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Zehntes Kapitel

Am Mittag des nächsten Tages erreichen wir Penang. Der siamesische Graf mit Gefolge verläßt das Schiff. Andernfalls mit langem indischen Schleier und in einem Kostüm aus weißer Kunstseide sieht bezaubernd aus. – Obgleich ich fühle, daß ich in diesem Augenblick eine etwas komische Figur bin, verschweige ich, daß ich mit der Lösung einverstanden bin. Glauben würde es doch keiner.

Das Motorboot des Grafen verschwindet. Unzählige Sampans (bunte, hinten offene chinesische Ruderboote) umschwärmen das Schiff. Ein buntes Volk von Händlern aller Art kommt an Bord. Ein Fakir zeigt seine Künste. Erstaunliches. Freilich: erinnert man sich der Wunderdinge aus den »Märchen«büchern deutscher Reisedichter, so staunt man über das Fehlen alles Uebersinnlichen. Wenn der Fakir Menschen vor unseren Augen auf rätselhafte Weise verschwinden und ebenso rätselhaft wieder erscheinen läßt, so läuft das, wie alle die anderen heiligen Wunder, auf meist sehr primitive Tricks hinaus. – Ein Wahrsager, der trotz seiner orientalischen Tracht und dunklen Hautfarbe aussieht wie ein deutscher Universitätsprofessor, sagt wahr. Sechs Wochen Fahrt trennen mich von Berlin und dieser Mann weiß alles, was ich in den letzten Jahren erlebt habe. »Sie haben Ihr Vermögen verloren!« – »Herr!« erwidere ich, »um daran nicht zu denken, mache ich eine Reise um die Welt!« – »Das Geld wird wiederkommen,« behauptet er so felsenfest, daß ich noch in derselben Nacht die Träume eines Maharadschas hatte. – Am nächsten Morgen erscheint in meiner Kabine ein fescher, dunkler Penanger und behauptet, von mir an Bord bestellt zu sein, um mir – die Hühneraugen zu schneiden. Ich protestiere. Er holt Dutzende von Empfehlungen heraus. Auch deutsche: »Niemand schneidet so vorzüglich Hühneraugen wie Mr. Maladie.« – Da ich mir so schnell keine Hühneraugen wachsen lassen kann, so kaufe ich mich durch ein Empfehlungsschreiben frei: »Ich empfehle Mr. Maladie gern. Ich habe nicht das mindeste gespürt.« – Wie ich später erfahre, sind ihm allein auf unserem Schiff sieben Personen zum Opfer gefallen.

Jedoch: das sind »Aeußerlichkeiten«. Mehr Bedauern als diese Opfer verdienen alle, die nach Indien, China und Japan reisen, ohne Penang Hills zu sehen. Die Perle Hinterindiens. Sechshundert Meter über dem Meeresspiegel. Mit einer Aussicht, von der nicht nur die Penanger behaupten, daß sie die schönste der Welt sei. Hier fällt letzte Erdenschwere von einem ab. Man möchte niedersinken und danken – wüßte man nur, wem – für diese Wonnen. Vermessen, wer versuchte, für diese Schönheit Worte zu finden. – Kerr? – Nun ja! Er brächte am Ende auch dieses Wunder dem Verstande seiner Leser näher. Aber wohl dem, der hier nur mit dem Herzen fühlt, dessen Verstand gegenüber dieser Schöpfung seine Ohnmacht empfindet und von Sehnsucht nach der großen Liebe – mag sie nun Gott, Weib oder Mutter heißen – ergriffen, schweigt.

*

Während die syrische Sklavin tatsächlich mit Andernfalls nach Siam geht, ist die Londoner Zofe bei Beatrice geblieben. Takt und Mitgefühl lassen mich fragen, ob ich der Gräfin meine Aufwartung machen dürfe. – Der Graf weiß, was sich schickt, er hat sämtliche Räume, die er mit seinem Gefolge bewohnte, mit Rücksicht auf Beatrices Pläne, die er nicht kennt, für die ganze Fahrt und Rückfahrt gemietet. – Beatrice läßt bitten.

