich nicht aufhören durfte, zu leiden?

Da kam eines Tages ein Bote, der mich nach Careggi rief. Wie fand ich den Herrscher verändert! Durch das tückische Leiden zum Schatten abgezehrt und die Haltung gebrochen; ich setzte, als ich ihn sah, keine Hoffnung mehr auf das Tränklein von destillierten Edelsteinen, das ihm die Ärzte soeben zubereiteten. Nur der Geist, an dem wir alle unser Lämpchen angezündet hatten, glühte noch in ungeschwächter Kraft.

Es ist nicht zu sagen, mit welcher Güte er mich empfing, er streckte mir beide Hände entgegen und drückte die meinigen fest. Mein Anblick tue ihm wohl, sagte er, und erinnere ihn an schöne Stunden. Warum ich mich so lange nicht bei ihm gezeigt habe?

Als ich ihm für meine Freiheit danken wollte, drohte er lächelnd mit dem Finger.

»Die Herren Achte wollten dich behalten zur Strafe, daß du sie zum besten gehabt, aber es wurde ihnen bedeutet, du seiest von je nicht ganz fest im Kopfe gewesen.«

Ich konnte meine Tränen nicht bezwingen, da sagte er tröstend: »Ich weiß, wie nahe der Tote dir stand, er selbst hat es mir gesagt, wie er dich liebte. – Aber die Persönlichkeiten sind vergänglich, die Kunst ist ewig. Vergiß das Vergängliche und freue dich, daß du am Ewigen mitschaffen darfst.«

Ich schüttelte trostlos den Kopf.

»Bei Euch da oben ist ewig blauer Himmel, wo die Schuld nicht hinaufreicht, aber ich –«

»Auch mir wurde ein Bruder in Jugendblüte hingemordet, schön und liebenswert wie der deine. – Aber höre, was ich dir sagen will. Wer Dauerndes schaffen soll, darf sich nicht in seinen persönlichen Geschicken verlieren. Beweise du, daß wir uns nicht in dir getäuscht haben, Gaetano! Sei ein Mann und vor allem sei ein Künstler. Vollende die Fresken, die du uns versprochen hast. Und wenn du dein Unglück zu einem unsterblichen Bilde verklären kannst, so wird die Kunst nichts bei deinen Schmerzen verloren haben.«

Seine Augen ruhten fest auf mir, während er gebückt, doch nur wie von der Bürde der Gedanken, im Lehnstuhl saß. Sein zwingendes Lächeln beherrschte mich ganz, ich kniete zu seinen Füßen, küßte ihm die Hände und schwor mich ihm aufs neue zu eigen. Der alte Zauberer hatte mich abermals gefangen.

»Vergiß es nie«, sagte er beim Abschied, »daß dein Platz bei dem großen Heerbann ist, der die neue Zeit vor der Rückkehr der Barbarei zu schützen hat. Auf diesem Posten müssen wir leben und sterben.«

Auf dem Heimweg von Careggi prüfte ich meine Kräfte, ob ich imstande sein würde, nach allem, was geschehen war, noch einmal die Hand an jene Fresken zu legen, und getragen von Lorenzos starkem Geiste glaubte ich mich groß genug, das Werk zu vollenden. Für zwei Gruppen hatte die Kapelle noch Raum: die Rückkehr des Märtyrers an den kaiserlichen Hof und dann die Auffindung der Leiche. Sollte es mir gelingen, auch den letzten Akt der Tragödie mit lebendiger Gewalt auf dieser Mauer zu verewigen und durch diese Tat mein Gemüt zu erlösen?

