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Ich bin wieder in Chatillon, Klara. Deine Liebe ist befriedigt; ich habe die Waffen von mir geworfen, weil für mich kein Vaterland mehr zu vertheidigen da ist. Der zehnte August hat mein Schiksal entschieden. Dillon selbst, unser General, nannte ihn einen Tag der Schande für Frankreich, und erklärte, Ehrfurcht für seinen Eid, sein Gewissen verpflichte ihn, gegen die Feinde unserer Konstitution zu kämpfen. Er hat sich anders besonnen, sagt man. O, mag er, mag er, Furcht vor der übermächtigen, siegenden Parthei treibt, Geld und Ansehen loken ihn. Doch ich? Ich habe die Waffen niedergelegt, um meinem Herzen genug zu thun. O, es ist schändlich! Ich bin nach Chatillon zurükgegangen, um den Pflug zu treiben. »Woher, Klairant?« fragte mein Oheim. Von dem Schauplaze der Schande! erwiederte ich. Man hat freie Menschen an die Galeere geschmiedet, um sein Gold, seine Wollüste in einen sichern Haven zu rudern. Dort in Paris verwirrt man die Erde, und giebt auf der Gränze von Frankreich ein blutiges Schauspiel. Die Blike der Nation sollen sich hierher wenden, damit man seine Beute desto unbemerkter verzehren könne!
Ach, Klara! und die Blödsinnigen verdienen nichts anderes, als von jenen ehrfüchtigen Menschen in Paris beherrscht zu seyn! Den Kommissair, der ihnen befiehlt, ihren Eid zu brechen und Sklaven zu werden, empfangen sie mit eben dem Jauchzen, wie ehemals den edlen la Fayette. Sie fallen einander in die Arme, sind außer sich vor Freude, taumeln vor Entzüken, wenn das Dekret verlesen wird, das ihre Schande und das Unglük ihres Vaterlandes befiehlt. O der seltsamen, abscheulichen Widersprüche! Heute nennen die Wahnsinnigen den, vor dem sie noch gestern auf den Knieen lagen, einen Empörer, einen Verräther. Die ganze moralische Welt ist in einer Nacht verrükt. Was gestern Tugend war, gilt heute für ein Verbrechen. Der Aberwiz ist so groß, daß man eben das, was man nun Laster nennt, noch heute Tugend nennen würde, wenn die Gebieter nur winkten. – Die Elenden schworen der Freiheit, dem Könige, der Nation; dann dem zehnten August, der Schande, der Sklaverei, der Willkühr. Morgen würden sie der Raserei schwören, wenn ein Mann mit einer Nationalschärpe sie dazu aufforderte! Wie Kinder laufen sie mit aufgehobenen Händen der bunten Seifenblase nach, verfolgen sie mit freudigen Bliken, sehen sie recht gern zerplazen, und spielen wieder mit neuen.
Nun, Klara, ist es vorbei! Als ich die Pappeln von Chatillon wiedersah, strekte ich meine Arme mit unaussprechlicher Rührung nach ihnen aus. O, seid mir willkommen! sagte ich; nur unter eurem Schatten ist mein Vaterland. Hier, wo ich meine Kindheit verlebte, wo mein Herz zuerst Liebe für Klaren empfand, wo ich so glüklich war: hier wohnt meine Freiheit, hier meine Tugend, mein Daseyn, die Quelle aller meiner Kräfte.
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Trop heureux le berger, ou le sage mortel
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Nie, Klara, habe ich mein geliebtes Chatillon mit solcher Wollust wiedergesehen, als an diesem Tage. Mir duftete eine schönere, balsamischere Luft entgegen. Der Himmel war hier blauer, der Boden grüner, die Quelle frischer, als dort. Bei dem ersten Schritte, den ich in dem Schatten der Pappeln that, goß sich eine lebendige Ruhe in mein Herz. Ich athmete mit Entzüken die heimische, liebliche Luft, durchlief jeden Winkel, sezte mich in jeden Schatten, kostete die reine Quelle. Es war mir, als ob ich Jahre lang in einem finstern Gefängnisse zugebracht hätte, und nun den ersten Augenblik meiner Freiheit genösse.
