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Und ich sage Dir, Walt, jetzt wo wir endlich in Deiner Bude beisammensitzen und richtig miteinander reden können – und weißt Du, nach allem, was ich gesehen hab, glaub ich wirklich nicht, daß es in Troy n eleganteres Haus in der Größe gibt, und dann bist Du natürlich immer mein Lieblingsvetter gewesen und einer von den wenigen Menschen, auf deren geschäftliches Urteil ich etwas gebe und –
Wenn Dus ermöglichen kannst, mir dieses Darlehen zu geben, wirst Dus nie bereuen. Das Geschäft is wohl in den letzten sechs Monaten nicht ganz so gut gegangen, wie ich ja schon zugegeben habe, aber jetzt, wo ich die Zenither Alleinvertretung für diese neuen Registrierkassen habe – und hör mal, was die Registrierkasse bedeutet, was sie bedeutet für den modernen und flotten Geschäftsgang; sie is beinah, könnt man sagen, das Symbol der modernen Industrie, wie das Schwert für den Krieg – jetzt wo ich die habe, kann ich, alles in allem, eine außerordentliche Umsatzvergrößerung garantieren, und ich möchte Dich bitten, meinen Geschäftsbericht mit der größten Sorgfalt zu prüfen.
Selbstverständlich hast Du mit allem, was Du ausgesetzt hast, vollständig recht, und ich werd drüber nachdenken und daraus zu profitieren suchen.
Ich fürchte, ich bin vielleicht wirklich n bißchen zu geschwätzig während der Geschäftszeit und verschwende Zeit und Geld. Und ich geb auch zu, was Du von meiner College-Ausbildung gesagt hast. Es ist vollkommen richtig: ich bin nicht von Amherst weggegangen, weil Papa gestorben is – in Wirklichkeit is er ja erst neun Monate, nachdem ich rausgeschmissen worden bin, gestorben, und es is wahr, ich bin geflogen, weil ich alle Vorlesungen geschwänzt hab, ganz wie Du gesagt hast – obwohl ich meine, daß Du das n bißchen überflüssig aufs Tapet gebracht hast; Du hast mich wirklich fast gekränkt; und ich weiß nicht, ob ich mir das von wem andern hätte gefallen lassen, aber Du warst ja natürlich immer mein Lieblingsvetter –
Weißt Du, ich erzähl natürlich nicht jedem die Version von der Geschichte, weil ich mir nämlich denke, was man nicht weiß, macht einen nicht heiß, und s geht auch keinen Menschen was an.
Aber es is nicht wahr, wie Du so n bißchen angedeutet und gemeint hast, es is nicht wahr, daß ich den Präsidenten Coolidge im College nicht gekannt hab. Es stimmt ja, daß ich ihn ein paar Jahre mit einem anderen aus unserem Jahrgang verwechselt hab, der ihm n bißchen ähnlich sieht, aber vor einiger Zeit hab ich den anderen zufällig getroffen, und jetzt kann ich die zwei ausgezeichnet auseinanderhalten.
Ja, ich weiß noch ganz genau, als obs gestern gewesen wäre, da sind Cal – so haben wir ihn genannt – da sind Cal und ich mal zusammen in die Vorlesung gegangen, und ich hab ihn gefragt: »Cal, alter Junge«, hab ich gefragt, »was heißt Schlacht auf lateinisch?« Und er hat gesagt – er hat gesagt – also, er hat mir gleich das Wort gesagt, ohne rumzureden und lang zu quatschen und um den Katzenbrei rumzugehen.
Aber Du hast recht, ich red n bißchen zu viel. Von jetzt an werd ich mich immer kurz fassen, und Du wirst es nie zu bereuen haben, wenn Du mir dieses Darlehen gibst.
Und ich glaube, daß nicht einmal Du, mit der ganzen tiefen Kenntnis der menschlichen Natur, die Du hast, ganz verstehst, warum und wieso es kommt, daß ich oft so viel rede. Das hat schon seine Gründe. Erstens mal muß ich andauernd in Zenith Reden und Ansprachen halten – Du bist nie dort gewesen und kannst es gar nicht begreifen, aber –
Also, nimm bloß das zum Beispiel. Ich war bei ner Sitzung des Amerikanisierungsausschusses der Zenither Handelskammer, und wir haben über Geburtenkontrolle gesprochen. Also, der Vorsitzende hat durchaus wollen, daß ich eine lange Rede über dieses Thema halte.
»Unsinn, Herrschaften«, hab ich gesagt, »Ihr wißt genau so viel davon wie ich«, aber sie haben weitergeredet und haben sichs nicht nehmen lassen und haben mich nicht losgelassen, bis ich ihnen ne lange Geschichte erzählt hab, bis ich die Argumente dafür und dagegen zusammengezählt und ihnen das Ganze sozusagen n bißchen klargemacht hab. Verstehst Du, was ich meine? Aber Du, Walt, Du denkst Tag und Nacht bloß ans Geschäft, und das is wohl auch praktischer. Aber ich werd in alle diese öffentlichen und wichtigen Gelegenheiten hineingezogen und bekomm so ne Redner- und Philosophengewohnheiten, verstehst Du, was ich meine?
Und dann –
Es is mir fürchterlich, das zu sagen, und keinem anderen Menschenwesen würd ichs so erzählen, Walt, und ich möchte Dich auch bitten, es als streng vertraulich zu betrachten, aber –
Also, worunter meine ganze Lebensart wirklich leidet, das is meine Frau.
Die Frau –
Und es gibt sehr viel, wo ich nur Lob für Muttchen finden kann. Sie meints gut, und so weit ihr Verstand reicht, tut sie alles, was sie für mich kann, aber Tatsache bleibt doch, daß sie mich nicht ganz versteht, und weißt Du, die Art, wie sie mich hetzt und immer wieder Forderungen an mich stellt, also weißt Du, das macht mich ganz einfach verrückt.
Und Delmerine genau so. Die meint auch, der alte Herr is aus Geld gemacht!
Und was ich für Muttchen getan hab – ja, und was die moderne amerikanische Wissenschaft getan hat! Denk nur an die Vorzüge von Konserven, von Delikatessenläden, in denen Du jeden Leckerbissen vom Salat bis zum kalten Truthahn kriegst, alles fix und fertig, so daß es sofort auf den Tisch gebracht werden kann; denk an das Bäckerbrot, das Du nicht zu Hause backen mußt. Oder die elektrische Geschirrabwaschmaschine, die das Geschirrwaschen praktisch, könnt man sagen, auf ein Minimum reduziert, und der Staubsauger, und was is das für eine Erfindung! – kein Ausfegen mehr, kein Teppichklopfen – ja, weißt Du, die Prediger können ja von den Mysterien und den ganzen Sachen reden, aber mit dem Staubsauger hat Amerika der Welt wohl sein Mysterium geschenkt, das noch dauern wird, wenn die Säulen der Akropolis in bloßen Staub zerfallen sind!
Und dann denk an die modernen Wäschereien mit ihren wunderbaren Maschinen.
Es is ja wahr, sie waschen die Wäsche nicht ganz so gut, wies meine alte Mutter gemacht hat – Tatsache, meine Taschentücher zerfetzen sie ganz einfach, und ich hab immer was fürn erstklassiges, feines Leinentaschentuch übriggehabt. Aber trotzdem, Du mußt die Arbeitsersparnis bedenken.
