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Dunkles Trauergeleit enttrug Simonetta, die schöne,
Süß noch hauchte der Reiz ihr vom erblichenen Mund.
Amor lauerte nah und warf, da keiner sich wahrte,
Von dem geschlossenen Aug' tausend Geschosse ins Volk.
Tausend Herzen bestrickt' er mit Schein des lächelnden Lebens,
Trotzend sprach er zum Tod: mein ist die Schöne noch jetzt.
Mein ist die Schöne noch jetzt, nicht hast du sie ganz mir entrissen,
Sieh, noch auf traurigem Schrein kämpft Simonetta für mich.
Sprach's und schluchzte, denn nun erkannte der Knabe, die Stunde
Sei für Triumphe nicht mehr, sei nur für Thränen bestimmt.
Angelo Poliziano.
110 Durch den Zaubergarten der florentinischen Frührenaissance schwebt eine ätherleichte Frauengestalt. Obwohl von Fleisch und Bein, berührt sie mit der Sohle kaum den Boden und scheint »such stuff as dreams are made of«. Als blumenstreuende Frühlingsnymphe wandelt sie durch die Bilder Botticellis und durch die Gesänge des Polizian. Doch obwohl sie eine unauslöschliche Spur hinterlassen hat, ist über ihre Persönlichkeit der Schleier der Vergessenheit gebreitet. Bei den Dichtern heißt sie die »bella«, auch die »diva« Simonetta, und die Ueberlieferung nennt sie die Geliebte des Giuliano de' Medici. Das ist fast alles, was man von ihrem Leben weiß. Ihr früher Tod hat sie ganz ins Reich der Poesie entrückt und ihr den Platz neben ihren berühmteren Schwestern Beatrice und Laura angewiesen.
Es war ein Tag der Trauer für die Stadt Florenz, als am 27. April 1476 die schöne Simonetta im offenen Sarg, damit die Sonne noch einmal ihre Schönheit beleuchte, nach der Kirche Ognissanti zu Grabe getragen wurde. Wo der Zug vorüber kam, drängte sich das Volk um die Bahre und machte mit seinem Zustrom das Totengeleit einem Triumphzug ähnlich; »und wer die Schöne lebend kannte, der wurde nicht nur zur Trauer, sondern mehr noch zur Bewunderung bewegt, daß sie den Liebreiz, der im Leben 111 unvergleichlich schien, im Tode noch überbot, wer sie aber nie zuvor gesehen hatte, den faßte ein schmerzliches Bedauern, daß er eine solche Schönheit nicht früher gekannt hatte, ehe sie der Welt auf immer entrissen war, und daß er sie nur sehen durfte, um sie auf ewig zu beweinen.«
Mit diesen Worten schildert Lorenzo de' Medici den Eindruck dieses Trauerfalls auf seine Mitbürger, und nachdem er die Frühgeschiedene als das Urbild aller weiblichen Grazie und Holdseligkeit gezeichnet und ihren Tod ein »öffentliches Leid« genannt hat, erzählt er, wie alle florentinischen Talente in Versen und Prosa wetteifernd diesen herben Verlust beklagten und wie ein jeder nach seinem Vermögen sich bemühte, die Tote zu feiern. Von diesen Bemühungen ist noch eine Reihe mehr oder minder glücklicher Proben aus den Federn damaliger Hof- und Gelegenheitsdichter erhalten. Lorenzo ging selbst mit dem Beispiel voran, aber nicht ihm, sondern dem jugendlichen Sänger von Montepulciano verdankt Simonetta ihre Unsterblichkeit. Seine schöne Elegie Dum pulchra effertur nigro Simonetta pheretro ist diesen Zeilen in der Uebersetzung vorangestellt, die als ein Notbehelf gelten soll, da der ganze wunderbare Vollklang des Originals im Deutschen nicht zu erreichen ist. Drei schwere Spondäen mit dumpfen Vokalen, wie die ersten 112 Takte eines Trauermarsches, leiten die Schilderung des Leichenzugs ein, worin der Dichter die Höhe seiner Kunst erstiegen hat. Offenbar hielt er selbst diesen Vers für unerreichbar, da er ihn aus einer früheren Elegie über den Tod der schönen Albiera degli Albizzi teilweise herübernahm. Alles Gefühl ist hier von der Kunst aufgesogen, die in ihrer Strenge und Einfachheit an den Bau eines alten Tempels erinnert. Eine Trauerhalle hat der Dichter mit diesen Distichen errichtet, worin die tote Simonetta in unvergänglicher Schönheit aufgebahrt liegt. Aber populär konnten die lateinischen Verse nicht werden, und der Name Simonettas wäre mit der ganzen humanistischen Zeitrichtung untergegangen, hätte der junge Dichter ihr nicht mit den berühmten Stanzen seiner Giostra auch in der Vulgärsprache ein bleibendes Denkmal gesetzt. Das Gedicht, das von einem Turnier Giulianos de' Medici den Namen führt, feiert die Liebe des bel Julio zu der bella Simonetta. Nur der erste und ein Teil des zweiten Gesanges sind fertig geworden, aber dieses blendende Fragment eröffnet in der italienischen Litteratur eine neue Epoche, die ganze spätere Renaissancepoesie hat sich daran gebildet. Zu dem Glühen und Blühen der Sprache gesellt sich eine verwirrende Fülle von Bildern, die freilich den dürftigen Gegenstand fast erdrückt und 113 auf die Länge unerträglich geworden wäre. Auch die modernsten Sardanapale der Poesie erreichen nicht die überschwengliche, durch alle Reize der Lautmalerei verfeinerte Pracht der Sprache, mit der Poliziano seine wundersame, friedelose Kyprisinsel schildert, die den Glanzpunkt der Dichtung bildet. Dort blühen alle Blumen gleichzeitig, dort kämpfen die Tiere jeder Zone um Liebesgunst, dort sind alle die verschiedenen durch die Liebe erzeugten Leidenschaften und Schwächen personifiziert beisammen, um als aufgeregte Miliz die Kinder der Venus zu begleiten, und die Kunst des Hephästos hat an den Palastthoren die Macht der Göttin in einem Cyklus von Bildwerken dargestellt, an deren Beschreibung Botticelli und Raphael und wer kann sagen, wie viele andere Künstler, bis herab zum Veronese sich begeistert haben? Unbedenklich, wie immer, hat der große Plagiator den griechischen und römischen Autoren, die damals nur in den Gelehrtenkreisen bekannt waren, die schönsten Steine ausgebrochen, um seine kunstvolle Mosaikarbeit daraus zusammen zu fügen. Doch er schaltet mit seinem Raub wie mit einem freien Eigentum. Und die Verse scherzen und kosen, sie rinnen endlos in blitzendem Spiel wie ein Strom über goldhelle Kiesel, wer wird ihn fragen, woher er sein Wasser hat? Nichts ist hier in Wahrheit klassisch, das 114 Dekorative überwuchert alles, und das ganze olympische Aufgebot verhält sich zu seinen antiken Vorbildern etwa, wie ein florentinischer Fasching zur Panathenäenfeier. Aber das eben giebt der Giostra ihren Wert, daß der Dichter, wo er nachahmen wollte, vielmehr eine neue Gattung schuf. Zwischen den umgeworfenen Falten der Klassizität lugt ahnungsvoll die Romantik späterer Tage hervor; der ewige Garten der Venus ist das Vorbild für Alcinens und Armidens Zaubergärten geworden.
