Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Höhenhauch, über Waldwogen her und aus fernblauen Weiten. Drüben lastender, schwerer Dunkelwald, der die Knieholzpolster der Blöße noch mehr niederzudrücken scheint. Deren Spiegelbilder aber wanken im Wellchengezitter dunkler Lachen, die da und dort aus dem dürftigen Riedrasen aufschauen.
Drei junge Leute bücken sich immer wieder nach den Moosbeeren, die zwischen dem Heidelgestrüpp vorlugen. Die bereiften Früchte munden nach dem Marsch über die Höhen besonders gut. Und nach der Labung wollen die Drei sich nicht von dem großen Tümpel trennen, der wie ein aufgeschlagenes, dunkles Auge zu ihnen emporstarrt.
Die junge Dame blickt an den Knieholzbeständen hin, die aussehen, als seien sie von Gärtnerhand in den Moorgrund gepflanzt worden und meint:
»Das schaut aus, als ob der Waldgeist hier seinen Wildnisgarten angelegt hätte.«
Die Männer pflichten bei und der Jüngere spricht: 111
»Rasten wir doch; es ist so seltsam schön da.«
Man stimmt zu und sechs Augen spähen nach dem günstigsten Ruheplatz.
»Nein. Warum dort?« gibt der Dritte drein, als die andern abseits gehen wollen. »Bleibt hier am schwarzen Teich! Ida setzt sich auf den abgestorbenen Knorren da und wir legen uns neben ihr aufs Moos.«
Sie ruhen dann. Der Ältere entnimmt seinem Rucksack Erfrischungen und bietet sie an. Dann spinnt das Gespräch sich am Faden der letztbegangenen Pfade zurück nach jener hohen, graugewitterten Felszinne, wo die Welt unter ihnen so tief weggesunken war und aus der sonnenübergossenen Weite das Schloß Wallensteins heraufgrüßte.
»Er hat um das Isergebirge seine Spuren gezogen,« sagte der Jüngere.
»Ja, und dieser Friedländer war der Zeit weit voraus,« spann sein Gegenüber den Gedanken fort. »Was er für die Bewirtschaftung der Güter, das Aufblühen von Städten und Dörfern, die Pflege des Handwerks und die Führung straffer Ordnung tat, ist ungewöhnlich.«
»So laß doch dieser großen Gestalt gegenüber deine Nutzengedanken beiseite,« entrüstete 112 sich die junge Dame und setzte hinzu: »Du siehst, Robert, er ist immer der Gleiche.«
»Es setzt den Mann gewiß nicht herab,« entgegnete der Gescholtene, »wenn man auch seine wirtschaftlichen Gaben hervorhebt. Jedesfalls gehört mehr dazu, auf so verschiedenen Gebieten Großes zu leisten, als auf einem beschränkten, einzigen.«
»Das ist wahr,« kam es von drüben her. »Bei genauerem Zusehen wirst Du aber finden, daß auch dieser hochstehende, weitblickende Mensch keine Hemmungen kennen wollte, wie das so häufig vorkommt, wenn zur Kraft noch die Macht tritt. Dann wiegen entgegenstehende Rechte flaumenleicht und der Gewaltmensch tritt zu Boden, was sich nicht beugen mag.«
»Das ist das Recht der genialen Persönlichkeit,« scholl es zurück. »Ihr eignet die Aufgabe, das Ziel zu bestimmen, an das die Vielen ihre Mühe wenden sollen. Und damit es erreicht werde, muß sich eiserne Kraft mit der adeligen Gabe des Aufbauens vermählen. Daß die sodann oft über Kurzsichtigkeit hinwegschreitet . . . .«
»Du fühlst wohl selbst,« nahm nach dem Stockenden der Jüngere das Wort, »wie solch Niedertreten leicht zum Herren- und 113 Sklavenverhältnis hinführt. Nur darum sprach ich von Hemmungen, die jener Große nicht berücksichtigte; Hemmungen, die geradezu wohltätig wirken können und die Entwicklung oft noch vor dem schädlichen Übermaß umbiegen.«
»Und,« schaltete die junge Dame ein, »Sklavenarbeit beugt nieder; nur die Arbeit des Freien richtet auf.«
»Was ihr meint, kann natürlich eintreten. Soll aber der geniale Machthaber deswegen nicht befugt sein, das erkannte Ziel zu bestimmen, an das die Menge ihre Kraft zu wenden hat?«
»Ihre Kraft aus Überzeugung und in Freiheit wenden soll, ist richtiger; doch nicht unter brutalem Zwang fronend.«
»Und die Nutzanwendung auf heute, um die es dir wohl vornehmlich zu tun ist?«
»Nein, du gehst ihm nicht wieder auf den Leim,« kam es von den weiblichen Lippen. »Ich finde, wir können nun zur Schönheit der Natur zurückkehren, wegen der wir heraufgestiegen sind. Leonhard mag seine Nutzanwendungen im Stillen selber ziehen.
