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Die Schule bildet den wesentlichen Teil der immerwährenden Arbeit, durch die Kulturgüter in Bildung umgesetzt, oder, um die Formel der früheren Ausführungen wieder aufzunehmen, objektive Kultur in persönliche Kultur verwandelt wird. Gerade das 19. Jahrhundert, das die Verfeinerung der Kulturprodukte durch eine immer ausgebildetere Arbeitsteilung zu einer so schwindelnden Höhe getrieben hat, indem es aber zugleich durch dieselbe ausgebildete Arbeitsteilung den einzelnen Menschen zum mechanischen Werkzeug herabdrückte und dadurch seine persönliche Kultur erschwerte und beeinträchtigte – gerade dieses 19. Jahrhundert hat uns die Wichtigkeit der Aufgabe, die objektiven Kulturwerte in subjektive zu verwandeln, ganz besonders ins Licht gerückt. Die Wichtigkeit der Aufgabe – und zugleich ihre unendlichen Schwierigkeiten. Sie zu überwinden, ist das eigentliche Problem, das Kernproblem der Pädagogik. Die Kulturinhalte, die Erkenntnisse der Wissenschaft, die Leistungen der Technik, die Schöpfungen der Kunst müssen der Entwicklung der Individuen dienstbar gemacht werden, denn ihr Wert beruht schließlich in nichts anderem als in dem persönlichen Leben, das in sie gebannt ist, um aus ihnen heraus gleiches zu schaffen oder zu erwecken. Von diesem Gesichtspunkt aus hat die Pädagogik sich – allerdings auf breiterer Grundlage – die Frage vorzulegen, die Spencer als »die Frage nach dem Verhältniswert der Wissenschaften« formuliert. Sie hat zu fragen einmal: Welche Kulturgebilde (in Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik, Ethik und Religion) bestimmen das Kulturleben in so weitgreifender, entscheidender Weise, daß jeder, der an ihnen keinen Anteil hat, außerhalb des geistigen Zusammenhangs mit seinem Volk und seiner Zeit bleibt, und weiter: Welches sind die unerläßlichen Grundlagen zum Weiterwachsen der nationalen Kultur in der Jugend? und weiter, persönlich gewendet, aus welchen Kulturgütern baut sich unter gegebenen individuellen und sozialen Bedingungen der einzelne Mensch, die Individualität, wesensgemäß auf? Und schließlich: wie ist die auf Grund dieser Fragen sich ergebende Bildungsaufgabe für die Gesamtheit der Nation zu lösen? Es liegt nun auf der Hand, daß diese Fragen um so verwickelter werden, je vielfältiger, differenzierter, bunter der Kulturbesitz eines Volkes ist, je mannigfaltiger die geistigen Richtungen, Ideale, Zielsetzungen sind. In Deutschland kommt zu der Vielgestaltigkeit unseres geistigen Wesens heute die Aufwühlung durch die Zeit, die Traditionen in Zweifel gezogen, Keime getrieben und auf der ganzen Linie eine heftige Auseinandersetzung zwischen Altem und Neuem hervorgerufen hat.
Wie stellt sich uns nun in diesem Zusammenhang die Frage der Frauenbildung dar?
Ich glaube, wir dürfen nicht anstehen zu behaupten, daß sie ein komplizierteres Problem ist, als die Knabenbildung. In dem Maße komplizierter als die Aufgaben der Frau innerhalb der Kultur vielfältiger sind als die des Mannes, weil sie, wie im ersten und zweiten Kapitel dargestellt ist, heute zwei Lebenskreisen angehört, dem beruflich gegliederten Arbeitsleben, in dem die Leistung des Mannes zum größten Teil liegt, und der Familie, die immer noch ihre Hauptsphäre ist, aber doch schon fast die Hälfte der erwachsenen Frauen in unserem Volke nicht mehr ausschließlich, und viele überhaupt nicht beansprucht. Und da leider noch niemand versteht, den Mädchen, die geboren werden, ein Horoskop zu stellen, in welchem dieser beiden Lebenskreise ihr Dasein ablaufen wird, so müssen sie eben möglichst für beide ausgerüstet werden. Dem Meinungskampf um die Gestaltung der weiblichen Fortbildungsschule – dem Kampf um die Frage, ob ihr Schwergewicht nach der Seite der gewerblichen oder nach der der allgemeinen und hauswirtschaftlichen Bildung gesucht werden müsse – liegt die Tatsache dieser Doppelseitigkeit des Frauenlebens ebenso zugrunde wie den Fragen des Aufbaus der höheren Lehranstalten für Mädchen.
Und so ist denn auch, seit man angefangen hat, sich dem Problem der Frauenbildung allgemein etwas ernsthafter zuzuwenden, mit der gleichen Energie für eine vorwiegend realistisch-praktische, wie für eine in erster Linie idealistisch-weibliche Frauenbildung gekämpft worden. Und heute, unter dem schwereren Druck wirtschaftlicher Notwendigkeiten auf der einen und der höher gespannten Forderung seelischer Formung auf der anderen seite klafft dieser Dualismus um so weiter.
Man kann sagen, daß an die Notwendigkeit der Berufsbildung der Mädchen überhaupt erst eine wirklich energische Behandlung der Probleme weiblicher Bildung anknüpfte. Die ernsthafte Pädagogik hat von der Reformation bis gegen das Ende des 19. Jahrhunderts sich fast ausschließlich für den Knaben interessiert. Die Mädchenbildung wird in den Erziehungsschriften höchstens als Annex in wenigen Paragraphen abgehandelt, mehr der Vollständigkeit wegen als aus lebhaftem Interesse. Die spezielle pädagogische Literatur über die Mädchenschule brachte keine brauchbaren Lösungen. Sie entsteht ausschließlich auf dem Boden der höheren Mädchenschule und bleibt an Sachlichkeit, an Weite des Horizonts, an Fühlung für die Kulturbedingungen der Zeit weit unter dem Niveau all der Bemühungen, in denen die Gestalt des modernen Knabenschulwesens geschaffen wurde, sie verfiel dem obligaten süßlichen Schulidealismus, der Phrase, der Mumifizierung eines Frauentypus, der – soweit er überhaupt einmal Leben gehabt hatte – der Vergangenheit angehörte und auf dem Boden der modernen Verhältnisse nicht mehr lebensfähig war. Sie ging um die Forderungen der Zeit, die wirtschaftlichen wie die geistigen, in weitem Bogen herum, teils weil sie sie wirklich nicht sah, teils, weil sie sie nicht sehen wollte. Noch im Jahre 1887 behauptete einer der bekanntesten Führer der Mädchenschulpädagogen, daß die Töchterschulfrage mit der Frauenfrage – »sofern gegenwärtig überhaupt noch von einer solchen die Rede ist« – streng genommen gar nichts zu tun hab. Die deutsche höhere Mädchenschule. Geschichte und Entwicklung derselben bis in die neueste Zeit, von Gotthold Kreyenberg. Frankfurt a. M. 1887. S. 23. Diesen Standpunkt hat man so lange wie nur irgend möglich gewahrt, sowohl in der Frauenbildung der unteren Schichten wie auch auf den höheren Stufen hat man bestenfalls auf ein zu offensichtlich gähnendes Loch des alten Kleides einen neuen Flicken geheftet. Erst im Beginn des 20. Jahrhunderts hat die nicht mehr zu übersehende Schwere der wirtschaftlichen Frauenfrage und der unausgesetzte Hinweis der Frauenbewegung auf diese nicht mehr wegzuleugnenden Tatsachen (weniger noch die Einsicht in die geistige Verwandlung der Frau im letzten halben Jahrhundert, die man nicht zugeben mochte) zu den systematischen Reformen im höheren Mädchenschulwesen geführt, die sich auch heute immer noch im Versuchsstadium befinden. In der Gestaltung der Berufsbildung und -vorbereitung für die unteren Schichten sind wir noch weiter zurück.
Stellen wir uns, um den Ausgangspunkt für die Kritik des gegenwärtigen Zustandes zu gewinnen, dem Problem, wie es nun einmal liegt, Auge in Auge gegenüber. Erkennen wir an – denn wir müssen das anerkennen – daß die wirtschaftlichen Verhältnisse die Notwendigkeit einer ernsthaften Berufsbildung für die weit überwiegende Mehrzahl der Mädchen mit sich bringen – erkennen wir weiter an, daß an die geistig-sittliche Leistung der Frau in der Familie, an ihre Kraft und Sicherheit als Führerin einer vielfach umdrohten Jugend sehr hohe Ansprüche gestellt werden müssen –, erkennen wir das beides an und fragen wir nach dem Wege, diese Doppelaufgabe der Frauenbildung auf ihren verschiedenen Stufen zu befriedigen.
Diese Stufen sind durch den Aufbau der Einheitsschule, wie er sich jetzt auf der Grundlage der Reichsverfassung im allgemeinen gestaltet, auch für die Mädchen mit bestimmt. Es ist die Frage zu beantworten, wie der Artikel 146 der Reichsverfassung in der Mädchenbildung durchzuführen ist: »Das öffentliche Schulwesen ist organisch auszugestalten. Auf einer für alle gemeinsamen Grundschule baut sich das mittlere und höhere Schulwesen auf. Für diesen Aufbau ist die Mannigfaltigkeit der Lebensberufe, für die Aufnahme des Kindes in eine bestimmte Schule sind seine Anlage und Neigung, nicht die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung oder das Religionsbekenntnis seiner Eltern maßgebend.«
Die in diesen Sätzen enthaltenen Aufbauprinzipien werden vervollständigt durch den Artikel 145 von der Volksschule, die mindestens acht Schuljahre haben und an die sich die Fortbildungsschule bis zum 18. Lebensjahre anschließen soll.
Die Entwicklung des deutschen Schulwesens hat die durch diese Grundsätze bezeichnete Richtung eingeschlagen, wenn auch die »Einheitsschule« noch keineswegs fertig ist.
Danach ergeben sich auch für die Mädchenschulen drei Stufen, die in der Verfassung als Volksschule, mittleres und höheres Schulwesen bezeichnet werden. An jede dieser Stufen schließt sich der Aufbau eines Fachschulzweiges, der in der Verfassung erwähnten »Mannigfaltigkeit der Lebensberufe« entsprechend.
So entsteht das Bild: Volksschule und Berufsschule (Fortbildungsschule) – mittleres Schulwesen (zu rechnen bis zur sogenannten »mittleren Reife«) und mittleres Fachschulwesen – höhere Schule (zur Hochschulreife führend) und Hochschule. Es bleibt dabei dem Ausbau überlassen, wie weit mittlere und höhere Schulen auf der Volksschule oder die höheren auf den mittleren aufbauen.
