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Ludwig XIV. und Pater La Chaise

Ludwig. Pater, da ist eine Sache, die ich nie gebeichtet habe; manchmal schien sie mir beinahe unbedeutend, manchmal sah ich sie in ihrem wahren Lichte. In meinen Kriegen gegen die Holländer beging ich eine Handlung –

La Chaise. Sire, denen, die ihrem Beichtiger ihre Sünden bekennen, leiht der Herr allzeit sein Ohr. Im Kriege werden Grausamkeiten und mancherlei schlechte Taten verübt, an die wir daheim in unsern Häusern in Paris nur mit Schauder denken sollten.

Ludwig. Die Leute, die damals in ihren Häusern saßen, haben geschaudert, die armen Teufel! Es war ein lächerlicher Anblick, die plumpen Gestalten springen zu sehen, wenn die Bomben in ihre Dörfer schlugen, deren tiefer gelegene Gehöfte unter Wasser standen; Kinder guckten zwischen Lämmern und Kälbern zum Fenster heraus, und der alte Hofhund, der über die ihm drohende Gefahr klarer sah, versuchte krampfhaft, sich von der Kette loszureißen. Wenn die Kanonen und andere Kriegswerkzeuge schwiegen, dann hörte man manchmal lautes Schreien; denn Fieber rasten in den feuchten Hütten, und Weiber verfluchten ihre Ehemänner, mit denen sie lange Jahre in Liebe und Einigkeit gelebt hatten, weil der Vater auf der Notwendigkeit bestand, das tote Kind in die Wasserfluten zu werfen. Unsere jungen Soldaten nahmen solche Gelegenheiten wahr, um ihre Fertigkeit zu zeigen, und wählten sich ihr Ziel; denn die ganze Familie war am Fenster versammelt, um an der Leiche Gebete zu lesen, und einige sangen mit fester, andere mit zitternder Stimme ihr Amen dazu. Durch so schreckliches Gericht strafte Gott ihre Ketzerei.

La Chaise. Der Herr der Heerscharen ist gnädig; er beschützte Eure Majestät inmitten dieser Greuel.

Ludwig. Er stärkte mich, er hielt mich bei guter Laune und verschaffte mir jeden Tag irgendeine neue Belustigung in dem Land dieses widerspenstigen und gotteslästerlichen Volkes, das regelmäßig eine Viertelstunde vor zwölf Uhr seine Psalmen sang, weil es wußte, daß wir um diese Zeit die Messe lasen.

La Chaise. Ich kann in solchen Fällen einen gewissen Grad der Strenge nicht tadeln. Für viel geringere Vergehen wurden Völker mit der Schärfe des Schwerts geschlagen, wie wir im alten Testamente lesen.

Ludwig. Ich habe versucht, die Stelle zu finden, aber mein Testament war kein altes; es wurde zu meiner Zeit im Louvre gedruckt. Was aber die Schärfe des Schwerts angeht, so war es nicht immer bequem, sie anzuwenden; es sind derbe Gesellen; doch unsere Ueberzahl machte es uns möglich, sie auszuhungern, und wir hatten auch mehr Artillerie und bessere Kanonen. Dann habe ich noch im besonderen an einigen ihrer vornehmen Familien und an den gelehrtesten ihrer Professoren Rache genommen; hatten sie einen liederlichen Sohn, der, wie es mit liederlichen Söhnen zu gehen pflegt, der Liebling des Hauses war, so bestach ich ihn, machte ihn betrunken und bekehrte ihn. Das brach dann gelegentlich eines Vaters Herz – Gottes Strafe für die Verstocktheit!

La Chaise. Ohne die ganz besondere Gnade des heiligen Geistes sind solche Bekehrungen nur vorübergehender Art. Es ist erforderlich, sich der Seele, solange wir sie in Händen haben, mit einem kleinen Aufwand an liebevoller Güte zu versichern. Ich würde die armen verirrten Schafe stracks ihrem Schöpfer überliefern, damit er mich nicht dereinst wegen ihres Rückfalls in den Unglauben zur Rechenschaft ziehe. Ketzerei ist ein Aussatz; je weißer er ist, desto schlimmer ist er. Die, welche am unschuldigsten und frömmsten scheinen, sind in Wahrheit die Menschen, welche den größten Schaden tun und sich die größten Freiheiten erlauben. Sie behandeln Gott den Allmächtigen kaum wie einen Herrn von Geblüt, mißgönnen ihm ein reines Tuch auf seinem Tisch und wenden weniger für ihn auf, als für einen Weihnachtsschmaus.

