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Die Fabeln sind verschiedener Einteilungen fähig. Von einer, die sich aus der verschiednen Anwendung derselben ergibt, habe ich gleich anfangs geredet. Die Fabeln nämlich werden entweder bloß auf einen allgemeinen moralischen Satz angewendet und heißen einfache Fabeln, oder sie werden auf einen wirklichen Fall angewendet, der mit der Fabel unter einem und ebendemselben moralischen Satze enthalten ist, und heißen zusammengesetzte Fabeln. Der Nutzen dieser Einteilung hat sich bereits an mehr als einer Stelle gezeiget.
Eine andere Einteilung würde sich aus der verschiednen Beschaffenheit des moralischen Satzes herholen lassen. Es gibt nämlich moralische Sätze, die sich besser in einem einzeln Falle ihres Gegenteils als in einem einzeln Falle, der unmittelbar unter ihnen begriffen ist, anschauend erkennen lassen. Fabeln also, welche den moralischen Satz in einem einzeln Falle des Gegenteils zur Intuition bringen, würde man vielleicht indirekte Fabeln, so wie die andern direkte Fabeln nennen können.
Doch von diesen Einteilungen ist hier nicht die Frage; noch viel weniger von jener unphilosophischen Einteilung nach den verschiedenen Erfindern oder Dichtern, die sich einen vorzüglichen Namen damit gemacht haben. Es hat den Kunstrichtern gefallen, ihre gewöhnliche Einteilung der Fabel von einer Verschiedenheit herzunehmen, die mehr in die Augen fällt; von der Verschiedenheit nämlich der darin handelnden Personen. Und diese Einteilung ist es, die ich hier näher betrachten will.
Aphthonius ist ohne Zweifel der älteste Skribent, der ihrer erwähnst. Του δε μυθου, sagt er in seinen Vorübungen, το μεν εστι λογικον, το δε ηθικον, το δε μικτον. Και λογικον μεν εν ω τι ποιων ανθρωπος πεπλασται: μικτον δε το εξ αμφοτερων αλογου και λογικου. Es gibt drei Gattungen von Fabeln, die vernünftige, in welcher der Mensch die handelnde Person ist, die sittliche, in welcher unvernünftige Wesen aufgeführet werden, die vermischte, in welcher sowohl unvernünftige als vernünftige Wesen vorkommen. – Der Hauptfehler dieser Einteilung, welcher sogleich einem jeden in die Augen leuchtet, ist der, daß sie das nicht erschöpft, was sie erschöpfen sollte. Denn wo bleiben diejenigen Fabeln, die aus Gottheiten und allegorischen Personen bestehen? Aphthonius hat die vernünftige Gattung ausdrücklich auf den einzigen Menschen eingeschränkt. Doch wenn diesem Fehler auch abzuhelfen wäre, was kann dem ohngeachtet roher und mehr von der obersten Fläche abgeschöpft sein als diese Einteilung? Öffnet sie uns nur auch die geringste freiere Einsicht in das Wesen der Fabel?
Batteux würde daher ohne Zweifel ebenso wohl getan haben, wenn er von der Einteilung der Fabel gar geschwiegen hätte, als daß er uns mit jener kahlen aphthonianischen abspeisen will. Aber was wird man vollends von ihm sagen, wenn ich zeige, daß er sich hier auf einer kleinen Tücke treffen läßt? Kurz zuvor sagt er unter andern von den Personen der Fabel: »Man hat hier nicht allein den Wolf und das Lamm, die Eiche und das Schilf, sondern auch den eisernen und den irdenen Topf ihre Rollen spielen sehen. Nur der Herr Verstand und das Fräulein Einbildungskraft und alles, was ihnen ähnlich siehet, sind von diesem Theater ausgeschlossen worden, weil es ohne Zweifel schwerer ist, diesen bloß geistigen Wesen einen charaktermäßigen Körper zu geben, als Körpern, die einige Analogie mit unsern Organen haben, Geist und Seele zu geben.«Nach der Ramlerschen Übersetzung, S. 244. – Merkt man, wider wen dieses geht? Wider den de La Motte, der sich in seinen Fabeln der allegorischen Wesen sehr häufig bedienet. Da dieses nun nicht nach dem Geschmacke unsers oft mehr eckeln als feinen Kunstrichters war, so konnte ihm die aphthonianische mangelhafte Einteilung der Fabel nicht anders als willkommen sein, indem es durch sie stillschweigend gleichsam zur Regel gemacht wird, daß die Gottheiten und allegorischen Wesen gar nicht in die aesopische Fabel gehören. Und diese Regel eben möchte Batteux gar zu gern festsetzen, ob er sich gleich nicht getrauet, mit ausdrücklichen Worten darauf zu dringen. Sein System von der Fabel kann auch nicht wohl ohne sie bestehen. »Die aesopische Fabel, sagt er, ist, eigentlich zu reden, das Schauspiel der Kinder; sie unterscheidet sich von den übrigen nur durch die Geringfügigkeit und Naivität ihrer spielenden Personen. Man sieht auf diesem Theater keinen Cäsar, keinen Alexander: aber wohl die Fliege und die Ameise etc.