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Die Frauenbewegung und der moderne Staat sind miteinander gewachsen. Die erste Formulierung fand die Idee der Frauenbewegung im Rahmen der naturrechtlichen Staatstheorien, mit deren Hilfe man die mittelalterlichen Gesellschaftsformen zertrümmerte; ihre ersten praktischen Programme prägte die demokratische Bewegung der vierziger Jahre. Es hängt mit diesem theoretischen Ursprung der Frauenbewegung zusammen, daß sie gleich als ein geschlossenes System sozialer und politischer Forderungen auftrat. Man übertrug den Gedanken der allen gemeinsamen unveräußerlichen Menschenrechte auf die Frau und wandte die ganze Reihe der aus diesem Gedanken abgeleiteten Forderungen auch auf ihre Beziehungen zum Staat, auf ihre bürgerliche Stellung an. In dem einen Gedanken, daß auch sie der »Menschenrechte« teilhaftig werden müsse, lag das ganze Programm von der Erwerbs- und Bildungsfreiheit bis zum vollen staatlichen Bürgerrecht fertig vor. Ja, wie für den Mann dieses Bürgerrecht, das Recht, die Gesetze, denen er sich fügen mußte, auch mit zu schaffen, sofort als die tatsächliche Gewähr aller übrigen Rechte in den Mittelpunkt des Interesses trat, so wurde auch der Blick der Frau in diesem Gedankengang von vornherein auf das Bürgerrecht als die Zitadelle gerichtet, deren Besetzung erst die Eroberung der Festung gewiß macht. Wo nun die allgemeinen politischen Strömungen geeignet waren, den Gedanken des Frauenstimmrechts sofort in sich aufzunehmen, da knüpft der politische Emanzipationskampf der Frau direkt an die Naturrechtslehre praktisch an und bewahrt dauernd die Spuren seiner theoretischen Abstammung in der Art der Kampfmittel. In der Frauenstimmrechtsbewegung der Union argumentierte man ausschließlich mit den »Menschenrechten«. Auf dem europäischen Kontinent aber starb die aus dem Boden der Menschenrechte keimende Idee der Bürgerinnenrechte sehr schnell ab. In Frankreich, wo die unerbittliche Logik des Systems, aus dem die französische Revolution sich nährte, zuerst in den kühnen Gedanken der vollberechtigten Citoyenne auslief, stieß dieser Gedanke auf das romanische Frauenideal, mit dem er unvereinbar war. In England wurde er nur von der Staatswissenschaft aufgenommen und machte die ganze Umwandlung der Naturrechtslehre von Bentham bis John Stuart Mill mit durch, ohne doch zunächst eine praktische Bedeutung zu gewinnen. In Deutschland hat die Theorie der »Menschenrechte« erst in der demokratischen Bewegung von 1848 politische Kraft entfaltet. Auch hier lebt der Gedanke der politischen Emanzipation der Frau wieder auf – er wurde schon auf dem Hambacher Fest enthusiastisch vertreten – und zündete unter den von der politischen Bewegung ergriffenen Frauen. Aber die Reaktion fegte ihn hinweg und besiegelte die politische Unmündigkeit der Frau mit jenem famosen Paragraphen des preußischen Vereinsrechts, wonach »Frauenspersonen«, wie Schüler und Lehrlinge, nicht einmal politischen Vereinen angehören durften.
Überall mußte die Frauenbewegung die theoretisch vorweggenommenen Endziele zunächst im Stich lassen, um die Aufgaben zu ergreifen, die ihr von anderswo her, aus der Wirklichkeit und dem Leben selbst aufgedrängt wurden. Unterdessen wurde der naturrechtliche Staatsgedanke unter dem Druck politischer und wirtschaftlicher Entwicklung sowohl wie unter dem Einfluß neuer wissenschaftlicher Anschauungen verändert und verdrängt. Die Auffassung von dem Staat als einer Gemeinschaft gleicher Individuen, deren rechtliches Verhältnis zueinander unabhängig von allen nationalen Verschiedenheiten aus der allgemeinen menschlichen Natur mit Hilfe der Vernunft abgeleitet werden kann, diese Auffassung machte mit dem Erwachen des historischen Sinns jener anderen Platz, nach der der Staat als eine aus den wirtschaftlichen und geistigen Kulturbedingungen eines Volkes organisch erwachsene Form anzusehen ist, die nicht absoluten Wert hat, sondern im Verhältnis zu jenen tatsächlichen Kulturbedingungen beurteilt werden muß. Innerhalb dieser neuen Anschauungen stand natürlich der Gedanke des Frauenstimmrechts, der Gedanke einer Berechtigung der Frau zur Mitregelung öffentlicher Angelegenheiten zunächst einfach in der Luft. Es fehlte, was man die »geschichtlichen Vorbedingungen« nannte, die organische Verbindung zwischen dem traditionellen Wirkungskreise der Frau und jenen öffentlich-rechtlichen Funktionen, die man ihr im Namen ihrer »Menschenrechte« auferlegen wollte. Das Stimmrecht erschien als ein künstliches Pfropfreis auf dem Organismus der Aufgaben, die ihr innerhalb der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zufielen. Was sollte die Frau, die als Hüterin der Familienkultur ihre Kraft dem Haushalt und der Kinderpflege, ihr Interesse dem Persönlichen, dem Wachstum der einzelnen Seele schenkte, mit einem Recht, das sie zugleich dem ganzen Anprall der kämpfenden politischen Mächte aussetzte und für das in gewissem Sinne die Devise gilt, die auf italienische Degenklingen graviert wird: »Ich nütze nur dem Starken«? Wie war es denkbar, daß ihr Auge, nur gewöhnt, in die Nähe zu sehen, die Dimensionen des politischen Horizontes richtig abschätzte? Wenn der Gedanke der bürgerlichen Gleichberechtigung der Frau in dem neuen politischen Gedankenkreis einwurzeln sollte, so mußte er aus den tatsächlichen Verhältnissen des Frauenlebens begründbar sein.
Die Fragestellung mußte also lauten: Liegen in der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Frau, liegen in dem Wirkungskreis, der ihr durch den Stand der Kultur zugewiesen ist, die Bedingungen für ihren Eintritt in volle Bürgerrechte? – und weiter: Geht die Entwicklungstendenz dahin, diese Bedingungen zu verstärken oder abzuschwächen?
Als die beiden ersten Auflagen dieses Buches geschrieben wurden (1907 und 1914) bedeutete diese Fragestellung zugleich Begründung und Bejahung dieses noch unerreichten, scheinbar noch fernen Zieles. Jetzt, nachdem in Deutschland die staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Frau verwirklicht ist, heißt es von den gleichen Gesichtspunkten aus den Weg beleuchten, der zum Frauenstimmrecht führte.
Wir erinnern uns der beiden Linien, die wir in den beiden ersten Kapiteln für die Umwandlung des Frauenlebens gezogen haben und deren eine die Umbildung ihrer wirtschaftlichen Sphäre, deren andere die Entwicklung ihres geistig-sittlichen Lebens kennzeichnete, und betrachten die an diesen Linien sich aufreihenden Tatsachen unter dem Gesichtspunkt, wie weit sie die Umgestaltung der öffentlichen Rechtsstellung der Frau vorbereiteten und herbeiführen mußten.
Nach der Berufszählung von 1907 war der dritte Teil aller erwerbstätigen Bürger des Deutschen Reichs Frauen. Mit dieser starken Beteiligung der Frauen am Erwerbsleben wuchs ihr Interesse an bürgerlichen Rechten, weil sie als Lohnarbeiterinnen in ganz anderer Weise von der politischen Macht abhängig wurden. Abhängig in ihren elementarsten wirtschaftlichen Interessen. Denn sie konkurrierten mit Männern, für die dieses politische Recht das wirksamste Kampfmittel in der Gestaltung ihrer Berufsverhältnisse geworden ist, die wirtschaftlich vorwärtskamen, weil sie Wähler waren und man dem Druck ihrer politischen Macht nachgab, ja zuvorkam. Und sie waren nicht nur die Konkurrenten, sondern auch die Mitarbeiter des Mannes in den gleichen Arbeitszweigen, und konnten so durch ihre politische Ohnmacht auch zu einem Hemmnis für die Männer werden. Bei dem gesellschaftlichen Charakter der modernen Arbeit sind eben wirtschaftliche und politische Macht, wirtschaftliche und politische Abhängigkeit so vielfach ineinander verankert und miteinander verflochten, daß eine von der anderen in unübersehbarer Weise bedingt wird.
