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St. Peter Hille

Es fragte mich kürzlich jemand, was mich zu glauben berechtigt, Peter Hille für einen Propheten zu halten. Die um Peter Hille wissen, wird meine Antwort eine Erläuterung, vielleicht einen Psalm bedeuten. Es ist keine Phantasterei, da ich behaupte, Peter Hille ist eine der größten Fittichgestalten der Propheten gewesen, die wieder nach Erzjahren auf Erden wandelte. In meinem Peter Hille-Buch, in dem ich Ihn in Mythen feiere, suchte ich andächtig schon nach seinem ehrfürchtigen Bibelnamen und schrieb am Schluß in des Buches weißer Erde: Er heißt, wie die Welt heißt. Daß ich den Namen »Ewigkeit« gemeint habe, zweifellos. Ich war damals, als ich Peter Hille kennenlernte, wie man so sagt, noch ganz klein, himmelblau, er meinte zwar, ich sei rot und grün, und nannte mich: Tino, das kleine Mädchen mit den Knabenaugen. Daß ich schon mal verheiratet gewesen war, ja, wer dachte daran, sich auch nur danach umzusehen. Ich trug einen Kittel, schwärmte viel, namentlich den Dichter Peter Baum an, der mit begeisterter Liebe Peter Hilles Hohes Lied: » Brautseele« vorzutragen pflegte. Ich weiß keinen Menschen in der Welt, selbst keinen Spießbürger, der nicht bescheiden vor St. Peter Hille wie vor der Stufe eines herrlichen Denkmals verharrte. Aber Er bemerkte es gar nicht, daß Er betrachtet wurde. Er lebte in Sich wie in Gott schon, und zwischen uns gehend, wandelte er, wie oft auf ferner, verklärter Landschaft, wohl unseren Pfad beleuchtend, jedoch mondfern. – Sein Mantel staubfällig und Er trug ihn wie einen Hermelin, der Schuh um seinen Fuß zerrissen: Pracht in Asche gehüllt. Ahnend eilte manch einer, der uns auf unserer Wanderung begegnete, zu unserem hohen Begleiter zurück, den Saum seines Mantels zu streicheln. Es tröstet mich, da es mein Bruder Moriz Maximilian war, der erschüttert von der überirdischen Erscheinung die Freuden der Großstadt opferte, umherirrte, in der Hoffnung, Peter Hille noch einmal zu sehen. In den Gassen, durch die Petron und ich so gern schritten, bestaunten ihn die verwilderten Kinder: den glitzernden St. Martin. So funkelte sein Antlitz. Einmal erlebte ich, wie einem größeren Straßenjungen beim Anblick Peter Hilles nicht allein der Mund, auch das Herz still stand, sich schüchtern näherte und – dem »lieben Gott« seine große Glasmurmel darbot, auf das silberne Kälbchen im kleinen Kugelglas besonders hinwies. »Seinen Galamurmel«, sagte der lächelnde Prophet und freute sich herzlich über das so überraschende Geschenk. Peter Hille trug den Hauch Gottes mit Sich, der ihn nicht allein nach seinem Ebenbilde schuf, ihm auch noch seinen Zauber gab. Meine Wirtin, eine dralle Frau in wohlgefälliger Nüchternheit, die Peter Hille, der mich besuchen wollte, mich aber nicht antraf, die Tür öffnete, empfing mich, heimkehrend, mit den Worten: »Ein Mann aus dem Testamente ist hier gewesen ...« Um festzustellen, ob der Petrusbart etwa die Frau zu der Annahme bewogen habe, fragte ich sie, ob der Mann einen Bart getragen habe? Das wisse sie nicht ... Dann immer, wenn Perron in den Nachmittagsstunden zur süßen Sahne, Brot und Honig mich aufzusuchen pflegte, kniete meine Wirtin vor Seiner Majestät in heiliger Scheu. »Du Erzschelm«, drohte mir mein wundervoller Gast, »was hast Du da wieder angestellt!