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Als Rolf bei Beginn der Verhandlung hineingeführt wird, wendet er sich mit suchenden Augen im aschfahlen Gesicht zu den Bänken der Zuhörer. Er sieht seine Loni nicht. Dann hört er den Vorsitzenden sagen: Die Frau des Angeklagten habe ein ärztliches Attest gesandt, sie sei von ihrer Entbindung her noch leidend. Gerichtshof, Staatsanwalt und Verteidigung verzichten auf die Zeugin.
Er wird vernommen. In kargen, widerwilligen Antworten gibt er alles zu.
Und regungslos folgt er auf seiner Armesünderbank dem Drama seines Lebens bis zum Ende. Nur als der Vorsitzende am Schluß ihn fragt:
»Angeklagter von Roem, haben Sie noch etwas anzuführen?« da richtet er sich hoch auf und erwidert mit fester Stimme:
*
Zehn Monate später schlich in der siebenten Stunde eines Märzabends ein blasser, müder Mensch vom Bahnhof her die Potsdamer Straße entlang. Als er die Brücke des Kanals passiert hatte, bog er nach rechts ab.
Und wieder ging Rolf den Weg, den er vor fast zwei Jahren zum erstenmal mit Loni gegangen.
Nichts hatte sich geändert, alles wie damals, nur sein eigen Leben war zerbrochen.
Und dennoch sah er der Zukunft mit Vertrauen entgegen.
Denn er rechnete auf sein Pflichtteil; sein Verteidiger hatte ihn darauf aufmerksam gemacht, daß er es fordern konnte. Und wenn es auch nur drei Achtel des Vermögens betrug, so war es immerhin weit mehr, als er von seiner Mutter als Erbe erhalten hatte.
Nur eins saß ihm wie ein Stachel im Herzen, – Mandi. War er schon frei? Er konnte sich nicht mehr so recht besinnen, was Loni ihm darüber gesagt hatte. Mandi war seine Sorge gewesen in mancher schlaflosen Nacht, bis er sich schließlich selbst Trost suggeriert hatte, um nicht ganz zu verzweifeln. Was hatte Loni an diesen Mann gefesselt? Daß er stark, daß er ein Verbrecher war, von dem Nimbus des Abenteurers verklärt. Aber war er, Rolf, ihm darin nicht ebenbürtig geworden? Hatte er nicht weit mehr Mut und Geistesgegenwart bewiesen als dieser Hochstapler, der jeder Gewalt vorsichtig auswich? Wie oft war Mandi ertappt worden, hatte er seine Tat hinter eisernen Gittern büßen müssen, während die Polizei noch immer vergeblich auf den kecken Fälscher des Sparkassenbuches fahndete! Nein, er sah dem Gegner jetzt ruhig entgegen, er fürchtete ihn nicht mehr.
Doch als er nun im Dunkeln über den Damm der Spichernstraße hinweg zu seinem Hause hinübersah, da rang er doch nach Atem. Er trug denselben Anzug und Mantel, in dem er verhaftet worden war, dazu eine abgetragene Reisemütze, die ihm ein Wärter überlassen hatte. Fest hafteten seine Augen auf den Fenstern unter dem hohen Dach, an dem goldenen Gitter des kleinen Balkons vor Lonis Schlafzimmer, aus dem das Licht ihm durch den gelbseidenen Vorhang zu winken schien.
Er stieg die Treppen hinauf, ohne den Fahrstuhl zu benutzen; er schämte sich vor dem Pförtner. Oben läutete er zaghaft.
Frau Roller öffnete ihm. Einen Augenblick starrte sie ungewiß in sein durch die Gefängnishaft verändertes Gesicht mit den scharfen Falten um den Mund und den großen, scheuen Augen; dann schlug sie überrascht die Hände zusammen.
»Der Herr«, sagte sie wie versteinert. Dann aber eilte sie, als flüchte sie sich, an Lonis Schlafstube und rüttelte an der verriegelten Tür. »Der Herr«, wiederholte sie kreischend. »Loni, Loni, dein Mann ist da!«
Eine Weile herrschte Totenstille. Dann hörte er Lonis Stimme, gepreßt, unsicher:
»Gleich, – ich komme gleich!«
Die Stimme jagte ihm einen Schauer über den Leib. Er wollte hinstürzen, die Tür aufsprengen, Loni mit Küssen bedecken; aber er blieb regungslos stehen. Eine lähmende Furcht hatte ihn befallen.
Liebte sie ihn noch, oder hatte ein anderer inzwischen ihren roten Mund geküßt, ihr goldenes Haar durch seine fiebernden Hände gleiten lassen? Wo war sein Kind, von dem er nicht einmal wußte, ob es ein Knabe oder ein Mädchen war?
Vor ihm lag die kleine, mit den zierlichen Korbmöbeln besetzte Diele . . . Alles wie sonst, alles so friedlich, so gewohnt das Bild, als habe er sein Heim erst vor einer Stunde verlassen . . .
Er schritt über die Diele und wollte eben in die Wohnstube treten, als er zurückfuhr.
In einem Wiegestuhl saß ein hoher, schlanker Herr im evening-dress, mit bartlosem, scharfgeschnittenem Gesicht. Das funkelnde Monokel saß wie festgewachsen, das etwas dünne Haar war sorgfältig gescheitelt; den rechten Fuß im blinkenden Lackschuh und grauseidenen Strumpf über das linke Knie geschlagen, betrachtete er liebevoll seine mandelförmigen, gepflegten Nägel.
Betroffen stand Rolf an der Tür. Jetzt erst wurde er sich seines ihm um die Glieder schlotternden, zerdrückten Anzugs, seiner ganzen verwahrlosten Erscheinung bewußt; dort hinter den Mauern war er Nummer 818 gewesen, nicht besser, nicht schlechter als jeder andere.
Der Herr vor ihm hob die schwarzen Augen; und ohne ein Zeichen der Verwunderung, ohne sich auch nur zu bewegen, sagte er gelassen, mit gutmütigem Spott:
»Sieh da, le patron, das Haupt der Ehe, sittlich geläutert durch den modernen Strafvollzug. Il n'y a que les morts qui ne reviennent pas.«
Im selben Moment erkannte Rolf den Mann, dessen Bild in Lonis Stübchen über dem Bett gehangen hatte und dann mit einmal verschwunden war. Und er wußte: Vor ihm saß Mandi, der Hochstapler, den seine Frau einst geliebt!
