Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Zwei Tage schuftete ich im Gefängnishofe. Es war schwere Arbeit, und obwohl ich mich drückte, wo es ging, war ich bald vollkommen fertig. Daran war jedoch hauptsächlich das Essen schuld. Niemand konnte bei solcher Kost schwere Arbeit leisten. Wasser und Brot, das war alles, was wir erhielten. Einmal in der Woche sollten wir Fleisch bekommen; aber es reichte nicht immer für alle, und da man doch schon allen Nährwert für die Suppe herausgekocht hatte, war es ziemlich gleichgültig, ob man einmal in der Woche den Geschmack von Fleisch in den Mund bekam oder nicht.
Ein weiterer, sehr wesentlicher Mangel an der Wasser-und-Brot-Diät war, daß wir zwar sehr viel Wasser, aber nicht Brot genug bekamen. Eine Brotration war ungefähr so groß wie zwei geballte Fäuste, und von diesen Rationen erhielt jeder Gefangene drei am Tage. Ein Gutes hatte das Wasser, das muß ich sagen: es war warm. Morgens hieß es Kaffee, mittags wurde es mit der Bezeichnung Suppe beehrt, während es abends unter dem Namen Tee auftrat. Aber deshalb war es doch immer dasselbe Wasser. Die Gefangenen nannten es ›Zauberwasser‹. Morgens war es schwarz, was daher kam, daß es mit gebrannten Brotkrumen gekocht wurde. Mittags wurde es ohne Farbe, aber mit Salz und einem kleinen Fettauge, und abends mit einer dunkelviolett-kastanienbraunen Farbe serviert, die uns unlösbare Rätsel aufgab; kurz, es war verflucht schlechter Tee, aber herrlich warmes Wasser.
Wir waren eine hungrige Gesellschaft im Erie-County-Zuchthause. Nur die für längere Zeit Internierten wußten, was reichliches Essen war; denn hätten sie die Kost erhalten, die uns, den nur zu kurzer Haft Verurteilten, zustand, so wären sie kaum in der Lage gewesen, ihre Strafe lebend zu verbüßen. Sie erhielten also ein bedeutend nahrhafteres Essen, und da wir ihrer mehrere in unserer Halle hatten, so konnte ich als Vertrauensmann beim Austeilen der Rationen mancherlei für mich beiseitebringen. Der Mensch kann eben nicht von Brot allein leben, wenn er davon nicht mal genug bekommt.
Mein Kamerad hielt Wort. Nach zweitägiger Arbeit auf dem Gefängnishof wurde ich aus meiner Zelle herausgeholt und zum Vertrauensmann gemacht. Morgens und abends mußten wir den Gefangenen das Brot in die Zellen bringen, um zwölf aber geschah die Verteilung auf eine andre Weise: Die Gefangenen kamen in einer langen Reihe von der Arbeit hereinmarschiert. Beim Eintreten wurde die Kette aufgelöst, und jeder nahm die Hände von den Schultern seines Vordermannes. Drinnen hatten sich der erste Vertrauensmann und die beiden Vertrauensmänner zweiten Ranges mit großen Mulden voll Brot aufgestellt. Ich war einer der beiden. Wir mußten die Mulden halten, während die Sträflinge vorbeidefilierten. Sobald die Mulde, die der eine hielt, leer war, nahm der andere seinen Platz mit einer vollen Mulde ein. Und so kam die ganze Bande, einer nach dem andern, vorbeigetrabt, und jeder streckte die linke Hand aus und nahm eine Ration Brot aus der Mulde.
Der erste Vertrauensmann hatte ein besonderes Amt. Er trug eine Keule, stand neben der Mulde und paßte auf. Die hungrigen armen Teufel konnten nie von der irrigen Vorstellung abgebracht werden, daß sie gelegentlich Glück haben und zwei Rationen aus der Mulde erwischen könnten. Solange ich da war, hatten sie nie das Glück. Schnell wie die Tatze eines Tigers fuhr die Keule des ersten Vertrauensmannes herab und traf die Hand, die so kühn gewesen war, den Versuch zu wagen. Der erste Vertrauensmann hatte einen guten Blick für Entfernungen, und seine Keule mochte schon viele Hände getroffen haben. Er traf nie daneben, und dazu strafte er den Sünder in der Regel noch, indem er ihm die eine, ihm gebührende Ration auch noch nahm und ihn in die Zelle schickte, wo er seinen Hunger mit dem warmen Wasser stillen konnte.