Ich hab wirklich Muttchen mit allen Erfindungen versorgt, die ihr Arbeit abnehmen, so daß sie nichts weiter zu tun hat, als dem Mädchen zu sagen, was es tun soll, und in den verhältnismäßig seltenen Zeiten, wenn wir kein Dienstmädel haben und sie die Arbeit selber machen muß, kann sie sie im Handumdrehen geschafft haben, könnt man sagen, und dann kann sie sich amüsieren und bilden, weil sie Zeit dazu hat. Fast jeden Nachmittag hat sie Zeit zum Bridgespielen, oder sie kann sich um ihren literarischen Club kümmern, die William Lyon Phelps Buch- und Literarische Gesellschaft für Damen, und ihren Geist bilden.
Also ich selber, ich hab mich ja auch immer sehr um geistige Sachen gekümmert. Natürlich bin ich in Geschichte auf dem laufenden – ich hab die »Weltgeschichte in Umrissen« ganz gelesen, oder wenigstens beinahe ganz, und auch die »Geschichte der Menschheit« von Van Lear, ganz besonders hab ich die Illustrationen studiert. Und natürlich – jetzt bin ich ja vielleicht n bißchen aus der Übung, aber als Junge hab ich Deutsch reden können wie n Eingeborener, könnt man sagen, weil mein Vater mit uns zu Hause oft deutsch gesprochen hat. Und jetzt spezialisier ich mich so n bißchen auf Philosophie. Ich hab n gutes Stück gelesen von der »Geschichte der Philosophie« von –
Mir fällt im Augenblick der Name von dem Professor nicht genau ein, aber darin hat man den ganzen Inhalt der ganzen Philosophie in einem Buch; und obwohl diese Geschäftssorgen mich augenblicklich in der Lektüre unterbrochen haben, werd ich es trotzdem fortsetzen und auslesen.
Aber Muttchen, die kann weiter arbeiten und meine ganze Bildung in die Tasche stecken. Erst unlängst hats in ihrem Club nen wunderschönen Vortrag über die Ausgrabung des Grabs vom König Tut gegeben, von einem Herrn, der direkt dort dabei gewesen is natürlich hat er nicht ins Grab können, weil da kein Mensch hinein darf außer dem Ausgrabungspersonal, aber er hat den Platz aus erster Hand gesehen, und meine Frau hat ne Menge Ägyptologie von ihm gelernt.
Und dann haben sie nen ganzen Diäten-Kurs gehabt. Da hat sie zum Beispiel gelernt, daß die durchschnittliche Hausfrau mehr Butter zum Kochen braucht, als überhaupt nötig is, daß die Butter dem Essen wohl im ganzen nen etwas besseren Geschmack gibt, aber verhältnismäßig die Kalorjen, oder was das is, nicht vermehrt, und so hat sie eine Möglichkeit zum Sparen gelernt. Und Du lieber Gott, jetzt wo das Benzin und die Golfbälle so teuer sind, muß man doch irgendwo sparen.
Also wie gesagt, sie hat die Möglichkeit, n freies Leben zu führen und sich blendend zu amüsieren, weil ich sie mit allen Bequemlichkeiten des Haushalts versorgt habe. Aber wer hat das bezahlt? Wo is das Geld hergekommen, mit dem das alles bezahlt worden is? Von meiner Mühe und Plage, da is es hergekommen, und glaubst Du, ich kann sie dazu bringen, daß sie das anerkennt? Nicht eine Minute lang!
Den ganzen Tag schuft ich und arbeit ich, um ihr ihren Luxus zu erhalten, und wenn ich dann am Abend ganz ausgepumpt nach Hause komme, richtet sie mich dann auf? O nein!
Ich könnt ebensogut überhaupt keine Frau haben. Und dann, wenn ich ihr klarmachen will, was ich getan hab – wenn ich ihr zum Beispiel erzählen will, wie schwer ich hab arbeiten müssen, um ne neue Rechenmaschine an jemand zu verkaufen, der sie nicht haben wollte und vielleicht auch gar nicht braucht, glaubst Du, sie erkennt das an? O nein!
Im Gegenteil, sie gibt immer an, als ob sie wollte, daß ich Doktor war oder einer von den Leuten, die in den Frauenclubs ihre Vorträge halten oder irgend so was blödsinniges Künstlerisches, und manchmal stellt sie sich tatsächlich hin und sagt, sie wollte, ich könnt pussieren wie einer von den italienischen Grafen oder wien Filmschauspieler!
Sie sagt, ich denk immer nur ans Geschäft und nie an sie. Aber daß sie sich mächtig freut, das ganze Geld, das mir dieses Geschäft einbringt, zu nehmen, das seh ich trotzdem!
Von Anfang –
Also das würd ich keinem Menschen auf Gottes grüner Erde sagen, und verrat um Himmels willen niemals auch nur eine Silbe davon, nicht mal Deiner Frau, aber ich muß seit einiger Zeit immer denken, daß es schon von Anfang an mit Muttchen und mir gar nicht gestimmt hat!
Ich werd ja nie deswegen was unternehmen – obwohl ich ne Freundin in New York hab, wirklich n reizender Käfer und mindestens zwölf Jahre jünger als Muttchen – aber ich halt nichts von Scheidung, und dann muß man ja auch an die Kinder denken. Aber es war von Anfang an gar nicht richtig –
Ich hab in der letzten Zeit ne ganze Menge gelernt. Ich hab Psychoanalyse gelernt und ganz studiert. Weißt Du was von Psychoanalyse?
Also ich weiß, und ich kann Dir nur sagen, das is mal ne Offenbarung. Ich hab fast n ganzes Handbuch darüber durchgelesen. Ein sehr maßgebendes Buch, das eine Dame geschrieben hat, Miss Alexandrine Applebaugh, die eine sehr maßgebende Autorität auf diesem Gebiete ist, weil sie zusammen mit einem studiert hat, der ein Schüler von einem der größten Schüler vom alten Freud war, und dieser Freud war der Mann, der die Psychoanalyse erfunden hat.
Also, jetzt will ich Dir erklären, was Psychoanalyse is. Das is so:
Jeder sollte ein reiches, volles Geschlechtsleben haben, und alles, was die Menschen tun, bezieht sich darauf. Immer wenn einer was tut, dann hat es den Zweck, daß er sich damit sexuell anziehend macht, besonders wenns was Großes und Wichtiges is – ganz egal ob sichs nun um n Bild handelt oder um nen großen Abschluß mit Baustellen in Florida oder um die Entdeckung einer neuen Sonnenfinsternis oder um das Halten von ner Begräbnispredigt oder ums Schreiben von ner großen Reklamesache oder um irgend so was. Andererseits, wenn Leute wie wir wirklich was leisten, dann wollen wir anerkannt werden, und wir haben auch ein Recht darauf, das zu erwarten, und wenn wir zu Hause nicht anerkannt werden, dann müssen wir eben neue Gefährtinnen finden, verstehst Du, was ich meine?
Nur kommt man in so saumäßig viele Verwicklungen und Schwierigkeiten, daß es vielleicht gar nicht praktisch is, selbst bei so nem blendenden Mädel, wie die in New York, von der ich gesprochen hab – das is es wirklich nicht wert.
Und dann kommt in der Psychoanalyse noch ne Menge über Träume vor. Alle Träume bedeuten, daß man ne andere Frau haben müßte – o ja, das is kolossal wichtig, das mit den Träumen!
So, jetzt wirst Du die Psychoanalyse verstehen – oder wenigstens so gut wie alle anderen.
Also wie gesagt, jetzt wo ich die Psychoanalyse beherrsche, kann ich sehen, daß mit Muttchen und mir von Anfang an alles nicht gestimmt hat.