Er hatte sich immer den Augenblick seines Zusammentreffens mit diesem Dämon, den Lonis grenzenlose Bewunderung und seine eigene eifersüchtige Phantasie ins Riesenhafte verzerrt hatte, als etwas Ungeheures, als eine Katastrophe vorgestellt. Und nun sah er einen Gentleman vor sich, genau wie alle anderen, der sich nicht die Spur von Mühe gab, ihm gegenüber den Giganten zu spielen. Aber gerade dieser Eindruck der vollkommenen Nichtachtung ließ in Rolf den alten, glühenden Haß gegen ihn doppelt stark auflodern. Von nebenan klangen leise, zischende Stimmen herein, Lonis hastige, verstörte Fragen, Frau Rollers abgehackte Antworten.
»Nehmen Sie Platz, mon prince,« fuhr Mandi gleichmütig fort, »tun Sie, als ob Sie zu Hause wären.«
Rolf wollte auffahren, sich diesen Ton verbitten; aber die Zunge klebte ihm am Gaumen. Stehend heftete er die großen, umschatteten Augen fest auf die Tür, durch die Loni jeden Augenblick eintreten mußte.
»Alles in allem kommen Sie uns höllisch ungelegen, mein Freund«, fuhr Mandi fort. »Sosehr Ihre Gegenwart uns ehrt, – ich bin nun einmal nicht für einen ménage à trois! In fünf Minuten fahren wir in die Oper. Vielleicht halten Sie sich inzwischen an Frau Roller, die alte Hexe? Elle vous fera ses yeux sur le plat; und wenn einer ein Jährchen hinter schwedischen Gardinen saß, dann sieht er Helena in jedem Weibe. Ich bin darin einigermaßen kompetent.«
In Rolf kochte es, »Ich brauche Frau Roller nicht«, antwortete er barsch, wenn auch mit klopfendem Herzen. »Meine Frau bleibt hier.«
Mandi lehnte sich gelangweilt in seinen Wiegestuhl zurück, blickte angelegentlich zur Decke hinauf und pfiff leise ein französisches Chanson:
Mariette,
Ma p'tit' Mariette,
J't'offre mon cœur et ma galette . . .
Mandis sichtlicher Hohn raubte Rolf die Überlegung. Er trat einen Schritt auf den verhaßten Menschen zu. »Sie ist mein Weib«, sagte er in unterdrückter Wut. »Mein Weib!« wiederholte er schreiend. »Hinaus mit Ihnen, – Sie haben hier nichts zu suchen!«
Aber plötzlich näherten sich eilige Schritte. Ein Kleid rauschte, Loni stand in der Tür.
Nie in seinem ganzen Leben hatte Rolf sie so schön gesehen wie heute, in dem Kleid von blaßblauer Seide, das, über den bloßen Armen von schmalen Brillantspangen gehalten, die Büste fast ganz frei ließ und in seinem engen Schnitt jede Linie ihres Körpers verriet. Sie war schlanker als einst; ein ängstlicher Zug in ihrem blassen Gesicht gab ihr einen doppelt lieblichen Ausdruck.
Ihre Augen flogen unruhig zwischen den beiden Gegnern hin und her.
Er wollte auf sie zueilen, aber seine Füße waren wie festgewurzelt. Mit gierigen Augen trank er ihr Bild.
Georges Mandi stand auf und zog sich den Frack zurecht; gleichgültig pfiff er sein Liedchen vor sich hin:
Mariette,
Ma p'tit' Mariette . . .
»Ich will Herr sein in meinem Haus«, wiederholte Rolf mühsam. Er konnte kaum sprechen; ihm war, als würde ihm ein glühendes Eisen durch die Brust gestoßen. Mit aller Kraft wehrte er sich gegen den Gedanken, daß er Loni lästig kam, und doch sagte ihm eine innere Stimme, daß er nichts mehr zu hoffen hatte.
»Mein Kind,« sagte Georges Mandi jetzt eisig zu Loni, »du weißt, der Rosenkavalier hat keine Ouvertüre. Come along, – tant de bruit pour une omelette!«
Und ihres Gehorsams sicher, ging er voran.
Loni folgte ihm; und während sie an Rolf vorüberkam, fuhr sie ihm heimlich durch das Haar, mit ihrer altgewohnten, lieben Bewegung.
»Armer Junge,« sagte sie leise, »armer Rolf! Sei lieb, – morgen ist auch noch ein Tag.«
Rolf hörte die Tür ins Schloß fallen. Als alles wieder ruhig war, setzte er sich still auf einen Stuhl; und mit einmal gaben seine Nerven nach. So hilflos, so verzagt jammerte er auf, daß Frau Roller mit der knisternden Pfanne in der Hand erschreckt zu ihm hineinstürzte.
Dann saßen sie beide am Tisch, unter dem freundlichen Schein der elektrischen Ampel.
Vergebens redete Frau Roller ihm zu, von den Setzeiern vor ihm zu kosten: »Essen Sie doch, Herr von Roem, immer ein Häppchen nach dem andern! Wer langsam ißt, lebt lange.« Er konnte es nicht; Lonis blendende Erscheinung, ihre willenlose Scheu, die ihn erdrückende Überlegenheit Mandis kreuzten sich wirr in seinem Hirn.
Und dazwischen klang das Geschwätz der Mutter Roller, die nach Art der Frauen aus dem Volke darauf brannte, ihre Neuigkeiten vor ihm auszukramen.
»Ich mag den Halunken nicht«, hörte er sie sagen. »Mich hat er von Anfang an wie ein Bund Flicken behandelt. Und heute hat er mir zum Letzten gekündigt, ohne die Loni auch nur zu fragen. Jetzt kann ich auf meine alten Tage wieder waschen gehen. Seitdem der Kerl hier ist,« fuhr sie giftig fort, »hat er die Loni wieder ganz unter.«
Rolf hob langsam den Kopf. »Unter?« fragte er mit beklommener Stimme.
Aber Frau Roller war einmal im Zuge. All der Groll, den sie drei Monate lang in sich hineingefressen hatte, wollte sich Luft machen.
»Den ersten Tag gleich«, redete sie eifrig fort, »hat er mich hinausgesetzt und in meine Küche gejagt; ein anderer brüllt wenigstens dabei, aber dieses Ekel hat eine ganz scheußliche Mode, einem mit drei Worten, mit einer Handbewegung Beine zu machen. Seitdem zittern wir schon, wenn er bloß hustet. Von Freude und Glück steht da nicht viel drin. Und dabei haben wir's doch so gut gehabt, eh' der uns in das Haus schneite.«
»Wo ist das Kind?« schnitt ihr Rolf plötzlich das Wort ab.