Wird dieses Schema auf die Mädchen angewendet, so wird sich zunächst ergeben, daß (so wenig bei den Knaben) eine Berücksichtigung der spezifischen Lebensberufe innerhalb der elementaren, mittleren und höheren Stufe des allgemeinen Schulwesens nicht erfolgen kann. Das beherrschende Problem des Frauenlebens – der Doppelberuf – kommt als Bildungsproblem im wesentlichen erst in dem fachlichen Teil des Schulaufbaus zur Erscheinung. Freilich nicht durchaus.
1. Auch im Rahmen der Mädchenvolksschule wird die Frage der Anpassung des Unterrichts an das Geschlecht, seine Eigenart und seine Aufgaben eine Rolle spielen. Je beweglicher unter dem Einfluß der gegenwärtigen pädagogischen Richtung Erziehung und Unterricht auch in der Volksschule geworden sind, je weniger Bedeutung der Festlegung der Stoffmassen zugebilligt wird, je mehr der Grundsatz der vom Lehrer nur zu leitenden Spontaneität des Kindes selbst sich durchsetzt, um so selbstverständlicher wird der Unterricht bei den Mädchen in der Anpassung an ihre Art einen spezifischen Charakter gewinnen. Das ist nicht nur unbedenklich, sondern auch gesund, wenn die Schule hier der spontanen Einstellung des Kindes selbst folgt, nicht aber eine vorgefaßte Idee weiblicher oder männlicher Art dem Kinde aufzwingt. Indem die Schule heute von dem Arbeitsgedanken beherrscht ist, wird sie auch in der manuellen Betätigung von Mädchen und Knaben den natürlichen Interessen folgen. Vielleicht wird sie auf diese Art – und je unbefangener sie dabei vorgeht, um so besser – überhaupt erst die objektive Grundlage für die Differenzierung des Unterrichts nach dem Geschlecht gewinnen. Sofern es sich um den lehrplanmäßig festgelegten Stoff handelt, wird man innerhalb der Volksschule einen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Lehrplänen höchstens in ganz geringem Maße auf der Oberstufe machen können, selbstverständlich wird der Handarbeitsunterricht weiblich zu gestalten sein; ob daneben in den Oberklassen der Volksschule hauswirtschaftlicher Unterricht eingeführt werden soll, ist eine umstrittene Frage. Sobald die obligatorische Pflichtfortbildungsschule gesichert ist, wird sie kaum mehr umstritten sein, es wird dann selbstverständlich der hauswirtschaftliche Unterricht in die Fortbildungsschule hinausgeschoben werden.
Das eigentliche Problem setzt in der Fortbildungsschule (Berufsschule) ein. Vor dem Kriege gab es eine Pflichtfortbildungsschule für Mädchen auf Grund von Gesetz in fünf Staaten, in weiteren fünf Staaten war die obligatorische Einführung der weiblichen Pflichtfortbildungsschule durch Ortsstatut der Gemeinden möglich. In den übrigen fünfzehn deutschen Staaten, unter denen Preußen war, gab es keine landesgesetzlichen Bestimmungen, die zum Besuch der Fortbildungsschule verpflichteten.
Durch den Artikel 145 der neuen Reichsverfassung ist die Fortbildungsschule bis zum vollendeten achtzehnten Lebensjahr verpflichtend gemacht. Der Artikel bedarf jedoch noch der Inkraftsetzung durch ein Gesetz, das bis jetzt aus finanziellen Gründen noch nicht hat erlassen werden können. Jedenfalls ist aber durch die Festlegung des Grundsatzes in der Reichsverfassung auch eine grundsätzliche Klärung über die Gestaltung der Fortbildungsschule für Mädchen notwendig geworden.
In den an die Verfassung anschließenden pädagogischen Erörterungen hat sich als Name für die Fortbildungsschule allgemein das Wort Pflichtberufsschule durchgesetzt. Bei der Bestimmung ihrer Aufgabe den Mädchen gegenüber muß allerdings eine sorgfältige Abwägung der Bedürfnisse des Doppelberufes der Frau in Haus und Erwerb stattfinden. Da die Pflichtberufsschule nur über einen Teil der Zeit (in der Regel sechs bis acht Stunden wöchentlich) der im übrigen häuslich oder beruflich beschäftigten Mädchen verfügen kann, so ist eine Konzentration ihrer Zielsetzung um so dringlicher. Die Berufsschule soll, wie ihr Name sagt, in erster Linie Berufsschule sein, d. h. sich anschließen an die Berufsarbeit, in der die Mädchen stehen. Aus diesem Grundsatz ergeben sich für die Praxis vier Typen weiblicher Berufsschulen: die hauswirtschaftliche, die landwirtschaftliche, die kaufmännische und die gewerbliche. In der Gestaltung ihrer Lehrpläne muß allerdings von der Einsicht ausgegangen werden, daß das, was die Schule diesen Mädchen zu geben hat, wo immer sie auch arbeiten, in erster Linie ein Stück allgemeiner menschlicher und bürgerlicher Fortbildung sein muß. Das bedeutet, daß einerseits die allgemeinen Fächer einen verhältnismäßig weiten Raum haben müssen, daß andererseits die Spezialfächer in einer Form gegeben werden müssen, bei der nicht die Schulung weiterer technischer Fertigkeiten, sondern die Bildung des Berufsmenschen im Vordergrund steht. Zu den Elementen allgemeiner Bildung rechnet die Pädagogik der Berufsschule heute wohl nahezu durchweg neben der Lebens- und Berufskunde für die Mädchen die Anleitung in allen Arbeiten der Hauswirtschaft. Diese Anleitung verbindet sich je nachdem in der hanswirtschaftlichen oder der gewerblichen Berufsschule mit den beruflichen Aufgaben im engeren Sinne und wird im gleichen Maße intensiver betrieben werden können. Fraglich ist ihr Ausmaß und ihre Zielsetzung da, wo es sich tatsächlich um einen Teil der Allgemeinbildung der Mädchen handelt. Hier ist die Lösung der Frage durch die Einfügung weniger Wochenstunden für die Hauswirtschaft durch die Praxis als minder wertvoll erwiesen worden, wie die Form, die zuerst in Bremen durchgeführt worden ist und heute als vorbildlich angesehen werden kann: eines hauswirtschaftlichen Jahres für alle schulentlassenen Mädchen mit einem viel intensiveren Betrieb der Hauswirtschaft, auf Grund dessen dann für die folgenden Jahre die hauswirtschaftliche Bildung als abgeschlossen angesehen werden kann. Diese Einrichtung hat den Vorteil, die Mädchen noch vor der Entscheidung über einen besonderen Beruf so gründlich in die Hauswirtschaft einzuführen, daß nicht nur die gewonnenen Grundlagen unverlierbar sind, sondern daß auch die Berufswahl selbst unter Umständen durch diese Ausbildung noch zugunsten der Hauswirtschaft bestimmt werden kann.
2. Die zweite Linie im Frauenbildungswesen verbindet die höhere Mädchenschule mit dem mittleren Fachschulwesen. Es wäre also hier die Stelle, um über die Gestaltung der höheren Mädchenschule zu sprechen.
Je höher hinauf wir im weiblichen Unterrichtswesen kommen, um so schärfer wird das aus dem Doppelberuf der Frau hervorgehende Bildungsproblem hervortreten. Der erweiterte Lehrgang bietet für die Frage nach dem Verhältniswert der Kulturgüter für die persönliche Lebenserfüllung einen größeren Spielraum, der Formulierung der Bildungsziele zahlreichere Möglichkeiten. In welcher Richtung soll auf der Grundlage des objektiv unerläßlichen Elementarwissens die Bildung der Mädchen ausgebaut und verfeinert werden? Die erste Rücksicht, die maßgebend sein muß, ist die auf die Kulturaufgabe der in der Familie und für die Familie lebenden gebildeten Frau. Im zweiten Kapitel dieser Erörterungen ist schon davon die Rede gewesen, daß diese Aufgaben heute noch neben der wirtschaftlichen Teilung des Familienbetriebes die Pflege des »geistigen Konsums«, der persönlichen Kultur umfassen. In diesem Wirken gibt es nichts Fachmäßiges, Einseitiges, sondern es richtet sich auf alle menschlichen Werte und nimmt alle Zeiten der Persönlichkeit in Anspruch. In seinem Bereich gibt es für alle Kräfte und Fähigkeiten eine Aufgabe, und doch bedeutet all dieses einzelne Können nur etwas, sofern es getragen und geleitet wird von dem Gesamtwert der Persönlichkeit.
Es ist ein Instinkt für diese Einzigartigkeit des sogenannten spezifischen Frauenberufs, der zu der Forderung geführt hat, die Frauenbildung müsse sich mit besonderer Hingabe der Pflege und Entfaltung des Innenlebens, der »harmonischen Persönlichkeit« widmen. Dieser Instinkt hat die höhere Mädchenschule auf verhängnisvolle Abwege geführt, einerseits, indem er dazu verleitete, ihr Aufgaben einer intimen Seelenkultur zu stellen, die überhaupt jenseits der Grenzen der Schulerziehung liegen, – andererseits, indem er sie den realen Aufgaben entzog, die sie hätte erfüllen müssen.
Die deutsche höhere Mädchenschule hat es sich jahrzehntelang zum Ruhm gerechnet, daß sie »eine harmonische Ausbildung des Verstandes, Gemütes und Willens in religiös-nationalem Sinne und auf realistisch-ästhetischer Grundlage« gewähre. Und sie hat ebenso gemeint, »der Natur und Lebensbestimmung des Weibes« vollkommen angepaßt zu sein. Auf diese zwiefache Grundlage der allgemeinen und der spezifischen Frauenbildung wurde sie von der bekannten Weimarer Versammlung der Mädchenschulpädagogen 1872 gestellt, und in diesem Geist hat sie sich entwickelt.
