Thomas Edward Lawrence
Aufstand in der Wüste
Thomas Edward Lawrence

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19. Anwerbungen

Am nächsten Morgen herrschte im Lager eine heitere und versöhnliche Stimmung. Der alte Auda, der nun für einige Zeit wenigstens seine Zwistigkeiten mit dem Stamm los war, umarmte mich herzlich und flehte den Segen Gottes auf uns herab. Dann, als ich eben in den Sattel meines niedergegangenen Kamels steigen wollte, kam er nochmals aus dem Zelt geeilt, nahm mich wieder in seine Arme und drückte mich fest an sich; ich fühlte seinen struppigen Bart kratzend an meinem Ohr, während er mir hastig zuflüsterte: »Hüte dich vor Abd el Kader.« Es standen allzu viele um uns her, um mehr zu sagen.

Wir hielten eine Rast zum Frühstück und danach wieder eine Mittagsrast – die Soldaten mußten ihre drei Mahlzeiten am Tag haben. Plötzlich gab es Alarm. Zwei Gruppen von Reitern auf Pferden und Kamelen jagten von Westen und Norden heran und hielten scharf auf uns zu. Wir machten die Gewehre schußfertig; und die Inder, geübt im raschen Manöver, brachten die leichten Vickers- und Lewis-Maschinengewehre in Stellung. In dreißig Sekunden stand unsere kleine Schar geschlossen zur Verteidigung bereit: ein militärisch schönes Bild.

Ich war noch dabei, uns selbst zu bewundern, und Scherif Ali ermahnte uns gerade, mit der Eröffnung des Feuers unbedingt abzuwarten, bis der Gegner nahe genug heran war, als Awad mit einem lustigen Lachen vorsprang, dem Feind entgegenlief und zum Zeichen freundlicher Gesinnung seinen weiten Ärmel über dem Kopf schwenkte. Man feuerte nach ihm oder auch über ihn hinweg, ohne Erfolg. Er warf sich nieder und schoß zurück, nur einen Schuß haarscharf über den Kopf des vordersten Reiters hinweg. Das und auch unsere schweigende Bereitschaft ließ sie stutzen. Sie schlossen auf, und nach einer Minute der Beratung schwenkten sie ihre Mäntel in etwas zögernder Erwiderung auf unsere Zeichen.

Ein Mann löste sich aus der Gruppe und ritt im Schritt auf uns zu. Awad ging ihm unter dem Schutz unserer Gewehre zweihundert Yard entgegen und sah nun, daß es ein Sukhurri war, der, als er unsere Namen hörte, sehr bestürzt tat. Es war eine Streifabteilung der Zebn Sakhr, die, wie wir erwartet hatten, vor uns bei Bair lagerten.

Ali in seiner Wut über ihren verräterischen Angriff drohte ihnen mit allen erdenklichen Bestrafungen. Sie ließen mürrischen Blickes den Redestrom über sich ergehen und sagten nur, es wäre bei den Beni Sakhr Sitte, auf Fremde zu schießen. Ali ließ das als ihre Gewohnheit gelten, sogar als eine gute Gewohnheit in der Wüste, rieb ihnen aber unter die Nase, daß ihr überraschender Ansturm von drei Seiten bedenklich nach vorbedachtem Überfall schmeckte. Die Beni Sakhr waren eine gefährliche Bande, einerseits nicht reine Nomaden genug, um den nomadischen Ehrenkodex einzuhalten und sich dem Gesetz der Wüste aus Überzeugung zu beugen, anderseits nicht ansässige Dörfler genug, um dem Raub- und Plünderungsgeschäft gänzlich zu entsagen.

Unsere Ex-Angreifer ritten voraus, um in Bair unsere Ankunft zu melden. Mifleh, der Häuptling des Klans, hielt es für das klügste, den üblen Empfang durch eine große Parade wieder gutzumachen. Alle seine Leute kamen uns entgegengestürmt und begrüßten uns mit wüstem Geschrei, verwegenen Reiterkunststückchen und vor allem ausgiebiger Schießerei in die Luft. Sie wirbelten in wilder Fahrt um uns herum, parierten ihre Pferde in vollem Galopp fast auf der Stelle, jagten steile Felsen hinan und stoben rücksichtslos kreuz und quer durch unsere Reihen, dabei auch noch fortwährend ihre Flinten dicht unter den Hälsen unserer Kamele abschießend. Dichte Wolken von Kreidestaub stiegen hoch, so daß alle Männerkehlen krächzten.