»Kommt schon, kommt schon«, antwortete Frau Roller nach kurzem Stutzen. »Also,« – sie holte tief Atem – »von dem Unglückstage damals, da wollen wir gar nicht von reden. Hier die Loni, die denkt, sie soll gleich sterben, und draußen der Schutzmann, der Sie am Schlafittchen hatte. Zehnmal sind sie noch fragen gekommen, immer wieder holten sie uns oben aufs Präsidium, aber nach dem Geld und der Brieftasche sehen sie sich heut noch um; die habe ich leer in demselben Feuer verbrannt, auf dem das Wasser für das Kind stand. Und die Sechstausendfünfhundert hab' ich gleich in die Matratze genäht, ohne daß die Loni in ihren Schmerzen überhaupt was gemerkt hat.« Frau Roller lachte herzlich auf.
Rolf preßte die Fäuste gegen die Stirn: eine dumpfe, unbestimmte Angst sagte ihm, daß alles, was er bisher erlitten, nichts sein würde gegen diese Stunde, in der er seine Schuld erst in Wahrheit büßte.
»Und das Kind?« fragte er zum zweitenmal.
Frau Roller ließ sich nicht stören. »Na also, – die erste Zeit langte das Geld ja zur Not, trotz der Unmasse Schulden, die wir hatten; aber schließlich wurde doch der letzte braune Lappen angerissen. Da hat sich denn zu unserm Glück ein galizischer Graf hier angefreundet, ein junger Dachs, der in Berlin studierte, – zu nett war der zu der Loni. Aber die, – ›immer drei Schritt vom Leibe, Herr Graf‹, das muß ich sagen; vorgekommen ist da auch nicht ein Tittelchen, bis er dann Knall und Fall nach Hause geholt wurde, weil er zu viel verjuxt hatte.
Wie nun der Graf fortgemacht war, da kam Holland wieder in Not. Die Polizei sah uns noch immer höllisch auf die Finger und wollte absolut wissen, wovon die Loni eigentlich lebte. Besonders der Leutnant vom Revier da drüben, ein hübscher, großer Mensch, der konnte nicht oft genug kommen. Aber wenn auch die Loni noch so geschickt mit ihm Katze und Maus spielte, geholfen war uns damit nicht. Und eines schönen Abends, als wir wieder so hin und her spintisieren, fällt mein Blick zufällig auf die Zeitung. Da steht ein Inserat: Junge sympathische Dame als Privatsekretärin bei hohem Gehalt gesucht. ›Schade, Loni,‹ sag' ich, ›daß du das nicht gelernt hast.‹ Aber ein Wort gibt das andere, und am nächsten Morgen ziehn wir sie an, – kurzen Rock und Matrosenbluse, Mozartzopf und englischen Strohhut, – wie'n Backfischchen, sag' ich Ihnen, Herr von Roem, einfach zum Anbeißen! Und der Racker geht wirklich los. Sie hat mir alles nachher erzählt. Also sie kommt zu einem alten Knacker, Talermillionär, pikfeines Privatkontor, Lieberg hieß der Narr. Da macht sie denn ihren Knicks und sagt ganz keck: ›Stenographie versteh' ich nicht, und von Maschine hab' ich keine Ahnung. Aber Sie sollen trotzdem mit mir zufrieden sein.‹ Und was sagen Sie bloß, der Esel greift wirklich zu! Hundert Mark den Monat, gerade genug zum Verhungern, aber etwas hatten wir ja noch selbst; und Loni sagt: ›Laß mich nur machen, der Alte hat die richtigen Augen!‹ Und tatsächlich, – es dauert keine acht Tage, da läßt er sie unterrichten, und heute ein Theaterbillett und morgen Blumen und einen Goldfuchs extra. Aber meine Loni, – rühr' mich nicht an, – genau wie bei dem Grafen! Vier Wochen darauf zahlt ihr der Lieberg hundertfünfzig, dann zweihundertfünfzig; dabei hatte der Kerl zu Hause schon die dritte Frau, eine nette, feine Madam. Und denken Sie sich,« – Frau Roller triumphierte förmlich – »eines schönen Tages sagt ihm die Loni frech ins Gesicht, daß sie schwanger ist.«
Rolf stierte Frau Roller entsetzt an. Ein Stöhnen, wie das Klagen eines verwundeten Tieres, ließ sie innehalten. Sie sah sofort, was sie angerichtet hatte.
»Aber nein doch,« stotterte sie hastig, »was Sie denken, das ist doch nicht! Sie hat ihm ganz einfach gesagt, das Kind sei noch von ihrem geschiedenen Mann. Es war ja kein Wort daran wahr, sie hatte so wenig eins wie ich. Also,« redete sie Hals über Kopf weiter, um wieder ins rechte Gleis zu kommen, »der Alte hat sich schon so an sie gewöhnt, daß er sie nicht entbehren kann. Und auf ihr Bitten und Jammern schickt er sie mit dreitausend Mark nach Paris, um die Geschichte aus der Welt zu schaffen; da soll nämlich so etwas nie herauskommen, und der Dummkopf hatte Angst, daß er mit Loni vors Schwurgericht kam.
»Also meine Loni fährt richtig vom Potsdamer Bahnhof los, nach Paris. Die Hälfte von dem Geld verbraucht sie in acht Wochen, für die andere kauft sie sich Pariser Toiletten. Solch eine schlaue Krabbe! Für diese Kleider, die sie sich angeblich schon in Berlin hat zur Reise machen lassen, gab ihr die Schneiderin, die Haase, ein paar gepfefferte Rechnungen, und die hat der Alte dann der Loni noch obendrein bezahlen müssen. Der dachte ja, die Dreitausend wären für ganz was anderes draufgegangen. Aber schließlich muß er doch irgendwie den Schwindel gemerkt haben, – kurz, es gab einen Mordskrach, und – haben Sie Worte! – das Ende war, daß er der Loni fünftausend Mark auf den Tisch legte, weil sie ihm drohte, die ganze Geschichte seiner Frau zu stecken.
»Da hatten wir ja denn wieder fürs erste Luft. Eines Tages aber, ein Hundewetter war's, wie ich gerade vom Einholen komme, wer sitzt da friedlich in unserem schönsten Wiegestuhl und läßt den lieben Gott 'nen guten Mann sein? Unser Freund Mandi, Herr Georges Mandi aus Belgrad, – direkt aus dem Zuchthaus!
