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Elftes Kapitel

Erst drei Wochen weilte ich auf Pavol, und schon behauptete mein Onkel, ich habe mich so verschönert, daß mich mein Pfarrer gar nicht mehr erkennen würde, wenn er mir begegnete. Er verglich mich mit einer lebenskräftigen Pflanze, die auch in schlechtem Erdreich weiter kommt, weil sie gut geartet ist, deren Schönheit sich aber plötzlich in unglaublicher Weise entfaltet, sobald sie in einen ihrer Natur entsprechenden Boden verpflanzt wird.

Wenn ich mich im Spiegel betrachtete, konnte ich mir nicht verhehlen, daß meine braunen Augen feuriger, mein Mund frischer geworden waren, und daß meine südliche Gesichtsfarbe einen zarten, rosigen Schimmer angenommen hatte, was eine lebhafte Befriedigung in mir hervorrief.

Trotzdem mußte ich schon wenige Tage nach jenem Gabelfrühstück die unzweifelhafte Entdeckung machen, daß ich mich in meiner Naivetät gröblich getäuscht hatte, als ich annahm, Herr von Conprat sei in mich verliebt. Allein ich war nicht pessimistisch angelegt und suchte schleunigst allerlei Vernunftsgründe hervor, um mich zu trösten. Ich sagte mir, daß unmöglich alle Herzen gleich geartet sein können, daß, wenn die einen sofort Feuer fingen, den andern auch das Recht zustand, zu überlegen und zu beobachten, ehe sie sich entflammten, und daß Herr von Conprat, wenn er mich auch jetzt noch nicht liebte, dies doch unfehlbar eines Tages thun werde, da zwischen unsern gegenseitigen Neigungen und Charakteren eine große Uebereinstimmung bestand. Auf diese Weise wurde meine Ruhe, obgleich die Enttäuschung groß gewesen war, während geraumer Zeit nicht ernstlich gestört und ich lebte heiter dahin in dieser all meinen Neigungen sympathischen Umgebung und wärmte mich an meinem Glück wie eine Eidechse in der Sonne.

Meine Cousine war sehr musikalisch, und der Major, der die Musik leidenschaftlich liebte, kam jede Woche mehrmals nach Pavol, wobei ihn sein Sohn regelmäßig begleitete. Außerdem stand ihm das Haus schon durch seine Kindheitsbeziehungen zu Blanche und die Verwandtschaft der beiden Familien stets offen. Uebrigens sah mein Onkel diesen vertraulichen Verkehr sehr gern, denn trotz seiner Paradoxen über die Ehe wünschte er, in Uebereinstimmung mit dem Major, sehnlichst seine Tochter mit Herrn von Conprat verheiratet zu sehen, da mehr als ausreichende Gründe vorlagen, ihn als eine außergewöhnliche Partie erscheinen zu lassen.

Erst später erfuhr ich diesen Plan – gleichzeitig mit einer Menge andrer Thatsachen, die ich mit etwas mehr Erfahrung leicht hätte entdecken können.

Gewöhnlich trafen die Herren zum Gabelfrühstück ein. Paul mit seinem bekannten Appetit frühstückte reichlich und nahm dann um drei Uhr eine kräftige Zwischenmahlzeit ein. Waren wir allein, so gab mir Blanche danach eine Tanzstunde, wozu er einen Walzer eigner Komposition spielte. Ab und zu nahm Blanche seinen Platz am Klavier ein, während er den Lehrer machte; der Major und mein Onkel sahen uns vergnüglich zu, und ich drehte mich mit unsagbarer Freude in den Armen Herrn von Conprats. Ach, diese schöne Zeit!