Ich war damals n junger Bursch, eben nach Zenith gekommen, und hab in ner Papier-Engros-Firma gearbeitet und draußen beim Brenner-Park gewohnt, und die Gegend da draußen war damals ganz wie ne Kleinstadt. Ich hab ne Menge nette junge Leute kennengelernt, in der Kirche und so, und wir haben immer getanzt und Picknicks und Schlittenpartien und so gemacht – waren ja nicht sehr feine Sachen, aber hat Spaß gemacht.
Also, Muttchen – ihr Vater war im Dachdeckergeschäft, hat auch für die Zeit damals recht gute Geschäfte gemacht – sie war eines der hübschesten Mädels von allen, aber sie war schrecklich etepetete. Wir haben da n paar Mädels in unserer Gesellschaft gehabt, mit denen man ziemlich frech werden konnte – nichts Unrechtes, verstehst Du, oder wenigstens nur ganz selten, aber trotzdem, wenn man so im Heu beieinander gehockt is auf ner Schlittenfahrt, dann hat man sie bei der Hand halten und vielleicht auch n bißchen auf die Knie tätscheln können.
Aber Muttchen – bei ihr! Nee Herr! Ich kann Dir bloß sagen, sie war so unschuldig und fromm, einmal beim Tanzen, wie ich sie küssen wollte, da hat sie mir ordentlich n paar gelangt!
Und darauf bin ich natürlich reingefallen. Ich hab natürlich geglaubt, sie is n lebendiges Wunder.
Vielleicht, wenn ich damals so viel gewußt hätte wie jetzt, dann hätt ich vielleicht gewußt, daß es gar nicht so schlimm fürn Mädel ist, mit dem man sein ganzes Leben verbringen wird, intim, wenn ich so sagen darf, wenn sie n bißchen was los hat und nicht so verflucht scharf gegen alles wissenschaftliche Knutschen is – in vernünftigen Grenzen mein ich natürlich, verstehst Du, was ich meine?
Na, wir haben also geheiratet, und sie hat nie gekriegt, was sie haben wollte –
Ich meine, sie redet manchmal so rum und meint, bloß weil ich n armseliger gewöhnlicher arbeitsamer amerikanischer Geschäftsmann bin, deshalb is sie nicht richtig warm geworden. Aber Du mein lieber Gott, ich hab ja auch nie ne Aufmunterung gehabt! Ich erwart ja nicht, daß ich noch n Valentino werden kann, aber trotzdem, wie kann ich auch nur anfangen zu lernen, wie ich sie amüsieren soll, wenn sie sich immer benommen hat, als ob sie Angst davor hätte, daß ich versuchen könnte, sie zu küssen?
Ich kann Dir sagen, Walt, ich bin n bißchen aus dem Häuschen. Manchmal weiß ich beinah wirklich nicht (aber ich möcht nicht, daß Du das weiter erzählst) ob wir nicht trotz den vielen großen Errungenschaften, die wir in dieser größten Nation der Welt haben, bei uns gibts doch schließlich mehr Autos und Radios und Zentralheizungen und Anzüge und zementierte Straßen und Wolkenkratzer als in der ganzen übrigen Welt zusammen, und mehr tiefe Gelehrsamkeit – Hunderttausende von Studenten studieren Latein und Buchhaltung und Medizin und Haushaltswissenschaften und Literatur und Bankwesen und Schaufensterdekoration – trotz alledem weiß ich manchmal nicht recht, ob im amerikanischen Leben nicht doch was fehlt, wenn man bedenkt, daß man fast nie amerikanische Eheleute sieht, die sich wirklich gern haben und gern zusammen sind?
Ich weiß nicht. Aber ich glaub, das is zu hoch für mich. Ich begreif ganz einfach nicht –
Aber ich komm von meinem Thema ab. Um auf Muttchen zurückzukommen:
Abgesehen davon, daß sie mich scheinbar überhaupt nirgends im Haus brauchen kann, höchstens als das arme Luder, das die Rechnungen bezahlt und die Ente tranchiert und die Heizung in Ordnung bringt und ihr den Wagen aus der Garage rausfährt, damit sie zu ihrer Hennen-Bridgepartie trudeln kann, davon ganz abgesehen streiten wir in der letzten Zeit immer so häßlich rum.
Also, nur ein Beispiel:
Wir haben immer Hunde gehabt, ziemlich lange, seit wir verheiratet sind, und ich hab auch wirklich immer gern n Hund in der Nähe gehabt. Man hat da ne Ansprache, wenn man nach Haus kommt und sonst niemand da is – das Tier sitzt dann da und hört Dir zu, während Du ihm alles mögliche erklärst, und sieht Dich an, als ob ers verstehen würde! Aber so ungefähr vor sechs Jahren, wie wir zufällig grade keinen Hund hatten, da hat jemand Mrs. Schmaltz – Muttchen, will ich sagen – ne wunderschöne teure Katze geschenkt, Minnie hat sie geheißen, nicht ganz reinrassig persisch, glaub ich, aber doch ziemlich reinrassig.
Aber trotzdem, obwohl ich immer anerkannt hab, wieviel Geld sie wert is, leiden hab ich die verdammte Katze nie können!
Weißt Du, wir hatten auch nen Kanarienvogel, nen sehr wertvollen kleinen Kanarienvogel, Dicky, nen richtigen echten Hertzgebirgekanarienvogel, und gescheit – ich sage Dir, s gibt ja Leute, die sagen, daß n Kanarienvogel nicht gescheit is, aber ich will Dir nur sagen, daß der Kanarienvogel mich gekannt hat, und wenn ich beim Käfig gestanden bin, dann hat er genau so gezirpt, als ob er zu mir reden wollte.
Das war n großer Trost für mich, wo ich doch damals keinen Hund hatte – ich wollte nen erstklassigen englischen Setter suchen, aber ich hab keinen finden können um den Preis, den ich zahlen wollte.
Na, also das war ne merkwürdige Sache. Wir haben die Katze gefüttert und gefüttert – ich will gar nicht das ganze Geld zusammenzählen, das wir für Milch und Fleisch für die Katze bezahlt haben – aber trotzdem, sie war drauf aus, sie hat durchaus den armen kleinen Kanarienvogel haben wollen. Immer hat sie sich unterm Käfig rumgetrieben und zu Dicky aufgeschaut, ganz blutrünstig, und einmal, wie jemand (und ich hab doch immer denken müssen, daß Muttchen es selber gemacht hat, und nicht das Dienstmädel) – wie jemand nen Sessel direkt praktisch unterm Käfig hat stehen lassen, da is Minnie auf den Sessel raufgesprungen und hat sich doch tatsächlich alle Mühe gegeben, raufzuspringen und zu dem Käfig ranzukommen.
Natürlich haben Muttchen und ich ne Auseinandersetzung darüber gehabt.
Und dann hat doch das verdammte Katzenbiest nie freundlich sein wollen, wenigstens zu mir.
Ich hab immer zu Muttchen gesagt: »Ja, was tut denn die blödsinnige Katze überhaupt dafür, daß sie zu fressen kriegt? Glaubt sie vielleicht, daß wir bloß in die Welt gesetzt sind, um rumzubummeln und uns zu amüsieren und bei anderen Leuten zu schmarotzen?« hab ich gesagt.
Sie hat nicht auf meinem Schoß sitzen wollen – nee Herr, nicht auf eine Minute. Ich bin so wild geworden auf die Katze, daß ich ihr immer nen ordentlichen Fußtritt gegeben hab, wenn niemand zugeschaut hat, ich hab ihr schon gezeigt, wo sie hingehört, bei Gott – und doch hab ich nicht erreichen können, daß sie freundlich wird.
Na, wir haben ne Menge drüber hin und her geredet, über die Katze und den Kanarienvogel, und das eine gibt das andere –
Du weißt ja, wies is.