Es war mir nicht beschieden. Ich hatte mich für stärker gehalten, als ich war: als mir über dem Altar die Züge Fabrizios in ungestörter Schönheit entgegenglänzten, brach mein künstlerischer Mut zusammen. Da stand ich armer, mißgestalteter Bastard, und der echte Sproß, der, dessen bloßer Anblick Freude bereitet hatte, moderte in der Gruft. Daneben das unglückliche Mädchen, das er ins Verderben gestürzt hatte! Er? Nein ich! – »Galeotto« war der Maler! sagte eine Stimme in mir, denn ohne das bestrickende Bild wären die beiden schuldlos ihres Weges gegangen. War der Pinsel nicht verflucht, der das getan hatte? Durfte meine Hand ihn noch einmal berühren und vielleicht neues Leid über die Menschen bringen? Wäre mir's nicht besser, bei dem geringsten Handwerker in Dienste zu treten und durch die niedersten Verrichtungen mein Leben zu fristen, als auf dem eingeschlagenen Wege vorwärts zu gehen?

Es war mit einem Male so dunkel in der Kapelle geworden, daß ich die gemalten Gesichter nicht mehr unterscheiden konnte. Als ich unter den Portikus trat, sah ich am Himmel von allen Seiten schwarze Wolkenschichten dicht und dichter zusammenrücken, auf der Piazza trafen zwei Windströmungen aneinander und begannen, sich umfassend, unter Staubgewirbel einen wahren Höllenreigen. Im Nu waren die Straßen von Menschen reingefegt, man hörte nichts mehr als das Schmettern ausgerenkter Fensterläden und das Dröhnen fallender Ziegel von den beschädigten Dächern. Während ich nach einer Säule griff, um nicht mit in die Höhe gezogen zu werden, streifte ein Blitz meine Wimpern, wie der Fittich eines Goldadlers, und völlig gleichzeitig fiel über meinem Haupt ein Donnerschlag, daß ich glaubte, der Boden wanke. Als ich aus der Betäubung wieder zu mir kam, blinzelte ich nach der Sebastianskapelle hinüber, ob noch ein Stein auf dem anderen stehe, aber nichts war versehrt. Erst später erfuhr ich, daß der Blitz in den nahen Dom geschlagen und Brunellescis Kuppel beschädigt hatte, und daß zugleich ein Wirbelsturm verheerend in den Mediceerpalast gefahren war.

Eine schreckliche Sturmnacht folgte auf diesen Tag. Durch die ganze verfinsterte Luft ging ein Brausen und Stöhnen, zuweilen auch ein Klirren und Rasseln, als ob Heere da oben in den Wolken kämpften. Die stärksten Bäume wurden entwurzelt, Häuser fielen ein, ein Freund, der in der Nähe des Signorenpalastes wohnte, erzählte mir, daß die Löwen die ganze Nacht hindurch gebrüllt und an dem Käfig gerüttelt hätten. Das blutrote Feuerzeichen, das in der Gegend von Careggi über den Himmel hinfuhr, habe ich mit eigenen Augen wahrgenommen.

Als der Tag anbrach, nahm es mich wunder, ob Florenz noch stehe, da sah ich in der Dämmerung Scharen von Menschen nach Santa Maria del Fiore strömen. Nach ein paar Stunden hatte sich der Zudrang noch vermehrt, und ich erfuhr, daß im Laufe des Morgens Fra Girolamo in der Domkirche predigen solle. Dies kümmerte mich nicht, erfüllt wie ich war von meinen Schmerzen, nach langem Umherschweifen jedoch kam ich abermals am Dom vorüber, und jetzt bot sich mir ein überraschendes, erschütterndes Schauspiel. Die Menge, die im Tempel keinen Raum gefunden hatte, umlagerte das Portal, die Stufen; vornehme Damen, die ich von Ansehen kannte, knieten außen im Straßenkot. Ich drängte herzu, da schlug aus der offenen Tür eine Donnerstimme an mein Ohr, die meinen Fuß festbannte.

»Sehet die Großen dieser Erde an, wie sie in Hoffart gehen und noch vom Tode verlangen, daß er ihnen schmeichle. Ihre Dichter und Philosophen haben sie bei lebendigem Leib unter die Sterne versetzt und wollen durch tausend Fabeln ihre Abstammung von den Göttern herschreiben. Groß ist ihre Macht, aber der Herr hebt seine Hand auf, und sie werden hinfahren wie die Blätter im Sturmwind.«

Ein Ächzen ging durch die ganze Kirche, daß ich wirklich meinte, das Sausen der Blätter im Winde zu vernehmen. Ich stand und staunte regungslos, wer solche Worte zu sprechen wage, aber viele Hände ergriffen mich am Rock und zogen mich auf die Knie nieder.

