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Die stille Nacht

Rein und schön ging heute die Sonne auf. Eine Stunde lang schien sie froh und heiter auf das Land. Dann kam die graue Wetterwand, die gestern den ganzen Tag am Himmel gelauert hatte, wieder, löschte das Sonnenlicht aus und schüttelte ihre Schneebürde ab, erst schüchtern und zage, dann immer kecker und ungestümer.

Bis in den späten Nachmittag stoben die Flocken herunter, fielen in ganzen Wolken hernieder, fuhren in wilden Wirbeln durch die Dorfgassen, stürzten sich auf die Strohdächer, hingen sich in die Hecken, blieben an den Backhäusern kleben, begruben alle Wege und Stege und füllten jeglichen Graben aus.

Mir kommt das Wetter just zu passe; die letzten Tage gefiel es mir wenig. Erst gab es Regen und Schlappschnee, der nicht liegen blieb, dann Nordostwind mit Plattfrost, bei dem sich alles Gewild in den Dickungen hielt. Zudem war es nicht sauber in der Gegend. Im Königlichen war ein altes Rottier zuschanden geschossen, in unserer Jagd fand ich den Aufbruch eines Bockes, in der Nachbarjagd waren drei Rehe abgängig. Und es gab keine Möglichkeit, die Wilderer zu spüren.

Wer die Freischützen waren, wußte kein Mensch. Von den ansässigen Leuten wilderte niemand; das war uns sicher bekannt. Die Wilderer mußten unter den fremden Arbeitern sein, die bei den Bohrtürmen zu tun hatten. Einer von ihnen hatte sich in verdächtiger Weise im Königlichen umhergetrieben. Der Förster stellte den Mann, fand aber keine Waffe bei ihm.

Ich will heute den Jagdhüter vertreten. Acht Nächte ist er in kein Bett gekommen. Und heute, am Heiligen Abend, möchte er bei Weib und Kind bleiben. Er tat so, als wollte er ablehnen; aber als ich ihm sagte: »Mensch, Thies, Neuschnee und Mond, was Schöneres gibt es nicht für mich! Und was soll ich an diesem Abend im Kruge? Da sitze ich den Leuten doch bloß im Wege,« da bedankte er sich sehr und seine hübsche Frau bekam ganz blanke Augen vor Freude.

Und nun bin ich allein mit mir in der weißen, weiten, weglosen Heide. Es ist so schneehell, daß ich weit sehen kann, zumal alle Sterne da sind. Ich habe mir das weiße Zeug übergezogen, das Gesicht dick eingepudert, und da Kappe und Handschuhe auch weiß sind und Rucksackträger und Gewehrriemen ebensolche Überzüge tragen, so bin ich gänzlich unsichtbar und auch fast unhörbar, da ich Schneereifen unter die Schuhe gebunden habe. Zwanzig Gänge von mir geht der Briefträger vorüber, ohne mich wahrzunehmen. Als sein Hund, der meine Witterung bekommen hat, mich aber nicht äugen kann, sich ängstlich an ihn drängt, bleibt der Mann stehen, sieht sich um, schüttelt den Kopf und geht etwas schneller weiter.

Ich gehe in seiner Spur entlang, bis ich auf der Höhe bin. Da bleibe ich stehen und sehe mich um. Wunderlich sehen die halbverschneiten großen Machangeln und die Krüppelfuhren aus und von dem hohen Brahm ist nichts zu erkennen, als einige wenige Ruten, die wie schwarze Spieße aus dem Schnee starren. Das Heidkraut, das hier kniehoch steht, ist völlig verdeckt; ganz wenige besonders lange Büsche stehen wie schwarze Gespensterchen in der weißen, silbern blitzenden Fläche, von der sich hier und da, vom Schnee gebogen, die fahlgelben Benthalme abheben.

Schneller gehe ich voran. Keine Fährte und nicht eine einzige Spur ist zu erblicken, kein Stück Wild ist zu sehen. Selbst hier, wo der Hauptwechsel von der Wohld nach der Feldmark hinführt, steht keine Fährte im Schnee. Aber ein Mensch scheint dort unter der krausen Fuhre zu lauern. Ich nehme das Glas vor den Kopf und stecke es wieder in die Tasche; der halbverschneite Machangel hat mich genarrt. Und wieder hole ich es hervor und tue es abermals fort; ich glaubte ein Stück Wild zu erkennen; das war auch nur ein Machangelbusch. Endlich, als ich schon fast vor der Wohld bin, sehe ich drei Rehe dahinziehen. Unsicher und verstört benehmen sie sich; der erste schwere Schneefall hat sie unvertraut gemacht. Ich warte, bis sie tief im Felde sind, und gehe dann über die Brücke dem Pirschsteige zu, der hinter dem Bache vor den Wiesen hinführt.

Feierlich still ist es im Walde, und so festlich hell. Der Bach plaudert verstohlen, und wenn ein Schneeballen aus den Kronen fällt, so ist das weithin vernehmbar. Mir ist, als dürfte ich nur ganz leise auftreten und müßte den Atem anhalten, um den schlafenden Wald nicht aufzuwecken, und ich erschrecke mich beinahe, als ein Ast gegen den Gewehrlauf schlägt, gleich als hätte ich eine Ungehörigkeit begangen. Dann aber bleibe ich stehen und lausche; in der äußersten Ecke der Jagd, vor dem Königlichen, schmält ein Reh anhaltend. Es ist möglich, daß es vor den Sauen warnt; es kann aber auch einen Menschen gewittert haben, vielleicht den Forstaufseher, oder einen von der Bande, die hier ihr Unwesen treibt. Jedenfalls ist es nötig, daß ich darauf zugehe. Ich eile nach der nächsten Bahn und gehe schnell auf ihr entlang.

