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Geleitwort

Ein Dorfwinkel«, der Dorfroman Camille Lemonniers, dessen erste deutsche Übersetzung hier folgt, ist gewissermaßen das erste erfolgreiche Auftreten des großen belgischen Autors in einer literarischen Gattung, die er zu einer so hohen Vollendung bringen sollte.

In der chronologischen Reihenfolge kommt dieser im Jahre 1879 erschienene Roman gleich vor den Hauptwerken » Un Male« und » Le Mort«. Er darf als eine schöne Bauernstudie aus einer der interessantesten Gegenden des vlämischen Belgiens bezeichnet werden. Ich meine damit die brabantische Ebne in der Umgegend von Brüssel, die sich durch ihren Wohlstand, durch Üppigkeit und Patriarchalismus ihrer Sitten, durch besondere Lebenslust und Überschwang sowie durch ein germanisches Draufgängertum auszeichnet, das von gallischer Gutmütigkeit und Sanftmut gemildert wird. Die brabantischen Bauern, ebenso impulsiv und sinnesfreudig wie ihre Stammesbrüder aus Flandern, Antwerpen und Limburg, sind weniger leidenschaftlich. Die Nähe der Hauptstadt und die günstigeren Daseinsbedingungen üben ihren Einfluß auf sie aus; ihr Boden ist ertragreicher, als sonst zuland, sie erfreuen sich eines größeren Wohlstandes und einer gewissen Behaglichkeit. In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich beträchtlich von den Landbewohnern der Antwerpener » Campine« sowie von den Bauern Ost- und Westflanderns, die verbittert sind durch das Elend und die Entbehrungen ihres Lebens und geneigt zu heimlichem Haß, allerhand Widersetzlichkeiten und offenen Revolten selbst und sich häufig gezwungen sehen, vor allem die Bauern Flanderns, die Kraft ihrer Arme in Frankreich als Ernte- und Feldarbeiter zu verdingen, oder in die Kohlengruben des Hennegaus zu steigen, um sich die nötigen Mittel für den eigenen Unterhalt und den Unterhalt ihrer vielköpfigen Familie zu erwerben. Im übrigen paßt sich der Roman Lemonniers dem Charakter des äußeren Lebens und der Art der darin geschilderten Menschen vortrefflich an. Er ist gewissermaßen ein Werk in gedämpften Farben, weich in den Tönen, eher idyllisch und sentimental, als leidenschaftlich und pathetisch mit hier und da eingestreuten schnurrigen und neckischen Episoden. Literarisch darf er seinen Teil an der Heiterkeit und Ruhe beanspruchen, die einen in den Bildern von Teniers und Ostade, der vlämischen und holländischen Kleinmeister des 17. Jahrhunderts entzücken. Das Kolorit ist gedämpft mit warmer Belichtung, die aber durchaus nicht aufdringlich wirkt. Dennoch sind die Typen sehr lebendig und gut gesehen, tief ergründet und von der wirkungsvollsten Seite gezeigt, in ihrem alltäglichen Handel und Wandel und in ihrer natürlichsten Art zu sprechen und sich zu geben. Trotz seinem Lyrismus und seiner Begeisterung besitzt dieses Werk außerordentlich viel Plastik und eine große Kraftfülle. Es ist eher naturalistisch als romantisch, und zeugt von einer außergewöhnlichen Geschmeidigkeit Lemonniers, der mit gleichem Geschick die friedlichen Sitten wie später die leidenschaftlichen Ausbrüche, wilde und blutige Vorgänge und die alle Fesseln brechende Raserei zu schildern verstanden hat. Sicherlich hat Lemonnier im Laufe der Zeit tiefer ergreifende und erschütternde Werke geschaffen, aber er hat nie – wenn ich hier einzelne von seinen allerletzten Schöpfungen wie » Le Vent dans les Moulins« und » La Chanson du Carillon« ausnehme – so sympathische und rührende Sachen geschrieben.