Daß die höhere Mädchenschule mit Problemen, die in den harten Entwicklungskämpfen der höheren Knabenschule als unlösbar erkannt wurden, in einer um zwei oder drei Jahre kürzeren Lehrzeit so spielend leicht fertig wurde, weckt das Mißtrauen, daß es dabei nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Und das Mißtrauen ist nur allzu berechtigt. Die Lösung des Rätsels liegt in der Bedingung, an die diese »harmonische Ausbildung« in Theorie und Praxis des Mädchenschulwesens geknüpft wurde. Es soll – um es wieder mit den Worten der Weimarer Denkschrift zu sagen – »die allgemeine Bildungsaufgabe für die weibliche Jugend unter Anerkennung der besonderen Begabung ihres Seelenlebens und unter Wahrung und Förderung ihrer eigentümlichen Bestimmung« verwirklicht werden. So wenig an sich gegen diese Bedingung zu sagen ist, so verflachend, lähmend, verweichlichend wirkte sie in dem Sinne, in dem man sie verstand. Für die Umschreibung der »eigentümlichen Bestimmung« der Frau fand die Weimarer Denkschrift keine anderen als die oft zitierten, für das deutsche Spießbürgertum unvergleichlich charakteristischen Worte, in denen das Ziel weiblicher Bildung darin gesetzt wird: daß »der deutsche Mann nicht durch die geistige Kurzsichtigkeit und Engherzigkeit seiner Frau an dem häuslichen Herde gelangweilt und in seiner Hingabe an höhere Interessen gelähmt werde.« Man würde meinen, hier nur eine mißglückte Formulierung einer an sich guten Meinung zu finden – wie man zur Verteidigung der Weimarer später oft behauptet hat –, wenn nur nicht auch von anderen Zeiten uns diese Auffassung entgegenträte und wenn nicht der durch offizielle Lehrpläne sowohl als durch die Praxis festgelegte Charakter der höheren Mädchenschule an der wörtlichen Bedeutung dieser These keinen Zweifel gelassen hätte. Hat doch auch ein Mann wie Paul de Lagarde in seinem »Programm der konservativen Partei Preußens« behauptet: »Jedes Mädchen lernt nur von dem Manne, den es liebt, und es lernt dasjenige, was, und so viel, wie der geliebte Mann durch seine Liebe als ihn erfreuend haben will.« Ihre Bildung gewinnt also die Ehefrau in der Ehe; »doch auch Schwestern, Töchter, Pflegerinnen werden durch Brüder, Väter, Kranke und Greise zu etwas gemacht, wenn sie diese Männer mit warmen Herzen bedienen.« Und: »ein einziger Mann, der in seiner Pflichttreue und Begeisterung einem Mädchen bekannt wird, das er sogar ignorieren darf, wirkt bildender als alle die getonten und bedruckten Haderfilze Deutschlands zusammen.« Man sieht, genau dasselbe Programm, nur mit noch ausgesprochenerem Geschlechtshochmut vorgetragen.
Das Unglück unserer höheren Mädchenschule war, daß ihre Richtung auf Gemütskultur sich verband mit einer Einschätzung der Kulturaufgabe der Frau, die etwa durch das Rousseau-Wort la femme est faite spécialement pour plaire à l'homme zutreffend umschrieben wird. Darum sind in der höheren Mädchenbildung nach drei Zeiten hin ebenso gewichtige als in ihrem Wesen schwer zu fassende und aufzuzeigende Irrtümer begangen. Der erste lag darin, daß man um der harmonischen und abschließenden Bildung willen den Wissensstoff in enzyklopädischer Vollständigkeit auswählen zu müssen glaubte – dafür aber in Anbetracht dessen, daß die Frau ja nur andere Interessen teilen, nicht eigene pflegen sollte, eins andere, minder selbständige, stärker auf Autorität und fremdes Urteil sich stützende Art des Wissenserwerbes duldete, ja dulden mußte, weil eben der Stoffkreis für die Lernzeit und die Reife der Mädchen zu groß war. Dabei hat man gemeint, daß die Frau durch irgendeinen geheimnisvollen Zauber oder durch irgendeinen nur ihr eigentümlichen psychologischen Mechanismus vor dem Geist und Charakter vergiftenden Einfluß der Halbbildung geschützt sei, daß sie ihr geistiges Leben aus fremde Autorität stellen könne, ohne ihre intellektuelle Gewissenhaftigkeit abzustumpfen, daß sie sich an die Aufnahme ungezählter halbverstandener Dinge gewöhnen könne, ohne den Quell ihres eigenen geistigen Lebens zu verschütten, daß sie, mit falschen Wertgewichten ausgerüstet, doch Leichtes und Schweres, Starkes und Schwächliches nachher zu sondern wisse. Man vergaß, daß alles Wissen eigentlich erst dann charakterbildend wird, wenn es, wie Ruskin einmal sagt: »bis an die Schwelle jenes bitteren Tals der Demütigung führt, in welches die weisesten und tapfersten Männer hinabsteigen und bekennen, daß sie immer Kinder sind, die an unbegrenztem Strande Kieselsteine sammeln«.
Man mißverstand zweitens das Verhältnis der Unterrichtsstoffe zu der Differenziertheit der männlichen und weiblichen Begabung. Man meinte, das Mädchen innerlich nur dadurch in der richtigen Weise weiter zu bringen, daß man ihm aus den Bildungsstoffen aussuchte, was sich in besonderem Maße für das Gemüt verwerten zu lassen schien, was, wie es in den preußischen Lehrplänen von 1894 heißt: »dem weiblichen Anschauungs- und Empfindungskreise nicht fernliegt.« Damit aber beging man den Fehler, alle Fächer, deren Bildungswert auf anderm Gebiet liegt (wie z. B. Mathematik und Naturwissenschaften), zu vernachlässigen und sowohl subjektiv wertvolle als objektiv wichtige Seiten des menschlichen Geisteslebens aus dem Gesichtskreis der Frau einfach auszuschließen. 5o legte man den Grund zu der bis zur geistigen Fremdheit gehenden Interessenverschiedenheit der Geschlechter. Ein eklatantes Beispiel dieser unsachlichen, verfehlten Verweiblichung des Unterrichts bot in den preußischen Bestimmungen von 1894 die Zielangabe für den Geschichtsunterricht. Für die höheren Knabenschulen heißt dieses Ziel: Kenntnis der Geschichte »im Zusammenhang ihrer Ursachen und Wirkungen und Entwicklung des geschichtlichen Sinns«; in der Mädchenschule dagegen »fällt dem Geschichtsunterricht im Verein mit dem Unterricht in der Religion und im Deutschen die Aufgabe zu, den heranwachsenden Mädchen eine höhere sittliche Auffassung des Lebens zu vermitteln, die Liebe zum Vaterland und zur Menschheit in ihnen fester zu begründen«. Dabei vergaß man, daß eine »Liebe zur Menschheit«, die sich mit dem Einblick in die geschichtlichen Zusammenhänge nicht verträgt, nichts weiter ist, als eine Gefühlsduselei, und daß es nur der Tendenzmache Tür und Tor öffnen heißt, wenn man sie als Ziel setzt.
Der dritte Irrtum, dessen Folgen unser Mädchenschulwesen zu tragen hatte, liegt in der Unterschätzung der geistigen Aufgaben der heutigen Familie und des Anteils der Frau an der Lösung dieser Aufgaben. Dieser Anteil beschränkt sich eben nicht auf die Sorge, daß der Mann sich nicht langweilt. Er umfaßt die Verantwortlichkeit für die aufwachsende Generation, ihr körperliches Leben, das heute durch größere Gefahren bedroht ist als in früheren Zeiten, und ihr seelisches Wachstum, das heute dem Erzieher schwierigere, zartere, geistigere Aufgaben stellt als je. Dem Wachstum der Jugend in eine Kultur hinein, die eine immer reichere Fülle von verderblichen oder beglückenden Möglichkeiten umsaßt, den Boden zu bereiten, diese Aufgabe kann nicht von einer Frau erfüllt werden, die geistig nur der Schatten ihres Mannes ist. sie erfordert einen Menschen, der in der Sphäre der modernen Geisteskultur innerlich selbständig geworden ist, der ihre Macht zu bereichern und zu verwirren, zu segnen und zu berauben in sich selbst erlebt und dadurch die Kraft gewonnen hat, geistige Entwicklungskämpfe in ihrer ganzen Tiefe nachzuempfinden. Dazu hatte die bisherige höhere Mädchenschule die Vorbedingungen nicht erfüllt.
Noch greifbarer war ihr Versagen als Grundlage einer Berufsausbildung, als Unterbau des mittleren und höheren Fachschulwesens. Hatte man doch jede Rücksicht auf die wirtschaftlichen Notwendigkeiten des späteren Lebens für die höhere Mädchenschule ausdrücklich abgelehnt. Nicht nur in dem selbstverständlichen Sinne, in dem auch die höhere Knabenschule es ablehnt, sich ihren Lehrstoff nach dem Maßstab der unmittelbaren praktischen Verwertbarkeit zumessen zu lassen, sondern aus einem sentimentalen Konservatismus heraus, der nicht anerkennen wollte, daß die wirtschaftliche Lage der Frau neue Aufgaben stellte, die auf die Mädchenschule zurückwirken mußten.
Allerdings war für die Mängel des höheren Mädchenschulwesens nicht allein der Lehrplan, nicht allein die Tendenz verantwortlich zu machen. Viel lag auch an der Unzulänglichkeit des Lehrkörpers. Die erstklassigen Akademiker wenden sich in der Regel den Knabenschulen zu; das ist ein so offenes Geheimnis, war überdies bei der Rückständigkeit des höheren Mädchenschulwesens so selbstverständlich, daß man wirklich aufhören sollte, diese Tatsache mit dem Hinweis auf Ausnahmen zu bestreiten. Die große Zahl seminaristisch gebildeter Leiter und Lehrer, die überaus reformbedürftige Lehrerinnenbildung, die vielfach bestehende Einstellung der höheren Mädchenschule in das Volksschulressort, die fast überall versagende Fürsorge des Staats Im preußischen Etat für 1906 waren 345 900 Mk. für höhere Mädchenschulen ausgesetzt gegen 14 583 957 Mk. für höhere Knabenschulen. und in engem Zusammenhange damit das ganz unverhältnismäßig überwiegende Privatschulwesen: Die Zahl der privaten höheren Mädchenschulen belief sich 1901 in Preußen auf 656 gegen 213 öffentliche (davon nur vier staatliche); in Bayern auf 100 gegen 35 öffentliche. (Lexis, Die höheren Lehranstalten und das Mädchenschulwesen im Deutschen Reich. 1904.)das alles waren weitere, in hohem Grade erschwerende Momente für die Ausgestaltung der Mädchenschule zu einer wirklich höheren Schule. Es soll natürlich durchaus nicht bestritten werden, daß dabei in manchen Fächern Gutes und den Anforderungen an eine höhere Schule Entsprechendes geleistet wurde. Tüchtige Persönlichkeiten können sich immer durchsetzen, auch wo die Institutionen mangelhaft sind. Die Tatsache aber bleibt, daß bei allen tüchtigen Einzelleistungen im Rahmen des falschen Systems dieses System selbst doch gerichtet war, daß die schulentlassenen Mädchen, auch wenn sie bei dem feinsinnigsten Lehrer hervorragende Literaturstunden gehabt hatten, auch wenn ihre fremdsprachliche Bildung vielfach über die der Knaben hinausging, mit ihrer Mädchenschulbildung als Ganzes nichts anzufangen wußten, daß sie weder die Vorbedingungen für eine tüchtige Fachbildung mitbrachten, noch die geistige Schulung, die der zukünftigen Mutter dieser Lebenskreise so dringend nötig ist.