« – Freilich, diese Geringfügigkeit der spielenden Personen vorausgesetzt, konnte Batteux mit den höhern poetischen Wesen des de La Motte unmöglich zufrieden sein. Er verwarf sie also, ob er schon einen guten Teil der besten Fabeln des Altertums zugleich mit verwerfen mußte, und zog sich, um den kritischen Anfällen deswegen weniger ausgesetzt zu sein, unter den Schutz der mangelhaften Einteilung des Aphthonius. Gleich als ob Aphthonius der Mann wäre, der alle Gattungen von Fabeln, die in seiner Einteilung nicht Platz haben, eben dadurch verdammen könnte! Und diesen Mißbrauch einer erschlichenen Autorität, nenne ich eben die kleine Tücke, deren sich Batteux in Ansehung des de La Motte hier schuldig gemacht hat.
WolfPhilosoph. practicae universales pars post. S 303. hat die Einteilung des Aphthonius gleichfalls beibehalten, aber einen weit edlern Gebrauch davon gemacht. Diese Einteilung in vernünftige und sittliche Fabeln, meinet er, klinge zwar ein wenig sonderbar; denn man könnte sagen, daß eine jede Fabel sowohl eine vernünftige als eine sittliche Fabel wäre. Sittlich nämlich sei eine jede Fabel insofern als sie einer sittlichen Wahrheit zum Besten erfunden worden, und vernünftig insofern, als diese sittliche Wahrheit der Vernunft gemäß ist. Doch da es einmal gewöhnlich sei, diesen Worten hier eine andere Bedeutung zu geben, so wolle er keine Neuerung machen. Aphthonius habe übrigens bei seiner Einteilung die Absicht gehabt, die Verschiedenheit der Fabeln ganz zu erschöpfen, und mehr nach dieser Absicht als nach den Worten, deren er sich dabei bedient habe, müsse sie beurteilet werden. Absit enim, sagt er – und oh, wenn alle Liebhaber der Wahrheit so billig dächten! –, absit, ut negemus accurate cogitasse, qui non satis accurate loquuntur. Puerile est, erroris redarguere eum, qui ab errore immunem possedit animum, propterea quod parum apta succurrerint verba, quibus mentem suam exprimere poterat. Er behält daher die Benennungen der aphthonianischen Einteilung bei und weiß die Wahrheit, die er nicht darin gefunden, so scharfsinnig hineinzulegen, daß sie das vollkommene Ansehen einer richtigen philosophischen Einteilung bekömmt. »Wenn wir Begebenheiten erdichten, sagt er, so legen wir entweder den Subjekten solche Handlungen und Leidenschaften, überhaupt solche Prädikate bei als ihnen zukommen, oder wir legen ihnen solche bei, die ihnen nicht zukommen. In dem ersten Falle heißen es vernünftige Fabeln, in dem andern sittliche Fabeln, und vermischte Fabeln heißen es, wenn sie etwas sowohl von der Eigenschaft der sittlichen als vernünftigen Fabel haben.«
Nach dieser Wolfischen Verbesserung also, beruhet die Verschiedenheit der Fabel nicht mehr auf der bloßen Verschiedenheit der Subjekte, sondern auf der Verschiedenheit der Prädikate, die von diesen Subjekten gesagt werden. Ihr zufolge kann eine Fabel Menschen zu handelnden Personen haben und dennoch keine vernünftige Fabel sein, so wie sie eben nicht notwendig eine sittliche Fabel sein muß, weil Tiere in ihr aufgeführet werden. Die oben angeführte Fabel von den zwei kämpfenden Hähnen würde nach den Worten des Aphthonius eine sittliche Fabel sein, weil sie die Eigenschaften und das Betragen gewisser Tiere nachahmet; wie hingegen Wolf den Sinn des Aphthonius genauer bestimmt hat, ist sie eine vernünftige Fabel, weil nicht das geringste von den Hähnen darin gesagt wird, was ihnen nicht eigentlich zukäme. So ist es mit mehrern: Z. E. der Vogelsteller und die SchlangeFab. Aesop. 32., der Hund und der KochFabul. Aesop. 34., der Hund und der GärtnerFab. Aesop. 67., der Schäfer und der WolfFab. Aesop. 71. : lauter Fabeln, die nach der gemeinen Einteilung unter die sittlichen und vermischten, nach der verbesserten aber unter die vernünftigen gehören.