Soeben habe ich die naturalistische Art dieses Dorfromans betont. Doch hat gerade in diesem Werke der Naturalismus Lemonniers nichts von den meisten Dorfromanen, die Zola und seine Nachahmer in Frankreich veröffentlicht haben. Während die Mehrzahl dieser Romanschreiber, die sich mit dem Landmann beschäftigten, sozusagen Bourgeois waren und ihn von der eingebildeten Höhe ihrer Vorurteile und ihrer vermeintlichen Überlegenheit betrachteten und besonders auf seine Mängel, seine körperliche und geistige Unbeholfenheit, auf die Fehler und Lächerlichkeiten Nachdruck legten, die groteske Seite an ihm übertreibend und uns nichts als Fratzen, Höcker und Warzen zeigten, stellt sich Lemonnier mit seinen gefälligen, sympathischen und von Gesundheit strotzenden Figuren auf gleiche Stufe, wird zu ihrem Vertrauten und Genossen, und wenn es vorkommt, daß ihre Einfalt, ihre Treuherzigkeit und Altväterlichkeit ihn zuweilen lächeln machen, überhäuft er sie niemals mit Spott und Verachtung. In bezug darauf gibt es nichts Erbaulicheres, als wenn man ein Werk wie J. K. Huysmans » En Rade« oder Erzählungen wie die Novellen von Maupassant liest, nachdem man »Im Dorfwinkel« kennen gelernt hat. Da erhalten wir erst den vollen Eindruck, welch ein echtes und herzliches Sittenbild das Werk von Lemonnier eigentlich ist, während die anderen eher den Eindruck einer Parodie, einer Satire oder einer Schmähschrift machen. Doch ich will nicht allein bei den Vorzügen dieses schönen Buches verharren. Es genügt diese Lektüre zu beginnen, um von dem Duft und der Süße gefangen genommen zu werden, die unmittelbar der Natur entnommen ist, um in den Bann dieses meisterhaft geschilderten Milieus eines eigenartigen Erdwinkels zu geraten, dem Lemonnier seine redliche und meisterliche Studie gewidmet hat.

Ich möchte auf alle Fälle, bevor ich schließe, hinzufügen, daß gerade dieses Gepräge, dieses spezifisch Eigenartige, ganz bemerkenswert in der Übersetzung des Herrn d'Ardeschah gewahrt worden ist, der sich schon so vorteilhaft durch die vortreffliche Übertragung des gewaltigen Dorfepos von Reymont »Die polnischen Bauern« bekannt gemacht hat. Dem Werk des belgischen Romanciers ist Herr d'Ardeschah nicht minder glücklich gerecht geworden. Die Übersetzung des Dorfwinkels ist zugleich getreu, gewissenhaft und elegant, d. h. unbedingt künstlerisch. Der Übersetzer ist hier wirklich der Mitarbeiter des Dichters geworden. Ich möchte sogar sagen, daß der »Dorfwinkel« unter den Werken Lemonniers dasjenige ist, das sich am besten für eine Verdeutschung eignet. Und tatsächlich schon als das Buch bei Lemerre in Paris erschienen war, hatte die Kritik darauf hingewiesen, daß Lemonnier seine Erzählung freilich in französischer Sprache niedergeschrieben hätte, daß sie aber eigentlich von ihm vlämisch gedacht worden ist. Man findet selbst gerade hier in der Sprache Lemonniers echt vlämische Sprachbilder, die unübersetzbar sind, wie jene Redensarten z. B.: » il n'y a pas plus belle chanson que chanson de gros sous dans la poche«, »ce n'est pas avec la langue que l'on défait le neud d'un mouchoir« und hundert ähnliche Wendungen, die ihr Mark und ihren Saft diesem Buch verdanken, das ganz aus vlämischem Fleisch und Blut ist, ganz durchtränkt von dem nationalen Fluidum. Auch in dieser Hinsicht scheint mir die Übersetzung des Herrn d'Ardeschah zum mindesten ebenso lebenswarm, ebenso kräftig und wahr wie das Original zu sein. Kein Ton ist falsch in dieser schönen Transposition. Die Eigenart des vlämischen Bauern scheint hier selbst noch straffer herauszukommen. Der gesunde Duft der Felder, der zugleich rauhe und üppige Klang der ländlichen Stimmen, die feuchte Frische der alten Bäume, der Hopfen des Ackerlandes und das Bier der Brauereien – mit einem Worte alles, was die Physiognomie und die Seele des vlämisch-brabantischen Landes ausmacht, hätte nicht besser wiedergegeben werden können.

