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Es waren wohl ein paar Tage seit diesem Sonntag vergangen, als Roose beim Nachhausekommen einen großen Lärm hinter der Tür hörte.
Es war ihr Vater, der da herumklagte.
»Oh! Oh!« schrie er in einem fort. »Das Haus wird man verkaufen müssen und die Kuh und die Ziege und alle Möbel, all mein Hab und Gut, das ich mir in meinem mühseligen Leben erworben habe.«
»Mein Gott!« rief Roose, »was geht hier vor?«
Boer Jan ließ seine Stimme lauter werden.
»Ach, da bist du ja, du mißratene Tochter. Mach, daß du hier herauskommst. Ich will allein in meinem Elend leben.«
»Santje,« sagte Roose und brach in Verzweiflung aus. »Ein Unglück ist über unser Haus gekommen, aber ich weiß nicht, was geschehen ist.«
Boer Jan aber mühte sich noch lauter zu schreien.
»Bestohlen hat man mich! Mein Geld gestohlen hat man mir! Keinen Heller hat man mir gelassen!«
»Wer hat denn nur gestohlen, Mutter?« fragte Roose.
»Man hat es gestohlen, man hat alles gestohlen,« sagte Ursula und hielt die Hände im Schoß, ohne die Augen aufzuschlagen.
»Ich werde betteln gehen müssen um mein Brot,« würgte Boer Jan hervor. »Erbarmen wird sich niemand, und keiner wird mir etwas leihen! Sag' ich den Leuten, daß ich bestohlen bin, wird es mir niemand glauben, denn sie werden denken, daß ich mein Geld vertan habe. Ach! ach! Und gestern hab' ich es doch noch gehabt, gestern noch!«
Da mischte sich Roose hinein:
»Vater, Ihr sollt nicht jammern, Vater, ich habe doch junge Arme. Ich werde arbeiten.«
»Ach! ach!« heulte Slim nur noch lauter. »Martini ist vor der Tür. Wegjagen wird man uns aus unserem Haus, fort, wie irgendein Gesindel, und bis aufs Bett wird man uns alles zum Verkauf schleppen. Mein Geld, mein gutes Geld! Ach, wenn ich das nur wüßte, wer es mir genommen hat!«
Sie versuchte zu sprechen, aber er unterbrach sie.
»Eine schlechte Tochter bist du. Geh und laß uns hier im Kummer allein. Ich werde allein auf der Landstraße betteln. Und die kann uns allen die Freude wiedergeben, aber sie will nicht, denn ihr Herz ist noch härter als Stein!«
»Vater!« ächzte Roose auf, »das sollt Ihr erst ausprobiert haben.«
»Schweig! daß ich diese Stimme nicht mehr zu hören brauch! Ich weiß, du wirst noch lachen und tanzen können auf den Kirmessen, wenn man deinen Vater und deine Mutter in die heilige Erde gebracht haben wird. Und man wird auf dich zeigen und sagen: Das ist die Tochter des alten Jan, der sein ganzes Hab und Gut durchgebracht hat und seine Schuld nicht hat heimzahlen können. Man hat ihn zum Haus hinausgejagt, und auf der Landstraße ist er verendet unter einem Straßenbaum, wie ein verworfener Hund. Mein Geld! ach, mein Geld!«
»Vater, sagt es doch, was Ihr von mir wollt.«
»Nein, sie wird es ja doch nicht tun, denn sie handelt gegen unseren Willen. Sie ist gar nicht wie eine richtige Tochter. Und doch kann nur Roose, unsere Roose uns das Leben und die Zufriedenheit wiedergeben. Ach! hätten wir doch einen Jungen gehabt an Stelle der Tochter, oder selbst nur eine andere Tochter, eine, die auf ihre Eltern hört und die sie liebt, dann wären wir bald aus unserem Kummer heraus.«
»Redet doch nicht immer so zu ihr, Jan. Es ist doch mein Fleisch und Blut,« unterbrach ihn Ursula ganz außer sich und richtete sich hoch auf ihrem Stuhl.
»Nicht? Ich will es Euch sagen, wenn die aus Eurem Fleisch und Blut wäre, denn wüßte sie schon, was sie zu tun hätte!« schrie der Bauer zurück. »Denn Kobe allein kann uns noch retten. Niemand als er kann uns noch in Wohlstand bringen, und sie schlägt ihn aus! Ah, und ein Vater wird doch nicht seine Tochter erst bitten. Lieber will ich schon hinterm Zaun verrecken.«
Da war es, daß Roose einen harten Kampf kämpfte mit dem Herzen eines liebenden Mädchens. Sie schwieg zuerst ganz still, brach dann aber plötzlich in ein Schluchzen aus und schrie:
»Wenn es um Euch zu retten ist, will ich mir das Herz zerreißen. Ihr könnt hingehen und dem Pachter sagen, daß ich ihn zum Mann will.«
Boer Jan bekam ein Zittern in seinen Händen. Er sagte nur:
»Das ist gut. Wir haben unser Kind zurückbekommen.«
Und er ging den Bauer Snipzel auf seinem Hof aufzusuchen.