Und wie ich davon geredet hab, daß ich wieder nen Hund haben will, nee Herr, davon wollte Muttchen nichts hören – sie hat gesagt, n Hund würde ihre winzige, kleine, süße, liebe, eingebildete, kanarienvogelfressende verdammte Katze erschrecken. Hat sie gesagt, weiß Gott!
Na, ich hab mir nen Rand genommen und hab mir gedacht, ich muß doch der Herr in meinem eigenen Haus sein, aber – na also, die Sache is so einige Monate in der Schwebe gewesen, und ich hab nichts Besonderes unternommen, um nen Hund zu kaufen, und dann eines Tages –
Ich erinner mich noch ganz genau, als obs gestern gewesen war. Ich war draußen im Club gewesen, da hab ich n bißchen Golf gespielt – ich weiß noch, ich hab mit Joe Minchin gespielt, dem Maschinenkönig, mit Willis Ijams, unserem führenden – na, wenigstens is er einer unserer führenden Eisenwarenhändler, und mit einem Herrn namens George Babitt, das is der große Grundstücksmakler. Aber nach Hause bin ich ganz alleine gefahren, und ich weiß noch, daß irgendwas nicht gestimmt hat – der Wagen hat immer so n bißchen gebockt – ich könnt nicht recht drauf kommen, was eigentlich los war, und deshalb hab ich den Wagen auf der Straßenseite stehen lassen – s war Spätherbst – und die Haube abgehoben, um rauszukriegen, was los is, und da hör ich auf einmal so n Winseln und Jammern, und ich schau runter, und da is doch, weiß Gott, n hübscher Wasserhund – noch nicht sehr alt, nicht mehr als höchstens, sagen wir zwei, na, oder vielleicht auch eher zweieinhalb Jahre alt, also der sitzt da und schaut mich so rührend an – also, es war einfach rührend. Und die Pfote hat er hochgehalten, als ob er sich verletzt hätte.
»Na, was haben wir denn, alter Junge?« sag ich zu ihm.
Und er schaut mich an, so gescheit – wirklich wahr, ich hab den verdammten Köter gleich gern gehabt. Na, um ein Langes kurz zu machen, ich seh mir seine Pfote an, und soviel ich rauskriegen konnte, hatte er sich mit irgendnem Glasscherben geschnitten – aber nicht schlimm. Zum Glück hatt ich n paar alte, aber saubere Fetzen in der Türtasche vom Wagen, und da hab ich mich aufs Trittbrett gesetzt und ihm die Pfote n bißchen verbunden, und dabei hab ich gemerkt – s war wirklich n feiner, erstklassiger Hund – hab ich gemerkt, daß er gar kein Halsband und keine Steuermarke und kein Garnichts gehabt hat. Und wie ich fertig war, da soll mich doch, wenn der nicht in meinen Wagen gesprungen is, als wenn er dort hingehört hätte.
»Na, was meinst Du denn, wer Du bist?« sag ich zu ihm. »Was willst Du denn, Du alter Straßenräuber«, sag ich zu ihm. »Mir meinen Wagen stehlen? Dem armen alten Pappa Schmaltz haben sie den Wagen gestohlen«, sag ich.
Aber er rollt sich einfach aufm Sitz zusammen und wedelt mitm Schwanz, als ob er sagen wollte: »Du bist n großartiger kleiner Spaßvogel, aber ich weiß schon, auf welcher Seite mein Butterbrot geschmiert ist.«
Na, ich hab die Straße rauf und runter geschaut, und da war nirgends wer zu sehen, der so ausgesehen hat, als ob er nen Hund suchen würde, s waren nur n paar Häuser in der Nähe zu sehen, und wie ich den Wagen so weit hatte, daß er sich wieder christlich benimmt – ich glaube, mit dem Vergaser war irgend was losgewesen – und da bin ich zu den beiden Häusern rangefahren, und dort haben sie nichts von keinem verlorenen Hund gewußt, und da hab ich mir gesagt: »Na, da lassen möcht ich den kleinen Jackie nicht –«
So hab ich ihn nämlich genannt, und so nenn ich ihn auch heute noch.
»Ich will ihn lieber nicht hier lassen, damit er überfahren wird«, hab ich mir gedacht, »und wenn wir nach Haus kommen, werd ich inserieren und sehen, ob ich den Besitzer finden kann.«
Na, wie ich nach Haus gekommen bin, war Robby – Du erinnerst Dich doch an meinen Jungen, Walt – na, Robby war ebenso verrückt nach nem Hund wie ich, aber Muttchen hat ihre Bemerkungen gemacht, daß ihre verdammte Minniekatze vor dem Hund Angst haben wird. Aber sie hat erlaubt, daß ich Jackie, das is der Hund, draußen in der Garage behalte, bis ich inseriert hab.
Na, ich hab inseriert und inseriert –
Nee, wenn ich mirs richtig überlege, hab ich wohl nur ein Inserat aufgegeben, ich hab mir nämlich gedacht: »Der Jackie sieht mir aus wien ordentlicher Männerhund, und wenn sich der Besitzer nicht drum kümmert, kann er auch nicht erwarten, daß ich die ganze Arbeit tu.«
Also, auf jeden Fall hab ich keine Antwort gekriegt, und wie ne Woche um war, da besinnt sich Muttchen plötzlich und fängt an zu begreifen, daß ich nen Hund da hab, der mit ihrer Katze nicht auf den Fuß brüderlicher Liebe kommen wird – und ob sie recht gehabt hat? Also, wie Minnie das erstemal auf den Rasen rauskommt, räubern, und sich umsieht, ob sie nicht n paar Spatzen umbringen kann, da wirft Jackie, seine Pfote war schon wieder so weit in Ordnung, da wirft er ihr einen Blick zu, und ich kann Dir sagen, Tatsache, Du wärst geplatzt vor Lachen; er hat sie direkt auf unsere Ulme raufgejagt und sie auch nicht wieder runtergelassen.
Na, nachher hats ne höllische Auseinandersetzung mit dem großen Häuptling Frau gegeben, und von der Friedenspfeife war noch nichts zu sehen. Sie holt mich ins Haus rein und von Robby weg, der mich in die Seite getreten hätte, und reitet den wilden Mustang im Salong auf und ab und wirft ihren Tomahawk auf die Opfer am Marterpfahl, als wie ich, und sagt:
»Lowell Schmaltz, und wenn ich Dirs einmal gesagt hab, habe ich Dirs hundertmal gesagt, daß Minnie ne sehr empfindliche und feine Katze is, und ich wünsche nicht, daß ihre Nerven durch den Ärger mit allen möglichen schrecklichen Hunden ruiniert werden. Ich verlange, daß Du den rechtmäßigen Besitzer dieses fürchterlichen Hundes findest und ihn zurückgibst.«
»Wen zurückgeben? Den Besitzer?« sag ich und setze mich ganz ruhig nieder und zünd mir ne Zigarre an und geb mir Mühe, so auszuschauen, als war ich sehr lustig, und als könnte sie nichts tun oder sagen, was mich aus der Ruhe bringt. Und natürlich hab ich sie damit gehabt: »Wen zurückgeben? Den Besitzer?« sage ich.