Aber es ist noch eine andere Linie, die von der Berufsarbeiterin zur Bürgerin hinüberleitet. Dadurch, daß die große Mehrzahl der Frauen während einer kürzeren oder längeren Zeit dem Berufsleben angehört hat, ist sie allerdings für das politische Leben in anderer Weise diszipliniert. Sie hat damit den objektiven gesellschaftlichen Mächten Auge in Auge gegenübergestanden, die Abhängigkeit des einzelnen von dem Ablauf des wirtschaftlichen Lebens am eigenen Leibe erfahren; sie hat sehen können, wie sich gemeinsame und persönliche Interessen zu einer sozialen Macht verdichten und auf diese Weise Berücksichtigung erzwingen. Sie ist in dem unmittelbaren Kontakt mit dem gesellschaftlichen Leben ein zoon politicon, ein politisches Wesen, geworden, und hat Anschauungen und Bildungselemente in sich aufgenommen, die mit ihrer Persönlichkeit unverlierbar verschmelzen. Es ist zweifellos, daß sich der Frauentypus von hier aus mehr und mehr veränderte und mit ihm die traditionellen Begriffe von dem, wie die Frau sein soll, die heute vielfach das Werden dieses neuen Typus noch hemmen und verschleiern.
In gleicher Richtung wie diese Reihe wirtschaftlicher Tatsachen wirkte eine andere Seite der modernen »Vergesellschaftung«.
Diese Vergesellschaftung nämlich ergriff ja doch nicht nur die Produktion. Sie verbreitete sich über alle Seiten des geistigen und sozialen Lebens und machte überall aus dem Handeln von Mensch zu Mensch ein Handeln von vielen für viele. Es braucht nur an die ungeheure Ausdehnung des ganzen Armenpflege- und Fürsorgewesens, an Volksbildungsbestrebungen und Sanitätspflege, an die Entwicklung des öffentlichen Schulwesens, an den Eingriff des Staates in die Regelung der industriellen Arbeit, an den Ausbau des Versicherungswesens erinnert zu werden. Auf allen Gebieten tritt an die Stelle der vollen persönlichen Verantwortung des einzelnen für sich und einige wenige andere die gemeinsame Verantwortung vieler für viele. Überall vollzieht sich eine Zusammenfassung all der Leistungen, die sich früher vereinzelt in der privaten Lebenssphäre abspielten, durch öffentliche Körperschaften. Alles wird »gemeindlich« oder »staatlich«. Damit aber verwischt sich die Grenze zwischen Familieninteressen und öffentlichen Interessen, zwischen persönlichen und allgemeinen Angelegenheiten. Das Leben des einzelnen Menschen wird in immer stärkerem Maße von außen her, von zentralen Stellen aus bestimmt. Es ist schon oft und leidenschaftlich betont worden, wie groß die Gefahr der Mechanisierung und Schematisierung dabei ist, wieviel persönliche Bedürfnisse, persönliche Einsichten und Strebungen dabei ausgelöscht und unterdrückt werden. Und je stärker man diesen Verlust empfand, um so mehr hat man sich bemüht, in der organisierten gemeinsamen Befriedigung gemeinsamer materieller und geistiger Bedürfnisse das Besondere, Individuelle, Persönliche wieder zur Geltung kommen zu lassen. Individuelle Erziehung, individuelle Armenpflege, Heimatkunst, individualisierende Handhabung der industriellen Gesetzgebung, das sind die Schlagworte. Dieses Bemühen kann aber naturgemäß nur dann Erfolg haben, wenn dafür gesorgt ist, daß an allen leitenden Stellen die möglichen Verschiedenheiten der Bedürfnisse und Ansichten auch zu Wort – nicht nur zu Wort, sondern zu Einfluß kommen.
Hier entstand in dem modernen Denken über Staat und Gesellschaft die breiteste Fuge, in die der Gedanke einer öffentlichen Mission der Frau eingetrieben werden konnte. Denn bei dieser alles ergreifenden »Verstaatlichung« und »Vergemeindlichung« wird eben auch so manches Stück aus dem natürlichen Wirkungskreise der Frau »verstaatlicht« – so manches Stück Muttersorge und hausfraulichen Wirkens. Man braucht nur an die öffentliche Sanitäts- und Wohnungspflege, an die öffentliche Säuglingsfürsorge, das Erziehungswesen, die Armenpflege zu denken. Das alles sind selbst im konservativsten Sinne des Wortes Frauenangelegenheiten. Und das wird im Wesen dadurch nicht anders, daß die Technik, die äußeren Formen und Mittel, mit denen alle diese Bedürfnisse befriedigt werden, sich verändern. Im Gegenteil: gerade weil in dieser Umwandlung der Formen die Gefahr der Lebensentfremdung, der Entseelung liegt, durfte diese Gefahr nicht dadurch vermehrt werden, daß man aus allen diesen Frauenangelegenheiten Männerangelegenheiten machte. Ruskin, der wahrlich kein Frauenrechtler war, hält die Trennung der Lebenssphären für unorganisch, nach der des Mannes Pflichten lediglich öffentlicher, der Frauen Pflichten lediglich häuslicher Natur sein sollen. Der Mann habe ebensowohl Pflichten nach innen, Weib und Kind gegenüber, wie nach außen. Das gilt auch umgekehrt von der Frau. Wie der Mann als Staatsangehöriger für Erhaltung, Förderung und Verteidigung seines Landes eintreten muß, so hat die Frau als Staatsangehörige für Behagen, Ordnung und Ausschmückung im Staate Sorge zu tragen. Wie innerhalb, so muß sie auch außerhalb der Tür ihres Hauses – wie Ruskin das in dem schönen Bilderreichtum seiner Sprache ausdrückt – »Mittelpunkt der Ordnung, Balsam des Trostes und Spiegel der Schönheit sein«. Ruskin schwebt hier eine Arbeitsteilung vor, die nicht die Sphären gegeneinander abgrenzt, sondern innerhalb der gleichen Sphäre, des gleichen Spielraums sich aus der Verschiedenheit des Wesens organisch entfaltet. Und diese Arbeitsteilung muß die der Zukunft sein, wollte man die neuen, mehr sozialen Formen, in die das Kulturleben aus den alten, mehr familienhaften hineinströmt, den ganzen seelischen Reichtum, die ganze Fülle und Mannigfaltigkeit der Kräfte und Impulse mitnehmen, die jene alten Formen bewahrten, so durfte man den Wirkungskreis der Frau in diesem Wandel der Formen nicht einkapseln wollen.
Auch im Interesse der Familie selbst nicht. Man hat wohl gesagt – und das ist auf den ersten Blick ganz einleuchtend –, gerade weil unsere Kultur durch ihren immer stärker sich ausprägenden Massencharakter so viel Gefühlswerte, so viel Intimes, Unrationales zu verlieren droht, muß man die Frau vor dieser Zermalmung des persönlichen zu schützen suchen, damit in der Familie die Quellbildung des persönlichen Lebens rein und frisch bleibt. Das ist unpsychologischer Mystizismus. Man hat nur auf die Sphäre Einfluß, die man beherrscht, und man kann eine Aufgabe nur erfüllen, die man übersieht. Die Frau kann die kraftvolle Prägerin persönlicher Lebenselemente nur sein, wenn ihr die Bedeutung dieses Persönlichen gerade aus dem Gegensatz zu der harten Objektivität, den mechanischen Notwendigkeiten des sozialen Geschehens bewußt wird. Sonst wird sie eben »persönlich« in jener kleinlichen, egoistischen und philisterhaften Art so mancher guten Hausfrauen, deren Wesen sich lähmend und einengend auf das geistige Leben der Familie legt und den Glauben an ihre Kulturbedeutung zum Wahn macht.
