Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Eilftes Kapitel.

Scipio's erste Reise nach Madrid; was die fruchtete. Gil Blas wird krank; was dadurch bewirkt wurde.

Gemeiniglich sagen wir, wir haben keine größere Feinde, als unsre Domestiken; wir sollten aber auch sagen: wir haben unsre besten Freunde an ihnen, wenn sie uns treu und hold und gewärtig sind. Nach dem Diensteifer, den Scipio gegen mich geäußert hatte, konnt' ich ihn nicht anders als mein zweytes Ich betrachten. Mithin fand zwischen Gil Blas und seinem Secretär keine Subordination mehr Statt, kein Ceremoniel! Sie hatten zusammen Eine Stube, Ein Bett, und Einen Tisch.

Scipio's Unterhaltung war stets sehr munter. Man hätt' ihn mit gutem Fuge den Immerlustig nennen können; überdieß hatte er viel Kopf, und ich fuhr stets bey seinem Rathe 94 wohl. Mein Freund, sagt' ich eines Tages zu ihm, wie wär's, wenn ich an den Herzog von Lerma schriebe? Schaden könnt' es wenigstens nicht. Was meinst Du dazu?

Scipio. Ja, die Großen sind so große Aprilköpfe, daß ich nicht weiß, wie Ihr Brief wird aufgenommen werden. Sie wissen ja, was das nicht lügende Sprüchwort sagt:

Herrengunst und Vogelsang,
Lautet schön, und währt nicht lang.

Demungeachtet wäre mein Rath: Sie machten auf gut Glück einen Versuch. Ob Sie gleich der Minister liebt, so müssen Sie Sich dennoch bey ihm in frischem Andenken zu erhalten suchen. Dergleichen Protectoren vergessen diejenigen gar leicht, von denen sie nicht mehr reden hören.

Ich. Nur allzuwahr! dessenungeachtet urtheil' ich von meinem ehemahligen Principale ganz anders. Ich kenne seine gütigen Gesinnungen, und bin überzeugt, daß er bey meinen Leiden mitleidet, daß sie ihm unaufhörlich vor den Augen seines Gemüthes schweben. Vermuthlich wartet er nur, bis sich der Grimm des Königs gelegt hat, um mich aus der Gefangenschaft zu befreyen.

Scipio. Gott geb's, daß Sie von Sr. Excellenz richtig urtheilen mögen! Flehen Sie also den Minister in einem recht 95 herzbrechenden Briefe um seinen Beystand an, ich will ihn hinbringen, und versprech' Ihnen, selbigen in eigene Hände zu überliefern.

Sofort verlangt' ich Feder, Tint' und Papier, und füllte mein Schreiben mit so mächtiger Beredsamkeit, daß Scipio versicherte: es griffe gewaltig an's Herz, und Tordesillas es sogar über die Predigten des Erzbischofs von Granada erhob. Ich schmeichelte mir, die melancholische Erzählung von meinem elenden Zustande würde den Herzog jammern, und in dieser festen Zuversicht sandt' ich meinen Bothen ab.

Gleich nach seiner Ankunft in Madrid begab er sich zum Minister. Er traf einen Kammerdiener an, der mein Freund war, und der ihm die Gelegenheit verschaffte, vor den Herzog zu kommen. Gnädiger Herr, sagte Scipio, indem er das Packet mit Ehrfurcht überreichte: Einer von Dero treuesten Dienern, der in einem finstern Loche des Segovischen Thurms auf Stroh liegt, bittet Dieselben allerunterthänigst, diesen Brief zu lesen, den er durch Vorschub eines mitleidigen Gefangenwärters hat schreiben können.

Der Minister öffnete den Brief, und durchlief ihn mit flüchtigem Auge. Ob er nun gleich ein Gemähld' enthielt, das die härteste Seele zu erweichen vermögend war, so schien dennoch selbiger nicht den mindesten Eindruck 96 auf ihn zu machen, sondern er sagte mit lauter Stimme und wüthendem Blicke zu meinem Courier, so daß einige Personen, die zugegen waren, es hören konnten: Freund, saget zu Santillana'n, ich fänd' ihn sehr tolldreist, sich an mich zu wenden, nachdem er solch Schurkenstückchen gemacht, wofür er die gerechte Strafe leidet. Er ist ein Bösewicht, der nicht mehr auf meine Unterstützung zählen darf, und den ich der Rache des Königs überlasse.