« Ja, er war ohne Hochmut oder falsches Priestertum, Schwulst und gesalbte Töne. Er verabscheute jede Pose; er besaß keine Lücke, die er mit Kitt-Kitsch verstopft hätte, und die gefälschten erhabenen Goetheaner im Dichtertum widerten ihn an. Wir beglückten Spielgefährten um Peter Hille erlebten, als sein Walther von der Vogelweide auf einer Freilichtbühne aufgeführt wurde, wie er, der Gebenedeite, gefeierte Autor von einer Schar Primaner und Rotmützen fröhlich über den Waldweg zu seiner Premiere nahte. Zugegen waren damals die Dichter aller Künste und ein Viertel der Einwohner Berlins. Besonders liebte Peter Hille den Detlev, den Liliencron, aber auch Leistikow, Julius und Heinrich Hart, die beiden prachtvollen Brüder, die seien zunächst mal keine Oberlehrernaturen. War Er nicht Selbst die Hauptperson in seinem Drama: Des Platonikers abtrünniger Sohn. Mit Bewunderung sprach Petron in seinen letzten Lebensjahren viel von Jean Paul. Man traf Ihn in seinem kleinen Zimmerchen in der Kesselstraße in Berlin auf dem altmodischen roten Plüschsofa sitzend im Buche des verstorbenen Dichters vertieft. Unter seinen Füßen raschelten zerrissene Manuskripte und Korrekturen. Weißes Laub schwarz verädert. Er ließ sich durch keinen Eintretenden in Seiner Andacht stören und vergaß dennoch nicht, seine angeborene Gastfreundschaft walten zu lassen. Im Grunde gab es für ihn kein Heim, seine Heimat befand sich dort, wohin er grade blickte, oder wo er sich gegenwärtig befand. Und wir, seine Lieblinge, wollten wir zu ihm, begaben wir uns ja immer zum Felsen (Petron). Er war nie sentimental, wir empfanden seine Stimmung: Witterung. Peter Hille, der dichtende Prophet, glich dem Horizont. Hervorstechende menschliche Eigenschaften wüßte ich kaum zu beleuchten. Es war alles bei Ihm eben gefügt, kein Star glänzte aus seinen Tugenden, wie aus einem Bukett, besonders hervor. Der oder jener hätte sich vielleicht einmal herausgenommen, wenn er es gewagt, Peter Hille für einen Egoisten, trotz seiner großen Entbehrungen, zu bezeichnen; zumal es dem Elementarmenschen gar nicht in den Sinn kam, übliche Opfer zu bringen. Er gab ja Licht immerzu, verschwenderisch, ein ganzes Sonnensystem. Er vermutete ja gar nicht, daß jemand von ihm ein trauliches Lämmchen verlangte. So verhält sich das mit unserem großen Propheten. Vergleiche man ihn nicht mit jenen barfußlaufenden Zwiebelasketen, die zur Erbauung ihr Bändchen Lyrik: Goldene Leyer, dem Begegnenden deklamieren. Bitte, stellen Sie keine Versuche mit Dem an, der nur gleichgewertet werden darf mit Propheten und Göttern. Mit letzterem möchte ich auch nicht behaupten, Götter sind nur die Gestaltungen großer Symbole. Ein Prophet war Er, die Verkörperung hochzeitlich verklärter Seele. Selbst über die Bitternis seines Lebens strömte Vermählungsmusik mit der Ewigkeit. Er wandelte auf Erden in Seiner letzten Einkörperung. Er hatte den Gipfel erreicht. Das heißt: er kehrt nach seinem Tode sofort in Gott ein. Selten berührte Sein Blick eines Menschen Angesicht; wie man zu ihm aufsah, so beschien er den Aufblickenden. Ich habe ein ganzes Buch: Mythen über meinen Gottkameraden geschrieben: Das Peter Hille-Buch. Außerdem noch einige Erzählungen. Heute aber drängt es mich, ungeschmückt zu beantworten die Frage: Warum Peter Hille ein Prophet war? Ich liebe wie Er die Klarheit der