»Gehet in die Häuser der großen Prälaten, ihr werdet sie finden mit Horaz, Virgil und Petrarca in der Hand. Im ritterlichen Gewand gehen sie umher und singen Liebeslieder zur Laute und erklimmen zur Nachtzeit die Fenster der Mädchen. Das sind die Hirten, denen die Leitung Eurer Seelen übergeben ward.«

Ich dachte mit Schaudern: »Es ist ein Gott, der richtet.« Jedes Wort, das mich erreichte, griff wie mit glühenden Zangen in mein Herz, wenn ich auch dem Gedankengang des Predigers nicht folgen konnte. Jetzt geißelte er die Sittenverderbnis auch im Volke, und ein Zucken, das durch die Reihen lief, zeigte mir immer den Ort, wo seine Worte eingeschlagen hatten. Niemals hatte ich etwas Ähnliches gehört; was ich sonst von der Kanzel vernommen, waren gewundene Reden über dunkle Begriffe, hier aber fiel jedes Wort mitten ins Leben hinein und rührte schonungslos an eine offene Wunde; ein jeder konnte wie in einem wahrhaftigen Spiegel sein eigenes Bild erkennen. Es war, als würde von den Versammelten einer um den andern mit seinem geheimsten Gedanken und Taten vor Gericht gefordert, wo jeder das Maß seiner Strafe empfangen sollte.

Ich dachte nicht mehr daran, mich zu entfernen; auf den Knien schleppte ich mich näher an die Türe heran, um besser zu verstehen, was mich doch vernichtete und verdammte.

Wie Sturmesbrausen schlug die mächtige Stimme wieder an mein Ohr: »Da führen sie das Altertum im Munde, als ob ihnen Venus und Minerva beistehen könnten, wenn das letzte Stündlein kommt. Statt des Dreieinigen Gottes haben sie Götzenbilder aus Stein und Holz gemacht, die sie verehren, und nennen es die Wiedergeburt der Schönheit und der Kunst.«

Ich lag mit der Stirne auf dem Pflaster und dachte: »Jetzt ist die Reihe an mir.«

»Ich aber sage: eitel ist eure Kunst, und eure Schönheit ist vom Teufel! Oh, die Tyrannen sind klug, sie wissen, daß man die Augen verführen muß, ehe man die Herzen verdirbt und die Nacken ins Joch spannt. – Aber dreimal ruchlos sind sie, wenn sie nach dem Heiligen greifen. Auf die Kirchenwände malen sie Bilder, bei denen Vater Satan den Pinsel geführt hat, um auch an geweihter Stätte die Herzen der Männer und Weiber in Sinnenlust zu verstricken. Wehe ihnen, der Herr wird sie ausspeien aus seinem Munde! – – Ha, ich sehe dich stehen in der Versammlung, kupplerischer Teufel, wie du dich auch verbergen möchtest! Den ganzen Winter lang habe ich mit dir gerungen um die Seelen dieses Volkes. Tritt nur hervor, ich sehe dich wohl. – –«

Mir schien es, daß die Augen des Predigers durch die Steinwand hindurch mich träfen und mir wie zwei Raubtiere die Brust zerfleischten. Ich wand mich und ächzte, doch die Nachbarn kümmerten sich nicht um mich, ein jeder war nur beschäftigt mit seiner eigenen Gewissensnot.

