Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 1
Heinrich Laube

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Das Rosenthal.

Es wird in Leipzig sehr viel spaziren gegangen und geritten, die Promenaden sind zwischen den Vorstädten und der Stadt; die Reit- und Fahrwege gehen daneben her, der Reiter kann seiner Dame die Hand reichen, die Dame kann ihr neues Kleid binnen einer halben Stunde mehreren hundert, civilisirten Augen präsentiren. Auch giebt es sehr viel Kinder in Leipzig, ich glaube mehr als Erwachsene, König Herodes hätte hier entsetzliches Unglück anrichten können. Auf der Hainstraße gedeiht eine »Viehversicherungsanstalt für Teutschland.« –

Uebrigens hat sich diese Stadt, welche durch viele Jahrhunderte immer der Rücken Europa's wurde, auf dem man von allen Seiten die weltgeschichtlichen Schläge austheilte, wie eine vorsichtige Schöne konservirt. Sie ist ein sein ordentlich, solides Mädchen ohne Leidenschaften, welche Teint und Züge verwüsten, sie hat die Kisten voll weißer Leinwand, den Kopf voll alter guter Hausmittel und Gleichnißreden, 232 das Herz voll polizeigemäßer Zuneigung, die Hand voll zweifelloser, überall gültiger Münze, sie ist um und um eine gute Partie, die junge, erbauliche Kaufmannswitwe Leipzig. Mit roher Hand des Krieges hat man ihr so oft alle Reize angetastet, nach einer Entsagungskur von einigen Jahren ist sie immer wieder hübsch geworden. Nur muß man nicht weit mit ihr schwärmen wollen, sie ist eine Kaufmannswitwe ohne Perspektive.

Die Promenaden und vielfachen Gartenanlagen haben wirklich aus der von der Natur sehr mittelmäßig bedachten Stadt einen Ort geschaffen, in dem sich der Frühling passabel ausnimmt. Von der Westseite zwischen den Flußnetzen, welche die Leipziger selbst größtentheils erst seit der Schlacht kennen gelernt haben, ist klingender Laubwald, sein nächster Ausdruck an der Stadt ist das Rosenthal, der einzige Gedanke natürlicher Poesie, der auf das ärgerlichste von allen andern Seiten der Stadt neidisch angesehen wird. Im Rosenthale sitzen die Musen und Grazien Leipzigs, die Musen rauchen Cigarren, echauffiren sich durch Marseiller Märsche und Lorgnetten, kühlen sich durch Eis ab, und sind liberal bis zum Teufelholen, namentlich wenn's kühler wird und sie anfangen Grog zu trinken. Seit den Bundestagsbeschlüssen spielen sie aus Oppositionsgeist täglich Domino. Die Grazien sind sittsam und schlagen die Augen nieder. 233 Mit einem Maskulinum gehn sie nicht eher spaziren, als bis sie mit ihm verlobt sind. So darf Niemand den König von Spanien anrühren, auch wenn er brennt, als sein erster Kammerherr. Solche Gesetze sind aber den Leipziger Grazien eine Kleinigkeit; das Brennen ist ein extremer Zustand, der sich nicht schickt. Ich habe noch keine brennen sehn, wenigstens noch nirgends Feuer und Wärme verspürt. Man kann lodernde Gedanken unter sie werfen, sie blasen sie lächelnd aus, und sagen ernsthaft: das schickt sich nicht.

Brave, sittsame Grazien; wegen des Spazirengehns sind auch alle Hübschen verlobt. Wenn man ein schönes Mädchen sieht, so fragt man nicht: wie heißt sie? sondern: mit wem ist sie verlobt?

Sachsen ist berühmt wegen seiner hübschen Mädchen, vielleicht hat der bequeme Reim »In Sachsen wo die schönen Mädchen wachsen« dazu beigetragen. Aber vor mehreren Jahren war wirklich eine schöne Generation hier, und wir wallfahrteten von Halle nach Leipzig zum Meßsonntage, um unsern ästhetischen Ideen auf die Beine zu helfen, die in Halle verlahmten. Man reiste wie zu einem orientalischen Bazar und in Rudolph's Garten erschienen die Leipziger Türkinnen unverschleiert, und machten die neueste Mode für Teutschland; man sah ihnen das weltgeschichtlich schaffende Behagen an. Manche mochte 234 sich Wochen lang nicht satt gegessen, und Tag und Nacht Clauren gelesen haben, um in's Modejournal zu kommen. S'ist keine Kleinigkeit in dem Hinterstübchenleben eines Mädchens, abgemalt zu werden wie Fräulein Sonntag und der türkische Sultan, und zwar bloß der Schönheit halber. Daß die Gesichter in den Modebildern alle gleich sind, darauf kommt's nicht an, man erkennt doch das Kleid oder die Frisur, und einst in späten Tagen, wenn der Mann nicht mehr dran glauben will, daß die Frau schön gewesen, da holt sie unter alten vertrockneten Blumen das Kupfer aus der Modezeitung und reicht's ihm mit verwelktem siegreichem Blicke, und der Mann wird wieder stolz darauf, das er eine historische Frau besitzt, und erzählt die Geschichte des Abends in der Ressource oder in der Harmonie oder im Tunnel.