Manchmal habe ich, während alle diese Leute in ihren Zellen lagen und hungerten, gesehen, wie an hundert Rationen in die Zellen der Vertrauensmänner wanderten. Es mag sinnlos scheinen, daß wir all das Brot zurückhielten. Aber das war eine unserer kleinen Nebeneinnahmen. In ökonomischer Beziehung beherrschten wir unsere Halle, und die Art, wie wir unser Geschäft betrieben, hatte viel Aehnlichkeit mit den Methoden, die die großen Finanzmänner unter zivilisierten Verhältnissen anwenden. Wir beherrschten die Lebensmittelzufuhr der ganzen Bevölkerung, und genau wie die andern Banditen draußen, ließen wir das Volk ganz wahnsinnige Preise dafür bezahlen. Mit dem Brot machten wir Geschäfte. Einmal wöchentlich erhielten die Leute, die im Hofe arbeiteten, für fünf Cent Kautabak. Dieser Kautabak war die Landesmünze. Zwei bis drei Rationen Brot für ein Stück Kautabak – das war die Regel, und sie ließen sich auf das Geschäft ein, nicht, weil sie sich weniger aus dem Tabak, sondern weil sie sich mehr aus dem Brot machten. Oh, ich weiß gut, daß es dasselbe war, als wenn man einem kleinen Kinde Bonbons stehlen wollte; aber was soll man dazu sagen? Man mußte doch leben. Und selbstverständlich muß man doch gewisse Vorteile davon haben, daß man im Besitz von Initiative und Unternehmungslust ist. Zudem taten wir ja nur, was Leute, die weit über uns standen, außerhalb der Gefängnismauern taten; Leute, die es in größerem Maßstabe und respektablen Verkleidungen als Kaufleute, Bankiers und Industriefürsten ganz ebenso wie wir machten. Wie schrecklich sich übrigens das Dasein für die armen Teufel geformt hätte, wenn wir nicht gewesen wären, kann ich mir gar nicht vorstellen. Der Himmel weiß, daß wir im Erie-County-Zuchthause Brot in Umlauf brachten. Und dabei mahnten wir zur Genügsamkeit und Sparsamkeit – natürlich die armen Teufel, die sich daran gewöhnten, ihren Tabak zu entbehren. Und schließlich unser Beispiel! In jedem Sträfling erweckten wir den Ehrgeiz, unserm Beispiel zu folgen und sich selbst einen solchen Posten zu verschaffen. Retter der Gesellschaft – wahrhaftig!
Da war ein Hungriger, der keinen Tabak hatte. Vielleicht ein Verschwender, der seine ganze Ration selbst verbraucht hatte. Schön, aber er besaß ein Paar Hosenträger. Ich gab ihm ein halbes Dutzend Rationen Brot dafür. Nun trug ich zwar selbst nie Hosenträger, aber das machte nichts. Um die Ecke wohnte ein Mann, der zehn Jahre wegen Totschlags abzusitzen hatte. Er brauchte ein Paar Hosenträger. Ich konnte etwas Fleisch von ihm dagegen eintauschen, und Fleisch war etwas, was ich brauchte. Oder vielleicht hatte er einen zerlesenen Roman in Heften. Das war ein wahrer Schatz. Ich konnte ihn selber lesen und dann wieder bei den Bäckern für Kuchen oder bei den Köchen gegen Fleisch und Gemüse eintauschen, oder ich konnte von den Heizern eine ordentliche Kanne Kaffee oder bei irgend jemandem eine der Zeitungen dafür erhalten, die hin und wieder ins Gefängnis kamen – der Himmel mochte wissen, wie. Köche, Bäcker und Heizer waren Gefangene wie ich, sie wohnten in unserer Halle in der ersten Zellenreihe über uns. Kurz, es wurde ein umfangreicher Tauschhandel im Erie-County-Zuchthause betrieben. Sogar bares Geld war im Umlauf. Es wurde hin und wieder von den Gefangenen eingeschmuggelt, die nur kurze Zeit zu sitzen hatten; ein Teil kam aus der Barbierstube, wo die Neuen ihren Zoll entrichten mußten, weitaus das meiste aber brachten die Gefangenen, die lange Strafen hatten – obwohl ich keine Ahnung habe, wie sie dazu kamen.