»Was soll ich noch weiterreden! Von dem Moment an stand hier alles Kopf. Er muß wohl was beiseitegebracht haben, denn Geld wie Heu hat er gehabt, – an die dreißigtausend Mark, sagt Loni; ganz neu hat er sie beide eingekleidet. Also dem Herrn Mandi paßt dies nicht und jenes nicht, und die Loni, die sich doch sonst wahrhaftig nicht die Butter vom Brote nehmen läßt, pariert ihm wie ein Affenpintscher. Warum, weiß ich selbst nicht; Sie müßten ihr einmal im Schlafe den großen Zeh halten, dann plaudert sie alle Geheimnisse aus. Ich kann Ihnen sagen, Herr von Roem, ich danke Gott, daß Sie jetzt wieder hier sind; denn ein gutes Ende nimmt das mit dem Mandi doch nicht. Der ist ja so ein ausgefeimter Spitzbube, nicht aus Noblesse ins Pech gekommen, wie Sie. Ich hab' aber genug von der Polizei, ich möchte meine alten Tage in Ruhe verleben. Und ist das nicht unerhört, – da tuschelt mir vorhin die Loni zu, ich soll Ihnen hinten in der Kammer ein Bett aufschlagen! Und vorn neben der Loni schläft der Schuft!«
Sie hielt plötzlich inne. Wieder hatte sie sich gegen ihre Absicht hinreißen lassen, aus Haß gegen Mandi mehr zu reden, als sie wollte.
Sie wagte lange kein Wort zu sagen. Jetzt reute es sie doch, daß sie dem Mann da vor ihr so viel enthüllt hatte; aber sie war wirklich der Meinung gewesen, ihnen allen damit einen Dienst zu erweisen.
Und sie hatte ja nur so wenig berichtet, hatte so viel verschwiegen, daß das Gesagte dagegen gar nicht ins Gewicht fiel.
Immer wieder hatte sie Loni dieselbe Komödie aufführen sehen.
Zuerst am späten Abend die Straßenbekanntschaft, die gnädige Frau, die als Strohwitwe, einer jähen Laune folgend, dem Kavalier ein Plauderstündchen gewähren will, – aber »So spät? Bedaure, völlig ausgeschlossen! Was soll mein Mädchen denn von mir denken! Ein korrekter Besuch, warum nicht? Morgen mittag? Ich bin bis eins zu Haus!«
Und dann am nächsten Tage im immer stürmischer werdenden tête-à-tête die völlig ahnungslose, die indignierte, beleidigte Frau, die ihre Harmlosigkeit verkannt, ihr Vertrauen gemißbraucht sieht, – jede einzelne Phase in ihrer Steigerung sorgfältig abgestimmt, ohne den geringsten falschen Ton, ohne die kleinste, ungeschickte Geste, genau bis zu der Grenze hinauf, auf der die Ware ihren Preis hält und der Käufer doch nicht abgeschreckt wird.
Dann, nach dem letzten Aufschrei tiefverletzter Frauenwürde das ebenso raffiniert abgestufte Entspannen des Bogens, der künstlerische Abklang vom Versagen zum Versprechen, vom Versprechen zum Dulden, bis hart an das Gewähren; und, knapp vor dem Unterliegen, die Beichte der unverstandenen, vernachlässigten, in materieller Sorge fast verzweifelten Frau, die Tag für Tag vergebens auf das Geld vom Gatten wartet, die kaum noch weiß, wie sie ihr Leben fristen soll. Und jedesmal dann die täuschend nachgemachte Perle, die Loni aus dem rosigen Ohr schraubte, um mit erstickter Stimme, in tödlicher Verlegenheit zu fragen, wer ihr auf dieses Pfand, die letzte kostbare Erinnerung an ihre unvergeßliche Mama, für wenige Tage wohl ein Darlehen geben würde.
Im Geiste sah Frau Roller alle die verschiedenen Typen, die sich mit dieser in verhaltenen Tränen hingehauchten Posse abzufinden hatten: Die wenigen, die in ehrlichem Mitgefühl einfach in die Tasche griffen, auf einem Zettel eifrig die Adresse gaben, »falls denn durchaus die gnädige Frau die Kleinigkeit erstatten will«; die Tastenden, Unschlüssigen, die sich nicht einig waren, ob sie nicht einen furchtbaren faux pas begingen, wenn sie dieser Lady ihre eigene Börse zur Verfügung stellten, die förmlich mit der Nase auf den ganzen Zweck der Übung hingestoßen werden mussten: die Rüden, die klirrend die Hälfte der erbetenen Summe auf den Tisch warfen, um dann sofort ihren Lohn zu fordern; die Knausrigen, bitter Enttäuschten, die in dem Abenteuer bei der distinguierten Frau ein kostenloses Amüsement erwartet hatten und nun mit tausend Entschuldigungen bedauerten, »zufällig rein nichts« bei sich zu haben, während ihre Hände hastig nach Hut und Stock griffen und ihre Augen in Angst vor einer Erpressung schon nach dem Ausgang glitten; und endlich die Viveurs im grauen Haar oder mit kahler Platte, die geduldig, ein diskretes Lächeln auf den Lippen, der alten, schon so oft von schönen Lippen gehörten Geschichte lauschten, wie der Theaterlöwe im Lustspiel aus jeder neuen Verwicklung erhöhte Gewähr für einen fröhlichen Ausgang schöpft, – Kenner der Frauen, denen ohne diese Szene direkt etwas gefehlt hätte, und die den melodramatischen Schluß der von dem eigenen Leide tief erschütterten jungen Frau mit dem einfachen, liebenswürdigen: »Pardon, – wieviel sagten Sie?« quittierten.
O nein, Frau Auguste Roller wußte zu schweigen, auch von dem Schmerzlichsten, den »Laufkunden«, die neben diesen Kavalieren und neben den ständigen Stützen des Haushalts, dem jungen galizischen Grafen, dem alten düpierten Lieberg und vielen anderen mit ihrem Auftauchen genau der Kurve des Kassenbestandes gefolgt waren. Und als sie nun sehen mußte, wie vergrämt und verstört Rolf trotz aller ihrer Diskretion vor sich hin starrte, stand sie auf und trat, um den Tisch herumkommend, zu ihm.
»Was ist denn nur los mit Ihnen?« fragte sie, sich in mütterlicher Sorge zu ihm hinabbeugend. »Sie müssen das alles, was hinter Ihnen liegt, vergessen und tapfer vorwärts gucken.«
Er blickte mit leiderfüllten Augen zu ihr auf. »Ich gehe wieder«, antwortete er mutlos. »Ich bin hier überflüssig.«
»Unsinn«, gab Frau Roller, jetzt wieder ganz die Alte, energisch zurück. »Holen Sie sich morgen einen Schutzmann und schmeißen Sie den Burschen 'raus. Sie dürfen Ihre Frau doch nicht im Stich lassen.«
Rolf schüttelte den Kopf. »Sie hat ihn noch immer lieb, Frau Roller«, sagte er traurig. »Und doch war sie meine ganze Hoffnung. So schön ist sie geworden, so wunderbar schön!« Ein unterdrücktes Aufschluchzen schnürte ihm die Kehle zu.
