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Das Hochburger Schloß

Die Ruinen eines alten Raubschlosses auf einem hohen Berge im Schwarzwalde.

Nirgends hab ich die Wahrheit, teurer W**! über die wir in einsamen Abendgesprächen eins wurden, lebhafter empfunden, daß alle Kunst ewig ist, als in den Gemäuren von Hochburg. Ich weiß nicht durch was für unbekannte Gesetze der Seele mir, wenn ich auf diesen nackten Felsen herumhüpfe, Shakespear so gerne einfällt, – wenn ich jene abgerissene Säule wie eine Insel ihr buschigtes Haupt dem Regen und Ungewitter darbieten sehe, ich König Lear zu sehen wähne, wie er die Winde aufruft es seinen Töchtern zuvorzutun wie er mit seinem Narren allein dasteht, der durch die äußersten Grausamkeiten des Himmels so weit getrieben wird, daß er seines Amtes vergißt und ausruft: Diese kalte Nacht wird uns alle zu Narren und Wahnwitzigen machen. Ich sehe die ganze erschütternde Gesellschaft von Unglücklichen, den Vater, der durch einen Bastard hintergangen, seinen geliebten Sohn für einen Vatermörder hält; den Sohn selbst in einen Tollhäuser verkleidet, vor dem Vater zurückbebend, während Lear ihn zwingen will zu bekennen, seine Töchter hätten ihm das zugezogen; den edlen Kent, der mit Lebensgefahr zurückkommt diesem Herrn der ihn verbannt hat, in einem Zustande zu dienen, da die ganze Natur wider ihn empört zu sein scheinet – Solche Gegenstände müssen an solchem Ort erwogen werden und sie stellen sich da von selber vor.

Die Natur zerstört Schlösser um herrlichere Gegenstände für die Kunst hervorzubringen; und war es nichts weiter, als dem Geist des nachfolgenden Künstlers aus den Resten dieses großen Werks zu ahnden übrigzulassen. Daher das unvollendete oft an dem Höchsten. Der Geist des Künstlers wiegt mehr als das Werk seiner Kunst.

Und nun der Geist, der einen Lear schuf – in diese Wirre von Umständen und Personen die ihn zu dem ersten und unglücklichsten aller Menschen machen – In diesem Alter mit dieser menschlichen Ungerechtigkeit gegen einen Engel, den er in der letzten Szene tot auf die Bühne trägt! – Welcher Gewaltige hat seinen Bogen höher gespannet, tötenderes Geschoß darauf gelegt?

Wo ist ein König, der dieses Blatt in die Hand nimmt und nicht in den innersten Tiefen seiner Seele fühlt: So kann niemand als ein König leiden: so würde ich sprechen, so würde ich zu sprechen wünschen, wenn mir etwas Ähnliches widerführe. Diese Hoheit unter der Schmach der Undankbarkeit seiner Kinder, diese feste Überredung es könne das nicht geschehen sein was doch – gar zu grausam! immer vor ihm geschieht, dieser Unglaube an das Laster, diese Schmeicheleien an das letzte Kind das ihm übrig ist, es möchte die Unnatürlichkeit des ältesten nicht nachahmen, diese entsetzliche Verwünschungen des ersten, um das zweite dadurch von seinem Verbrechen abzuschrecken – dieses unerhörte Gewißwerden einer noch größern Abscheulichkeit an diesem, dieses Hinausstürzen aus seinen Toren den aufgebrachten Elementen entgegen, um nur nicht Zeuge dessen zu sein, das er aus Mitleiden gegen sich selbst, sich zu verhehlen vergeblich gerungen hatte – doch wer darf über Laokoon reden? Und über Lear, wer darf das? –

Und nun vollends ihn verteidigen – ihn gegen Schmähungen retten? – zugeben, daß bei all seinen Fehlern – S. die Verteidigung Shakespears gegen einige neue Voltairische usf.

Doch ich sage kein Wort. Voltairens Brief an die Akademie war das herrlichste Zeugnis für Shakespearn, je schmähender, desto herrlicher, desto redender der Beweis, daß er sich verdunkelt zu werden fürchtete – bei einer Nation die ihm eine Säule setzte, und mit Recht. Obschon ich dem Genfer Philosophen eine gegenüber wünschte. Warum Sh. verteidigen? Wozu die Kleinherzigkeit? Etwa weil V. sagte, in dem Ausdruck: Ich habe keine Maus treten hören, läg' eine Abgeschmacktheit. Wem ist denn nicht bekannt, daß seine Semiramis kein Kind erschreckt hat, daß Piron ihm drüber zurief: Bourreau tu voudrais bien que je l'eusse faite Mais tu n'applaudis pas, sagte Voltaire zu Piron, que dis tu de ma pièce? [Aber du applaudierst nicht, ..., was sagst du über mein Stück?] Henker, du wolltest wohl, daß ich sie gemacht hätte. – derweile Shakespears Gespenst Weiber kreißen machte, eben weil es durch diesen ungekünstelten Ausdruck des Soldaten vorbereitet war. O der Schrei der Natur braucht keiner Verteidigung, er läßt sich in allen Menschen hören.