»Du weißt recht gut und ausgezeichnet, was ich meine«, sagt sie. »Und ich verlange von Dir, daß Du den Besitzer von dem schauderhaften Biest sofort findest!«
»Schön!« sage ich. »Selbstverständlich! Natürlich hab ich weiter nichts getan, als im großen Maßstab in der Advocate Times inseriert, die bloß ne größere Auflage hat als irgendwelche zwei anderen Zeitungen in diesem Gebiet zusammen – oder so behaupten sie wenigstens, und ich hab mir die Sache angesehen und beschlossen, ihren Zahlen zu glauben«, sage ich. »Aber das is natürlich nicht genug. Gut, ich werde also ganz einfach Jackie untern Arm nehmen und gleich losgehen – wollen mal sehen«, sage ich, »s gibt nur sechshunderttausend Menschen in Zenith und benachbarten Ortschaften in nem Umkreis von zirka achtundzwanzig bis dreißig Meilen ums Rathaus, und ich werd nichts weiter zu tun haben als rumzulaufen zu jedem einzelnen und zu fragen: ›Sie, Herr, haben Sie nen Hund verloren?‹ Weiter werd ich nichts zu tun haben.«
»Also, dann kannst Du das fürchterliche Biest wieder dorthin zurückbringen, wo Dus gefunden hast, und dort lassen«, sagt sie.
»Kann ich, werd ich aber nicht tun«, sage ich – rundheraus. »Ich werd ihn nicht von irgendeinem verdammten blödsinnigen unvorsichtigen Automobilisten überfahren lassen«, sage ich. »Er is n wertvoller Hund«, sage ich.
»Er is schauderhaft – und er is schrecklich dreckig. Ich habe noch nie einen so schrecklich dreckigen Hund gesehen«, sagt sie.
»Ach freilich«, sage ich. »Und natürlich, abgesehen von der bemerkenswerten Tatsache, daß er n Wasserhund is – und Wasserhunde sind, auch wenn sie gegenwärtig nicht so modern sind wie Schnepfenhunde oder stichelhaarige Terrier oder Airedales, ganz einfach dafür bekannt, daß sie die saubersten Hunde sind, dies gibt«, sage ich, »abgesehen davon hast Du vollständig recht.«
»Aber auf jeden Fall brauchen wir keinen Hund«, sagt sie.
Na, ich kann Dir sagen, das hat mich doch n bißchen hoch gebracht.
»Nee«, sage ich, »freilich brauchen wir keinen Hund. Ich wenigstens brauche keinen. Denk doch bloß, was ich hier am Abend zur Ansprache hab. Fein! Die schöne, kostbare teure Katze, die mich aufn Tod nicht ausstehen kann, die nicht bei mir aufm Schoß sitzen will, die sich an Dich hängt, weil Du den ganzen Tag nichts zu tun hast, als zu Haus zu bleiben und sie zu verziehen, während ich in meinem Laden sein und mir ganz einfach den Kopf vom Leibe runterarbeiten muß – um ne verdammte Katze zu ernähren! Ausgezeichnet!!« sage ich.
Aber dann bin ich ernst geworden, und nach n paar Bemerkungen hin und her, was sie alles zu tun hat, den Haushalt führen und sich um meine Kleider und um Robby und Delmerine kümmern – Du weißt ja, wie jede Frau angeben kann, als ob sie wie ne Sklavin arbeiten müßte – dann bin ich ernst geworden und hab gesagt:
»Aber im Ernst«, hab ich gesagt, »wenn Du ernsthaft drüber nachdenkst, was is ein Hund? Was is ein Hund? Was is er anderes als der größte Freund des Menschen? Wer is so selbstlos wie ein Hund? Wer heißt den müden Mann so willkommen – ja, oder auch Frau, wenn sie ihn richtig behandelt – wenn er müde von des Tages Arbeit heimwärts kommt? Ganz zu geschweigen davon, daß sie in vielen Ländern auch ganz praktisch nützlich sind, indem sie Wagen ziehen, und auch als Wächter.
»Du vergißt«, hab ich ihr gesagt, »was für wunderbare Sachen wir von Rintintin im Film gesehen haben. Ja, ich kann Dir sagen, jede Wette könnt ich eingehen, daß das Einkommen von dem Hund höher is als das von irgendeinem Filmautor oder sogar Operateur. Aber ganz abgesehen davon, denk doch nur an einige Hunde aus der Geschichte. Denk nur an diese braven Bernhardinerhunde, die mit kleinen Branntweinfässern unterm Hals angebunden sich hinaus begeben, um Reisende zu retten, die sich in diesem Paß in Deutschland, oder wo das sonst war, verspätet haben – obwohl ich nie begreifen konnte«, das hab ich glatt zugegeben, »warums soviel Reisende gegeben hat, dies riskiert haben, sich im Schnee zu verspäten, daß man n ganzes Heer von Hunden halten mußte, um sie ununterbrochen zu retten. Aber trotzdem, das war in alten historischen Zeiten, und damals wars vielleicht anders als jetzt, und natürlich ohne Eisenbahnen –
»Aber in modernen Zeiten«, hab ich ihr gesagt, »hab ich eine Geschichte gehört, und ich hab sie ganz direkt von jemand, der den Betreffenden gekannt hat, der in der Geschichte vorkommt, und der Betreffende muß Trapper oder Goldgräber oder Schürfer oder irgend so was gewesen sein, auf jeden Fall hat er ne Hütte gehabt ganz weit weg in der Sierra oder irgend so ner anderen Gegend – auf jeden Fall warens hohe Berge, und muß ganz tief im Winter gewesen sein, und seine Hütte war ganz eingeschneit, und die Wege, und Stege und alles war tief unter dem Schnee begraben.
»Also der Mensch muß n Unfall gehabt haben, muß in ne Gletscherspalte gefallen sein oder irgend so was, er hat sich das Bein gebrochen, sehr bös, aber mit großen Schwierigkeiten gelang es ihm, in seine Hütte zurückzugelangen, wo sein treuer Hund, den Namen von dem Hund hab ich nie gehört, auf ihn wartete, und dann bekam er infolge des Unfalls, Fieber, glaub ich, wars, und er lag einfach erschossen da und in großem Leiden und nur von seinem treuen Hund betreut, der natürlich nicht viel zu seiner Hilfeleistung tun konnte, aber er tat sein Bestes, und er war ein kolossal kluger, gescheiter Hund, und der Trapper, oder was er sonst war, dressierte diesen Hund, so daß er ihm ein Streichholz bringen konnte oder einen Schluck Wasser, oder was der arme Teufel sonst brauchte.
»Aber es gab keine Möglichkeit, etwas zum Essen zu kochen – ich brauche wohl nicht erst zu sagen, daß das etwas war, wobei ihm der Hund nicht hilfreich zur Seite stehen konnte – und es wurde immer schlimmer und schlimmer mit dem Trapper, und er war in großen Wehen, und man konnte sehen, daß der Hund sich viel Gedanken darüber machte, was er tun sollte, und eines Tages gibt der Hund, weiß Gott, so ne Art kurzes, abgehacktes Bellen von sich und springt direkt durch das Hüttenfenster, mit dem Kopf voraus, und weg is er – und kein Ton mehr von ihm zu hören.
»Also, der arme Teufel von Trapper, der dachte natürlich, sein einziger Freund hat ihn verlassen, und er bereitete sich aufs Sterben vor, und fast ebenso bitter wie seine Schmerzen war der Gedanke daran, daß er von dem einzigen Freund, den er hatte, verlassen worden war.
»Aber diese ganze Zeit war der Hund keineswegs untätig. Hals über Kopf läuft er und verfolgt die schneebedeckten Spuren, wie von seinem Instinkt geführt, hinunter und hinunter und immer weiter hinunter zu dem weit entfernten nächsten Dorf, und dort kommt er zum Haus des Doktors, wo er vor einigen Jahren schon einmal mit seinem Herrn gewesen war.
»Also, die Tür is nur angelehnt, und der Hund stürzt hinein und winselt an den Füßen des Doktors, der grade beim Essen saß.