So lagen die Dinge, als man sich zur systematischen Reform der höheren Frauenbildung – zuerst in Preußen, dann nacheinander in Sachsen, Bayern, Hessen usw., entschloß. Von welchen Grundsätzen ging man dabei aus?
Die meisten Kulturnationen haben sich einmal vor diese Frage gestellt gesehen. Und sie haben sie durchweg in der gleichen Weise beantwortet, indem sie den Mädchen, entweder allein oder in gemeinsamem Unterricht, die Knabenbildung zugänglich gemacht haben. Sie haben sich dabei instinktiv oder bewußt von dem Gedanken leiten lassen, daß der Aufbau der männlichen oder weiblichen Psyche von dieser selbst nach in ihr liegenden Gesetzen besorgt werde; wie an der gleichen körperlichen Nahrung der Knabe zum Mann, das Mädchen zum Weibe erwächst, so geschieht das auch auf geistigem Gebiet. Und die Differenzierung der Methode wird sich ohne Zwang, ohne komplizierte pädagogische Vorschriften, die immer nur zu Übertreibungen veranlassen, einmal durch die Zusammensetzung des Lehrkörpers (Überwiegen des männlichen Einflusses beim Knaben, des weiblichen beim Mädchen), andererseits durch die natürliche Anpassung an das von den Schülern bezeigte Interesse von selbst in dem wünschenswerten Grade ergeben.
Auch bei uns hat man – bei aller grundsätzlichen Abneigung dagegen – nicht vermeiden können, sich den Formen der höheren Knabenschulen zu nähern. Ihrer ganzen sozialen Bestimmung nach war die höhere Mädchenschule das weibliche Korrelat der Realschule, wollte man ihre Aufgabe im allgemeinsten Sinne umschreiben, so ließ sie sich kaum anders formulieren als durch den Begriff der »bürgerlichen Bildung« Paulsen: Das moderne Bildungswesen. Band 1, Abt. 1 des Werkes: Die Kultur der Gegenwart, Seite 54 ff. Leipzig, B. G. Teubner. mit dem Friedrich Paulsen einmal den Inhalt der Realschulbildung bezeichnet. Die stärkere Einstellung auf das Berufsleben erschien als eine unumgängliche Notwendigkeit – der eigentliche Anlaß aller Reformen überhaupt, wenn dadurch eine Verstärkung der realistischen Bildungselemente gegenüber den ästhetisch-sentimentalen gefordert wurde, so erscheint die gleiche Tendenz auch als eine allgemeine pädagogische, die auf stärkere Betonung der formalen Verstandesbildung und größere Sachlichkeit hinausging. So entstand als Rumpf des höheren weiblichen Bildungswesens überall eine zehnklassige Schule (in Preußen Lyzeum genannt), die sich lehrplanmäßig von der alten höheren Mädchenschule vor allem durch Vermehrung der Rechenstunden, Einführung der Mathematik, Verstärkung der Naturwissenschaften unterschied. In der Methode wurde modernen sachlichen Gesichtspunkten besser Rechnung getragen und die oben gekennzeichnete Beziehung auf die Weiblichkeit ziemlich energisch beseitigt. Gleichzeitig wurde durch die Forderung, daß der Unterricht zu einem großen Prozentsatz von akademischen Lehrkräften erteilt werden solle, die höhere Mädchenschule zur höheren Schule im eigentlichen Sinne gestempelt.
Als nach dem Kriege die Umgestaltung des höheren Schulwesens im Sinne der Einheitsschule in Fluß kam, berührte sie zunächst diejenigen Schultypen, die bis zur mittleren Reife führten, verhältnismäßig wenig. Zwar entstand durch den Typus der Aufbauschule eine Veränderung des Unterbaus insofern, als nunmehr nach siebenjährigem Besuch der Volksschule der Eintritt in das höhere Schulwesen möglich gemacht wurde. Jedoch wird an dem Typus der zur mittleren Reife führenden höheren Lehranstalten dadurch nichts geändert. Man darf vielleicht sagen, daß im Gegenteil die Bedeutung dieses Typus sich insofern noch befestigte, als die Ansicht an Boden gewann, daß zur mittleren Reife zweckmäßiger eine in sich abgeschlossene Anstalt als ein Bruchstück einer höheren Schule führte. Es kam hinzu, daß bei dem Wegfall der Berechtigung zum Einjährigendienst die Frage der mittleren Reife in ein anderes Licht rückte, insofern, als nun ohne Rücksicht auf diese mehr in äußeren Gründen beruhende Berechtigung der Abschluß dieser mittleren Stufe des höheren Schulwesens mehr aus sachlichen und pädagogischen Erwägungen gestaltet werden konnte. Für das Lyzeum entstand damit die doppelte Aufgabe, einmal eine solche in sich abgeschlossene eigengesetzliche Anstalt mit dem Ziel der mittleren Reife zu sein, andererseits aber doch noch einen Weg nach oben hin zu erschließen, ohne daß durch diese Fortsetzung das Lyzeum an sich zum Fragment einer weiterführenden Bildung gemacht wurde. Diese Frage, die auch für die Realschule der Knaben eine Rolle spielte, verschärfte sich für die Mädchen dadurch, daß die Zahl der ihnen zur Verfügung stehenden Bildungsanstalten so viel geringer war, und man darum noch mehr darauf Bedacht nehmen mußte, daß die gleiche Anstalt verschiedenen Bedürfnissen dienen konnte. Diese Möglichkeit ist für das Lyzeum in der doppelten Form gegeben, daß es einerseits als Realschule mit dem Aufbau der Oberrealschule, andererseits als Teil einer deutschen Oberschule gestaltet wird, jener noch näher zu besprechenden neuen Form der höheren Schule, die nach dem Kriege als vierter Typus neben die drei bestehenden getreten ist.
In jedem Fall besteht kein Anlaß zur besonderen und von dem Typus der Knabenschule abweichenden Gestaltung der Mädchenschule der mittleren Stufe, jedenfalls nicht in der Festlegung besonderer Programme und vor allen Dingen nicht in der Verlängerung der Schuldauer. Es ist daran zu erinnern, daß das Lyzeum, im Gegensatz zur Realschule, einen zehnjährigen statt eines neunjährigen Aufbaus umfaßt. Nachdem durch die Einführung der Grundschule der Unterbau vier Jahre statt der drei Jahre der früheren Vorschule beträgt, entsteht die Frage, ob darauf für die Mädchen ein siebenjähriger neben dem sechsjährigen der Knaben sich erheben sollte. Diese Frage ist nachdrücklich zu verneinen, seltsamerweise haben sich Ärzte dazu bereit gefunden, diese Verlängerung im gesundheitlichen Interesse der Mädchen zu befürworten, indem sie die Möglichkeit größerer Schonung der Mädchen durch eine Ausdehnung der Pensen auf einen längeren Zeitraum betonten. Als ob nicht die Länge der Schulzeit an sich, deren Anstrengungen durch Streckung der Pensen keineswegs schon ohne weiteres vermindert werden, gerade für die Mädchen neben der wirtschaftlichen auch eine gesundheitliche Belastung darstellte, die gar nicht zu rechtfertigen ist. Wer Erfahrung hat, weiß, daß es für 16 bis 17 jährige Mädchen, die nicht studieren wollen, höchste Zeit ist, daß sie von der Schulbank weg und in eine vielseitigere körperliche Betätigung hineinkommen, will man dafür bei den drängenden Anforderungen der Berufsbildung überhaupt die Zeit gewinnen, so ist gar nicht daran zu denken, den Mädchen bis zur mittleren Reife elf Jahre Schulbesuch zuzumuten.
Im inneren Betrieb der Schulen gilt für die Frage der Anpassung an die weibliche Eigenart das gleiche wie für die Volksschule: sie wird sich am gesündesten ohne vorgefaßte Schablonen vollziehen, indem die spontane Interessenrichtung der Mädchen selbst feinfühlig erfaßt und in Unterricht und Schulleben ihr die Wege der »Selbstverwirklichung« freigelegt werden. Diese Aufgabe fordert keine Auswahl von Stoffen nach einer festgelegten weiblichen Interessensphäre, sie vollzieht sich in einer viel innerlicheren und intuitiveren Form, und zwar selbstverständlich nur dann, wenn Frauen den maßgebenden Einfluß auf den Geist der weiblichen Erziehungsgemeinschaft haben. Das Gleiche gilt natürlich auch für die Volksschulen. In dieser Frage jedoch ist die Praxis den großen grundsätzlichen Errungenschaften der Verfassung nur sehr unzulänglich gefolgt. Die Beteiligung der Frauen an der Leitung des höheren Schulwesens ist trotz Revolution und weiblicher Gleichberechtigung in den letzten Jahren nur sehr wenig gewachsen, vielfach sogar zurückgegangen. Der verschärfte Konkurrenzkampf der Geschlechter angesichts eingeschränkter Verwendungsmöglichkeiten hat sich hemmend einer Entwicklung in den Weg gestellt, für die der Impuls ohne Zweifel in der Verfassung liegt. Gerade die Schule hat an einem verhängnisvollen Überschuß von nicht verwertbaren Kräften, insbesondere infolge des Einströmens der Flüchtlingslehrer nach Deutschland, gelitten. Der Existenzkampf hat bei der Besetzung von Stellen viel zu sehr das Versorgungsprinzip an Stelle des pädagogischen in den Vordergrund geschoben, und mit der politischen Reaktion ist der alte Kampf gegen die Frau in einem Vorgesetztenverhältnis zum Manne wieder scharf und mit allen Symptomen der alten Philisterhaftigkeit entbrannt. Andererseits ist die Zahl der Privatschulen – das eigentliche Feld weiblicher Gestaltung der höheren Schule – unter dem Druck der wirtschaftlichen Verhältnisse sehr stark zurückgegangen. Damit schränkt sich der Spielraum für ein wesentliches Stück weiblichen Einflusses bei den höheren Schulen in steigendem Maße ein, so daß die Bilanz im ganzen ohne Zweifel kein Vordringen, sondern einen Rückschritt darstellt, es sei denn, daß man der Zulassung der Frauen zur Leitung einiger großer öffentlicher Schulen eine besondere prinzipielle Bedeutung zugesteht.