Ludwig. O Pater La Chaise! Ihr blickt in mein Herz; Ihr habt meine versteckten Sünden ans Licht gezogen. Nichts bleibt Eurem Scharfsinn verborgen. Ich stehe da, wie ein Verbrecher in Ketten.

La Chaise. Beichtet, Sire, beichtet! Ich will Oel auf die Wunden Eures Herzens gießen und Sorge tragen, daß der Rache des Himmels durch Eure Sühne Genüge getan wird.

Ludwig. Man brachte mir die Kunde, daß der Koch des englischen Generals ein köstliches Festmahl zubereitet habe, zur Feier einer Begebenheit, wie sie dieses unverschämte, ruhmredige Volk einen Erfolg zu nennen pflegt. »Es wird sich alsbald zeigen, wer Erfolg hat,« rief ich, »Gott ist mit Frankreich.« Die ganze Armee jubelte, und wahrlich, ich glaube, sie wäre in jenem Augenblick fähig gewesen, die ganze Welt zu erobern. Ich aber versagte es mir, von dieser Bereitschaft Gebrauch zu machen; meine Ziele liegen in meiner eigenen Brust. Pater, ich habe nie in meinem Leben ein solches Freudengeschrei gehört; ich mußte an Cherubime, Seraphime und Erzengel denken. Die Infanterie jauchzte vor Begeisterung; die Pferde wieherten vor Uebermut und sprangen nach rechts und links. Bärenmützen, Leopardenfelle, Genueser Sammet, Mechelner Krausen, Brüsseler Bänder, Federn und Fransen und goldene Tressen, alles wirbelte in der Luft. Scharren und Schnaufen, Drohungen und Flüche mischten sich mit abgerissenen Liederzeilen. Ich war Heinrich und Cäsar, Alexander und David, Karl der Große und Agamemnon. Ein Wort von mir, und sie wären durch den Kanal geschwommen, um den Tyrannen des stolzen Albion in Ketten zu legen. Meine ganze Klugheit mußte ich aufbieten, um ihren glühenden Eifer zu beschwichtigen.

Meine Späher hatten einen Brief aufgefangen; er war von der Frau des englischen Generals an ihren Gatten gerichtet. Sie schrieb aus Gorcum und benachrichtigte ihn, sie werde ihm am nächsten Tage für das Festessen zur Feier seines Sieges eine köstliche Fleischpastete senden. »Mensch gewordener Teufel!« rief ich, als ich die Botschaft gelesen hatte, »ich werde deine Bosheit vereiteln.« Ich war in solcher Wut, daß ich mich bis auf ein oder zwei Meilen den feindlichen Geschützen näherte, und ich würde mich noch eine halbe Meile weiter vorgewagt haben, wenn mein Rang es mir gestattet hätte und meine Wut von Dauer gewesen wäre. Ich setzte den Boten in Freiheit, behielt seinen Sohn, der ihn begleitete, als Geisel zurück und versprach, ihn auf der Stelle zum Ritter zu schlagen, wenn die Fleischpastete glücklich in unsere Hände geraten sollte. Die Vorsehung war unsern Waffen hold; aber unglücklicherweise waren unter meinen Stabsoffizieren einige, die unter Turenne gefochten hatten, und an denen, wie ich fürchte, etwas von der Ansteckung der Ketzerei hängen geblieben war. Sie überreichten mir kniend die Fleischpastete, und ich aß. Es war Freitag. Ich hatte nicht darauf geachtet, als ich zu essen anhub; aber als ich mich des Tages erinnerte, ließen mich der scharfe Wind, der Geruch der Pastete und eine Art Rachegefühl, das sich bei ihrem Anblick von neuem in mir regte, im Genusse fortfahren. Und was mich noch mehr belastet, ich hatte mir an demselben Morgen berichten lassen, aus was für Bestandteilen sie zubereitet war. Gott wandte sein Antlitz von mir und ließ seine Gnade nicht mehr über mir leuchten. Ich verlor eine Schlacht nach der andern; niemand konnte es sich erklären; denn meine Generale waren tüchtiger, als die des Feindes, meine Soldaten waren geübter, tapferer und in der Ueberzahl. Und, außerordentlich und schreckenerregend! Selbst die, welche geschworen hatten, sie wollten siegen oder sterben, kehrten dem Feinde wie feige, junge Hunde den Rücken und schrien: »Die erste Pflicht des Soldaten ist, seinen König in Sicherheit zu bringen.« Ich hörte niemals so viel schöne Gefühle laut werden, niemals so wenig Lieder singen. Mein Magen war durch die Heimsuchung des Herrn verdorben. Ich nahm am Sonntag das heilige Abendmahl.

