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Der Junge lag eines Nachts auf einer der kleinen Inseln im Tåkernsee und schlief, als er durch Ruderschläge geweckt wurde. Kaum hatte er die Augen aufgemacht, als ein starker Lichtschein gerade in sie hineinfiel, so daß er blinzeln mußte.
Zuerst konnte er nicht begreifen, was hier draußen auf dem See so hell leuchtete, bald aber sah er, daß im Röhricht ein Kahn lag, in dessen Achtersteven eine große brennende Pechfackel an einer eisernen Stange befestigt war. Die rote Flamme der Fackel spiegelte sich deutlich in dem nachtschwarzen See, und der Lichtschein mußte die Fische herbeigelockt haben, denn rings um die Flamme da unten in der Tiefe konnte man eine Menge dunkler Streifen sehen, die sich unaufhörlich bewegten und ihren Platz wechselten.
In dem Kahn befanden sich zwei alte Männer. Der eine saß an den Rudern, der andere stand auf der hinteren Bank und hielt einen kurzen, mit einem Widerhaken versehenen Spieß in der Hand. Der Mann an den Rudern schien ein armer Fischer zu sein. Er war klein, dürr und wettergebräunt und hatte einen dünnen, abgetragenen Rock an. Man konnte ihm ansehen, daß er gewohnt war, in allem Wetter draußen zu sein, daß er die Kälte nicht scheute. Der andere war wohlgenährt und wohlgekleidet und sah aus wie ein gebieterischer und selbstbewußter Bauer.
»Halt jetzt still!« sagte der Bauer, als sie dicht vor der kleinen Insel lagen, auf der der Junge lag. Im selben Augenblick stieß er den Spieß in das Wasser. Als er ihn wieder herauszog, kam ein langer, prächtiger Aal mit aus der Tiefe heraus.
»So ein Kerl!« sagte er, indem er den Aal von dem Haken löste. »Der kann sich sehen lassen! Nun haben wir wohl so viele, daß wir umkehren können!«
Aber sein Gefährte hob die Ruder nicht in die Höhe; er saß da und sah sich um. »Es ist schön heute abend hier auf dem See,« sagte er. Und das war es auch. Es war ganz windstill, so daß der Wasserspiegel in ungestörter Ruhe da lag, die nur der Kielwasserstreif des Bootes unterbrach. Der lag da in dem Feuerschein und glitzerte wie eine Straße aus Gold. Der Himmel war klar und tiefblau und wie mit Sternen bestickt. Die Ufer waren, ausgenommen nach Westen zu, von den Schilfinseln verdeckt. Dort ragte der Omberg auf, groß und finster, viel gewaltiger als sonst, und schnitt ein großes, dreieckiges Stück aus dem Himmelsgewölbe heraus.
Der andere wandte den Kopf um, so daß er den Feuerschein nicht in den Augen hatte, und sah sich um.
»Ja, es ist schön hier in Östergyllan,« sagte er; »aber das Beste an der Landschaft ist doch nicht die Schönheit.« – »Was ist denn deiner Ansicht nach das Beste?« fragte der an den Rudern. – »Das Beste ist, daß es von jeher eine geachtete und angesehene Landschaft gewesen ist.« – »Ja, das kann seine Richtigkeit haben.« – »Und dann, daß man weiß, daß es immer so bleiben wird.« – »Wie in aller Welt kann man denn das wissen?« fragte der an den Rudern.
Der Bauer richtete sich auf und stützte sich auf die Aalgabel. »Da ist eine alte Geschichte, die sich in meiner Familie von Vater auf Sohn vererbt hat, und in der Geschichte erfährt man, wie es mit Ostgotland gehen wird.« – »Die könntest du mir wohl erzählen,« sagte der Mann, der ruderte. – »Es ist eigentlich nicht Sitte bei uns, sie jedem Beliebigen zu erzählen, aber einem alten Kameraden will ich sie nicht vorenthalten.«
»Auf Schloß Ulvåsa hier in Ostgotland,« fuhr er fort, und nun konnte man an dem Tonfall hören, daß er etwas erzählte, was er von anderen gehört hatte und auswendig wußte, »wohnte vor vielen Jahren eine vornehme Frau, die die Gabe besaß, in die Zukunft zu sehen und den Leuten zu sagen, was ihnen widerfahren werde, so klar und deutlich, als sei es schon geschehen. Deswegen war sie weitberühmt. Es ist ja leicht zu verstehen, daß von Fern und Nah Leute zu ihr kamen, um zu erfahren, was sie an Gutem und Bösem zu gewärtigen hatten.