Georges Eekhoud.

Nachschrift

Belgien ist eins der seltsamsten Rassekapitel Europas. Auf dem alten keltischen Mutterstamm sind hier wie zwei Schwesterreiser die beiden kulturell führenden Rassen Europas, die gallische und die germanische, gepfropft worden und sie blühen einträchtig nebeneinander. Dieses doppelte Blühen, das die Eigenart Belgiens ausmacht, ist in der vlämischen und in der wallonischen Tönung des belgischen Lebens zu finden, die heute, in der Zeit des Bewußtwerdens nationaler Tiefen, in einer neuen Fülle und Blühkraft zutage tritt. Aus diesem Grunde ist in der modernen belgischen Literatur schwer ein Werk zu finden, das als Bauernroman wie Reymonts »Polnische Bauern« identisch mit der Volksseele wäre. Die Wahl des Lemonnierschen »Dorfwinkels« ist gerade dieser Einsicht entsprungen, da in Lemonnier das Vlämische und das Wallonische sich zu einer physischen Einheitlichkeit und Harmonie verbinden, die für einen großen Teil belgischen Lebens typisch ist.

Wer jedoch den Einzelklängen tiefer nachgehen will, der findet bei dem leider noch viel zu wenig in Deutschland bekannten Dichter des »Kees Doorik«, George Eekhoud, die vlämische Schicksalsschwere und bei Maurice des Ombiaux die wallonische Leichtigkeit. Voraussetzung für diese Erkenntnis ist allerdings die Bekanntschaft mit dem Ende des 19. Jahrhunderts von Charles de Coster gedichteten belgischen Nationalepos »Tyll Ulenspiegel«, das erst vor einigen Jahren für Deutschland entdeckt wurde, und zu den Werken zählt, die man nicht mehr vergessen wird.

Es ist mir eine besondere Genugtuung, diesen Band des »Bauernspiegels« mit einem Geleitwort Georges Eekhouds herausgeben zu dürfen, der im belgischen Schrifttum das Gegenstück zu Camille Lemonnier bildet und vor allen anderen berufen ist, über Lemonniers Dorfroman das Wort zu ergreifen.

Blankenese-Dockenhuden,
im September 1913
Jean Paul d'Ardeschah

Ein Dorfwinkel

. Jan Slim mag immerhin noch so stumm bleiben wie ein Fisch; man weiß doch längst, warum Kobe Snipzel, der reiche Pachter »Pachter« ist der besondere Name für Hofbesitzer. Er wird für einen Bauer gebraucht, der eine Farm hat. Der »Pachter« steht eine Stufe höher wie der »Boer« in der bäuerlichen Rangordnung, denn »Boer« ist einfacher Bauer. Man hat im vlämischen Brabant die Gewohnheit, dem Namen diese beiden Bezeichnungen vorauszusetzen. Sie werden so gebraucht, wie das » monsieur« in den Städten., zweimal in der Woche auf dem Weg vorüberkommt, der von Löwen nach Brüssel führt, wo er es doch

sonst nur alle zehn Tage einmal tat.

Wahr ist ja, daß ein jeder diesen Weg benutzen kann, denn die Wege sind frei in Brabant; aber es ist nicht jedermanns Sache, bei Boer Slim einzukehren.

