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»So, nu erzählt mal,« sagte Jüllecke Nakatenus, indem sie sich mit der porzellanenen Kaffeekanne um die vier ernsten Männer bewegte, die duftige Flüssigkeit eingoß, Sahne und Zucker vom einen zum anderen reichte und dann das lockere Weißbrot mit den pflaumengroßen Rosinen darbot, »denn man hat doch auch seine Andacht und möchte gern wissen, was Anna Donsbrügge für Anstalten machte, wer alles dabei war, ob er erster oder zweiter Klasse in Beerdigung kam, und ob sie ihm die großen oder die kleinen Sterbegebete anpräsentierten. Musmaßlich bloß die ganz kleinen, denn offen gestanden: bei's Ableben von Stäwe war ein mächtiges Fragezeichen dabei, so 'ne Art von Geheimnis, wovon die meisten keine regelrechte Ahnung besitzen. Da einem so was konträr steht, möchte man doch seinen Anteil empfangen, um nicht wie'n blindes Huhn in die verkehrten Futternäpfe zu polken. Also wie war's denn?« und damit schob sich die komplette Jungfer mit ihrer ganzen Würde in den mächtigen Lehnstuhl hinein, in dem der verstorbene Jakob Schwaters die letzten Jahre seines arbeitsamen Lebens verbracht hatte, rührte in ihrem Kaffeeschälchen herum und harrte der Dinge, die da kommen sollten.
Als die drei aber schwiegen, auch keine Miene machten, ihrem Ansinnen näherzutreten, klapperte sie energisch mit dem Löffelchen, legte es schließlich beiseite und schob die Arme herausfordernd unter die stolzen Halbkugeln ihres bis zum heutigen Tage mit Zähigkeit behaupteten Jungferntums. Dabei machten ihre fragenden Blicke die Runde. Bei jedem einzelnen blieben sie haften. Erst bei Klaas-Welm, dann bei Arnt, dann bei Ewert.
»Na – und ...?!«
Keine Antwort erfolgte. Als hätten sie sich verabredet, die Neugierde ihrer geschätzten Hausehre ein bißchen auf die Folter zu spannen, verharrten die drei in unerschütterlicher Ruhe, warfen dem Kapitän ein heimliches Äugelchen zu, um dann über Jüllecke fort zu sehen, als wäre sie gar nicht vorhanden gewesen.
»I den Kuckuck nochmal!«
Ihre blank geputzten Lichter funkelten.
»Ihr seid wohl nicht richtig. Was denkt ihr euch denn? Nee, diese Mannsleute! daß sie in der angenehmen Präsentschaft von Damen aber auch niemals die gebührende Konduite besitzen! Im Wirtshaus hingegen, im ›Blauen Pferdchen‹ und so, da geht das bei ihnen wie von 'ner Häckselmaschine herunter. Aber ich bitte mir aus: Respekt vor die Damen, sonst spaziert das Honnör aus dem Hause, und wenn die anderen nicht wollen: Arnt, du als der jüngste – wie war denn die Sache? Man muß doch auf dem laufenden bleiben; denn so'n Mann wie Stäwe Donsbrügge wird nicht alle Tage begraben ... und dann noch die kuriosen Umstände ... überhaupt die ganze Leidensgeschichte ...«
Erwartungsvoll hingen ihre Augen an den Lippen des Gefragten.
»Jüllecke, wenn Ihr denn durchaus auf 'nem Totenzettel oder 'nem Sargdeckel herumexerzieren wollt ...«
»Arnt, das wäre nicht meine Meinung,« trumpfte sie auf. »Aber das Mitleid! Ich meine, was sich so um den Alten bewegt: seine eingeborene Tochter, ob er mit die Kirche versöhnt ist, ob der Hof in die zuständigen Hände gerät und was der Herr Dechant drüber nachsimuliert – das wäre meine diesbezügliche Liebhaberei. Wenn ich mich auch nicht gerne mit's Kalte und 's Leichenhafte befasse, so hat man doch was, um seiner zu gedenken und für seine unsterbliche Seele zu beten.«
Ihr Ohrgehänge klingelte wehmütig, bittend, mit dem Scherbeln einer Ministrantenklingel, die vor dem Allerheiligsten einherbimmelt.
»Schön denn,« entgegnete Arnt, »ich sehe ein, dem ist Rechnung zu tragen. Wir drei also, wir marschierten auf den Knollenkamp los, Klaas-Welm, Ewert und ich, und als wir so in schweren Gedanken ...«
»Halt!« donnerte der Kapitän und griemelte verständnisinnig über das Tafeltuch fort. »Nichts der da, Jüllecke! Erst kommt das Geschäft an die Reihe. Das geht noch über Begräbnis und Sargdeckel. Von Stäwe Donsbrügge hat die Schwaterskat keinen Profit mehr, auch die Hegereiterei nicht und die Emmericher Helling erst recht nicht. Aber hier – hier sitzen die Musikanten,« und er trudelte hoch, straff, kurzbeinig, das braunrote Gesicht fest auf die empörte Dame gerichtet, griff in die Hosentasche und ließ die harten Münzen, die er stets lose und locker bei sich trug, lieblich gegeneinander klimpern. »Das ist prima Geschäft, von der obersten Takelage bis zum Kielschwein herunter.«
Er lachte, daß die Balken sich bogen.