Beatrice sieht blaß aus. Das schwarzseidene Kleid schmiegt sich fest an den schlanken Körper. Sie trägt um den Hals eine Kette taubeneigroßer Perlen. Eine lange Kette gelblich-weißer Perlen reicht ihr vom Hals bis zu den Hüften. Die schmale weiße Hand ziert nur der goldene Reif, den ihr der Graf in der Londoner Kirche auf den Finger zog.

Sie hat nicht Tragödie gespielt. Sie hat gelitten. Man braucht nur die Augen zu sehen – und die tiefen Schatten.

»Ich habe Sie erwartet,« empfängt sie mich und reicht mir die Hand. »Wir haben das gleiche Schicksal.«

Ich versuche klug zu reden und sage:

»Nicht das, was uns trifft, ist Schicksal; sondern wie wir es aufnehmen.«

»Da das aber auch in den seltensten Fällen von uns abhängt, so läuft es auf dasselbe hinaus.«

»Vom Willen hängt alles ab.«

»Was soll ich wohl wollen?«

»Der Graf hat Sie, wie ich weiß, sichergestellt. Also haben Sie es jetzt in der Hand, sich Ihr Leben zu gestalten.«

»Gerade das glaubte ich, als wir London verließen, getan zu haben.«

»Sie sind enttäuscht worden.«

»Das kann ich wohl sagen.«

»Es wird nicht das erste und nicht das letzte Mal sein.«

»Sie haben eine Art zu trösten.«

»Und Sie eine Art, sich gehen zu lassen.«

»Konnte ich mir das vielleicht bieten lassen.«

»O ja.«

»Ist das Ihr Ernst?«

»Es kommt doch nur darauf an, was für ein Leben Sie erwartet hat.«

»Und wieviel Frauen meinen Mann erwartet haben, soll mir gleichgültig sein?«

»Als Frau von Welt, ja. – Denn ob er neben Ihnen nun zehn Frauen oder zehn Geliebte hat – wo liegt da der Unterschied?«

»Erstens ist das ein gewaltiger Unterschied – und dann: warum muß er zehn Geliebte haben?«

»Vermutlich aus Gründen des Prestiges – oder der Konstitution.«

»Möglich! Ich wäre dann eben seine Frau gewesen und die Anderen hätten eine untergeordnete Rolle gespielt.«

»Die Geliebten? das glauben Sie ja nicht! Die spielen immer die erste Rolle. – Die Frau hingegen, das ist ganz was anderes. Der ist man sicher. Der Geliebten nie. Das macht ja gerade das Verhältnis so reizvoll. Und da die eigene Frau die Freundin nicht kennt, welche Mittel hat sie da, sie auszustechen? Sie aber hätten Glück, die Möglichkeit zu haben, die elf Frauen zu studieren. Sie hätten sehr bald ihre Schwächen erkannt und herausgefunden, was an jeder einzelnen den Grafen reizt. Frauen, die man kennt, auszustechen, ist eine Kleinigkeit.«

Beatrice wurde nachdenklich.

»Er hätte es mir sagen müssen.«

»Er fürchtete, Sie zu verlieren.«

»Darauf mußte er es ankommen lassen.«

»Er hat sich vielleicht gesagt, daß Dinge, die in einem bestimmten Milieu, in diesem Falle also in London, ausgesprochen, abstoßend wirken, sich in der Nähe und in einer anderen Umgebung oft ganz harmlos ausnehmen.«

»Elf Frauen bleiben immer elf Frauen.«

»Nein! Elf Frauen in Siam sind weniger als zwei Frauen in Deutschland. – Und ganz allgemein ist für eine Frau eine Geliebte gefährlicher als drei Nebenfrauen. Die können bei geschickter Behandlung ihre Verbündete werden. Die Geliebte kann es nie.«

»Da haben Sie recht.«

»Die Gefahr, daß der Graf sich neben zwölf Frauen noch eine Geliebte hielt, bestand für Sie nicht.«

»Ihrer Meinung nach hätte ich es also ruhig hinnehmen sollen?«

»Hinnehmen schon – ob ruhig, ist eine andere Frage.«

»Was hätte ich als Aequivalent fordern sollen?«

Ich nahm ihre Perlenkette in die Hand und hob sie, als ob ich ihr Gewicht bestimmen wollte.

