Michail Kusmin
Der zärtliche Jossif
Michail Kusmin

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VII

Das alte Fräulein hatte nur selten Gäste, doch zwei- oder dreimal im Jahr kamen bei ihr immer dieselben Personen zusammen, die oft nach einfacher ländlicher Sitte auch ihre eigenen Gäste oder auch sonstige Leute mitbrachten, denen sie in der winterlichen Einsamkeit eine Zerstreuung verschaffen wollten oder von denen sie eine solche erwarteten. Oft brachten sie auch Leute mit, die niemand besonderes Vergnügen bereiten konnten, einfach so ›der Gesellschaft wegen‹. So kamen auch jetzt außer dem Vater Pjotr und der Dorfschullehrerin, den sozusagen ›zu Fuß Kommenden‹, noch vier andere Gruppen von Gästen, die im Hause nach geographischen Gesichtspunkten untergebracht wurden: die am nächsten Wohnenden bekamen die Zimmer in der Nähe des Schlafzimmers und die entfernter Wohnenden – die entlegeneren Räume. Da aber die Gruppen in bezug auf Geschlecht und Lebensalter gemischt waren, so kam es freilich wie bei einer Patience, wo sich letzten Endes alle Könige auf einem Haufen finden, alle Damen in einem andern und alle Buben in einem dritten. In Jossifs Zimmer wurden die beiden Schwestern Gambakowa, Pawla und Sinaida, zwei alte Damen von uraltem Adel, die in großer Armut in der Nachbarschaft lebten und nur einen gemeinsamen Mops besaßen, untergebracht. Sie sahen einander zum Verwechseln ähnlich, froren immer und zankten ewig miteinander.

Anna Matwejewna bildete zwar eine Gruppe für sich, teilte aber schwesterlich ihr Zimmer mit Marja Matwejewna, die auf der Fabrik wohnte. Anna war die jüngste von den drei Schwestern Pardowa und zeichnete sich durch größere Vernunft und eine üppige Figur, auf die sie nicht wenig stolz war, vor den andern aus. Sie wohnte im Kreisstädtchen und kam in geschäftlichen Angelegenheiten – sie übte den Beruf eines Winkeladvokaten aus – oft sogar in die Hauptstädte.Gemeint sind Moskau und Petersburg. Wie sie ihre Prozesse führte, weiß Gott allein; sie war aber energisch, scheute keinen Papierkrieg, brachte jeden Fall bis vor den Senat und konnte sich nicht über Mangel an Klienten beklagen. Sie hatte immer alle Hände voll zu tun und erzählte einem jeden mit Posaunenstimme lange Geschichten von ihren Prozessen. In der allerletzten Zeit begann sie zu hinken, hielt sich aber königlich. Sie lebte immer allein und war den Menschen gegenüber sehr streng; sie ging nur sehr ungern darauf ein, daß man ihre Schwester Marja für die wenigen Tage im gleichen Zimmer mit ihr unterbrachte. Marja Matwejewna, die von der Fabrik in Begleitung ihrer Tochter Sonja, von Jekaterina Petrowna Oserowa, deren Sohn Viktor und eines gewissen Iwan Pawlowitsch Jegerew kam, war die einzige von den Schwestern Pardowa, die ihren alten Familiennamen mit einem demokratischen und dazu noch unrussischen – Dreistück – vertauscht hatte. Obwohl ihr Mann, der Ingenieur Dreistück, der zwölf Jahre lang auf der Fabrik gelebt hatte, schon vor zehn Jahren gestorben war, wollte sie das alte Nest nicht verlassen. Sie und die andere Witwe, die Tochter des Vaters Pjotr, Jekaterina, führten gemeinsamen Haushalt und unterhielten einen Mittagstisch für die unverheirateten und nicht sehr gut bezahlten Fabrikangestellten. Bei ihnen lebten die Tochter der einen, die bucklige Sonja, die, abgesehen von diesem Defekt, ein gesundes Aussehen hatte, aber an seltsamen Anfällen litt, und der Sohn der anderen, der fünfzehnjährige Viktor, der wegen seiner Streiche und seiner unkindlichen Boshaftigkeit für eine Strafe Gottes galt.