Alles was Voltaire wider ihn sagt, weist den unglücklichen Liebhaber, der, anstatt sich die Neigung seiner Nation auch dadurch zu erhalten, daß er ihrer Untreue selbst und ihrem Eigensinn in den Vergnügungen, worin denn nun jeder Mensch seinen Eigensinn haben will, Vorschub tut, hingeht und sich ihr durch seine Eifersucht vollends beschwerlich macht. Nichts als sein Alter kann ihn entschuldigen: wozu braucht's aber bei einem solchen Fehlschritt den er tut – Verteidigung?

Wird man nicht gezwungen sein, Sh. am Ende gegen seine Freunde, gegen seine Verteidiger zu verteidigen? Wenn seine Helden nicht so sprechen als sie zu unsern Zeiten würden gesprochen haben, wem suchte er sie anschaulich, wem interessant zu machen, seiner Zeit, oder der unsrigen? Ist das Fehler, Ihr die ihr Studium aus ihm machen sollt? – Götter und Menschen! ist das Fehler? Kommt es nicht darauf, darauf allein an, wie er sich die Helden gedacht hat, nicht wie sie uns ein schielendes Nebenwort darstellt? Kann er dafür, daß wir an Nebenwörtern hängenbleiben, daß unsere Abstraktionsgabe so klein, unsere Vorstellungskräfte so dürftig sind? Daß Voltaire so tut, verdenk ich ihm nicht; aber daß seine Gegner so unendlich treuherzig sind, und in vollem Ernst seine Ausflüchte für Schmähungen beantworten – Haben sie denn nie einen Menschen in der Passion sprechen hören? Welch ein Triumph für ein Mädchen, die es bei ihrer Nebenbuhlerin dahin bringt!

Eine ganz andere Verteidigung von Shakespearn nehme ich über mich, gegen seine Verteidiger, gegen seine Schutzredner, gegen Alexander Popen der seine Werke herausgegeben hat.

Er sagt in der Vorrede seiner Ausgabe von einigen Stücken, die er als elend brandmarkt, es sei wahrscheinlich, daß sie Shakespearn untergeschoben worden und er aufs höchste nur bei etlichen Szenen seine Hand gehabt. Ich muß gestehen, das Beiwort elend, bei Stücken, bei denen er auch nur die Hand gehabt, beunruhigte mich außerordentlich. Wie aber, wenn ich bei näherer Untersuchung gefunden, daß Pope all diese Stücke die er, um sich's bequem zu machen, unter Einen Haufen warf, wahrscheinlich nicht gelesen, geschweige auf kritischer Waage abgewogen? Daß sie nicht ganz von Shak. sind, gebe ich zu; daß er bei den meisten vermutlich nur das Canevas entworfen, glaube ich auch; daß er an dem abscheulichen Stück Titus Andronicus nicht den mindesten Anteil hatte, bin ich überzeugt; aber daß Perikles, der Londner Verschwender, Lord Cobham, Thomas Cromwell elende Stücke sind, getraue ich mich öffentlich zu widersprechen.

Im Perikles, König von Tyrus, In einer ältern Ausgabe von Shakespears Werken, die zu London 1714 herausgekommen printed for Jacob Tonson, in the Strand. ist der ganze Gang des Stücks, so wild er scheint, Shakespearisch. Ein König, der den Nachstellungen eines mächtigern entflieht, Schiffbruch leidet, unter Fischer kömmt, sich einen Harnisch auffischt, damit zu den Turnierspielen geht, unerkannt den Preis erhält, mit des Königs Tochter vermählt wird, mit ihr zur See geht, sie dort verliert, ihr Kind, das er Marina nennt, an dem sein ganzes Herz hängt, einem Gouverneur in Tharsus, seinem besten Freunde aufzuheben gibt, derweil er nach Hause eilt, um einen ausgebrochenen Aufruhr zu stillen; darauf wiederkehrt, seine Marina vorgeblich tot find't und bei ihrem Grabmal, das man ihm zeigt, die Sprache verliert, darauf drei Monat auf der See umherirrt, weil seine Leute ihn durch die Reise zu zerstreuen suchen, in einem Seehafen ein Mädchen zu ihm an Bord des Schiffs gebracht wird, das ihn mit ihrer Laute, auf der sie Wunder tut, aufzumuntern versuchen soll, er, nachdem er ihr eine Weile zugehört, sie angestarrt, ausbricht: Hum, ha! der erste artikulierte Laut, den man in drei Monaten von ihm gehört, sie ihm näher tritt, er sie zurückstößt, sie sich nicht erschrocken läßt, bis er zu reden anfängt:

 

»Mein Weib«, sagt er nach einigen Fragen, »sah aus wie dies Mädchen und so hätte meine Tochter werden können. Wo wohnst du, wo wardst du erzogen?«

Sie. Meine Geschichte würde dir Lügen scheinen, wenn ich sie erzählte, du würdest die Geduld nicht haben, sie auszuhören.

Er. O erzähl, erzähle! Falschheit kann unter diesen Mienen nicht wohnen, die bescheiden wie das Antlitz der Gerechtigkeit, wie die Wohnung der Wahrheit sind. Ich will dir alles glauben, ich will meine Sinnen zwingen, sich die Unmöglichkeit selbst möglich vorzustellen, denn du siehst einer ähnlich, die ich liebte – Wer sind deine Freunde? Kamst du nicht wieder als ich dich zurückstieß? Ach da überfiel mich's, du müßtest nicht von gemeiner Geburt sein.

Marina. Auch bin ich's nicht.

Perikles. Wer sind deine Eltern? Sagtest du nicht, du hättest viel Unrecht erlitten und deine Leiden könnten den meinigen gleichkommen, wenn du sie erzähltest?

Marina. So sagt ich.

Perikles. Erzähle mir alles. O wenn es der tausendste Teil meines Ungemachs ist, so bist du ein Mann und ich habe gelitten, als ein Weib. Denn du siehst aus wie die Geduld, die auf die Gräber der Könige hinabsieht und der äußersten Strenge des Schicksals die Waage aus der Hand lächelt. Wer sind deine Freunde? wie heißest du? Liebes Mädchen komm sitz zu mir nieder.

Marina. Ich heiße Marina.

Perikles. Marina! – O der Himmel spottet meiner, irgendein erzürnter Gott send't mich hieher, der ganzen Welt zum Gelächter zu dienen.

Marina. Ich bitte Euch, lieber Herr, seid geruhig, oder ich will hier abbrechen.

Perikles. Fahr fort, fahr fort.

Marina. Es war ein Mann von Ansehen und Macht, der mir diesen Namen gab, es war mein Vater und – ein König.

Perikles. Eines Königs Tochter! und Marina! –

Marina. Ich sagt's Euch zum Voraus, daß Ihr mir nicht glauben würdet.

Perikles. Du hast Blut in den Adern, du bist keine Erscheinung – und Marina – wo wardst du geboren.

Marina. Auf dem Meer, darum gab mir mein Vater diesen Namen.

Perikles. Gib mir andere Kleider, Helikanus usf.

 

Ich frage, ob eine Wiedererkennung rührender sein kann, besonders wenn sie vorbereitet worden, wie sie es durch die Schicksale des unschuldsvollen Mädgens ist, die im vorhergehenden Akt dargelegt werden. Der Gouverneur von Tharsus erzog sie mit seiner Tochter, die sie in allen Stücken verdunkelte; die Mutter ward neidisch darüber und trug einem Bedienten auf, sie auf einem Spaziergange zu ermorden, der aber durch ihre Schönheit gerührt sie an Seeräuber verkaufte. Diese taten sie in ein lüderliches Haus, wo ihre Tugend auf die härtesten Proben gestellt ward und sie die zügellosesten Wollüstlinge in einer Entfernung zu erhalten wußte, daß die Aufseherin des Hauses sagte, ihr Haus sei eine Kirche geworden, sie verliere die Kundschaft, jedermann ginge betend fort. Es ist wahr, diese Szenen sind mit zu weniger Delikatesse behandelt, als daß sie Sh. zugeschrieben werden könnten: indessen ist auch hier nicht von der Ausführung, sondern von dem ersten Entwurf des Stücks die Rede.