Schon näherte sich die Toberei ihrem Ende, als Abd el Kader, dem an der guten Meinung selbst von Narren gelegen war, auf den Gedanken verfiel, nun auch seine Künste vor ihnen zu zeigen. Die Beni Sakhr hatten eben Ali ibn el Hussein zugeschrien: »Gott gebe unserm Scherif Sieg!« und dann, auf der Hinterhand kehrtmachend, sich mir zugewandt mit dem Ruf: »Willkommen, Aurans, Wegbereiter der Tat!«, da kletterte Abd el Kader in den hohen maurischen Sattel seiner Stute, und gefolgt von der strammen Reihe seiner sieben algerischen Diener, begann er im vorsichtigen Hoppelgalopp einherzustolzieren, dabei mit seiner kehligen Stimme fortwährend »Hup, Hup« schreiend und aus einer höchst wackelig gehaltenen Pistole in die Luft feuernd.

Die Beduinen standen starr vor Staunen angesichts dieser Veranstaltung; bis dann schließlich Mifleh zu uns trat und in seiner aalglatten Art sagte: »Ihr Herren, wollet bitte euren Diener zurückrufen; er kann weder schießen noch reiten, und wenn er jemanden verletzt, ist es mit dem Glück unseres heutigen Tages vorbei.«

Wir schlugen unser Lager bei den Ruinen auf. Drüben waren die schwarzen Zelte der Beni Sakhr gleich einer Herde Ziegen in das Tal hineingefleckt. Ein Bote kam, um uns in Miflehs Zelt zu laden. Meine Leute flüsterten aufgeregt, sie hätten gesehen, wie hinter dem Zelt, oben bei den Gräbern, Schafe abgestochen würden.

Die Schmäuse bei den Howeitat waren schon reichlich fettgetränkt gewesen, aber bei den Beni Sakhr flossen sie geradezu über. Unsere Kleider waren bespritzt von Fett, unsere Münder trieften von Fett, unsere Fingerspitzen waren verbrüht von Fett. Als der erste Hunger gestillt war, griffen die Hände gemächlicher zu; aber das Mahl war noch weit von seinem gehörigen Abschluß entfernt, als Abd el Kader plötzlich aufstöhnte, auf die Füße sprang, die Finger an einem Handtuch abwischte und sich auf die Teppiche hinten an der Zeltwand zurückzog. Wir hielten inne, aber Ali murmelte nur verächtlich: »Dieser Bauer«; also fuhren wir fort im löblichen Werke, bis alle in unserer Runde satt waren und die Mäßigeren unter uns schon begonnen hatten, das geronnene Fett von den schmerzenden Fingern abzulecken.

Ali räusperte sich; wir erhoben uns und kehrten zu unseren Teppichen an der Zeltwand zurück, indes sich die zweite und dritte Runde an der Schüssel sättigte. Ein kleiner Knirps von fünf oder sechs Jahren, in schmierigem Kittel, hatte die ganze Zeit über davorgesessen und sich mit beiden Händen andächtig vollgestopft, um sich dann zuletzt mit geschwollenem Bauch, das Gesicht glänzend von Fett, zu erheben und wortlos hinauszuschwanken, wobei er noch ein mächtiges, nicht bewältigtes Rippenstück triumphierend und zärtlich an seine Brust drückte.

Draußen vor dem Zelt zerknackten die Hunde lautkrachend die abgenagten Knochen; und in einer Ecke hockte Miflehs Sklave und lutschte aus dem aufgespaltenen Hammelschädel das Gehirn heraus, indes Abd el Kader in einem fort spuckte, rülpste und sich in den Zähnen stocherte. Schließlich ließ er sich von einem seiner Diener seinen Medizinkasten herbeiholen und braute sich irgendeinen Trank zurecht, wobei er vor sich hinbrummelte, daß so schwere Kost schlecht für seinen Magen sei. Er vermeinte sich mit solcher Unmanierlichkeit wer weiß was für ein Ansehen zu geben. Bei seinen Dörflern mochte er damit wahrscheinlich gewaltigen Eindruck machen; aber die Zebn Sakhr wohnten denn doch zu nahe der Wüste, um nach bloßem Bauernmaßstab gemessen zu werden. Zumal sie heute ein leuchtendes Gegenbeispiel vor Augen hatten in Gestalt von Ali ibn el Hussein, einem geborenen Herrn der Wüste. So blieb der arme Abd el Kader gänzlich unverstanden.

