Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Um 1404 – ich gehe so weit zurück, um meine Zeitgenossen nicht zu verletzen – wohnte die Königin Ysabeau, die Gemahlin König Karls VI. und Regentin von Frankreich, in Paris im alten Hotel Montagu, einer Art von Schloß, bekannter unter dem Namen Hotel Barbette.
Dort entstand der Plan zu den berühmten Schifferturnieren auf der Seine bei Fackelschein; Galanächte, Konzerte und Festlichkeiten folgten einander, strahlend durch die Schönheit der Frauen und der jungen Ritter wie durch den unerhörten Luxus, den der Hof entfaltete.
Die Königin hatte jene Kleider aufgebracht, die den Busen durch ein Netz von edelsteinbesetzten Bändern hindurchschimmern lassen, und jene Haartrachten, deretwegen die Türen der Schlösser um mehrere Ellen erhöht werden mußten. Am Tage war der Treffpunkt der Höflinge der Saal und die mit Orangebäumen besetzte Terrasse des königlichen Schatzmeisters, Messire Escabala. Hier ward um hohe Summen gespielt, und bisweilen rollten die Knöchel der Würfelbecher um Einsätze, die ganzen Provinzen die Hungersnot bringen konnten. Die schweren Schätze, die der sparsame Karl V. so mühsam angehäuft hatte, wurden allgemein vergeudet, und wenn die Gelder spärlicher flossen, so erhöhte man die Zehnten, Auflagen, Abgaben, Beisteuern, Subsidien, Einziehungen und Salzzölle unbarmherzig. Die Freude herrschte in allen Herzen.
In jenen Tagen lebte in düsterer Zurückhaltung der Mann, der mit der Abschaffung all jener schmählichen Lasten in seinen Staaten beginnen sollte: Jean de Nevers, Ritter und Herr von Salins, Graf von Flandern und Artois, Graf von Revers, Baron von Rethel, Pfalzgraf von Mecheln, zwiefacher Pair von Frankreich und Ältester der Pairs, Vetter des Königs und Heerführer, welchen das Konzil von Konstanz als einzigen bezeichnen sollte, dem man ohne Exkommunikation blindlings gehorchen mußte, erster Großwürdenträger des Königreichs, erster Untertan des Königs (der seinerseits nur der erste Untertan des Volkes ist), Erbherzog von Burgund, künftiger Held von Nikopolis und von jenem Sieg von l'Hesbaie, wo er, von den Vlamen im Stich gelassen, vor dem ganzen Heere den Heldennamen »Ohnefurcht« errang, indem er Frankreich vom ersten seiner Feinde befreite, – in jenen Tagen, sage ich, war es, wo der Sohn Philipps des Kühnen und Margaretas II., wo Johann Ohnefurcht bereits den Plan wälzte, zur Rettung des Vaterlandes mit Feuer und Schwert gegen Henri von Derby, Graf von Hereford und Lancaster, den fünften seines Namens, und König von England, vorzugehen und, als dieser König einen Preis auf sein Haupt setzte, von Frankreich nur erreichte, daß er zum Verräter erklärt ward.
Seit etlichen Tagen versuchte man sich am Hofe linkisch im ersten Kartenspiel, das Odette de Champ d'Hiver eingeführt hatte.
Wetten aller Art wurden gemacht und Weine von den besten Lagen des Herzogtums Burgund getrunken. Die neuen Tenzonen, die Ringellieder des Herzogs von Orleans (eines der Herren der drei Lilien, die am meisten für schöne Reime schwärmten) erklangen. Man stritt über Moden und Wappen; oft auch wurden unzüchtige Lieder gesungen.
Die Tochter jenes reichen Mannes, Berenice Escabala, war ein liebenswürdiges Mädchen und eine Schönheit. Ihr jungfräuliches Lächeln lockte den glänzenden Schwarm der Edelleute an. Es war bekannt, daß sie einem jeden die gleiche Freundlichkeit erwies, ohne irgendwen vorzuziehen.
Eines Tages nun geschah es, daß ein junger Rittersmann, der Vitzdom von Maulle, der damalige Liebling der Königin Ysabeau, sich verschwor (gewiß im Weinrausche!), daß er über die unbeugsame Tugend von Meister Escabalas Töchterlein siegen würde, kurz, daß sie über ein Kleines die Seine sein sollte.
Dies Wort fiel inmitten einer Höflingsschar. Das Gelächter und die Rundreime der Zeit schallten ringsum, aber ihr Lärm übertönte das unvorsichtige Wort des jungen Edelmannes nicht. Die Wette ward unter Becherklang angenommen und kam zu Ohren Ludwigs von Orleans.
