Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Zwölftes Kapitel.

Unter was für Bedingungen Scipio Gil Blas'n die Freyheit auswirkt; wohin Letzterer sich mit seinen Gefährten wendet, und was für ein Gespräch sie unterweges führen.

Sonach reiste Scipio abermahls nach Madrid, und ich beschäftigte mich bis zu seiner Wiederkunft mit Lesen. Tordesillas verschaffte mir mehr Bücher, als ich verlangte. Er lieh sie von einem alten Comtur, der nicht lesen konnte, und dessenungeachtet eine gar artige Büchersammlung besaß, um sich die Miene eines Gelehrten zu geben. Gute moralische Schriften waren mir die liebsten Bücher, weil ich all' Augenblicke Stellen darin fand, die meiner Hofscheu und meiner Liebe zur Einsamkeit schmeichelten. 102

Drey Wochen vergingen, ohne daß ich von meinem Unterhändler etwas zu hören bekam. Endlich kam er wieder zurück, und sagte zu mir mit fröhlicher Miene: Dießmahl gute Nachrichten, Sennor. Die Amme des Prinzen von Asturien betreibt Ihre Sache eifrig. Durch mein Bitten und durch meine Anweisung auf hundert Pistolen hat ihr Mädchen, das gute Ding, ihre Herrschaft so weit gebracht, daß selbige den Prinzen gebethen, Ihnen zu Ihrer Freyheit zu verhelfen; und da dieser Prinz, wie schon gesagt, ihr nichts abschlagen kann, so hat er ihr versprochen, vom Könige, seinem Vater, das loszubitten. Husch! war ich herüber, um Ihnen dieß zu melden, und will sogleich wieder hinüber, um die letzte Hand anzulegen. Mit diesen Worten verließ er mich, und eilte nach Hofe zurück.

Seine dritte Reise dauerte nicht lange. Binnen acht Tagen war er wieder da, mit der Nachricht: Der Prinz von Asturien habe mir vom Könige meine Freyheit bewirkt, doch hab' es hart gehalten. Der Castellan bestättigte mir selbiges noch an eben dem Tage.

Mein lieber Gil Blas, sagte er, indem er mich umarmte, Sie sind, dem Himmel sey Dank, frey. Die Thore dieses Gefängnisses stehen Ihnen offen, doch nur unter zwey Bedingungen, die Sie vielleicht kränken werden, und die ich Ihnen bekannt machen muß, so 103 ungern ich es auch thue. Seine Majestät verbiethen Ihnen, am Hofe zu erscheinen, und befehlen Ihnen an, binnen Monathsfrist beyde Castilien zu räumen. Mir geht's ungemein nahe, daß Ihnen der Hof verbothen wird. Und mir ist's höchst angenehm, gab ich zur Antwort, das weiß Gott, der Allmächtige! Ich erwartete vom Könige nur Eine Gnade, und er gewährt mir noch eine.

Nachdem ich also Gewißheit hatte, daß ich nicht mehr Gefangener war, ließ ich zwey Maulesel miethen, die mein Vertrauter und ich den folgenden Tag bestiegen, nachdem ich Cogollo's Lebewohl gesagt, und Tordesillas für all' seine Freundesdienste tausendfachen Dank abgestattet hatte. Wir schlugen frohes Muths den Weg nach Madrid ein, woselbst wir unsre beyden Säcke, in deren jedem sich fünf hundert Doppelpistolen befanden, von Sennor Gabriel abhohlen wollten.

Unterweges sagte mein Gefährte zu mir: Sind wir gleich nicht reich genug, uns ein prächtiges Landgut zu kaufen, so können wir doch wenigstens ein ganz leidliches bekommen.