Er verschwand denn auch bald, und wir setzten uns zusammen vor den Eingang des Zeltes, unter uns das tiefe dunkle Tal, wo in verschiedensten Gruppierungen die Zeltfeuer leuchteten, fast wie ein Gegenspiel oder Widerschein des Sternenhimmels. Die Nacht war still, nur daß bisweilen die Hunde sich gegenseitig zu einem Heulchoral ermunterten; flaute der ab, so hörten wir wieder die regelmäßigen dumpfen Schläge der schweren Geschütze, die den großen Angriff in Palästina vorbereiteten. Unter dieser artilleristischen Begleitung eröffneten wir Mifleh, daß wir die Absicht hätten, in das Gebiet von Deráa einzufallen, und daß es uns sehr willkommen wäre, wenn er und etwa fünfzehn seiner Stammesleute, alle auf Kamelen beritten, mit uns kämen. Nach dem Fehlschlag mit den Howeitat hatten wir beschlossen, unsern wahren Plan zu verschweigen, um nicht durch seine Gewagtheit unsere Parteigänger wieder abzuschrecken. Mifleh indessen stimmte sofort zu, anscheinend mit freudigem Eifer, und versprach, die fünfzehn Besten des Stammes und seinen eigenen Sohn, Turki, zu stellen.


Es war längst dunkel geworden, als unsere Karawane, nach gehöriger Tränkung der Tiere, von Bair aufbrach. Wir Führer blieben noch zurück, bis die Zebn Sakhr mit ihren Vorbereitungen fertig waren. Mifleh beabsichtigte, unterwegs dem Grabmal des Essad, des angeblichen Ahnherrn ihres Stammes, einen Besuch abzustatten; es lag nahe bei Annads Grab. Die Gelegenheit erforderte, so meinte der Scheikh, daß er eine weitere Kopfschnur der dürftigen Sammlung hinzufügte, die sich um den Grabstein Essads schlang; und bezeichnenderweise bat er uns, ihm diese Weihgabe zu verschaffen. Ich überreichte ihm eine meiner reichen rotseidenen, silberdurchwirkten Mekka-Kopfschnüre und bemerkte dabei, ihren wahren Wert erhielte die Gabe erst durch den Geber. Der knickrige Mifleh nötigte mir dafür einen halben Penny auf, damit es so aussah wie ein Kauf. Und als ich dann wenige Wochen danach wieder an dem Grabmal vorbeikam und sah, daß das Weihegeschenk verschwunden war, schimpfte er laut, so daß ich es hören konnte, über die Heiligtumsschändung irgendeines gottlosen Scherari, der das Grab seines Ahnherrn beraubt habe. Turki hätte mir mehr darüber erzählen können.


Ein steiler alter Paßweg führte uns aus dem Wadi Bair hinaus. Dicht unterhalb eines Höhenkammes fanden wir unsern Trupp für die Nacht um ein Feuer gelagert, aber diesmal gab es weder Unterhaltung noch Kaffeekochen. Wir lagen still beisammen und lauschten angestrengt, um den fernen Donner von Allenbys Kanonen zu hören. Sie sprachen sehr beredt; und das Wetterleuchten im Westen mochte man für ihr Mündungsfeuer nehmen.

Am nächsten Tage marschierten wir links an den Thlaithukhwat vorbei, den »Drei Schwestern«, deren strahlende weiße Gipfel ringsum die ganze Gegend beherrschten; und nach Überquerung der hohen luftigen Wasserscheide, zu der sie gehören, stiegen wir die sanft geschwungenen Hänge jenseits hinab. Der wundervolle Novembermorgen war lind und mild wie ein Sommertag in England, doch war keine Zeit, seine Schönheit zu genießen. Während der Märsche und auch bei den Rasten war ich stets mit den Beni Sakhr zusammen, gewöhnte mein Ohr an ihren Dialekt und merkte mir, was sie von den Verhältnissen innerhalb des Stammes verlauten ließen.