»›Raus mit Dir – wie bist Du denn überhaupt da reingekommen?‹ sagt der Doktor, der die Situation natürlich nicht begreift, und jagt den Hund hinaus und macht die Tür zu, aber der Hund bleibt dort auf der Türschwelle stehen und winselt und versucht auch anderweitig die Aufmerksamkeit des Doktors auf sich zu lenken, bis die Frau des Doktors zu denken anfängt, da is was los, und vorsichtig lassen sie den Hund wieder rein und wollen ihm was zu fressen geben, aber er zieht nur ununterbrochen den Doktor an den Hosenbeinen und weigert sich, auch nur einen einzigen Bissen zu essen, bis der Doc schließlich sagt: ›Vielleicht werde ich irgendwo benötigt, und wenn ich mirs recht bedenke, sieht der Hund aus wie der Hund, den der Trapper dort oben in den Bergen hatte, als er einmal hierherkam.‹
»Also auf jeden Fall versucht er es – natürlich weiß er genau so wenig wie der Mann im Mond, wo der Mensch wohnt, aber er spannt seinen Schlitten ein, und der Hund läuft ihm voraus und sucht die beste Straße, und sie kommen zu dieser Hütte, die Stunden und Stunden von überall entfernt is, und der Doc geht hinein, und da liegt der Mensch mit dem Fieber und dem gebrochenen Bein in bitterlicher Not. Also, er pflegt ihn und gibt ihm was zu essen und will ihn schon in zivilisierte Gegenden bringen, und dann denkt er plötzlich an den armen Hund, der ihn gerettet hat, und er geht ihn suchen, und da is der arme kleine Köter in eine Ecke gekrochen und tot niedergefallen, zu Tode erschöpft von seinem furchtbaren Wettlauf ums Leben!
»Das können Hunde tun«, hab ich zu ihr gesagt, und dann hab ich ihr noch n paar andere absolut authentische Geschichten von Hunden erzählt, und dann haben wir wieder hin und her geredet, und schließlich und endlich sagt sie, gut; sie wirds erlauben, sie wird sichs gefallen lassen, daß ich den Hund behalte, aber er darf nicht ins Haus kommen, und ich kann ihm ne Hundehütte neben der Garage bauen.
Aber Du weißt ja, wies geht. Einmal bin ich am Morgen zeitig auf und frühstücke ganz allein, und da winselt der Jackie draußen, und ich riskiers und laß ihn rein und geb ihm zu fressen, und da kommt die Katze reinmarschiert wien anglikanischer Pfarrer, der ne Prozession anführt, und Jackie schielt sie einmal an und jagt sie aufs Büffet rauf, und grade in dem Augenblick kommt Muttchen rein und –
Ich kann Dir sagen, ich hätt nicht beim Büffet aufgehört; ich hätt nicht aufgehört, bis ich auf der Spitze vom Turm des Nationalbank-Gebäudes gewesen war. Aber Spaß beiseite, sie hat vielleicht Jackie und mir was zu hören gegeben –
Na, Joe Minchin hatte ne Pokerpartie für den Abend vor, und ich wollte eigentlich gar nicht hingehen, aber Muttchen hat mich beim Frühstück so runtergemacht, daß ich ihr später am Tag sagte, ich werde gehen, und ich bin auch gegangen, und wenn ich die Wahrheit sagen soll, ich hab einen sitzen gehabt, ders in sich hatte – ich kann Dir bloß sagen, ich war einfach reineweg sternhageldick erledigt.
Ich komm also spät nach Haus und bild mir ein, ich bin der Kaiser und die Kaiserin von China in einer Person, und dann wird mir mulmig, und grade wie Muttchen ihren Vorrat an Eigenschaftswörtern bereit gelegt hat und anfangen will, mich für den Katalog der Familienäster zu schildern, da könnt ich nicht länger warten, nee, keinen Augenblick – ich mußt mit Schlagseite zum Becken im Badezimmer steuern, und dort, kann ich Dir sagen, is alles aus mir raus bis auf die Mandeln. Ja!
Na, Muttchen hat sich schrecklich nett benommen. Sie hat mir ins Bett zurück geholfen und mir kalte Umschläge auf den Kopf gemacht und mir schwarzen Kaffee gebracht – bloß hätt ich am liebsten nen tüchtigen Zyankali-Cocktail gehabt – und wie ich am nächsten Morgen aufgewacht bin, hat sie bloß so n bißchen gelacht, und da dacht ich schon, mir würde die neunschwänzige Ehekatze verschont bleiben – hab ich tatsächlich gedacht, dabei bin ich mehr als zwanzig Jahre mit ihr verheiratet!
Also, wie mein Kopf nur noch sechs- oder siebenmal so groß is wie sein gewöhnlicher oder Normalumfang und ich zum Frühstück aufstehe, höchstens zwanzig oder zweiundzwanzig Stunden zu spät, und sie noch immer freundlich aussieht und – Gott, was fürn Segen! – noch immer die Klappe zuhält und mir nichts von Rettung erzählt, also, da denk ich, ich bin sicher, und grade wie ich vom Frühstück aufsteh und mir denke, jetzt geh ich in meinen Laden, wenn ich mich noch erinnern kann, wo ich gestern meine Garage gelassen hab, also, da lächelt sie noch freundlicher wie früher und sagt mit so nem hübschen, süßen, kalten Eisschrankton:
»Setz Dich bitte einen Augenblick, Low. Ich hab Dir etwas zu sagen.«
Ach, ich bin vor dem Feind gefallen. Ich wollte die Barrikaden in einem mutigen Ansturm nehmen wie Douglas Fairbanks. Ich habe ganz kurz gesagt: »Ich weiß, was Du sagen willst«, habe ich gesagt. »Du willst sagen, daß ich heute nacht blau war. Hör mal, das is gar nichts Neues. Das is jetzt schon so alt und wohlbekannt, daß Dus unter den Aufgaben im Arithmetikbuch für die Sexta finden kannst«, hab ich gesagt. »Paß mal auf«, hab ich gesagt, »s war nicht ganz meine Schuld. S war der gottverdammte Schmuggelfusel, den ich bei Joe gekriegt hab. S war alles tadellos gewesen, wenns anständiger Alkohol gewesen wäre.«
»Du warst ekelhaft«, sagt sie. »Wenn mein armer Vater und meine arme Mutter nicht tot wären und meine Schwester Edna nicht so verrückt mit ihrer Theosophie, daß niemand mit ihr reden kann, hätt ich Dich schon vor Tagesanbruch verlassen, das kann ich Dir sagen.«
Na, da bin ich aber doch wild geworden. Ich bin ja nicht sehr jähzornig, das weißt Du, aber nach ungefähr zwanzig Jahren wird diese Sache mit dem Verlassen-drohen doch n bißchen blöd.
»Schön«, hab ich gesagt. »Du redest ja immer so viel davon, was Du alles von Kleidern verstehst, es wird mir ein Vergnügen sein, Dir ne Empfehlung an einen von den Bonzen bei Benson, Hanley und Koch zu geben«, hab ich gesagt, »und wahrscheinlich werden sie Dich zur Einkäuferin in der Damenkleiderabteilung machen«, hab ich gesagt, »und dann brauchst Du nicht so nen Gorilla von Ehemann zu fressen wie mich.«
Und da sagt sie, gut, bei Gott, das will sie tun!
Und wir reden hin und her, und ich entschuldige mich n bißchen, und sie sagt, sie hats nicht so gemeint, und dann kommen wir endlich richtig zur Sache.