Diese Gedankenreihe, aus der sich das geistige Interesse der Frau an der Mitwirkung im gesamten öffentlichen Leben entwickelte, schloß eine praktisch-politische Erwägung ab. Die Frauenbewegung selbst war der sprechendste historische Beweis dafür, daß die Frau ohne politische Macht ins Hintertreffen kommt in einem Staatswesen, wo die letzte Entscheidung im Spiel der Kräfte sich immer deutlicher auf das politische Gebiet hinüberschob. Denn sie entstand im letzten Grunde – in ihrer modernen, nicht in der alten durch die »Menschenrechte« gegebenen Form – doch nur, weil die wirtschaftlichen, sozialen, pädagogischen Institutionen nicht mit der Umwandlung des Frauenlebens Schritt hielten, weil die Frauen überall, in der Erziehung, im Beruf, im Familienrecht, in der sozialen Bewegungsfreiheit vom Staat im Stich gelassen wurden. Der Grund war natürlich nicht böser Wille – wie es das naive feministische Glaubensbekenntnis der amerikanischen Frauen annimmt –, sondern ein Organisationsfehler des modernen Staates, der die Frauen von der Interessenvertretung ausschloß und doch nur durch Interessenvertretung in Bewegung gesetzt werden konnte, so daß nun alle Forderungen, die die Frauen aus ihrer Lage heraus aussprachen, sozusagen in einen »rechtsleeren Raum« fielen. Diese Tatsache und Erfahrung, nicht das Pathos des alten Menschenrechtsgedankens, gab der Frauenstimmrechtsbewegung aller Länder ihr eigentliches Feuer. Es brannte um so heller, je entwickelter in den Frauen eines Landes das politische Rechtsbewußtsein war, und je mehr die Unzugänglichkeit des Staates gegenüber dieser Tatsache zur Erbitterung reizte. Es ist kein Wunder, wenn nach einem fast ein halbes Jahrhundert währenden Stimmrechtskampf der Frauen in England es geradezu zu revolutionären Ausbrüchen kam.
Wenn so die soziale und politische Entwicklung die realen Bedingungen mehr und mehr geschaffen hatte, unter denen die politische Gleichberechtigung der Frau denkbar, ja notwendig wurde, so trat bei ihrer Verwirklichung je nach den politischen Verhältnissen, der wirtschaftlichen Struktur und den sozialen Bedingungen die eine oder die andere Grundlage des Frauenstimmrechts stärker hervor.
In den ausgesprochen demokratischen Ländern, wie insbesondere in den Vereinigten Staaten, haben die alten Theorien von den Menschenrechten den Erfolg der Frauenstimmrechtsbewegnng zweifellos in hohem Maße herbeigeführt. Die amerikanischen Vorkämpferinnen für das Frauenstimmrecht haben unerschüttert und voll beinahe religiöser Überzeugungskraft sich auf das Prinzip der Gerechtigkeit berufen, dessen Durchsetzung sie als nationalethische Pflicht und religiöse Mission empfanden.
Eine praktische Grundlage erhält diese Berufung auf die Gerechtigkeit überall da, wo Zensuswahlrechte bestehen. Hier haben die Frauen sich naturgemäß auf den Zusammenhang: Stimmrecht und Steuern gestützt. Um so mehr, als in den alten, auf Besitzvertretung beruhenden politischen Rechten z. B. der Ständevertretung in Frankreich vor der Revolution, die Frauen das Stimmrecht besaßen. Der königliche Erlaß vom 24. Januar 1789 stellte ausdrücklich fest, daß Frauen und Mädchen, jedenfalls diejenigen der »Frauen-Kapitel und Gemeinschaften« und die, welche zu den besitzenden »Kirchen- und Ordens-Körperschaften beiderlei Geschlechts« gehörten, bei den Wahlen mitwirken durften, und § 20 bestimmt: »Die Frauen mit selbständigem Besitz, Mädchen und Witwen, ebenso die Minderjährigen von Adel – vorausgesetzt, daß besagte Frauen, Mädchen und Minderjährige Lehnsgüter besitzen – können sich durch Bevollmächtigte aus dem Adel vertreten lassen.«
Es war daher ganz logisch, wenn sich die amerikanischen Frauen unter Berufung auf den Zusammenhang von Steuern und Wahlrecht zur Verweigerung der Steuern berechtigt fühlten; die Führerin der amerikanischen Stimmrechtsbewegung, Susan B. Anthony, hat bis zu ihrem Tode ihre Steuern nur unter Protest bezahlt. Auch in England hat dieser Zusammenhang zwischen Steuerpflicht und Stimmrecht eine große Rolle in der praktischen Agitation gespielt, sowohl für die verschiedenen Formen der Gemeindewahlrechte, wie für das politische Wahlrecht. Doch tritt in der Erwägung der Frage jene Ableitung aus der modernen sozialen Arbeitsteilung gegenüber den politischen Rechtsgründen mehr in den Vordergrund.
Und das entspricht den Gesichtspunkten, die auch bei uns in Deutschland für die Frage des Frauenstimmrechts ausschlaggebend geworden sind.
Denn in dem Zusammenhang, in dem wir die Entwicklung der Frauenbewegung hier betrachtet haben, fällt das Schwergewicht nicht auf den Besitz des Rechts um des Rechtes willen, sondern auf die Beteiligung der Frau an der ganzen Arbeit, die sich hier außerhalb der Familie aufbaut. Insofern sinkt der Besitz des Rechtes zu einem Mittel herab; zu einem Mittel, der Kultur bei ihrer Umwandlung in neue Formen das weibliche Element in vollem Umfang zu erhalten und die Frau davor zu schützen, daß ihre Wirkenssphäre entleert, ihr Lebensinhalt verkümmert wird, daß ihre Interessen, die in einem auf Interessenvertretung begründeten Gemeinwesen ohne Träger bleiben, zurückgeschoben und damit ihre Anlagen und Möglichkeiten in der Entfaltung gehemmt werden.
Aus diesem Gedankengang ergaben sich für die Verwirklichung des Frauenstimmrechts zwei Möglichkeiten, die etwa in der Fragestellung angedeutet sind: Sollte man den Frauen die Mitwirkung in Staat, Gemeinde und wirtschaftspolitischer Interessenvertretung nur insofern geben, als Frauenangelegenheiten im eigentlichen Sinne des Wortes in Betracht kamen, oder sollte man die Frauen zu voller Mitarbeit zulassen in der Erwägung, daß Art und Ziele ihrer Mitarbeit auf gemeinsamen Gebieten von selbst die richtige Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern ergeben würde?
Der Gang der Entwicklung hat mehr und mehr von dem ersten zum zweiten Standpunkt geführt. Man hat überall die Frauen zunächst für solche Gebiete herangezogen, bei denen man ein natürliches Interesse bei ihnen voraussetzte und bei denen ein Zusammenhang mit ihrem natürlichen Lebenskreis bestand: Wohlfahrtspflege, Gesundheitsfürsorge, Schulwesen und dergleichen Gebiete. Es ist aber nirgends bei dieser Begrenzung geblieben, und zwar deshalb nicht, weil sich sehr bald gezeigt hat, daß die Trennung öffentlicher Aufgaben in eine männliche und eine weibliche Sphäre sich in dieser Form nicht durchführen läßt – aber auch deshalb, weil solche Teilwahlrechte bei den Frauen nicht das Maß von Gewöhnung an öffentliche Verantwortungen zu erziehen vermochten, das diesen Teilwahlrechten erst einen Sinn gegeben hätte. Das zeigte sich insbesondere im Rahmen der sozialpolitischen Interessenvertretung. Die Beteiligung der Frauen an Krankenkassenwahlen und dergleichen blieb verhältnismäßig gering, weil in der Begrenztheit der Bedeutung dieser Wahlen kein ausreichender Impuls für die Ausübung des Wahlrechts lag.