»Perlen meinen Sie? Wie hätte das auf ihn gewirkt?«

»Für jede Frau, die er Ihnen unterschlug – es sind ja wohl elf – eine solche Kette. Sie wären im Wert höher gestiegen als sein teuerster Elefant.«

»Was für Vergleiche.«

»Der Elefant ist ein heiliges Tier! Vor allem der sogenannte Weiße! Weil er selten, also kostbar, also teuer ist. Auf seine unbefugte Berührung steht der Tod. Sie wären eine Heilige geworden! Ja, Sie hätten die Gleichstellung mit dem Weißen Elefanten erreicht.«

»Das hätte ich mir nie träumen lassen,« sagte sie etwas benommen. »Ich – eine Heilige!«

»Sie waren der Situation nicht gewachsen.«

»Was hätten meine Bekannten in London und Berlin gesagt!«

»Sie hätten vermutlich Wallfahrten zu Ihnen unternommen.«

»Die Ahnungen meiner Mutter hätten sich erfüllt.«

»Wie – bitte?«

»Sie hat mich nie anders als ›kleine Heilige‹ genannt. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, daß ich mütterlicherseits von Gottfried von Bouillon abstamme.«

»Kreuzfahrerin also?«

»Ja! So hatte ich mir diese Ehe gedacht.«

»Als einen Kreuzzug? – Hätten doch alle Frauen diese Auffassung von der Ehe! Es gäbe weniger Enttäuschte.«

»So meine ich es nicht.«

»Sie wollten eine zweite Jeanne d'Arc werden. Schön genug dazu sind Sie.«

»Aber nein! Ich wollte die Siamesen zum Christentum bekehren.«

Ich sah sie an, um festzustellen, ob es ihr Ernst war. Es machte durchaus den Eindruck.

»In wessen Auftrag?« fragte ich.

»Im Namen Christi!«

»Gewiß! – Aber wer gab Ihnen den Gedanken?«

Beatrice zögerte. – Aber mein Interesse war erwacht. Da ich selbst zu den Jesuiten nach Japan ging, so mußte ich wissen, was dahinter war. Der Gedanke war – Beatrice hielt nicht lange damit hinter dem Berge und ich hätte es mir auch selber sagen können – amerikanischen Ursprungs. Aber – und das merkte sie erst, als ich auf Grund ihrer Erzählungen die Vermutung aussprach – auch diese Ehe war made in U. S. A., war amerikanische Missionsarbeit. – Beatrices Frömmigkeit, die sich während der freiwilligen Gefangenschaft in der Kabine noch vertieft hatte, verlor in dieser Stunde an Innerlichkeit.

»Diese Leute«, sagte ich, »kannten natürlich die Eheverhältnisse des Grafen und waren verpflichtet, Sie aufzuklären. Viel eher als der Graf. Aber sie fürchteten diese Belastungsprobe.«

»Sie haben mich wie eine Königin ausgestattet und im Buddhismus unterrichtet. Sie wollten, daß ich mir die Zähne emaillieren lasse. Na, so weit, daß ich meinen Körper verschandele, geht meine Frömmigkeit nicht. Koffer voll Panungs und Packanas, Dutzende von goldgestickten Jacken und Seidenschärpen haben sie mir mitgegeben. Sie haben mich in die Sitten und Gebräuche des Volkes, in die Klostersitten der buddhistischen Mönche eingeweiht und mir alle möglichen Methoden verraten, wie man ihnen beikommt.«

»Die Leute haben eine gute Sache unwürdig geführt. Sie, Gräfin, sind frei von jeder moralischen Bindung. Sie wollten sich für eine gute Sache opfern und haben das Recht und die Pflicht, jetzt an sich zu denken.«

Das sagte ich, weil ich fühlte, daß sie es hören wollte. Viel richtiger wäre natürlich gewesen, ich hätte ihr klargemacht, daß in der Verheimlichung des Zwecks der Ehe dem Grafen gegenüber ein sehr viel größeres Unrecht lag als in der Verheimlichung von elf Frauen seinerseits.