Im Londner Verschwender ist der Hauptcharakter mit einer Wahrheit angelegt und durchgeführt, die überall den Meister verrät. Man stelle sich vor, was es für Szenen geben muß, wenn ein junger Durchbringer seine Verwandten in London mit Borgen auf ihren Namen so in die Enge treibt, daß sie sich beim Vater darüber beschweren müssen; wenn der Vater, um ein Augenzeuge der Verschwendungen seines Sohns zu sein, sich selbst unter einer Verkleidung nach London auf den Weg macht, und beim Sohn, der ihn nicht erkennt, in Dienste begibt; wenn dieser auf die grausamste Art mit ihm umspringt, ihn zwingt, ihm bei allen Wucherern und Geldjuden Geld aufzutreiben; wenn er hernach vorgibt, sein Vater sei gestorben und hab ihn zum einzigen Erben eingesetzt, welches dieser mit der entschlossensten Geduld leidet, um zu sehen wie weit der Sohn es treiben werde; wenn er unter diesem Vorwand eine reiche Erbin heiratet, wozu ihm der Vater selber behülflich ist, weil er hofft, diese Person, welche alle Tugenden ihres Geschlechts besitzt, werde ihn am ersten zurückbringen; wie er nichtsdestoweniger in seiner Verschwendung fortfährt, bis seine Frau, die einen harten Vater hat, ihr Brot durch Dienen bei ihrer eigenen Schwester suchen muß; wie er erst Bettler, dann Straßenräuber wird, und seiner eigenen Frau, die ihn wohl erkennt, und deren Güte für ihn ohne Grenzen ist, ihren letzten Schilling abbettelt, unter dem Vorwand, er habe eine kranke bettlägerige Frau zu Hause; wie er auch an seinen Schwiegervater kommt, der ihn aber erkennt und übel mit ihm abfährt; wie man ihn endlich in Arrest führen will, seine Frau ihren Vater auf den Knien bittet, ihr zu erlauben, ihn dahin zu begleiten; wie er durch diese äußerste Probe der Treue gerührt, das erstemal in sich geht, und nun sein Vater hervorspringt und sich zu erkennen gibt usf.

Wer hat junge Verschwender gekannt, und findet hier nicht Geschichte des menschlichen Herzens?

Im Lord Cobham wird ein Bierbrauer Murley von der protestantischen Partei, wegen Geldmangels von den Rebellen zum Ritter geschlagen und zum Anführer eines Teils der Armee gemacht, dagegen er über fünftausend Pfund Sterling erlegen muß. Die Szene ist eine von den originellsten die ich gelesen, wo er mit seinen Sporen, die er in den Busen gesteckt, auf dem Schlachtfeld erscheint, und anfangs große Schwürigkeiten macht die Schlacht auf den Freitag zu liefern, weil in dem Jahr die Unschuldigen Kindlein auf den Freitag gefallen sind usf.

In eben diesem Stück zwingt Harpool, ein handfester braver Bedienter des Lord Cobham, den Ministerial des Bischofs von Rochester, der ihn in seiner Abwesenheit ohne Vorbewußt des Königs zitieren ließ, um eine Sache an ihm zu haben, wenn jener sich nicht stellte; da der Gerichtsdiener ohnedas sehr hungrig ist, und dieser unterm Vorwand, ihm ein Frühstück reichen zu lassen, ihn ins Haus gelockt hat, seine Zitation mit Siegel und allem aufzuessen. Eben dieser Harpool zwingt den Bischof, als er seinen Herrn im Gefängnis besucht, (weil ihm bange ward, der König könnte sich wohl seiner annehmen) mit seinem Herrn die Kleider zu wechseln, der in dem bischöflichem Ornat ungehindert durch die Wachen kommt.

Selbst im Thomas Cromwell sind ausgezeichnet gute Stellen. Thomas ist eines Schmieds Sohn, schwingt sich aber durch sein unermüdetes Studieren empor. Die erste Szene, in der er bei dem Lärmen der Schmiede studiert, ist gewiß nicht uninteressant, so wenig als die, da er einen Lord aus seinem Vaterlande mitten durch die Wachen seiner nachstellenden Feinde in Italien führt, in dem Kleide eines tölpischen Knechts, den er aus England mitgenommen, und der in dem Kleide des Lords von ihnen gefangengenommen, da sie aber sehen, daß sie auf der Gottes Welt nichts mit ihm anfangen können, wieder losgelassen wird.

Ich bin freilich überzeugt, daß Sh. Ruhm durch diese Stücke nichts gewinnen kann, vielmehr, daß sie ihn verdunkeln würden, wenn man sie ihm ganz zuschreiben wollte. Indessen kränkt es mich doch, daß man ein Stück, das auch nur unter seiner Aufsicht gespielt worden, elend nennt – und daß man für seine Fehler warnen will. Für einen Pfuscher von Nachahmer sind alle Warnungen doch ohnehin verloren; und was sollen sie bei dem übrigen Publikum, das noch viel zu wenig bekannt mit seinem Wert ist und so leicht wirkliche Schönheiten für Fehler nehmen kann? Wenn soll da je der Geschmack fest und groß und edel werden, und sich nicht an jeder Kleinigkeit stoßen, über die die Meinungen der Menschen doch ewig geteilt sein werden?


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