3. Wenn schon in der Gestaltung des Mittelbaus der höheren Mädchenbildung (des Lyzeums) der klare Weg erst sehr allmählich gefunden wurde, so ist auf der höchsten Stufe – in der Vorbereitung auf die Hochschule – noch unsicherer experimentiert worden. Zunächst lag auf der Hand, daß – die Notwendigkeit der Anstalten zugegeben, die Mädchen zur Universität vorbereiten – die Vorbereitung die drei Formen der bestehenden höheren Lehranstalten für Knaben annehmen mußte. Es lag kein sachlicher Grund vor, der Universität, die an der ungleichartigen Vorbildung ihrer Schüler an sich schwer zu tragen hat, in der Studentin einen vierten Vorbildungstypus zuzuführen. Sogar wenn man die Rücksichtnahme auf die weibliche Eigenart prinzipiell zugestand, ein Punkt, über den noch zu reden sein wird, war doch zu sagen, daß Mädchen, die auf der Universität und im Beruf den gleichen Anforderungen zu genügen hatten wie die jungen Männer, auch imstande sein mußten, die in langer pädagogischer Arbeit dafür fixierten Ziele der Vorbereitung zu erreichen. Das einzige Moment, das für den Aufbau der Universitätsvorbereitung bei den Mädchen eine etwas andere Rolle spielt als bei den Knaben, besteht darin, daß es wünschenswert ist, die Entscheidung über den Bildungsweg des Mädchens nicht schon nach den Vorschuljahren treffen zu müssen. (Sachlich gilt natürlich dasselbe bei den Knaben; wenn man von einem zehnjährigen Mädchen noch nicht sagen kann, ob es für den Erwerb der Maturität geeignet ist, so kann man es bei dem gleichaltrigen Knaben ebensowenig – aber andererseits sprechen alle Gründe dafür, die Auslese für die höheren Berufe bei den Mädchen strenger und sorgfältiger zu treffen als sie leider gewohnheitsmäßig bei den Knaben vor sich geht, wo die Berufswahl so oft nicht eine Begabungs-, sondern eine Standessache ist.) Die konkrete Gestalt, die aus all diesen Gründen die höheren Lehranstalten für die Mädchen gewinnen mußten, war Gymnasium, Realgymnasium oder Oberrealschule nach Reformsystem, d. h. mit dem gemeinsamen sechs- oder siebenklassigen Unterbau.
So schien zunächst eine einfache, sachgemäße Lösung der Frage der weiblichen Universitätsvorbildung gewährleistet. Aber sowohl theoretische wie praktische Erwägungen führten dazu, neben diesen noch andere Lösungen zu versuchen, deren gemeinsame Eigentümlichkeit darin bestand, daß die Vorbereitung auf die Universität erst nach Abschluß des Lyzeums einsetzte. Die preußische Regierung ging hier voran, indem sie den bestehenden höheren Lehrerinnenseminaren das Recht gab, ihre Schülerinnen als vollberechtigte Studentinnen der philosophischen Fakultät auf die Universität zu schicken, mit dem Ziel der Prüfung für das höhere Lehramt – den numerisch umfassendsten der höheren Frauenberufe. Das war der erste Schritt dazu, neben den gegebenen Formen der männlichen eine »spezifisch weibliche« Vorbildung für die Universität einzuschieben. Der zweite war die Einführung des Namens »Oberlyzeum« für dieses Seminar und der dritte die Erweiterung der Studienberechtigungen des Oberlyzeums dadurch, daß seinen Schülerinnen auf Grund einer Nachprüfung das Recht zum Studium auch in den anderen Fakultäten gegeben wurde (Erlaß von 11. Oktober 1913). Das Oberlyzeum ist eine auf das Lyzeum aufbauende Anstalt mit drei wissenschaftlichen und einer pädagogischen Klasse und dient seiner ursprünglichen Bestimmung nach der Vorbereitung von Lehrerinnen für Mittel- und Unterstufe der höheren Mädchenschule und für die Mittelschule. Es hat keinen Unterricht in den alten Sprachen und erreicht in Mathematik und Naturwissenschaften nicht ganz das Pensum des humanistischen Gymnasiums. Da neben etwa 40 Studienanstalten, die neu begründet wurden, etwa 124 Oberlyzeen eine begrenzte Universitätsberechtigung erhielten, so blieb die tatsächliche Normalvorbildungsanstalt der Mädchen für die Universität sachlich unzulänglich. Vorbereitungsanstalten in Form des Aufbaus schufen ferner Sachsen und Hessen. Neben den rein praktischen Erwägungen, die für diese Form in Preußen ausschlaggebend waren (eine in ihrer alten Bestimmung zum Untergang verurteilte Anstalt durch neue Aufgaben und Berechtigungen – möglicherweise mit dem Ziel späterer Umgestaltung – zu erhalten), hat hier auch der Gedanke mitgespielt, eine »spezifisch weibliche« Vorbereitung zur Universität zu schaffen, wie zweifelhaft allerdings die Grundlagen für den weiblichen Charakter dieser Anstalten waren, ergab sich schon daraus, daß man, jedesmal mit der Begründung der besonderen Berücksichtigung weiblicher Bedürfnisse, den einen dieser Aufbauanstalten mehr humanistischen, den anderen mehr realistischen Typus gab. Das preußische Oberlyzeum mußte durch die Entwicklung des höheren Schulwesens nach dem Kriege in eine vernichtende Krisis hineingeraten. Sie bestand darin, daß der Lehrberuf überfüllt erschien und infolgedessen eine Anstalt, die Lehrerinnen ausbildete und andererseits nur für den höheren Lehrberuf den Zugang zur Universität erschloß, keine Anziehungskraft mehr haben konnte. So rächte sich nun, daß man im Verhältnis zu dem Bedarf viel zu viel Oberlyzeen hatte errichten lassen, wo eine zur Hochschulreife aller Fakultäten führende Anstalt sich hätte halten können, mußte das unzulängliche Oberlyzeum aus Mangel an Besuch eingehen.
Andererseits hat die innere und äußere Entwicklung des höheren Schulwesens nach dem Kriege die Frage der Mädchenbildung mannigfach berührt. Zunächst äußerlich durch die Armut von Staat und Volk. Die Parole der »Planwirtschaft«, d. h. der Zusammenlegung und Einschränkung von höheren Schulen ergriff das eben im Aufbau begriffene höhere Schulwesen der Mädchen in um so höherem Maße, als unter dem Eindruck der wirtschaftlichen Krisis zunächst ein starker Rückgang des Universitätsstudiums der Frauen eintrat. Der gebildete Mittelstand, der an sich kaum noch die Mittel hatte, seine Kinder studieren zu lassen, brachte das Opfer des Verzichts im ganzen für die Mädchen leichter als für die Knaben, und unter dem Eindruck einer gewissen Panik, die vorübergehend die Frage der Berufswahl der weiblichen Jugend beherrschte, entleerten sich auch die Studienanstalten. Andererseits führte die Planwirtschaft dazu, das letzte Bollwerk gegen den gemeinsamen Unterricht der Geschlechter, das in Preußen immer noch sehr stark war, zu zerbrechen. Es sind bis zum Abschluß des Jahres 1922 in der Tat in Preußen etwa 2000 Mädchen in höhere Knabenschulen eingetreten. Nicht immer war das ein Fortschritt der Frauenbewegung; vielfach gab man die bestehende Mädchenschule preis, um mit ihren Schülerinnen die Knabenschulen erhalten zu können. Immerhin erschlossen sich durch die Erschütterung des Prinzips der Geschlechtertrennung für die Mädchen Bildungsmöglichkeiten, die ihnen bis dahin nicht zugänglich waren. Die Konsequenz einer entsprechenden Berücksichtigung weiblicher Kräfte im Lehrkörper, die von den Frauen stets mit Recht gefordert worden ist, hat man dabei nicht gezogen.
Aber in der Folge bedeutsamer sind die Einwirkungen aus der inneren Ausgestaltung des höheren Schulwesens, die, von verschiedenen Ausgangspunkten aus, nach dem Kriege einsetzte.
Sofern der Ausbau der Einheitsschule nach Artikel 146 Absatz 1 der Reichsverfassung eine Umgestaltung des höheren Schulwesens vorsieht, ist allerdings reichsgesetzlich bisher nur die Festlegung der vierjährigen Grundschule erfolgt: wie sie insofern auf den Aufbau der höheren Mädchenschule zurückwirkt, ist bereits erwähnt. Im weiteren Ausbau des höheren Schulwesens ist bisher für das Reich einheitlich nur noch eine Möglichkeit geschaffen, die von den Ländern in verschiedenem Ausmaß ausgenutzt wird: die sogenannte Aufbauschule. Sie ist eine sechsklassige höhere Schule, die, auf siebenjährigem Besuch der Volksschule aufbauend, zur Universität führt und, entsprechend der darüber abgeschlossenen Vereinbarung der Länder, für jeden beliebigen Typus errichtet werden kann. Soweit Aufbauschulen bisher eingerichtet sind, ist ein Unterschied des Lehrplans für Mädchen und Knaben nicht gemacht.
Im übrigen ist der Ausbau der höheren Schule nach Artikel 146 der Reichsverfassung gesetzlich bisher nur in Thüringen erfolgt, und zwar nach dem Prinzip der vollkommenen Gleichstellung von Mädchen- und Knabenbildung, für die Sonderformen – in der Art der alten Studienanstalten für Mädchen – nicht mehr vorgesehen sind. Auch die preußischen »Richtlinien und Grundsätze für die Ausgestaltung der höheren Schule« sehen von organisatorischen Sonderformen für Mädchen ab (mit einer noch zu erörternden Ausnahme).
Die innere Umgestaltung der Schule infolge der Revolution läßt, so wenig sie noch bestimmte Gestalt gewonnen hat, doch ihre Ausgangspunkte klar erkennen: die Betonung des Arbeitsgedankens, damit der größeren Spontaneität der Schüler und – innerhalb der Typen der höheren Schulen – einer größeren Beweglichkeit des Studiums auf der Oberstufe. Damit ist der inneren – statt der schematischen – Anpassung an die Geschlechtseigenart zweifellos ein größerer Spielraum gegeben. Als neuer Typus der höheren Schule ist nun außerdem die deutsche Oberschule geschaffen. Ihre Bestimmung liegt in der Übermittlung einer humanistischen Bildung auf deutscher Grundlage. Sie soll ein »deutsches Gymnasium« sein, in dem die kulturkundlichen Fächer: Deutsch, Geschichte, Philosophie, Kunstbetrachtung als innere Einheit und Mittelpunkt die Schüler in die staatlichen, philosophischen, religiösen und künstlerischen Gebilde des deutschen Geistes einführen. Daneben sollen zwei fremde Sprachen getrieben werden, von denen eine Latein sein kann.
