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Die erste Szene

Wohnzimmer im Kupferhammer. Ein wenig eigen eingerichtet. Eine Ofenbank und eine Chaiselongue. Unterm Christusbild zwei japanische Fächer und davor eine rote Papierlaterne. Auf einem modernen Damenschreibtisch eine alte Handnähmaschine und ein paar halbgenähte Bettkissenüberzüge. Auf einem runden Tisch ein großer Spiegel, dem einige Romanbände, Gebetbücher und wohl auch eine Heilige Schrift als allernotwendigste Stütze dienen; dazu zwei Brennscheren, ein Spiritusbrenner, ein Kamm und eine Haarbürste. Im Hintergrund neben der Tür, die von der Küche hereinführt, an der Wand ein Weihwasserkessel. Rechts zwei Fenster; nischenförmig. Links eine weitere Tür; geschlossen.

Samstag nachmittag.

Innocentia sitzt halbentkleidet vor dem Spiegel; unbeweglich.

Wabn in der Küche: Wo bist denn wieder? – – – – Innozenz! – – – – Tritt ein. Wo bist ...

Innocentia antwortet jetzt erst: Im Wohnzimmer ...

Wabn nach einer Weile: Im Wohnzimmer. Vorm Spiegel. Stundenlang. Versteckt. Was siehst denn im Spiegel?

Innocentia ahnungslos: Was ich da ... was ich da drinn ... Vergißt ganz zu antworten. Der Apotheker wird gleich kommen.

Wabn: Der Apotheker? Wieder versteckt. Und das siehst du im Spiegel?

Innocentia immer noch ahnungslos, weil ganz woanders: Ja ... das ... ja ... Begreift erst jetzt. Fährt auf. Unterdrückter Schrei. Was? Geärgert. Ausscheltend. Mit deinen ewigen Fragen. Alte Hex. Will sich verteidigen. Was ich im Spiegel seh?

Wabn fällt ein: Den Apotheker? Und daß er kommt?

Innocentia wütend: Du Kupferhammerhex. Ruhiger. Als obs hier im Haus Geister ... Wieder wütend. Du hast das Haus erst zum wahren Geisterhaus gemacht ...

Wabn: Ich?

Innocentia: Ja ... du. Wos umgehn soll drinn ...

Wabn: Ich?

Innocentia: Du gehst drinn um. Da herum. Sonst niemand.

Wabn: Ich also?

Innocentia fast schreiend: Ja!

Pause.

Wabn nach einer Weile; und nachdem sie sich das Folgende ausgedacht hat: Ich weiß schon, ich weiß schon: Das hat dir – wieder einmal – dein Apotheker so eingeredet.

Innocentia lügend, um sie zu ärgern: »Mein« Apotheker? Nein. »Dein« Schandarm. Dein Wickelkindl. Dei Dockn.

Wabn: Der? Das ist ja gewiß nicht wahr. Der? Der mag mich. Der, der schimpft wenigstens nicht auf mich. Und fahrt mich auch nicht immer gleich hart an. Nein, nein, nein, nein, über den laß ich nix kommen, über den Schandarm. – Aber ... sie kommt auf das Frühere zurück das hat dir wieder einmal – dein Apotheker so eingeredet. Kupferhammergeist? Ich die Hex vom Kupferhammer. Sie lacht. Dann giftig. Oh! der Giftnigel! – – – – Da sind noch andere ... da sind noch ganz andere Geister, Innozenz ... mei liabe Innozenz. Geister, die nicht bloß bei der Nacht umgehn ... sondern die aus- und eingehn hier am helllichten Tag. Geister ... mit Bärten. Und der eine tragt gar Augengläser.

Innocentia spielerisch: Wer?

Wabn: Dein Herr Schullehrer.

Innocentia: Der? Gespannt. – Die? Die meinst du mit den Geistern?

Wabn: Der andre Geist ist ... dein Herr Feuerwehrhauptmann. Der dritte ist dein Herr Braumeister, der Saufaus der. Der viert dein Herr Kommandant, ein geheirateter Mann. Der fünft der Giftnigel, dein Herr Apotheker, der wo gleich kommt. Und der sechst ... der sechst? Grad schad um ihn, daß man ihn mit den andern zusammen in einem Atemzug nennt: der sechst? ... der Schandarm.

– – – – –

Die Geister, die gehn um. Deine Liabhaber. Das »Kommiteh«. Und ... das sind Geister. Die sechse ... und du dazu. – Denn das geht doch nimmermehr mit rechten Dingen ...

Innocentia schreit: Wabn!

Wabn bös: Gut, gut, ... alsdann keine Geister ... Aber ... dann wenigstens ist das Haus ein ... ein merkwürdiges Hotel ... mit nur einem Bett, deim Federnbett ... das meinige ist Stroh ... Sie macht sich davon. Zurück nach der Küche.

Innocentia steht grad so unbeweglich wie sie vordem saß.

Große Pause.

Wabn kommt wieder. Überaus bissig anmeldend: Der Giftni – – – – Der Apotheker.