Vielleicht war es gerade zu der Zeit, als Bauer Snipzel zu Lamm sagte:
»Mein Junge, du mußt dir das nicht aus dem Kopf gehen lassen und die Gelegenheit nicht verschlafen. Das gibt eine gute Sache! sag' ich.«
»Was sollt das für eine rechte Sache sein, für einen Burschen in meinem Alter, eine Frau zu heiraten, die älter ist und die mir Geld bringt, ohne mir Zufriedenheit zu geben?«
»Ein besseres Lied gibt es gar nicht, Lamm, als das, das die dicken Groschen in der Tasche singen. Der Mann, der sie morgens singen hört, sehnt sich nach nichts mehr, als sie abends auch singen zu hören, dann wird ihm das Herz schon zufrieden darüber sein.«
»Bei mir ist das damit anders,« antwortete ihm Lamm. »Vielleicht bin ich aber verkehrt zurechtgemacht.«
»Jawohl,« sagte der Pachter, »das will ich Euch gleich sagen. Wenn Er die reiche Juffrouw Wild nicht will, dann hat Er den Verstand eher in der Stiefelsohle.«
»Ohm, welche würdet Ihr denn nehmen, wenn Ihr ein junger Bursche wäret wie ich einer bin: die blasse Juffrouw mit den Silbertalern, oder die rote Santje mit ihrer ganzen Jugend?«
»Ganz sicher die Silbertaler!«
»Und welche von beiden würdet Ihr Euch nehmen, wenn Ihr jung wäret und Euch eine aussuchen könntet. Die Juffrouw Wild mit den Silbertalern, oder die Roose von Slim mit dem Gesicht, das so hell ist wie Mondenschein, Onkel?«
»Gut, schon gut! Die Silbertaler, natürlich.«
»Ich nicht,« sagte Lamm, »ich nehme Roose.«
»Die Silbertaler! die Silbertaler!« schrie der Pachter ärgerlich. »Ein schönes Mädchen ohne Geld ist für mich grade wie ein Pferd im Stall, ohne Stroh, ohne Hafer und Heu. Das will ich gesagt haben!«
»Nehmt Ihr doch die Katharina Wild, Onkel. Sie ist schön und die Silbertaler hat sie auch!«
»Nein,« sagte der Pachter, seine Backen waren purpurrot, »ich habe Roose gewählt.«
»Roose, meine Tante, die Roose! Da kann sie sich gleich einen Neffen anheiraten, der älter ist, als sie selbst.« Er lachte schallend auf.
Darauf sagte er noch: »Dazu will ich es nicht kommen lassen, daß ich in meines Onkels Haus über ihn selber lach. Ich geh dann lieber.«
»Da tut Ihr gut daran! So ein Dickschädel!« schrie Snipzel ihn wütend an.
Es wurde vollkommen still in der Stube, es war, als dächte jeder nach.
»Onkel,« sagte Lamm nach einer Weile, »ich möchte Euch noch etwas sagen, eh' ich geh!«
»Ihr könnt reden.«
»Onkel, die Katharina Wild sieht aus wie eine Frau, die dreißig ist, obgleich sie schon eben fünfunddreißig hat.«
»Sie hat ein helles Auge, weiße Zähne und die Haare liegen ihr wie Rabenflügel auf dem Kopf.«
»Eine rechte Frau ist sie auch.«
»Onkel, die hebt ein Schwein beim Schwanz in die Luft!«
»Sicherlich!«
»Ihr könnt es mir glauben Onkel, ich hab' es gut gesehen, wo Ihr nichts gemerkt habt.«
»Was?« sagte der Pachter und sah ihn von der Seite an. Er stand breitbeinig, die Hände in der Tasche, vor Lamm da.
»Onkel, sie wird mich nie nehmen wollen, denn die liebt einen anderen. Die hat sich Euch in den Kopf gesetzt, die Katharina Wild, Onkel!«
Der Bauer warf jäh den Kopf auf, wie ein Pferd, das den Jäger schießen hört, als er aber sah, daß Lamm ernst blieb und unbeweglich in die Asche des Herdfeuers starrte, schlug er sich vor die Stirne und schrie:
»Als wenn mir das nicht immer so vorgekommen wär!«
Da klopfte jemand vorsichtig an die Türe, es war Boer Jan.
»Laßt Euch durch mich nicht stören, Pachter,« sagte er unterwürfig.
»Kommt nur herein. Habt Ihr irgendwelche gute Neuigkeit?«
»Es würde sich auf den nächsten Monat stellen, wie wir es so zusammen bestimmt haben,« sagte der magere Kleinbauer.
»Ihr könnt es gleich heraussagen, daß es Euch um die Hochzeit geht,« fuhr ihn Kobe ungeduldig an.
»Die Hochzeit mein ich, ja!«
Sie blickten sich eine Weile aufmerksam an.
»Es kommen doch sonderbare Sachen vor,« sagte Kobe Snipzel.
»Seltsame Dinge, das ist wahr,« gab Jan Slim zur Antwort.
Er fühlte sich unsicher und spie in den Ofen aus. Der Bauer aber lief in der Stube auf und ab, dachte an Katharina Wild und murmelte vor sich hin.
»Jetzt sehe ich klar!«
Und er machte noch fünfmal die Runde im Zimmer und ging ein jedes Mal an Jan Slim vorbei, ohne ihn zu sehen. Und als er zum sechsten Male vorüberkam, hatte er ihn endlich bemerkt. Er hielt an, suchte nach Worten und sagte schließlich:
»Schön!«
In demselben Augenblick gab hinten im Stall Lamm, der gegangen war, um den Pferden Streu aufzuwerfen, dem Stallknecht einen derben Stoß in den Rücken und sagte lachend: »Ein Hauch nur und es ist genug, daß ein Korn in der Erde keimt!«