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Am Deipenmoor

Die Wiese im Deipenmoor war früher ein ausgezeichneter Balzplatz, auf dem in jedem Frühling bequem ein halbes Dutzend Hähne geschossen werden konnte. In diesem Jahre balzt nur ein einziger Hahn dort, ein alter, zänkischer Bursche, der alle anderen Hähne abkämpft und den ganzen Platz verdorben hat. Dafür soll er sterben.

Dreimal habe ich es schon versucht, an ihn heranzukommen, aber auf zweihundert Gänge hatte er mich immer spitz und machte einen langen Hals, und dreimal flog die Kugel an ihm vorbei. Aber den Platz gab er darum doch nicht auf; erst vorgestern morgen hörte ich ihn in einem fort balzen. Er weiß, daß ich ihm nicht viel anhaben kann, denn es fehlt dort fast an jeder Deckung, und ein Mensch ist da schon von weitem sichtbar.

Ich will ihn aber haben, gerade ihn. Auf den Bruchwiesen ist ja leicht ein Hahn aus dem Schirme zu erbeuten; aber diese Lauerjagd ist mir langweilig geworden; ich habe sie zu oft ausgeübt. Und dann kommt sie mir auch zu heimtückisch vor; die Waffen sind dabei nicht gut und gleich. Und dieses stumpfsinnige Stillsitzen und Frieren sagt mir nicht mehr zu.

Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil, und auf einen Schelmen anderthalbe. Ist der Hahn schlau, ganz dumm bin ich schließlich auch nicht. So habe ich mir denn Deckung geschaffen, habe vom Damme bis zu der Wiese ein Dutzend Wacholderbüsche und Krüppelkiefern eingesteckt. Zwar habe ich tüchtig schleppen müssen und gefährlich dabei geschwitzt; aber ohne Mühe gibt es keinen Gewinn, der Freude macht, und außerdem habe ich mir mit der Arbeit in der heißen Mittagssonne den Schnupfen aus den Gliedern fortgebracht, den ich mir beim Hahnausmachen geholt hatte, und der mich drei Tage lang lahm und faul gemacht hatte.

Es ist schon recht dämmerig. Überall meckern die Heerschnepfen, alle Augenblicke klingeln Enten über mich hin, der Kiebitz ist auch schon wach, und mehr als ein Dutzend Hähne balzen im Bruche. Die Luft ist lau. Das ist mir lieb; dann ist sie nicht so sichtig. Wie schön die Glühwurmlarven zu beiden Seiten des Weges leuchten, und wie zärtlich die Moorfrösche murren! Und nun brummt sogar eine Dommel. Und der Brachvogel flötet! Und die Mooreule quäkt. Und die Ralle quiekt. Guten Morgen alle zusammen, meine lieben Freunde in der Stilleinsamkeit!

Haben Töne Farben? Mir ist es manchmal so. Des Waldkauzes Ruf kommt mir tief blutrot vor, der der Dommel dunkelmoosgrün, das Murren der Moorfrösche graubraun und des Brachvogels Getriller himmelblau. Und neulich beim Tanz, die freche Rixdorfer Polka, die war ganz entschieden schwefelgelb und feuerrot geringelt, und wenn das lange blonde Mädel, mit dem ich tanzte, lachte, dann sah ich etwas Rosenrotes vor mir. Mein alter Hahn da hinten hat zwei Farben in seiner Stimme; sein Blasen klingt giftgrün und sein Kollern fast schwarz. Blödsinn! Ich habe entweder zu viel oder zu wenig gegessen, und nicht ausgeschlafen. Nächstens werde ich noch den Geschmack und Geruch der Töne wissenschaftlich feststellen. Allerdings: ich kenne einen Mann, wenn der redet, so muß ich an Sauerkohl, in Tran gekocht, denken, und wenn meine kleine Freundin plaudert, verspüre ich Erdbeerduft.

Wie der Hahn balzt; als bekäme er wer weiß was dafür. Na, er bekommt es ja wohl auch. Eigentlich ist dieses Gehabe und Getue zu aberwitzig, wie ein Fahrradventil zu zischen und wie eine Sektflasche zu bullern, und dann diese ehrerbietige Haltung mit dem Schnabel auf der Erde und diese Flügelspreizerei und Spielfächerung. Mein Lieber, das ist einfach lächerlich. Aber schließlich benimmt sich alles, was verliebt ist, mehr oder minder albern. Der Mensch macht Gedichte, selbst wenn es ihm noch so sauer wird, und schlingt sich irrsinnige Halsbinden um die Gurgel. Und ob sein Tanzen künstlerischer ist als das des Birkhahns, darüber ließe sich streiten. Und errötende Backen und verdrehte Augen sind zuletzt auch weiter nichts, als was beim Birkhahn die geschwollenen Rosen und die Balzstifte sind. Also seien wir bescheiden.