In der Linie der Entwicklung vom Naheliegenden zum Größeren und Ferneren lag dann die Gewährung des Gemeindewahlrechtes an die Frauen. Man kann sagen, daß in solchen Ländern, in denen Teilwahlrechte verfassungsgemäß bestanden: z. B. Wahlrechte für Schulkommissionen, Armenverwaltung u. dgl. der typische Weg der war: Teilwahlrechte, Gemeindewahlrecht, Staatswahlrecht. Dies ist der Weg in den Vereinigten Staaten, in England, in den skandinavischen Ländern. Man kann diesen Ablauf der Entwicklung aus folgenden Tatsachen ablesen: Die Frauen besaßen bis zum Jahre 1913 das aktive Wahlrecht für die Gemeindevertretung in 7 australischen, 10 nordamerikanischen Staaten, in den 7 Provinzen und in 3 Territorien Kanadas, in Britisch-Honduras, in (außer Deutschland) 11 europäischen Staaten. (Von Asien und Afrika sei hier abgesehen.) In 9 von diesen 38 Staaten war das kommunale Frauenwahlrecht seit 1900 eingeführt.
Die Frauen besaßen das passive Wahlrecht für die Gemeindevertretung in 18 Staaten, einem australischen, 10 nordamerikanischen, 7 europäischen. In 13 von diesen 18 Staaten war das Wählbarkeitsrecht der Frauen seit 1900 eingeführt.
Die Frauen besaßen das aktive Wahlrecht für die Gesetzgebung in 19 Staaten, 7 australischen (außerdem zum Föderationsparlament ), 10 nordamerikanischen, 2 europäischen. Von diesen Staaten hatten 13 das Frauenstimmrecht seit 1900 eingeführt.
Das passive Wahlrecht für die gesetzgebenden Körperschaften war den Frauen in 10 nordamerikanischen und 2 europäischen Staaten gewährt, außerdem für das Unterhaus eines australischen Staates und für das australische Föderationsparlament. 8 von diesen Staaten hatten das Frauenwahlrecht seit 1900 eingeführt.
Natürlich wird dieser Normalverlauf durch andere mitentscheidende Umstände mannigfach durchkreuzt. Eines der wesentlichsten Momente besteht darin, daß es vielfach außer dem modernen demokratischen, an die Person geknüpften Wahlrecht ein älteres, an den Besitz geknüpftes gab, dem zufolge z. B. in Deutschland die Frauen in den Landgemeindeordnungen zum Teil schon seit Jahrhunderten ein Wahlrecht besaßen, wenn sie es auch vielfach durch männliche Vertreter ausüben lassen mußten. Dies Nebeneinander des alten Vertretungsgedankens, der im ganzen den Frauen günstiger war, weil hier nicht das Geschlecht, sondern der Besitz Grundlage des Wahlrechts war, und des neuen demokratischen Wahlrechtes, hat in der Entwicklung des Frauenstimmrechts mannigfach Mischformen alter und neuer Rechte geschaffen. Auch sonst haben zum Teil außerordentliche Umstände den Normalverlauf allmählicher Erweiterung des Frauenstimmrechtes verschoben. Das größte Beispiel dafür ist Deutschland selbst, wo nach ziemlich schwachen und bedeutungslosen praktischen Anfängen eine große politische Welle die Frauenbewegung in einem einheitlichen Aufschwung ans Ziel trug. Ähnlich, wenn auch nicht so schnell und fundamental umgestaltend hat sich die Wirkung des Krieges auf das Frauenstimmrecht, wie schon erwähnt ist, in anderen beteiligten Ländern, insbesondere in England und den Vereinigten Staaten, kürzlich auch in Italien, gezeigt.
Die überraschende Größe dieses Schrittes ist doch nicht ohne innere Vorbereitung und Begründung, die sie nicht so erstaunlich erscheinen läßt wie den äußeren Abstand zwischen den kleinen praktischen Anfängen und der vollen Verwirklichung.
In Deutschland lag diese Vorbereitung, abgesehen von der Ausdehnung der Frauenbewegung, in der Mitwirkung der Frauen in den politischen Parteien. Sie hatte schon vor dem Kriege in irgendeiner Form in allen Parteien eingesetzt, am lebhaftesten und zwanglosesten in der Sozialdemokratie, die ja auch die konsequenteste und entschlossenste politische Vorkämpferin des Frauenstimmrechts war. Die Mitarbeit in den Parteien war doch der direkteste und deutlichste Ausdruck des werdenden Staatsbürgertums der Frauen. Bis 1908 verboten die Vereinsgesetze der meisten deutschen Bundesstaaten den Frauen die Beteiligung an politischen Vereinen. Als 1908 das Reichsvereinsgesetz kam, wurde die politische Organisation der Frauen in allen Parteien verhältnismäßig rasch durchgeführt. Durch die freiwillige Arbeit für politische Ideale, durch ein spontanes Interesse am politischen Leben bezeugten die Frauen den Grad ihres staatsbürgerlichen Bewußtseins und schufen sie sich die Bedingungen für die Verwirklichung ihrer politischen Rechte.
Immerhin ergriff doch auch diese Form der Vorbereitung nur einen verhältnismäßig kleinen Teil. Die große Mehrzahl der deutschen Frauen empfing 1919 das Wahlrecht, ohne es bewußt und überzeugt erstrebt zu haben. Die Frage, ob dieser große Schritt der Entwicklung ein organischer ist, kann also nicht aus dem Maß seiner Vorbereitung, sondern muß aus der Art seines Erfolges, aus dem Maß der Anpassung der Frauen an ihre neue Verantwortung beantwortet werden.
Damit sind im Grunde zwei Fragen an die Bewährung des Frauenstimmrechtes gestellt. Die eine nach dem Grade des politischen Interesses und der Art der politischen Betätigung der Frauen an sich; die andere nach der Art, wie die Frauen das Stimmrecht als Frauen ausgeübt haben – als Mittel eines spezifischen politischen Willens, als Instrument einer weiblichen Politik.
Die Grundtatsache zur Beantwortung der ersten Frage ist die Wahlbeteiligung der Frauen an sich. Sie hat bei den zahlreichen Wahlen einerseits für das Parlament des Reiches, andererseits für die Länder und Gemeinden selbstverständlich geschwankt nach der größeren oder geringeren Lebendigkeit der jeweils maßgebenden politischen Impulse. Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen dem Interesse der Frauen für die großen politischen Wahlen einerseits oder für die Gemeindewahlen andererseits läßt sich dabei nicht feststellen. Es ist z. B. die Beteiligung bei den sächsischen Gemeinderatswahlen des Januar 1924 stärker gewesen als bei manchen Landtagswahlen. Nimmt man als wesentlichen Beweis für den Grad der politischen Lebendigkeit der Frauen die Reichstagswahlen, so muß allerdings in Betracht gezogen werden, daß die ersten Wahlen zur Nationalversammlung nach der Revolution noch im Zeichen ganz besonderer Verhältnisse standen. Das Heer war doch erst zum Teil demobilisiert, insbesondere waren die Kriegsgefangenen noch nicht zurückgegeben. Daraus erklärt sich einerseits das Übergewicht der weiblichen wahlberechtigten an sich, andererseits die Tatsache einer stärkeren Wahlbeteiligung der Frauen als der Männer in den jüngeren Altersstufen. Nach der Wahlstatistik (Vierteljahrsheft zur Statistik des Deutschen Reichs, 28. Jahrgang, 1. Ergänzungsheft) waren von den wahlberechtigten 46 % Männer und 54 % Frauen. Die Wahlbeteiligung der Frauen entsprach im ganzen der der Männer; dagegen wiesen die wahlberechtigten Frauen unter 25 Jahren eine weit stärkere Wahlbeteiligung auf als die gleichaltrigen wahlberechtigten Männer, von je 100 Männern im Alter von 21, bis 25 Jahren wählten 70,5 %, von den Frauen 80,9 %. Die über 25 Jahre alten Männer beteiligten sich mit 84,8, die über 25 Jahre alten Frauen mit 82,6 %. Sieht man die Wahlkreise in bezug auf ihre mehr städtische oder mehr ländliche Zusammensetzung an, so ergibt sich kein durchgehender Unterschied der Wahlbeteiligung. In manchen wesentlich ländlichen Wahlbezirken ist die Beteiligung der Frauen besonders hoch gewesen, z. B. in Mecklenburg. In anderen, z. B. Bayern geringer.