Frau Roller hatte sich dicht neben ihn gesetzt und streichelte ihm die mageren Hände.
Lange saßen sie so.
»Und das Kind?« fragte Rolf plötzlich zum drittenmal.
Die Frau beugte sich in raschem Entschluß dicht zu ihm hin.
»Ich will Ihnen etwas verraten, Herr von Roem«, sagte sie mit verhaltener Stimme. »Etwas, was Loni in Ihre Hand gibt, womit Sie sie zwingen können. Damals, als Loni niederkam, – was hab' ich mir bloß für Mühe gegeben! Das Zauberbuch hab' ich unter das Kopfkissen gesteckt; gleich, wie's Kind geboren war, hab' ich das Wurm auf die bloße Erde gelegt und mit Salzwasser gewaschen, damit sich's abhärtet. Was war der Dank? Am nächsten Morgen, in aller Frühe, da hör' ich mit einmal hier im Wohnzimmer ein Fenster zuschlagen. Ich wollte schon aufstehen und nachsehen; aber die Sache kam mir doch so verrückt vor, daß ich mich selber schalt und liegenblieb. Zwei Stunden nachher, als ich hier 'reinkomme, ist die Stube noch eiskalt. Ich binde mir natürlich die Loni vor; die gibt denn auch schließlich zu, sie hätte das Wurm spät abends in das Zimmer gebracht, weil es so schrie; es hat aber nicht geschrien, ich hätte das hören müssen. Geschlafen habe ich sowieso nicht viel nach all den schrecklichen Geschichten. Und von dem offenen Fenster wollte sie überhaupt nichts wissen. Zwei Tage darauf ist aber das kleine Ding auch richtig ungetauft an Lungenentzündung gestorben. Ein nettes Mädchen war's, rund wie ein Ei; eine Glückshaube hat es auch gehabt, und am nächsten Morgen standen Lämmerwölkchen am Himmel. Hundert Jahre wäre das alt geworden . . .«
Rolf hatte sich langsam aufgerichtet. Ein schneeweißes, verzweifeltes Gesicht blickte Mutter Roller entgegen. Und hilflos ließ er den Kopf auf die Arme sinken. Ein Löffel fiel klirrend zu Boden.
»Um Gottes willen,« sagte Frau Roller erschreckt, »wer einen Löffel herunterwirft, der stirbt bald.«
Doch als sie sah, daß er sich nicht regte, griff sie von neuem entschlossen ein. »So, Herr von Roem,« sagte sie bestimmt, »nun wissen Sie alles, auch, wie Sie die Loni zur Vernunft bringen können. Und damit ist's ein für allemal genug. Jetzt legen Sie sich hübsch in die Klappe. Morgen sieht alles anders aus.«
Er sah sie verständnislos an, aber er folgte ihr ohne Widerspruch. Und schweigend führte die Frau ihn in die Kammer und stellte zwei Töpfe umgekehrt auf den Tisch, damit er sofort einschlafe.
Als sie dann über die Diele an Mandis Zimmer vorüberging, da hob sie die geballte Faust; und zwischen den Zähnen stieß sie in grimmiger Befriedigung hervor:
»Na also, mein Lieber, – wer zuletzt lacht, lacht am besten!«
*
Es war spät, gegen zehn Uhr, als Rolf am nächsten Morgen seine Kammer verließ und in das Wohnzimmer trat; er hatte wie ein Toter geschlafen, seit langem wieder im weichen Bett. Noch lastete alles, was er vernommen, wie ein wüster Traum auf ihm; aber er hatte den festen Entschluß gefaßt, sich sein Recht zu wahren und reinen Tisch zu machen, mit Güte oder Gewalt.
Im Wohnzimmer saß Georges Mandi, eine Zigarette im Munde; das Monokel blitzte in der Morgensonne. Er hatte soeben gefrühstückt; ein Flakon mit Kognak stand vor ihm, sorgfältig von Frau Roller in Eis gekühlt. Denn mochte sie ihn hassen, soviel sie wollte, – den Mut hatte sie doch nicht, ihm auch nur den geringsten Grund zur Unzufriedenheit zu geben.
»Ah«, sagte Mandi und winkte Rolf herablassend zu. »Gut geschlafen, mein Freund?«
Rolf ging achtlos an ihm vorüber und setzte sich an den Tisch.
»Also heimgekehrt, Odysseus wieder bei seiner Penelope«, fuhr Mandi freundschaftlich fort. »Où peut-on être mieux qu'au sein de sa famille?«
»Wenn Sie die Sprichwörter so lieben, Herr,« versetzte Rolf barsch, »so denken Sie vielleicht auch an das andere: My home is my castle.«
»Sehr fein bemerkt«, erwiderte Mandi unbeirrt. »Sie haben einen glänzenden Humor, mein Lieber. Nur übersehen Sie, daß dieses etwas abgegriffene Wort zwischen uns ganz deplaciert ist. Sie müssen doch einen rührenden Optimismus besitzen, wenn Sie sich einreden, daß ich hier einfach warte, bis Sie die Gnade haben zu erscheinen, um als moderner Herkules den Augiasstall von mir zu reinigen. O nein! Décidément, mon cher, vous n'êtes pas de force à l'amour, je vous enforce. Diese Wohnung geht seit dem ersten Januar auf meinen Namen, und Loni ist polizeilich als meine Wirtschafterin gemeldet. Hier hab' daher nur ich mein home, ich bin der Glückliche, der hier au sein de sa famille sitzt. Und wenn Sie lästig werden, so dürfen Sie den Staub von Ihren Schuhen schütteln.«
»Mit Loni gern«, entgegnete Rolf höhnisch. »Ob Wirtschafterin oder nicht, – Loni gehört nach dem Gesetz zu mir. Ich geh' jetzt auf die Polizei, die wird Sie schon auf den Schub bringen.«
»Alter Freund,« versetzte Mandi aufstehend und sich ein Stäubchen vom Überrock wegknipsend, »Sie sind ja völlig auf dem Holzweg. Ich bin in sämtlichen Verbrecheralben der Welt die pièce de résistance und wohl so ziemlich in ganz Europa ausgewiesen, nur hierzulande nicht. Die Polizei hier, die zieht also bei mir nicht, die liebt mich direkt, daß ich so rücksichtsvoll bin und ihr keine Umstände mache. O nein, mein Bester, so leicht werden Sie mich nicht los.« Er ging quer durch das Zimmer.
Rolf sprang auf. »Aber was wollen Sie denn hier?« schrie er ihm verzweifelt nach.