Ach, wenn ich hier im Schatten der Ulmen liege, und über Welt, über Menschen und Schiksal nachdenke: dann wird es mir immer gewisser, daß die Verbindung ganzer Millionen Menschen zu Einem Volke nicht in den Planen der ewigen Weisheit lag. Ein Ehrsüchtiger faßte zuerst den Gedanken, mehr Menschen zu beherrschen, als sein Blik übersehen konnte; er traute sich das allsehende Auge der Vorsehung zu, oder überredete die treuherzigen Menschen, die er seinem Willen unterwarf, daß er es hatte. Eben dadurch wird allgemeines Glük eine Unmöglichkeit. Ehrfucht und Geldgier treiben unbemerkt ihr Spiel, schlagen täglich der stillen, einfachen Tugend, der Menschlichkeit neue Wunden, und gewöhnen das Auge an Laster, welche der Mächtige mit allen Schäzen und Reizen der Künste schmükt. Häusliche Tugend wird nicht mehr geachtet; das einfache Glük, welches Liebe und Ruhe geben, wird unter dem Jauchzen der frohlokenden Ehrgeizigen übersehen. Man wühlt sich in das Gedränge, will mit genießen, und taumelt den Weg des Lasters, der Verbrecher, weil er zum vermeinten Glükke führt. O, wenn ich mir denke, daß nur die Dörfer von dem Ufer dieses Flusses bis an jenen Bach, von dem Gebüsche hier im Thale bis an jenen Berg, zusammen gehörten; – daß allenthalben solche kleine Bezirke einen Staat ausmachten, und daß kein Ehrgeiziger den seinigen vergrößern wollte: Arbeit und Glük, Ruhe und Zufriedenheit würden sich in schöner Eintracht über diese Völkchen verbreiten. Die Oper wäre dann nicht erfunden; die Bildhauerkunst läge noch in ihrem rohesten Anfange; man hätte vielleicht noch keinen Marmorbruch geöffnet: aber die Natur, die Liebe, die Freude würden die Menschen Spiele und Vergnügungen lehren, die keine Sorge vergällte, keine Reue vergiftete. Ach, Klara, unter einem solchen Völkchen hätte ich dich gesehen, dich geliebt, und durch einfache Beweise meiner Empfindungen dein Auge auf mich gezogen. Ich hätte deine Thür mit Blumen bekränzt, meine schönsten Lieder vor deiner Hütte gesungen, dir auf deinem Lieblingsplaze eine Laube gebauet, dir einen Strohhut geflochten, einen Stab, oder einen Becher zum Trinken geschnizt. Das alles, um dir zu sagen: ich liebe dich. Meine Treue, meine Redlichkeit, mein Schweigen würden dein Herz gerührt haben. Du hättest mir zugelächelt, mir die Hand gedrückt, und endlich gesagt: ich bin dein! Triumphirend hätte ich dann die Geliebte in meine Hütte geführt, und durch Jauchzen dem Dorfe gesagt: sie ist mein! Niemand würde gefragt haben: wie hieß dein Eltervater, wie deine Stamm-Mutter? Mein Adel wäre Jugend, Gesundheit und Stärke, der deinige Unschuld, Liebreiz und Sanftmuth.
Nenne das nicht Ideal, meine Klara; nenne es nicht einen täuschenden Traum. Kannst du mir nicht beweisen, daß diese Vorstellung der Natur, der moralischen Natur des Menschen widerspricht, daß dieser Zustand unmenschlich, oder elender für ihn ist, als der jezige: so träume ich kein unerreichbares Ideal; oder der Mensch müßte weiser seyn als die ewige Weisheit, und gütiger, wohlthätiger als die ewige Güte. Ich hätte dann ja einen weiseren Plan für des Menschen Tugenden und Glük gezeichnet, als die Vorsehung! Nein, ist dieser Zustand begreiflich, enthält die Vorstellung dieses einfachen Glükes nichts unmögliches, der Menschheit Widersprechendes: so hat die Vorsehung es uns bestimmt, so muß es erreicht werden können, so wird es einst erreicht. O die Glüklichen, die den Zeitpunkt erleben! –
Was ist denn Göttlicheres in unserer Natur, als Liebe, Wohlwollen, Freundschaft? und welchen anderen Schauplaz sucht die Liebe, die innige Freundschaft, als die Unschuld der verlachten Schäferwelt? Sollen die Wünsche, die Ahnungen der Unschuld, der Liebe, welche einer solchen Welt zu ihrem Schauplaze bedürfen, weniger beweisen, als die schlaue Berechnung des Lasters, das seinen Wirkungskreis für den Schauplaz ausgiebt, den die Vorsehung dem Menschen bestimmt habe? Erlebt nicht jeder Mensch – und gerade, wenn er das Gefühl aller seiner erwachten Kräfte hat, wenn alle Hoffnungen in ihm wirken und fordern – erlebt er nicht einen Zeitpunkt, wo ihn alle seine Kräfte, alle seine Hoffnungen mit Gewalt in den engsten Kreis der Liebe, der Freundschaft, der Einsamkeit, und in den Genuß einer Unschuldswelt hindrängen? Und soll dieses lebendige Gefühl, dieser allgemeine Instinkt, dem keiner an Stärke gleich kommt, nicht so viel Recht haben, als die Sophisterei einer Beredtsamkeit, die erfunden zu seyn scheint, um den Menschen für den Verlust seines schönsten Glükes durch die Nothwendigkeit – nicht zu trösten, sondern nur vor der Verzweiflung zu bewahren? – Nein, Klara, ich träume nicht. »Es ist ein Gott,« sagte ein Philosoph; »denn ich kann ihn denken.« Eben so wahr kann ich sagen: was ich denke, ist menschliches Glük; denn ich kann es denken. Laß mir einen Philosophen diesen Saz umwerfen! Ihm entsprechen alle meine Gefühle, meine Wünsche, meine Hoffnungen, meine Vorstellungen von Glük und Tugend. In diesem Kreise könnte die Menschlichkeit, die Tugend gedeihen; hier allein wären Tugend und Glük Blüthen und Früchte Eines Baumes, und wir dürften nicht erst das trostlose Auge in die dunkle Ewigkeit werfen, um Tugend die Quelle des Glükes zu nennen – wie sie es doch seyn muß, Klara, wenn wir an die Gottheit glauben sollen.