Der erste Vertrauensmann sollte durch seine Stellung zu Wohlstand gekommen sein. Außer seinen verschiedenen anderen ›Bantjes‹ bezog er auch von uns seine Sporteln. Wir nutzten das allgemeine Elend aus, und der erste Vertrauensmann war unser Hauptmann. Wir hatten unsere Nebeneinnahmen durch seine Gnade und mußten für die Konzession bezahlen. Wie gesagt, er sollte wohlhabend sein, aber wir hatten nie sein Geld gesehen, und er wohnte in einer Zelle für sich, in einsamer Majestät.
Daß man aber Geld im Gefängnis verdienen konnte, das hatte ich bald heraus, denn ich war eine Zeitlang Zellenkamerad des dritten Vertrauensmannes, und er besaß rund sechzehn Dollar. Er pflegte sein Geld jeden Abend nach neun zu zählen, wenn wir eingeschlossen worden waren. Er erzählte mir auch jeden Abend, was er mit mir machen wollte, wenn ich zu den andern Vertrauensmännern aus der Schule plauderte. Er war bange, bestohlen zu werden, und ihm drohte tatsächlich von mehreren Seiten Gefahr. Erstens von den Gefängniswärtern. Ein paar von ihnen konnten zusammen über ihn herfallen und ihm unter dem Vorwand, daß er aufsässig geworden wäre, eine tüchtige Tracht Prügel versetzen. Dann konnten sie ihn in die Dunkelzelle werfen, und bei der Gelegenheit waren seine sechzehn Dollar verduftet. Ferner konnte der erste Vertrauensmann ihm die ganze Summe durch die Drohung abpressen, ihn zu verabschieden und zu der schweren Arbeit im Gefängnishofe zurückschicken. Und dann waren schließlich noch wir zehn gewöhnlichen Vertrauensmänner da. Wenn wir etwas von seinem Reichtum merkten, so bestand die große Möglichkeit, daß wir ihn eines Tages gemeinsam in einen Winkel lockten und kurz und klein schlugen. Oh, wir waren Wölfe, das könnt ihr mir glauben – genau wie die Geschäftsleute in Wall-Street.
Ja, er hatte seine Gründe, sich vor uns zu fürchten, und ich hatte die meinen, vor ihm bange zu sein. Er war ein mächtiger Kerl und ein unwissendes Geschöpf, ein früherer Austernräuber von der Chesapeakebai, ein alter Sträfling, der fünf Jahre in Sing-Sing gesessen hatte und ein blödes, gefräßiges Vieh war. Er pflegte Schlingen für die Spatzen zu legen, die zwischen den Eisenstangen hindurch in unsere Halle flogen. Fing er einen, so machte er, daß er damit in seine Zelle kam, wo ich gesehen habe, wie er sie verschlang, wobei er die Knochen zwischen den Zähnen zermalmte und die Federn ausspuckte. O nein, ich hütete mich wohl, zu den andern Vertrauensmännern aus der Schule zu plaudern! Dies ist das erstemal, daß ich etwas von seinen sechzehn Dollar sage.
Aber ich verschaffte mir doch einen kleinen Verdienst durch ihn. Er war verliebt in eine Insassin des Frauengefängnisses. Er konnte weder lesen noch schreiben, und so pflegte ich ihm ihre Briefe vorzulesen und seine Antworten zu schreiben. Und ich ließ mich gut dafür bezahlen. Aber die Briefe waren auch schön! Ich legte mein ganzes Herz hinein, brachte meine besten Schlager an und mehr noch, ich half ihm, sie zu gewinnen, obwohl ich eine geheime Ahnung habe, daß sie eigentlich nicht in ihn, sondern in den demütigen Briefschreiber verliebt war. Und ich sag' es noch einmal: die Briefe waren großartig.
Eine andere unserer kleinen Nebeneinnahmen war das ›Luntenmachen‹. Wir waren die Himmelsboten, die den Kameraden in dieser unerbittlichen Welt von Riegeln und Eisenstangen das Feuer brachten. Wenn die Gefangenen des Abends von der Arbeit kamen und in ihre Zellen gesperrt wurden, so wollten sie gern rauchen. Dann schenkten wir ihnen den himmlischen Funken, liefen von Zelle zu Zelle mit unsern glimmenden Lunten die Galerien entlang. Die Gewitzten oder die, mit denen wir Geschäfte machten, hielten ihre eigenen Lunten bereit. Aber nicht alle profitierten von dem himmlischen Funken. Wer so dumm war, daß er nichts dafür geben wollte, mußte ohne Feuer und Tabak in die Falle gehen. Doch was ging das uns an? Wir hatten ihn in der Klemme; muckte er auf, so gaben wir ihm zu zweit oder dritt eine Portion Hiebe.