»Nur eins, – meine Ruhe«, gab Mandi, an der Tür stehend, zurück. »Und hab' ich die nicht, so verschaff' ich sie mir. Good morning, sir!«
Und schon wollte er pfeifend hinausgehen, als er seinen Entschluß änderte und zurückkam.
Er nahm wieder Platz und schob Rolf einen Stuhl zu. »Sehen Sie, Verehrtester,« sagte er, »da schlürfen Sie zunächst mal diesen vortrefflichen Hennessy, und stecken Sie sich eine Zigarette an. Sie glauben nicht, wie das beruhigt. Wozu denn der Lärm? On entre, on crie, c'est la vie; on crie, on sort, c'est la mort . . . Den wilden Mann haben Sie ja schon einmal völlig erfolglos gemimt. Im Guten geht alles, sagte ein Freund von mir, sobald der Nachschlüssel faßte.«
Rolf schwieg. Er ahnte einen neuen Angriff, er war auf seiner Hut.
Mandi dehnte sich behaglich in seinem Sessel. »Was ich bin,« fuhr er fort, »das wissen Sie. Unzählige leben hochgeachtet von der Dummheit ihres Mitmenschen, ganze Industrien von seiner Eitelkeit, ich von seinem Leichtsinn. In meiner langen Karriere hab' ich noch kein Schloß erbrochen; ich bin mit dem zufrieden, was mir die Leute gutwillig spenden. Ist irgendwer so fahrlässig, beim Umkleiden die wohlgespickte Brieftasche im abgelegten Rock zu vergessen, ein Weib so töricht, auf Reisen ihren Schmuck im offenen Zimmer zu lassen, dann erlaube ich mir, ihnen für die Zukunft einen Denkzettel zu geben. So wirke ich direkt erzieherisch; und wenn das Gesetz in dieser Hinsicht nicht mit mir d'accord ist, so ist das einerseits unbequem, andererseits hält es mir aber die Konkurrenz vom Leibe. Ein Risiko hat schließlich jeder; der Kaufmann wagt sein Kapital, ich meine Freiheit. Ich habe von den vierzehn Jahren meines Lebens, seitdem ich mich für meine Branche entschied, vier im Gefängnis, drei im Zuchthaus verbracht, arbeite also mit fünfzig Prozent Spesen; das gibt mir das Recht, meine freie Zeit doppelt so intensiv auszunutzen, als irgendein anderer, doppelt mich zu amüsieren, doppelt zu genießen. Und diese Freude wollen Sie mir jetzt grausam vergällen.«
»Ich will nichts«, erwiderte Rolf verhältnismäßig ruhig, »als mein Recht.«
»Ja, sehen Sie, carissimo,« versetzte Mandi, nachdenklich den Brand seiner Zigarette musternd, »das ist ja eben der Punkt, in dem wir nicht ganz einig sind. Où est la femme, die blonde Loni, die augenblicklich nebenan den goldenen Morgen im bezaubernden Negligé begrüßt! Kein Zweifel, Verehrtester, Sie haben da einen Wisch im Kasten; aber trotz unserer leider erst so kurzen Bekanntschaft halt' ich Sie dennoch nicht für einen solchen Banausen, daß Sie auf einen Trauschein Wert legen, einen Papierfetzen desselben Staates, der Sie soeben Ihren amtlich verbrieften Liebesfreuden auf Jahr und Tag schnöde entzog. Mich persönlich hat dieses harmlose Dokument in meinen Beziehungen zu Loni ja nicht gestört, sonst, je vous l'assure, hätte Loni längst die Scheidung gegen Sie eingeleitet. Also von Ihren Eherechten wollen wir lieber schweigen; um die handelt es sich hier gar nicht, sondern um Loni selbst. Die Frage ist, wer von uns beiden sichert ihr die Existenz? Denn Sie können doch unmöglich verlangen, daß sie das mollige Nest verläßt, um draußen langsam an Ihrem pochenden Busen zu verhungern?«
»Ich werde mein Pflichtteil fordern«, gab Rolf stolz zurück. »Hunderttausende, genug für Loni und mich.«
Mandi horchte überrascht auf. »Also,« sagte er dann, wieder überlegen, »jetzt demaskieren Sie Ihre Batterien! Ich merke Morgenluft! Aber, mein Lieber, Sie denken sich die Sache wohl doch zu leicht. Vergessen Sie denn ganz die halbskalpierte Großmama? So einige Jahre werden Sie wohl erst kämpfen müssen, eh' die etwas herausrückt, falls Sie nicht gar als Verschwender unter Kuratel gestellt werden. Womit wollen Sie sich und der Loni inzwischen das Dasein verklären? Sie glauben doch nicht, daß Sie mit Ihrem Fleck auf der Ehre auch nur einen Pfennig gepumpt bekommen, oder daß irgendein Rechtsanwalt Ihnen diesen endlosen, zweifelhaften Prozeß um Ihrer schönen Augen willen führt? Und sonst? Sie sind gewiß une bonne tête, aber so eine – wie sagt ihr Deutschen doch? – so eine problematische Natur, das Ideal des Adressenschreibers im Verein für entlassene Gefangene, pro Tausend drei Mark. Da müssen Sie mir doch das Leben nicht allzu schwer machen, wenn ich ganz gegen meinen Vorteil Ihnen hier ein warmes, gemütliches Plätzchen und den Anblick Ihrer charmanten Gattin gönne. Ich rechne ja nicht auf Ihre Dankbarkeit, mein Lieber, im Gegenteil, ich wüßte gar nichts damit anzufangen; aber das eine bitt' ich mir aus,« – seine Stimme wurde messerscharf – »hübsch ruhig müssen Sie sich verhalten.«
»Auf deutsch,« antwortete Rolf finster, »ich soll zu jeder Niedertracht die Augen schließen.« Und plötzlich packte ihn wieder die Wut. »Eine Gemeinheit ist das, was Sie mir da zumuten«, brach er aus. »Mein Weib haben Sie mir abspenstig gemacht, hinterlistig und feige! Wenn ein Mann über ein Jahr fern war, und dann ein Wiedersehn wie gestern . . .« Ein Röcheln erstickte seine Stimme. »Das ist die Frau nicht, die ich verließ, das ist eine Sünde, ein Verbrechen . . .«
»Du lieber Gott,« versetzte Mandi mit Seelenruhe, »Sie sind zum Heulen stumpfsinnig. Sie reiten schon wieder auf Ihrem Trauschein herum. Können Sie denn gar nicht mit den Tatsachen rechnen? Glauben Sie wirklich, daß Ihre Frau sich hätte von Ihnen zum Standesamt schleifen lassen, wenn Sie mit Ihrem Geldsack nicht so laut geklimpert hätten? Jetzt habe ich das Geld, also mach' ich das Rennen. Und wenn Sie mir schon mit Moral kommen, Verehrter, – hab' ich denn da das Recht nicht auch auf meiner Seite? Wer war der erste von uns beiden? Ich hab' die Loni die Kunst der Liebe gelehrt, als Sie noch auf der Schulbank sich die Höschen durchsaßen; freilich, damals hatt' ich noch keine Ahnung, daß Sie dereinst das beschlafene Dornröschen erlösen würden.«
Rolf sah rot, er war im Begriff, sich auf Mandi zu stürzen.