Wie es denn nun auch sein soll, ein Zweifel kann da doch wohl nicht mehr sein, daß der Bauer im Haus ist, wenn man Snipzels Pferd eine ganze geschlagene Stunde stehen sieht, mit dem Halfter an Jans eisernen Türring gekoppelt.

Der starke Kobe und der schmächtige Jan sind gute Freunde. Sie waren immer gute Freunde.

Ein einziges Mal nur ist Snipzel vorübergeritten, ohne sein: »He! Jan! He!« vom Gaul herab gerufen zu haben, und gewartet hat er auch nicht, bis Boer Jan zu ihm herausgekommen ist.

Aber das hatte seine Gründe.

Drei Tage waren es her gewesen, daß sie sich beide mit anderen Bauern im Nachbardorf Cortenberg getroffen hatten und Slim versucht hatte, ihn beim Kartenspiel zu betrügen, um das Bier nicht zahlen zu müssen.

»Goddum!« hatte Kobe losgeflucht und hatte danach nicht mehr mitspielen wollen.

Slim aber sagte sich:

»Jan, mein Freund! dumm seid ihr gewesen: niemand gewinnt das große Los, ohne in der Lotterie zu spielen.«

Seit der Zeit spielte er nicht mehr falsch, wenigstens nicht, wenn Kobe dabei war.

Snipzel hat etwas zu sagen zwischen Löwen und Brüssel, denn er hat einen großen Besitz und ist von der Gemeinde zum Rat gewählt worden. Slim hat von ihm ein fruchtbares Stück Land zehn Minuten von der Chaussee einwärts in Pacht, aber wie das so hat kommen müssen, sind jetzt zwei Jahre um, daß er seine Pacht nicht mehr zahlt. Bei Boer Jan hat Snipzel noch sein besonderes Wort dreinzureden.

Der Pachter ist ein Mann, der kurz angebunden ist, wenn es sich um seine Pachtgelder handelt. Zehn Zinsbauern hat er zu Martini vor die Türe gesetzt, als sie ihm zu zahlen vergessen hatten. Er ist ein wahrheitsliebender, aber aufbrausender Mensch, der ein gutes Gedächtnis hat.

Boer Jan hat ihn zweimal in seinem Hof aufgesucht. Das erstemal sagte er ihm mit bescheidener Stimme, nachdem er sich lange seine Füße an der Strohmatte geputzt hatte:

»Kobe, ich werd' es erst zum einunddreißigsten, in drei Monaten zusammenbringen.«

Der Pachter hatte darauf nur gelacht.

»Gut. Getreide und Kartoffeln für die Leute sind noch auf dem Hof, Hafer für die Pferde und Runkelrüben für die Kühe auch. Jan, es eilt nicht.«

Drei Monate später war Slim wieder auf Kobes Hof gekommen. Er hatte zweimal geklopft, bevor er eintrat: keiner war in der Stube. Er war hineingegangen und er war wieder hinausgegangen, plötzlich aber hatte ihn Snipzel, der von der Straße her kam, wieder zurück in die Stube gedrängt und gesagt:

»Sieh mal an, das paßt mir. Ich bin zufrieden mit Euch, Jan. Ihr seid ein Mann, der Wort hält.«

Slim hatte darauf dreimal ganz leise in seine vorgehaltene Hand gehüstelt, den Daumen in die Westentasche geschoben, nachdem er die Bluse erst zurückgeschlagen hatte, als müßte er einen großen Sack Geld hervorziehen. Der Sack kam heraus, das ist wahr, und auf den Tisch wurde er auch gelegt, aber dieser Sack war dünn wie ein Kuhdarm.

»Es geht nicht, Kobe. Die Mutter hat den Rheumatismus, und Roose, unsere Tochter …«

»Roose!« schrie Kobe.