Diese deutsche Oberschule, für die ausführliche Lehrpläne in Preußen bereits erschienen sind, hat allerdings die Diskussion über ihre Hochschulberechtigung noch nicht allenthalben siegreich bestanden. Es ist aber keine Frage, daß sie im Lauf der Zeit anerkannt werden wird. Sie hat ohne Zweifel alle die Werte, die ehemals dem Oberlyzeum zugesprochen wurden, aber in bestimmterer und konsequenterer Form: sie ist der deutsche Typus der höheren Schule. Eine Notwendigkeit, neben ihr das Oberlyzeum fortbestehen zu lassen, besteht danach – man mag über sie als zur Hochschule führende Anstalt denken wie man will – tatsächlich nicht, trotzdem sie von Philologenkreisen noch behauptet wurde. Die preußische Regierung wird daher auch ihre Oberlyzeen in deutsche Oberschulen oder Oberrealschulen überführen. Damit – und das ist das Wesentliche – ist die Phase der »spezifischen Mädchenbildung«, des verhängnisvollen »vierten Weges« für Frauen im Rahmen der zur Universität führenden Anstalten insofern zu Ende, als man von schematisch weiblichen Lehrplänen zu gemeinsamen kommt, innerhalb deren dann durch Einsatz der spontanen Beteiligung der Schüler selbst der Differenzierung als einer inneren Spielraum gelassen wird. Die Frauen werden allerdings auf eines zu achten haben: daß nicht etwa, was ziemlich nahe liegt, die deutsche Oberschule jetzt als der weibliche Typ für die Vorbereitung Zur Universität erklärt wird, sondern die anderen Wege entsprechend vertreten sind.
Ist nun der Verzicht auf die im Aufbau weibliche Form der höheren Bildung zu bedauern? Man wird das um so weniger heute tun können, nachdem in einer allgemeinen Reform sichtbare Mängel der höheren Knabenschulen überwunden und damit die Bedenken gegen die Nachahmung von anfechtbaren Bildungssystemen fortgeräumt werden. Allerdings wird die Bildung der Frau ihren spezifischen, ihren hausfraulichen und Mutterberuf mit ins Auge zu fassen haben. Aber das Spezifische gehört nicht in die Zeit der allgemeinen Schulbildung. Die Frage, wie dieser Forderung zu begegnen sei, wäre jetzt noch zu beantworten.
Denn offenbar genügt die Bildung bis zur mittleren Reife noch nicht als Grundlage, von der aus das Mädchen sich selbst zu der Teilnahme an der geistigen Kultur der Zeit heraufarbeiten kann, von der doch ihre Bedeutung für das innere Leben der Familie abhängt. Sie bietet nicht die abschließende Bildung, mit deren Hilfe die Frau ihren Anteil an den Kulturaufgaben der Familie leisten kann. Mindestens nicht in den geistig führenden Kreisen, durch welche die Bewegungen der Zeit am reichsten, vielgestaltigsten hindurchfluten, die das Geistesleben vor allem zu tragen berufen sind. Dem 15- oder 16jährigen Mädchen, das eine Realschule durchgemacht hat, ist die Schule noch etwas schuldig.
Können die vorhandenen Typen der höheren Lehranstalten diese Schuld einlösen? Diese Frage ist so wenig mit einem bedingungslosen Nein wie mit einem bedingungslosen Ja zu beantworten. Zwei Umstände machen das Urteil schwankend, der eine nach der einen, der andere nach der entgegengesetzten Seite. Zunächst spricht die ganze bisherige Entwicklung der höheren Mädchenschule, die mit einem Fiasko des Prinzips einer besonderen, von der Knabenbildung fundamental unterschiedenen Mädchenbildung endet, sehr gewichtig für das unterschiedslose Ineinanderaufgehen von Mädchen- und Knabenbildung. Man hat bisher mit der Konstruktion spezifisch »weiblicher« Bildungsgänge kein Glück gehabt. Die Annahme, daß die Bildungsgüter an sich nach Männlichkeit oder Weiblichkeit schaffenden Qualitäten ausgewählt werden könnten, und daß die Frau durch die Teilnahme an der Männerbildung männlich werden würde, ist ein dilettantischer Aberglaube. Im Gegenteil, soweit eine organische seelische Differenziertheit der Geschlechter besteht, wird sie sich um so deutlicher und bewußter aussprechen, um so feiner entwickeln, je reicher das Material gemeinsamen objektiven Bildungsbesitzes ist, an dem sie sich entfalten kann. Also die Gefahr, die geistigen Geschlechtsunterschiede zu verwischen, brauchen wir nicht zu fürchten. Etwas anderes aber ist die Tatsache, daß die Lehrgänge der höheren Knabenschulen nicht ausschließlich Elemente allgemeiner Bildung enthalten, sondern daß besonders auf ihrer Oberstufe die Interessen der Universitäten und technischen Hochschulen, deren Vorstufe sie sind, auf sie einwirken, sie erfüllen mit den Aufgaben der unmittelbaren Vorbereitung für die höheren Bildungsanstalten zugleich die weitere wichtige Mission, das Schülermaterial für diese höheren wissenschaftlichen Studien durchzusieben. Trotzdem wäre es unrichtig zu behaupten, daß sie darum einen für die spätere Frau und Mutter der gebildeten Kreise ungeeigneten oder gar verderblichen Bildungsgang böten. Jede in sich geschlossene Bildung, jede Art konsequenter geistiger Disziplin bietet eben nicht nur für diejenigen Lehrstoffe etwas, die sie gerade umfaßt, sondern bedeutet eine Entfaltung der geistigen Kräfte, die dann auch befähigt, sich selbständig auf anderen, vielleicht ganz fernliegenden Gebieten heimisch zu machen. Und ein junges Mädchen, das die Zeit nach der Schule mit der Aneignung einer solchen Bildung in geordnetem, strenge Pflichterfüllung verlangenden Lehrgang ausfüllte, wird es sicherlich ernster mit der speziellen Vorbereitung auf ihren Pflichtenkreis als Hausfrau und mit diesem selbst nehmen, als wenn sie die wichtigsten Jugendjahre den sogenannten gesellschaftlichen Verpflichtungen widmet, das heißt in der Hauptsache vertändelt und vertanzt.
Immerhin wird es stets eine große Anzahl von Mädchen der gebildeten Stände geben, deren Veranlagung in der vorwiegend intellektualistischen Bildung einer höheren Schule nicht zu ihrem Rechte kommt. Daraus zu schließen, daß man sich dann um ihre Bildung nicht zu kümmern habe, daß man sie als Drohnen ihrem Schicksal überlassen sollte, erscheint mir durchaus falsch. Der Einfluß gerade der Kreise, denen diese Mädchen angehören, ist sehr groß und kann sehr verhängnisvoll werden, wenn wir sie weiter freien Kursen, Pensionen oder dem ungeregelten Autodidaktentum überlassen. Der auch hier vorhandene Bildungs- und Tätigkeitshunger muß auf die rechte Nahrung gerichtet werden. Die freiere Bildung, die wir für die höhere Mädchenschule durchaus ablehnen mußten, kann hier, die sichere Grundlage des Lyzeums vorausgesetzt, in ihrer spezifischen Richtung auf die Frauentätigkeit nicht nur unbeschadet, sondern zum entschiedenen Vorteil für Haus und Gemeinschaft mit Nachdruck einsetzen, sie wird alle die Forderungen ins Auge zu fassen haben, die das Leben heute an jede gebildete Frau stellt, insbesondere aber an die Frau, die in der Familie wirkt und aus der Familie heraus Fühlung gewinnen und behalten soll mit all den Aufgaben, die jetzt von der Gemeinschaft auch an sie gestellt werden. Dadurch wird diese Bildung – die selbstverständlich in ihren einzelnen Gruppen wahlfrei sein muß – im wesentlichen nach drei Richtungen hin bestimmt: sie muß eine wissenschaftliche Fortbildung ins Auge fassen; sie muß den häuslichen Beruf der Frau in verschiedener Hinsicht berücksichtigen und eine Einführung in die für die soziale Hilfsarbeit der Frau maßgebenden Disziplinen gewähren.
Der »Frauenschule«, die in den Bestimmungen der preußischen Regierung diesen Zwecken entsprechen sollte, ist – obwohl die Regierung die Begründung zahlreicher Frauenschulen durch die Bestimmung erzwang, daß keine Studienanstalt errichtet werden durfte, wo nicht schon eine Frauenschule bestand – nur in seltenen Fällen ein Erfolg beschieden gewesen. Es ist nur selten geglückt, die jungen Mädchen länger als ein Jahr festzuhalten. Und selbst in diesem einen Jahr ist eine geschlossene Arbeit öfter Ideal geblieben als Wirklichkeit geworden. Woran lag das? In der Hauptsache sicherlich an der Ziellosigkeit, die der Frauenschule von Anfang an durch die unvernünftige Zahl ihrer Fächer zum Verhängnis wurde. Um Schülerinnen anzulocken und allen Bedürfnissen etwas zu bieten, verzichtete man auf Einheitlichkeit, und stellte aus dem Fächerkatalog der Bestimmungen ein Programm zusammen, das an Buntheit der alten Selekta nicht das Geringste nachgab – im Gegenteil. Aber zu der Bereitwilligkeit, mit der hier dem Publikum und seinen vagen wünschen nachgegeben wurde, stand der Erfolg im umgekehrten Verhältnis. Es zeigte sich, daß eine beliebige Zusammenstellung von Fächern noch keine Schule ist. Man stellte damit die Schule auf die Bedürfnisse des unzuverlässigsten Teils der für sie in Betracht kommenden Mädchen ein: solche Haustöchter, die weder aus äußeren Gründen, noch aus eigenem Drang, zu einer einigermaßen zielklaren Bildung strebten, sondern ihre Zeit mit »Anregungen« auszufüllen suchten. Nach dem Kriege und durch die Not des Mittelstandes schrumpfte ihre Zahl dann naturgemäß auch erheblich zusammen. Die nicht durch den Druck von Berechtigungen gefestigte Frauenschule bedurfte wie keine andere Anstalt der schöpferischen pädagogischen Initiative. Sie hatte als disziplinschaffenden Faktor nur die Geschlossenheit, mit der sie um ihr eigenes Ziel konzentriert war. Sie hätte – ihrer besonderen Aufgabe entsprechend – von Frauen geschaffen werden müssen, ja nur von ihnen geschaffen werden können. Dazu war aber nur sehr wenig Gelegenheit. Die Privatschule konnte, der Mittel wegen, die solche erste Versuche mit der Frauenschule erforderten, hier nicht viel tun. Die öffentliche Schule steht unter männlicher Leitung. So lagen die Versuche zum allergrößten Teil in den Händen von Direktoren, die kaum ein spontanes Interesse für sie aufbringen konnten und in der Organisation von Koch- und Säuglingspflegekursen keine sehr glückliche Rolle spielten. Tatsächlich ist aus der Frauenschule nur dort etwas Einheitliches geworden, wo Frauen die Möglichkeit hatten, ihr Gestalt zu geben.