So! Wenn es noch ein bißchen sichtiger ist, soll das Anpirschen losgehen. Hätte ich mir einen Schirm gebaut, so bekäme ich den Hahn ja sicher; aber es ist ein fußkalter Genuß, so von zwei bis sieben Uhr im nassen Moore zu hocken und sich mit Gänsehäuten zu bedecken, und ich danke dafür, in meinen Schleimhäuten die Schnupfenerreger im Großbetriebe zu züchten. Kriege ich den Hahn heute nicht, so doch vielleicht morgen. Jedenfalls wird er solange unter Feuer genommen, bis er auswandert, denn daß er mir den besten Balzplatz durch seine Unliebenswürdigkeit verhunzt, das kann ich wirklich nicht länger dulden. Ich will doch mal sehen, wer hier mehr zu sagen hat, der Hahn oder ich. Auch ist es eine wahre Schande, daß, seitdem dieser Ruppsack hier herumtobt, die Hälfte unserer Hähne beim Nachbar balzt. Es ist ja ein guter Mensch, und ich gönne ihm alles, außer den Hühnern, Böcken, Enten, Hasen, Schnepfen und so weiter.

Wenn nur die Mooreule mir nicht wieder den Spaß verdirbt, wie vorgestern. Ich war so hübsch nahe an den Hahn herangekommen und hatte ihn schon in Gedanken am Rucksack, da bekamen mich diese aufdringlichen Vögel spitz und ulkten solange mit ihrem öden Gequäke über mir herum, bis der Hahn hinter den Zweck dieser Übung kam und sich mir bestens empfehlen ließ. Überhaupt scheint er Wachen ausgestellt zu haben. Das erstemal, als ich an ihn herankroch, machte ich ein Entenpaar hoch, das mit gänzlich unbegründetem Getöse aufstand, beim zweiten Male bekam eine alte Ricke von mir Wind und schimpfte so lange, bis der Hahn sein Gefieder erhob, und beim dritten Male waren es die Mooreulen, die mir die Suppe versalzten. Ich bin bloß neugierig, was mir dieses Mal wieder dazwischen kommt. Wahrscheinlich werden heute die Kraniche die Wache haben, und dann bin ich abermals aufgeschmissen.

Auf alle Fälle werde ich mir Vorderdeckung verschaffen und den Kieker auf den Drilling schlagen, denn auf Schrotschußnähe heranzukommen, so eingebildet bin ich nun doch nicht auf mein Pirschen. Es ist zwar eine langweilige Sache, mit einem Wacholderbusche in der Hand herumzukriechen, aber was tut der Mensch nicht alles, gilt es einem edlen und erhabenen Zweck! Ich habe ja schon mehr als einen Hahn mit Hilfe des fliegenden Schirmes geschossen; ob mir der Kniff aber bei diesem dreibastigen Lorbaß gelingen wird, das erscheint mir nicht so ganz sicher. Aber balzen tut er auf Deubel komm raus. Nicht einen Augenblick hält er damit ein. Man sollte meinen, er balze sich dumm und dammlich. Leider ist das nicht der Fall. Ach was: leider! Das ist ja gerade das Schöne bei der Pirsch, Schlauheit gegen Vorsicht zu setzen. Wäre es anders, so verzichtete ich liebendgern darauf.

Wenn ich ihn nur zu Blick bekommen könnte, den Prahlhans! Denn sonst eräugt er mich eher als ich ihn, und dann: »Schönen guten Morgen, Herr Jäger!« Ich sehe ganz genau, wo er nicht ist; doch wo er ist, das kann ich weniger genau feststellen. Also muß ich auf tauben Dunst lospirschen, das heißt, mich von einem meiner Wacholderbüsche zum andern hinstehlen. So ganz einfach ist das nicht, denn bald gilt es einen Graben zu nehmen, bald einen Abstich zu durchwaten. Schon habe ich in beiden Schuhen mehr Wasser, als mir lieb ist, und schwitzen tue ich, wie ein Hausschwamm. Dazu verschweigt der Hahn mit einem plötzlichen Rucke. Hat er mich eräugt oder macht er nur eine Kunstpause? Nichts Genaues weiß ich nicht. Jedenfalls muß ich solange stramm stehen, bis er wieder am Balzen ist. Das ist ja langweilig, jedoch nicht zu ändern.

Ich habe währenddem Zeit, die Tier- und Pflanzenwelt eingehend zu betrachten, bestehend aus Heidkraut, Wollgras, Simsen und Renntiermoos, einem Wiesenpieper, der höchst hölzern singt und dabei anfängerhaft herumflattert, einem durch die Liebe vollkommen verblödhammelten und blau angelaufenen Moorfrosch und einer Krähe, die da hinten auf einer krüppeligen Kiefer sitzt und mich wahrscheinlich um den Hahn bringen wird. Ich warte mit einer Art von gegen mich selbst gerichteter Schadenfreude darauf, daß sie den Schnabel aufreißt und der weiteren Umgegend von meiner Anwesenheit Mitteilung macht. Aber sie streicht ab und benimmt sich anständig, was ich ihr hoch anrechne. Der Hahn verschweigt noch immer. Vielleicht ist er schon nicht mehr da, wo er vertragsmäßig zu sein hat. Aber nein; schon kollert er wieder los.