Phantasie, Klärung des Gedankens ist ja eben Wortwerdung. Kein größerer Diplomat wie Er wäre zur Zeit Seines Lebens im Reiche zu finden gewesen, das heißt: Wenn Peter Hille noch dazu das skrupellose Herz besessen hätte! ... Wie sich das Volk in seinen Dichtern und Propheten irrt, immer wieder in jedem Jahrhundert. Ein Papst war St. Petron. Sein goldener Vatikan nicht von dieser Welt. Daß ich gerade als innigste Hebräerin auf Peter Hille, den Katholiken, hinweise, beweist, daß es nur einen Glauben, wie einen Gott, eine Schöpfung, einen Himmel gibt. Die Religion, die Erbin vieler Namen und lallender Heidennamen, sich nur verschieden zu kleiden pflegt. So ruht man in St. Petrons blauem Worte vom himmlischen Sohne wie in Buddhas weiser Friedlichkeit, aber auch in Abrahams Schoß! Er liebte es, wenn ich von der starken Einsamkeit Jehovas erzählte, Zebaoth Psalme weihte. Peter Hille schmückte in seiner Dichtung: Das Leben Jesu – den Tisch des Abendmahls mit den Blumen Nazareths. Mit Vorliebe, bisweilen um ehrlich zu berichten, – und ganz vorzüglich kleidete Petron der Noah, der den Weinstock pflegte; er trank wie er mit großer feierlicher Freude das rote Herzblut der Rebe, »die rieselnde Sonne« (wortgetreu) der hellen Beere. – Auch Wunder vollbrachte Er, indem er im Freunde die Vergangenheit weckte und den kommenden Morgen lockte. Bei seiner immerfort ausstrahlenden Güte kannte ich dennoch Menschen, die menschlich viel gütiger als er waren. Er eben war ein Geist, schon vom Körper fast befreit. Der abstrakteste Mensch, der zurzeit auf Erden wandelte. Daß ich mich nie erinnerte, wann er gegangen war, kaum an seinen Eintritt allabendlich in mein Haus. Er hatte braune Augen, die blau wirkten, manchmal voll Schwärmerei. Ich sah sie aber schon schmettern, dann, wenn er von einer grünen Wanderung mit seinem Hochwürdenbruder Professor Philipp Hille in die Stadt zurückkam. Aber wenn aus seinem Petronherzen ein drohendes Wetter aufstieg, verfinsterten sich seine goldbraunen Kuppeln. Er war kein Kind, wie ihn kurz und bündig der Bürger, überhaupt jeden Dichter, zu nennen beliebt. Er prangte bis zur Neige ganz und gar. Nur solche fertige Gegenwärtigkeit konnte sich auflösen zur Unsichtbarkeit. Er schritt oder er schwebte. Er war erschütternd in seiner rührenden Gebärde, allerdings eintausend und zwei Jahre altes Kind, selbst das Märchen überschritten, Jahrhunderten gewachsen und nicht die Menschen hielten Ihn, Er aber den Gerne großmensch am Gängelband seiner Zeit. Ich habe Peter Hille nie laut lachen hören und doch bacchantisch im Kreise der Freunde gesehen, ein Bacchus feierten wir ihn heidnisch. Er liebte die Freude und die Feste – er konnte ja nur nicht tanzen. – Er sprach beinahe alle Sprachen oder alle. Im Sanscrit hat er Juwelen gefunden. Mit Zigeunern unterhielt er sich in ihrer schwarzen Göttin Bowanehsprache. Auf dem Bock neben Misco, St. Petron nahm im Karren Platz, erlebte ich eine drollige Spazierfahrt durch die Wälder. Peter Hille wußte alles zu beantworten. Meist kurz, er schwieg gerne. Wenn der Name Peter Hille fällt, wie kommt es, daß dann jeder fragt: »Ja, wer war das eigentlich?