Ludwig von Orleans, der Königin Schwager, war von ihr in den ersten Zeiten der Regentschaft durch leidenschaftliche Zärtlichkeit ausgezeichnet worden. Er war ein glänzender und leichtlebiger Fürst, aber einer von den Unheilvollsten. Zwischen ihm und Ysabeau von Bayern bestand eine gewisse Wesensverwandtschaft. Außer durch das launische Wiederaufflackern ihrer verloschenen Leidenschaft wußte er sich im Herzen der Königin stets eine Art von halber Zuneigung zu sichern, die mehr auf einem Pakt als auf Sympathie beruhte.
Der Herzog hatte ein Auge auf die Günstlinge seiner Schwägerin. Ward die Vertrautheit mit ihnen bedrohlich für den Einfluß, den er auf die Königin zu behalten wünschte, so war er wenig wählerisch in der Wahl der Mittel, um einen fast immer tragischen Bruch herbeizuführen; selbst Angeberei verschmähte er nicht.
Das gefallene Wort ward also der königlichen Freundin des Vitzdom von Maulle von ihm hinterbracht.
Die Königin hatte ihre Ärzte, die ihr die Geheimnisse des Orients verkauften, um das Feuer der Gelüste, die sie erregte, zu fachen. Diese neue Kleopatra war eine große Ohnmächtige, besser geschaffen, einem Liebesgericht im Schoße einer Ritterburg vorzusitzen oder einer Provinz neue Moden zu geben als den Engländern die heimische Scholle zu entreißen. In diesem Falle jedoch fragte sie keinen ihrer Ärzte um Rat, – nicht einmal ihren Alchimisten, Arnaut Guilhem.
Eines Nachts, wenige Zeit danach, weilte der Ritter von Maulle bei der Königin im Hotel Barbette. Es war zu vorgerückter Stunde, und die Liebenden waren in Schlaf gesunken.
Plötzlich glaubte Herr von Maulle in Paris einzelne unheilkündende Glockenschläge zu vernehmen.
»Was ist das?« fragte er emporfahrend.
»Nichts! Laß ...« antwortete Ysabeau fröhlich und ohne die Augen zu öffnen.
»Nichts, schöne Königin? Ist's nicht Sturmläuten?«
»Ja ... vielleicht. – Nun wohl, mein Freund?«
»Vielleicht brennt ein Palast!«
»Davon träumte ich just,« sagte Ysabeau. Und ein Perlenlächeln öffnete die Lippen der schönen Schläferin.
»Mir träumte sogar,« fuhr sie fort, »du habest ihn angezündet. Ich sah, wie du eine Fackel in Öl- und Futtervorräte warfst, mein Kleiner.«
»Ich?«
»Ja!« sagte sie, die Silben schläfrig dehnend, »du legtest Feuer an das Haus Messire Escabalas, meines Schatzmeisters, du weißt wohl, um deine neuliche Wette zu gewinnen.«
Der Ritter von Maulle schlug halb die Augen auf; eine unbestimmte Besorgnis ergriff ihn.
»Welche Wette? Schlaft Ihr nicht noch, mein schöner Engel?«
»Ei – deine Wette, der Liebhaber seiner Tochter zu werden, der schönen Berenice, die so schöne Augen hat ... O, welch gutes und hübsches Kind, ist's nicht so?«
»Was sagt Ihr da, meine teure Ysabeau?«
»Habt Ihr mich nicht verstanden, edler Herr? Mir träumte, sagt' ich Euch, daß Ihr die Wohnung meines Kämmerers in Brand gesteckt hättet, um während der Feuersbrunst seine Tochter zu entführen und sie zu Eurer Geliebten zu machen, um Eure Wette zu gewinnen.«
Der Vitzdom blickte sich schweigend um. In der Tat erhellte der Schein einer fernen Feuersbrunst die Scheiben des Gemaches; purpurne Lichter lagen blutig auf dem Hermelin des königlichen Lagers; die Lilien der Wappenschilder und die, welche in Emailvasen ihr Leben endeten, röteten sich. Und rot wurden auch die zwei Becher auf einem mit Wein und Früchten bedeckten Kredenztisch.
»Ah, ich erinnere mich,« – sagte der junge Ritter halblaut. »Es ist wahr, ich wollte die Blicke der Höflinge auf jene Kleine ablenken, um sie von unserer Freude abzuwenden. Aber so seht doch, Ysabeau, es ist wahrlich eine große Feuersbrunst, und der Feuerschein ist in der Nähe des Louvre.«
Bei diesen Worten lehnte die Königin ihr Haupt auf den aufgestützten Arm, blickte den Vitzdom von Maulle scharf an, ohne zu sprechen, und schüttelte den Kopf. Dann drückte sie lässig und lachend einen langen Kuß auf die Lippen des Jünglings.
»Du wirst diese Dinge Meister Cappeluche sagen, wenn du in diesen Tagen von ihm auf dem Grèveplatz gerädert wirst! Du bist ein schnöder Brandstifter, mein Geliebter!«
Zärtlich schmiegte sie sich an ihn. Das Sturmläuten dauerte fort; man vernahm in der Ferne das Geschrei der Menge.