»Recht werdet Ihr haben, Kaptän!«
»Was?!« entsetzte sich Jüllecke und war gleichfalls in die Höhe gefahren, »auch ihr, auch ihr meine Besten?! Das hat man davon, daß man euch dreißig Jahre hindurch gleichsam an den eigenen Mutterbrüsten in tausend Nöten und Ängsten aufsäugte. O du Barmherzigkeit Gottes! O du reine und unbefleckte Jungfrau Maria!«
Ihr sonst so fleißiges Katzenzüngelchen war stumm wie das eines Spiegelkarpfens geworden. Sie stand völlig entgeistert. Mit beiden Händen umspannte sie ihre Zierden, um das, was in ihnen stürmte und wühlte, mit äußerster Selbstverleugnung niederzuhalten. Dabei sah sie den Kapitän an, als sei sie willens, ihm ein Schiffstau um den Nacken zu legen und ihn von der obersten Rahe seines ›Klaartje van Orsoy‹ bammeln zu lassen.
»Jüllecke,« sagte dieser mit unerschütterlicher Ruhe, wobei er sein Priemchen aus der linken Mundecke in die Westentasche hineinpraktizierte, »hier sind ernsthafte und beschauliche Männer. Drum immer man Öl auf's lelke und schaumige Wasser gegossen. Insbesondere aber: Hände von's Tabernakel! Das paßt sich nicht und inkommodiert uns.«
»Was ...?!«
Erst Stille. Nur die Fliegen summelten. Die bereits tief stehenden Sonnenlichter fielen vergrämelt durch die weißen Gardinen. Selbst der Wasserkessel über der Brandreite hatte sein Plaudern vergessen. Und Jüllecke selber ...?! Sie versteinerte, sie versteinerte, wie eine fette Wachtelmutter versteinert, wenn unversehens der Strauchritter von der roten Kulör zwischen den Korngassen auftaucht. Dann aber: mit der Macht eines Tobels, brach es aus dem Munde des gepeinigten Mädchens: »Ihr Schwerenöter von Mannsvolk! Ihr dreimal durchdestillierten Hannaken von Dickfelligkeit, was denkt ihr euch denn?! Und Ihr da, Ihr da, Mynheer ...!« und sie pflanzte sich mit einem kurzen Ruck vor den Kapitän hin, pielgeradeaufrecht, entschlossen, die Hände eingestemmt und die Äugelchen, scharf wie die eines bissigen Frettchens, auf die ihres Widersachers gerichtet. »Das ist ja zunächst dem Katzenpeinigen, was Sie da aufgestellt haben – Sie Lellbeck! und das hier« – und die streitbare Jungfrau klopfte sich auf ihre stattliche Weste, als hätte sich das Mädchen von Dom Remy auf ihre Eisenkacheln gehämmert – »und das hier beanspruche ich als mein Inventar von oberster Reinheit und trag's nach eigenem Geschmack, sozusagen nach ortsgebräuchlicher Weise. Und wenn einem so was inkommodiert oder er sich nicht für würdig erachtet, diesen Anblick zu haben, der ist musmaßlich nicht ganz richtig im Koppe.«
»Aber Jüllecke ...!«
»Ja, Mynheer Rennings von Grieth, eck dü, wat eck well und lasse keinen dran riechen, und monkiert Ihr Euch nochmals über mich und meine Scheiegardinjes – Ihr kriegt eins übergezogen, daß Eure spätere Liebschaft vierzehn Tage hintereinander gebraucht, dem blauen Achterdeck die ihm zustehende Verkühlung zu geben. So! nu verzehrt meinen delikaten Feiertagsweck met de Rosinne sonder Stengels en Pöntjes man ganz solo-alleine. Ich habe genug von euch vieren!« und damit rüttelte und schüttelte sie ihre Bänderfladuse, drehte bei und machte Miene, sich mit ihrem gerechten Unwillen und dem knisternden Beiderwandrock aus der entweihten Diele zu klingeln.
Aber sie kam nicht weit.
Klaas-Welm hatte Vorsprung genommen.
Da stand er am Eingang mit gebreiteten Armen.
Und Klaas-Welm empfing sie, er, der gutmütige Riese mit dem glattrasierten Gesicht, dem blonden Haar und den lachenden Augen.
»Her zu mir, Jüllecke! mein Hühnchen, mein Täubchen ...!«
»Laß das bleiben, oder ich schreie!«
Aber der Riese packte schon zu, hob sie auf und drückte ihr einen feurigen Kuß auf die Lippen.
»Weiterreichen!« kommandierte Rennings von Grieth.
»Wird gemacht!« lachte Klaas-Welm und legte die Zappelnde seinem Bruder Ewert an den mächtigen Brustkasten.