»– O Italien«, begann die Stimme aufs neue, »du bist krank bis auf den Tod. In der Schlemmerei hast du deine Gesundheit verloren. Und wenn ich dir sage: laß ab von den Speisen, die dich ins Grab führen, so lachst du und spottest und willst keine Arznei und sagst, der Arzt rede im Fieber. – Ungläubige, die ihr nicht hören noch sehen wollt, der Herr sagt euch durch mich: Weil Italien voll ist von Blut und Greueln, von Dirnen und Kupplern, so will ich es den Barbaren zur Beute geben. Eure Kirchen, diese Tempel der Hoffart, sollen Pferde- und Schweineställe werden – besser, als daß sie noch länger der Baalsdienst und jeglicher Greuel entweihe! Von Osten werden Barbaren hereinfluten, und jeder Winkel Italiens wird widerhallen von Jammergeschrei. Dann möchtet ihr euch gerne bekehren, aber ihr könnt es nicht, denn euer Sinn wird verwirrt sein. Dann werdet ihr zu den Astrologen gehen, aber sie können euch nicht helfen. Ihr werdet Trost suchen bei den falschen Priestern, aber welchen Trost sollen sie euch aus Horaz und Virgil spenden? Fürsten werden das härene Gewand nehmen und die Völker zittern unter der Heimsuchung.

O Florenz, o Italien, eure Züchtigung wird schrecklich sein. Der Hunger wird auf den Krieg folgen und die Pest auf den Hunger. Da wird ein Sterben kommen, daß der Boden nicht mehr Raum hat für so viele Gräber. In jedem Hause werden Leichen liegen, Männer werden mit Karren durch die Straßen ziehen und werden rufen: Bringet eure Toten heraus! Sie werden sie zu Bergen aufschichten und mit ihnen davonfahren. Sie werden weiterziehen durch die Straßen und schreien: Wer hat Tote? Und ihr werdet unter die Türen treten und werdet sagen: Hier ist mein Sohn, hier ist mein Bruder, hier ist mein Gatte. – Und sie werden immer wieder kommen und schreien: Ist kein Toter mehr da? Wer hat noch Tote?« –

Angstgeheul aus tausend Kehlen erschütterte den Dom, daß es war, als ob die Riesenkuppel wankte. Alles lag jetzt auf den Knien und schlug sich an die Brust. Ich barg mein Gesicht an der Erde, denn ich glaubte die Posaune des Gerichts über meinem Haupte zu vernehmen. Nur die Stimme des Predigers rang sich durch all den Lärm durch und schwebte wie ein Sturmvogel über der Versammlung: »Ich sage euch, ich sage euch, das große Gewässer ist nahe, helfet mir die Arche bauen!« –

Ein Stoßen und Drängen und Treten von allen Seiten brachte mich zu mir selber. Ich wurde bald nach rechts, bald nach links geworfen, bis ich wankend aufgestanden war und mich von der Menge weiterschieben ließ, die sich vom Domportal hinter dem Prediger her nach San Marco wälzte, am Mediceerpalast vorüber. Man hörte nichts im Volke als Schluchzen, Weinen und Beten.

Ich war auf eine mir selbst unbegreifliche Weise unter die Vordersten geraten, die unter der Klostertüre den Prediger umringten und ihn am Zipfel seiner Kutte festhalten wollten. Er hob die Hände auf über die Menge, und da ich nachdrängte, zog er mich mit sich in den Klosterhof.

Ich sah wieder in dieselben Augen, die mich im Gefängnis so strafend angeblickt hatten, aber heute leuchteten sie von einer gewaltigen Glut, und rötliche Blitze zuckten heraus.

»Kommst du endlich?« sagte er mit dumpfem Ton. »Den ganzen Winter lang, Tag für Tag, habe ich dich vor mein Angesicht gefordert, aber du wolltest nicht hören. Was suchst du jetzt bei mir?«

»Erbarmen«, sagte ich. »Ich bin von meinem Erlöser abgefallen – meine Lieben habe ich zu Tode gemalt – ich bin verloren, Vater, wenn du dich nicht erbarmst.«

Auf dem nackten Boden der Sakristei von San Marco lag erschüttert und in Tränen aufgelöst ein Mann, der von dem Maler Gaetano nur noch die äußere Form trug. Sein Inneres war wie in einem Tiegel ausgeschmolzen.