Innocentia geht einen Schritt auf sie zu.

Wabn duckt sich gekrümmt. So außen wie innen: Ich geh schon.

Ab.

Apotheker begegnet der Abgehenden in der Küche. Tritt ein. Küchentür wird geschlossen. Er ist im Jagdanzug. Mit Gewehr, das er in eine Ecke stellt. Er grüßt gar nicht, geht lange umher, ganz bleich.

Innocentia ebenfalls stumm.

Große Pause.

Apotheker: Ich denk, du bist lang fertig angezogen, wenn ich komm –

Innocentia: Das ist mir aber was neues! – Wann hab ich denn schon einmal »langfertig angezogen« sein müssen, wenn du gekommen bist? Möchtest du mir das nicht sagen? – Was ... was heißt denn das überhaupt?? – – – – Aber gut, gut: so werd ich mich eben ... jetzt anziehn. Damit daß ich nur ja langgenug ehvor angezogen bin.

Apotheker aufstampfend: Na also, es hat ja noch Zeit!

Pause.

Innocentia: Was ist dir? Was ... hast du denn?

Apotheker antwortet nicht.

Innocentia: Grad hab ich mich – wieder einmal – über die Wabn schauderhaft giften müssen ...

Apotheker antwortet nicht.

Innocentia: Oder ... oder soll ich meinen Spruch aufsagen? Dein Spottgedicht? Das was du auf die andern gemacht hast?

Apotheker: Sei so gut und laß das –

Innocentia: Wenn dus aber doch eigens für mich gemacht hast – auf die andern –

Apotheker: Ich will nicht –

Innocentia: Also dann gehörts doch mir?? – – – – Sie sagt etwas Auswendiggelerntes. Und möchte lustig sein und belustigend wirken.

»Da Zirngibl, da Bräumoasta, da Kommandant und da Lehra,
dö vier mitanand, mei! dös sand so Verehra!
Wenns dö viere bloß wären, diese vier ganz allein,
alsdann müßt ich noch heute ein Jungfräulein sein.«

Apotheker: Ja ja ja ja: »wenns dö viere bloß wären, diese vier ganz allein.«

Innocentia fährt fort zu zitieren:

»Denn beim Zirngibl, da brennts im Oberstübl,
und da Bräumoasta hat koana Lebensgoasta,
und – –«

Apotheker: »Wenns die viere bloß wären« – – – – so ist da aber noch ein fünfter da!

Innocentia: Ja: Du! du, Franz!

Apotheker lacht.

Innocentia: Na bist vielleicht du nicht da?

Apotheker: Für den, den ich mit dem fünften mein, für den bin ich wirklich nicht da! Für den bin ich ... Luft! Für den sind wir alle miteinander, der Zirngibl, der Braumeister, der Lehrer und ich – einfach Luft! Kaum, daß er seinen Vorgesetzten, den Kommandanten grüßt –

– – – – –

Aber was soll ich mich da lang noch ereifern? Ganz offiziell. Du kommst nachher – heut auf den Abend – ins Gasthaus zum Stemplinger hin?

Innocentia: Ja. Und ich hab sogar fest geglaubt, daß du mich hinbringen wirst.

Apotheker: Ganz recht, ich bring dich hin –

– – – – –

wieder sehr offiziell. Aber nur, weil da die andern vier auch da sein werden und wir alle fünf dir dann etwas zu sagen haben werden, was du getreulich an denjenigen ausrichten mußt, der dich vom Stemplinger dann wieder nach dem Kupferhammer hieher ... zurückbegleitet –

Innocentia scharf: Wer begleitet mich denn vom Stemplinger dann wieder nach dem Kupferhammer hieher zurück – wer denn??

Apotheker: Der, mit dem du schon öfters ... solche ... solche Mondscheinpromenade gemacht hast! Der, für den vier von uns einfach Luft sind, und für den unser Kommandant gewiß ebenfalls längst schon Luft wär, wann der nicht – glücklicherweise – immer noch ein wenig sein Vorgesetzter wär.

– – – – –

Fast schreiend. Ein für allemal! – Die Geschichte mit dem Schandarm muß ein End nehmen!

Innocentia: Die ... die Mondscheinpromenaden?

Apotheker: Vielleicht haben wir Beweise, daß es zwischen Euch zweien nicht bei bloßen Monscheinpromenaden geblieben ist und ... na ich kann dir ja eben garantieren, daß die Geschichte mit dem Schandarmen ein Ende nimmt und zwar heut abend noch ein Ende nimmt. Noch einmal furchtbar offiziell. Wir alle fünf stellen dich heute abend ganz einfach vor die Entscheidung ...

– – – – –

ich hab die Stimmen von uns allen fünf –

Innocentia: Wirklich? – – – – Ich frag dich nur, damits dir nicht nachher wieder so geht, – als wie bei der letzten Reichstagswahl. Nämlich da hast du doch auch die »Stimmen« von deinen vier Freunderln ghabt – für deinen Liberalen – und dann haben der Zirngibl sowohl wie der Lehrer, der Braumeister sowohl wie der Kommandant dennoch das Zentrum gewählt und nicht deinen Liberalen ...