Jedenfalls erschien Beatrice im Glanz ihrer Schönheit und Perlen an diesem Abend zum ersten Male wieder beim Diner. Und ich fand, sie sah schon erheblich wohler aus.

*

Singapore, die Stadt der Rikschas. Man gewinnt den Eindruck, daß auf jeden der etwa zweihundertfünfzigtausend Einwohner mindestens ein Rikscha kommt. Außerdem auf je ein Dutzend etwa ein Autokar. Fußgänger sind in den meisten Straßen nur geduldet. Denn die Straße dient dem Verkehr und Fußgänger sind hier Verkehrshindernisse. Wenn ein Chinese oder Tamile einen bei fünfunddreißig Grad im Schatten eine Stunde lang im Trab durch die sonnigen Straßen gezogen hat, so verlangt er fünf Cents. Hat er Glück, so gelingt ihm dies einmal am Tage. Da es für den Reis reicht, der ihm den ärgsten Hunger stillt, so rechnet er das zu seinen guten Tagen. Genau so anspruchslos wie er sind die Malaien, Anamiten, Siamesen, Birmanen. Missionare und Bolschewisten haben hier also noch ein weites Feld für sogenannte Aufklärungsarbeit in diesem, wie in jenem Sinne. Glücklicher werden diese Menschen, die kein Fleisch essen, nicht rauchen, nicht trinken, weder durch die Verleihung der Menschheitsrechte von Moskaus Gnaden, noch durch die Bekehrung zu Jesum Christum werden – es sei denn, daß die christlichen Europäer, zu denen sie in direkter oder indirekter Abhängigkeit stehen, sich nicht nur des Sonntags in der Kirche zur Bergpredigt bekennen. Auf sie sollte man die Missionare loslassen. Gelingt ihnen die Bekehrung der Christen zum wahren Christentum, so werden Hunderte von Millionen Chinesen – und nicht nur diese! – ganz von selbst die Taufe nehmen. – So! das mußte in dieser von Missionaren geschwängerten Atmosphäre einmal ausgesprochen werden.

*

Das weitaus Schönste an Singapore ist die Einfahrt in den Hafen. Auf den unzähligen, von herrlichsten Tropenpflanzen bewachsenen Hügeln liegen die geschmackvollen Villen der Europäer. Denn die auf Sümpfen aufgebaute Stadt ist ein Herd für Malaria. Eine Fahrt durch das Chinesenviertel versetzt einen in Staunen, daß hier Menschen wohnen. Und dabei wimmelt es von diesem bunten Volk, das ja dem Tode ganz anders gegenübersteht als wir. So erklärt es sich, daß auch die reichen Chinesen ihre Villen in nächster Nähe dieses Viertels haben, in dem natürlich auch der Tempel liegt. – Der erste chinesische Tempel, den ich betrat! Programmwidrig. Denn diesen großen Augenblick, auf den ich mich monatelang vorbereitet hatte, wollte ich in Hangchou erleben. Nun traf es mich etwas unerwartet. Ich stand plötzlich mitten im Tempel vor den chinesischen Göttern, hörte Bonzen singen, beten und die Instrumente schlagen, beteiligte mich eigenhändig an dem Feuerwerk und fand – nein! ich will nach diesem ersten Eindruck nicht urteilen. Wesentlichstes: ob die Götter aus ihrer Starrheit sich lösten und in irgendeiner, wenn auch äußerlich nicht wahrnehmbaren Form in Kontakt zu den Bonzen traten, die wiederum die Verbindung zu den Betenden herstellten – dies Wesentliche vermochte ich nicht festzustellen. Auch die chinesische Beerdigung, die wir auf der Rückfahrt in respektvoller Entfernung miterlebten, brachte mir die Gefühle der Teilnehmer nicht näher. Dies meistverkannte Volk der Erde, mit dem die sogenannten Kulturnationen seit Jahrhunderten Schindluder treiben, wird vermutlich – und diese Erkenntnis dämmert neuerdings nicht nur den Japanern – einmal die Entscheidung über das Schicksal der Welt in seiner Hand halten.