Auch hier der gutmütige Riese mit dem glattrasierten Gesicht, dem blonden Haar und den lachenden Augen.
Sie sträubte sich herzhaft, denn ihr Unmut wollte noch immer nicht verrauchen.
»O du Barmherzigkeit Gottes! O du reine und unbefleckte Jungfrau Maria!«
Sie strampelte mit Armen und Beinen.
Aber was half ihr das alles?!
Um Ewerts Mundecken kicherte der Schalk.
»Nicht wieder tun!« begütigte er mit dienstfertigem Lächeln, preßte Jüllecke an sich und tat, was sein Bruder getan hatte: er küßte sie innig.
»Weiter reichen!« kommandierte Rennings von Grieth.
»Wird gemacht!« bestätigte Ewert und übergab die teure Last dem dritten und letzten der heiligen drei Könige.
»Ach, Mutter der Gnaden!«
Jüllecke leistete keinen Widerstand mehr.
Auch hier wieder der gutmütige Riese, das glattrasierte Gesicht, die blonden Haare und die leuchtenden Augen, genau wie bei den anderen, nur war dieser noch stärker, das Gesicht noch offener, die Blicke noch strahlender ... und auch Arnt packte zu, aber er behandelte das appetitliche Weibchen wie ein niedliches Spielzeug, wie etwas Zerbrechliches, das der größten Schonung bedurfte.
»Du Lieber, du Guter! aber, mein Herzblatt, wie konntest du nur? oder ist alles man bloß so'n kleines Pläsier-Vergnügen gewesen?«
»Jüllecke ...!«
Da verstand sie ihn; sie verstand ihn an seinem Benehmen, an der Art und Weise, ihren Namen zu flüstern, und da legte sie die Arme um seinen breiten Nacken, hob sich an seiner Brust und versuchte es, seine Lippen zu finden ... und sie wurden gefunden.
»Weiter reichen!« kommandierte Rennings von Grieth. »Ich warte schon lange.« Seine Stimme dröhnte, als hätte er von der Kommandobrücke aus durch ein wüstes und ungeheuerliches Sprachrohr gewettert. Dann wurde sie sanft und getragen.
»Hier bin ich,« sagte er flehend.
Auch er hielt die Arme gebreitet. Seine Blindmolläugelchen erinnerten an die eines Büßers und Anachoreten.
»Jüllecke ...!«
Allein seine Werbung verfing nicht. Was Arnt vermocht hatte, das konnte der Kapitän nicht mit den gleichen Mitteln erzwingen, denn die noch immer Erregte löste sich jählings von der Brust ihres Lieblings, trat energisch vor ihren vermeintlichen Angreifer und prätzelte ihn mit Feuer und Fett an: »Mynheer, keine Amoretten. Hier, das hier« – und sie klopfte sich abermals auf den üppigen Vorbau – »hier, das hier und meine Scheiegardinjes zeigen mit Fingern auf Ihnen. Pfui über Ihnen!«
»Jüllecke, hier steh' ich und bitte um Absolution. Es soll gar nichts passiert sein. Wir bleiben toujours immer dieselben.«
»Niemals, Herr Rennings.«
»Jüllecke, ich bete bloß selten. Nur im äußersten Notfall. Das müßt Ihr bedenken. Also auch dann nicht, wenn ich reumütig spreche: Solches werden die Frommen sehen und sich freuen; aller Bosheit aber wird das Maul gestopft werden ... wenn ich dieses nun bete?«
Sie winkte ab. Alle Schwingungen der erbitterten Seele waren selbst in das tote Klöppelwerk ihrer niederrheinischen Knippmütze gefahren, grinsten als häßliche, boshafte Teufelchen aus jedem Fältchen und Kräuselchen heraus.
»Nein, auch dann nicht, Herr Rennings.«
Ihr Herz blieb vergletschert.
