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Es muß auch noch erzählt werden, wie alle Menschen versuchten, die Hellgumianer zu überreden, nicht nach dem Morgenlande zu reisen. Es war zuweilen, als halle es wider in den Bergen und Schluchten: Reist nicht! Reist nicht!
Es waren nicht nur ihre eigenen Standesgenossen, sondern auch die vornehmen Leute, die versuchten, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Der Hardesvogt und der Amtmann wollten ihnen keine Ruhe lassen. Sie fragten sie, wie sie wissen könnten, daß diese Amerikaner keine Betrüger seien. Sie wüßten ja nicht, was es für Menschen wären, mit denen sie sich zusammentun wollten.
Es gäbe weder Gesetz noch Gericht in dem Lande da drüben. Da könne man jeden Tag von Räubern überfallen werden. Und Wege gäbe es dort gar nicht, sie würden gezwungen sein, all ihr Hab und Gut auf Pferden mit dem Saumsattel zu befördern, so wie drüben in den finnischen Wäldern.
Der Doktor erzählte ihnen, daß sie das Klima dort nicht würden vertragen können. Und in Jerusalem wäre es voll von Pocken und allerlei Krankheiten. Sie zögen aus, um zu sterben.
Die Hellgumianer antworteten, daß sie dies alles wüßten. Und gerade aus dem Grunde reisten sie dorthin. Sie zögen aus, um gegen Pocken und allerlei Krankheit zu kämpfen, um Wege zu bauen, um die Erde urbar zu machen. Gottes Land sollte nicht länger unbebaut daliegen, sie wollten es in ein Paradies verwandeln.
Und niemand vermochte, sie von ihrem Vorsatz abzubringen.
Unten an der Kirche wohnte eine alte verwitwete Pröpstin. Sie war so alt, so alt. Sie wohnte in einer großen Dachkammer im Posthause, der Kirche schräg gegenüber. Dort hatte sie gewohnt, seit sie aus dem Propsthause hatte ausziehen müssen.
Es war von jeher Sitte gewesen, daß, wenn die Hofbäuerinnen zur Kirche kamen, die eine oder die andere von ihnen zu ihr ging und ihr etwas frischgebackenes Brot oder ein wenig Butter oder Sahne mitbrachte. Dann ließ sie sogleich den Kaffeekessel über das Feuer setzen, und die Frau, die am lautesten schreien konnte, sprach mit ihr, denn sie war sehr taub. Dann versuchte man, ihr zu erzählen, was sich im Laufe der Woche zugetragen hatte, aber man wußte niemals, wieviel sie von dem verstand, was man ihr erzählte.
Sie saß immer in ihrer Stube, und oft verging eine lange Zeit, wo die Leute sie fast ganz vergaßen. Dann konnte es geschehen, daß jemand eines Tages an ihrem Fenster vorüberkam und ihr altes Gesicht hinter den faltigen, weißen Vorhängen erblickte. Dann dachte man: »Wir dürfen sie nicht vergessen, die so allein dasitzt, morgen, wenn wir unser Kalb geschlachtet haben, gehe ich hin und bringe ihr etwas von der Schlächterei!«
Niemand konnte ja klar darüber werden, was sie wußte und was sie nicht wußte, von dem, was sich im Kirchsprengel zutrug. Sie wurde älter und älter, und schließlich fragte sie nie mehr nach Dingen, die dieser Welt angehörten. Sie saß nur da und las in ein paar alten Postillen, die sie schon auswendig wußte.
Sie hatte ein altes Mädchen, das ihr behilflich war, sich an- und auszukleiden, und das ihr Essen kochte. Sie waren beide sehr bange vor Dieben und Mäusen und vermieden es gern, des Abends Licht anzuzünden, aus Angst vor Feuersgefahr.
Viele von denen, die jetzt Hellgumianer geworden waren, hatten die Gewohnheit gehabt, sie mit kleinen Geschenken zu bedenken. Aber nachdem sie sich bekehrt und sich von allen Menschen getrennt hatten, kamen sie nicht mehr zu ihr. Doch wußte niemand, ob sie verstand, warum sie nicht kamen.
Auch wußte man nicht, ob sie etwas von der großen Auswanderung nach Jerusalem gehört hatte.
Heute aber befahl die alte Pröpstin ihrem Mädchen, Pferd und Wagen zu besorgen, denn sie wollte ausfahren.
Das alte Mädchen mag wohl sehr erschreckt worden sein.
Als sie aber versuchte, Einwendungen zu machen, stellte sich die Alte stocktaub. Sie streckte nur die eine Hand aus, erhob den Zeigefinger und sagte: »Ich will ausfahren, Sara Lena, du mußt mir Pferd und Wagen schaffen.« Sara Lena blieb nichts weiter übrig, als zu gehorchen. Sie mußte zum Pfarrer gehen und ihn bitten, ihnen einen anständigen Wagen zu leihen. Dann hatte sie viele Mühe damit, einen alten Pelzkragen und einen Samthut auszubürsten, die in den letzten zwanzig Jahren in Kampfer gelegen hatten.
Es war auch kein Spaß, die Alte die Treppe hinunter und in den Wagen zu bekommen. Sie war so schwach, daß sie jeden Augenblick verlöschen konnte wie ein Licht.
Als die Pröpstin in dem Wagen saß, befahl sie, nach dem Ingmarshof gefahren zu werden.
Da oben waren sie nicht wenig überrascht, als sie sahen, wer da gefahren kam.
Sie gingen hinaus und hoben sie vom Wagen und schafften sie in die gute Stube. Es waren mehrere Hellgumianer versammelt. Sie saßen beim Essen. In der letzten Zeit war es Sitte bei ihnen geworden, die Mahlzeiten, die aus Reis und Tee und anderen leichten Gerichten bestanden, gemeinsam einzunehmen. Es sollte eine Vorbereitung für die bevorstehende Wüstenwanderung sein.
Als die Pröpstin über die Schwelle getreten war, blieb sie stehen und sah sich in der Stube um. Einige versuchten, sie anzureden, aber heute hörte sie gar nicht; sie erhob die Hand und sagte mit der trockenen, harten Stimme, wie man sie oft bei Tauben hört:
»Ihr kommt nicht mehr zu mir. Darum komme ich hierher, um euch zu sagen, daß ihr nicht nach Jerusalem reisen sollt. Das ist eine böse Stadt. Dort haben sie unseren Heiland gekreuzigt.«
Karin Ingmarstochter versuchte ihr zu antworten, aber sie hörte nichts und fuhr mit ihrem Gerede fort: »Es ist eine böse Stadt. Da wohnen schlimme Menschen. Da haben sie unseren Heiland gekreuzigt.«
»Ich bin hierher gekommen,« fuhr sie fort, »weil dies ein gutes Haus gewesen ist. Ingmarsson ist ein guter Name gewesen. Es ist immer ein guter Name gewesen. Ihr sollt in eurer Heimat bleiben.«
Dann wandte sie sich um und ging. Jetzt hatte sie das ihre getan, jetzt konnte sie in Frieden sterben. Dies war die letzte Handlung, die das Leben noch von ihr forderte.
Karin Ingmarstochter weinte, als die alte Pröpstin abgefahren war.
»Es ist vielleicht doch nicht richtig, daß wir fortziehen,« sagte sie. Trotzdem freute sie sich darüber, daß die Alte gesagt hatte: »Es ist ein guter Name. Es ist immer ein guter Name gewesen.«
Es war das erste und das einzige Mal, daß jemand Karin dem großen Unternehmen gegenüber zweifelnd dastehen sah.