Nun bin ich beim sechsten Wacholderbusche. Unter ihm liegt friedlich eine Kreuzotter und sonnt sich, zischt unwillig, wie ich mich ihr nähere, und macht mir dann höflich Platz. Der Raubwürger auf dem nächsten Wacholderbusche schrillt mir zum Possen laut und anhaltend und flattert zum nächsten Busche. Natürlich fällt dem Hahn der Fall auf, und er verschweigt zum abermalten Male, und ich habe wiederum Zeit, mich um Fauna und Flora zu bekümmern, bestehend in denselben Pflanzen und eben denselben Tieren, mit Ausnahme des Moorfrosches, wogegen als neue Erscheinung der Steinschmätzer hinzukommt, der auf einem halb verrotteten Torfhaufen seinen Frühlingsgefühlen auf ziemlich schnurrige Weise Ausdruck gibt, um dann in der ulkigsten Manier in die Luft zu steigen und dort die aberwitzigsten Töne von sich zu geben.

Endlich wird der Hahn wieder laut, und ich pirsche mich drei Büsche weiter. Und nun bekomme ich ihn auch zu sehen. Er steht da auf ein und demselben Flecke und kollert dumpf vor sich hin. Es ist noch ein bißchen zu weit für ein so kleines Ziel, und so will ich lieber versuchen, die krumme Kiefer zu erreichen. An ihr kann ich dann auch anstreichen. Ich halte mir meinen Wacholderzweig vor das Gesicht und rücke Schritt um Schritt vor. Da verschweigt der Hahn und bleibt wie ein Klotz sitzen. Ich stehe da, wie Butter an der Sonne. Lange halte ich das so nicht aus; das ist mir vollkommen klar. Denn ich stehe im weichen Torfmoose, das mich langsam, aber sicher in sich hineinlutscht. Dazu ulkt mich der Raubwürger andauernd an. Ich wünsche ihm wer weiß was an den Hals. Ist das der Dank für meine naturschützlerischen Reden und Aufsätze, du schnöder Piepmatz?

Ich glaube, der Hahn ist eingeschlafen. Rührt sich nicht und rückt sich nicht. Sein Benehmen wirkt ansteckend auf mich; ich beginne einen Gähnkrampf zu kommen. Na endlich! Es ist auch die allerhöchste Zeit. Aber wozu balzt er nun mit dem Kopfe zu mir hin? Das ist ja sehr höflich, stimmt aber schlecht mit meinen Absichten überein. Länger kann ich es wahrhaftig in dieser Torfmoossuppe nicht mehr aushalten; ich stehe schon fast bis zu den Knien darin und nehme ein Dauerfußbad in Stiefeln und Strümpfen, was zwar nicht angenehm, dafür aber um so unbekömmlicher ist. Ich fange an, mich selber aus tiefster Seele zu bemitleiden. Beinahe habe ich es satt. Aber da dreht mir der Hahn die Kehrseite zu, ich komme glücklich bis zu der krummen Kiefer hin, habe aber solchen Tatterich, daß ich an Schießen vorläufig nicht denken kann. Und wie ich wieder soweit bin, da hat sich der Hahn nach rechts hingebalzt, und ich sehe nichts von ihm, als ab und zu das blendendweiße Unterspiel, und damit kann ich mächtig wenig anfangen.

Was hilft aber alles Murren? So singe ich denn in mir das schöne Lied: »Freund, ich bin zufrieden, geh' es wie es will«, und gieße damit Öl auf die schäumende Brandung meines erbitterten Gemütes, denke auch: »Na, wenn nicht, denn nicht!« und freue mich an Wilhelm Buschs herrlichem Verse: »Genügsamkeit ist das Vergnügen an Dingen, welche wir nicht kriegen«, ohne daß es mir gelingen will, meiner Erbitterung über den niederträchtigen Hahn vollkommen Herr zu werden. Erst verhunzt er mir den ganzen Balzplatz, und dann drückt er sich in frecher Weise um das Totgeschossenwerden herum. Aber bin ich dumm; ich kann doch reizen! Also gestochen, angestrichen und dann: »Kutschschuhi!«

Der Erfolg ist einfach niederziehend; er verschweigt und wird restlos unsichtbar. Ich warte nur darauf, daß er abstreicht, eine Minute, zwei Minuten, drei Minuten, vier Minuten, fünf Minuten, zehn Minuten. Endlich hat er sich von seiner Verblüffung erholt. Da steht er frei und blank und zischt mir seine gänzliche Verachtung entgegen. Peng! Das saß! Rundum schlägt er und bleibt liegen. Ein guter Schuß; der Kragen ist am Ansatze abgeschossen, das Wildbret heil und ganz.

Ist das ein alter Bursche! Das Spiel ist ganz zerfasert und zerschlissen, und die Schwingen auf der rechten Seite haben abgeschossene Spitzen. Er ist also in diesem Frühjahr schon unter Feuer gewesen, und darum suchte er sich die einsame Moorwiese als Balzplatz.

Nun hat es sich aber hier ausgebalzt, mein Lieber! Jetzt ist wieder Platz für den Nachwuchs. Und du hast dein Teil gehabt vom Leben und bist gestorben, wie es sich für einen Sänger geziemt: mitten in deinem Liede. So wünsche ich es mir auch.


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