Den Künstlern, die damals der christlichen Stoffe müde zu werden begannen, und die zur antiken Litteratur noch wenig Zugang hatten, vermittelte die Giostra die hellenische Fabelwelt. Ruhm genug für Polizian, daß Raphaels Galatea an der Wand der Farnesina nur eine Uebertragung seiner Verse in Farben ist. Was poetisch an dem Gedicht ein Fehler genannt werden muß, die Ueberfülle der Bilder, das kam der Malerei zu gute, die sich lange Zeit aus diesen Stanzen nährte. Daß Botticelli sich aus der Giostra geradezu das Rezept zu seinen zwei schönsten Bildern, der »Geburt der Venus« und der sogenannten »Primavera« holte, ist von Kunstgelehrten unwiderleglich nachgewiesen. Verlockend ist auch die aufgestellte Vermutung, daß die beiden Bilder im Auftrag des mediceischen Brüderpaares 115 gemalt worden seien, als eine Apotheose der über Tod und Vergänglichkeit triumphierenden Simonetta, denn die seltsam elegische Stimmung, die über der »Primavera« schwebt, wird freilich so am besten erklärt. Wenn die frühgeschiedene Simonetta als Personifikation des berauschend schönen, schnell hinwelkenden toskanischen Frühlings erscheint, so versteht man, warum die Liebesgöttin mit so ernster Haltung in der Mitte des Bildes steht und warum die Grazien in ihren traumhaft leichten Reigen die unsagbare Wehmut legen, die den Beschauer unwiderstehlich ergreift. Aufgabe des Zephyrs ist es dann, die ewigen Rechte des Lebens zu behaupten, indem er die fliehende Nymphe hascht, Merkur mit seinem Stab verteilt die Todesnebel, um einen leuchtenden Morgen heraufzuführen, und der Wechseltanz der Grazien preist die Reize der Freigebigkeit, wie sie Goethe im Geiste der Antike gesungen hat:
Anmut bringen wir ins Leben,
Leget Anmut in das Geben –
Leget Anmut ins Empfangen,
Lieblich ist's, den Wunsch erlangen –
Und in holder Tage Schranken
Höchst anmutig sei das Danken.
116 Welch glücklichere Widmung, als diese, konnte an die mediceischen Brüder gerichtet werden? – Wenn aber das Bild wirklich die Verklärung der Diva Simonetta bedeutet, so trägt es auch mit Recht den vielfach angefochtenen Namen »Primavera«, denn es nimmt alsdann in neuer Fassung das antike Motiv von der mit jedem neuen Frühling eintretenden Wiederkehr der Kore auf.
Ob nun, wie vermutet worden ist, der stark beschädigte Kopf der Frühlingsnymphe auf der »Primavera« wirklich einmal die Züge der Simonetta getragen hat, oder ob diese, wie andere glauben, vielmehr in der Liebesgöttin auf der »Geburt der Venus« erhalten sind, muß dahin gestellt bleiben, mit ebenso gutem Recht könnte man sie auf dem schönen in London befindlichen Bilde desselben Künstlers »Mars und Venus« suchen, das ganz augenscheinlich gleichfalls der Giostra seine Entstehung verdankt.
In der Giostra begegnen wir der schönen Simonetta noch lebend, aber zur Nymphe idealisiert, leider sind die Stellen, die sich auf sie beziehen, poetisch die schwächsten. Was der eigentliche Plan des Gedichts gewesen ist, läßt sich aus seinem fragmentarischen Zustand nicht mehr 117 erkennen. Man nimmt an, daß es nach dem Tode der Simonetta begonnen sei, um den Liebenden durch Verherrlichung seiner Waffenkunst aus der Trauerstimmung zu Ruhm und Thaten aufzurufen. Diese Vermutung dürfte indessen nur für den zweiten Gesang zutreffen, denn bei schärferem Zusehen drängt sich dem Leser die Empfindung auf, daß der erste Gesang auf völlig anderen Spuren ging. Mit dem ungeheuren Apparat von hundertundfünfundzwanzig Oktaven wird dort das schöne Paar nur bis zu einer ersten flüchtigen Begegnung geführt. Im zweiten aber ist schon das Getändel, das noch kaum begonnen hat, zu Ende: ein wahrheitverkündender Morgentraum läßt die Nymphe, von düsterer Wolke umhüllt, vor des Jünglings Augen davongetragen werden, um dann in verklärter Gestalt als der leuchtende Genius seines Lebens zurückzukehren. Nichts deutet in der ursprünglichen Anlage des Gedichts auf eine solche Wendung hin. Ueber der Begegnung der Liebenden wölbt sich ein reines Blau, das keine Todeswolke ahnen läßt. So wird die Vermutung nicht allzu gewagt sein, daß die Giostra unter heiteren Auspicien begonnen wurde, wahrscheinlich bald nach dem Turnier Giulianos, das den 28. Januar 1475 auf der Piazza Santa Croce stattfand und bei dem, wie sich aus einer anderen 118 Spur schließen läßt, die Simonetta als Zuschauerin anwesend warJenes Turnier ist noch von einem an sich übrigens sehr unbedeutenden Autor besungen worden, der die amica ad magnificum Julianum in lateinischen Distichen reden läßt, um ihm ihre mächtige Bewegung bei seiner Gefahr und ihr Entzücken über seinen gewonnenen Sieg auszusprechen. Da die ganze Generation nur die eine Simonetta als die Freundin des Giuliano nannte, kann mit der amica kaum eine andere gemeint sein. Die »boshafte Alte«, die neben der Schönen sitzt und deren unverhohlene Angst mit spöttischen Bemerkungen begleitet, sowie der »große Bruder Lorenzo«, der voll Besorgniß heransprengt, weil er den Jüngeren mit einem gewaltigen Streiter sich in Kampf verwickeln sieht, geben den sonst langweiligen Versen einige Züge des Lebens. Dieser mediceische Jüngling war eine so plastische Erscheinung, daß alles, was dichten konnte, sich mit ihm und seinen Herzensangelegenheiten zu schaffen machen mußte., daß aber die Dichtung durch den Tod der Nymphe zum erstenmal unterbrochen und aus ihrer ursprünglichen Bahn abgelenkt wurde. Die Fortsetzung, die langsam wie eine Teppichwirkerei von statten ging, war noch wenig vorgerückt, als die Dolche des Pazzi und Bandini, die den »schönen Julio« trafen, auch den Faden des Gedichts für immer abschnitten. Oder hätte des Dichters eigene Erleuchtung es vorgezogen, ein vielbewundertes Fragment statt eines ungenießbaren Ganzen zu hinterlassen?
119 Giuliano erscheint in der Giostra als Jüngling, dem der erste Flaum sproßt, noch spröde und ein Feind des weiblichen Geschlechts, nur der Diana und den Musen dienend. Auf dem Heimritt von wilder Jagd ersinnt er seine Lieder und verfolgt arme Verliebte, wo er ihrer ansichtig wird, mit seinem Spott. Einer der so Verhöhnten verwünscht ihn selbst zu lieben, Cupido erhört die zornige Bitte und verheißt Rache.
Am schönsten Frühlingsmorgen, vor Tau und Tage, sehen wir hierauf eine erlesene Jägerschar mit Spießen und Pfeilen bewehrt, in den Wald hinaus ziehen. Bald sind wir mitten im wildesten Jagdgetümmel. Giuliano, von Schweiß und Staub bedeckt, einen grünen Zweig zum Schutz vor der Sonne ums Haupt gewunden – ihn zu sehen, ist fiera cosa – bricht mit dem Renner durch das wirre Gestrüpp, um den Eber aufzuscheuchen. Da ersieht ihn Amor und formt aus Luft das Scheinbild einer schönen weißen Hirschkuh, die den Ungestümen weit ab von den Gefährten auf eine grüne blumige Waldblöße lockt, wo sie plötzlich in Luft zerrinnt. Aber schon hat der wilde Jägersmann seine Beute vergessen, er hält sein keuchendes Roß, denn auf dem Rasen sitzend erscheint ihm unter weißen Schleiern die schönste Nymphe – Simonetta! Und sobald er sie erblickt, ist es auch um ihn geschehen, er fühlt den 120 schmerzbringenden Pfeil aus ihren Augen in seinen Busen dringen. – Ihr Aeußeres wird von dem Dichter in einer Vermischung der Wirklichkeit mit Bildern, die zuweilen den Schwulst des Seicento vorausnehmen, folgendermaßen beschrieben:
Weiß ist sie selbst und weiß ihr lichtes Kleid,
Doch reich bemalt mit Blumen, Blättern, Blüten,
Ihr Lockenhaar liegt wie ein Goldgeschmeid
Um eine Stirn, die Stolz und Demut hüten,
In Mienen fürstliche Gelassenheit,
Und doch gebeut ihr Blick der Stürme Wüten,
Der rauhe Forst umsteht sie sanft und lächelt,
Der sie, so zart er kann, bedient und fächelt.