Die Frage, welche Parteien von den Frauen bevorzugt worden sind, läßt sich nur in Stichproben beantworten. Im allgemeinen sind die weiblichen Stimmen als solche nicht besonders kenntlich gemacht (etwa durch besondere Urnen oder andersfarbige Wahlzettel). Das ist nur an einzelnen Guten und bei einzelnen Wahlen geschehen. Dabei hat sich aber einheitlich das Bild ergeben, daß die Frauen in größerer Zahl für die Rechtsparteien gestimmt haben. Die Zahl der auf die Parteien entfallenden weiblichen Stimmen nimmt fast in allen Fällen, in denen Stichproben gemacht sind, von rechts nach links ab, wobei allerdings das Zentrum mit der stärksten weiblichen Stimmenzahl eine besondere Stellung einnimmt. Als Gründe für diese politische Stellungnahme der Frauen ist folgendes zu beachten: an unpolitischen Umständen Zweifellos der große Prozentsatz unverheirateter junger Männer in der Arbeiterschaft, dem ein gleicher Prozentsatz von Arbeiterinnen nicht gegenübersteht. Diese Männer pflegen die radikalen Elemente der sozialistischen Parteien Zu sein und daraus erklärt sich zum Teil, daß die Frauen bei den Kommunisten einen auffallend geringen Anteil aufweisen. Dazu kommt aber zweifellos die Abneigung der Frau gegen revolutionäre Parteien und ihr zäheres Festhalten an der Tradition – d. h. in diesem Fall an der politischen Vorherrschaft des Bürgertums, eine Anhänglichkeit, die zweifellos dadurch noch verstärkt wird, daß sie sich mit religiösen und kulturpolitischen Tendenzen konservativer Art verbindet. Als ein Moment politischer Unreife wird außerdem die Vorherrschaft gesellschaftlicher Rücksichten für die politische Stellungnahme mitsprechen. Jedenfalls zeigt die Verteilung der Frauen über die Parteien das eine sehr klar, daß sie keineswegs durchweg blindlings mit den Männern ihrer Familie gewählt, sondern ihre Entscheidung zum Teil durchaus selbständig getroffen haben, und zwar gerade auch in der Arbeiterschicht, wo die Wahlen im allgemeinen unter besonders starkem klassenpolitischen Zwang zu stehen pflegen.
Für die zweite Frage, in welchem Maße die Frauen durch ihr Frauenwahlrecht bewußt eine Vertretung ihres Geschlechts gesucht haben, kommen drei Momente in Betracht: wie weit hat die weibliche Wählerschaft eigene Frauenforderungen im Wahlkampf und bei den Parteien zur Geltung gebracht? wie weit hat sie auf weibliche Abgeordnete gedrängt? und schließlich die wichtigste Frage: wie weit haben die weiblichen Abgeordneten in den Parlamenten die Politik ihres Geschlechts gemacht?
Das erste Moment würde in ruhigeren Zeiten wahrscheinlich stärker zur Geltung gekommen sein als unter den politischen Verhältnissen, von denen die Stimmungen der letzten Jahre beherrscht waren. Bei allen Wahlen, die bisher stattfanden, traten naturgemäß große gemeinsame nationalpolitische oder auch innenpolitische Parolen so in den Vordergrund, daß die Frauen ihre eigenen Angelegenheiten diesen allgemeinen großen Fragen in weitem Maße nachstellten und unterordneten. Es war außerdem begreiflich, daß bei den großen Massen der Frauen, die der Frauenbewegung nicht angehört hatten, zunächst die politische Partei, der sie sich anschlössen, den Inhalt ihres politischen Denkens einseitig bestimmte, und Faß sie Politik und Parteipolitik vollkommen gleichsetzten. Es kam hinzu, daß die Parteien von sich aus im werben um die weiblichen Wähler den Frauen alles zusicherten, was sie nur irgend verlangen konnten, so daß es kaum nötig schien, das noch besonders zu betonen. So war es ausschließlich die eigentliche Frauenbewegung: der Bund Deutscher Frauenvereine, die weiblichen Berufsorganisationen, die Hausfrauenvereine, die weibliche Programmforderungen im Wahlkampf geltend machten. Innerhalb der Parteien wurden solche Forderungen naturgemäß insbesondere da geltend gemacht, wo aktive weibliche Parteimitglieder aus der Frauenbewegung hervorgegangen waren.
Deutlicher bekundet sich der spezifische politische Wille der Frauen wohl bei der Durchsetzung weiblicher Kandidaturen. Die Zahl der weiblichen Abgeordneten wird der deutlichste Ausdruck der tatsächlichen politischen Macht der Frauen sein. In die Nationalversammlung waren 37 Frauen unter 423 Abgeordneten gewählt. In den Reichstag wurden am 6. Juni 1920 36 Frauen unter 469 Abgeordneten gewählt. Im Laufe der Sitzungsperiode pflegen weibliche Abgeordnete nachzurücken, da man ihnen häufig den Platz unmittelbar hinter dem unbedingt sicheren Sitz gibt. Diese Zahlen sind selbstverständlich nicht hoch, wenn man sie im Verhältnis zur weiblichen Wählerschaft betrachtet, die mehr als die Hälfte der gesamten Wählerschaft ausmacht. Sie sind aber doch dann relativ günstig, wenn sie als Beginn einer weiteren Entwicklung angesehen werden dürfen. Vergleicht man die Erfolge des Frauenstimmrechts im Ausland mit Rücksicht auf die weiblichen Kandidaturen, so erscheinen die deutschen Ziffern hoch. Die englischen Frauen haben erst bei den dritten Wahlen seit Einführung des Frauenstimmrechts acht Kandidaten durchgebracht. Die Frage ist eben, ob diese Ziffern ein im ersten Frühling des Frauenstimmrechts gewährtes höchstes Zugeständnis sind, oder ob es den Frauen gelingen wird, die im ersten Ansturm geschlagene Bresche nicht nur zu behaupten, sondern zu erweitern. Zunächst sieht es freilich nicht danach aus. Durch die Wahlen vom 4. Mai 1924 sind nur 28 Frauen (auf 472 Abgeordnete) in den Reichstag gekommen – ein Rückgang, der allerdings wesentlich mit den allgemeinen Verlusten der Parteien zusammenhängt, in denen die prozentual meisten Frauen waren (vor allem der Sozialdemokratie) und mit dem Zuwachs derer, die der politischen Betätigung der Frauen zurückhaltender oder ganz ablehnend (völkische Freiheitspartei) gegenüber standen. Aber auch wenn man diese besonderen Umstände der parteipolitischen Konstellation in Rechnung stellt, bleibt doch noch ein Verlust auf der einen Leite und ein Nichtgewinn auf der andern bestehen, in dem ein deutliches Symptom der Reaktion gegen die Frauen gesehen werden muß. Diese mag vorübergehend sein, aber sie wird erhöhter Anspannung der Frauen zu ihrer Überwindung bedürfen (vgl. dazu den Aufsatz im Juniheft der »Frau«, 1924, Berlin, F. A. Herbig Verlag).