Iwan Pawlowitsch Jegerew, der mit ihnen gekommen war, spielte im Leben der Fabrikgesellschaft eine sehr gewichtige Rolle, die zu seiner bescheidenen Stellung, über die kein Mensch etwas Genaues wußte, in keinem Verhältnis stand. Einige wenige Leute hielten ihn für einen unerträglichen Schwätzer und beriefen sich auf sein eigenes Geständnis, daß er eine sehr despotische Großmutter gehabt hatte, die ihre eingeschüchterten Enkel zwang, sie stundenlang zu unterhalten, wobei sie sie ununterbrochen zwickte; dieser Erziehung habe er ein ungemein entwickeltes Mundwerk zu verdanken, das selbst in den ungewöhnlichsten Situationen niemals versage. Die meisten hielten ihn aber – aufrichtig oder aus Denkfaulheit – für einen klugen Menschen mit großer organisatorischer Begabung und für den unersetzlichen Organisator all der Vereine, Klubs, Leseabende und so weiter, deren Einrichtung die große Fabrik der Ispolatowschen Erben für eine Forderung der Zeit hielt. Er war eher jung als alt, hatte ein spitzes Bärtchen, einen edlen Blick, eine melodische Stimme und die Gewohnheit, abstrakte Worte zu gebrauchen. Man erzählte sich, daß er mit Jekaterina Petrowna ein intimes Verhältnis unterhalte; das Gerücht blieb aber unbeglaubigt; auch war dieser Held von seiner gesellschaftlichen Tätigkeit so sehr in Anspruch genommen, daß ihm wohl keine Zeit für einen konkreten Roman blieb. Die beiden voneinander sehr verschiedenen Kinder – der ausgelassene Viktor und die stille Sonja – konnten ihn im gleichen Maße nicht ausstehen.

Das große Zimmer, in dem Jekaterina Petrowna Oserowa und Sonja einquartiert waren, teilten mit ihnen eine Adelaïda Platonowna Dmitrewskaja und deren Tochter Ljolja, die sich periodisch auf dem Landgut, das in der Mitte des Weges zwischen der Fabrik und dem Dorf Alexandra Matwejewnas lag, aufhielten. Die Dame zeichnete sich hauptsächlich durch eine unmäßige Geschwätzigkeit aus und sprach ebenso gern wie schnell über was auch immer, mit Vorliebe aber von ihren Bekanntschaften und Beziehungen in literarischen Kreisen, womit sie hier auf dem Land fast niemand imponieren konnte. Sie bekam übrigens tatsächlich ab und zu Besuch bald von dem einen, bald von dem andern Künstler oder Dichter, die sie dann in einem fort von einem ihrer Bekannten zum andern schleifte, wobei sie im Flüsterton die Berühmtheit des Betreffenden erläuterte, sei es auf dem Gebiet der Kunst, sei es auf dem des Skandals. Besonders viel Material lieferte ihr der Schriftsteller Adventow, der sie auch jetzt begleitete und den alle auf Grund ihrer Erzählungen für ein Wunderwesen hielten. Dieser benahm sich aber ebenso wie die andern, sprach wenig und höflich und bevorzugte die Gesellschaft des Studenten Bessakatny, der als Ljoljas Lehrer bei den Dmitrewskis wohnte. Auch im Haus der Tante Sascha trennte man sie nicht voneinander und gesellte zu ihnen als dritten den Herrn Jegerew. Jossif aber schlief im Eßzimmer mit Vater Pjotr und Viktor.

Der Schnee, der am zweiten November gefallen war, lag noch immer und wollte nicht schmelzen.


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