Die Prinzipien, nach denen wir Vertrauensmänner vorgingen, waren folgende: Wir waren im ganzen dreizehn Mann. In unserer Halle hatten wir gegen tausend Gefangene. Wir mußten die Arbeit verrichten und Ordnung halten. Letzteres war eigentlich Sache der Wärter, aber sie überließen es uns. Folglich hatten wir für Ordnung zu sorgen; taten wir es nicht, so wurden wir wieder an die schwere Arbeit befördert und erhielten vielleicht noch als Zugabe einen Vorgeschmack von der Dunkelzelle. Solange wir aber Ordnung hielten, konnten wir unsere kleinen Geschäfte betreiben.
Man denke einmal ruhig nach und überlege, was für ein Problem wir zu lösen hatten. Wir waren dreizehn Bestien, die tausend andere Bestien zu bewachen hatten. Es war eine Hölle auf Erden, dies Gefängnis, und wir dreizehn sollten für Ordnung darin sorgen. Wenn man das Wesen dieser Bestien bedenkt, so ist es klar, daß wir sie unmöglich mit Milde regieren konnten. Wir regierten kraft der Angst, die sie vor uns hegten. Selbstverständlich hatten wir die Wärter im Rücken. Im Notfalle konnten wir Hilfe von ihnen bekommen, aber sie wurden gereizt, wenn wir uns zu früh an sie wandten, und dann konnten wir sicher sein, daß sie bald handfestere Vertrauensmänner als Ersatz für uns finden würden. So wandten wir uns also nicht oft an sie, nur in aller Friedlichkeit dann, wenn sie uns eine Zelle aufschließen sollten, damit wir einen widerspenstigen Sträfling drinnen zur Vernunft bringen konnten. In solchen Fällen hatten die Wärter nichts weiter zu tun, als die Tür aufzuschließen und ihres Weges zu gehen; sie brauchten nicht zu sehen, was geschah, wenn ein halbes Dutzend Vertrauensmänner einem Manne eine kleine Zurechtweisung erteilte.
Bezüglich der näheren Einzelheiten bei diesen Zurechtweisungen sage ich nichts. Und schließlich gehörten sie auch nur zu den weniger schlimmen Schrecken des Erie-County-Zuchthauses, Schrecken, die einfach nicht im Druck wiederzugeben sind. Ich sage, daß sie nicht im Druck wiederzugeben sind, und ehrlich gestanden, muß ich sagen, daß man sie sich nicht einmal denken kann. Ich hätte sie mir jedenfalls nicht denken können, wenn ich sie nicht selbst erlebt hätte, und ich war doch kein grüner Junge in bezug auf die Vorkommnisse in dieser Welt und die fürchterlichen Abgründe menschlicher Schlechtigkeit. Es gehörte eine lange Lotleine dazu, um den Grund des Erie-County-Zuchthauses zu erreichen, und ich bewege mich hier nur ganz leicht und spielend an der Oberfläche alles dessen, was ich an diesem Orte sah.
Manchmal, zum Beispiel morgens, wenn die Gefangenen herunterkamen, um sich zu waschen, waren wir dreizehn tatsächlich ganz allein zwischen ihnen, von denen jeder einzelne ein Hühnchen mit uns zu rupfen hatte. Dreizehn gegen fünfhundert, die wir nur durch die Furcht vor uns im Zaume hielten! Wir durften nicht die kleinste Reglementswidrigkeit, nicht die geringste Unverschämtheit durchlassen. Taten wir es, so waren wir verloren. Für uns galt nur eine Regel: Sobald ein Mann den Mund aufmachte, loszuschlagen, und zwar kräftig mit dem, was wir gerade zur Hand hatten. Ein Besenstiel, direkt ins Gesicht gestoßen, übte eine sehr beruhigende Wirkung aus. Aber das war nicht alles. In solchem Falle mußte ein Exempel statuiert werden, und daher war unsere nächste Regel, daß wir auf den Mann losgingen und unsern Sieg verfolgten. Natürlich war man sicher, daß jeder Vertrauensmann, der in der Nähe war, sofort herbeilief und sich an der Abstrafung beteiligte; das war auch eine Regel. Wenn ein Vertrauensmann mit einem Gefangenen etwas vorhatte, so war es die Pflicht jedes andern Vertrauensmannes in der Nähe, ihm zu helfen. Um was es sich auch handeln mochte – man mußte darauflosfahren und zuschlagen, kurz, der Mann mußte sein Teil kriegen.