Es kam aber – den Mißerfolg der Frauenschule besiegelnd – noch etwas anderes hinzu, was man nicht vorausgesehen hatte. Hatte die Frauenschule für solche Schülerinnen, die keinen aufrichtigen Arbeitswillen mitbrachten, keine Mittel, ihn zu erzwingen, so genügte sie, wie sich herausstellte, den wirklich Bildungsdurstigen nicht, eben wegen ihrer ziellosen Vielseitigkeit. Es zeigte sich, daß ihre besten Schülerinnen, nachdem sie ein Jahr lang ihre »allgemeine« Bildung fortgeführt hatten, immer das Bedürfnis nach fachmäßiger gründlicher Beschäftigung mit einer Sache empfanden. Ein junger Mensch hat in diesem Alter den natürlichen Drang über das bloße Aufnehmen und Lernen hinaus nach der Leistung, und sucht eine Bildung, die ihn zu irgendeinem Tun und Können befähigt. Das war ein innerer Grund, aus dem die meisten Frauenschulen ihrem zweiten Jahreskurs irgendein praktisches Ziel gaben. (Ein äußerer bestand schon vorher darin, daß viele Direktoren mit der Frauenschule nichts anzufangen wußten.) Darin lag allerdings die Gefahr, daß man, um die Frauenschule aus dem vielseitigen Dilettantismus herauszuheben, die Berufsvorbildung dilettantisch macht: Wenn z.B. durch den Besuch der Frauenschule ein Jahr der technischen Ausbildung als Handarbeitslehrerin erspart wird, so bekommt dadurch die Frauenschule zwar festere Ziele, es ist aber die Frage, ob das in ihren Rahmen verlegte Stück Berufsausbildung so viel bedeuten kann, wie die einer reinen Fachschule. Tut sie das, so ist eben die Frauenschule nicht mehr das, was sie ursprünglich sein sollte, sondern sie ist in eine Fachschule verwandelt. Es gibt aber Berufsvorbildungen, die sich organisch mit der Frauenschule verbinden lassen, z. B. die der Kindergärtnerin. Nur ist natürlich sorgfältig abzuwägen, wieviel Berufsausbildung die Frauenschule leisten kann, ohne ihr Wesen aufzugeben und die strenge fachlicher Anforderungen zu gefährden.
So hat sich die Frauenschule in jeder Hinsicht in der Weise befestigt, daß sie der Unterbau solcher Berufsbildungsgänge geworden ist, die auf spezifische Frauenberufe bereiten: hauswirtschaftliche, pädagogische, pflegerische, soziale. Als solche wird sie ein unentbehrliches Glied des weiblichen Bildungswesens werden, das, auf der Schwelle von allgemeiner und Fachbildung stehend, in seiner Einordnung jedenfalls in eine engere Verbindung mit diesem weiblichen Fachschulwesen gebracht werden muß. Denn hier – wo es Kindergärten und Krippen, hauswirtschaftliche Lehranstalten und Werkstätten gibt – findet sie eine organischere Einordnung denn als Annex eines (noch dazu männlich geleiteten!) Lyzeums.
An der Frauenschule ist es am greifbarsten – auch für die oberflächliche Betrachtung – wie sehr die weibliche Bildung im Grund Sache der Frau ist. Die tiefer dringende Kritik muß diese Wahrheit durch jedes Stück Entwicklung der Frauenbildung für alle ihre Zweige bestätigt finden. Nicht zum wenigsten hat die Entwicklung der letzten Jahre bewiesen, daß die Erfüllung dieser Forderung erst der Schlußstein einer wirklichen Reform des Mädchenschulwesens sein würde. Sicherlich ist die Beteiligung beider Geschlechter am Unterricht der Mädchen das Gesunde und Richtige – so gut wie sie es im Knabenunterricht sein würde. Aber entscheidend muß für die Bildung ihres Geschlechts die Frau sein. Es ist widersinnig, daß Bildungsziele, die von den Frauen aufgestellt, durch die Frauenbewegung vertreten und erkämpft sind, schließlich unter Männerleitung in die Praxis eingeführt werden, ja daß die weibliche Jugend zu ihnen zum Teil von Männern hingeführt wird, die ihnen mit aller Schärfe widerstrebt haben und ihnen auch jetzt innerlich noch widerstreben. Mit besonderem Nachdruck ist die Forderung weiblicher Leitung darum auch für die Vorbereitungsanstalten zur Universität zu stellen. Hier muß sich ebenso wie an den guten höheren Lehranstalten der Knaben eine feste geistige Tradition bilden, die dem Streben der Schülerinnen auch über die Schule hinaus für die Universität die Richtung gibt. Gerade weil die häusliche Erziehung der höheren Töchter bei uns ihnen oft nicht die notwendige Sicherheit für das Universitätsleben gibt, wird ein starker Korpsgeist, ein von der Schule her zu schaffender Takt, der den richtigen Maßstab für die Benutzung der späteren Freiheit gibt, unerläßlich sein. (Der Schwierigkeiten, die die Studienzeit für die Mädchen auch dann noch bietet, ist am Schluß des Kapitels noch besonders gedacht.)
Die hier liegenden – vielleicht für die ganze Entwicklung des Frauenstudiums sehr entscheidenden Imponderabilien haben zunächst bei den Schulbehörden kaum, seit der Revolution im ganzen etwas mehr Verständnis gefunden. Man hat in einigen staatlichen Schulverwaltungen weibliche Referenten eingestellt und einigen – staatlichen und städtischen – öffentlichen Schulen weibliche Leitung gegeben. Damit ist aber allerdings nicht einmal der Rückgang ausgeglichen, den durch die Einschränkung der Privatschule infolge der wirtschaftlichen Notlage ein Gebiet fraulich gestalteten Erziehungswesens gefunden hat. Selbstverständlich hat sich auch gegenüber dem Eintritt der Frau in die Verwaltung und die Leitung des öffentlichen Mädchenschulwesens der alte Kampf der Männer gegen die weibliche Leitung, der sich besonders an der in der preußischen Konferenz von 1906 von der Behörde aufgeworfenen Frage entzündet hatte, ob nicht die Leitung der Mädchenbildung in weitgehendem Maße in die Hand von Frauen zu legen sei, neu belebt, und die alten den Konkurrenz- und Machtkampf unwahrhaftig verschleiernden psychologischen, physiologischen und pädagogischen Argumente sind wieder ausgegraben worden (vgl. insbesondere Deutsches Philologenblatt vom 7. Juni 1922, sogenannte Festschrift zum Preußischen Philologentag in Hildesheim S. 251, ff.). Das wird auf die Dauer die Durchsetzung der an sich entscheidenden Bedingung einer organischen Gestaltung der Frauenbildung nicht verhindern: daß sie ihre innere Form, ihre unwillkürliche Prägung, ihren seelischen Gesamtcharakter durch die Frau selbst erhalte, und daß die Mädchenschule in der gleichen Weise von Frauen bestimmt, geleitet und beaufsichtigt werde, wie das für den Mann bei der Knabenschule ganz selbstverständlich erscheint. Diese Forderung wird von den Frauenorganisationen und den Vertreterinnen der Frauen in den gesetzgebenden Körperschaften wieder und wieder bis zu ihrer Erfüllung gestellt werden müssen. Denn daran hängt die Durchführung der Grundidee der ganzen Frauenbewegung.
Es ist nun zum Schluß noch die Frage zu beantworten, wie weit die Aufgaben der Mädchenbildung, abgesehen von den Frauenschulen, auf dem Wege des gemeinsamen Unterrichts gelöst werden sollten. Es ist begreiflich, daß, so lange die Mädchenbildung noch seitens der öffentlichen Körperschaften eine so unverantwortliche Vernachlässigung erfuhr und sich mit so unendlichen Schwierigkeiten aus der falschen Richtung einer sentimentalen »Verweiblichung« zurückzukämpfen bemühte, die Forderung des gemeinsamen Unterrichts der Geschlechter von unten bis oben hin eine Prinzipienforderung der Frauenbewegung werden mußte. Aber auch ganz objektiv betrachtet lassen sich für die Forderung gemeinsamen Unterrichts praktische und ideelle Gründe anführen, deren Stichhaltigkeit bisher noch durch keinerlei Erfahrungen erschüttert worden ist. Den praktischen Gründen verdankt der gemeinsame Unterricht der Geschlechter bisher in erster Linie seine starke Verbreitung. Er empfiehlt sich ohne Zweifel überall da, wo getrennte Anstalten wegen zu geringer Frequenzziffern unverhältnismäßig große Kosten verursachen würden. Es lassen sich die mannigfachsten Verhältnisse denken, unter denen die Aufhebung der Trennung der Geschlechter eine organisatorische und pekuniäre Erleichterung des Schulbetriebs mit sich bringen könnte. Daß man aus diesen planwirtschaftlichen Gründen auch in Preußen zur Zulassung der Mädchen in Knabenschulen gekommen ist, wurde schon erwähnt. Der zweite große Vorteil läge darin, daß wir dann nicht mehr in den Budgets der Staaten und Städte mit einem gesonderten Mädchenschuletat zu rechnen hätten. Dieser Etat wird, wie die Dinge nun einmal liegen, naturgemäß immer in Gefahr stehen, zugunsten der Knabenschulen verkürzt zu werden, um so mehr, je größer der äußere Druck zur Sparsamkeit ist. Eine andere Gruppe von Faktoren, die für gemeinsamen Unterricht sprechen, sind die ideellen. Es wäre fraglos für das spätere Verhältnis der Geschlechter zueinander von starkem Einfluß, wenn schon die Schule ihnen Gelegenheit gäbe, sich auf rein geistigem Gebiete zu finden und aneinander zu messen. Bei der bisherigen Trennung ist der Knabe nicht gewohnt, bei dem Mädchen die Kameradschaft in geistigen Interessen zu suchen. Er betrachtet diese Welt als eine ihm besonders vorbehaltene, und wenn er nach geistiger Fühlung mit der Frau verlangt, so hindert doch nur zu oft eine in der getrennten Bildung begründete innere Fremdheit der Geschlechter, daß sie einander auf solchen Gebieten finden. Auch die Studentinnen auf unseren deutschen Universitäten haben darunter zu leiden, daß sie einerseits zu wenig von dem Wesen der geistigen Interessen des Mannes wissen, um seiner Art zu arbeiten volles Verständnis entgegenzubringen, und daß andererseits der Mann ihre innere Stellung zur geistigen Welt zu wenig verstehen gelernt hat, um ihren spezifischen Anschauungen mit Achtung und Interesse gegenüberzutreten.