Der Kapitän gab das Rennen nicht auf. Er kannte seine Leute. Besonders die Weibsbilder. Diese Erfahrung hatte er einem Buche entlehnt, das er zu den köstlichsten zählte. Mynheer Rennings war kein Studierter, kein Denker und Grübler. Mit der Rektoratschule, die er bis Quarta besuchte, hatte er seinen humanistischen Wissensdrang für erledigt betrachtet. Das praktische Hantieren bot ihm alles, was er nötig hatte, um seinem Fortkommen eine tüchtige und kernige Bestallung zu geben. Alles Schöngeistige wies er von sich. Er las nur selten, aber wenn er es tat, so an bitterkalten Wintertagen, wenn der Rhein mit Eis ging und es nicht möglich war, die Anker zu lichten, dann griff er nach einem abgeschabten und zerlesenen Bändchen, dessen krauser Inhalt so recht für seine Geschmacksnerven paßte. Schon zehn- bis dreizehnmal hatte er diese burleske Suppe hinuntergelöffelt, den vielsagenden Titel mit einer gewissen Verve und Andacht verschlungen: »Tristram Shandys Leben und Meinungen von Lorenz Sterne. Aus dem Englischen von Dr. G. N. Bärmann, Braunschweig, Verlag von Georg Westermann.« Ha! und wie interessierte ihn dieser Tristram Shandy, der Kapitän, der zu gewissen Zeiten immer den ›Lillibullero‹ pfiff und bei dem Sturm auf Namür eine schwere Beschädigung am os pubis zu beklagen gehabt hatte! Welch ein Meister und Draufgänger! Welches Genie! und wie hatte er es verstanden, den Angriff auf die Contre-Escarpe in guter Ordnung zu machen, über Maas und Sambre zu setzen, treffliche Diversionen zu interpolieren, um schließlich mit der Attacke auf das Sankt Nicolaustor seine höchste Nummer auszuspielen, wenn auch blessiert und mit hängenden Ohren. Aber er hatte Erfahrung gesammelt und diese Erfahrung benutzt, auch siegreich gegen die Frauenzimmer zu Felde zu ziehen, ihre Basteien, Sappen und Hornwerke zu berennen und sie sich gefügig zu machen. O liebliche Witwe! O Madam Wadman! Himmel, Erde und Meer, alles wallte da auf: die Quellen der Natur strömten da über – ein Engel der Huld saß neben ihm auf dem Kanapee – ihr Herz loderte in Glut, und hätte sie tausend Herzen besessen, alle hätte sie dem tapferen Tristram Shandy überantwortet. Kurz, er machte aus den Weibsbildern das, was er wollte, bis sie ihr sanftestes ›Kikelkakel‹ hinseufzen mußten. Welch ein Meister und Draufgänger! Welches Genie! und bei diesem vortrefflichen Tristram Shandy war auch der ebenso vortreffliche Kapitän Rennings aus Grieth in die Lehre gegangen. Er pfiff zwar nicht den ›Lillibullero‹, aber er hatte es ihm abgeluchst, die Frauen kirre zu machen, ihren Schwächen und Launen zu begegnen, sie wie Wachs zu bossieren und sie endgültig dahin zu bringen, wohin er sie haben wollte: bereitwilligst ihr ›Kikelkakel‹ zu schmachten.
Bei Jüllecke war ihm das allerdings bis jetzt nicht gelungen.
Er hatte es mit seiner süßesten Stimme versucht, die Courtinen und Raveline ihrer gereizten Stimmung sanft und sicher über den Haufen zu stoßen.
Allein das Mittel verfing nicht.
Er hatte selbst zum Gebet gegriffen und sie eifrigst beschworen, Milde walten zu lassen und ihm Absolution zu erteilen.
Die Mamsell winkte ab. Sie dachte nicht daran, auch nur die kleinste Bastei, die unwichtigste Sappe preiszugeben. Eine eigensinnige Auster, klemmte sie die Schalen ihres unerbittlichen Herzen energisch zusammen.
All right! Dann mußte er das Letzte auf diplomatischem Wege versuchen, um über Gräben, Pallisaden und Contre-Eskarpen in die heißumstrittene Zitadelle zu dringen – und er versuchte das Letzte.
»Jüllecke, stellt die Bedingung. Ich lasse mein Parlamentärfähnlein wehen.«
Ihr Bollwerk stürmte, die Schanze von Saint-Roch zitterte nach, aus ihren viven Äugelchen drang heftiges Feuer.
»Nein, Mynheer, unter keiner Bedingung.«
»Auch dann nicht, wenn ich in Gegenwart dieser drei ehrlichen Zeugen und Großoffiziere 'ne Kniebeuge mache?«
Sie stampfte mit den Füßen auf. Ihre Lippen verzogen sich.
»Mynheer, ich bin für nichts mehr zu haben.«
»Blexem!« sagte Herr Rennings, ohne mit der Wimper zu zucken. »Meine Plänkler sind abgeschlagen, die Truppen gewinnen keinen Fußbreit an Boden, ich befinde mich im Wurstkessel drin. Meine Reserven müssen heran,« und seine Stimme rollte durch die Schwaterskat, wie sie's auf Deck tat, wenn diesiges Wetter war und er Mühe hatte, sein leckes Schiff in den Hafen von Rotterdam zu bugsieren: »Reserven heraus!«
Seine Rechte fuhr hoch, stand beschwörend im Raum.
»Jüllecke, zum dritten und letzten! auch dann nicht, wenn ich Euch dieses hier anpräsentiere ...?!« und die nämliche Rechte fuhr in den weiten Hosensack hinein, als wenn sie in dessen Tiefe die aufgebotenen Reserven mobil machen sollte, und siehe: er brachte ein weiches, sorglich zusammengefaltetes, blaugedrucktes Taschentuch zum Vorschein, legte es auf den Tisch, pellte ein Etui aus den Falten, klappte es auseinander und deutete triumphierend auf den preziösen Inhalt – auf ein Korallenkettchen mit goldener Schließe.
»Auch jetzt nicht, Mamsell?! Blexem und Donnder! 'ne kleine Aufmunterierung, zu Rotterdam unter den ›Boompjes‹ eigenhändig erstanden. Wenn das nicht bastelt, dann bastelt nichts mehr im Leben,« und damit hatte er ihr die hochrote Schnur fingerfertig um den speckigen Nacken gelegt und die Schließe einschnappen lassen.