Eines Tages, als die Frau auf Ulvåsa in ihrem Saal saß und spann, wie das in alten Zeiten Sitte war, kam ein armer Bauer in den Saal hinein und setzte sich ganz unten an der Tür auf die Bank.
»Ich möchte gern wissen, was ihr denkt, wie ihr da so sitzet, liebe Herrin,« sagte der Bauer, als er eine Weile dagesessen hatte.
»Ich sitze hier und denke an hohe und heilige Dinge,« erwiderte sie. – »Da kann es wohl nicht angehen, daß ich nach etwas frage, was mir am Herzen liegt,« sagte der Bauer.
»Dir liegt wohl nichts weiter am Herzen als die Frage, ob du viel Korn auf deinem Acker ernten kannst. Aber ich bin gewohnt, daß mir der Kaiser Fragen stellt, wie es mit seiner Krone gehen mag, und der Papst, wie es um seine Schlüssel steht.« – »Ja, solche Dinge zu beantworten, ist wohl nicht leicht,« sagte der Bauer. »Ich habe auch sagen hören, daß niemand von hier fortgehen soll, ohne mit der Antwort zufrieden zu sein, die er bekommen hat.«
Als der Bauer das sagte, sah er, daß die Herrin auf Ulvåsa sich in die Lippe biß und höher auf die Bank hinaufrückte. »So, also das hast du von mir gehört,« sagte sie. »Da kannst du ja versuchen, mich nach dem zu fragen, was du gern wissen willst, dann wirst du ja sehen, ob ich so antworten kann, daß du zufrieden wirst.«
Da zögerte der Bauer nicht länger, sein Anliegen vorzubringen. Er sagte, er sei gekommen, um zu fragen, wie es in Zukunft mit Ostgotland gehen werde. Er liebe nichts so sehr wie sein Heimatland, und er glaube, er werde bis zu seiner letzten Stunde glücklich sein, wenn er eine gute Antwort auf diese Frage erhalten könne.
»Wenn du nichts weiter wissen willst,« sagte die weise Frau, »so glaube ich wohl, daß ich dich befriedigen kann. Denn so wie ich hier sitze, kann ich dir sagen, es wird mit Ostgotland so gehen, daß es stets etwas haben wird, dessen es sich vor anderen Landschaften rühmen kann.«
»Ja, das ist eine gute Antwort, liebe Herrin,« sagte der Bauer, »und nun würde ich ganz zufrieden sein, wenn ich nur verstehen könnte, wie das möglich sein sollte.«
»Warum sollte das nicht möglich sein,« sagte die Frau von Ulvåsa. »Weißt du denn nicht, daß Ostgotland schon weit berühmt ist? Oder glaubst du, daß sich irgendeine Landschaft in Schweden rühmen könnte, gleichzeitig zwei solche Klöster zu besitzen, wie sie in Alvastra und in Vreta und obendrein noch einen so schönen Dom, wie der in Linköping?«
»Das mag gern sein,« sagte der Bauer, »aber ich bin ein alter Mann, und ich weiß, daß der Menschen Sinn wandelbar ist. Ich fürchte, es wird eine Zeit kommen, wo sie uns nicht viel Ehre lassen werden, weder für Alvastra noch für Vreta oder den Dom.«
»Darin magst du vielleicht recht haben,« sagte die Herrin von Ulvåsa, »aber deswegen brauchst du nicht an meiner Wahrsagung zu zweifeln. Jetzt lasse ich ein neues Kloster auf Vadstena erbauen, und das dürfte wohl das berühmteste im ganzen Norden werden. Dahin wird Hoch und Niedrig wallfahrten, und alle werden sie diese Landschaft preisen, weil sie eine so heilige Stätte in ihren Grenzen birgt.«
Der Bauer erwiderte, er sei außerordentlich erfreut, das zu hören. Aber er wisse ja, daß alles vergänglich sei, und er möchte wohl wissen, was der Landschaft Ansehen verleihen sollte, wenn das Kloster Vadstena einmal in üblen Ruf käme.