In ihren Augen lacht ein heitres Blau,
Aus dem Cupido seine Pfeile sendet.
Die Lüfte werden lind um sie und lau
Wohin sie ihre Liebeslichter wendet,
Im Antlitz strahlt der Freude Himmelstau,
Lilien und Rosen sind darauf verschwendet,
Es schweigt der Windhauch, um ihr Wort zu hören,
Ihr Laut klingt wieder in der Vögel Chören.
Der hohen Pallas gleicht sie speergerüstet,
Thalien, wenn sie in die Saiten greift,
Wenn sie nach Köcherklang und Jagdlärm lüstet,
Scheint sie Diana, die den Forst durchstreift, 121
Ihr weicht der Hochmut, wie er sich auch brüstet,
Der Zorn muß nieder, wie er zankt und keift,
Ihr zum Geleit ist jede Huld und Wonne,
Die Schönheit zeigt auf sie als ihre Sonne.
Ihr sieht man Sittsamkeit zur Seite schweben,
Der kein verschlossnes Herz den Eingang wehrt,
Die Güte wandelt menschlich schön daneben,
Den holden Gang hat jene sie gelehrt.
Zu ihr kann Roheit nicht die Blicke heben,
Eh' sie in Reue ihren Fehl verkehrt,
Mit jedem Lächeln aus dem süßen Munde,
Mit jedem Wort schlägt Amor eine Wunde.
Sie hielt ein Kränzlein in den weißen Händen
Und saß so froh dort auf dem Rasengrün,
Was nur an Blüten Feld und Aue spenden,
Fügt sie dem Kranz mit lächelndem Bemüh'n,
So blumig wie ihr Kleid will sie's vollenden,
Als plötzlich nun Julian vor ihr erschien.
Sie stutzt, den Saum des Kleides faßt sie lose
Und rafft sich auf, die Blumenpracht im Schoße.
Schon wandte sich die Nymphe heimzugehen,
Langsam und zaudernd schritt sie durch das Gras
Und ließ den Jüngling dort in Qualen stehen,
Der all sein Trachten über ihr vergaß,
Doch kann der Aermste nicht sie scheiden sehen, 122
Weshalb er sie zu halten sich vermaß,
Indem er schüchtern an die Unbekannte
Mit Zittern sich und tief erglühend wandte:
»O wer du seist, erhabne Jungfrau, sprich,
Ob Nymphe, ob von göttlichem Geschlechte,
Am liebsten als Diana grüßt' ich dich,
Doch bist du sterblich, nenn' dich deinem Knechte.
Nicht irdisch ist dein Antlitz sicherlich,
Auch weiß ich nicht, nach welchem Gnadenrechte,
Durch welch' Verdienst, durch welcher Sterne Segnen
Ich wert war, solcher Schönheit zu begegnen.«
Die Nymphe wendet sich beim Klang der Worte,
Vom holdsten Lächeln ihr Gesicht erhellt,
Ein Berg wohl rückte, sie zu sehn, vom Orte,
Die Sonne stünde still am Himmelszelt,
Dann zwischen doppelter Rubinenpforte
Tönt eine Stimme, die den Marmor spellt,
So süß und sittig, so voll Huld und Güte,
Daß ein Sirenenherz in Lieb' erglühte:
»Ich bin nicht, was ich deinem Geist erscheine,
Mir ziemen Tempel nicht und Opferbrand,
In eurem Arnothal, im Gartenhaine
Etruriens fesselt mich das Eheband.
Die Wiege stand mir auf dem Felsgesteine,
Dem schroffen, an Liguriens rauhem Strand, 123
Wo mit erzürntem Prall und lautem Schäumen
Neptuns Geschwader sich vergeblich bäumen.
Hier lenk ich einsam oft den Schritt heraus,
Der Ort ist Simonettas Lieblingsstätte,
Hier ruhen die Gedanken gerne aus
Bei Blumenflor und grünem Rasenbette,
Die Luft ist rein und kurz der Weg nach Haus,
Und lieblich schlingt sich hier der Stunden Kette
Im Bäumeschatten, unter klaren Quellen,
Wo freundlich oft die Nymphen sich gesellen.
Auch komm' ich oft in müßiger Feierstunde,
Die uns dem häuslichen Geschäft entrückt,
In eurer Tempel feierliche Runde
Mit andern Fraun, nach Festesbrauch geschmückt.
Doch daß ich ganz dir geb' erbetne Kunde
Und jeden Zweifel löse, der dich drückt:
Staunst du, woher so zarte Schönheit stamme,
So wisse, Venus selbst war meine Amme.
Doch da die Sonne nun den Wagen neigt,
Und sich verlängern dieses Baumes Schatten,
Vorm Laut der Grille die Cikade schweigt,
Im Feld des rauhen Landmanns Mühn ermatten,
Und Rauch von jenen hohen Villen steigt,
Die Bäurin schon den Tisch bestellt dem Gatten,
Geziemt's, daß ich den Heimweg eilig finde,
Du kehre froh zu deinem Jagdgesinde. –« 124
Licht wird es rings in allen Himmelsräumen,
Denn heller glänzt ihr Aug' noch als zuvor,
Mit leichten Schritten, die noch leise säumen,
Durchwandelt sie voll Reiz den Wiesenflor.
Wie Klagelaute scholl's aus Busch und Bäumen,
Leis hob zu weinen an der Vögel Chor,
Das grüne Gras jedoch zu ihren Füßen
Wird rot und blau und gelb vom Tritt der Süßen.
Was thun, Julian? Ihn hält das scheue Bangen,
Sonst folgt' er seinem Sterne sehnsuchtheiß,
Da steht er wie ein Narr und ist gefangen,
In seinen Adern starrt das Blut zu Eis.
Er regt sich nicht und strebt doch voll Verlangen
Ihr nach, die nichts von seinen Qualen weiß,
Bewundert noch den Gang, den anmutreichen,
Das flatternde Gewand der Göttergleichen.
Ihm scheint's, das Herz im Busen wolle brechen,
Die Seele woll' ihm aus dem Leib entfliehn,
Und ungehemmt in heißen Thränenbächen,
Wie Reif am Strahl der Sonne, schmilzt er hin,
Fühlt schon im Herzen alle Liebesschwächen,
Die aus der Seele ihm das Mark entziehn,
Ihr möcht' er nach, doch beben alle Glieder,
Die Liebe spornt, die Scham umstrickt ihn wieder.
Wo sind, Julian, die Sprüche nun und Glossen,
Die oft der armen Liebenden Beschwer? 125
Blieb dir kein Spott für deines Grams Genossen?
Und macht die Jagd dir keine Freude mehr?
Jetzt hält ein Weib in ihrer Hand verschlossen
Dein Denken, Wollen, jegliches Begehr.
Du Aermster kannst's in deiner Seele lesen,
Was du jetzt bist, was du noch jüngst gewesen.