Und nun? Werde ich es bei dieser Einteilung unsers Weltweisen können bewenden lassen? Ich weiß nicht. Wider ihre logikalische Richtigkeit habe ich nichts zu erinnern; sie erschöpft alles, was sie erschöpfen soll. Aber man kann ein guter Dialektiker sein, ohne ein Mann von Geschmack zu sein; und das letzte war Wolf, leider, wohl nicht. Wie, wenn es auch ihm hier so gegangen wäre, als er es von dem Aphthonius vermutet, daß er zwar richtig gedacht, aber sich nicht so vollkommen gut ausgedrückt hätte, als es besonders die Kunstrichter wohl verlangen dürften? Er redet von Fabeln, in welchen den Subjekten Leidenschaften und Handlungen, überhaupt Prädikate, beigelegt werden, deren sie nicht fähig sind, die ihnen nicht zukommen. Dieses Nicht-Zukommen kann einen übeln Verstand machen. Der Dichter, kann man daraus schließen, ist also nicht gehalten, auf die Naturen der Geschöpfe zu sehen, die er in seinen Fabeln aufführet? Er kann das Schaf verwegen, den Wolf sanftmütig, den Esel feurig vorstellen; er kann die Tauben als Falken brauchen und die Hunde von den Hasen jagen lassen. Alles dieses kömmt ihnen nicht zu; aber der Dichter macht eine sittliche Fabel, und er darf es ihnen beilegen. – Wie nötig ist es, dieser gefährlichen Auslegung, diesen mit einer Überschwemmung der abgeschmacktesten Märchen drohenden Folgerungen vorzubauen!
Man erlaube mir also, mich auf meinen eigenen Weg wieder zurückzuwenden. Ich will den Weltweisen so wenig als möglich aus dem Gesichte verlieren; und vielleicht kommen wir, am Ende der Bahn, zusammen. – Ich habe gesagt und glaube es erwiesen zu haben, daß auf der Erhebung des einzeln Falles zur Wirklichkeit der wesentliche Unterschied der Parabel, oder des Exempels überhaupt, und der Fabel beruhet. Diese Wirklichkeit ist der Fabel so unentbehrlich, daß sie sich eher von ihrer Möglichkeit als von jener etwas abbrechen läßt. Es streitet minder mit ihrem Wesen, daß ihr einzelner Fall nicht schlechterdings möglich ist, daß er nur nach gewissen Voraussetzungen, unter gewissen Bedingungen möglich ist, als daß er nicht als wirklich vorgestellt werde. In Ansehung dieser Wirklichkeit folglich ist die Fabel keiner Verschiedenheit fähig, wohl aber in Ansehung ihrer Möglichkeit, welche sie veränderlich zu sein erlaubt. Nun ist, wie gesagt, diese Möglichkeit entweder eine unbedingte oder bedingte Möglichkeit; der einzelne Fall der Fabel ist entweder schlechterdings möglich, oder er ist es nur nach gewissen Voraussetzungen, unter gewissen Bedingungen. Die Fabeln also, deren einzelner Fall schlechterdings möglich ist, will ich (um gleichfalls bei den alten Benennungen zu bleiben) vernünftige Fabeln nennen; Fabeln hingegen, wo er es nur nach gewissen Voraussetzungen ist, mögen sittliche heißen. Die vernünftigen Fabeln leiden keine fernere Unterabteilung, die sittlichen aber leiden sie. Denn die Voraussetzungen betreffen entweder die Subjekte der Fabel oder die Prädikate dieser Subjekte: der Fall der Fabel ist entweder möglich, vorausgesetzt, daß diese und jene Wesen existieren, oder er ist es, vorausgesetzt, daß diese und jene wirklich existierende Wesen (nicht andere Eigenschaften als ihnen zukommen; denn sonst würden sie zu anderen Wesen werden, sondern) die ihnen wirklich zukommenden Eigenschaften in einem höhern Grade, in einem weitern Umfange besitzen. Jene Fabeln, worin die Subjekte vorausgesetzt werden, wollte ich mythische Fabeln nennen, und diese, worin nur erhöhtere Eigenschaften wirklicher Subjekte angenommen werden, würde ich, wenn ich das Wort anders wagen darf, hyperphysische Fabeln nennen. –