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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Carlotta hat sich in meinem Haus, das sie für ihre Heimat hält, wieder ganz eingenistet. Der Himmel verhüte, daß ich darüber je einen Zweifel in ihr wachrufe.

Eine Lehre habe ich indes doch erhalten. Ich weiß jetzt, was Liebe ist! Die Liebe, die nur begehrt, ist, obgleich die Dichter aller Zeiten sie besungen haben, nur Sinnlichkeit und dem Untergang geweiht. Die Liebe, die verzeiht, Unrecht erträgt und sich im Verzichten bescheiden kann, die gehört zu den unvergänglichen Dingen, die den schwachen Menschen den Engeln ein wenig näher bringen.

Als Carlotta in jenen ersten Augenblicken nach ihrer Rückkehr an meiner Brust weinte, da wußte ich, daß alle Bitterkeit aus meinem Herzen gewichen war, daß es gering und unedel gewesen wäre, daran festzuhalten. Wäre sie auch mit aussätzigem Körper und verabscheuungswürdiger Seele zu mir zurückgekehrt, so hätte mir das nichts ausgemacht; ich hätte ihr ganz genau ebenso verziehen, sie geliebt und sie gepflegt. Es war weder eine Frage des Verstandes, noch des menschlichen Mitleids, noch der Don Quichoterie; weder ein bewußtes Denken, noch ein Gefühl, für das ich mich verantwortlich hielt – ich war willenlos und gehorchte einfach einer Reflexbewegung der Seele.

Die Tage verliefen friedlich. Trotz meines Kummers fühlte ich mich auffallend glücklich. In meinem Herzen lebte keine selbstsüchtige Hoffnung mehr. Vielleicht war ich in einem Jahr um fünf älter geworden und sah deshalb das Leben anders an. Mir genügte, daß Carlotta heimgekommen war, in den Hafen, wo ihr kein Leid mehr widerfahren konnte. Sie ist meine mir von Gott zugeteilte Aufgabe, gerade wie Mr. Mainwaring die Judits ist. In mir sehe ich den Mann mit dem einen Pfund. Nur solche Menschen können die tiefe Weisheit jenes Gleichnisses wirklich verstehen und Trost daraus schöpfen, denen ein bescheidenes Los zugefallen ist. Carlotta mit unendlicher Liebe und Geduld zu einer guten, sanften, liebenswürdigen Frau und verständigen Mutter für das Kind, das sie erwartete, heranzubilden, das war die bescheidene Aufgabe, die mir zu erfüllen oblag. Im Verhältnis zu der Größe aller menschlichen Anstrengungen war sie unendlich klein. Aber wer wollte behaupten, daß sie der Mühe nicht wert wäre? Auf welch anderm Gebiet unter dem Mond, das Schreiben eines nutzlosen Buches ausgenommen, hätte ich etwas leisten können? Zu jener Zeit zergliederte ich allerdings mein Tun nicht in dieser Weise – wer das tut, ist ein Poseur, ein Schauspieler, der sich selbst etwas vorspielt – aber wenn ich zurückschaue, kommt es mir vor, als sei ich doch durch solche unbestimmte Erwägungen geleitet worden.

Obgleich ich von meiner Einsiedleridiosynkrasie an und für sich gründlich geheilt war, änderte ich doch nichts in meinen Beziehungen zur Außenwelt. Judit teilte ich die Ereignisse in einem kurzen Briefe mit und erhielt darauf eine sehr teilnehmende Antwort. Mein Studium der Geheim- und Wunderlehren hatte mich aufs Arabische hingeführt, und ich entdeckte, daß Carlotta diese Sprache genügend beherrschte, um mich in den Anfangsgründen zu unterrichten. So wurde ich im Kreislauf der Zeit zur Abwechslung und zu unserm beiderseitigen Ergötzen ihr Schüler.