Vor kurzem folgtest du des Wildes Bahn,
Jetzt hat ein schönres Wild dich eingefangen.
Frei warst du und bist Amorn unterthan,
Warst ledig und du bist ins Netz gegangen.
Wo ist dein Herz? Wo deiner Freiheit Wahn?
Ein Weib und Amor sind's, die dich bezwangen,
Ach, keiner soll auf seine Stärke pochen,
Denn Kraft und Stolz kann Amor unterjochen.
Hier haben wir sie also vor uns, die leichtschreitende Nymphe aus der Primavera, ihr über und über mit Blumen besätes Gewand, das gelockte Blondhaar, die aufgerafften Falten, aus denen die Blumen fallen, das Gras, das unter ihren Tritten bunte Blumen sprossen läßt. Der Künstler müßte sich dieses Bildes bemächtigt haben auch ohne Auftrag der erlauchten Mäcene. Die Nymphe Simonetta war wie geschaffen, um in ihr die keusche Grazie der florentinischen Frührenaissance zum Ausdruck zu bringen. Diese Kunst 126 weiß nichts von der sinnlichen Glut der Venezianer, noch von den grandiosen römischen Horizonten; sie bewegt sich in der Enge des bürgerlichen Lebens, bei aller Eleganz bescheiden und innig, wie es einer Stadt entspricht, die inmitten eines grünen Hügelkranzes eingebettet liegt, über den sie so wenig wie über ihre Familientraditionen hinwegblicken kann. Darum schuf die florentinische Kunst aus ihren Frauentypen keine Königinnen, keine Hetären, noch Sybillen. Sie malte die »ehrbare Anmut« der schönen anstandsvollen Bürgerinnen von Florenz, der schlanken, langgliedrigen, mit den zarten, kaum angedeuteten Körperformen, mit den schmalen Händen und feinen Fingerspitzen, mit dem hohen strackgetragenen Halse und dem aufrechten wiegenden Gang, wie sie im Chor von Santa Maria Novella und in allen Schilderungen aus jener Zeit sich finden. Dieser Typus aber, ins Ideale gesteigert, ergiebt die jugendliche Nymphe, das Mittelwesen zwischen der Göttin und der Sterblichen. Die fliehende Nymphe, von der die florentinischen Dichter so gerne singen, ist in ihrer schwebenden, jugendfrischen Anmut der Ersatz für das junge Mädchen, das als dumpfes unentwickeltes Wesen von der romanischen Poesie gemieden wird. Simonetta, jung vermählt und kinderlos, war die entzückendste Verkörperung dieses Dichtertraums.
127 Die Verse, worin Polizian ihre Begegnung mit Giuliano besingt, enthalten fast alles, was über ihre Persönlichkeit bekannt ist. Wir haben sie ihren Namen nennen hören, wir haben erfahren, daß sie einem Florentiner vermählt ist und von der ligurischen Küste stammt, und ein paar Strophen später hören wir sie noch die weitere, bildlich ausgedrückte Mitteilung hinzu fügen, daß ihr Geburtsort Portovenere sei.
Staunst du, woher so zarte Schönheit stamme,
So wisse, Venus selbst war meine Amme.
Und zwar muß ich entgegen der neueren Simonettaforschung, die in dieser Nennung der Venus nur das übliche Gleichnis für den Schaum des Meeres sehen will und den Geburtsort der Simonetta nach Genua verlegt, bei dieser Auslegung verharren. Denn daß sie am Meer auf rauhem Klippenstrand geboren ist,
Wo mit erzürnten Prall und lautem Schäumen
Neptuns Geschwader sich vergeblich bäumen –,
das hat die Nymphe dem Frager schon zuvor mitgeteilt. Welchen Sinn könnte es haben, sie dieselbe Angabe zwei Oktaven später unter der Hülle einer verblaßten Metapher wiederholen zu lassen, 128 und gerade an einer Stelle, wo mit besonderem Nachdruck
Doch daß ich ganz dir geb' erbet'ne Kunde –
eine neue Enthüllung angekündigt wird? Niemand hat das Recht, dem Dichter, dessen hervorragendste Eigenschaften der feine Geschmack und der ordnende Verstand waren, einen solch öden Pleonasmus, solche lahm nachhinkende Wiederholung zuzutrauen. Vielmehr ist es augenscheinlich, daß er der Nymphe zuerst nur die allgemeine Charakterisierung ihrer meerbespülten Heimatküste in den Mund legt. und erst zum Schlusse, da sie ihr ganzes Wesen in ein einziges Wort zusammenfassen soll, sich als die besondere Schutzbefohlene der Venus, als die dem Heiligtum der Göttin Entsprossene enthüllen läßt.
Portovenere also, wo um die nach der Göttin benannte schwarze Marmorgrotte die Woge rauscht, wo auf der äußersten Klippe hoch über dem Meer der Venustempel gestanden haben soll, dessen angebliche, in eine mittelalterliche Kirche verbauten Reste noch heute gezeigt werden – dieser sagenhafte Sitz der Liebesgöttin war Simonettas Geburtsstätte. Das kleine Felsennest, das auf der westlichsten vorgeschobensten Hügelspitze des Golfs von Spezia liegt und nur durch eine schmale Wasserstraße von der grünen Insel 129 Palmaria getrennt ist, bildet heute noch trotz Schmutz und Verfall den Hauptanziehungspunkt des ganzen zauberhaften Golfs. Daß es sich einst in besserem Zustand befunden hat, beweist die massive Tüchtigkeit seiner ins lebendige Gestein gebauten Häuserreihen. Ob Simonettas Eltern dort ein Landgut besaßen, ob ihr Vater, der genuesische Edle Gasparre Cattaneo, in dem Ort, der zu Genua gehörte, ein Amt versah, wird kaum mehr zu ermitteln sein. Da jedoch das eine so möglich ist wie das andere, sehe ich nicht ein, weshalb die ausdrücklich betonte Angabe Polizians nicht zu ihrem Rechte kommen soll. Das Zeugnis Bernardo Pulcis, der in einem langatmigen Klagegesang auf die Diva Simonetta Genua als ihre Vaterstadt am Sterbebette der Nymphe trauern läßt, wird dadurch ja nicht beeinträchtigt.
Die Cattaneo scheinen ein vornehmes Geschlecht gewesen zu sein; daß sie von lange her freundschaftliche Beziehungen zu den Medici in Florenz unterhielten, geht aus noch vorhandenen Briefen hervor. Eine ältere Schwester der Simonetta war die Gattin Jacopos III. von Appiano, Herrn von Piombino. Durch seine Vermittlung wurde Simonetta als Sechzehnjährige mit dem gleichaltrigen Marco di Piero Vespucci vermählt. Auch die Vespucci waren eine angesehene Familie, aber der Zweig, in den Simonetta heiratete, 130 befand sich in herabgekommenen Verhältnissen, denn Messer Piero hatte schon in der Jugend das Seinige vergeudet. Die Häuser der Vespucci lagen im Borg' Ognissanti, wo auch der aus einem anderen Zweig der Familie stammende Amerigo Vespucci geboren ist. Von Pieros Sohn Marco, dem Gatten der Simonetta, weiß man nichts, als daß er später nach der Verschwörung der Pazzi zusammen mit seinem Vater das Exil kostete.
In der Zeit aber, von der hier die Rede ist, gehörten sie noch zum engen Freundeskreis der Medici. Schwerlich wird daher die erste Bekanntschaft Giulianos mit der schönen Simonetta eine so zufällige gewesen sein, wie Polizian sie schildert. Daß seiner Darstellung dennoch Züge der Wirklichkeit zu Grunde liegen, geht aus den Stellen des Gedichts hervor, wo plötzlich zwischen den mythologischen Kulissen die Realität des toskanischen Landlebens gar liebenswürdig durchschimmert. Vergebens aber würde man fragen, wo jenes Landhaus lag, in welchem die Nymphe wohnte; die Beschreibung paßt auf jede Gegend in der Nähe von Florenz.