Die Bedeutung dieser Erscheinung leitet über zu dem dritten und wichtigsten Moment: die Bewährung des Frauenstimmrechts durch die politische Arbeit der weiblichen Abgeordneten. Hier ist es nun nicht leicht, ein Urteil zu fällen. Die folgenden Umstände müssen berücksichtigt werden: die Frauen mußten selbstverständlich im parlamentarischen Betrieb erst sicher werden, ehe sie die Möglichkeit besonderen Hervortretens hatten, wenn die Betätigung im Parlament sich gliedern läßt in die der politischen Führer und der Techniker für Fachfragen, so war es im ganzen genommen für die Frauen in dieser ersten Phase kaum möglich, als Führer aufzutreten. Denn die Führung hatten schon aus äußeren Gründen in allen Parteien trotz der Revolution die alten, geübten Parlamentarier, und sie setzte ja auch in der Zeit so schwerer Entscheidungen ein so hohes Maß rein politischer Erfahrung und Übersicht voraus, daß aus diesem Grunde die Führung von selbst »erprobten« Politikern zufiel. Immerhin kann man sagen, daß die Frauen in verhältnismäßig großem Prozentsatz sich eine gewisse Autorität in ihren Fraktionen zu erwerben gewußt haben, kraft deren sie politische Entscheidungen von allgemeinerer Bedeutung beeinflußten. Das Maß, in dem das der Fall war, tritt allerdings nach außen hin nicht hervor, ebensowenig wie auch etwa eine eigene Stellungnahme der Frauen zu großen politischen Entscheidungen nach außen hin hervortreten kann, weil sie durch den Fraktionszwang gebunden sind. Es ist vielleicht bezeichnend, daß in der Stellung zum Frieden von Versailles sämtliche Frauen in allen Parteien mit Ausnahme der Unabhängigen Sozialdemokratie für die Ablehnung waren und sie sich in den Parteien, die schließlich zustimmten, nur dem Fraktionszwang beugten.
Als Fachtechniker im Parlament haben die Frauen zweifellos ein anerkennenswertes Maß praktischer Arbeit geleistet. Es liegt vorzugsweise auf dem Gebiet der Kulturpolitik, Wohlfahrtspflege, Sozialpolitik, Berufspolitik und Rechtspflege. Die deutsche Reichsverfassung trägt in ihren Grundrechten deutlicher als irgendeine Verfassung der Welt den Stempel weiblicher Mitwirkung. Sie bot zugleich die Grundlage für gesetzgeberische Aufgaben: Umgestaltung des Familienrechtes, des Strafrechtes, der weiblichen Berufsrechte im Sinne der Frauenbewegung; darüber hinaus aber Verwirklichung einer Kultur- und Wohlfahrtspolitik, die den Menschen, und damit das Seelische und Lebendige, über die wirtschaftlichen Interessen, die Sachgüter und die Organisation stellten.
[Fußnote aus technischen Gründen im Text wiedergegeben. Re]
Die folgenden Artikel der Reichsverfassung sind dafür bezeichnend: Artikel 17. Jedes Land muß eine freistaatliche Verfassung haben. Die Volksvertretung muß in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl von allen reichsdeutschen Männern und Frauen nach den Grundsätzen der Verhältniszahl gewählt werden.
Artikel 22. Die Abgeordneten des Reichstags werden in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl von den über zwanzig Jahrs alten Männern und Frauen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt.
Artikel 109. Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich. Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.
Artikel 119. Die Ehe steht als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation unter dem besonderen Schutz der Verfassung. Sie beruht auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter. Die Reinerhaltung, Gesundung und soziale Förderung der Familie ist Aufgabe des Staats und der Gemeinden. Kinderreiche Familien haben Anspruch auf ausgleichende Fürsorge. Die Mutterschaft hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge des Staats.
Artikel 120. Die Erziehung des Nachwuchses zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit ist oberste Pflicht und natürliches Recht der Eltern, über deren Betätigung die staatliche Gemeinschaft wacht.
Artikel 121. Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche, seelische und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen wie den ehelichen Kindern.
Artikel 128. Alle Staatsbürger ohne Unterschied sind nach Maßgabe der Gesetze und entsprechend ihrer Befähigung und ihren Leistungen zu öffentlichen Ämtern zuzulassen. Alle Ausnahmebestimmungen gegen weibliche Beamte werden beseitigt.
Dazu § 4 des Reichswahlgesetzes:
Wählbar ist jeder Wahlberechtigte, der am Wahltag fünfundzwanzig Jahre alt und seit mindestens einem Jahre Reichsangehöriger ist.
Trotzdem Nationalversammlung und Reichstag ebenso wie die Parlamente der Länder in ihrer Arbeit unter dem ungeheuren Druck der außenpolitischen Lage und der inneren Zerrüttung standen, ist es den Frauen gelungen, die aufbauenden Gedanken und den in der Verfassung niedergelegten Zukunftsglauben in einigen Gesetzen zu verwirklichen, deren Förderung oder Verabschiedung insbesondere ihrer Zähigkeit zu danken ist. Dahin gehört das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, das schließlich leider durch einen Einspruch des Reichsrats vor Abschluß der Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet wurde, und insbesondere das Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt. Die Umgestaltung des Familienrechts ist aus dem vorbereitenden Stadium noch nicht herausgekommen. Ziemlich mühelos hat sich jedoch im übrigen der Ausbau der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung der Frau auf der Grundlage der Verfassung durch die Frauen vollziehen lassen, insbesondere durch die Zulassung der Frauen zum Laien- und Berufsrichtertum.
Keineswegs kann die bisherige parlamentarische Tätigkeit der Frauen (über die, soweit sie sich in Nationalversammlung und im Reichstag vollzog, zwei Schriften von Regine Deutsch im einzelnen berichten: »Die politische Tat der Frau« und »Parlamentarische Frauenarbeit«, beide im Verlag von Friedrich Andreas Perthes A.-G. Gotha) schon als ausreichende Grundlage für die Möglichkeiten des Frauenstimmrechts und die endgültige Auswirkung des weiblichen Staatsbürgertums gelten. Je klarer man ermißt, welche fundamentale Umwälzung es grundsätzlich bedeutet, wenn zum erstenmal in der uns bekannten Geschichte der Menschheit die Frauen den Staat mitgestalten, um so klarer muß man sich darüber werden, daß nicht einige Jahre schon als eine irgendwie endgültige Probe angesehen werden können, daß nicht in einigen Jahren schon die Frauen die Formen gefunden haben können, in denen sie ans ihrem Wesen und ihrer Natur heraus Staat und Gesellschaft mitbestimmend gestalten, vorläufig bieten sich ihnen nur Formen der politischen Arbeit, die durch den Mann geprägt, durch seine politischen Instinkte bestimmt sind, wie weit dies auch die Formen für die Entfaltung weiblicher Mitarbeit an den Ordnungen des Gemeinschaftslebens sein werden, steht vollkommen dahin. Hier läßt sich nichts vorweg entscheiden und nichts vorher festlegen. Es kommt alles darauf an, ob die Frauen auf ihrem neuen Wege, auf dem ihnen möglicherweise auch noch Krisen und Rückschläge nicht erspart bleiben werden, die Sicherheit bewahren und erwerben, sich selbst treu zu bleiben, sich nicht in naturfremde und darum auf die Länge unfruchtbare Betätigung einzwängen zu lassen, sondern ihre eigene organische und lebendige Form zu suchen.
Und so ist die Frauenbewegung mit der Verwirklichung des Frauenstimmrechts keineswegs zu Ende. In gewissem Sinne beginnt sie erst – nämlich nun erst im äußeren Besitz aller Möglichkeiten und in der freien Verfügung über den gesamten Schauplatz der Kultur.
Denn diese Gewährung der gleichen rechtlichen Möglichkeiten gewährleistet an sich noch keineswegs die tatsächliche freie Auswirkung der Frau. Daß dem nicht so ist, daß vorläufig nur eine formale, eine papierne Lösung erreicht ist, wird schon heute deutlich. Denn schon setzt überall, auch bei den Parteien, die als Konsequenz ihres Systems die Gleichberechtigung der Geschlechter zum Programmpunkt gemacht hatten, die Tendenz zur Zurückdrängung der Frauen ein, die sich übrigens von Anfang an in ihrer Fernhaltung von einflußreichen, leitenden Stellen kenntlich machte. Ganz abgesehen von dem natürlichen männlichen Egoismus und Machtwillen, der darin hervortritt, ist zuzugeben, daß die gegenwärtige Konstruktion der Welt, die auf Machtinstinkten beruht, weit mehr Raum für die Eigenart des Mannes bietet, der sie geschaffen, ja daß sie in ihrer gegenwärtigen Struktur nur unter seiner Herrschaft weiterbestehen kann. Eben hier aber setzt ja die Frauenbewegung, in ihrem tiefsten Sinne erfaßt, ein: sie will aus der Welt des Mannes eine Welt schaffen, die das Gepräge beider Geschlechter trägt, eine Welt, in der die Frau nicht nur formale Gleichberechtigung hat, sondern in der eine sittliche und soziale Gesamtanschauung herrscht, die ihren Maßstäben die gleiche Geltung zugesteht wie denen des Mannes. Erst wenn das durchgeführt ist, steht die Frauenbewegung an ihrem Ziel.