Wir machten keinen Plan, bei dem er nicht beteiligt gewesen wäre. Seine ansteckende Heiterkeit und Verträglichkeit, sein Organisationstalent, sowie seine Unerschöpflichkeit an komischen Einfällen, machten ihn zu einem entzückenden Gesellschafter, erheiterten unser Leben und steigerten meine Liebe. Gewandt, geschickt und gefällig, wie er war, war er zu allem zu brauchen und verstand alles zu machen. Wenn Blanche oder ich eine Uhr, ein Armband oder sonst etwas zerbrachen, sagten wir nur: »Wenn Paul heute kommt, muß er es wieder machen.«

Er malte viel und brachte uns seine Arbeiten. Dies war der einzige Punkt, über den ich mich nie mit ihm einigen konnte. Ich hatte eine eingefleischte Antipathie gegen die Künste im allgemeinen, ganz besonders aber gegen die Musik, denn die vertrackte gute Lebensart verbietet einem, sich die Ohren zu verstopfen, während es leicht ist, ein Gemälde nicht anzusehen oder ihm den Rücken zuzudrehen. Spielte Herr von Conprat irgend einen Tanz, so lauschte ich willig, allein ich liebte in diesen Weisen ihn und nicht die Melodieen an sich. Ich erwähne diese Empfindung nur beiläufig, weil ich sie eines Tages zergliederte und dadurch zu einer schrecklichen Entdeckung gelangte.

»Warum malen Sie denn überhaupt Bäume, Vetter?« fragte ich. »Der häßlichste Baum ist noch schöner, als diese kleinen grünen Bündel, die Sie auf Ihre Leinwand klecksen.«

»Und so fassen Sie die Kunst auf, kleine Cousine?«

»Glauben Sie nicht, daß Juno in Wirklichkeit tausendmal schöner ist, als auf Ihrem Bilde?«

»Doch, gewiß glaube ich das!«

»Und was stellen denn diese kleinen, blauen Blumen vor, die Sie in die Bäume hineinmalen?«

»Aber das ist ja der Himmel, Cousine!«

Ich drehte mich etlichemale auf dem Absatz herum und rief in pathetischem Ton: »O Himmel, o Bäume, o Natur, welche Verbrechen werden nicht an euch begangen!«

Mein Onkel hatte viele Freunde in V. Er stand zu den meisten Familien der Umgegend in Beziehung und hielt stets offnes Haus; es kam nur selten vor, daß wir nicht irgend einen Gast zum Frühstück oder zu Tisch hatten. Für mich war dies eine gute Gelegenheit, mir die gesellschaftlichen Formen anzueignen und meine Gefühle ins Gleichgewicht zu bringen, wie der Pfarrer sich auszudrücken pflegte. Ich muß aber gestehen, daß ich nicht viel ins Gleichgewicht brachte und kaum so weit gelangte, Eindrücke und Gedanken zu verschweigen, die häufig ebenso ungereimt und albern als ungezogen waren.

Mein Onkel und Juno, die in betreff der Schicklichkeit von unerbittlicher Strenge waren, ließen es an ernsten Verweisen nicht fehlen; aber ach! sie gingen zu einem Ohr hinein und zum andern hinaus! Mit wahrhaft trostloser Beharrlichkeit ließ ich mir auch nicht eine Gelegenheit entgehen, einen Bock zu schießen oder eine Dummheit zu sagen.

»Du bist gegen Frau T... sehr unhöflich gewesen, Reine.«

»Womit, heuchlerische Juno? Ich habe sie nur merken lassen, daß sie mir mißfiel, weiter nichts!«

»Das ist ja gerade das Unpassende, Fräulein Nichte!«

»Sie ist so häßlich, Herr Onkel! Ich fühle mich überhaupt von den Frauen nicht angezogen; sie sind spöttisch und boshaft und betrachten einen von Kopf zu Fuß, als ob man ein Meerwunder wäre!«

»Wie kannst du jemand vorwerfen, daß er spöttisch sei, Reine? Du thust ja die ganze Zeit nichts andres, als die lächerlichen Seiten der Leute hervorsuchen und sie nachäffen.«