Hier ist es noch schöner als auf dem engen Pirschsteige. Rechts und links ragen die alten Fuhren hoch empor; auf ihren dunklen Häuptern tragen sie Schneekappen. Aber ich habe keine Zeit, mich an ihnen zu erfreuen, und an den stolzen Fichten, den trotzigen Eichen und den Buchen, die dann kommen, bevor der große Kahlschlag beginnt. Ich sehe nur die Bahn entlang, ob Wild darauf steht, und ob ich eine Menschenfährte antreffe. Hasen spüre ich zweimal, einmal den Fuchs, mehrfach Rehzeug und zuletzt auch Rotwild, ein altes Tier und ein Kalb. Zu Blick bekomme ich aber nichts, außer einem Hasen, der dicht vor mir über den Graben setzt und sofort entsetzt denselben Weg zurücknimmt.

Am Kreuzgestell bleibe ich unter der Zwillingsbuche stehen und stopfe mir eine frische Pfeife. Nach vier Richtungen kann ich von hier aus sehen und weithin, denn nun ist auch der Mond da. Mir gegenüber in dem Jagen bricht es leise; dort tritt Wild umher. Ganz hinten über die Hauptbahn schleicht der Fuchs. Leicht könnte ich ihn zu der Kanzel, die in die Buche hineingebaut ist, heranmäuseln; doch ich mag heute, in dieser stillen weißen Nacht, nicht schießen. Auf das Quergestell tritt ein starkes Reh hinaus, sichert eine Zeit, schlägt dann den Schnee von den Himbeeren, verbeißt sie und zieht in das nächste Jagen, wo ich es noch eine Weile herumtreten höre, bis ein morscher Ast, den der Schnee abbricht, und der rauschend in die Schießholzbüsche fällt, es verjagt. Ich sehe es über das Gestell flüchten. Auch mir hat das Gepolter die Ruhe genommen und ich gehe auf der Hauptbahn weiter, auf der der Schnee im Mondenlichte flimmert und funkelt, als wäre Diamantstaub darüber verschüttet, und die von den Schatten der Fuhren blau gestreift ist.

Wo der Bach die Bahn schneidet, bleibe ich auf dem Stege stehen und sehe in das Wasser der Furt, das mit lauter silbernen Ringen spielt und leise murmelt, und nach dem mächtigen, vierfachen Hülsenbusch, dessen blankes Laubwerk über und über voller schimmernder Korallen hängt. Just will ich weiter, da bricht es ganz laut zur Rechten und drei Stück Kahlwild treten vor mich hin, verhoffen einen Augenblick und poltern in die gegenüberliegende Dickung; ich sehe, daß mein Pfeifenrauch vor mir herweht. Noch einmal bricht es zur Linken, zieht näher und fährt von dannen. Auch dieses Stück hat Wind von mir bekommen. Es ist nicht unmöglich, daß es der starke, geweihlose Hirsch ist, hinter dem ich her bin; doch mir ist es lieber, wenn er mir heute nicht kommt. Ganz ohne Vorsicht gehe ich wieder weiter.

Jetzt bin ich an der Grenze und sehe die Bahn hinauf und hinab. Ganz oben bewegt sich ein Schatten im königlichen Holze. Erst denke ich, es sei ein Stück Wild, dann erkenne ich, daß es ein Mensch ist, der sich auf dem Pirschsteige nach mir hin bewegt. Einen Augenblick geht mir ein peinliches Gefühl über die Brust; es wäre mir nicht recht, müßte ich heute einen Wilderer stellen. Aber dann habe ich es heraus, daß es der Forstaufseher ist; die lange, dürre Gestalt und der echte Waldläufergang verkennt sich nicht. Als er auf fünfzig Gänge heran ist, lasse ich halblaut den Jagdpfiff ertönen. In demselben Augenblicke verschwindet er hinter einem Stamme und geht in Anschlag. Ich rufe seinen Namen und nenne den meinigen, und sofort ist er wieder da, weiß erst nicht, wo er mich suchen soll, weil das weiße Zeug mich unsichtbar macht, aber dann gewahrt er mich, kommt lachend auf mich zu und gibt mir die Hand.

»Auf Wilddiebstreife?« fragt er. Ich nickte. »Nichts gespürt?« Ich schüttelte den Kopf und sagte ihm dann, daß ich vorhin einen Schuß in dieser Ecke fallen hörte. »Das war ich; ich habe im Jagen Dreizehn einen Marder geschossen, einen ganz alten. Wollen Sie ihn sehen? Ich habe ihn in der Köte.« Ich sage freudig zu, denn nun habe ich doch Gesellschaft, gute Gesellschaft, denn der lange Möller ist ein Mann nach meinem Herzen, und da er auch niemand auf der Welt hat, so passen wir gut zusammen heute. Eine Stunde gehen wir auf der verschneiten Bahn entlang, dann sind wir am Platze. Bald brennt der kleine Kanonenofen und es wird gemütlich in der Jagdbude, zumal Rotwein und Zucker nicht fehlen und der frische Bach Wasser für den Punsch gibt.

Ein Stündchen essen und trinken wir und reden von Wild und Weidwerk, dann meint Möller, daß er wieder los muß, und mir ist es auch recht, denn die Wärme und der Punsch drücken auf die Augen. Das Feuer wird ausgegossen, die Köte verschlossen, und hinaus geht es abermals in die mondhelle stille Nacht.


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