Von hier aus ergibt sich ein Rückblick auf den Weg, der in diesem Buch gekennzeichnet ist, und die Zusammenfassung seines Inhalts unter einem grundsätzlichen Gesichtspunkt. Es hat die Frauenbewegung gezeichnet, wie sie, dunkel oder klar erfaßt, von dem Bewußtsein einer Sonderausgabe der Frau im Kulturleben getrieben wurde. An allerlei Hilfskonstruktionen, wie sie die »Menschenrechte«, die humanistische Persönlichkeitsidee, der romantische Subjektivismus darstellen, suchte und fand sie einen äußeren Halt, bis sie für die intuitiv erfaßte leitende Idee: Weiblichkeit als Kulturform, tastend und vielfach in die Irre gehend, schließlich die entsprechende Form fand. Bis ihr die klare Erkenntnis von der wesentlichsten Aufgabe kam, die die Frauen im Staatsorganismus zu erfüllen haben.
Die Erkenntnis nämlich, daß es nicht nur auf die Freiheit der Arbeit, der Berufswahl, auf die Beteiligung an der Bewältigung der äußeren Maschinerie des Staatslebens, kurz auf den Anteil der Frau an den bisherigen männlichen Vorrechten ankommt, nicht nur auf die praktische Durchführung des Gedankens, daß Frauen viele als männlich abgestempelte Berufe und Gebiete ebenso gut ausfüllen können als Männer, sondern auf die positive eigenartige Leistung, die die Frauen, und nur sie, zur Gestaltung der Kulturwelt beitragen können. Nur diese besondere Leistung wird, einmal durchgesetzt und anerkannt, den Frauen dauernd ihren Platz im öffentlichen Leben sichern können; nicht »Ritterlichkeit« oder konsequente Systematik, sondern einzig und allein die Bedeutung für das Gemeinschaftsleben, für die sie den Beweis zum größten Teil noch zu erbringen haben.
Wo die Grundlagen zu dieser eigenartigen, durch keinen Mann zu ersetzenden Leistung zu finden sind, liegt auf der Hand. Die besonderen weiblichen Aufgaben im Gemeinschaftsleben müssen aus dem erwachsen, was aus dem tiefen mütterlichen Urgrund der Frau immer wieder herausquillt: aus ihrem innerlichsten Gefühlsanteil am Leben, an seiner Entfaltung und glückhaften Entwicklung, an seiner Bewahrung in Reinheit und Schönheit. Dieses Gefühl, das den Gegenpol bildet zum Sachinteresse des Mannes, zu seiner sowohl abstrakter als realer bestimmten Richtung, muß, wie es sich in engster persönlicher Berührung als die tiefste, ausschlaggebende Triebkraft der Frau erwiesen hat, auch im Gemeinschaftsleben seine Sphäre ausfüllen dürfen. Und es gibt kaum ein Gebiet des öffentlichen Lebens, das nicht in diesem Sinne des Einflusses der Frau bedürfte; weite Gebiete aber, wo sie nicht nur helfend und ergänzend, sondern bestimmend und leitend wirken müßte, wenn die jetzige Erstarrung sich in Leben umsetzen soll.
Wir sind noch weit davon entfernt, nicht nur, daß die Männer, sondern auch, daß alle Frauen diese Tatsachen mit der zwingenden Klarheit erkennen, die unwiderstehlich zum Handeln treibt. Sehr viele Frauen sind der Periode der bloßen Nachahmung männlicher Handlungsweisen und Methoden noch nicht entwachsen; sie laufen nach Naumanns treffendem Ausdruck noch »im Schematismus des Männerdenkens« umher und fallen damit für die Aufgabe einer Gestaltung »weiblicher Kultur« aus. Wenn auch die Zeit im allgemeinen vorüber ist, in der die Frauen »den sklavischen Ehrgeiz« hatten, zu schreiben wie ein Mann, vielleicht sogar durch männliche Pseudonyme zu erkennen gaben, »daß sie von dem eigentlich Originellen und spezifisch Bedeutsamen, das sie als Frau leisten können, keine Ahnung haben« (Simmel), so trifft doch gerade diese Ahnungslosigkeit immer noch in hohem Grade zu. Unser verfehltes weibliches Erziehungssystem, durch das die Mädchen gerade im Entwicklungsalter in ihrem naiv weiblichen Empfinden, ihrer Denk- und Gefühlsrichtung, ihrer ganzen Einstellung zu ihrer Umwelt ihnen selbst unbewußt unmerklich aber sicher abgelenkt werden, die ganz einseitig männlich bestimmte Richtung ihrer Studienjahre lassen viele erst auf Umwegen und unter schwerem Zeitverlust zur Besinnung auf ihre Eigenart kommen, um so mehr als sie ihnen von klein auf in einem Zerrbild gezeigt wurde und sie so um das unbekümmerte Selbstvertrauen gekommen sind, das dem eigenen Urteil die erste Stimme zuerkennt. Da liegt – darauf sei auch in diesem Zusammenhang nochmals hingewiesen – die Grundbedeutung der Forderung, daß die Frauen das Mädchenschulwesen ebenso selbständig gestalten, leiten, beaufsichtigen müssen, wie die Männer das Knabenschulwesen.
Erst ein zu vollem Bewußtsein seiner Eigenart und der damit zusammenhängenden Kulturaufgabe gelangtes Frauengeschlecht wird imstande sein, diese dann auch voll durchzuführen, vorausgesetzt, daß es ihm gelingt, auch den Mann von der Notwendigkeit und Möglichkeit einer so bewirkten Umgestaltung des Gemeinschaftslebens zu überzeugen. Das wird nicht eben leicht sein. Bis jetzt ist ihm diese Frage kaum als Denkproblem erschienen – und das wäre, in Deutschland wenigstens, der Anfang. Der einzige Philosoph, der die Frage einer besonderen »weiblichen Kultur« Zuerst erschienen im »Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik«, XXXIII. Band, I. Heft, Tübingen, J. C. B. Mohr, 1911. Dann in »Philosophische Kultur«, Leipzig 1911. einer wirklichen Untersuchung unterzogen hat, ist Georg Simmel, und er hat aus seiner Untersuchung nicht einmal die uns ganz unausweichlich scheinende Folgerung gezogen. Immerhin sind die von ihm aufgestellten Prämissen bedeutungsvoll genug, um sie hier zu zitieren und zum Ausgangspunkt weiterer Folgerungen zu machen.