Man erzählte mir, als ich auf die verschlechterte Generation anspielte, daß in den letztvergangenen Jahren sehr viel große Häuser fallirt hätten, das wirke stark auf die Schönheit ein. Und die Erklärung ist gar nicht übel. Ueberfluß, Reichthum, Sorglosigkeit, lauter sammtne Tapetenverhältnisse fördern das Gedeihen der Schönheit. Die Kinder rücksichtsloser Liebe sind nicht nur meist Genies, sondern sie sind auch schöner als die Sprößlinge des mühsam geordneten Ehebettes. Ein guter Kalkulator kann keine schöne Tochter haben; wenn der Chef des 235 Rechnungshofes schöne Kinder zeugte, so setzte ich ihn ab, wär' ich sein Herr, denn es wär' mir ein sichres Zeichen, daß er nicht für sein Amt taugte.

Es ist traurig, daß die Schönheit so wenig mit dem Gedanken zu thun hat; daß sie eine Entschädigung für die Dummheit zu sein scheint, denn unter zehn schönen Mädchen sind immer neun dumm, und das Land, was am ungebildetsten ist, hat die schönsten Weiber.

Wir kommen im Verlauf der Reise hin. Ich spreche natürlich nur von der Formenschöne, denn die Natur hat ein Einsehen gehabt, um die Thätigkeit zu wecken. Die geistige Schönheit läßt sich erzwingen. –

Ein Schauspieler, der gern gelobt sein will, nennt mir Leipzig immer »den Mittelpunkt der teutschen Literatur.« Dabei drückt er mir die Hand, und ich verstehe ihn, und schreibe den andern Tag. »Herr X ist ein historischer Schauspieler, dessen Vorzüge nicht bekannt genug sind.«

Das Centrum dieses Mittelpunkts der teutschen Literatur ist Kintschy's Schweizerhüttchen im Rosenthale, wenn Nachmittags die Musen Cigarren rauchen und Domino spielen. Von da aus geht Teutschlands Kultur, und die Fremden kommen und sehen sich diese Kultur für einen sächsischen Groschen an, den sie dem Musiker verabreichen. Wenn sie zwei Groschen dafür geben, so ist das schon Luxus. Ist 236 nun gar Buchhändlermesse, so findet man bei Kintschy die literarische Börse; es finden sich auch die ausländischen Schrift-Notabilitäten ein aus den sächsischen, anhaltinischen und Reußischen Herzog- und Fürstenthümern, aus dem Harzgau, aus der Lausitz, aus Berlin, aus Gattersleben, wo Krug von Nidda wohnt. Alte Häuser, die keinen Kurs mehr haben wie Langbein, Müchler und Andre, welche sich im Sterben verspäten, schicken Abgeordnete. Der Kurs der teutschen Literatur wird gemacht. Die Schriftsteller erscheinen in den besten Röcken und den nachlässigsten, genialsten Physiognomien, die sie auftreiben können. Der humoristische Autor notirt seine besten Witze für diese Nachmittage, er hält einen Kreis hungriger Bekannten frei, daß sie um ihn her Spektakel machen, und lachen helfen, er stülpt einen Vatermörder um, und grüßt alle Welt. Der Dichter legt das Halstuch ab, sieht keinen Menschen an, durchwacht einige Nächte, um die materielle Röthe seines unanständig gesunden Antlitzes zu bändigen, und durchsichtiger, lyrischer auszusehn. Er lehnt sich an eine Säule und sieht über das Gewühl hinweg nach den Wolken; wenn ein Sperling zwitschert, so belebt sich sein Gesicht süßsauer auf einen Augenblick, man sieht eine Hymne auf die Natur entstehn. Er raucht nicht, und vergißt zu bezahlen. Der Publizist trägt einen langen verschwiegenen Rock, drückt 237 den weißen Republikanerhut tief in die Stirn, sieht malkontent aus wie eine losbrechende Revolution, streicht sich den Schnurrbart, daß allen soliden Leuten bange wird, geht forschend, aber todtenstill unter den Gruppen herum, drückt hier und da Einem ernsthaft die Hand, und wenn man ihn nach Politik fragt, lächelt er höhnisch wie Robespierre, und spricht: »Wie ich's vor einem Vierteljahre prophezeihte!« Redet ihn ein Buchhändler an, so spricht er ihn sogleich an einen Baum fest, und schweigt nicht eher, als bis der Mann um Gnade bittet.