Jüllecke Nakatenus soll leben – hoch und nochmals hoch und zum drittenmal hoch!«
Sie stand wie versintert.
Die Frau des angeheiterten Lot war gar nichts dagegen, als sie beim Anblick der brennenden Städte Sodom und Gomorra versalzte.
Klaas-Welm, von der Situation hingerissen, stimmte ein getragenes Weihelied an, Ewert und Arnt fielen ein, desgleichen der Kapitän, und da zog die Weise flügelstark durch die blanke Diele, die jetzt die Lichter eines laulichen Juniabends umspielten:
»Wenn alle untreu werden,
So bleiben wir doch treu!
Daß immer noch auf Erden
Für euch ein Fähnlein sei,
Gefährten meiner Jugend,
Ihr Bilder bess'rer Zeit,
Die uns zu Männertugend
Und Liebestod geweiht.«
Und als die vierte und letzte Strophe angestimmt wurde, als es durch die Schwaterskat sauste und brauste:
»Ihr Sterne seid uns Zeugen,
Die ruhig niederschaun'n ...«
da tropfte und taute es von dem Herzen der Tiefgekränkten mit dem Geriesel eines wohlig durchwärmten
Eiszapfens. Aller Groll und Gram schmolz zusammen, Hand in Hand und Schulter an Schulter stand sie neben ihrem Widersacher, lächelte ihn verstohlen an und drückte sich an ihn.
Der Friede von Bylerward, getätigt unter zehn Augen, war zur stetigen Urkund' unter Wachs und Petschaft genommen, und als ein Viertelstündchen später die Kalkpfeifen in Brand gesetzt waren, der Varinas-Kanaster seine aromatischen Rauchwölkchen durch die Stube zwirnte, da erhob sich Jüllecke Nakatenus, klopfte mit ihrem Löffelchen an das Kaffeeschälchen und sagte: »Nichts für ungut, aber musmaßlich habe ich mich auf dem Holzweg befunden. Natürlich: erst das Geschäft. Solches muß per primus seine Richtigkeit haben. Das mit's Begräbnis und Stäwe Donsbrügge kann retourgestellt werden. Auch das mit die Scheiegardinjes will ich nicht mehr für voll estimieren. Also ich bitte. Mynheer Rennings hat's Wort.«
Verlegen spielte sie mit ihrem Korallenkettchen, nickte jedem einzelnen zu und setzte sich wieder.
»Brav so!« versetzte der Kapitän, blies eine derbe Wolke zur Decke, streckte die Beine und setzte in seiner breiten und eigenwilligen Art auseinander: »Meine Herren, daß ich mich zu dieser ungewohnten Zeit unter diesen Pfannen befinde, hat seine besondere Bewandtnis. Ich melde gehorsamst,« und der Zeigefinger der rechten Hand salutierte. »Also von Rotterdam auf Bergfahrt, bin ich mit meinem ›Klaartje van Orsoy‹ in Emmerich vor Anker gegangen. Ladung: Kaffee, Tabak, Süßholz, Zichorien und Holländer Käse. Aber weiß der leibhaftige Nickel! ›Klaartje‹ besitzt ihre Molesten, und wenn sie 'nen Gaul repräsentierte, würde ich sagen: sie ist von oben bis unten mit Steingallen, Piephacken und Mauke behaftet. Ihre Spanten wackeln, die Aufbauten auf Back und Kampanje tun nicht mehr mit, die Spiekerhaut blättert, kurz und gut, das ganze Weibsbild ist außer Fassong und Turnüre geraten, und dann noch ... Ja so! da hab' ich im Spätherbst, so um November herum, 'ne schwere Reise von Grieth bis nach Mannheim zu machen – von Duisbug-Ruhrort aus: Kohlen und Eisen ... und da möchte ich fragen: Klaas-Welm, ohne zu drängen, wann kann ich meinen neuen Rheinkahn unter Steuer und Takelung nehmen? Dieserhalb bin ich auf der Helling gewesen, aber natürlich ...«
»Natürlich,« fiel Klaas-Welm ein, »die Helling war leer und der Vogel auf und davon ...«
»Tut nichts, mein Junge! Pflichten, heilige Pflichten! die werden in Rücksicht genommen; aber meine Sache ist dringlich. Butter bei die Fisch'! Ich muß 'ne klare Antwort besitzen. Also mein Bester, wann kann ich auf Ablieferung rechnen?«
»Wollen mal nachsehen,« und der prächtige Mensch lehnte sich behaglich im Binsensessel zurück und sagte: »Das tote Werk ist so gut wie montiert. Die Relingstützen fehlen nur noch, dito Kalfaterung und Spiekerbelag ... Na, sagen wir: ich kann's rechtzeitig machen.«
»Und zu welchem Termin?«
»Bis Mitte Oktober.«
»Gut! und welcher Tag dieses hujus?«
Klaas-Welm lachte.