Bei all diesen Vorzügen dürfen allerdings auch die Bedenken nicht unterschätzt werden. Eine Grundbedingung für die Einführung der gemeinsamen Schule wäre natürlich die Gleichberechtigung von Lehrerinnen und Lehrern: denn wir dürften selbst um den Preis des gemeinsamen Unterrichts die Forderung nicht aufgeben, daß das Mädchen in seiner inneren Entwicklung durch die Frau geleitet werde. Ein weiteres Bedenken scheint in der von der Jugendkunde festgestellten und wohl nicht zu bezweifelnden Tatsache zu bestehen, daß sowohl die körperliche als die seelische Entwicklung bei den Mädchen einen andern Rhythmus aufweist als bei den Knaben. Die Mädchen sind zu einer Zeit schonungsbedürftig, in der Knaben es nicht zu sein pflegen; sie entwickeln sich zu einer Zeit seelisch sehr rasch, in der die Entwicklung der Knaben eine starke Verlangsamung aufzuweisen pflegt. Bei gemeinsamem Unterricht kann sich die Schule naturgemäß nicht anpassen. Das wird allerdings kräftigen und selbständigen Naturen gegenüber kein Unglück sein. Tatsächlich hat sich auch ein Zurückbleiben der Mädchen wie überhaupt eine unüberwindliche Erschwerung des gemeinsamen Unterrichts durch diese Verschiedenheit des Entwicklungsrhythmus nicht gezeigt, wahrscheinlich weil in den Vollanstalten vor allem die befähigteren Mädchen Aufnahme suchen, die durch ihre Begabung auf Universitätsstudium und höhere Berufe hingewiesen sind. Diese durch die natürlichen Umstände herbeigeführte Auswahl sichern ministerielle Bestimmungen wie die, daß nur solche Mädchen in die Vollanstalten aufgenommen werden, die ihre Aufnahmeprüfung mit »Gut« bestehen, daß die Mädchen, die das Klassenziel nicht erreichen, von der Schule verwiesen werden können usw. Unter diesen Umständen ist das Schülerinnenmaterial der badischen höheren Lehranstalten so gut, daß man sogar zu der Maßnahme gekommen ist, die Rangordnung nicht mehr für Knaben und Mädchen durcheinander zu machen, sondern jedes Geschlecht für sich zu rangieren, damit nicht das Selbstvertrauen der Knaben dadurch erschüttert wird, daß die Mädchen zu der oberen Hälfte der Klasse gehören. Wenn, wie diese Beispiele und ebenso auch die Erfahrungen anderer Staaten, z. B. Dänemark, zeigen, für körperlich und geistig leistungsfähige Mädchen sich Schwierigkeiten aus dem gemeinsamen Unterricht nicht ergeben, so könnten doch bei zarteren, seelisch empfindlicheren und körperlich abhängigeren Kindern Hemmungen entstehen, mit denen die Vorzüge des gemeinsamen Unterrichts zu teuer bezahlt würden.
Auf der 13. Generalversammlung des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins in Posen (1913) wurden die folgenden, von Gertrud Bäumer aufgestellten und in einem Vortrag S. Verhandlungen der 13. Generalversammlung des Allg. Deutschen Lehrerinnenvereins. B.G. Teubner 1913. Der Vortrag ist unter dem Titel: »Der gemeinsame Unterricht der Geschlechter« auch in einer Separatausgabe in dem gleichen Verlag erschienen. eingehend begründeten Forderungen angenommen.
a) Als Ergänzung der nach Geschlechtern differenzierten Schuleinrichtungen ist der gemeinsame Unterricht in Volksschule, Mittelschule und höheren Lehranstalten unerläßlich.
b) Als Prinzip bedarf der gemeinsame Unterricht noch der praktischen Erprobung. Es wäre daher im pädagogischen Interesse wünschenswert, daß außer der Zulassung einzelner Mädchen zu Knabenlehranstalten Versuche mit der Einrichtung eigener, ganz auf dem Grundsatz des gemeinsamen Unterrichts aufgebauter Schulen unter gleicher Beteiligung von Männern und Frauen an Unterricht und Leitung gemacht würden.
Wenn man also auch nicht so weit gehen wird, den gemeinsamen Unterricht als die absolut beste und darum einzig wünschenswerte Form der Mädchenbildung anzusehen, so ist er doch für die Lösung der Frauenbildungsfrage in Deutschland neben dem höheren Mädchenschulwesen eine unumgängliche Notwendigkeit. Und zwar sowohl aus praktischen Gründen, als auch um des ideellen Wertes eines Bildungsganges willen, der von Anfang an auf die Gemeinsamkeit der geistigen Arbeit der Geschlechter eingestellt ist.
Daß für die Hochschulen von einem getrennten Unterricht der Geschlechter in keiner Weise die Rede sein darf, ist so selbstverständlich, daß es nicht besonders betont zu werden braucht. Aber es kann nicht gesagt werden, daß die Frage des Frauenstudiums durch die unbeschränkte Zulassung der Frauen zu den Hochschulen und die grundsätzliche Zulassung der Frauen zur Dozentur, die ihre (freilich noch sehr begrenzte) praktische Zulassung zur Folge hatte, vollkommen gelöst sei. Im Gegenteil – die tiefere Problematik des Frauenstudiums hat sich erst in dem Maße enthüllt, als die äußere Einbürgerung der Studentinnen an den Universitäten zum Abschluß kam. Und zwar in verschiedener Hinsicht. Zunächst, weil in der »Durchschnittstudentin«, die nicht mehr Pionierin war, sondern für die alle die durchschnittlichen sozialen und individuellen Beweggründe zum Studium genau so vorhanden waren wie für den Mann, erst die Anpassungsfrage – der Frau an die Hochschule und der Hochschule an die Frau – in ihrer eigentlichsten Form auftauchte. Die ersten Generationen, die auf Widerstände gefaßt waren, deren Strebsamkeit ebenso selbstverständlich war wie ihre Freude am Studium, die sich selbst unter einer scharfen Probe der Bewährung fühlten, sie boten und fanden die Probleme nicht, die sich später herausstellten. Marianne Weber hat dies in einem Aufsatz vom Typenwandel der studierenden Frau dargestellt, der allerdings bei den Studentinnen auch viel Widerspruch gefunden hat. Es handelt sich um zwei Fragen: das Verhältnis der Frau zur Wissenschaft – und die persönliche Bildung, die die Frau als Typus des akademischen Menschen an der Universität erfährt. Es ist hier nicht die Möglichkeit, beides eingehend zu behandeln. Nur einige Hauptpunkte lassen sich andeuten. Die Frage nach dem Verhältnis der Frau zur Wissenschaft ist, nachdem die ersten Generationen von Akademikerinnen sie im Wege des mutigen Versuchs angefaßt hatten, von den folgenden zum Teil in die Sphäre der Problematik gerückt. Die Ursache zu dieser Auseinandersetzung lag einerseits in dem Was? und Wie? der wissenschaftlichen Frauenarbeit selbst, aus dem die Frage nach der größeren oder geringeren Eignung der Frau für die verschiedenen Forschungsgebiete von selbst herauswuchs. Auf kulturwissenschaftlichem Gebiet vertiefte sich diese Frage zu der prinzipielleren, ob und wie weit die Frau aus ihrer Natur eine andere, besondere Art und Zielsetzung wissenschaftlicher Arbeit entfalte, aus der sich dann die weitere ergab, ob nicht Systematik, Fragestellung, Wertungen der Geisteswissenschaften einseitig von männlichem Geist geprägt und dadurch der Frau in mancher Hinsicht wesensfremd seien. Daraus ergab sich dann das Suchen nach den weiblichen Sonderaufgaben in der Wissenschaft. Verstärkt wurde diese Problematik durch die Anzweiflung der Wissenschaft als Kulturform überhaupt, die in einer dem »Intellektualismus« abgewendeten jungen Generation sich ausbreitete. Das alles schuf eine gewisse Unruhe und Unsicherheit unter den Studentinnen, in der sich viel einfache Unfähigkeit, Versagen von schlechthin Ungeeigneten mit einer tieferen und ernsteren Auseinandersetzung verband. In dieser tieferen Auseinandersetzung wird eine Entscheidung nur durch die Entwicklung des Frauenstudiums und der weiblichen Wissenschaft selbst herbeigeführt werden, und zwar nur durch die selbständigen, reiferen und schöpferischen Leistungen. Für die studierenden Frauen ist allerdings als Problem ihres Studiums die Frage erschwert durch die Tatsache, daß sie bisher nur oder doch fast nur Männer zu Lehrern haben. Und an dieser Tatsache, die ihnen die Möglichkeit, an einer weiblichen Führung in die Wissenschaft sich das Problem zu klären, verschließt, liegt zugleich die Schwere der zweiten Frage: ihrer Bildung zur Akademikerin. Sie ist die weit wesentlichere. Man darf ja vielleicht sagen, daß die Universitäten die Formung des Menschen überhaupt mehr und mehr vernachlässigt, und vergessen haben, daß sie an der künftigen Führerschaft der Nation noch andere Aufgaben als die der Einführung in die Wissenschaft zu erfüllen hätten. Für die jungen Männer hat eine gewisse Tradition noch halbwegs, wenn auch mit dem Verfall des Verbindungswesens zunehmend weniger, diese Erziehung geleistet. Auch für sie ist hier eine sehr schädliche Lücke. Für die Mädchen ist überhaupt nichts da, was ihnen hilft, die Einzelheiten ihrer wissenschaftlichen Fachbildung zu einer universitas persönlicher Bildung zu verbinden. Die äußere Gestaltung des Studienlebens, die isolierte Budenexistenz, um die sich kein Mensch kümmert und die heute proletarisiert und ganz kulturlos ist, ist weniger denn je dazu geeignet, das Moment persönlicher Bildung von außen hinzubringen. Die Fühlung zwischen Hochschullehrern und Studentenschaft ist denkbar gering. Für die Studentin fehlt die Verbindung zur Frau fast ganz. Kein Wunder, wenn sie, im tieferen Sinne »unerzogen«, unter Umständen auch haltlos und ohne Verantwortung lebt. Das weibliche Verbindungswesen, so wertvoll und gesund es vielfach ist, kann hier kein Ersatz sein. Vielfach ist das Elternhaus der einzige Halt; aber dann bleibt die Studentin »Haustochter«, ohne jene besondere Bildung zur Selbständigkeit und zur Gesellschaft, die ihr die Universitätszeit geben müßte.
Hier liegt ein ganz und gar ungelöstes, kaum gesehenes Problem, seine Inangriffnahme setzt die Frau im Lehrkörper der Universität voraus, aber allerdings sie nicht nur als Dozentin, sondern als Führerin, die über die persönliche Verantwortung hinaus auch die Einrichtungen schaffen hilft, in denen sich die weibliche Form des akademischen Lebens entfalten kann.