Simmel geht davon aus, daß die Kultur der Menschheit auch ihrem reinen Sachgehalt nach sozusagen nichts Geschlechtsloses ist, sondern mit Ausnahme ganz weniger Gebiete ist unsere objektive Kultur durchaus männlich. Und der Kern der ganzen Frauenfrage, der Drehpunkt des Verhältnisses zwischen der Frauenbewegung und der objektiven Kultur ist die Frage, ob die Frauen diese vermehren – d. h. etwas leisten können, was die Männer nicht können. In den Lücken, die die männliche Leistung läßt, kann eine originale weibliche Leistung erwachsen. Sehr richtig empfindet Simmel schon die Berufstätigkeit des weiblichen Arztes, des weiblichen Geschichtsforschers als andersartig, daher auch als ein Mittel einer qualitativen Mehrung der entsprechenden Kulturgebiete. Aber das einzige große, objektive Gebilde, bei dem nach Simmels Darlegung die Frau im großen Sinne kulturschöpferisch gewesen ist, ist das Haus. »Es gibt«, so führt er ans, »wenigstens innerhalb der entwickelteren europäischen Kultur – kein Interesse, keinen Gewinn oder Verlust äußerer oder innerer Art, kein von den Individuen irgend berührtes Gebiet, das nicht, mit allen anderen zusammen, in die Synthese des Hauses einströmte, keines, das nicht irgendwie in ihm abgelagert wäre. Dies nun zustande gebracht zu haben, ist die große Kulturleistung der Frau. Hier ist ein objektives Gebilde, dessen Eigenart mit nichts anderem verglichen werden kann, durch die besonderen Fähigkeiten und Interessen, Gefühlsweise und Intellektualität der Frau, durch die ganze Rhythmik ihres Wesens geprägt worden.« Das steht ihm historisch fest. Nun handelt es sich ihm darum, die Zukunftsmöglichkeiten zu ermessen, die darüber hinaus für eine objektiv weibliche Kultur bestehen, d. h. »für die Produktion solcher Inhalte, die die Männer prinzipiell als solche nicht leisten können. Führte die neu erstrebte Bewegungsfreiheit der Frau zu einer Objektivation des weiblichen Wesens, wie die bisherige Kultur eine solche des männlichen Wesens ist, so wäre damit freilich ein neuer Weltteil der Kultur entdeckt. Nicht ein ›selbständiges Menschentum‹, das man von einem anderen Standpunkt aus als das Ideal der Frauenbewegung bezeichnet hat, sondern ein ›selbständiges Weibtum‹ kann uns hier als ein solches Ideal gelten.« Er erkennt dabei an, daß zur Herauslösung eines solchen Ideals zunächst die volle Beseitigung aller äußeren Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern Vorbedingung ist, ehe »die neue Synthese: eine objektive Kultur, die mit der Nuance des Weiblichen bereichert ist«, sich bilden kann; seltsamerweise zieht er aber aus seinen eigenen Prämissen nicht die Folgerungen, die die Frauenbewegung längst intuitiv gezogen, wenn auch nicht immer theoretisch festgelegt hatte.
Diese Folgerungen scheinen ganz unausweichlich, wenn wir – und das müssen wir – die durchgängige Einheitlichkeit des weiblichen Seins zugeben, so müssen aus dem Grunde, aus dem die erste Kulturtat der Frau erwachsen ist, auch die objektiven Werte erwachsen, die sie dem Gemeinschaftsleben zu bieten hat. Und wenn es im Haufe ihre geistige Mütterlichkeit, ihr Interesse am Ganzen des Lebens war, die sie schöpferisch werden ließ, so ist das Gleiche für das Berufs- und Gemeinschaftsleben zu erwarten, wenn sie dafür Spielraum erhält, wenn sie in die große Gesellschaftsordnung noch einmal alle die Kräfte einführen darf, die den geistig-sittlichen Untergrund der Familie gebildet haben. Vgl. dazu: »Steht die Frauenbewegung am Ziel oder am Anfang?« und »Phasen des weiblichen Kulturbewußtseins« von Helene Lange. F. A. Herbig Verlag, Berlin W 35.
Und in der Tat hat die bisherige Auswirkung des Frauenstimmrechts, soweit sich darin ein spezifischer politischer Wille der Frauen kundgibt, diesen Gedankengang bestätigt. Für die Tätigkeit unserer deutschen weiblichen Abgeordneten ist das schon nachgewiesen; im Ausland, wo man ja zum Teil schon auf eine relativ lange parlamentarische Frauentätigkeit zurückblicken kann, ist es gleichfalls von dem Augenblick an nachweisbar, der den Frauen das Stimmrecht brachte.
Man kann vielleicht alle Schritte und Initiativen, die von weiblichen Parlamentsmitgliedern oder weiblichen Wählern oder weiblichen Stadtverordneten im Ausland ausgegangen sind, als Ausdruck einer gemeinsamen Idee oder eines einheitlich gerichteten Willens auffassen: Die mütterliche Politik verlangt, daß der Staat der Familie hilft, ihre verschiedenen Aufgaben, der Erziehung, der Gesundheitspflege, der Ernährung usw. usw. zu erfüllen. Die mütterliche Politik bekämpft alles, was diese Mühe und Sorge der Familie für alle diese Dinge hindert und hemmt und erschwert.
Die weiblichen Volksvertreter und die politischen Frauen des Auslandes haben natürlich je nach Parteistellung sich für alles mit eingesetzt, was von allgemeinen politischen Zielen da war. Sie haben aber ein paar große Gebiete für ihr eigenstes Feld gehalten, und das ist: Kinderschutz und Erziehung, Volksernährung, Mutterfürsorge.
Die Frauen haben sich dafür eingesetzt, daß nicht die Industrie mit ihrer gewerblichen Kinderarbeit, der Alkohol- und Tabak-Handel mit ihrer Versuchung, gefährliche Vergnügungen wie die Spielbanken, und die legalisierte männliche Genußsucht die Mühe der Mütter um Gesundheit und sittliche Kraft ihrer Kinder immer wieder vereitelt. Die amerikanischen Frauen haben für die Einschränkung der Kinderarbeit, für das Alkoholverbot, für die Schließung der Spielbanken und Spielhallen, für die Erhöhung des Schutzalters der Mädchen gearbeitet. Ferner ist die ärztliche Untersuchung von Schulkindern, die Einrichtung von Kindergärten, die Organisation der Fürsorgebestrebungen für die verlassene und verwahrloste Jugend unter lebhafter Beteiligung, zum Teil auf Initiative der Frauen eingeführt. Ebenso energisch arbeiten sie für die öffentliche Gesundheitspflege. Sie setzten sich für Sanitätsinspektion in Wohnungen, Nahrungsmittelgewerben usw. ein. Sie führten hygienischen Unterricht in die Schulen ein, und manche von den vorbildlichen rassehygienischen Maßnahmen der Vereinigten Staaten (Anzeigepflicht bei venerischen Krankheiten) sind auf ihre Initiative zurückzuführen. Das alles sind Einzelbeispiele aus der Politik der Mütter, die man beliebig vermehren könnte, und die im kleinen und großen illustrieren. Allenthalben, auch in den europäischen Staaten und australischen Staaten benutzten die Frauen die erlangte Macht, um endlich einmal eine ordentliche Regelung des Hebammenwesens von Staats wegen durchzusetzen. Auffallend ist, wie in der gesetzgeberischen Mitwirkung der Frauen als Objekt die Mutter eine viel größere Rolle spielt als die Interessen der erwerbstätigen Frauen. Wo die Masse der Frauen durch das Stimmrecht auf die Gesetzgebung Einfluß gewinnt, da sind eben doch die Mütter in der Majorität, und die großen allgemeinen Fraueninteressen, nicht etwa die der einzelnen Berufsgruppen, stehen im Vordergrund.
Und zwar setzt das Frauenstimmrecht das Mutter- und Hausfraueninteresse nicht nur direkt und unmittelbar in politische Macht um, auch in einem mittelbaren und weiteren Sinne ist die selbständige Staatsbürgerin die Vertreterin des Mütterlichen in der Gesetzgebung. Denn die Frauen sind die eigentlichen Vertreterinnen des sozialen Gedankens und aller Forderungen, die sich daraus entwickeln. Der soziale Mittlerdienst aller Bildungsfragen und der Sozialpolitik ist das, was ihnen am nächsten liegt, denn beides dient unmittelbar der Pflege des Menschen, nicht der bloßen Sache, der Güteranhäufung und Verwaltung.
Vielleicht kann man geradezu sagen: die große Bestimmung, die allerletzte und zentralste Mission des weiblichen Staatsbürgertums ist es, jenen Grundsatz zur Geltung zu bringen, den Ruskin in das Wort faßt: »Es gibt keinen größeren Reichtum als das Leben.«
Und man kann sagen: keine Zeit hat das Gegengewicht dieses Gedankens nötiger gehabt als die unsere. Keine ist so sehr in Gefahr gewesen, die objektiven Mächte: den Staat, den Handel, die Technik, den Verkehr zum Selbstzweck zu machen, dem die Menschen als Mittel und Werkzeuge untergeordnet werden. Keine Zeit hat es nötiger, die großartige Frage der Bibel: ob nicht das Leben mehr sei als seine Mittel, wieder besser zu beherzigen.
Wenn ein politischer Frauenwille entsteht, wirklich aus dem Wesen der Frauen selbst heraus als selbständige Kraft, so wird er der Träger dieses Gedankens sein.