In Teutschland und bei Kintschy ist das Verhältniß umgekehrt: die Buchhändler sind die Herren der Literatur und die Schriftsteller ihre gehorsamen Diener. Es ist wie in den blühenden Zeiten der römischen Hierarchie: nur diejenigen Entdeckungen werden gemacht, nur die Gedanken erfunden, welche die Pfaffen erlauben. Außerhalb der Kirche konnte man nicht leben, jetzt kann's der Schriftsteller nicht außerhalb des Buchhandels. Nur der zahlt einige Thaler Honorar für die sublimsten Gedanken.

Das wird nie anders werden, so lange unser Publikum nicht kauft. Man kauft Bänder, aber keine Bände, so geräth unsre Literatur immer tiefer in Schulden, und das Centrum bei Kintschy schlägt immer lebhafter Chamade. –

238 Es wissen's wenig Leute, daß hier am Ende des Rosenthals Seume seine derben Lieder gedichtet hat, und drüben in einem äußersten Häuschen von Gohlis hat Friedrich Schiller das Lied an die Freude gemacht und den letzten Akt des Carlos geschrieben. Das Zimmer ist so niedrig, daß König Philipp nicht aufrecht stehen konnte, und jetzt hängt unter jenen spanischen Fenstern ein betrübtes schwarzes Schildchen mit den teutschen Worten »Bier und Branntwein bei Johann Gottlieb Nietzschke.«

– Nördlich und östlich vom Rosenthale der Musen und Grazien strecken langweilige Flächen gähnend ihre bleifarbigen Zungen dem Beschauer entgegen. Um so liebenswürdiger ist es, daß man die Toilettenkünste der Natur erschöpft, um die nächste Umgebung so hübsch als möglich zu machen, und unermüdlich bürstet und putzt, die Reize der spröden Dirne zu kultiviren. Sogar einen kleinen Park hat man zusammenaddirt, mit unglaublicher Anstrengung einen Berg aus Makulatur erbaut und Rasen darüber gedeckt und streng kritisch die Meßdichter hergenommen, um einen Wasserspiegel zu Stande zu bringen. Der Mond lies't darin die schlechtesten Verse, und die einsamen Liebespaare, welche am Ufer wandeln, schöpfen daraus ihre überflüssige Unterhaltung, da es für unanständig gehalten wird, stumm zu küssen.

239 Die gutmüthige Natur borgt ihr Grün, verdeckt Blößen mit freigebigen Aesten und Zweigen, und das Ganze sieht jetzt schon so naiv hübsch aus, als man von einer Gegend nur verlangen kann, welcher die karge Erde kaum die Fähigkeit zum Brotstudium verstattet, alle Genialität aber versagt hat. Einem unermüdlichen Fleiße ist es gelungen, daß man nach zwanzig Jahren nichts mehr davon sieht, wie der Kampf eines ganzen Welttheils seine Zerstörung hier umhergetragen habe. Ein Denkmal im hiesigen Park nennt den verstorbenen Bürgermeister Müller als einen Hauptlenker dieser verschönerten Ausgabe Leipzigs. Solche Leute sollten Plätze in einer Literaturgeschichte der tellurischen Aesthetik erhalten. Sie haben wirksamer für Schönheit gesorgt, als mancher Poet sein Lebenlang. Sie sind die plastischen Künstler des Frühlingsgrüns und Sommerschattens.

Die abenteuerliche, romantische Liebe, welche sich auf den Straßen begegnet, die Liebe aus dem Stegreif, erholt sich jetzt allmählig in Leipzig, seit die Kaufleute ärmer und die Bäume und Sträucher reicher geworden sind. Sonst wollte und konnte sie sich nirgends verbergen, jetzt gedeihen schon immer mehr Schattenpartien, und je dichter der Park wird, desto dünner wird die Leipziger protestantische Moral. Die Natur ist den Moralisten nie grün gewesen. Wird gar noch das Rosenthal der Stadt einverleibt, und 240 sein kleines Thor nicht mehr des Abends geschlossen, dann seh' ich tibetanische Rosenfeste beginnen, und ich weiß, was man in den Kirchen predigen, und umsonst predigen wird.

Wären die protestantischen Leipziger Historiker, sie ließen das Rosenthal ausreuten, denn von dorther, von jenem immer wiederkehrenden Liebesgrün, jenem beglückenden säuselnden Schatten droht ihrer Armuth das Verderben. Das Rosenthal ist viel zu katholisch, als daß es gelitten werden dürfte. 241

 


 


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