So unverschämt Scipio auch war, so verwirrt machte ihn dennoch diese Rede. Doch raffte er sich gleich wieder zusammen, und wollte mich zu vertreten suchen. Gnädiger Herr, versetzte er, der Gefangene wird sich todt grämen, wenn er die Antwort von Ew. Excellenz erfährt. Der Herzog beantwortete ihm dieß mit einem verächtlichen Seitenblicke, und drehte ihm den Rücken.

So verfuhr dieser Minister mit mir, um den Antheil, den er an der Liebesintrike des Prinzen von Asturien gehabt, desto besser zu verbergen; und das ist der Lohn, den alle kleinen Geschöpfe zu erwarten haben, deren sich die Großen in ihren geheimen und gefährlichen Unterhandlungen zu bedienen pflegen.

Als mein Secretär wieder zurück gekommen war, und mir den Erfolg seines Auftrages gemeldet hatte, stürzt' ich wieder in jenen gräßlichen Abgrund zurück, in dem ich mich 97 den ersten Tag meiner Gefangenschaft befand. Ich glaubte mich sogar noch unglücklicher, weil ich den Schutz des Herzogs von Lerma nicht mehr hatte. Mein Muth sank völlig, und so sehr man sich auch bemühte, selbigen aufrecht zu erhalten, so ward ich dennoch ein Raub des heftigsten Grams, der mir unmerklich eine hitzige Krankheit zuzog.

Der Castellan, der für meine Erhaltung äußerst besorgt war, glaubte nichts bessers thun zu können, als daß er Aerzte zu meinem Beystande hohlen ließ. Er brachte mir deren zwey, die eifrige Diener der Göttinn LibitinaLibitina, »die Göttinn der Leichen bey den Römern. Sie ward deßhalb so genannt, weil sie pro libitu uns entreißt, was ihr gefällt. Man hieß sie auch Venus infera. Die Griechen verehrten sie unter dem Namen Epitymbia. Bey ihrem Tempel, an den ein ihr geheiligter Hain stieß, war alles feil, was zu einem Leichenzuge erfordert wurde. Für jede Leiche wurde in diesem Tempel, nach der Verordnung des Königs Servius Tullius, ein gewisses Geld geopfert. Aus diesen Summen konnte die Obrigkeit gar leicht berechnen, wie viele Menschen jährlich in Rom starben, so wie sie hingegen aus den Opfergeldern, welche der Juno Lucina für die neugebornen Kinder entrichtet wurden, den Zuwachs der Volksmenge richtig bestimmen konnte.« – D. Uebers. zu seyn schienen. Hier, Sennor Gil Blas, sagte er, indem er sie mir aufführte, sind zwey Hippokratesse, die Sie besuchen wollen, und Ihnen in Kurzem wieder auf die Beine helfen werden. Ich war gegen alle Aerzte 98 so eingenommen, daß ich diesen eben nicht glimpflich würde begegnet seyn, wenn ich noch im mindesten Hang zu leben gehabt hätte; so aber fühlt' ich mich damahls so lebenssatt, daß ich Tordesillas vielen Dank wußte, mich ihren Händen überliefert zu haben.

Sennor Cavallero, sagte einer von den Medicinern zu mir, Sie müssen vor allen Dingen Zutrauen zu uns haben.