Ich erinnere mich eines hübschen jungen, etwa zwanzigjährigen Mulatten, der die verrückte Idee hatte, daß er sein Recht haben wollte. Und eigentlich war er auch im Recht, aber das half ihm nicht das geringste. Er gehörte zur obersten Galerie. Acht Vertrauensmänner erledigten seine Zuversicht in ungefähr anderthalb Minuten, so lange dauerte es, bis er von der Galerie die fünf Eisentreppen hinuntergestoßen war. Er legte diese Strecke auf jedem Körperteil mit Ausnahme der Füße zurück, und die acht Vertrauensmänner waren nicht faul. Der Mulatte landete auf den Fliesen, wo ich stand und den Auftritt verfolgte. Er kam auf die Beine und stand einen Augenblick aufrecht da. Dann breitete er die Arme aus und stieß einen Schrei aus, in dem sich Schrecken, Schmerz und völlige Hoffnungslosigkeit mischten, und im selben Augenblick – es war wie die Nummer eines Verwandlungskünstlers – fielen die Lumpen, die von seiner schweren Gefängnistracht übriggeblieben waren, und er stand vollkommen nackt mit blutüberströmten Körper da. Er hatte seine Lehre erhalten, und jeder Gefangene, der ihn schreien hörte, mit ihm. Und ich auch. Es war kein schöner Anblick, wie der Mann in anderthalb Minuten vollkommen gebrochen wurde.
Das Folgende soll zeigen, wie wir das Geschäft mit dem ›Luntenmachen‹ betrieben. Eine ganze Schar Neuer wird in die Zellen gebracht. Man geht mit seiner Lunte an den Eisenstangen vorbei. »He, Kamerad, gib mir ein bißchen Feuer!« ruft einer. Daraus ersieht man natürlich, daß der Mann Tabak bei sich hat. Man reicht die Lunte hinein und geht weiter. Kurz darauf kommt man zurück und lehnt sich nachlässig gegen das Gitter. »Sag', Kamerad, kannst du mir ein bißchen Tabak leihen?« Wenn er nicht sehr gerissen ist, wird er aller Wahrscheinlichkeit nach feierlich erklären, daß er keinen Tabak mehr hat. Soweit ist alles gut. Man bedauert ihn und geht seines Weges. Aber man weiß, daß seine Lunte nur für den einen Tag reicht. Wenn man am nächsten Tage vorbeikommt, sagt er wieder: »He, Kamerad, gib mir ein bißchen Feuer!« Und man antwortet: »Du hast ja keinen Tabak, da brauchst du auch kein Feuer.« Und man gibt ihm nichts. Wenn man eine halbe Stunde oder eine ganze oder zwei oder drei Stunden später wieder vorbeikommt, dann ruft derselbe Mann mit einschmeichelnder Stimme heraus: »Komm mal her, Kamerad!« Und man geht zu ihm. Man streckt die Hand durch das Gitter, und sie wird mit teurem Tabak gefüllt. Dann erst gibt man ihm Feuer.
Zuweilen kommt aber auch ein Neuer, mit dem man es nicht so machen darf. Dann geht insgeheim der Bescheid von Mann zu Mann, daß er ordentlich behandelt werden soll. Wo dieser Bescheid ursprünglich herkommt, habe ich nie erfahren können. Es ist aber einleuchtend, daß der Mann die richtigen Verbindungen hat. Vielleicht mit einem der ersten Vertrauensmänner, vielleicht mit einem der Wächter in einem andern Teil des Hauses; vielleicht haben ihm auch wohlhabende Bekannte unter den Sträflingen für Geld eine gute Behandlung gesichert. Wie dem auch sei, so wissen wir jedenfalls, daß wir ihn ordentlich zu behandeln haben, wenn wir uns nicht selbst Unannehmlichkeiten zuziehen wollen.