Die Geschichte weiß nichts von der Liebe dieser beiden. Auch nicht eine prosaische Aufzeichnung ist erhalten,. die auf die Beziehungen Giulianos zur Simonetta einen Schein würfe. Aber die Poesie füllt auch diese Lücke aus. Es 131 existiert eine reizende Canzone aus jener Zeit, die die Liebe Giulianos und Simonettas besingt und den Faden fast an der Stelle wieder aufnimmt, wo die angeführten Verse der Giostra ihn gelassen haben. Sie wurde lange Zeit Giuliano selber zugeschrieben, bis G. Carducci sie in seiner Polizian-Ausgabe dem echten Urheber zurückgab, unter dessen rime varie sie jetzt zu finden ist. In der That, Giulianos Dichtertalent in Ehren, das ja im Hause Medici erblich war, diese Verse konnte kein Dilettant gemacht haben; die mühelose Grazie verrät den Meister. Wie ein Chor leichter jugendlicher Nymphen, eine die Hand der andern fassend, gleiten und schwingen sich die Strophen, indem sie uns in ihrem Rhythmus den gehaltenen Tanzschritt vorzaubern, der damals bei der vornehmen Gesellschaft Mode war. Das Gedicht ist Giuliano in den Mund gelegt, ein Liebesdienst, den Polizian ja wiederholt seinen Freunden erwiesen hat, und es drückt mit einer Unmittelbarkeit, wie sie sonst nur Selbsterlebtes zu haben pflegt, das unschuldige Entzücken und die Schüchternheit einer ersten Liebe aus.
Mich zwingt die Minne, herrisch im Bezwingen,
Sie, deren Allmacht alle Wesen frönen,
In meinen schlichten Tönen
Die hohe Lust, die mich durchglüht, zu singen. 132
Denn ließ' ich nicht hervor den Jubel dringen,
Man müßte Kaltsinn meine Ruhe schelten,
Für fühllos müßt' ich gelten,
Hielt' ich die Fülle meiner Brust zurücke.
Der fühlt kein Glück, der schweigt von seinem Glücke,
Und wenig freut sich, wer sich freut im stillen,
Kann wer mit klugem Willen
Die Zunge zähmen, hat er nie empfunden.
Drum red' ich laut von meinen höchsten Stunden,
Vom Preis der Reinen, die in ihren Ehren
Ich halten will und mehren,
Den Morgenstern, die Sonn' im Kreis der Sterne.
Doch weiche Neid, und Schmähsucht bleib' uns ferne,
Wenn mir vom Herzen heiß die Worte brechen!
Kein Mund soll sich erfrechen
Der süßen Liebe Heiligtum zu schwärzen.
Der Lenz war da, der Freund verliebter Herzen,
Die schüchtern glühen und sich einsam härmen,
In Scharen sah man schwärmen
Das junge Volk, behängt mit Flittertande. 133
Ich aber, der allein im Jagdgewande
Die Stadt verließ auf rauhem Waidmannspfade,
Ward von des Glückes Gnade
Zum Ort geführt, wo meine Sehnsucht weilte.
Die Nymphe, der mein Herz entgegeneilte,
Erschien mir dort im reinsten Liebesglanze,
So wunderhold beim Tanze,
Mir war's, als wie in's Paradies zu schauen.
Und um sie her ein Kranz erles'ner Frauen,
Von Schönheit strahlend und so edlen Schlages,
Ich dachte jenes Tages:
Nun wandeln alle Göttinnen hienieden.
Doch sie, die Sturm der Seele bringt und Frieden,
Im Antlitz Venus, Pallas an Geberde,
In ihr ist, was die Erde
An Reiz und Adel hegt, vereint beisammen.
Gedenk' ich ihrer, steh' ich schon in Flammen,
Wie sprech' ich von dem Wunder ohne Gleichen?
Könnt' Eine sie erreichen,
Nicht könnte die mit höh'rem Kranz sich kränzen.
Mag eine Andre als die Erste glänzen,
Sie heißt die Erste nicht, sie heißt die Eine,
Wie Nelk' und Lilienreine
Mit allen Blumen weichen vor der Rose. 134
Um das beseelte Antlitz hingen lose
Die goldnen Haare, die der Stirn entsteigen,
Indes im holden Reigen
Sie Himmelsschritte nach dem Takt bewegte.
Und ob sie wenig nur die Augen regte,
Doch traf ein Strahl mich dann und wann verstohlen,
Doch neidisch hat verhohlen
Des Haares Schleier schnell, was mich entzückte.
Die Nymphe sah's, die erdenwärts Entrückte,
Und neigte sich erbarmend meinem Sehnen,
Denn den verirrten Strähnen
Wies sie mit weißer Hand die rechte Stelle.
Und tausend Liebesgeister feuerhelle
Ließ sie dem süßen Augenpaar entströmen.
Mich muß es Wunder nehmen,
Daß ich nicht augenblicks zu Asche brannte.
Dies war das erste Zeichen, das sie sandte,
Das starke Band, mit dem sie mich gebunden:
Es steht zu allen Stunden
Die zauberische Huld mir vorm Gemüte.
Noch größres Zeichen ward mir ihrer Güte:
Indes sich noch der Tanz verschlang und kehrte, –
O daß er ewig währte! –
Ward sie zu früh hinweggeholt vom Reigen. 135
Da sah ich ihr ins Antlitz Blässe steigen,
Die ward von Rosenröte schnell vertrieben. –
Ich wäre gern geblieben,
Kam es mit Lächeln aus dem Mund der Süßen.
Und scheidend sah ich noch ihr Auge grüßen,
Drin saß verwirrt Cupido eingeschlossen
Mit seinen Glutgeschossen,
Die er entzündet an verborgnen Flammen.
Sie rafft' ihr köstliches Gewand zusammen,
Mit königlicher Huld von hinnen schwebend.
Ich weiß nicht, ob ich lebend,
Ob ich entseelt des Tags nach Hause kehrte.
Entseelt, so glaub' ich, da ich dich entbehrte,
Mein süßes Licht, und doch vielleicht am Leben
Durch Kraft, die du gegeben
Mit deinem Blick, der mich vom Tod errettet.
Doch wenn das Heil des Treuen denn gekettet
An deines Auges segenskräftige Strahlen,
Warum zu andern malen
Erscheint mir nicht die Lust, die ich ersehne?
Schon zweimal hat die wandelnde Selene
Am brüderlichen Strahl ihr Licht entzündet,
Und doch noch immer findet
Das Glück den Rückweg nicht zu solcher Wonne. 136
Der Frühling kehrt, es triumphiert die Sonne,
Es schmückt sich Baum und Busch mit jungen Blättern,
Verliebter Vögel Schmettern
Erfüllt mit Wohllaut rings die heitern Lüfte.
Das Wild des Waldes paart sich im Geklüfte,
Der Stier sucht die Genossin auf der Weide,
Wir jugendlichen beide,
Wir sollten uns dem holden Brauch entziehen?
Soll uns die Jugend ungenützt entfliehen?
Willst du mit deinem süßen Lenze geizen?
Soll an so seltnen Reizen
Nicht der sich laben, der am tiefsten schmachtet?
Bin ich ein Hirt, der rauh der Herden achtet?
Gemeinen Bluts, mit Jahren schwer beladen,
Behängt mit Leibesschaden?
Ein Bettler gar, der dir verächtlich deuchtet?