Bitte, keine Politik! – Als ich, lange, lange vor dem Kriege, die Ehre hatte, im Baden-Badener »Stephanie« mit Seiner Fröhlichen Hoheit dem Sultan von Johore zusammen zu sein, ahnte ich nicht, daß ich zwanzig Jahre später meinen Geburtstag – vor seinem Palais feiern würde. Damals – ja! damals!! – jagten Seine Fröhliche Hoheit statt auf Elefanten noch auf junge Europäerinnen – und man war selbst ein Prinz Leichtsinn, der sich für drei große Wochen in Baden-Baden gern auf drei Monate in ein Schweizer Dorf bei Käse und Brot zurückzog. Damals – ja, damals! – kamen wir uns durch manches Band, das zarte Frauenhände knüpften, näher. – Heute – ach heute! – herrscht der Sultan unter Englands Protektorat zwar über den ganzen Süden der Malaiischen Halbinsel, darf an der Seite seiner englischen Gattin aber keinen Abstecher mehr nach Baden-Baden machen. Ich aber bin unterwegs nach Japan, unbekümmert, ob ich diesen Ausflug mit drei oder sechs Monaten bei Käse und Brot begleichen muß. – Wohl stand ich bewundernd vor dem Palais, wohl bestaunte ich deinen Botanischen Garten, der an Pracht beinahe an den von Singapore heranreicht. Wenn du mich aber fragst, ob ich mit dir tausche, so sage ich: nein! Denn du bist, ähnlich deinen berühmten Tigern, vor deren Zwinger ich lange stand, unter dem Protektorat deiner englischen Gattin an dein Palais gekettet, während ich, wenn auch schon etwas flügellahm, flattre, wohin Lust und Laune mich treiben.

Immerhin bin ich auch an mein Schiff gebunden, das länger als mir lieb vor Singapore ankert. Aber ich tröste mich damit, daß selbst die Haie und Krokodile nicht immer können wie sie gern möchten. Der Eingang in die Privatbäder vor den Villen im Hafen ist ihnen durch dicke Drahtgitter, die bis auf den Grund reichen, versperrt. Wenn sie also Appetit auf Menschenfleisch haben, sind sie gezwungen, es sich wo anders zu suchen.

*

Im Hafen von Singapore treffen wir wieder mit der »Coblenz« zusammen, die, statt wie wir in Penang, in Sabang und Belabang anlegte. Man musiziert und tanzt auf der »Coblenz« trotz der Gluthitze unentwegt weiter. Stewards, die die Blasinstrumente besser als das Servierbrett zu handhaben wissen, blasen drei- bis viermal am Tage: Mein Deutschland, was willst du noch mehr? – Die »Coblenz« ist kaum wieder in See, da fährt die »Münsterland« des Norddeutschen Lloyd in den Hafen und wirft neben einem der Riesendampfer der Peninsular und Oriental Compagnie Anker. Ungern erinnert man sich des handgreiflichen Konflikts, den der Direktor dieser größten englischen Dampfschiffahrtsgesellschaft mit Wilhelm II. hatte. Wie unangenehm das gute Gedächtnis der Seefahrer, wenn es sich um Dinge handelt, die wir gern vergessen wüßten! – Ueberhaupt: während es in Deutschland um Wilhelm II. endlich still zu werden beginnt, tut man hier, als wenn er noch im Brennpunkt deutscher Interessen stände. – Jedenfalls stellte ich bei Engländern, Amerikanern, Italienern und Japanern fest, daß der Begriff »Deutschland« bei ihnen sofort die Vorstellung von Wilhelm II. und Ludendorff erweckt. Das wird so lange der Fall sein, bis der Himmel uns einen Staatsmann beschert. Bis dahin wird man uns – sehr zu unserem Schaden – unter diesem falschen Gesichtspunkt betrachten. – Daß ich immer wieder in die leidige Politik verfalle! Aber hier draußen gewonnene Eindrücke scheinen mir für die Heimat beachtenswert.

ohne Bildunterschrift
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