Seht doch einmal hierher!«
Sie wies nach dem Tümpel, wo graue Mückenschwärme dicht über dem Wasser schwebten, als 114 freuten sie sich ihrer Spiegelbilder unten. Und wenn sonnhelle Wölkchen in die Lache schauten, begann die Dunkle zu lächeln, weit aus dem Grunde her, wo es braun und moorig quirlte und Blasen warf, vor denen die langbeinigen Wasserreiter scheu zurückprallten. Auch der goldige Strahlenstern der Arnikablume drüben leuchtete noch einmal aus dem schwarzen Gewässer herauf, wie eine trostreiche Verheißung inmitten der Nacht des Kummers.
Die Drei schwiegen und nur das geringe Sausen der Nadeln ging fort und formte sich im Hinhören so vielgestaltig, daß man Worte oder Rhythmen hineinlegen konnte. Damit aber auch die Ablenkung nicht fehle, war plötzlich der trutzige Fliegenton da und die Dreistigkeit seiner Sängerin.
Nur die Stimme des Wassers fehlte und der Mangel einer solchen kam den Lauschenden je länger, je mehr zum Bewußtsein. Robert gab dem Empfinden Ausdruck und sagte:
»So ein stummes Gewässer ist fast unheimlich. Das leiseste Murmeln eines Abflusses würde befreiend wirken; denn man ist an die tönend gewordene Ruhelosigkeit dieses Elementes so gewöhnt, daß einem jenes Schweigen im Grunde 115 wie lauernde Tücke vorkommt, die auf das Anheimfallen eines Opfers harrt.«
»Überempfindlich!«
»Es ist etwas daran,« pflichtete die Schwester bei. »Auch mag damit die Lockung zusammenhängen, die so unergründlich scheinende Wasser auf den Menschen üben. Es ist, als riefen Stimmen aus der Tiefe, doch ja hinabzukommen.«
»Warum nicht gar,« kam es vom Bruder zurück. »Locken könnte mich hier nur Eines: wie ich den Reichtum überschüssigen Wassers aus diesem Hochmoor nutzbringend verwenden möchte. Vielleicht wäre eurem Staubecken von hier mehr Wasser zuzuführen.«
Die junge Dame stand entrüstet auf und auch Robert wandte sich überrascht voll dem Sprecher zu.
»Wirst du wohl!«
»Was soll das wieder?«
»Kannst du dich gar nicht bezwingen?«
»Plant man so etwas?«
So schwirrte es durcheinander.
»Nun, nun, erhitzt euch nicht! Du, Robert, hast sicher schon gehört, wie euer Staubecken zu klein ist, um den Kraftstrom auch für die neuen Anlagen zu liefern. Man braucht aber bloß den Damm zu verstärken, um weit mehr Wasser 116 aufspeichern zu können. Hier wäre ein nutzbares Quellgebiet.«
Der Angeredete richtete sich halb auf und blickte immer wieder fast feindselig auf die gleißende Wasserfläche und dann nach dem Freunde. Dieser sagte endlich:
»Ich sehe nur nicht ein, was ihr . . .«
Robert unterbrach:
»Hast du . . .? Ich bitte dich, sprich davon nicht mit meinem Vater.«
»Mit dem Herrn Chef? Das wäre reichlich spät und auch überflüssig. Von ihm stammt ja der Gedanke, ein neues Niederschlagsgebiet zu fassen und herüberzuleiten.«
Die Augen drüben suchten einander. Sorgende Schwermut blickte hier, zürnendes Aufblitzen war dort, einfühlend im Empfangen und Geben, geeint in dem Empfinden, daß jenes Vernommene Unheil herbeiführen werde.
Aber während die Beiden Gedanken tauschten, blickte der Dritte verständnislos von einem Augenpaare zum andern. Endlich brach er die Spannung des Augenblicks:
»Wollt ihr mir nicht sagen, was dies Schweigen bedeutet?« 117
Wieder sparten zwei Blicke die Worte der Verständigung, dann hob die Schwester an:
»Soll Robert nicht betroffen sein, daß er von so großen Plänen erst durch dich erfahren muß?«
Ein unbehagliches Achselzucken war die Antwort des Bruders. Nach einer Pause fügte der Jüngere mit gepreßter Stimme hinzu:
»Jetzt weiß ich erst, warum der Großpapa aus der Firma treten will.«
Wieder kam das Achselzucken, diesmal noch von einer raschen Handbewegung begleitet.