Ich. Und wär's auch nur eine Hütte, so würd' ich darin mit meinem Schicksale zufrieden seyn. Wiewohl ich kaum in der Mitte meiner Laufbahn bin, so fühl' ich mich doch ganz von der Welt abgerissen, ganz ihr abgestorben; von nun an begehr' ich weiter nichts, als mir 104 selber zu leben. Ausserdem muß ich Dir sagen, hab' ich mir von den Annehmlichkeiten des Landlebens eine Vorstellung gemacht, die mich bezaubert, und dieselben schon im voraus geniessen läßt. Mich dünkt, ich sehe den buntdurchwirkten Teppich der Wiesen, höre den Gesang der Nachtigallen und das holde Murmeln der Bäche; steh' am Rande des Bachs, die Angelruth' in der Hand, oder eil' auf fliegendem Gaule dem gescheuchten Gewilde nach. Denk' Dir all' die verschiedenen Wonnen, die uns in der Einsamkeit erwarten, und Du wirst eben so entzückt werden, als ich. Was unsre Nahrung anbetrifft, so wird die einfachste die beste seyn. Mit einem Stücke Brot werden wir den uns drängenden Hunger abwehren. Wir werden es mit einer Begier verzehren, die dessen Wohlgeschmack unendlich erhöhen wird. Wollust liegt nicht in der Güte der leckersten Speisen, sie liegt in uns selbst; und da dem so ist, so find' ich nicht das Mahl das behaglichste, an dem Epikuräismus und Ueberfluß herrscht. Mäßigkeit ist der Quell, aus der die Fülle der Gesundheit aus uns strömt, und mit ihr alle Freuden.

Scipio (einfallend). Mit Ihrer Erlaubniß, Sennor Gil Blas, ich bin nicht so ganz Ihrer Meinung, was die Mäßigkeit anlangt; so viel Sie mir dieselbe auch vorpreisen. wozu leben wie die Diogenesse? Bey 105 etwas besserer Kost werden wir wahrlich nicht übler fahren! Folgen Sie mir, und machen Sie Schmalhansen nicht zum Küchenmeister, und Habenichtsen zum Haushofmeister; wir haben ja, Gottlob! was in die Milch zu brocken, und uns das Leben angenehm zu machen. Sobald wir nur im Besitze eines Landgutes sind, wollen wir uns mit Weinen und alle dem übrigen Proviant versorgen, den gescheidte Leute haben müssen, die nicht dem Umgange mit Menschen entsagen, um sich der Gemächlichkeiten des Lebens zu berauben, sondern um selbiger in wahrer Ruhe geniessen zu können. »Das schadet dem Menschen nicht,« sagt Hesiodus, »was er im Hause hat, wohl aber das, was er nicht darin hat. Besser, man besitzt selbst alles das, dessen man bedarf, als daß man dessen Besitz wünscht.«

Ich (ihm auch einfallend). Was Teufel, Herr Scipio! Sie kennen die Griechischen Dichter? Wo in aller Welt haben Sie denn mit dem Hesiodus Bekanntschaft gemacht?

Scipio. Bey einem Gelehrten. Ich war zu Salamanka eine Zeit lang bey einem Schulfuchse in Diensten, der ein großer Commentator war. Er schmierte Ihnen, eh' als man eine Hand umdrehte, einen dicken Band zusammen aus Hebräischen, Griechischen und Lateinischen Stellen, die er aus denen in seiner Bibliothek befindlichen Büchern gezogen, und 106 in's Castilische übersetzt hatte. Da ich sein Abschreiber war, ist mir manche Sentenz im Gehirn sitzen geblieben, die so gutes Schrots ist, wie die von vorhin.

Ich. Da hast Du ja ein reichausgeschmücktes Gedächtniß. Doch wieder auf unser Voriges! In welchem Königreiche Spanien's meinst Du wohl, daß wir unsre philosophische Residenz aufschlügen.

Scipio. In Arragonien, dächt' ich. Wir treffen dort reitzende Gegenden an, wo wir ein wonnigliches Leben führen können.

Ich. Nun dann, so sey's; in Arragonien also! Mir schon recht! Und nun wünscht' ich bereits einen Ort daselbst ausfindig gemacht zu haben, der mir all' die Vergnügungen verschaffte, an welchen sich meine Einbildungskraft weidet.

 


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