»Ja, aber ich bin hübsch und darf mir folglich alles erlauben. Herr C... hat mir dies erst vor ein paar Tagen gesagt.«

»Das seh' ich nun gerade nicht ein! Aber glaubst du denn, die Männer betrachten dich nicht auch von Kopf bis zu Fuß?«

»Ja, aber um mich zu bewundern, während die Frauen Fehler an meinem Aeußeren suchen und nötigenfalls auch welche erfinden. Du siehst, ich habe schon eine Menge Dinge gemerkt.«

»Das sehen wir wohl, liebe Nichte, du solltest aber auch einsehen, daß ein schickliches Benehmen etwas sehr Schätzenswertes ist.«

Waren unsre Gäste jung, so machten sie Blanche und mir den Hof, und ich unterhielt mich vorzüglich; waren sie aber alt, ach Gott! dann gab's so viel Politik, daß ich Migräne davon bekam. Was hat mich doch diese Politik gelangweilt!

Die guten alten Herren waren sehr erregt über irgend eine Unthat der Regierung; anfangs besprachen sie die Sache mit viel Zurückhaltung, bis schließlich ein wütender Bonapartist erklärte, er wolle alle Republikaner füsilieren lassen, um ihnen einen heilsamen Schrecken einzuflößen. Wohl lachte man über die Naivetät dieser Aeußerung, aber sie gab doch das Signal zu gereizten Reden und albernem Gefasel. Man stürzte sich kopfüber in die Politik und kannegießerte weiter, bis die Tafel aufgehoben wurde. In der Verurteilung der Republik und der Republikaner waren alle einig, aber wenn dann jeder einzelne seine eigne kleine Regierung auskramte, die er vorsichtigerweise gleich mitgebracht hatte, dann schleuderte man sich wütende Blicke zu und bekam rote Köpfe.

Der Legitimist hüllte sich in die Würde seiner Traditionen, seiner Ehrfurcht und seines Jammers und behandelte den kaiserlich Gesinnten wie einen Revolutionär; dieser seinerseits hielt den Legitimisten innerlich für einen Schafskopf; da ihm aber die Höflichkeit verbot, diese Ansicht auszusprechen, brüllte er, um sich dafür schadlos zu halten, als ob er am Spieße stäke. Kurzum, man stritt leidenschaftlich, man fuchtelte mit den Händen, man rettete das Vaterland, man wurde purpurrot, was indessen nicht verhinderte, daß alles nach wie vor seinen gewohnten Gang weiterging.

Mein Onkel warf ab und zu ein geistvolles, verständiges Wort dazwischen und suchte die Unterhaltung etwas über das gewöhnliche Niveau persönlicher Interessen und individueller Sympathieen zu erheben.

Er war keineswegs Legitimist und gehörte überhaupt keiner bestimmten Richtung an, allein er war der Ansicht, Frankreich spaziere seit etwa einem halben Jahrhundert auf dem Kopf umher und könne infolge dieser nicht ganz normalen Stellung leicht Gefahr laufen, das Gleichgewicht zu verlieren und in einen Abgrund zu stürzen, in dem man es dann begraben würde.

Er lachte über die Kleinlichkeit und Dummheit der verschiedenen Parteien, allein manchmal empfand er auch einen tiefen Ekel, den er in irgend einem Scherz zum Ausdruck brachte. Nie sah ich ihn heftig werden; er bewahrte seine Ruhe auch beim lautesten Gebrüll seiner Gäste, wobei er allerdings immer sicher war, trotzdem das letzte Wort zu behalten, denn er sah weiter und richtiger als die andern. Obgleich ihm die Republikaner zuwider waren, würde er sich doch mit einer Republik ausgesöhnt haben, wenn er sie für möglich gehalten hätte, und er achtete die Rechtschaffenheit gewisser Männer hoch, die in gutem Glauben für eine Utopie kämpften.