»Du bist nicht leicht zufriedenzustellen,« sagte die Frau von Ulvåsa, »ich kann aber so weit in die Zukunft sehen, daß ich dir sagen kann, ehe das Kloster Vadstena seinen Glanz verliert, wird ganz in seiner Nähe ein Schloß erbaut werden, das das prächtigste seiner Zeit sein wird. Könige und Fürsten werden es besuchen, und es wird der ganzen Landschaft zur Ehre gereichen, daß sie einen solchen Schmuck besitzt.«
»Auch das zu hören freut mich sehr,« sagte der Bauer. »Aber ich bin ein alter Mann, und ich weiß, wie es mit der Herrlichkeit dieser Welt zu gehen pflegt. Wenn das Schloß einmal verfällt, was wird dann die Blicke der Leute auf diese Landschaft lenken?«
»Du verlangst nicht wenig zu wissen,« sagte die Frau von Ulvåsa, »aber ich vermag doch so weit in die Zukunft zu sehen, daß ich spüren kann, wie Leben und Bewegung oben in den Wäldern um Finspång herum entsteht. Ich sehe, wie sie Schmelzhütten und Schmiedewerke bauen, und ich glaube, die ganze Landschaft wird darum geehrt werden, daß man all das Eisen auf ihrem Gebiet verarbeitet.«
Der Bauer konnte nicht leugnen, daß er sich unsäglich über diese Nachricht freute. Wollte nun aber das Unglück, daß auch das Finspånger Hüttenwerk sein Ansehen verlor, so war es wohl kaum möglich, daß etwas Neues entstand, das Ostgotland zum Ruhme gereichen konnte.
»Dir kann man es nicht leicht rechtmachen,« sagte die Frau von Ulvåsa, »aber so weit vermag ich doch zu sehen, daß ich entdecken kann, wie rings um die Seen herum von Edelleuten, die in fremden Ländern Krieg geführt haben, Herrensitze erbaut werden, so groß wie Schlösser. Ich glaube, diese Edelhöfe werden der Landschaft ebenso viel Ehre einbringen, wie all das andere, wovon ich dir erzählt habe.«
»Aber wenn dann eine Zeit kommt, wo niemand die großen Herrensitze mehr preist?« fuhr der Bauer hartnäckig fort.
»Du brauchst dich trotzdem nicht zu ängstigen,« sagte die Frau von Ulvåsa. »Ich sehe jetzt, wie Heilquellen auf den Wiesen von Medevi in der Nähe des Wetternsees hervorsprudeln. Ich glaube, die Quellen von Medevi werden der Landschaft so viel Ruhm verschaffen, wie du nur wünschen kannst.«
»Das ist etwas Großes, was ich da erfahre,« sagte der Bauer. »Aber wenn nun die Zeit kommt, wo die Menschen an andern Quellen Heilung suchen?«
»Deswegen brauchst du dich nicht zu bekümmern,« erwiderte die Frau von Ulvåsa. »Ich sehe, wie es von Motala bis Mem von arbeitenden Menschen wimmelt. Sie graben eine Verkehrsstraße quer durch das Land, und da wird der Ruhm von Ostgotland wieder auf aller Lippen sein.«
Der Bauer sah aber trotzdem noch beunruhigt aus.
»Ich sehe, wie die Fälle des Motalastromes anfangen. Räder zu treiben,« sagte die Frau von Ulvåsa, und nun brannten zwei rote Flecke auf ihren Wangen, denn nun begann sie unruhig zu werden, »Ich höre in Motala Hämmer dröhnen und in Norköping Webstühle klappern.«
»Ja, das ist erfreulich zu hören,« sagte der Bauer, »aber alles ist veränderlich, und ich fürchte, daß auch das einmal verfallen und in Vergessenheit geraten kann.«
Als der Bauer noch immer nicht zufrieden war, riß der Schloßherrin die Geduld. »Du sagst, daß alles vergänglich ist,« entgegnete sie. »Aber jetzt will ich dir doch etwas nennen, das sich nie verändern wird, nämlich, daß es solche hochmütige und eingebildete Bauern, wie du einer bist, allezeit, so lange die Welt steht, hier in Ostgotland geben wird!«
Kaum hatte die Frau von Ulvåsa das gesagt, als sich der Bauer fröhlich und guter Dinge erhob und ihr für die gute Auskunft dankte. Jetzt endlich habe seine Seele Ruhe, sagte er.
»Ich verstehe wirklich nicht, was du meinst,« sagte alsda die Frau von Ulvåsa.
»Ich denke so, liebe Herrin,« sagte der Bauer, »daß alles, was Könige und Klosterleute und Gutsbesitzer und Stadtbewohner erbauen und errichten, nur eine Reihe von Jahren Bestand hat. Wenn ihr mir aber sagt, daß es in Ostgotland allzeit ehrliebende und ausdauernde Bauern geben wird, so weiß ich auch, daß das Land seinen alten Ruhm bewahren wird. Nenn nur die, die bei der ewigen Arbeit mit der Erde gebeugt gehen, die können dies Land für alle Zeiten in Wohlstand und Ansehen erhalten.«