– – – – –

Im übrigen ... daß ihr alle fünf noch nicht darauf gekommen seid: wenn der Schandarm wahrhaftig so zu seinem Vorgesetzten ist wie du sagst, dann braucht der Kommandant als Vorgesetzter doch nur einen Wink geben und der Schandarm wird versetzt.

Apotheker ändert seinen Ton und verlegt sich auf Bitten und halbes Drohn: Innozenz ... Innozenz ... es wird mir von Tag zu Tag schwerer ... laß ab von dem Menschen ... nur von dem ... die andern, die andern zählen für mich nicht, das weißt du ... aber von dem ...

– – – – –

Es ... es gibt ein Unglück! – Ich ... ich laß nicht von dir!

Innocentia: Und ... er nicht von mir!

Apotheker: Nein ... du nicht von ihm! – – – – Innozenz!

Innocentia: Ihr steht alle zwei, der Schandarm und du, auf ein und demselbigen Fleck, ja, glaubst du denn, daß die andern für mich zählen? Weißt du denn nicht, daß du mit deinem Spottgedicht den Nagel auf den Kopf getroffen hast? »Da Zirngibl, da Bräumoasta, da Kommandant und da Lehra, dö vier mitanand, mei! dös sand so Verehra –.« Jeden geb ich her. Nur von Euch zweien keinen.

Apotheker mehr als ehrlich; Verrat an sich selber. Spielt sich mit den folgenden Worten wieder einmal ganz in die Hände der Innozenz: Hin und wieder möcht ich sogar an meine eigenen Verse nimmer glauben. Hin und wieder ist mir jeder Einzelne von den andern vieren noch zuviel. Hin und wieder schießt mir alles Blut in den Kopf, wenn ich auch nur an den steinalten Zirngibl denk –

Innocentia fast lachend: Na, sei schon so gut, Franz, und denk eben ... sie lacht.

Apotheker: Aber ... Angst und Haß aber dein Schandarm, der will ... festen Fuß fassen bei uns. Der ... der Strafversetzte! Er will uns in Gewalt kriegen. Und hat uns eigentlich schon lang in Gewalt. Wies heute ist, kann der Kommandant gar nicht mehr darum einkommen, daß der Schandarm auf ein neues versetzt wird –

– – – – –

denn das mußt du doch selber sagen, können wir ihm was beweisen? Aber er uns!

Innocentia: Soweit ists doch gar nicht.

Apotheker: Soweit kommts!

Innocentia: Soweit kommts auch gar nicht. Ich kenn ihn besser! Pause. Und ... wenns wirklich soweit kommen könnt, dann wärs nur dadurch, daß ich ihn jetzt aufgeben tät.

Apotheker verzweifelt: Deine Eitelkeit! Nix wie deine Eitelkeit! Hat er dir erzählt, daß du »schön« bist? Aber ... hat er das der Kommandantin nicht auch erzählt?

Innocentia wild verteidigend: Das ist nicht wahr! Nach einer Weile, vorwurfsvoll. – – – – Er ist auf alle eifersüchtig. Du nur auf ihn.

Apotheker: Wie du auf keinen eifersüchtig bist als wie nur auf ihn!

Innocentia einfallend: Und auf dich!

Große Pause.

Apotheker bittend: Innozenz ... Innozenz ...

Innocentia fest: Dir hab ich mich ... seinerzeit ... verkauft. Oder möchst du das nimmer wissen? Und hab dich doch lieben glernt. Oder weißt du das nicht? – – – – In ihn aber, in jenen andern, hab ich mich, ich sags frei, ein bissel verliebt ... und darf ihn jetzt nicht verkaufen. Könnt sein, daß uns dann – wirklich – allen miteinander sowas wie ein Prozeß gemacht werden könnt ...

Apotheker umarmt sie leidenschaftlich.

Innocentia glaubt, daß sie ihm alles ausgeredet hat: Na also!

Apotheker will sie immer noch umarmen.

Innocentia löst sich aus seinen Armen: Hier nicht, Franz –

Apotheker: Warum?

Innocentia: Die alte Hex. Die Wabn.

– – – – –

Und ... soll ich mich denn nicht – endlich – anziehn jetzt?

Apotheker: Aber ... könnt nicht die Wabn – auf der Kreuzstraß drübn – Bier holn derweil!

Innocentia: Ich werds ihr sagen. Ab nach der Küche.

Apotheker ab nach links.

Pause.

Dämmerung.

Wabn kommt herein. Den Krug holen – vom Tisch. Der Deckel klappt laut. Sie späht umher. Murmelnd. Und schaut auch grad so weiß aus wie ein Geist – – – – Sie geht, mit dem Krug in der Linken, nach dem Weihwasserkessel, taucht die Rechte ein und besprengt das Zimmer mit Weihwasser. Zuletzt die Türe links ab.


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