Bei Einbruch der Nacht lagerten wir in dem trockenen Bett eines Nebenflusses des Wadi Djescha; einiges Buschwerk mit zartem, graugrünem Laub gab unsern Kamelen willkommenes Futter und lieferte uns Feuerholz. In dieser Nacht hörte man den Kanonendonner sehr klar und laut, vielleicht weil die dazwischenliegende Senke des Toten Meeres das Echo auf das Hochplateau zu uns hinübertrug. Die Araber flüsterten: »Sie sind schon näher. Die Engländer gehen vor. Gott erbarme sich der Männer in diesem (Kugel-) Regen.« Sie dachten voll Mitleid der weichenden Türken, ihrer schwächlichen Bedrücker seit so langer Zeit, aber ihnen um eben dieser Schwäche willen dennoch lieber als der starke Fremde mit seiner blinden, unterschiedlosen Gerechtigkeit.

Wir waren früh wieder auf den Beinen und hofften, die lange Strecke nach Ammari bis Sonnenuntergang geschafft zu haben. Gegen Mittag erschien auf dem Bergrücken vor uns eine Gruppe Kamelreiter, in flottem Trab offensichtlich auf uns zusteuernd. Der junge Turki galoppierte auf seiner Kamelstute vor, den schußbereiten Karabiner quer über den Schenkeln, um festzustellen, was sie wollten. »Ha«, rief mir Mifleh zu, als sie noch eine Meile entfernt waren, »das ist Fahad, da an der Spitze, auf seiner Schaara. Es sind unsere Blutsbrüder.« Und so war es auch. Fahad und Adhub, die Hauptanführer der Zebn auf Kriegszügen, hatten bei Ziza westlich der Eisenbahn gelagert, als ihnen ein Gomani die Nachricht von unserm Vormarsch brachte. Sie hatten sofort gesattelt und uns nun in scharfem Ritt bereits auf halbem Wege abgefangen. Fahad machte mir in liebenswürdig scherzhafter Form Vorwürfe, wie ich mich erdreisten könnte, durch ihr Gebiet auf Abenteuer auszureiten, indes seines Vaters Söhne in ihren Zelten lägen.

Fahad war ein stiller, ernster Mann von etwa dreißig Jahren mit sanfter Stimme, bleichem Gesicht, kurz gestutztem Bart und schwermütigen Augen. Sein jüngerer Bruder Adhub war größer von Wuchs und kräftiger, wenn auch nicht über Mittelgröße. Im Gegensatz zu Fahad war er lebhaft, laut, grobschlächtig, mit einer Stupsnase, bartlosem Kindergesicht und grünlich schimmernden Augen, die begehrlich von Gegenstand zu Gegenstand flackerten. Die Armseligkeit seines Äußeren wurde noch betont durch sein ungekämmtes Haar und die schmutzigen Kleider. Fahad war sauberer, aber auch äußerst einfach gekleidet; und in diesem Paar auf ihren zottigen Kamelen einheimischer Zucht hätte man wahrhaftig nie zwei so hochangesehene Scheikhs und weitberühmte Krieger vermutet.

In Ammari blies ein heftiger kühler Nachtwind und wirbelte den aschenartigen Staub des salzhaltigen Bodens um die Brunnen in dichten Wolken hoch, daß er uns zwischen den Zähnen knirschte, wie bei einer vulkanischen Eruption. Auch das Wasser enttäuschte uns. Es lag, wie stets im Sirhan, offen zutage, aber die meisten Tümpel waren bitter und ungenießbar. Nur das Wasser eines einzigen Brunnens, genannt Bir el Emir, erschien uns, verglichen mit den andern, sehr wohlschmeckend. Er lag in einer kleinen nackten Kalksteinfläche zwischen Sandhügeln.

Sein Wasser, milchig-trüb und nach Salz und Ammoniak schmeckend, lag gerade unterhalb eines Felsvorsprunges in einer steinigen Höhlung mit zerklüfteten, überhängenden Rändern. Daud machte die Probe auf seine Tiefe, indem er Farradj völlig bekleidet hineinstieß. Er versank in der gelblichen Flut und tauchte dann wieder leise an der Oberfläche gerade unter dem Felsvorsprung auf, wo er im Finstern nicht gesehen werden konnte. Daud wartete eine angstvolle Minute, warf dann den Mantel ab und tauchte nach ihm – um ihn dann vergnügt lachend unter dem überhängenden Felsen zu entdecken.