Manchmal hörte ich ihn unsre Regierung mit Rackettspielern und die Gesetzesvorlagen, welche die beiden Kammern einander zuwarfen, mit Federbällen vergleichen, deren Flug die Franzosen mit offnem Mund, die Nase in der Luft, verfolgen, bis sie ihnen auf ihren ehrenwerten Gesichtsvorsprung fallen und diesen ohne Umstände plattdrücken. Daraus zog ich für mein eignes Verhalten einige Schlüsse, von denen ich seinerzeit sprechen werde.

Herr von Pavol liebte anregende Gespräche und sogar Debatten; sprach er gleich wenig, so hörte er doch mit Interesse zu. Unter einer rauhen Schale barg er eine große allgemeine Bildung, einen feinen Geschmack und sehr viel gesunden Menschenverstand in Verbindung mit einer wirklich hohen Auffassung der Dinge. Er war weder ein Heiliger noch ein Frömmler. Wie die meisten Menschen, mochte wohl auch er seine Fehler und Verirrungen hinter sich haben; aber er glaubte an Gott, an eine Seele, an die Tugend und hielt weder den Unglauben noch die Krittelei für einen Beweis der Männlichkeit oder des Verstandes.

Da er mit dem Gemeinderat des Dorfes ständig in Streit lag, mochte er die Landleute nicht leiden und behauptete immer, es gäbe nichts Arglistigeres und Pöbelhafteres als einen Bauern. Natürlich war er deshalb auch nicht beliebt, obgleich er überall in hoher Achtung stand. Trotzdem war er, wenn sich die Gelegenheit bot, außerordentlich wohlthätig und gefällig, er ließ sich aber durch die Winkelzüge und Listen der guten Bauersleute nie dran kriegen.

Wenn auch mein Onkel keinen Beruf erwählt hatte und weder Arzt noch Advokat, noch Ingenieur, Soldat, Diplomat oder gar Minister geworden war, so erfüllte er seine Aufgabe im Leben doch auf seine eigne Weise und bemühte sich, andre zum Guten und Rechten hinzulenken, kurz, mein Onkel war ein Mann von Geist und Herz, ein Ehrenmann im eigentlichsten Sinne des Wortes. In seinem Privatleben war leicht mit ihm auszukommen; er vergötterte seine Tochter und flößte mir rasch eine große Zuneigung ein.

»Es ist doch etwas Schreckliches um die Regierungen,« sagte ich zu Herrn von Conprat, »man sollte sie alle miteinander aufheben, damit man nichts mehr von Politik zu hören brauchte. Zwei Sachen sollten aus der Welt geschafft werden: das Klavier und die Politik.«

»Gewiß, ich bin ganz Ihrer Ansicht,« erwiderte er lachend.

»Ah! ... Sie mögen das Klavier auch nicht und doch hören Sie Blanche mit Vergnügen zu – wenigstens sieht es so aus.«

»Weil meine Cousine Blanche wirkliches Talent hat.«

Diese Erklärung erregte in mir eine unangenehme Empfindung, ähnlich wie das Summen der Moskitos, die einen Schlafenden umschwärmen: sie stören ihn, ohne ihn ganz zu wecken. Der angegebene Grund war auch keineswegs wahrscheinlich, denn trotz Junos Talent hatte ich selbst, die das Klavier nicht liebte, immer Lust zu weinen oder davonzulaufen, wenn sie eine Sonate von Mozart oder Beethoven spielte. Das sind Männer, die sich rühmen können, die Menschheit unglücklich gemacht zu haben! Das Herz wollte mir brechen, wenn ich an ihre armen Frauen dachte.

Auf diese Weise kam der Monat September heran, und mein Onkel bereitete sich mit der düsteren Miene eines Mannes, der einen andern auf das Schafott geleitet, vor, uns in die von Herrn von Conprat angekündigten Gesellschaften zu führen.


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