»Aber trotzdem«, sagt sie, »ich will den Hund nicht wieder im Haus haben! Du denkst aber auch nie an mich. Du redest so viel von Deinen lieben alten Freunden, wie von dem schauderhaften Joe Minchin, aber Du denkst nie auch nur eine Sekunde lang an das, was ich brauche oder gern hätte. Du weißt nicht einmal, was das Wort ›Rücksicht‹ heißt.«
»Schön, ich kann ja im Wörterbuch nachsehen«, sag ich. »Und weil wir schon von Rücksicht reden«, sag ich, »wie ich gestern abend weggegangen bin, hab ich gemerkt, daß Du meinen Rasierapparat benutzt und nachher nicht sauber gemacht hast, und ich habs eilig gehabt, und Du hast ganz vergessen – weiß Gott«, sage ich, »wie ich noch n Junge war, da hat n Mann seine Sweater für sich gehabt, ohne daß seine Frau oder Schwester sie ganz ruhig für sich benutzt hat, und er hat sein Rasiermesser für sich gehabt, und er hat seinen Friseurladen für sich gehabt –«
»Ja, und seine Kneipen hat er für sich gehabt, und die hat er auch noch jetzt«, wirft sie mir an den Kopf. »Und Du redest von Vergessen! Du vergißt nicht bloß an mich«, sagt sie, »wenn Du Dich vollsäufst, und es handelt sich auch nicht nur um das schlechte Beispiel, das Du Deinen Kindern gibst, es handelt sich darum, wie Du an die Kirche und an die Religion vergißt«, sagt sie.
»Selbstverständlich bin ich ja nur Diakon in der Kirche«, sage ich. So ironisch, weißt Du.
»Ja, und Du weißt recht gut und ausgezeichnet, daß Du den Posten nur genommen hast, weil Du so an die frommen Leute ran kannst, und jeden Sonntag, den Du kannst, machst Du Dich dünn und spielst Golf, statt in die Kirche zu gehen. Und damals an dem Vormittag, wie Dr. Hickenlooper von der Zentral gekommen is und für uns gepredigt hat – damals, wie der arme Dr. Edwards krank war und nicht selber predigen konnte –«
»Krank? Hat sich was mit krank«, hab ich ihr gesagt. »Er hat bloß Halsweh gehabt, weil er auf ner Vortragstournee gewesen war und in allen möglichen Frauenclubs das Maul weit aufgerissen hat, um n bißchen Extrageld zusammenzukratzen, statt zu Hause zu bleiben, wie sichs gehört hätte, und sich um seine Arbeit zu kümmern.«
»Das hat gar nichts mit der Sache zu tun«, sagt sie, »und auf jeden Fall bist Du, statt Dr. Hickenlooper zuzuhören, wie Du hättest sollen, mit noch n paar anderen Diakonen draußen im Kirchenvorraum geblieben.«
»Ja, da is schon was dran, an dem, was Du sagst«, hab ich ihr gesagt. »Hickenlooper is n Prachtkerl. Er hält sehr viel von Nächstenliebe – vorausgesetzt, daß n reicher Mann das Geld für die Nächstenliebe liefert. Und ich glaub auch nicht, daß er in seinem ganzen Leben schon ne Zigarre geraucht oder n Schluck Alkohol getrunken hat. Er is eine Zierde der methodistischen Geistlichkeit. Allerdings brüllt er mit seiner Frau und seinen Kindern ununterbrochen rum, und allerdings quält er seine Sekretärin den ganzen Tag lang, aber einem Mann, der für den Herrn arbeitet, kann man keinen Vorwurf draus machen, wenn er vielleicht n bißchen nervös is. Wirklich, nur eines stimmt nicht ganz bei dem frommen Mann – er is der schlimmste und unverschämteste Lügner in Zenith und Umgebung!
»Ich hab ihn gehört, wie er von Sachen, von denen ich weiß, daß er sie in Büchern gelesen hat, weil ich die Bücher gesehen hab, wie er von den Sachen wie von eigenen Erlebnissen geredet hat. Und da hast Du ne Geschichte, die uns unser eigener Pastor, Edwards, erzählt hat. Hickenlooper muß ihn mal an einem Montagvormittag vor unserer Kirche getroffen haben, und da sagt Hickenlooper: ›Also, Dr. Edwards, mein Schwager hat Sie gestern predigen gehört, und er sagt, das war die beste Predigt, die er in seinem ganzen Leben gehört hat.‹
»›So, das freut mich‹, sagt Doktor Edwards, ›aber zufällig habe ich gestern gar nicht gepredigt.‹
»Ich schneid ja wohl auch ganz gern auf«, sag ich zu Muttchen, »und sonst bin ich bloß n einfacher Geschäftsmann, während Hickenlooper bei Chautauqua-Versammlungen und in Colleges und bei Methodistenzusammenkünften Reden hält und Artikel für die Magazine und entzückende Bücher schreibt, darüber, wie intim er mit dem lieben Gott und den Sonnenuntergängen is, aber das kann ich Dir sagen, wenn der fromme Lügner wüßte, was so n armseliger, gewöhnlicher Geschäftsmann wie ich wirklich über ihn denkt, und was er so privat über ihn sagt, dann würde er in eine Wüste abhauen und nie wieder ne Lippe riskieren!«
Na, ich kann Dir sagen, da is Muttchen hochgegangen – aber glaub ja nicht auch nur einen Augenblick lang, daß sie mich so ganz ohne Unterbrechungen hat reden lassen, Walt, bloß hab ich die weggelassen. Und was ich eben von dem Kerl, dem Hickenlooper, gesagt hab – er sieht aus wie n Preisboxer und redet wien Zirkusausrufer, und lügen kann er wien Politiker – das war alles richtig, und das hat sie auch gewußt. Ich hab ja auch schon n bißchen gelogen, aber ich hab nie nen Zirkus mit drei Rängen draus gemacht wie er. Aber Muttchen hat so n bißchen ne heimliche Bewunderung für ihn, wahrscheinlich weil er groß und stark is und alle Kinder abschleckt und jeder Frau was Nettes sagen kann. Und dann is sie auf mich losgegangen, und was sie mir dann erzählt hat – na!
Sie hat gesagt, ich unterstütz Robby bei seinem Rauchen. Sie hat gesagt, ich benütz nie nen Aschenbecher – ich streu immer die Asche im ganzen Haus herum – und da hat sie mich leider gehabt. Und sie hat gesagt, sie hat genug davon, daß meine Freunde immer im ganzen Haus sind, und ich hab mit ihr geschimpft, weil sie mit denen immer so von oben runter is, und dann hat sie mir was davon erzählt, daß ich zu schnell fahre, und darauf hat sie wieder ne Antwort von mir gekriegt –
Und so weiter.
Und das is ganz einfach typisch fürn paar häusliche Direktoriums Sitzungen, die wir gehabt haben, und jetzt hängt mirs wirklich schon zum Hals heraus.
Aber ich werd wohl auch nicht besser sein als sie.
Aber den kleinen Jackie hab ich doch behalten!
Aber mir hängt eben die ganze Sache zum Hals heraus –
Natürlich is Muttchen, verstehst Du, n reizender Kerl, wie man sichs nur wünschen kann, zwischen den Anfällen, die sie hat. Damals, wie wir hier waren und Dich besucht haben und dann weitergefahren sind und unser langes Gespräch mit Coolidge in Washington hatten, damals war sie die ganze Zeit sehr nett. Aber s wird mehr und mehr –
Hör mal, ich weiß eigentlich nicht, ob ich Dir davon überhaupt erzählen sollte, aber das Mädel in New York, von dem ich gesprochen hab – also eigentlich is sie ja gar kein Mädel mehr, aber sie is erst einunddreißig, und das is siebzehn Jahre jünger, als ich bin – Erica heißt sie, und weißt Du, sie is eine der talentiertesten kleinen Frauen, die ich in meinem ganzen Leben gesehen hab.