Sie wurden herausgezogen und gerieten dann draußen auf dem Sand bei dem Wasserloch in eine wilde Rauferei. Sie richteten sich beide gehörig zu, und die sonst so zarten und anmutigen Gestalten erschienen dann bei meinem Feuer triefend vor Nässe, zerfetzt, blutig; Haare, Gesicht, Kleider über und über mit Schlamm und Dornen bedeckt, recht wie zwei wilde Teufel. Sie sagten, sie hätten getanzt und wären dabei über das Gestrüpp gestolpert, und es würde meiner Großmut angemessen sein, ihnen neue Kleider zu schenken. Ich enttäuschte ihre Hoffnung und schickte sie fort, die Schäden auszubessern.

Am nächsten Morgen hatte der Wind etwas nachgelassen, und wir setzten uns auf Azrak hin in Marsch, eine Tagereise vor uns. Kaum aber waren wir aus den Sanddünen bei den Wasserstellen heraus, als es Alarm gab. In dem Buschwerk vor uns waren Reiter gesehen worden. Das bedeckte Gelände hier war so recht der Tummelplatz für Räuberbanden. Die Kolonne machte sofort halt und marschierte an einer günstigen Stelle auf. Die Inder erwählten sich einen schmalen Bergrücken, dessen Vorgelände von zahlreichen, tief eingeschnittenen Wasserrinnen durchzogen war. Ihre Kamele ließen sie in einer gedeckten Mulde niedergehen, und in wenigen Augenblicken standen ihre Maschinengewehre schußbereit in Stellung. Ali und Abd el Kader entfalteten ihre tiefroten Banner und ließen sie im Winde flattern. Unsere Plänkler, geführt von Ahmed und Awad, zogen sich seitlich rechts und links heraus, und einzelne Schüsse wurden gewechselt. Plötzlich hatte alles ein Ende. Der Gegner kam aus seiner Deckung heraus und marschierte in breiter Front auf uns zu, Mäntel und Ärmel hoch in der Luft schwenkend und ihren Kriegsgesang zur Begrüßung anstimmend. Es waren die wehrfähigen Männer des Serahin-Stammes, gerade auf dem Wege zu Faisal, um ihm den Treueid zu schwören. Als sie erfuhren, daß wir von Faisal kamen, kehrten sie mit uns zusammen zu ihrem Lager zurück, sehr froh, sich den Weg erspart zu haben, denn der Stamm führte für gewöhnlich ein seßhaftes Hirtenleben. Es gab einiges Gepränge bei unserer gemeinsamen Ankunft vor ihren Zelten bei Ain el Beidha, wenige Meilen östlich von Azrak, wo der ganze Stamm versammelt war; und die Zurückgebliebenen begrüßten uns mit lautem Freudengeschrei, denn es hatte am Morgen großes Jammern und Klagen unter den Frauen gegeben, als sie ihre Männer davonreiten sahen.

Die Führer verteilten unsere Schar auf die einzelnen Zelte zur gastlichen Aufnahme. Ali, Abd el Kader und ich kamen in das Zelt von Mteir, dem obersten Scheikh des Stammes, einem alten, zahnlosen, freundlichen Wesen mit herabhängendem Unterkiefer, den er beim Sprechen mit der Hand stützte. Nach umständlicher und wortreicher Begrüßung ließ er uns ein sehr üppiges Mahl auftragen von gesottenem Hammelfleisch und Brot. Wood und Abd el Kader zeigten sich vielleicht etwas allzu heikel, aber in der Tat schien bei den Serahin die Tischdisziplin reichlich primitiv zu sein, und es gab um die gemeinsame Schüssel mehr Gespritze und Geschmatze, als es sich für ein besseres Zelt gehörte. Für die eine Nacht blieben wir, auf Mteirs eifriges Drängen hin, in seinem Zelt und lagerten uns auf seine Teppiche. Alles, was an Flöhen, Läusen und Wanzen vorhanden war, kam begierig herbeigeströmt, denn nach der mageren und ewig gleichen Kost an den Sirhan boten ihnen unsere Leiber eine hochwillkommene Abwechslung. Ihr Entzücken über diese ungewohnten Leckerbissen machte sie so gefräßig, daß ich beim besten Willen der Welt mich ihnen nicht länger als Festbraten zur Verfügung zu stellen vermochte. Ali schien es ähnlich zu gehen, denn er richtete sich ebenfalls auf und erklärte, nicht schläfrig zu sein. Also wurde Scheikh Mteir geweckt und nach Mifleh ibn Bani gesandt, einem jungen unternehmungslustigen Mann und erprobten Führer in den Kämpfen des Stammes. Ihnen setzten wir nun Faisals schwierige Lage auseinander und unsern Plan, ihm zu Hilfe zu kommen.