»Muß das unbedingt sein?«
»Unbedingt, außerdem geht's nicht.«
»Na, und warum nicht?«
»Herzenssache, mein Söhnchen. Der fünfzehnte Oktober wäre mein Gusto.«
Der Kapitän ließ seine Blindmolläugelchen beseligt von einem zum andern reisen: »An diesem Tage nämlich hab' ich 'nen delikaten Geburtstag zu feiern.«
»Dann allerdings. Der Termin wird innegehalten.«
»Hand drauf, mein Bester.«
»Hier meine Hand,« und zwei derbe Pranken lagen zusammen.
»Ewert und Arnt schlagt durch!« gebot der Kapitän, »dann kalfatert das besser. Los denn dafür!«
Holla! da standen die vier: der untersetzte Rheinbär und Kohlenhändler, Bartje Rennings von Grieth, und die drei anderen, die man die heiligen drei Könige nannte, streckten die Hände, schlugen durch und freuten sich ihres Lebens und der heutigen Stunde, die sie wieder zusammengebracht hatte, während Jüllecke den Kopf auf die Seite legte, mit ihren Ohrgehängen bimmelte, ein heimliches Freudentränchen zerdrückte und durch dieses Freudentränchen ganz schüchtern und verbaselt fragte: »Und nu, Mynheer Rennings, wie soll das neue Bootje denn heißen?«
»Doortje! Doortje van Grieth.«
»Doortje?!« riefen alle froh durcheinander.
»Natürlich! zu ihrer Beehrung.«
»Doch nicht dem They Kistemaker sein adrettes Doortje?!«
»Warum nicht?«
»Nee – aber Baas!«
Der Kapitän räusperte sich.
Er stand eine Weile mit gerunzelter Stirne, nachsinnend, als wenn die tiefsten Gedanken bei ihm flott werden sollten. Sodann hellten seine Züge auf. Mit einem Ruck zog er die Samtweste herunter, warf den Kopf in den Nacken, versenkte die breiten Daumen in die schmalen Taschen und fragte mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete: »Kinder, bin ich nicht noch immer 'n Muster von 'nem schieren und appetitlichen Mannskerl?«
»Das bist du,« pflichtete Ewert ihm bei.
Die übrigen nickten.
»Dann weiter – und habe ich nicht das Meine geleistet als rheinbefahrener Mensch, als Kohlenhändler und Schiffer?«
»Na – und ob, Kaptän!«
»Und glaubt ihr, der himmlische Vater würde in Anbetracht dessen mir nicht rekommandieren: Wachset und mehret euch wie der Sand am Meer? und glaubt ihr, er würde nicht sagen: Rennings, man keinen Scharnier nicht? Man forsch in die Riemen gelegt und beglücke das Weibsbild vom obersten Top bis zur Kambüse herunter?«
Seine Blindmolläugelchen schossen dabei Funken und Blitze, als wären sie gewillt, jeden niederzuknallen, der es wagen sollte, die gestellten Fragen nicht im bejahenden Sinne zu beantworten.
Jüllecke errötete und verhüllte ihr Antlitz.
Die heiligen drei Könige aber ...
Arnt, der Deich- und Schleusenmeister, trat auf ihn zu und sagte: »Das wird blind unterschrieben.«
Dann Ewert: »Dito desgleichen.«
Dann Klaas-Welm: »Wer konträr denkt, kriegt eins mit dem Zimmermannsbeil übergehauen,« und diesem gesellte sich ein schüchternes Stimmchen: »Mynheer, Ihr befindet Euch immer auf dem richtigen Standpunkt. Warum daher nicht im jetzigen Falle, wo so'n weiblicher Amor sich beimengt?«
»Bravo!« und wieder salutierte der grandiose Wasser- und Kohlengewaltige. Dabei klappten seine Hacken zusammen. »Ich melde gehorsamst und tue kund und zu wissen, öffentlich und aus freien Stücken heraus: Ich hab' mich mit Doortje Kistemaker, dem ehrenwerten They Kistemaker die seine, versprochen. Alles all right! Am 15. Oktober hat sie Geburtstag. Am nämlichen Tage, und Doortje zu Ehren, wird die neue Galeere unter die Taufe genommen. Zwei Wochen später machen wir Trauung. Dann feiern wir wie auf der Hochzeit zu Kanä. Ihr seid all miteinander gebeten.«
Er atmete auf: »Blexem und Donnder! das wäre mir von der Seele herunter.«
Hiermit endete des tapferen Kapitäns Bekenntnis und Sendung. Ein Jubel brach los. Alle umdrängten ihn, schüttelten ihm die Hände, ließen sein Doortje, ihn und das neue Rheinbootje leben, versprachen auch der lobenswerten Einladung Folge zu leisten, mit ihm eine pläsierliche Schiffstaufe und gediegene Hochzeit zu begehen ... und als dann die Tafelrunde wieder seßhaft geworden, die ausgebrannten Pfeifen aufs neue ihren Weihrauch verbreiteten und die liebe Abendsonne immer freundlicher die trefflichen Leutchen umglitzerte, empfing auch Jüllecke Nakatenus das, was ihr vor Gott und Menschen und von Rechts wegen zustand.