Nein, aus erlauchtem Stamm, dess' Wappen leuchtet
Und mehrt des Vaterlandes Ruhmeskränze,
Dazu im ersten Lenze,
Und manche mag mir heimlich Seufzer zollen.
Fortunens Güter, die beweglich rollen,
Kann ich mit königlicher Hand verschwenden,
So üppig ich im Spenden,
So unerschöpflich sie im Rückbescheren. 137
Erprobt an Kraft, wie Thaten es bewähren,
Von Gunst umringt, von wackerer Genossen
Getreuem Kreis umschlossen,
Doch ob man mich zu den Beglückten zähle,
Doch ohne dich, du Hoffnung meiner Seele,
Muß ich das Leben herb und wertlos achten,
Drum laß mich nicht verschmachten
Nach jenem Glück, das einzig kann beglücken,
Und nach der Blüte laß die Frucht mich pflücken.
Meint man in diesem Lied nicht die Schöne leibhaft vor sich zu sehen, mit der etwas gemessenen Grazie, wie sie das damalige Frauenideal verlangte, und diesmal im reichen Zeitkostüm an Stelle der idealen Nymphentracht? Und als Rahmen des Bildes das alte Florenz, die Stadt der Gärten und Villen, der blumenbedeckten Terrassen und offenen Loggien! Die Verse sind geblieben, aber das lebendige Leben, von dem sie Zeugnis geben, ist in die Vergessenheit hinabgerauscht, und es bleibt der Phantasie des Lesers überlassen, sich selbst die Frage zu beantworten, ob diese Liebeserklärung durch Freundesmund der Schönen wirklich dargebracht wurde, oder ob sie nur dazu dienen sollte, der einsamen Sehnsucht des Liebenden durch Beschäftigung mit dem geliebten Gegenstand zu schmeicheln. Daß es sich 138 hier nicht um eine ernstliche Liebeswerbung, sondern nur um ritterlichen Frauendienst und Minnesang handelte, wobei der Gatte keinen Grund zur Unruhe und die Welt keinen zum Aergernis suchen durfte, ist klar. Dafür spricht nicht nur die Sitte der Zeit und die Oeffentlichkeit der dargebrachten poetischen Huldigungen, sondern auch der ganze Ton der Verse. An diesem lieblichen Lied bekehre sich, wer in der Renaissance nur Korruption und Zügellosigkeit zu sehen geneigt ist. Anmutiger ist niemals ausgedrückt worden, wie reine und feurige Jugend liebt. Welche Zartheit in dieser Verehrung, die sich auf die ganze Umgebung des geliebten Wesens ausdehnt, in dem liebevollen Achten auf die leiseste Bewegung, in dem Beglücktsein durch das allerkleinste Zeichen der Huld. Das reinste »Neigen von Herz zum Herzen« spiegelt sich in diesen Versen, und wenn die Liebe am Schlusse ihren Lohn zu begehren scheint, so ist auch das nur poetisches Spiel und Ritterstil. In ähnlicher Weise hatte ja Lorenzo viele Jahre lang seine Glut für die schöne Lucrezia Donati gesungen, und Polizian mit den andern Dichterfreunden hatte ihm dabei poetische Schildknappendienste gethan, ohne daß Madonna Clarice sich beleidigt gefühlt hätte, ja, das Turnier, das Lorenzo im Jahr 1469 zu Ehren der Königin seiner Lieder gab, war zugleich bestimmt, seine 139 Verlobung mit jener zu feiern! Alle die so öffentlich besungenen Damen sind in ihrer Art Dulcineen von Toboso gewesen. Die Sitte des frühen, rein konventionellen Heiratens und die nichtige Rolle des jungen Mädchens in der Gesellschaft schloß die echte ernstgemeinte Liebeswerbung von Jüngling zu Jungfrau beinahe völlig aus; darum vergnügte man sich mit einem poetischen Scheinbild derselben. Das soll nicht heißen, daß in das reizende Spiel nicht auch ein geheimer Ernst und ein tieferes Empfinden sich einschleichen konnte, aber die Voraussetzung war doch immer der Verkehr in einer idealen Sphäre. Daß zwischen Giuliano und Simonetta nur ein solcher stattfand, scheint außer Zweifel. Der Schüler der Platonischen Akademie, die zu Careggi tagte, kannte wohl den philosophischen Eros, der durch die Liebe zum Irdisch-schönen die Seele für die ewige Schönheit empfänglich macht und schließlich zur Gottheit emporführt. Ohnehin scheint die schöne Simonetta eine Art Liebeshof regiert zu haben, da Lorenzo von ihr sagt: »Zu ihren wunderbaren Gaben gehörte ein so anziehendes holdseliges Wesen, daß alle, die irgend mit ihr verkehrten, sich von ihr aufs innigste geliebt glaubten. Und es war fast unglaublich, daß so viele Männer sie ohne Eifersucht lieben und so viele Frauen sie ohne Neid preisen konnten.«
140 Man sollte denken, daß von dieser Zauberin, dieser allgeliebten, auf dem Boden von Florenz auch eine persönliche Spur noch zu finden sein müßte. Aber fruchtlos waren alle Nachforschungen.
Nur einmal bricht die Vergangenheit ihr Schweigen in einem authentischen Wort der Simonetta, das wie eine Geisterstimme aus der Tiefe der Zeiten herauftönt und uns aus dem Feenland der Poesie mitten in die eiserne Wirklichkeit des Quattrocento versetzt. In einem Brief Luigi Pulcis an Lorenzo de' Medici vom Jahre 1472 erwähnt der Schreiber nebenher unter anderen Neuigkeiten die Gerüchte von einer Staatsumwälzung in Piombino, wobei der Herrscher mit seiner Familie den Tod gefunden habe, und fährt dann gleichmütig fort. »Heute im Hause Messer Pieros habe ich durch Leute, die von dort kommen, gehört, daß sie alle vergiftet seien, auch wie und durch wen, und daß, wer noch nicht tot sei, sterben werde. Auch die Simonetta sagt, es sei ihr vor mehreren Wochen erzählt worden, daß ihre Schwester an Gift gestorben sei und daß alle, die getrunken hätten, unfehlbar sterben müßten.« Seltsam kontrastiert die Gelassenheit des Briefschreibers mit den Schrecken, die er berichtet; es waren dies alltägliche Vorkommnisse, bei denen man sich nur für die politischen Folgen interessierte. 141 Und in solch rauhen Lüften haben wir uns auch die wie aus Duft und Mondschein gewebte Gestalt der Simonetta zu denken.
Ein langwieriges Brustleiden führte die schöne Nymphe im Frühjahr 1476 der Auflösung entgegen. Sie wurde von Maestro Stefano, dem Leibarzt des Magnifico, behandelt, den dieser an ihr Krankenbett geschickt hatte, und Lorenzo ließ sich täglich nach Pisa, wo er sich um jene Zeit befand, über das Befinden der Simonetta berichten. Die Anwesenheit des berühmten Arztes setzte aber Messer Piero in Verlegenheit, da er nicht wußte, wie ihn bezahlen, und wiederholt ist in seinen Berichten an den Gönner von dieser Klemme die Rede. Kein beredteres Zeugnis für die Reinheit ihrer Beziehungen zum Mediceerhause als diese Geldnot am Sterbebette der Simonetta. Noch disputierten die Aerzte über ihr Leiden, das Maestro Stefano nicht für Schwindsucht erkennen wollte, als nach einer kurzen scheinbaren Besserung die Schöne am 26. April der tückischen Krankheit erlag. Bernardo Pulci in seiner schwülstigen, dem Giuliano de' Medici gewidmeten Elegie schildert ihre Standhaftigkeit im Leiden und ihr gefaßtes Ende. Mit einer verhüllten Wendung läßt er die sterbende Nymphe andeuten, daß ihr Leben kein glückliches gewesen sei, und daß nur eine schöne Neigung ihr einigen Trost gebracht habe. 142 Zugleich aber giebt er auch schon zu verstehen, daß sie ein Geschöpf der Poesie ist, indem er die Diva in den obersten Himmel neben Laura und Beatrice versetzen will. In den Schlußstrophen schimmert dann das Leitmotiv des ganzen Simonettakultus durch: die Wiederkehr der zur Göttin erhobenen Nymphe auf die Erde:
Ein kalter Stein deckt, Nymphe, deine Glieder,
Doch droben wardst du als ein Stern empfangen.