»O, das hab' ich auch, das vollkommenste; bin überzeugt, daß ich durch Ihren Beystand in wenig Tagen von all' meinen Uebeln werde befreyet seyn.«

»Das sollen sie auch, so Gott will; wir wenigstens wollen unser Möglichstes dazu thun.«

Und das thaten diese Herren auch redlich; brachten mich in Kurzem so weit, daß ich den Kirchhof ganz dicht vor mir sahe. Don Andres hatte bereits alle Hoffnung zu meiner Genesung aufgegeben, und nach einem Franciscaner gesandt, der mich zum Tode zubereiten mußte. Der gute Pater, nachdem er gethan, was seines Amtes war, hatte mich bereits verlassen, und ich, der ich selbst mein letztes Stündchen 99 nicht fern glaubte, winkte Scipio'n näher an's Bett.

Mein bester, sagt' ich zu ihm, mit äußerst schwacher Stimme, so sehr hatten mich die Arzeneyen und Aderlässe entkräftet; ich vermache Dir einen von denen Säcken, die Gabriel in Verwahrung hat, und beschwöre Dich, den andern selbst meinen Aeltern zu überbringen. Sie werden ihn brauchen, wenn sie noch leben. Doch leider besorg' ich, daß sie meine Undankbarkeit nicht haben tragen können. Muscada hat ihnen gewiß erzählt, wie unkindlich ich gegen sie gesinnt bin, und das hat ihnen unstreitig das Herz gebrochen. Sollten sie aber durch Gottes Hülfe noch Trotz der Gleichgültigkeit leben, womit ich ihre Zärtlichkeit belohnt habe, so stell' ihnen den Sack mit Doppelpistolen zu, und bitte sie, mir mein schlechtes Betragen zu verzeihen; sind sie aber unter der Erde, nun so nimm dieß Geld, und laß Seelenmessen für uns halten.

Mit diesen Worten reicht' ich ihm die Hand hin, die er mit Thränen benetzte, ohn' ein Wort sagen zu können, so heftig griff den armen Jungen mein bevorstehender Verlust an. Nicht immer also sind die Thränen der Erben ein Lächeln unter der Maske.

Ich war also völlig in der Erwartung, bald das Zeitliche gesegnen zu müssen; dessenungeachtet ward selbige getäuscht. Verlassen von 100 meinen Aerzten, bekam die Natur freyen Lauf, und so wurd' ich geborgen. Das Fieber, das mir nach ihrer Prophezeyung den Garaus machen sollte, verließ mich, gleichsam um sie Lügen zu strafen. Ich erhohlte mich wieder nach und nach, und zum allergrößten Glücke ward die vollkommenste Seelenruhe die Frucht meiner Krankheit. Nun bedurft' ich keines Trostes mehr, ich hegte gegen Reichthümer und Ehrenstellen all' die Verachtung, welche die Vorstellung des baldigen Todes in mir bewirkt hatte; und ganz mir selbst wiedergegeben, pries ich mein Unglück. Ich dankte dem Himmel dafür, als für eine ganz besonders erwiesene Gnade, und faßte den festen Entschluß, nie mehr an den Hof zurück zu kehren, wenn mich auch sogar der Herzog von Lerma wieder nach selbigem hinberiefe. Vielmehr nahm ich mir vor, wenn ich je wieder aus dem Gefängnisse käme, mir ein Bauerhüttchen zu kaufen, und dort als Philosoph zu leben.

Mein Busenliebling gab meinem Vorhaben Beyfall, und sagte zu mir: um selbiges desto schneller ausführen zu können, woll' er wieder nach Madrid, und um meine Befreyung anhalten. Mir ist eben was eingefallen, setzte er hinzu. Ich kenne jemand, der Ihnen wird nützlich seyn können. Das Kammermädchen von der Amme des Prinzen von Asturien; 's ist ihre Vertraute; ein Mädchen von Kopf. 101 Die soll bey ihrer Herrschaft für Sie arbeiten. Ich will alles versuchen, Sie aus diesem Castelle zu ziehen, das, beym Lichte besehen, doch immer ein Gefängniß bleibt, so gut man Ihnen darin begegnet.

»Hast Recht, mein Freund. Geh' und beginne diese Unterhandlung ohne Zeitverlust. Wollte der Himmel, wir säßen schon in unserm Hütten, abgeschieden von der ganzen Welt.«

 


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