Und der große Mann merkte nicht, daß ihm das Streichholz, mit dem er seine Pfeife in Brand setzen wollte, die Fingerspitzen röstete.

Slim heftete auf ihn seine kleinen Augen, die kalt wie Schlachtmesser waren, und redete weiter mit einem tiefen Seufzer:

»Das Schwein hat nur halb so viel eingebracht, wie ich dachte, weil es ja auch ein schlechtes Jahr ist.«

Da lachte Snipzel laut los:

»Jan, Ihr seid immer derselbe. Euer Gerede ist dunkel wie die Nacht.«

Slim nickte mehrmals hintereinander mit dem Kopf, wie ein tief Unglücklicher, griff nach seinem Geldsack und schob ihn hastig wieder in die Westentasche.

Kobe war inzwischen nach der anderen Stubenecke gegangen, wo an der Wand eine große Schiefertafel hing. Er ergriff mit seinen groben ungelenken Fingern, die nur mühsam zufaßten, das Stück Kreide, das neben der Tafel an einem Band befestigt war, und sagte hart:

»Jan Slim, wieviel bringt Ihr mir? Wir wollen die Rechnung später machen.«

Jan steckte wieder seine Hand in die Tasche und sagte:

»Es ist nur wenig, Pachter. Besser sollte er mir das lassen. Ich werd' ihm das von dem Geld zurückzahlen, das ich für die Kuh haben soll, wenn der Schlachter sie kauft.«

Snipzel stampfte mit dem Fuß auf:

»Nein! Nein! So dumm bin ich nicht, auf mein Geld zu warten, bis ich in der geweihten Erde lieg'.«

Slim band seinen Geldbeutel auf, zog eine Anzahl Fünffrankstücke heraus, die er dann langsam zählend eins neben das andere auf den Tisch legte, und murmelte:

»So. Das wären zweihundert Franken.«

»Zweihundert Franken!« brauste der Bauer auf. Mann, daß ich nicht bis zum Äußersten gehe. Ihr schuldet mir mehr als sechshundert.«

Slim überlegte:

»Zweihundert und hundert machen dreihundert und dreihundert machen sechshundert. Ja, ja, sechshundert werd' ich Euch wohl schulden, Kobe.«

»Sechshundert fünfundzwanzig Franken!« sagte dieser darauf ganz wütend.

Und das Stück Kreide, das seine Finger preßten, zerbröckelte zu Mehl.

Slim rechnete von neuem.

»Ja, das ist es, was ich Euch sagen wollte.«

Der Bauer fing daraufhin an von den auf dem Tisch aufgereihten Geldstücken Häufchen zu zwanzig Franken zu machen, aber er kam nur bis zu vieren.

Sein Zorn verdoppelte sich und er schlug so heftig mit der Faust auf den Tisch, daß die Geldstücke anfingen zu tanzen, gerad wie die Mädchen und die Burschen am Kirmestag im Wirtshaus »Zum grünen Hund«.

»Jan Slim, das stimmt so nicht! Da liegen nur achtzig Franken auf dem Tisch.«

Der kleine Mann stand zusammengeduckt da und schwieg, dann schob er die Haufen durcheinander und begann noch einmal zu zählen.

»Gott bewahre! Ist das die Möglichkeit?« sagte er mit allen Anzeichen des Staunens.

Er zählte zweimal nach.

»Ich meinte doch, daß ich zweihundert Franken bei mir hatte, Kobe«, sagte er endlich. »Und da liegen jetzt nur sechzehn Fünffrankenstücke auf dem Tisch. Na ja, da muß wohl der Rest noch in meinem Geldbeutel sein.«

Er vergrub die Hände in den Geldsack und zog ein Fünffrankstück nach dem anderen heraus. Und bei jedem Geldstück mußte er seufzen.