Wenn uns dein Licht am hellsten aufgegangen,
So kehr' als Trost in meine Heimat wieder.
In einem poetischen Kommentar zu seinen Gedichten erzählt Lorenzo, wie er an der Bahre der Simonetta sich zum erstenmal der Gabe der Poesie bewußt geworden sei, und er teilt uns die vier Sonette mit, die das schmerzliche Ereignis ihm eingab. Auf einem nächtlichen Spaziergang, da er eben mit einem Freund sich über das allgemeine Leid unterredet, erblickt er einen noch nicht gesehenen Stern von solcher Helligkeit, daß die davon beschienenen Körper einen Schatten werfen. Sofort scheint es ihm, als müsse die Seele jenes holdseligen Geschöpfs sich in den neuen Stern verwandelt oder mit ihm verbunden haben, und von dem Gedanken ergriffen, geht er und schmiedet sein erstes Sonett. Kaum irgendwo 143 erscheint mir Lorenzo erstaunlicher, als in diesen vier Sonetten, obgleich sie poetisch nicht zu seinen besten gehören. Der reife Mann, der wie ein Atlas die Welt auf den Schultern trug, fand inmitten der höchsten Verantwortungen noch Stille genug in sich, um den Tod einer jungen Schönheit, die ihm selber nicht einmal nahe stand, mit der Gewalt eines persönlichen Erlebnisses auf sich wirken zu lassen. So stark ist in ihm der Dichter, daß er auch einmal im Gefühl der Trauer schwelgen, es in seiner schmerzlichsten Süßigkeit auskosten, sich mit jugendlichster Selbstverschwendung ganz darin verlieren will. Mit steigender Intensität versetzt er sich in die Lage dessen, den der Verlust persönlich betroffen hat, und man kann beobachten, wie in den Sonetten das Anempfinden eines fremden Zustands sich allmählich zum eigenen Gefühl vertieft, bis ihn endlich das Bild der Verlorenen auf Schritt und Tritt wie eine schmerzliche Vision verfolgt. Der Merkwürdigkeit halber seien die vier Sonette hier in deutscher Sprache wiedergegeben.
I.
O heller Stern, der du in Himmelsbreiten
Den andern Sternen rings ihr Licht entzogen,
Was strahlst du mehr als sonst am dunklen Bogen,
Und willst mit Phöbos dich zum Kampf bereiten? 144
Empfingst du wohl in deinen lichten Weiten
Das Augenpaar, um das uns Tod betrogen?
Dann magst du wohl, wenn du ihr Licht gesogen,
Mit Phöbos um den Sonnenwagen streiten.
O wer du seist und wie dir Macht gekommen,
Daß du den Raum erfüllst mit solchem Leuchten,
Erhöre, göttliches Gestirn, mein Flehen.
Nimm von dem Uebermaß zu unsrem Frommen
Nur so viel weg, daß dich die thränenfeuchten
Getrübten Augen ohne Blendung sehen.
II.
Wenn tief im West der Sonne Glanz versprühte,
Seh ich, wie Clizia mit erblaßten Wangen
Um ihren Phöbos, der hinweggegangen,
Sich härmt, und mit ihr trauert mein Gemüte.
Doch wenn im Osten neues Licht erglühte
Und jede Blum' ersteht in seinem Prangen,
Seh ich sie selig ihm am Antlitz hangen
Und preise froh des jungen Morgens Güte.
Doch ach, nicht weiß ich, welches Morgengrauen
Soll jene Sonne je der Welt erstatten,
Die scheidend uns mit ewiger Nacht durchdrungen. 145
O Clizia, hoffe nie sie mehr zu schauen,
Die Augen laß, bis sie im Tod ermatten,
Zum West gewendet, der dein Licht verschlungen.
III.
Vom Lichte dieses Lebens möcht' ich scheiden,
Ein Leben – andre nennens Tod – erlangen,
Doch Tod ist lieblich, seit er sie umfangen,
Daß um das Sterben Götter uns beneiden.
Ja, Tod ist süß, und Süßes will ich meiden,
Nur Bittres such' ich, seit sie hingegangen,
In deren Licht die Himmel heller prangen,
Drum will ich dieses Daseins Herbe leiden.
Von nun an sollen diese Augen weinen,
Von nun an soll dies trübe Herz verzagen
Um seiner schönen Sonne Niedergang.
Im Trauern soll sich Amor mir vereinen,
Die Grazien und die Musen sollen klagen.
Und wer bleibt kalt bei ihrem Klaggesang?
IV.
Wohin mich wenden, daß ich dir enteile,
Du schmerzlich Bild? In welchen Felsgesteinen
Verberg ich mich und seh dich nicht erscheinen,
Du schmerzlich Bild, von dem ich nie mich heile? 146
Ob ich auf blumigem Wiesenplan verweile,
Ob ich mich berg' in grünen Schattenhainen –
Hör ich ein Bächlein, muß ich mit ihm weinen,
Wo ist ein Ding, das meinen Gram nicht teile?
Kehr' ich zum unglückseligen heimischen Neste,
Sitzt dieses Leid in aller Sorgen Mitten
Und bricht das Herz in langsamer Zerstörung.
Was bleibt mir noch? Was ist für mich das Beste?
Ach, nur vom Tod noch kann ich Heil erbitten,
Und finde doch zu spät bei ihm Erhörung.
So groß ist in den kühnen Realisten des Quattrocento der Idealismus, daß sie mitunter nahe an den Don Quixote streifen, was freilich zu den Kennzeichen des Dichters mit gehört. Nachdem nun die künstlich erwärmten Gefühle rasch ihren Kreislauf um das erloschene Gestirn vollendet haben, sucht und findet der Dichter jetzt erst einen lebendigen Gegenstand seiner poetischen Huldigungen, vor dem das Bild der Toten verblaßt und hindämmert, »wie der Morgenstern, auf dessen Erlöschen die Sonne folgt.« So des Magnifico eigene Worte. Wie aber um die Gestalt der Simonetta alles traumhaft und unreal ist, so enthüllt sich auch die Erzählung, wie Lorenzo durch ihren Tod zum Dichter ward, als eine 147 liebenswürdige Fabel, denn seine Sonette an Lucrezia Donati sind weit älteren Ursprungs, als die an die tote Simonetta.
Von Giuliano selbst ist aus jenen Trauertagen kein unmittelbares Zeugnis erhalten, außer dem Gedankengang, den er zu einer lateinischen Grabschrift für die Geliebte gab und den Polizian in lateinische Disticha goß. Dieser Entwurf, der von den Meisterhänden des Montepulcianers ausgearbeitet und verschieden variiert wurde, sollte nur das Monument, das ihr im Andenken der Freunde errichtet war, schmücken, denn den Leib der Schönen deckte in Ognissanti ein namenloser Stein, der nicht mehr zu finden ist. Das laute Beileid, das sich in Versen an Giuliano wandte, spricht erst recht für eine rein ideale Neigung, über eine schuldige hätte die einfachste Decenz den Schleier gezogen. Man war noch nicht in der Zeit, wo die Stellung einer fürstlichen Maitresse der Familie, der sie angehörte, zur Ehre gereichte – keinem von Giulianos poetischen Freunden ist es jemals eingefallen, jene Dame aus dem Hause der Gorini zu feiern, die ihn zum Vater des kleinen Giulio machte und deren Name sogar tief verschwiegen blieb. Erst der Tod gab die geliebte Simonetta dem liebenden Giuliano ganz: von jetzt an sind Spiel und Ernst nicht mehr zu trennen. Polizian, der im Schmerz wie in der Freude das poetische 148 Mundstück des erlauchten Freundes war, läßt uns einen Blick in sein Inneres werfen, wenn er sich bemüht, in lateinischen Disticha jeden Zug der hinschwindenden Gestalt festzuhalten. Dann kommt die Giostra und verbindet die beiden für die Unsterblichkeit.
