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Ich würde von diesem großen Kunstrichter nur wenig gelernt haben, wenn er in meinen Gedanken noch überall recht hätte. – Er gibt uns aber eine doppelte Erklärung von der FabelDer Critischen Dichtkunst ersten Bandes siebender Abschnitt, S. 194.. Die eine hat er von dem de La Motte entlehnet, und die andere ist ihm ganz eigen.
Nach jener versteht er unter der Fabel eine unter der wohlgeratenen Allegorie einer ähnlichen Handlung verkleidete Lehre und Unterweisung. – Der klare, übersetzte de La Motte! Und der ein wenig gewässerte: könnte man noch dazusetzen. Denn was sollen die Beiwörter: wohlgeratene Allegorie, ähnliche Handlung? Sie sind höchst überflüssig.
Doch ich habe eine andere wichtigere Anmerkung auf ihn versparet. Richer sagt: die Lehre solle unter dem allegorischen Bilde versteckt (caché) sein. Versteckt! welch ein unschickliches Wort! In manchem Rätsel sind Wahrheiten, in den Pythagorischen Denksprüchen sind moralische Lehren versteckt, aber in keiner Fabel. Die Klarheit, die Lebhaftigkeit, mit welcher die Lehre aus allen Teilen einer guten Fabel auf einmal hervorstrahlet, hätte durch ein ander Wort als durch das ganz widersprechende versteckt ausgedrückt zu werden verdienet. Sein Vorgänger de La Motte hatte sich um ein gut Teil feiner erklärt; er sagt doch nur verkleidet (deguisé). Aber auch verkleidet ist noch viel zu unrichtig, weil auch verkleidet den Nebenbegriff einer mühsamen Erkennung mit sich führet. Und es muß gar keine Mühe kosten, die Lehre in der Fabel zu erkennen; es müßte vielmehr, wenn ich so reden darf, Mühe und Zwang kosten, sie darin nicht zu erkennen. Aufs höchste würde sich dieses verkleidet nur in Ansehung der zusammengesetzten Fabel entschuldigen lassen. In Ansehung der einfachen ist es durchaus nicht zu dulden. Von zwei ähnlichen einzeln Fällen kann zwar einer durch den andern ausgedrückt, einer in den andern verkleidet werden: aber wie man das Allgemeine in das Besondere verkleiden könne, das begreife ich ganz und gar nicht. Wollte man mit aller Gewalt ein ähnliches Wort hier brauchen, so müßte es anstatt verkleiden wenigstens einkleiden heißen.
Von einem deutschen Kunstrichter hätte ich überhaupt dergleichen figürliche Wörter in einer Erklärung nicht erwartet. Ein Breitinger hätte es den schön vernünftelnden Franzosen überlassen sollen, sich damit aus dem Handel zu wickeln; und ihm würde es sehr wohl angestanden haben, wenn er uns mit den trocknen Worten der Schule belehrt hätte, daß die moralische Lehre in die Handlung weder versteckt noch verkleidet, sondern durch sie der anschauenden Erkenntnis fähig gemacht werde. Ihm würde es erlaubt gewesen sein, uns von der Natur dieser auch der rohesten Seele zukommenden Erkenntnis, von der mit ihr verknüpften schnellen Überzeugung, von ihrem daraus entspringenden mächtigen Einflusse auf den Willen das Nötige zu lehren. Eine Materie, die durch den ganzen spekulativischen Teil der Dichtkunst von dem größten Nutzen ist und von unserm Weltweisen schon gnugsam erläutert warIch kann meine Verwunderung nicht bergen, daß Herr Breitinger das, was Wolf schon damals von der Fabel gelehret hatte, auch nicht im geringsten gekannt zu haben scheinet. Wolfii Philosophiae practicae universalis pars posterior §§ 302-323. Dieser Teil erschien 1739, und die Breitingersche Dichtkunst erst das Jahr darauf. ! – Was Breitinger aber damals unterlassen, das ist mir, itzt nachzuholen, nicht mehr erlaubt. Die philosophische Sprache ist seitdem unter uns so bekannt geworden, daß ich mich der Wörter anschauen, anschauender Erkenntnis gleich von Anfange als solcher Wörter ohne Bedenken habe bedienen dürfen, mit welchen nur wenige nicht einerlei Begriff verbinden.
Ich käme zu der zweiten Erklärung, die uns Breitinger von der Fabel gibt. Doch ich bedenke, daß ich diese bequemer an einem andern Orte werde untersuchen können. – Ich verlasse ihn also.