« Name ist kein Zufall. Kabbalisten verstanden die Wurzel aus dem Namen zu ziehen. Also wäre der Name jedes Fragenden seine Ausrechnung, seine Bilanz, sein Extrakt. Jeder Buchstabe hat seine Zahl oder sein Gerippe, die Zahl seines Buchstabens. Ich hörte von einem Bibelkundigen, die »64« bedeute gleichzeitig: Herz, sei also mit ihm verbrüdert. Es ist die Zahl, die mir seit Kind in allerlei Variationen 64 oder 46 usw. begegnet. Das Herz allerdings spielte immer eine Hauptrolle in meinem Leben. Ganz jung sah ich es zur maßlosen Besorgnis meiner Mutter am Türpfosten meines Spielzimmers dunkelrot hängen, sekundenlang. Ein unheimliches Symbol. Zum zweitenmal begegnete ich meinem eigenen Herzen am Tore, durch das der Prophet St. Petron durch den kleinen Garten schritt, an dessen Eingang wir uns zum erstenmal betrachteten. Mich zu ereifern in meiner Erzählung von ihm, liegt mir nicht. Sich ereifern ist journalistisch. Wie das Meer schwieg St. Petron, wie der Fels und beantwortete doch jede an ihn gerichtete Frage. Er war eigentlich das Gewissen, seine verhaltene Stimme: Weltgeräusch. Und seine Seele fertig geschliffen an den Werkzeugen der Menschheit, den Eigenschaften. Wandte er sich zu gehen, wurde Dunkelheit. Kam er, wurde Morgenrot. So erdverwandt war Petron und verwachsen mit der Schöpfung. – Der prachtvolle gütige Großpriester und Dichter Carl Sonnenschein lächelte, als ich ihm erzählte, daß Peter Hille darum doch nicht weltliche Schönheit verachtete, und ich ihm oft versicherte, sein Mantel kleide ihn wie der Sternenmantel der Erde. Und ich, die ich meinen hohen Freund im Himmel noch zu beschenken mich sehne, erbitte seine weltliche Heiligsprechung. Nach Rom wanderte Peter Hille barfuß in Jünglingsjahren und Papst Leo sandte Seinem Freund später in lateinischer Sprache ein von Ihm, Seiner Heiligkeit, selbst verfaßtes und niedergeschriebenes Gedicht. Peter Hille wird, solange Menschen auf Erden leben, nie vergessen werden, nur das sterbende Milieu zieht ihn immer wieder mit sich, wie jeden Propheten, ins Grab. Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande, im Morgenlande, Abendlande. Wie man Ihn hungern und frieren ließ, an dem die Not eigentlich am tiefsten fraß, galt es die Erfüllung seiner glänzenden Artigkeit. In Takt und Grandezza übte er sich, ein Ritter. – Seine stille, schöne Mutter nannte er »Glockenblume«. Im letzten Jahre seines Lebens holten ihn drei liebreiche Geschwister der Dichter Peter Baum, seine Schwester Julia, die Malerin, und beider Bruder Grimmer in ihr weites Haus. Wenn wir uns dann im kleinen Park um Petron gruppierten, Ihm von Ästen und Laub und Rotdorn einen Thron aufbauten, schaute er ab und zu von seiner Tafel auf uns hernieder: »Da habt Ihr ausgelassene Heiden Euren Baal!« Er glich in Wirklichkeit dem Moses von Michelangelo. – Aber auch Dürer malte ihn hellseherisch, bevor St. Peter Hille das Licht – das Licht der Welt erblickte. Zwischen Palmen und Mandelbäumen eilt hinter dem Propheten ein Volk, zwergisch hinter einem heiligen Gulliver. Es gibt kein Bild, keine Photographie, die St. Peter Hille so ähnelt und erfaßte, wie das Bild des Altmeisters Dürer. Er war ein Wunder, der Peter Hille, und ein Wunder ist nicht an Zeit gebunden. Ich weiß nur von Seiner Gegenwart, die erlöste, und von seinem keuschen Zorn, der reinigte. Und heute schreibe ich nicht nur auf dem Bogen seinen Namen nieder, ich präge es in die Haut aller Schläfen: er heißt, wie die Welt heißt, Ewigkeit!


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