Nach einiger Zeit schien in Carlottas Gedächtnis das Elend der vergangenen Tage verblaßt zu sein. Sie sprach nur wenig von Paris, noch weniger von der langweiligen Pension und niemals von Pasquale. Gegen ihn trug sie eine stille Feindschaft im Herzen, wie sie ein Tier gegen den Menschen fühlen mag, der ihm einmal ein unvergeßliches Unrecht zugefügt hat. Anderseits aber begann sie sich, wie ich seither entdeckt habe, langsam zu entwickeln. Sie fing an, sich klarzumachen, daß sie, indem sie sich leichten Herzens einem ungeliebten Manne hingab, ein Verbrechen gegen ihr Geschlecht begangen habe, für das sie schwere Strafe erleiden müsse, welches Gefühl aber ihren Zorn gegen Pasquale in keiner Weise milderte. Oft sah ich sie mit gerunzelter Stirn, die Arbeit lässig im Schoß, dasitzen; augenscheinlich war sie mit der Lösung einer sehr verwickelten Frage beschäftigt. Sie schüttelte dann entweder traurig den Kopf, als ob ihr diese Verstandesarbeit zu schwer fiele, und griff wieder zur Nadel, oder wenn sie zufällig meinen Blick auffing, fuhr sie zusammen, lächelte mir beruhigend zu und widmete sich mit übertriebenem Eifer ihrer Handarbeit. Diese Anfälle von Geistesabwesenheit waren indes nicht die einer Frau, die über die Geheimnisse der nächsten Zukunft nachdenkt. Und doch beschäftigten sich Carlottas Gedanken sicher auch damit; an ihren verträumten Augen und dem schwachen Lächeln, das um ihre Lippen spielte, waren sie leicht zu erraten. Die Stunden aber, wo sie mit gerunzelter Stirn dasaß, waren Zeiten der Seelenarbeit, und ich war begierig zu sehen, was sich daraus entwickeln würde.

Eines Nachmittags kam ich nach Hause und fand Carlotta über einem Buche weinend. Als ich mich niederbeugte, um zu sehen, was sie las – in der langweiligen Pension in Paris hatte sie Geschmack am Lesen von Romanen bekommen – umfing sie mich mit beiden Armen und rief: »Oh, Siir Markuus, glaubst du, daß ich auch ein großes rotes A tragen sollte?«

»Was meinst du?« fragte ich.

»Wie Esther Prynne, da sieh!«

Sie zeigte mir Nathanael Hawthornes »Der rote Buchstabe« In diesem berühmten Roman wird eine Frau dazu verurteilt, ein rotes A, das Adulteress (Ehebrecherin) bedeutet, auf der Brust zu tragen.
Anm. d. Übers.
.

»Wie kamst du dazu, das Buch herauszunehmen?«

»Der Titel gefiel mir,« antwortete sie einfach. »Ich habe rote Sachen so gern, aber dieses große rote A möchte ich nicht.«

»Diese Geschichte spielt in Zeiten, wo man meinte, seine Frömmigkeit durch übergroße Härte beweisen zu müssen.«

»Sie wären aber noch strenger gegen Esther gewesen, wenn diese den Pfarrer nicht geliebt hätte,« sagte Carlotta, mich nachdenklich ansehend.

»Mein liebes kleines Mädchen,« sagte ich, da ich erkannte, woran sie dachte, »zerbrich dir den Kopf nicht über psychologische Probleme.«

»Was sind –« begann Carlotta.

Das Ende der Frage kniff ich ihr sozusagen aus der Wange und nahm ihr dann lächelnd das Buch weg.

»Es ist eine schreckliche Krankheit, und von dieser ist meine liebe Kleine seit einiger Zeit befallen. Wenn du so gedankenverloren dasitzest und die Stirn in tiefe Falten legst« – ich machte ein abschreckend finsteres Gesicht, über das Carlotta lachte – »dann leidest du an akuten psychologischen Problemen.«

»Dann denke ich nach,« sagte Carlotta sinnend.

»Jetzt gerade solltest du nicht so viel nachdenken, Kleinchen,« sagte ich. »Am besten ist es für dich, wenn du glücklich, ruhig und zufrieden bist. Sonst muß ich es dem Doktor sagen, und der gibt dir dann die schwärzeste und schlechteste Arznei, die du je gekostet hast.«

»Um mich von den – wie heißt es – den Problemen zu heilen?«

»Jawohl,« sagte ich mit Nachdruck.

»Hu!« lachte Carlotta. »Arznei kann das nicht heilen.«

»Da verläßt du dich auf einen verwerflichen Trugschluß, der durch ein abgedroschenes Shakespearesches Zitat unsterblich gemacht worden ist.«

»Weiter,« sagte Carlotta ermutigend.

»Wieso?« fragte ich betroffen.

»O du lieber Siir Markuus!« rief Carlotta. »Es ist so nett, dich reden zu hören.«

Daraufhin fuhr ich fort, und der durch den roten Buchstaben verursachte Kummer war bald vergessen.