Aber mit einer Handbewegung hielt dieser ihn zurück.
»Sie wußten,« fuhr er gelassen fort, »als Sie die Loni nahmen, daß sie mein Schatz gewesen war, mich noch durchaus nicht vergessen hatte; glaubten Sie etwa, auf dem Rathaus von Lichterfelde mit Ihrer Unterschrift diese Liebe wie mit dem Schwamm auslöschen zu können? Und jetzt, wo ich die Kleine neuerdings ein Vierteljahr über Wasser gehalten, da soll ich einfach meinen Kratzfuß vor Ihnen machen und mir sagen lassen: ôte-toi de là, que je m'y mette? Nein, mein Teuerster, dazu ist mir die Loni denn doch zu lieb.«
»Lieb?« brauste Rolf auf. »Geschlagen haben Sie sie!«
»Die Weiber wollen ja geschlagen sein,« entgegnete Mandi mit freundlichem Lächeln, »sie brennen darauf.«
»Nietzsche!« stieß Rolf verächtlich hervor.
»Nietzsche?« antwortete Mandi. »Kenn' ich nicht. Aber die Weiber kenn' ich à fond, und die Loni zuerst.«
»Sie zittert vor Ihnen.«
»Mein Gott,« erwiderte Mandi achselzuckend, »die Weiber zittern vor so vielem, was sie doch furchtbar gern haben. Glauben Sie mir, die suchen nur eins beim Manne, den Willen, die Kraft. Und gerade die, Verehrtester, besitzen Sie nicht, obwohl Sie nach Ihrem Stümperraub halb Berlin hinter sich herhetzten, statt einfach in ein längst im Nebenhaus gemietetes Zimmer zu schlüpfen und die Meute an sich vorbeijagen zu lassen. Es mag ja Frauen geben, die schlechte Behandlung nicht vertragen, – ich bin noch keiner begegnet. Versuchen Sie doch selbst, wen Loni vorzieht! Ich fürchte, Sie werden eine herbe Enttäuschung erleben. Sie sind eben – entre nous – der geborene Weiberknecht, mein Lieber, und wenn Sie in Ihrer Ehe leidlich gute Tage gehabt haben, so haben Sie das niemand anders zu verdanken als mir.«
Er sah nach der Uhr. »Schon elf«, sagte er erstaunt. »Ich muß Sie leider verlassen. Aber ich hoffe, die Stunde war keine verlorene. Sie wissen jetzt, caro amico, wie ich denke. Machen Sie sich möglichst unsichtbar, mischen Sie sich in nichts, und Sie haben hier das schönste Capua; mucken Sie aber auf, – eh bien, à corsaire, corsaire et demi!«
Er wandte sich. Rolf trat ihm hastig in den Weg.
»Ich bitte Sie,« sagte er mit erstickter Stimme, »lassen Sie mir Loni, lassen Sie mir mein Glück . . . Es gibt ja so viele Frauen auf der Welt, und Sie sagten es selbst, daß alle Herzen Ihnen zufliegen. Ich habe so wenig Sonnenschein gehabt im Leben . . .« Seine Stimme brach, verzweifelt klammerte er sich an Mandi an. »Ich kann nicht von ihr lassen,« schluchzte er auf, »ich kann es nicht!«
»Bedaure«, gab Mandi kühl zurück, indem er seinen Gehrock vorsichtig aus Rolfs Händen löste. »Ich habe mit Loni meine bestimmten Absichten, für die mir keine andere so paßt. Damit müssen Sie sich nun einmal abfinden. Und im übrigen, bitte, keine Rührszenen, – ich bin ungemein wenig dafür empfänglich. Tout est pour le mieux dans le meilleur des mondes possibles. Servus!«
Rolf sah ihm mit haßerfüllten Augen nach. Weiberknecht hatte er ihn geheißen! Das Gesicht des alten Majors tauchte vor ihm auf, die blitzenden Augen, als auch der ihm den gleichen Schimpf antat. Seltsam, wie diese beiden Männer, diese Gegensätze sich in ihrem Urteil über ihn begegneten . . .
War denn tatsächlich seine Liebe krank, diese Liebe, die nichts kannte, nichts wollte, als dem Weibe in Hingebung dienen? Krank, weil sie keinem, weder Mann noch Weib, das Glück gab? Hatte er mit dieser Liebe an sich und Loni gesündigt, tausendmal mehr als dieser Mandi mit seiner rohen Faust, dieser Gewaltmensch, dem die Frauen in Tränen die Hände küßten? War er denn wirklich nichts als ein Schwächling, den jeder Mann verachten durfte? Er, der dem Kommerzienrat seinen Hohn ins Gesicht geschleudert, der Wilhelm Große, Salomon Loob gegenübergestanden, der die verwegene Blutschuld auf sich geladen? Er, der allen Bemühungen seiner Peiniger, der Polizei und Untersuchung, den Verbleib der Beute aus ihm herauszupressen, so tapfer widerstanden?
Nein, er hatte Kraft, er hatte es bewiesen. Und mit dieser Kraft wollte er den Kampf mit Loni selbst aufnehmen. Sie mußte ja doch mit dankbaren Augen zu ihm aufblicken. Er würde schon einen Ausweg finden, bis er die Hunderttausende in Händen hatte; und dann war keiner auf Gottes Welt, der ihm sein Weib streitig machen konnte, keiner . . .
Plötzlich hörte er die Tür zu Lonis Schlafzimmer gehen.
Hastig wandte er sich.
Loni stand vor ihm. Loni mit einem seltsamen Zug im Gesicht, halb bang, halb verstockt. Ihre Augen wichen ihm aus, irrten wie schuldbewußt an ihm vorbei.
Sie rang die Hände. »Um Gottes willen,« klagte sie, »gestern abend und heute morgen, immer wieder der schreckliche Streit. Wie soll das nur enden?«
Mit loderndem Blick sah er auf ihr im Sonnenschein leuchtendes Haar, auf den zierlichen, schimmernden Hals, den die Spitzenmatinee frei ließ.