»Jetzt könnt Ihr noch mal zählen,« sagte er. »Das sind hundert Franken. Unsere Tochter wird gedacht haben, daß Ihr mit hundert Franken genug habt. Sie hat sich geirrt, das ist die ganze Sache.«

Die Wut des Bauers sank bei diesen Worten plötzlich in sich zusammen, er lachte auf und sagte:

»Roose, das ist mir ein feiner Vogel; aber verflucht noch mal, der mir mit dem Namen von Roose so umzuspringen weiß, ist auch ein feiner Vogel.«

Bei diesen Worten strich der Bauer das Geld in die vorgehaltene Bluse, die er an den Endzipfeln festhielt, dann öffnete er die Tür zu der Schlafkammer, legte das Geld in die Lade, kam zurück und setzte sich neben Jan Slim.

»Nette! einen Krug Bier und Gläser!« rief er gleich darauf der Magd zu.

Dann schenkte er das Bier ein, setzte die Pfeife in Brand, stieß mit Boer Slim an und lehnte sich tief in seinen Armstuhl zurück.

»Freund,« begann er, »ein Mittel gibt es schon, die Sache in Ordnung zu bringen.«

»Ja,« sagte Slim, »wenn Ihr mir etwas Zeit laßt.«

»Nein,« sagte der andere, »gleich.«

»Gleich?« schrie Slim auf, sich mit der flachen Hand auf die Schenkel schlagend. »Kobe, das geht nicht. Ich will Euch zahlen, was ich schuldig bin, aber ein paar Monate Zeit muß ich doch noch haben.«

»Zahlen werdet Ihr mir nichts, Jan, und wir werden doch quitt sein.«

Slim schob auf einmal beide Hände in die Taschen und wandte sich zum Gehen mit den Worten:

»Lachen ist Lachen, Pachter, unsere Tochter wartet. Ich geh jetzt lieber.«

Und er dachte im stillen:

»Paß auf, Jan Slim, bester Freund, tue, als ob du von nichts was abweißt …«

Der Bauer aber meinte darauf, als hätte er sich anders besonnen:

»Es gilt, in zwei Monaten werdet Ihr es mir heimzahlen.«

Zwei Monate später waren es, da hielt Abend für Abend Pachter Snipzels Pferd vor Boer Jans Türe.

»He! Jan! He!« schrie er. »Ich komm' grad vorüber und nehm' das Geld mit.«

»Ach, Kobe!« sprach Jan, »die Kuh hat mir nicht so viel eingebracht, wie ich geglaubt hatte.«

»Jan! die zwei Monate sind um. Wo ist das Geld?«

»Wo ist das Geld? Das Geld steckt in den neuen Wagenrädern, die gemacht werden mußten, in der Scheune, die morsche Wände gehabt hat, die wir neu gestützt haben, und in verschiedenen anderen Dingen. In meiner Tasche ist es nicht und nicht in Eurer, Kobe, das weiß ich besser als gut.«

Der Bauer lachte plötzlich aus voller Kehle, wie ein ganz zufriedener Mann. Sein Lachen war so herzhaft, daß er Mühe hatte hervorzustoßen:

»Ich werd' Euch morgen den Gerichtsvollzieher schicken, Jan! Ihr könnt Euch darauf verlassen.«

Und als ihn Slim einlud, ein Glas Bier mit ihm zu trinken, schrie er nur seinem Klepper ein Hüh! zu und ritt im schnellen Trab davon, ohne ein »guten Abend« gewünscht zu haben.

Aber er dachte in seinem Inneren:

»Kobe, der Sohn Eures Vaters hat Freude an Euch! Nichts hast du übereilt, und das war gut. Ob Slim Geld hat oder keins, sicher ist eins, er wird es so gut verstecken, daß du nicht einmal die Farbe davon zu sehen kriegst. Es wird doch über kurz oder lang zu dem kommen, was du von ihm erwartest. Wenn die Frucht reif ist, braucht der Baum nicht geschüttelt zu werden, damit sie abfällt.«


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