Sie hörten uns mit ernster Miene an. Mit der westlichen Brücke, sagten sie, wäre überhaupt nichts zu machen. In jene Gegend hätten die Türken gerade vor kurzem Hunderte von militärisch ausgebildeten Holzfällern zusammengezogen. Nicht der kleinste Trupp könnte dort ungesehen durchschlüpfen. Gegen die algerischen Dörfler und insbesondere gegen Abd el Kader äußerten sie das stärkste Mißtrauen. Nichts könnte sie bewegen, diese Ortschaften unter seiner Führung zu betreten. Bei einer Unternehmung gegen die nächstgelegene Brücke, bei Tell-el Schehab, fürchteten sie, von den dortigen Dorfbewohnern, ihren eingefleischten Feinden, von rückwärts her überfallen zu werden. Und wenn es dann regnete, könnten die Kamele nicht rasch genug über die schlammige Ebene von Remthe zurück, so daß der ganze Trupp abgeschnitten und niedergemacht werden würde.

Das brachte uns in die größte Verlegenheit. Die Serahin waren unsere letzte Hilfsquelle, und wenn sie sich weigerten mitzukommen, so waren wir außerstande, den mit Allenby abgemachten Plan zur vereinbarten Zeit auszuführen. Demgemäß versammelte Ali um unser kleines Feuer noch eine Anzahl der Tüchtigsten des Stammes und ließ, um die Partei der Mutigen zu stärken, auch Fahad und Mifleh und Adhub herbeiholen. Vor solchem Kreis begannen wir nun den Redekampf gegen diese unverhohlene Zimperlichkeit der Serahin, die uns nach dem langen Aufenthalt in der herzstärkenden Wildnis als etwas geradezu Beschämendes erschien.

Wir suchten ihnen, nicht abstrakt, sondern konkret, ganz nur im Hinblick auf ihren besonderen Fall, zu Gemüte zu führen, daß man ein Leben in Gemeinschaft nur wahrhaft leben und lieben könne, wenn man jederzeit zum Äußersten bereit sei. Ein Aufstand sei kein Asyl für Ruhebedürftige, keine Zahlstelle für Dividenden des Behagens. Aufstand, das bedeutet immer neues Wagnis und Abenteuer, immer härtere Entbehrung, immer schärfere Pein. Söhne der Wüste zu sein, das hieße, wie sie wohl wüßten, nie endenden Kampf zu wagen mit einem Gegner, der nicht von dieser Welt und diesem Leben wäre, sondern des Name Hoffnung sei. Keinerlei Ehre sei bei einem sicheren Erfolge, aber viel Ehre ließe sich einer sicheren Niederlage abringen.

Es waren stockende, halbzusammenhängende Worte, aus dem Augenblick geboren, die wir verzweifelt, in äußerster Bedrängnis, diesen naiven Gemütern rund um das ersterbende Feuer einhämmerten, und ich konnte mich ihrer späterhin kaum entsinnen. Ich fühlte nur, wie die Serahin langsam nachgaben und ihre Engherzigkeit sich löste in der Stille der Nacht und einem jähen Eifer wich, mit uns zu reiten, wohin es auch immer sei.

Kurz vor Tagesanbruch riefen wir den alten Abd el Kader herbei, nahmen ihn beiseite in das sandige Dickicht und schrien ihm in die tauben Ohren, daß die Serahin nach Sonnenaufgang mit uns und unter seiner Führung nach dem Wadi Khalid aufbrechen wollten. Er grunzte nur, es wäre gut. Und wir schworen uns zu, nie wieder im Leben, wenn die Gelegenheit sich böte, einen tauben Mann zum Verschwörer zu nehmen.


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