Das Blut stieg ihm zu Kopf. Krampfhaft umfaßte er ihre Arme. »Seit Monaten hast du mir nicht geschrieben, mir nicht geantwortet, – bist nicht gekommen, die lange, schaurige Zeit . . .«
Ihr Mund verzog sich im Schmerz unter dem Druck seiner Fäuste. Noch immer sah sie ihm nicht in die Augen. Sie beugte den Kopf zur Seite, als horche sie angestrengt zum Treppenflur hin.
»Was sollte ich tun?« flüsterte sie dann. »Von meinen Sorgen schreiben, um dir das Herz noch schwerer zu machen? Kommen, für wenige Minuten, hinter eisernem Gitter, um dich noch elender zurückzulassen?«
Er schüttelte den Kopf. »Ein Gruß von dir, und mir hätte die Sonne gelacht, – ein Blick in deine Augen, ein einziges liebes Wort, und ich hätte in Dankestränen mein Schicksal gesegnet.« Er trat dicht an sie heran. »Laß uns fliehen, Loni,« drängte er, »irgendwohin, wo uns kein anderer findet. Mein ganzes Leben soll ein Gottesdienst . . .« Vor Erregung brach ihm die Stimme.
Noch immer horchte Loni nach außen hin, als spräche er gar nicht mit ihr, als gäbe es nur den einen, Mandi, auf der Welt.
Empörung kochte in ihm hoch. »Ich dulde es nicht,« knirschte er, »daß dich der Hund mit seinen verfluchten Händen berührt . . . Sei doch nicht so verblendet, Loni! Jeden Tag kann er wieder stehlen, und sie nehmen ihn fest . . .«
Mit fliegenden Händen suchte sie sich aus seiner Umklammerung zu lösen. »Um des Himmels willen, Rolf,« bat sie mit furchtsamer Stimme, »sei vernünftig, – er kann ja jeden Augenblick kommen.«
Er ließ sie nicht los. Seine Augen begannen wie im Irrsinn zu flammen, triumphierend reckte er sich hoch. »Du weißt ja gar nicht, wie oft du bei mir geweilt«, brach es aus ihm heraus. »Mein bist du gewesen, mein geblieben, das ganze, lange Jahr. In dunklen Nächten, hinter eisernen Riegeln zwang meine Sehnsucht dich hin zu mir. Dann riß ich die Kleider dir herab, bedeckte deinen Leib mit Küssen, – weißt du noch, Lieb? Deine Augen füllten die Zelle mit leuchtendem Schein, deine Haut war weich wie die Sommernacht, deine Lippen lind wie die Rose. Und deines Blondhaares flutende Pracht rieselte über mein einsames Lager, der Liebe seligen Pfühl . . .«
Sie machte sich mit aller Kraft von ihm frei, beide Hände preßte sie an die Ohren. »Ich will nichts hören«, schrie sie entsetzt. »Du mußt das nicht sagen, sollst nichts von mir verlangen, – nie mehr, niemals mehr!«
Wie aus wirrem Traum erwacht, wich er erschreckt zurück. »Sosehr hast du Angst vor ihm?« fragte er atemlos, mit geballten Händen.
Ihre Augen weiteten sich, ihre Lippen wurden weiß, wie ein Schauer ging es ihr über den Leib. »Du kennst ihn nicht«, antwortete sie gepreßt. »Du kennst ihn noch nicht . . .«
»Er schlägt dich wieder?« fragte Rolf mit verzerrten Zügen.
Ein Geisterlächeln huschte über ihr Gesicht. »Nein,« erwiderte sie leise, »nein . . . Ich tu' ja doch, was er will, alles, alles . . .«
Wie ein Blitzschlag ging es durch Rolf hindurch. »Du schläfst bei ihm?« stieß er heiser heraus.
Sie schüttelte den Kopf, immer noch das tote Lächeln auf den blassen Lippen.
»Du lügst«, schrie er in rasendem Schmerze auf.
Er hätte die Hand ins Feuer gelegt, daß Loni ihn betrog. Aber er wagte es nicht, die Wahrheit zu erzwingen, er fürchtete, sie durch ihr Geständnis ganz zu verlieren. Er hatte nur den einen Wunsch, ganz gleich, was auch geschehen war, sie seinem Gegner zu entreißen, sie endlich, endlich wieder in seine Arme zu schließen.
Zum erstenmal sah sie ihn an, unsicher, bittend. »Wenn du mich liebhast, Rolf, – sei gut zu ihm, halt Frieden! Ich bin es ja, die es büßen muß.«
Seine Zähne schlugen aufeinander. »Er ist fort, Loni, er sieht uns nicht«, flehte er wie ein Verzweifelter. »Nur einmal laß mich den Duft deines Haares atmen, nur ein einziges Mal sei mein! Dann will ich ja alles tragen, geduldig warten, um deinetwillen.«
Sie fuhr zurück. »Er sieht uns doch«, antwortete sie hartnäckig, Schrecken im Blick. »Er liest alles in meinen Augen, was ich gedacht und getan. Und wenn er fragt, dann muß ich es sagen. Er ist entsetzlich, wenn er zürnt.«
Er hörte nicht auf sie. Mit einer in diesem schwächlichen Körper unerwarteten Kraft griff er nach ihr, drängte er sie gegen das Schlafgemach. Die Matinee ging auf, ihre Brust blühte ihm entgegen. Ein dumpfes Stöhnen brach über seine Lippen.
Mit beiden Händen stemmte sie sich gegen ihn. »Hör' auf, Rolf, um der Barmherzigkeit willen, hör' auf«, keuchte sie in abgerissenen Worten. »Nur kurze Zeit noch . . . Er geht bald fort, er hat es mir selbst gesagt . . . Dann bin ich dein, ganz dein, soviel du mich willst . . . Wenn du mich zwingst, – so wahr ein Gott lebt, ich verzeih' dir das nie . . .«
Er ließ von ihr ab. »Du schwörst?« fragte er hart.
»Ja«, stieß sie mit fliegendem Atem hervor.
»Auch daß du ihm nie zu Willen sein wirst?«
Sie zögerte einen Moment.
Er sah furchterregend aus. »Überleg' es dir, Loni«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Ertapp' ich dich, so ist es dein Tod. Du schwörst?«
Sie rang in hilfloser Unentschiedenheit die Hände. Aber vor seinen drohenden Augen gab sie nach.
»Ich schwör's«, sagte sie, fast unhörbar, noch immer nach Luft ringend.
Und wie vor einem Feinde, flüchtete sie sich in ihr Zimmer zurück.
Kein Wort hatten sie von der Vergangenheit gesprochen, kein Wort von dem Kinde, das wie ein Schatten durch ihre junge Ehe gekommen und gegangen war.
*