»Müßte man das Verbrechen nicht erst beweisen?« scherzte er. Und er erwiderte ihren Kuß.
»Es beweisen, du Böser?«
»Gewiß.«
»Kannst du beweisen, wie viele Küsse du von mir bekommen hast? Das hieße die Schmetterlinge zählen wollen, die an einem Sommerabend schwirren.«
Er schaute seine Geliebte an, die so glühend war und so bleich, bei der er die Wonnen der wunderbarsten Liebe in verschwenderischem Maße genossen hatte. Er ergriff ihre Hand.
»Übrigens ist das sehr leicht,« fuhr die junge Königin fort. »Wer hätte den Vorteil von einer Feuersbrunst, außer dir, der Messire Escabalas Tochter entführen will? Du hast dein Wort bei einer Wette verpfändet! Und da du niemals sagen kannst, wo du während des Feuers wärest? ... Du siehst, das ist im Châtelet völlig hinreichend zur Unterlage für einen Kriminalprozeß. Erst die Untersuchung, und dann,« setzte sie, leicht gähnend hinzu, »besorgt die Folter den Rest.«
»Ich könnte nicht sagen, wo ich war?« wiederholte Herr von Maulle.
»Natürlich nicht, denn du warest zu Lebzeiten des Königs Karls VI. zu dieser Stunde in den Armen der Königin von Frankreich, du Kind, das du bist.«
Der Tod erhob sich drohend und furchtbar zu Füßen des Lagers.
»Richtig!« sagte der Ritter von Maulle, vom sanften Blick seiner Freundin bezaubert.
Berauscht schlang er seinen Arm um diese schlanken Hüften, die der Fürstin warmes Haar umfloß wie rotes Gold.
»Das sind so Träume,« sagte er. »O mein geliebtes Leben!« ...
Des Abends hatten sie Musik gemacht. Seine Zither lag auf einem Kissen; eine Saite sprang plötzlich von selbst.
»Schlaf, mein Engel! Du bist müde!« sagte Ysabeau und zog die Stirn des jungen Ritters sanft an ihren Busen.
Beim Klang der zerspringenden Saite war er erbebt; Liebende sind abergläubisch.
* * *
Am nächsten Tage ward der Vitzdom von Maulle gefangen gesetzt und in einen Kerker im Grand Châtelet geworfen. Der Prozeß begann mit der vorhergesagten Anklage. Die Dinge vollzogen sich genau so, wie die erlauchte Zauberin es prophezeit hatte, »deren Schönheit so groß war, daß sie ihre Liebschaften überleben mußte.«
Es war dem Vitzdom von Maulle unmöglich, sein Alibi zu beweisen. Nachdem beim Verhör zur ordentlichen und außerordentlichen Folter geschritten war, erfolgte die Verurteilung zum Rade.
Die Strafen für Brandstifter, der schwarze Schleier usw., nichts ward ihm erlassen. Aber ein seltsamer Zwischenfall ereignete sich im Grand Châtelet. Der Advokat des jungen Ritters hatte eine tiefe Zuneigung für ihn gefaßt; dieser hatte ihm alles gestanden. Angesichts der Unschuld des Ritters von Maulle schwang sich der Verteidiger zu einer heroischen Tat auf. Am Tage vor der Hinrichtung kam er in den Kerker des Verurteilten und ließ ihn in seiner Amtstracht entkommen. Kurz, er trat für ihn ein.
Hatte er ein so edles Herz? War er ein Ehrgeiziger, der ein furchtbares Spiel spielte? Wer wird es je erfahren!
Noch ganz verbrannt und zerbrochen von der Folter, entfloh der Vitzdom von Maulle über die Grenze und starb im Exil. Aber der Advokat ward an seiner Stelle zurückbehalten.
Als die junge Freundin des Vitzdom dessen Entweichen vernahm, ward sie darüber sehr aufgebracht Eine eigentümliche und wenig bekannte Tatsache! Die Historiker jener Zeit erklären fast einstimmig, die Königin Ysabeau von Bayern sei von ihrer Hochzeit bis zu dem Augenblick, wo der Wahnsinn des Königs offenkundig ward, dem Volk, den Armen und allen als »ein Engel an Güte, eine heilige und tugendhafte Fürstin« erschienen. Man kann also annehmen, daß die tatsächliche Krankheit des Königs und das Beispiel des zügellosen Lebens am Hofe dieses neue Charakterbild geschaffen habe, wie wir es in den Tagen, von denen wir reden, finden.. Damit der Name des Ritters von Maulle von der Liste der Lebenden verschwand, befahl sie, das gefällte Todesurteil müsse unter allen Umständen vollstreckt werden.
Deshalb ward der Advokat an Stelle des Sire de Maulle auf dem Grèveplatz gerädert.