Arnt stattete Bericht ab.
Er schilderte des Ausführlichen den Hergang der Dinge, den Empfang auf dem Knollenkamp, die solenne Feier und den Pilgerzug durch die blühenden Wiesen. Er sprach von Anna Donsbrügge, ihrem tiefen Elend und Leid, von Jan-Ohme als Repräsentant der Familie, von Phöns met de Fleut, dem Mausegrauen, und wie seltsamerweise Cornelis ten Berg dem Leichenbegängnis ferngeblieben sei. Am Kirchhofsgatter angekommen, scheitelte er die Lebensbäume sacht auseinander, zog bedrückt durch die verwachsenen Gräberreihen hindurch, legte dem Geistlichen anerkennende und gütige Worte auf die Lippen, um schließlich eine Handvoll dunkler Erde allversöhnend in die Tiefe zu werfen.
»Und damit,« unterbrach ihn Jüllecke, »wäre der Knollenkampbauer rips gegangen, um nicht wiederzukommen.«
»Schade um ihn,« versetzte Arnt in tiefer Bewegung, »denn wenn er auch ein unnachgiebiger Mann war, seine Gegner und Widersacher hatte, mir fremd und abgekehrt blieb und ein unrastiges Leben durchlebte, so hat niemand das Recht, ihm gegenüber den Respekt zu verweigern.«
»Woso?« fragte sie mit aufgerissenen Augen.
»Weil er das Seine verstand und vorbildlich war für die hiesige Gegend. Ohne ihn und seinen durchgreifenden Willen wäre manche Strecke trefflichen Landes elendiglich versandet, wären wir nicht mehr Herr über Deiche und Schleusen gewesen. In seiner Eigenschaft als geschworener Bevollmächtigter und Schöffe hat er Großes geleistet. Jeder praktische Rat war ihm lieb, jeder schicklichen Meinung stand er mit offenem Sinn gegenüber. Sein Wort blinkte und blitzte. Sein Schaffen war unbarmherzig und hart, aber auch gesegnete Arbeit. Das kann ich bezeugen. Meinen Schild über ihn! In ihm haben wir einen Mitkämpfer gegen Hinterhältigkeit und Bauerndummheit verloren, eine Kraft ohnegleichen.«
»So?!« machte Jüllecke und wandte sich an ihren Nachbar zur Linken, denn die ihr gewordene Mitteilung wollte ihr so recht nicht behagen. »Ewert, vertrittst du dieselbige Ansicht?«
»Kein Zweifel.«
»Klaas-Welm, und du?«
»Ganz meine Meinung.«
»Aus!« sagte Jüllecke. Sie machte eine abweisende Geste. »Ich tariere das anders, denn wenn ich so vieles bedenke ... Möglich, das mit's Wasser, der Stauflut und die versandeten Acker, denn so was ist ihm auf den eigenen Profit zu verrechnen. Auch das mit's Ökonomische wird seine Richtigkeit haben, denn er hat immer 'nen Musterkultus betrieben, aber das Menschliche im Menschen wurde von ihm man äußerst minder und schwächlich beachtet. Zum Beispiel: hat er Liebe gesät, um Liebe zu ernten? Hat er seiner eingeborenen Tochter das übermittelt, was 'ne eingeborene Tochter in positiver Beziehung und als gesetzliche Knollenkamperbin beanspruchen konnte? Hat er sich bemüßigt gefühlt, ihre sanften Gefühle zu 'nem gewissen Abschluß zu bringen? Nein, er hat sich gar nicht bemüßigt. Ein auserwählter Mensch und Erzeuger hat nicht allein sein überkommenes Bauerntum auf den Thronstuhl zu heben, sondern ihr gegenüber auch seine Vaterschaft und seine Pflichten als Vater. Er mußte ihr versorgen, ihr als rassiges Weibsbild auch die beschauliche und christkatholische Betätigung geben. Auswahl genug hatte der Alte. Aber was tat er? Er ließ seine Augenkieker auf Cornelis haften. Ich bitte euch, ausgerechnet auf Cornelis ten Berg! weil er glaubte, hierdurch den landwirtschaftlichen Misthaufen noch größer und saftiger zu machen. Natürlich sie dankte, denn ein reguläres Weib will auch 'nen regulären Freier beziehen. Das war alles zu haben. Stäwe brauchte sich nur an 'ne prominente Adresse zu wenden. Hier war sie. Ich hätte ihm schon die bekömmliche Antwort gegeben. Beseht euch bloß die Schwaterskat oder die anderen Katen. Was da aufgewachsen ist, hat rasches Blut und Mumm in den Knochen. Und da sollte ich meinen ...«
Die drei Brüder fielen ihr lachend ins Wort: »Jüllecke, Ihr redet Euch ja um Kopf und Kragen.«