Ich habe Carlottas Handarbeit erwähnt. Den sehr vernünftigen Anstoß dazu hatte ihr Antoinette gegeben, die in der letzten Zeit selbst – davon bin ich fest überzeugt – den Kochlöffel um der Schere willen vernachlässigte und viele ihrer Pflichten auf den stillen aber mitfühlenden Stenson geworfen hatte. Carlotta fand außerordentliches Vergnügen in diesen Vorbereitungen. Sie war nie glücklicher, als wenn sie, eine Schachtel Schokolade neben sich, bequem auf dem Sofa saß, ihren von Batist, Mull und was allem noch überfließenden Arbeitskorb vor sich, der wie eine große Schüssel voll oeufs à la neige aussah, und (ich glaube wirklich, als Gipfel ihrer Zufriedenheit) meine linkische Gestalt und mein häßliches Gesicht in erreichbarer Nähe. Dann knabberte und nähte sie fleißig. Manchmal faßte sie einen Bonbon zu fest an, und mit einem leichten Schrei hielt sie mir dann ihre klebrigen Finger hin.

»Sieh!« sagte sie mit einer drolligen Grimasse.

Und um das zierliche Machwerk, an dem sie eben arbeitete, vor dem Beschmutztwerden zu schützen, pflegte ich aufzustehen und ihr die Finger mit meinem Taschentuch abzuwischen; daraufhin trällerte sie ihr süßestes »Danke sehr!« in die Welt hinaus, und manchmal zeigte sie mir dann ein winzig kleines Kleidungsstück.

»Ist es nicht hübsch?«

»Ja, Liebling,« pflegte ich dann zu sagen, indem ich mich abwandte. Ach, welche raffiniert ausgesuchte Schmerzen werden den Menschen doch zuzeiten auferlegt!

Endlich schlug ihre Stunde. In qualvoller Erwartung verbrachte ich die ganze Nacht außer Bett, da ich es mir in meinen dummen Kopf gesetzt hatte, Carlotta werde sterben. Um sechs Uhr morgens fand mich der Doktor halb erfroren unten auf der Treppe sitzen. Als er mir seine frohe Botschaft brachte, schien er sich aus einem gewöhnlichen älteren Herrn in einen strahlenden Erzengel zu verwandeln. Kurz nachher traf ich mit Antoinette zusammen, die geschäftig, wichtig, frohlockend daherkam; doch gewährte sie mir trotz allem gnädigst eine kurze Unterredung.

»Und bedenken Sie nur, Monsieur!« rief sie mit einem Ausdruck, als ob jetzt die höchste Stufe der Entwicklung seit Millionen von Äonen erreicht worden wäre, »bedenken Sie nur, es ist ein Junge!«

»Sie hätten sich ebenso gefreut, wenn es ein Mädchen gewesen wäre,« sagte ich.

Aber da schüttelte sie ihr weißes, gewichtiges Haupt: »Frauen – ça ne vaut pas grand' chose

Wohlgemerkt, der Ausspruch »Frauen sind nicht viel wert,« rührt nicht von mir, sondern von Antoinette her. Trotzdem werde ich aber bald zu einer Null in meinem Hause, wo jetzt das Triumvirat dieses verachteten Geschlechtes: Antoinette, die Wärterin und Carlotta, ein despotisches Regiment führen.

Wenn ich ausführlich über Carlottas Glück schreiben wollte, so wäre das so viel, als an heilige Dinge rühren, die ich nur ahnen kann. Sie war glückselig. Das kleine Bündel rosigen Fleisches, das an ihrer Brust lag, war für sie der Inbegriff aller Freude und der Bedeutung des Weltalls. Wenn ich mich an ihr Bett setzte, sprach sie unermüdlich von ihm: O, er sei ein Wunderkind, wie nur je eines existiert habe, und er habe den ganzen Kopf voller Haare.

»Sie will nicht glauben, daß diese Haare alle ausfallen und neue nachwachsen werden,« sagte die Wärterin.

»O–o,« seufzte Carlotta. »Das wäre zu schrecklich, es ist ja mein Haar. Sieh, Siir Markuus lieber, ist es nicht genau mein Haar?«

Es lag ihr unendlich viel daran, daß der Junge ihr gleiche.

»Über seine Nase bin ich nicht im reinen,« bemerkte sie eines Tages kritisch. »Es ist noch so gar wenig von ihr zu sehen, und das ist so weich. Fühle nur, wie weich es ist! Aber seine Augen sind so braun wie meine, und sein Mund – sieh nur, haben wir nicht alle beide ganz den gleichen?«

Sie legte ihre Wange neben die des Kindes und forderte mich auf, die zwei nebeneinander liegenden Kindermündchen zu vergleichen. Jawohl, sie waren einander in der Tat sehr ähnlich.