Wir Vertrauensmänner waren die Zwischenhändler und überbrachten im allgemeinen die Nachrichten von einem zum andern. Wir vermittelten den Tauschhandel zwischen den Gefangenen, die in verschiedenen Abteilungen des Gefängnisses saßen, und selbstverständlich nahmen wir unsere Prozente vom Absender wie vom Empfänger. Zuweilen waren wenigstens sechs Vermittler nötig, ehe etwas den erreichte, der es haben sollte. Und jeder von ihnen beanspruchte seinen Teil an der Beute oder machte sich selbst irgendwie für seine Mühe bezahlt. Zuweilen war man andern für geleistete Dienste etwas schuldig, aber dann konnte es wieder umgekehrt kommen. So war ich, als ich ins Kittchen kam, dem Sträfling, der meine Sachen hereingeschmuggelt hatte, etwas schuldig. Etwa eine Woche darauf steckte mir ein Heizer einen Brief in die Hand. Er hatte ihn von dem Barbier erhalten, und der Barbier hatte ihn wieder von dem Sträfling bekommen, der meine Sachen eingeschmuggelt hatte. Weil ich sein Schuldner war, sollte ich den Brief weiterbesorgen. Aber er hatte den Brief nicht selbst geschrieben. Der ursprüngliche Absender war ein Sträfling, der eine längere Reihe von Jahren hatte. Der Brief war an eine Gefangene im Frauengefängnis gerichtet. Ob er aber für sie bestimmt oder ob sie selbst nur ein Glied in der langen Kette von Zwischenhändlern war, das wußte ich nicht. Ich wußte nur, wie sie aussah, und hatte dafür zu sorgen, daß der Brief in ihre Hände gelangte.
Zwei Tage trug ich den Brief mit mir herum, aber dann fand ich Gelegenheit, ihn abzuliefern. Die Arbeit der Frauen bestand im Flicken und Stopfen der Kleider aller Sträflinge. Mehrere Vertrauensmänner aus unserer Halle sollten zur Frauenseite hinüber, um mächtige Bündel Kleider zu holen. Ich vereinbarte mit dem ersten Vertrauensmann, daß ich mitgehen durfte. Tür auf Tür wurde uns aufgeschlossen, und wir durchwanderten das ganze Gefängnis bis zur Frauenseite. Wir kamen in einen großen Raum, wo die Frauen bei ihrer Flick- und Stopfarbeit saßen. Ich starrte mir beinahe die Augen aus dem Kopfe, um die Frau zu finden, die mir beschrieben worden war, und schließlich fand ich sie und richtete es so ein, daß ich in ihre Nähe kam. Zwei Wärterinnen beobachteten mit Falkenblicken alles, was wir taten. Ich hielt den Brief in meiner Hand verborgen, und ich sah der Frau an, daß sie in mir den Überbringer einer Nachricht erkannte. Sie wußte, daß ich etwas für sie hatte; sie mußte es erwartet und im selben Augenblick, als wir eintraten, erraten haben, wer der Überbringer war. Aber die eine Wärterin stand kaum zwei Fuß von ihr entfernt. Die Vertrauensmänner hoben schon die Bündel auf, die sie mitnehmen sollten. Ich übereilte mich nicht, tat aber, als wäre mein Bündel nicht richtig zugebunden. Wollte die Wärterin denn gar nicht wegschauen? Oder sollte der Versuch mißglücken? Aber im selben Augenblick begann eine andere Frau ein scherzhaftes Scharmützel mit einem der Vertrauensmänner – sie stellte ihm ein Bein, kniff ihn oder sonst etwas. Die Wärterin drehte sich um und erteilte der Frau eine scharfe Zurechtweisung. Selbstverständlich weiß ich nicht, ob es ein abgekartetes Spiel war, um ihre Aufmerksamkeit abzulenken, aber ich wußte jedenfalls, daß ich jetzt eine Gelegenheit hatte, die ich mir nicht entgehen lassen durfte. Die Frau, die ich im Auge hatte, ließ die Hand, die bisher in ihrem Schoße geruht, an der Seite heruntergleiten. Ich beugte mich herab, um mein Bündel aufzunehmen, und während ich so gebückt dastand, steckte ich ihr den Brief in die Hand und erhielt einen andern von ihr wieder. Im nächsten Augenblick hatte ich das Bündel auf dem Rücken. Die Wärterin hatte mir wieder ihre Aufmerksamkeit zugewandt, weil ich der letzte war, und ich machte, daß ich meine Kameraden einholte. Den Brief, den ich von der Frau erhalten hatte, lieferte ich dem Heizer ab; von ihm aus ging er an den Barbier und an den Sträfling, der meine Sachen eingeschmuggelt hatte, und schließlich an den ursprünglichen Absender des ersten Briefes.