O, daß Laster mir, mir und dir, meine Klara, dies Paradies, das wir sehen und wünschen, nach dem wir ringen, zerstören konnten! dies Paradies, das wir jezt nur in einer menschenlosen, also auch in einer tugendleeren, Wüste suchen müßten! Und wenn wir es nur fänden, Klara, es sollte uns dennoch nicht an Gegenständen des Wohlwollens, der Menschlichkeit fehlen. Mit den Thieren umher wollten wir den Bund machen, den die Menschen verspotten: den Bund der Liebe, des Wohlthuns, der Hülfe. Die Vögel würden um uns her sicher wohnen; wir wollten ihnen Futter sammeln und sie vor den Raubthieren schüzen; wir wollten die Herren unserer Wüste, aber auch die Schuzgötter aller empfindenden Wesen seyn!
Mir stehen bei dieser Vorstellung Thränen im Auge, Klara: Thränen, die mir zeigen, wie weit ich noch von der Wirklichkeit entfernt bin! Und du, Klara, fühlst eben das. Ach, dein Herz wird sich auf diesem Blatte wiederfinden. Je öfter ich deine Briefe lese, Klara, desto mehr sehe ich, daß die Vorsehung uns für einander schuf, und daß es die abscheulichste Tyrannei ist, mir mein Gut vorzuenthalten. Sieh; da stehst du an den Thälern der Lahn, und schaffest dir eben das Paradies, das ich hier für uns unter den Bäumen in Pillon pflanze. O Klara, wir würden es an jeden Ort der Welt mit uns hin nehmen; denn es ist unser Herz, unsere Unschuld, unsere Einfalt, für die jeder Wohnplaz auf der Erde der rechte ist. Ein Baum, ein Hügel, eine Hütte, einfache Menschen, denen wir Gutes thun könnten: weiter bedürfen wir nichts; es ist unser Elend, daß man glaubt, wir bedürfen mehr, und nun nicht will, daß wir glüklich seyn sollen.
Ich lebe jezt ruhig, und in der Stille. Die Preußische Armee steht, sagt man, bei Luxemburg. Man flüchtet von allen Seiten; auch mein Vater und die Mönche der Abtei sind entflohen. Mein Oheim bleibt noch immer krank, und ich bin sein Wärter. »Klairant,« sagte er neulich; »fliehe!« Ich lächelte: und wer sollte Ihrer pflegen? – Auch wenn er nicht krank wäre, würde ich keinen Schritt von ihm weichen. Es ist so besser; ich thue meine Pflicht.
Truppen sind nicht hier. Dumouriez steht bei La Chene, jenseits der Maas. Jedermann ist voll Erwartung, und fürchtet oder hofft, je nachdem er sich die Absichten der Nation, oder ihrer Stellvertreter, denkt. Man zittert vor dem Verluste der Freiheit; ich lächle dazu: was kann ein ganzes Heer mir nehmen? Ruhig gehe ich unter dem Laubdache meiner Pappeln auf und nieder, denke an dich, und vergesse, daß Feinde an der Grenze sind.
»Die Gefährtin und Mutter der Freude, die Freiheit, wohnt mit mir unter meinem Laubdach
La liberté, compagne & mère de la joie
Sur ses sombres berceaux à l'envie se déploie.,« und kein Dekret der Nation braucht dies Gefühl in meiner Brust zu erhalten, so wenig, wie Heere es vernichten können. Ach, wenn ich so glüklich wäre, als ich frei bin; ich wollte nicht mehr klagen! – Zwar siegle ich meinen Brief, Klara; doch alle Wege sind jezt abgeschnitten. Nun, ich traue dem Glüke und lasse ihn über Sarlouis gehen. Ich hoffe, Klara; ich hoffe! Die Entscheidung ist nahe; ich hoffe.
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