Eifersüchtig wachte sie über das Kindchen und wollte es immer bei sich haben, um es zu pflegen und zu liebkosen. Manchmal war sie ungeduldig gegen die Wärterin und Antoinette, denn ihr Baby sollte so vollständig ihr gehören, daß sie nicht ertragen konnte, wenn jemand anders es berührte. Es klingt sonderbar, aber bei mir machte sie in dieser Beziehung eine Ausnahme. Nichts machte ihr mehr Freude, als das kleine Wesen in meine linkischen, ängstlichen Arme zu legen und zuzusehen, wie ich es im Zimmer herumtrug. Ich glaube, sie hatte das Verlangen, mir irgend etwas zu schenken, und dieser Anteil an dem Kind war das kostbarste Geschenk, das sie ersinnen konnte.

Von Pasquale sprach sie immer noch nicht. Seit sie sich als Mutter so unendlich glücklich fühlte, schien er ein verschwommenes Wesen eines entschwundenen Traumes geworden zu sein. Ohne Carlotta zu befragen, hatte ich die Geburt angemeldet, und zwar mit den rechtmäßigen Namen der Eltern.

»Wie wirst du ihn heißen, Carlotta?« fragte ich eines Tages.

» Mon petit chou. So nennt ihn Antoinette. Es ist ein wunderschöner Name!«

»Nun ja, es gibt allerlei Gründe, warum man ein Kind ein Krautköpfchen nennen kann,« gab ich zu. »Aber der Kleine wird rasch heranwachsen und bald so alt sein wie ich« – ich seufzte – »und wer wollte mich seinen ›petit chou‹ heißen?«

Carlotta lachte.

»Das ist wahr. Wir müssen uns auf einen wirklichen Namen besinnen.« Sie dachte einige Augenblicke nach, dann schlang sie ihre Arme um meinen Hals und fuhr in ihren Erwägungen fort.

»Er soll Markus heißen – ein zweiter Markus Ordeyne. Und eines Tages wird er vielleicht einmal Siir Markuus wie du!«

»Meinst du, wenn ich sterbe?« fragte ich.

»O, erst in vielen, vielen, vielen Jahren!« rief sie, indem sie mich voller Schrecken fester umschlang. »Aber das Kind lebt länger als der Vater. So will es das Schicksal. Er wird auch länger leben als ich.«

»Das wollen wir hoffen, Liebling,« erwiderte ich. »Aber gerade weil ich nicht sein Vater bin, kann er auch nicht Sir Markus werden, wenn ich sterbe. Meinen Namen kann er bekommen, aber meinen Titel –«

»Wer bekommt denn den?«

»Niemand.«

»Stirbt der auch?«

»Er stirbt ganz aus!«

»Du bist sein Vater, weißt du, der rechte,« flüsterte sie.

»Unglücklicherweise erkennt das englische Gesetz keine geistigen Verwandtschaften an.«

»Was sind geistige Verwandtschaften?«

»Das sind die Dinge, die du, mein Liebling, allmählich verstehen lernst,« antwortete ich, während ich mich über sie neigte und das Kind küßte, das auf ihrem Schoß lag.

»Armer kleiner Markus Ordeyne!« sagte ich. »Mein armer kleiner, sonderbar bevaterter Sohn! Ich fürchte, deiner wartet manche Prüfung, aber ich will alles aufbieten, um dir durchzuhelfen.«

»Gott segne dich dafür, Lieber!« sagte Carlotta sanft.

Erstaunt sah ich sie an. Zum erstenmal hatte sie wie eine erwachsene Frau – wie eine Frau mit einer Seele – gesprochen.

*

Einige Wochen später.

Wir saßen eben beim Frühstück. Die Morgenzeitung enthielt den Bericht von einer Schlacht und die Liste der gefallenen englischen Offiziere. Als ich wie gewöhnlich die traurigen Zeilen überflog, blieb mein Auge an einem Namen hängen und verständnislos starrte ich ihn an. Pasquale war tot, durch eine Burenkugel gefallen! Das wilde, glanzvolle Leben war zu Ende. Es kam mir entsetzlich vor, und obgleich er mir ein so schweres Unrecht zugefügt hatte, war doch mein erstes Gefühl das des Schreckens. So tapfer, so schön. Wie hatte der Tod sich an ihn wagen können!