Wir besorgten oft Briefe, bei denen das Vermittlungssystem so verwickelt war, daß wir weder Absender noch Empfänger kannten, wir waren nur Glieder in der Kette. Irgendwo und irgendwie konnte mir ein Gefangener einen Brief in die Hand stecken mit dem Bescheid, ihn an das nächste Glied der Kette weitergehen zu lassen. Alle diese Dinge waren Gefälligkeiten, für die man später gelegentlich bezahlt wurde, wenn man in direkte Verbindung mit dem eigentlichen Vermittler trat. Das ganze Gefängnis war ein einziges Netz von Verbindungslinien. Und wir, die wir das Verbindungssystem kontrollierten, forderten selbstverständlich hohe Abgaben von unsern Kunden – hierin, wie in vielen andern Dingen, folgten wir ja nur dem Beispiel der kapitalistischen Gesellschaft. Des Gewinnes wegen taten wir diese Arbeit, und der Verdienst war nicht zu verachten, wenn wir es auch anderseits zuweilen nicht verschmähten, diese Arbeit aus reiner Freundlichkeit zu tun.
In der Zeit, die ich im Kittchen war, schlossen mein Kamerad und ich uns immer enger aneinander. Er hatte viel für mich getan und erwartete dafür, daß ich ebensoviel für ihn tun sollte. Wenn wir herauskamen, wollten wir uns zusammentun und selbstverständlich gemeinsam ›arbeiten‹. Denn mein Kamerad war Verbrecher – o nein, kein Schwerverbrecher, nur so ein kleiner elender Verbrecher, dessen Lieblingsbeschäftigung es war, zu stehlen, zu plündern und einzubrechen, und der sich im Notfalle nicht bedacht hätte, einen Mord zu begehen. Manche Stunden saßen wir zusammen und sprachen miteinander. Er hatte ein paar Dinge vor, die wir in der nächsten Zukunft drehen wollten, und ich mußte ihm bei den Vorbereitungen helfen. Ich war oft mit Verbrechern zusammen gewesen, und mein Kamerad ließ sich nicht einen Augenblick träumen, daß ich ihn den ganzen Monat nur zum besten hielt. Er glaubte, ich sei von der richtigen Sorte, ich gefiel ihm, weil ich nicht dumm war und vielleicht auch ein wenig um meiner selbst willen. Selbstverständlich hatte ich nicht einen Augenblick die Absicht, ihm auf seiner schmutzigen, elenden Bahn zu folgen, aber ich wäre blödsinnig gewesen, wenn ich nicht die Annehmlichkeiten mitgenommen hätte, die seine Freundschaft mir verschaffen konnte. Wenn man mitten in der rotglühenden Lava der Hölle ist, kann man es nicht so genau damit nehmen, wo man hintritt, und so ging es mir im Erie-County-Zuchthause. Man mußte sehen, die Machthaber zu Freunden zu haben, wenn man nicht schwere Arbeit bei Wasser und Brot leisten wollte, und daher blieb ich gut Freund mit meinem Kameraden.
Eintönig war das Leben im Gefängnis jedenfalls nicht. Jeden Tag geschah etwas Neues; ein Gefangener hatte einen Anfall, wurde verrückt und begann um sich zu schlagen, oder ein Vertrauensmann betrank sich. In dieser Beziehung stand Wander-Jack, einer der Vertrauensmänner, an der Spitze. Er war ein ganz Ausgekochter, ein waschechter Bandit, und daher waren die ersten Vertrauensmänner sehr geneigt, ihm in jeder Beziehung durch die Finger zu sehen. Pittsburg-Joe, der zweite Vertrauensmann, genehmigte oft einen zusammen mit Wander-Jack, und die beiden sollen gesagt haben, daß das Erie-County-Zuchthaus der einzige Ort sei, wo man wirklich noch mal über die Stränge schlagen konnte, ohne daß einem etwas passierte. Ich weiß nicht, wie sie es machten, aber ich hörte, daß Bromkalium, das sie sich in großen Mengen auf Umwegen aus der Apotheke verschafften, ihr Lieblingsmittel war, um sich einen Rausch anzutrinken. Was sie nun auch tranken, bei passender Gelegenheit waren sie jedenfalls stets prachtvoll betrunken.