Von Rechts wegen müßte sie ja wohl ne weltberühmte Porträtmalerin sein, aber sie hat immer so verdammtes Pech gehabt, und jetzt arbeitet sie seit ein paar Jahren für die Pillstein-und-Lipshutz-Weihnachts- und-Osterglückwunschkarten-Gesellschaft, wo ich immer meine Glückwunschkarten kaufe. Natürlich bin ich eigentlich kein Papiergeschäft und mach nur in Büroartikeln, aber trotzdem, in den Feiertagszeiten, da bin ich der Ansicht, da bringt es Stimmung ins Geschäft, wenn man sich hübsche Karten hinlegt, und was man dran verdient – ich kann Dir sagen, s bringt n paar Hundert im Jahr.
Na, Erica zeichnet ne Menge Karten – n lausig kluges, intelligentes Mädel is das – sie macht die Zeichnungen und die Gedichte und alles. Übrigens hast Du ja wahrscheinlich schon n paar von ihren Karten gesehen. Sie hat die berühmte Karte verfaßt, die so groß verkauft worden is – die mit den zwei Kindern, die sich vor ner alten Schule die Hand geben, und dazu ne Menge Palmenzweige und so weiter, und das Gedicht:
Mein teurer Freund, in dieser kalten Jahreszeit
Verliert die Liebe nichts von ihrer Herzlichkeit;
O nein, mitnichten wird sie kälter oder ärmer,
Im Gegenteil, nur reicher wird sie und noch wärmer.
Recht lange ists schon her, daß wir als kleine Jungen
Im Sommer und im Winter sind umhergesprungen;
Recht lange ists schon her, daß wir uns hab'n gesehen,
Doch unsere Freundschaft nie und nimmer soll vergehen.
Ich kann Dir sagen, Du würdest staunen, wie viele von den Karten ne Menge hart gekochte alte Geschäftsleute kaufen, um sie Leuten zu schicken, die sie jahrelang nicht gesehen haben. Ich kann Dir bloß sagen, der Manny Pillstein is n Genie. Natürlich gibts Glückwunschkarten schon lange, aber er war der erste, der das Geschäft auf ne wissenschaftliche Basis mit großer Reklame in der ganzen Union gestellt und diese ganze Feiertagsbereitschaft zum Guten normalisiert und fordisiert hat, so daß was draus geworden is. Er soll das Geschäft um zehntausend Prozent vergrößert haben – also praktisch zu so was gemacht, wie der Kolonialwarengeschäftsring oder sogar der Muttertag is.
Also, dort hab ich Erica kennengelernt, und ich war ganz allein in New York, und ich hab sie zum Dinner eingeladen, und ich hab ihr n hübsches kleines Essen mit ner Flasche echten Original-Chianti gestiftet. Na, wir sind ins Reden gekommen und haben uns unsere Ideen erzählt und so, und dabei hat sich rausgestellt, daß das arme Wurm in New York so ziemlich ebenso einsam war wie ich.
Und dann bin ich jedes Mal, wenn ich ins große Nest gekommen bin – allein gekommen bin – mit ihr zusammen gewesen und –
Ich muß Dir aber sagen, unsere Beziehungen waren immer so rein wie frisch vom Himmel gefallener Schnee. Vielleicht hab ich sie mal in ner Taxe geküßt, oder irgend so was, und wenn ich die Wahrheit sagen soll, ich weiß ja nicht, wie weit ich gegangen wäre, wenn ich sie nach Atlantic City oder so wo hin gebracht hätte, aber Du mein lieber Gott, bei meiner Stellung und meiner Verantwortlichkeit, finanziell und gesellschaftlich, wollt ich mich in kein Gedränge einlassen. Wenn ich die Wahrheit sagen soll (und das würd ich keiner lebendigen Menschenseele außer Dir erzählen) einmal bin ich am Abend in ihre Wohnung rauf – aber auch nur dieses einzige Mal! Und dann hab ich nen Bammel gekriegt und hab sie immer nur im Restaurang gesehen.
Aber was für Gründe auch dahinter liegen, unsere Beziehungen waren ganz und ausschließlich freundschaftlich und geistig, und weißt Du, was sie mir gesagt hat?
Wie ich ihr gesagt habe, was ich von ihrer Arbeit halte – und für mich, und das hab ich ihr auch gesagt, is sie die größte Glückwunschkartenkünstlerin im ganzen Land – sie hat mir gesagt, daß meine Anerkennung sie kolossal ermuntert und angespornt hat, weiter und aufwärts zu schreiten zu schönerer und besserer Kunst wie früher! Und ich muß Dir auch sagen, mich hat auch noch nie etwas so gefreut, wie ihre Anerkennung für meine Anerkennung. Zu Haus aber –
Wenn ich Muttchen sagen will, daß sie gut Bridge spielt, oder daß ich finde, sie hat n elegantes neues Kleid an, oder sie hat irgendn Lied bei irgendner Kirchenveranstaltung wirklich hübsch gesungen oder so was, dann sieht sie mich bloß an, als ob sie sagen wollte: »Wer hat denn Dir erzählt, daß Du n Kenner bist?«
Ach Gott, ich glaube, wir werden ja weiter machen, immer genau so weiter, aber wenn ich jünger wäre –
Na, Walt, ich glaube, s wird schon spät und Zeit für uns zum Schlafengehen – Du mußt morgen früh in Deinem Büro sein, und ich werd wohl mit dem zwölf Uhr achtzehn nach Haus fahren, wenn ich nen Pullman kriegen kann.
Es war n kolossales Vergnügen für mich, daß wir so offen miteinander reden konnten. Selbstverständlich werd ich Deinen Rat befolgen. Ich werd mir Mühe geben, mich zurückzuhalten und nicht soviel zu reden und zu schwätzen – Du wirst ja auch gemerkt haben, daß ich heute abend beim Essen kaum ein Wort gesagt und bloß Deiner lieben Frau zugehört hab. Na selbstverständlich. Ich hab meine Lektion gelernt. Ich werd mich auf den Warenverkauf konzentrieren und nicht ununterbrochen über alle möglichen Sachen und Themas reden.
Und ich hoffe stark, daß Du Dir meine Aufstellung sehr genau durchsiehst und es möglich machst, mir das Darlehen zu geben.
Du weißt doch noch, daß ich immer zu Dir gekommen bin. Kannst Du Dich noch dran erinnern, wie ich den einen Monat mit Euch Jungs auf der Farm bei Deinem Großpapa war, damals wie wir so ungefähr zwölf Jahre alt waren?
Herrgott, was waren wir damals lustig! N richtiges Idyll, könnt man sagen, wie man es jetzt in diesen späteren automobilbefahrenen und weniger poetischen Jahren nicht mehr finden kann. Weißt Du noch, wie wir dem alten Farmer damals die Melonen gestohlen haben und dann, wie er Krach gemacht hat, zurückgegangen sind und den ganzen Rest zertrampelt haben? Weißt Du noch, wie wir in der Kirche den Wecker versteckt haben, der dann während der Predigt losgegangen is? Weißt Du noch, wie wir das Sprungbrett eingefettet haben, daß der Irenjunge ausgerutscht is und sich fast das Genick gebrochen hat? Herrgott, hab ich damals lachen müssen!
Ach ja, das waren schöne Zeiten, und wir zwei haben uns immer verstanden, Walt, und vergiß auch nicht, daß es keine Firma auf der ganzen Welt gibt, die Dir bessere Sicherheiten für das Darlehen geben könnte.