Mein ganzes Leben war in einer langen Verkettung von Schuld und Strafe an meinem Geiste vorübergezogen, und wo meine eigenen Augen zu schwach waren, hatte mir der wunderbare Mann die einzelnen Glieder der Kette deutlich gezeigt. Die Buße, die er mir auferlegte, war, dem Dämon meines Pinsels auf ewig abzuschwören.

Noch ein anderes Opfer forderte er von mir, ehe ich in seine Nähe zurückkehren durfte, und ich ging auf sein Gebot nach der Sebastianskapelle, wo der frisch angerührte Kalk den Maler erwartete. Dort hatte ich den Mut, die hochgefeierten Fresken ganz mit einer weißen Tünche zu überdecken, aber ich tat es mit abgewandtem Gesicht, damit nicht die Schönheit meiner Kinder mir das Herz erweiche.

Ich kam meinem Meister nicht wieder von der Seite, und von ihm allein empfing ich von nun an Licht. Wenige Tage nachdem ich den Weg der Erlösung gefunden hatte, starb Lorenzo auf seiner Villa zu Careggi, das Geisterwehen wurde zum Sturmgebraus und fegte die mediceische Herrschaft wie Spreu hinweg. Die Besten, die mich einst ihres Umgangs gewürdigt hatten, sah ich in diesem Sturm sich schiffbrüchig an den Felsen von San Marco klammern. Der Dichter von Montepulciano erhielt eine Zelle neben der meinigen, und auch den schönen Fürsten von Mirandola sah ich in der Dominikanerkutte einziehen, freilich nur im Tode.

Was in Florenz von Werken meiner Hand zu finden war, das ging bei dem großen Sühnefeuer, welches vor dem Signorenpalast die Eitelkeiten zerstörte, in Flammen auf. Nur das Bildnis Pias wußte ich zu flüchten, und nachdem ich es durch wenige Pinselstriche am Gewand in ein Madonnenbild verwandelt hatte, barg ich es in meiner Zelle, der es nach meinem Tode verbleiben soll. Sonst habe ich keinen Pinsel mehr berührt, mit der einzigen Ausnahme, daß ich nach dem Märtyrertode unseres Meisters sein teures Antlitz auf Befehl des Klosters malte, und obwohl es nur aus der Erinnerung geschaffen ist, gilt es bei denen, die den Meister kannten, für sein bestes Bild. Diese Übertretung wird mir, wie ich hoffe, verziehen sein, denn niemals werden diese Züge eines Weibes Herz zu verderblicher Glut entzünden.

Ein halbes Jahrhundert ist seit jenen Tagen verflossen. Ich sah die oft wiederholten Prophezeiungen des Meisters alle in Erfüllung gehen, die einen früher, die andern später. Barbarenhorden haben sich über Italien ergossen und Greuel mit Greueln getilgt. Jetzt flutet der Strom des Lebens in einem ebeneren, aber auch in einem engeren Bette. Was kann ein alter Mann Besseres tun, als die Vergangenheit überdenken; aus dieser Beschäftigung lernt sich mancherlei. Wie mit der Zeit aus der übertünchten Wand die Farbenpracht meiner Fresken stellenweise wieder durchschlug, so tritt auch von dem alten Gaetano da und dort wieder etwas hervor. Nicht alles scheint mir mehr verwerflich, was ich zuerst vergötterte und dann verdammte, und besonders das Andenken Lorenzos ist mir groß und wert geblieben, trotz der Anklagen, die an ihm haften. Wie die Metalle nicht rein gefunden werden im Schoß der Erde, so gibt es vielleicht in der Welt kein reines Gutes und kein reines Böses.

In meiner Brust ist Friede. Auch die Gestalten meiner Opfer treten nicht mehr als blutige Schatten vor mich, sie schweben versöhnt und lächelnd Hand in Hand – Fabrizio, Pia und auch du, unglücklicher Ruggiero. Ich blicke der Stunde, wo ihr mich zu euch rufen werdet, ohne Furcht entgegen.

Friede sei auch mit euch, die ihr diese Zeilen leset!


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