La Chaise. Das heilige Abendmahl auf einen fetten Freitag! Ich würde vorerst ein de profundis, ein miserere und ein eructavit cor meum empfohlen haben, zudem ein wenig Rizinusöl, das in seiner Art beinahe ebenso wirksam ist wie das Rheimser Oel, wenn es von Gottgeweihten gereicht und von Gläubigen genommen wird. Diese Vergehen fordern Buße; Euer Majestät müssen fasten; Euer Majestät müssen Sackleinwand zunächst der Haut tragen und vor den Augen des Volkes Asche aufs Haupt streuen.

Ludwig. Pater, eine solche Demütigung kann ich nicht auf mich nehmen; das Volk muß mich fürchten. Was macht Ihr Euch da mit der Schere und den Pillen zu schaffen? Ich bin gesund; gebt sie Villeroy oder Richelieu.

La Chaise. Sire, ich bitte Euch, keine Gottlosigkeit, keine Leichtfertigkeit! Was Ihr eine Pille nennt, sind ein paar Körner Asche vom Weihrauch, der niemals ganz rein verbrennt. Zerkrümelt sie in den Fingern und streut sie über Eure Perücke. Gut so! Nun nehmt dieses hier.

Ludwig. Traun! Ich habe keinen Schaden an Rumpf oder Gliedern. Ein schwarzes Pflaster! Wozu soll mir das dienen?

La Chaise. Das ist Sackleinwand. Es ist der Sack, in dem Frau von Maintenon ihr Strickzeug trug, bis die Nadeln ihn abgenutzt hatten.

Ludwig. Ich habe immer geglaubt, Sackleinwand sei –

La Chaise. Keine Deutungen der heiligen Schrift, Sire, Ihr könnt Euch meiner Autorität überlassen. Tragt es auf dem Rücken oder auf der Brust.

Ludwig. Gott sei mir Sünder gnädig! Es ist mir in die Hosen gerutscht: Genügt das?

La Chaise. Hat es beim Herunterrutschen Euren Rücken oder Bauch, Eure Brust, Schultern oder Rippen berührt, oder irgendeinen Körperteil, welcher der Kasteiung bedarf und ohne Aergernis kasteit werden kann?

Ludwig. Ich habe es zwischen die Hemdkrausen gesteckt.

La Chaise. So, daß es die Haut fühlbar berührt hat?

Ludwig. Es hat mich gekitzelt, weil es mir ein paar Härchen verschob.

La Chaise. Dann tröstet Euch; es ist vorgekommen, daß man Menschen zu Tode gekitzelt hat.

Ludwig. Aber erlaßt Ihr mir die Buße vor den Augen des Volkes, Pater?

La Chaise. Nein, das tue ich nicht. Tretet ans Fenster, Sohn des heiligen Ludwig.

Ludwig. Und soll ich da dieselben Zeremonien vollbringen? Nein, bei meinem Gewissen! Mein Almosenier –

La Chaise. Sie sind vollbracht.

Ludwig. Aber das Volk wird nie erfahren, was ich auf dem Kopf und in den Hosen habe.

La Chaise. Soweit ist die Sühne vollzogen. Morgen ist Freitag; ich muß noch eine strengere Buße verhängen. Nur sechs Gänge sollen auf die Tafel kommen; Wein und Likör sind zwar im Fasten nicht inbegriffen, aber ich befehle, daß nur drei Sorten Wein und nur drei Sorten Likör gereicht werden.

Ludwig. Ist bei den sechs Gängen die Suppe mitgezählt?

La Chaise. Suppe wird nicht als Gang serviert; aber ich verbiete, daß es mehr als drei Arten Suppe gibt.

Ludwig. Austern von Cancale?