»Was?!« hielt sie ihnen flammend entgegen, »das sagt ihr so einfach und wollt die heiligen drei Könige heißen?! Kurasch habt ihr für zehne, das weiß ich, auch die Heiligkeit dito, aber in weiblicher Beziehung: Kindsköppe seid ihr und nicht für voll und ganz zu erachten. Exküsiert meine Ansicht, indessen jedoch: in dieser Hinsicht bin ich fixer mit's Denken, und denke: Gut, daß er abgerutscht ist – der Alte, der Kniestpott, der Mensch, der an Cornelis seinen Narren gefressen. Nun ist freie Bahn für uns alle. Anna Donsbrügge und jeder von euch paßt wie Topf und Deckel zusammen. Das wird mir Herr Rennings bezeugen, und daher Klaas-Welm, geht die Frage an dich ...«
»Jüllecke,« rief dieser »so'n armer Zimmermannsschnösel ...!«
»Ewert – und du?«
»Wie sollte ich als Hegereiter bloß wagen ...?!«
»Arnt – und du?«
»Jüllecke, ich habe mir noch keine eigene Meinung gebildet.«
»Aber ich,« fuhr sie wie ein heiliges Himmelhagelwetter dazwischen, »denn was mit's innigste Gefühl zueinander drängt, das soll man nicht hindern: Wasser zu Wasser nicht, Feuer zu Feuer nicht, weil es also bestimmt ist von der Vorsehung und den Erscheinungen im irdischen Wirkungskreise. Herr Rennings, doppelt hält besser. Ich bitte daher, mich in dieser Beziehung unterstützen zu wollen. Jedes hat seine Zeit: Kranke besuchen und Tote begraben, aber sich mit der Liebe befassen, das hat auch seine Zeit, zumal in diesem Punktus 'ne stolze Männlichkeit aus allen Knöppen herauskuckt und Anna Donsbrügge wohl genötigt sein dürfte, diese stolze Männlichkeit in ihre Arme zu schließen, abgesehen davon, daß die übrigen Zutaten, als da sind: Ackerländereien, Wiesenparzellen, Ochs, Küh' und Pferde, ihre Qualität als menschliches Wesen bedeutend höher bewerten. Kaptän, Ihr als befahrener Mann, der mitten in der Brautschaft drinsticht, Ihr müßt das in Beurteilung haben. Wie ist nu die Sache?«
»Jüllecke, es wird wohl so stimmen. Die drei müssen Farbe bekennen. Ich selber wollte dazumalen auch so recht nicht heran, weil ich mich scheute, mein Junggesellentum in Pensionierung zu geben, aber da schrieb mir Doortje ganz schlankweg ins Flaggenattest:
Wie's kommt, so kommt's auf dieser Erden,
Und was nicht ist, das kann noch werden.
Sie besaß den richtigen Animus. Was sie niederlegte, ist präzis so geworden. Sie und ich tragen den Ring schon am Finger. So« – und er legte die ausgebrannte Pfeife beiseite und schob das reservierte Priemchen wieder in die Backentasche zurück – »ich bedanke mich vielmals für getätigte Gastwirtschaft und liebliches Einvernehmen. Ich geb's retour bei der Bootjestaufe, dito auf der Hochzeit zu Kanä. Meine Stunde ist um.«
»Ich geh' mit,« sagte Klaas-Welm.
»Auch ich muß zum Reichswald,« erklärte Ewert, und da nahmen sie Abschied von Jullecke und traten ins Freie.
Arnt begleitete den Kapitän und seinen Bruder Klaas-Welm noch ein halbes Stündchen auf dem Gange zur Emmericher Rheinwerft.
Als sie die Wiesen erreichten, ähnelte die Luft gesponnenem Glas, feinmaschig und durchsichtig, so daß die einzelnen Kirchtürme, Bäume und Windmühlen auf der feingetemperten Himmelswand wie auf einer Goldfolie ruhten.
Auf der Höhe von Huisberden trennte sich Arnt von seinen Genossen. Er machte noch eine kleine Schleife, bevor er an den Heimweg dachte. Versonnen schritt er über den Binnendeich, der das tiefe, ruhige Wasser des Volksgatts begleitete.
Es war mittlerweile dunkel geworden. Ab und zu rief die Rohrdrossel aus den weiten Schilfbeständen, die weder Anfang noch Ende hatten, die unendlich erschienen. Über ihm flinzelten vereinzelte Sternsplitterchen, rechts und links von ihm, in Bylerward und auf dem Emmericher Eiland, begannen hier und da verstohlene Lichter zu scheinen. Vor ihm aber, in der Nähe des Rheines, stand ein Fenster in voller Beleuchtung.
Dort mußte der Knollenkamp liegen.
Als er den hellen Lichtglanz bemerkte, weitete sich dem hochgewachsenen Manne die Brust. Er streckte sich und hob langsam die Arme, fast feierlich, als hätte eine zwingende Gewalt ihm dieses geboten, denn der scharfumrissene Schein, der fern in der Niederung aufbegehrte, winkte wie ein heißes, verlangendes Auge herüber.