»Der alte Herr stellt sich allem Neuen in den Weg, und da . . .«
»Das ist unrichtig; er will nur, daß Maß gehalten wird.«
Ausweichend tönte es zurück:
»Du kümmerst dich nicht ums Geschäft, sonst würdest du wissen, daß wir die Menge der Aufträge längst nicht mehr bewältigen können.«
»Das ist ja auch nicht nötig. Weiset nur zurück, was über eure Kraft geht.«
Wieder blickte der Angeredete verständnislos auf den Sprechenden. Das Gehörte schien ihm so ungereimt, daß er es nur zu einem Verlegenheitslächeln brachte. 118
Seine Schwester nickte ihm trübe zu:
»Du begreifst nicht, wie man einen Gewinn zurückweisen kann. Ihr Kaufleute seid eben Egoisten vom Fach und vergeßt über dem eigenen Nutzen leicht jenen der Allgemeinheit.«
»Ich glaube doch, daß es der Gesamtheit dient, wenn mehr Leute Arbeit finden.«
»Habt ihr solche? Müßt ihr sie nicht erst anderswo von der Scholle reißen und hierher verpflanzen? Sie heimatlos machen und den angesessenen Arbeitern schlimme Wettbewerber für die Zeiten ungünstiger Geschäfte züchten, das halte ich nicht für erstrebenswert,« gab der Freund drein.
»Nachteile gibt es bei jedem Unternehmen.«
»Und habt ihr keinen Sinn dafür, daß mit eurem Fabriksbetrieb die Leute nur verelendet werden? Das kleine Häuschen, in dem früher der Vater mit den Kindern und wenigen Gehilfen die Gläser schliff, war gegen den öden Fabrikssaal ein Paradies. Dort hatte er Weib und Kind um sich und den altgewohnten Hausrat, von den Wänden grüßten ihn die Bilder der Eltern und der Vogel im Käfig spann sein Liedlein ins Geschwirr der Schleifsteine. Oh, ihr habt diesen Menschen viel an Arbeitsfrieden genommen.« 119
»Und die Wohnkasernen, in denen ihr die Leute zusammenpfercht?«
»Mag sein; aber man behält sie so besser in der Hand.«
»Köstlich, dieser Grundsatz! Auch noch unfrei sollen die Leute sein.«
»Aber schließlich mußt du doch zugeben, daß die vermehrte Arbeitsgelegenheit vorteilhaft für sie ist.«
»Ja, wenn es auch nicht leicht zu entscheiden sein wird, ob der Vorteil des Arbeiters jenem des Unternehmers die Wage hält.«
»Na, hör einmal, du sprichst aber nicht, wie ein künftiger Nachfolger von Schürer und Sohn.«
»Zugegeben . . .«
Der junge Mann öffnete die Lippen, um mehr zu sagen; doch preßte er sie plötzlich fast unwillig aufeinander und schwieg. Sein Gegenüber war aber nicht gesonnen, den Gedanken beiseite schieben zu lassen.
»Du teilst die Ansichten des alten Herrn,« knüpfte er wieder an.
»Das ist zu viel gesagt.«
»Ich aber bewundere deinen Vater. Wenn ich die Großzügigkeit seiner Anordnungen gewahre, 120 sehe, wie ruhig und sicher er das Richtunggebende findet, neue Wege weist und wenn ich seinen stahlharten Arbeitswillen fühle, dann ist er mir Vorbild und Ansporn zugleich und ich ordne mich willig seiner Überlegenheit unter.
Schau, es ist doch auch etwas Großes, die Materie zu zwingen, wie er jetzt wieder plant.«
»Es ist Schaffen, wenn es den Boden segnet, dem es entstammt. Wahr ist es aber auch, daß es sich oft durch Ansteckung mit dem Erdigen seines Charakters rächt. Nur wenn es nach den Höhen deutet, führt es zum Heil.«
Die Augen des Mädchens hingen mit reiner Freude am Gesicht des Sprechenden. Dann war es still, als fühlten die Drei, daß die Zwiesprache nicht weitergehen dürfe.
Noch immer lag der braune Tümpel fast unbewegt da und ein glänzend Wolkenrund, das in der Ferne ragende Trutzburgen baute, spiegelte sich in ihm getreulich wieder. Über dem dürftigen Riedrasen der Nähe aber nickten die reinweißen Flöckchen der Wollgräser und aus dem Grün des Knieholzes leuchteten fuchsige Nadelbüsche geknickter Äste. 121
Die jungen Leute traten den Rückweg an. Der Ernst des Gespräches lag noch auf ihnen und führte ihre Gedanken geraume Zeit von den Außendingen hinweg. Aber wie diese mit sanfter Gewalt immer wieder vor ihre Sinne kamen, aus blauer Ferne und vom nächsten Hange her, zu jeder Waldlücke wieder neue Wälder hereinblickten, die Abendluft ihre allerseltsamsten Lichtspiele schuf gleich Zieraten vom glanzgewobenen Kleide Gottes, wurden auch ihre Augen heller und sahen wieder die unsägliche Schönheit ringsum.
Leonhard blieb öfters zurück und schien Vergleiche anzustellen. Die Anderen nickten ihm nur lächelnd zu und ließen ihn gewähren. Hand in Hand gingen sie wie beflügelt dahin und wie das Abendrot ihre freudig bewegten Züge überströmte und belebte, schienen sie so recht willens, in eine glückliche Zukunft hinüber zu schreiten.
Und dann ging das Abendschweigen der Waldberge in ihre Seelen ein wie Empfinden der Gottesnähe und der überirdisch zarte Hauch auf deren Dehnungen war ihnen wie der Widerschein vom Purpurglanz des Jenseits. 122