La Chaise. Die kommen in Fäßchen; seht Euch vor, daß sie nicht angerichtet werden. Euer Majestät müssen sie entweder roh aus dem Fäßchen essen, oder auf Muscheln serviert, oder beides; aber ich wiederhole, hütet Euch, daß man sie Euch nicht anrichte; Eure Seele wird am Jüngsten Tage Rechenschaft dafür ablegen müssen. Es gibt auch solche, die sie ganz verbieten möchten. Ich habe beobachtet (natürlich bei anderen), daß sie seltsame Wirkungen hervorbringen, die man besser nicht heraufbeschwört, es sei denn, daß es Vorahnungen mystischer Dinge sind.

Ludwig. Ich bitte Euch, Pater, warum nennt man den schrecklichen Tag, den Ihr eben erwähntet, und von dem ich, wenn ich mich recht erinnere, auch bei anderen Gelegenheiten sprechen hörte, den Jüngsten Tag? Der letzte Tag des Erdenlebens ist doch vorüber, ehe er kommt, und der erste Tag des ewigen Lebens ist noch nicht angebrochen.

La Chaise. Die Kirche nennt ihn den Jüngsten Tag, weil sie nach diesem Tage nichts mehr für die Sünder tun kann. Ihre Heiligen, Märtyrer und Bekenner können jenen ganzen Tag bis zum Sonnenuntergang – manche behaupten, bis nach dem angelus – an den Schranken für sie bitten; dann werden die Bücher geschlossen, die Kerzen ausgelöscht, die Türen zugetan, und der Schlüssel wird umgedreht. Die Flammen des Fegefeuers versinken im Boden und würden nicht mehr die Kraft haben, ein ausgewachsenes, abgefallenes Cistusblatt zu dörren; es bleibt nichts als Himmel und Hölle, Lobgesänge und Wehklagen.

Ludwig. Erlaubt mir noch eine andere Frage von nicht geringerer Wichtigkeit; sie hängt mit meiner Buße zusammen. Der Bischof von Air in der Provence hat mir dreißig schöne Wachteln geschickt.

La Chaise. Es gibt Naturforscher, welche behaupten, die Wachteln Anmerkung des Verfassers: Die Erfindung mit den Wachteln wird nur denen übertrieben erscheinen, die nicht wissen, daß solche Fragen unter Kasuisten eine große Rolle spielten. Die Karthäuser, denen tierische Nahrung verboten ist, worunter sie nur das Fleisch der Vierfüßler und Vögel verstehen, dürfen dem ungeachtet Fischottern und Möwen essen. Die Möwe ist den Katholiken sogar während der Fastenzeit erlaubt. Wir legen oft auf unsre geringsten Vergehen das größte Gewicht und fürchten unwesentliche Dinge mehr als wesentliche Dinge. Als Lord Tylney auf dem Sterbebette lag und zwei Tage lang nicht rasiert worden war, brach er plötzlich in Tränen aus und rief seinem Diener zu: »Schämst du dich nicht, mich so im Stich zu lassen? Willst du, daß ich solchergestalt vor meinen Schöpfer trete?«
Er wurde rasiert und (wir wollen hoffen) zur Vorstellung zugelassen.
seien gleich Manna vom Himmel gefallen. Aeußerlich haben sie die Gestalt von Vögeln, und ich habe sie auch als solche gegessen. Wenn indessen jemand durch gewichtige Autoritäten vom Gegenteil überzeugt worden ist, oder die Neigung hat, aus eigenem Antrieb daran zu glauben, so ist es ein verzeihliches Vergehen, wenn er von dieser Speise genießt. Ich habe mich mit Tamburini über diesen wichtigen Punkt besprochen. Er unterscheidet zwischen Wachteln, die im Feld erbeutet oder, wenn sie sich niederlassen, aus der Luft geschossen werden, und zahmen Wachteln, die man in Käfigen und Gehegen zieht, und die sich in der gewöhnlichen Art von einer Generation zur andern fortpflanzen. Diese letzten würden in jenem Falle natürlich von anderer Beschaffenheit sein. Ich kann nicht annehmen, daß der Bischof von Aix sich Tiere hält, die so zu Zank und Ausgelassenheit neigen. Ich möchte eher glauben, daß seine Wachteln irgendwo in seiner Diözese vom Himmel gefallen sind, vielleicht als ein Zeichen göttlichen Wohlgefallens an einem so würdigen Glied der Kirche. Es ist sichrer, wenn Ihr sie erst nach Ablauf der zwölften Nachtstunde eßt; aber wenn jemand reinen und demütigen Herzens ist, so sehe ich nicht ein, warum er sich vor ihrem Genusse fürchten soll.


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