Ein seltsames Verhängnis hat es gewollt, daß gerade am Tag, wo Simonettas Tod sich zum zweitenmal jährte, Giuliano unter den Dolchen der Verschwörer sein Leben aushauchen sollte. Die Thatsache, daß Piero Vespucci und sein Sohn Marco, der übrigens damals bereits zum zweitenmal verheiratet war, einem der Mörder Giulianos, Napoleone Franzesi, zur Flucht verhalfen, was beide mit Verbannung büßten, hat vielfach zu romanhaften Vermutungen Anlaß gegeben und die Liebe Giulianos zur Simonetta in ein falsches Licht gerückt. Aber die Annahme eines nachträglichen Racheakts der Vespucci wird hinfällig, wenn man bedenkt, daß der Geflüchtete ihr Verwandter war, und daß sie selber später auf Verwendung des Herzogs von Calabrien von Lorenzo begnadigt wurden, was deutlich beweist, daß sie an der Verschwörung selbst nicht beteiligt waren. Auch wäre der unzuverlässige, wetterwendische Messer Piero ein schlechter Verschwörer gewesen. Polizian erzählt von ihm, daß er als ein Ruinierter und darum Unzufriedener bei der ersten Nachricht 149 von der Ermordung Giulianos die That der Pazzi in den Himmel erhoben habe. »Da er aber alles Volk auf Seiten Lorenzos sah, änderte er schnell seine Gesinnung und fand die Gelegenheit günstig, um seinen Vermögensverhältnissen aufzuhelfen. Er rannte nach den Häusern der Pazzi, um Beute zu machen, und stachelte die raublustige Soldateska zur Plünderung auf, und es hätte mit allgemeiner Räuberei und Zerstörung geendigt, wäre nicht der entschlossene Pier Corsini dazwischen getreten.«
Ob an jenem blutigen Himmelfahrtstag das Andenken der toten Simonetta noch in Giuliano lebendig war, wer vermöchte das zu sagen? Jedenfalls hat die Erinnerung an dieses ideale Liebesglück ein sehr viel realeres nicht verhindert, wovon die Existenz des Knaben Giulio, des nachmaligen Clemens VII. zum Unsegen für Florenz und für ganz Italien Zeugnis gab. Auch erzählt Macchiavelli, daß der große Haß Francescos de' Pazzi gegen Giuliano in der Rivalität bei schönen Frauen seinen Ursprung gehabt habe. Dagegen hört sich's wie ein Nachklang aus den Tagen der ersten Liebe an, wenn man aus dem Geständnis des Montesecchi vernimmt, daß zur Zeit des Attentats Lorenzo für seinen Bruder um eine Tochter aus dem Herrscherhaus von Piombino, also eine nahe Anverwandte der Simonetta, die 150 jener vorhin berührten tragischen Familienkatastrophe entgangen war, freite.
Seltsamerweise ist nicht ein einziges sicher beglaubigtes Bildnis der Simonetta erhalten. Vasari erzählt in seinem Leben Botticellis von einem Porträt, das dieser Künstler von der »Geliebten des Giuliano de' Medici« gemalt habe, und das zu seiner Zeit in der Guardaroba des Herzogs Cosimo hing. Daß die Simonetta gemeint sei, unterliegt keinem Zweifel, aber das Bildnis ist nicht mehr zu identifizieren. Drei noch vorhandene Bilder streiten sich um diesen Ruhm, von denen das eine in Berlin, das andere in Frankfurt, das dritte in Florenz im Pitti gezeigt wird. Die beiden ersten sind von solcher Härte und Eckigkeit der Linien und prahlen mit so überladenem Haarputz, daß sie mit der Vorstellung des zarten jugendlichen Liebreizes, die sich an den Namen Simonetta knüpft, gänzlich unvereinbar sind. Das dritte, dürftig und hausbacken, mit unnatürlich langem Halse, eingesunkener schwindsüchtiger Brust, und schlichtem, in nudelartige Strähnen geteiltem Blondhaar, erscheint dagegen allzu bescheiden und bürgerlich für die Schöne, deren heiteres, glanzvolles Auftreten die Dichter gerne besangen.
Freilich befindet sich in der Sammlung des 151 Herzogs von Aumale zu Chantilly ein anderes Porträt der Simonetta, das durch die Umschrift Simonetta Januensis Vespuccia sicher gekennzeichnet ist. Allein dieses Bild wird dem Piero di Cosimo zugesprochen, kann also nicht zu Lebzeiten der Nymphe gemalt sein, da dieser Künstler bei ihrem Tod erst vierzehn Jahre zählte. Das Gemälde, gleichfalls Profilbild, zeigt eine elegante anspruchsvolle Schönheit, die nichts mit der Vorstellung der Simonetta, wie sie dem Mediceerkreis vorschwebte, gemein hat. Der überreiche Schmuck, die Perlen in den künstlich aufgetürmten Haaren, die völlig nackte, von einer farbigen Schärpe eingerahmte etwas hagere Büste, vor allem ein müder, wissender Zug um den Mund, der sich gut mit der um den Hals gewundenen Schlange versteht, das sind keine Attribute für die echte Simonetta, es sind die willkürlichen Zuthaten eines Späteren. Am anstößigsten ist das Wappenschild mit den mediceischen Kugeln, das der Künstler ihr auf die Stirn gemalt hat. Kaum mehr als ein Dezennium trennt diese Künstlergeneration von der vorigen, und schon wurde die Unschuld und Poesie des Simonettakultus nicht mehr verstanden. Dieses posthume Porträt wäre nicht gemalt worden, wenn die Erinnerung an die schöne Nymphe nicht in vollem Glanze fortgelebt hätte. Es wäre aber nicht so 152 gemalt worden, hätte sich nicht Richtung und Geschmack der Zeiten unterdessen völlig verändert.
Von Simonettas Erdenlauf ist jede Spur verweht. Alles Persönliche an ihr ist aufgesogen von der Poesie, die es nach ihrem Brauche into something rich and strange verwandelt hat. Es konnte sich also nicht darum handeln, ihr Leben zu erzählen, sondern nur ihr Bild so herzustellen, wie es den Zeitgenossen erschienen ist. Aber wir dürfen uns damit zufrieden geben: was eine Zeit sich vorträumt und dichtet, ist wichtiger als was sie in Wirklichkeit gesehen hat. Die Liebesfackeln, die sich nach Polizians Worten an den erloschenen Augen der Simonetta entzündeten, haben der Poesie und durch sie auch der Malerei zu neuen Pfaden vorgeleuchtet. Das Schöne aber zeugt immer weiter durch die Jahrhunderte, seine Wirkung breitet sich ins Unendliche aus und wer kann sagen, wo die Welle zur Ruhe kommt?Unterdessen sind von H. Brockhaus, Forschungen über Florentiner Kunstwerke, Leipzig 1902, zwei schöne Simonettaporträts mit großer Wahrscheinlichkeit nachgewiesen worden, die wir in der Reproduktion wiedergeben.