Carlotta, die den Tee eingoß, brachte mir eine Tasse und stellte sie vor mich hin. Um zu verhindern, daß sie wie gewöhnlich über meine Schulter weg in die Zeitung gucke, legte ich diese auf den Tisch, aber ihre scharfen Augen hatten schon die großgedruckten Zeilen gelesen.

»Große Schlacht. Englische Offiziere gefallen. O, laß mich sehen, Siir Markuus!«

»Nein, meine Liebe. Geh und iß dein Frühstück.«

Sie sah mich sonderbar an; ich versuchte zu lächeln, aber da ich ein schlechter Schauspieler bin, stand in meiner Grimasse das Bekenntnis meiner Falschheit.

»Warum soll ich sie nicht lesen?« fragte sie schnell.

»Weil ich es sage, Carlotta.«

Ihre Augen waren noch immer auf mich gerichtet, und plötzlich war sie erblaßt. Ich rührte in meinem Tee und tat, als tränke ich davon. »Iß dein Frühstück, Kind!« wiederholte ich.

»Etwas – etwas von ihm steht in der Zeitung,« sagte Carlotta. »Er ist englischer Offizier.«

Was hätte dieser Ahnung gegenüber ein weiteres Verheimlichen für einen Zweck gehabt? Und außerdem – früher oder später mußte sie es doch erfahren.

»Er ist nicht mehr englischer Offizier, Liebste,« sagte ich.

»Ist er tot?«

Unwillkürlich kehrten meine Gedanken zurück zu einem längst vergangenen Abend – lange, unendlich lange schien es her zu sein – an dem eine andre Zeitung von einem andern Todesfall berichtet hatte, und in meinen Ohren klang der Widerhall derselben Frage, die auch damals von Carlottas Lippen gefallen war. O, ich hatte Angst, sie könne am Ende auch jetzt wieder sagen: »Ich bin so froh!« Leise winkte ich Carlotta zu mir her, deutete mit meinem Finger auf den Namen und beobachtete angstvoll ihr Gesicht. Sie las, starrte einige Augenblicke geradeaus und wandte sich dann mit einem jammervollen Blick zu mir.

Ich zog sie an mich und legte ihr Köpfchen an meine Schulter.

»Ach, Siir Markuus lieber, ich weiß nicht, warum ich weine,« sagte sie nach einiger Zeit.

Trotz meiner Bitte wollte sie nichts essen, aber etwas Tee nahm sie doch zu sich. Dann ging sie schnell hinauf. »Ich bin so froh,« hatte sie nicht gesagt; dagegen hatte sie geweint, ohne den Grund ihrer Tränen zu kennen. Ich schalt mich selbst, daß ich an ihr gezweifelt hatte.

Den ganzen Tag über war sie gedrückt und nachdenklich, und am Abend setzte sie sich, während ich las, anstatt in die Sofaecke auf einen Schemel zu meinen Füßen, stützte den Kopf in die eine Hand und legte die andre auf mein Knie.

»Ich bin froh, daß er tapfer war,« sagte sie schließlich. Dies war seit heute morgen die erste Bemerkung über Pasquale. »Ich habe tapfere Männer gern.«

» Dulce et decorum est. Er ist für sein Vaterland gestorben,« sagte ich.

»Jetzt tut es mir nicht mehr so weh, an ihn zu denken,« fuhr sie fort.

Gegen meinen Willen ergriff mich die qualvollste Eifersucht, weil Pasquale nach seinem Tod in Carlottas Herzen wieder als Held auflebte. Aber war es denn nicht eigentlich natürlich? War es nicht ein echt weiblicher Zug? Mir war es, als stehe ich ihr plötzlich ferner als bisher, und obgleich sie nie mehr von Pasquale sprach, ahnte ich doch, daß ihre Gedanken nicht ohne Zärtlichkeit bei ihm weilten. Ich weiß, das war albern. Aber ich hatte angefangen gehabt, beinahe an meine sogenannte Vaterschaft zu glauben, und ich war eifersüchtig auf die rechtmäßigen Ansprüche des Toten.

Und doch, wäre Pasquale am Leben geblieben, so hätte er eines Tages mit seiner alles bezwingenden Art und seinem unwiderstehlichen Lachen zurückkommen und beide mit sich fortnehmen können. Daß mir diese größte Demütigung erspart geblieben war, dafür war ich den erhabenen Göttern dankbar. Aber bis auf den heutigen Tag hat Carlotta Pasquales Namen nie mehr in den Mund genommen.


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