Unsre Halle war eine menschliche Latrine, angefüllt von dem ärgsten Dreck und Bodensatz der Gesellschaft, von degenerierten Individuen, Wracks, Irrsinnigen, Idioten, Epileptikern, Ungeheuern und Schwächlingen, kurz, einer Menschheit, die aus einem bösen Traum zu stammen schien. Daher gediehen auch unheimliche Anfälle so ausgezeichnet unter uns. Begann einer, so folgten gleich andere nach. Ich habe einmal gesehen, wie sieben Männer gleichzeitig Anfälle erlitten. Sie stießen das widerwärtigste Geheul aus und schlugen wie toll um sich. Für die Gefangenen, die solche Anfälle hatten, wurde nie etwas anderes getan, als daß man sie mit kaltem Wasser begoß. Es hatte keinen Zweck, nach dem Studenten der Medizin oder dem Arzt zu schicken; die konnte man doch nicht wegen solcher gleichgültiger und alltäglicher Vorkommnisse bemühen.
Ein achtzehnjähriger Holländer hatte diese Anfälle am häufigsten. Meist täglich einen. Deswegen hatten wir ihn im Erdgeschoß ein Stück weiter unten in der Zellenreihe, zu der wir gehörten, einquartiert. Als er ein paar Anfälle im Gefängnishof erlitten hatte, erklärten die Wärter, daß sie nun keine Scherereien mehr mit ihm haben wollten, und seitdem blieb er in seiner Zelle eingesperrt, wo ihm ein geborener Londoner Gesellschaft leistete. Nicht daß der Londoner irgendwie geholfen hätte: jedesmal, wenn der Holländer seinen Anfall hatte, war der Engländer vor Schrecken vollkommen gelähmt. Der junge Holländer konnte nicht ein einziges Wort Englisch. Er hatte auf einem Bauernhof gearbeitet und drei Monate wegen einer Prügelei bekommen. Jedesmal, wenn die Anfälle kamen, fing er zuerst an zu heulen. Er heulte wie ein Wolf. Während der Anfälle stand er steif wie ein Stock da, was sehr unangenehm für ihn war, da der Anfall stets damit endete, daß er der Länge nach hinfiel. Sobald ich die ersten Töne des langen Wolfsgeheuls hörte, pflegte ich einen Besen zu ergreifen und nach seiner Zelle zu laufen. Die Vertrauensmänner durften keine Schlüssel zu den Zellen haben, so daß es mir unmöglich war, zu ihm hineinzukommen. Er konnte mitten in seiner Zelle steif dastehen, über den ganzen Körper zittern und die Augen rollen, daß nur das Weiße sichtbar war, und dazu heulte er die ganze Zeit wie eine verlorene Seele. Trotz aller Mühe konnte ich nie den Londoner bewegen, ihm zu helfen. Während er dastand und heulte, kroch der Londoner zitternd in der oberen Koje zusammen, den entsetzten Blick starr auf die fürchterliche Gestalt, auf dieses Wesen gerichtet, das immer nur heulte und heulte. Es war schließlich auch keine Kleinigkeit für den elenden kleinen Londoner. Sein eigener Kopf war auch nicht so ganz taktfest, und es war nur merkwürdig, daß er nicht völlig den Verstand verlor.
Alles, was ich tun konnte, war, daß ich dem Holländer, so gut ich konnte, mit dem Besenstiel half. Ich steckte ihn durch das Eisengitter, richtete ihn auf seine Brust und wartete ab. Wenn die Krisis sich näherte, begann er hin und her zu schwanken. Ich folgte den Bewegungen mit dem Besen, denn es war nicht vorauszusehen, was Furchtbares geschehen konnte, wenn er nach vorn aufs Gesicht fiel. Wenn er es aber tat, paßte ich mit dem Besen auf und versuchte damit den Fall zu dämpfen. Aber wie ich es auch machte, ich konnte es doch nie dahin bringen, daß er wirklich sachte fiel, und meistens wurde sein Gesicht von dem Fall auf den Steinboden schlimm zugerichtet. Wenn er hingefallen war, pflegte ich einen Eimer Wasser über ihn auszugießen. Ich weiß nicht, ob das kalte Wasser ihm gut tat oder nicht, aber so machten wir es immer im Erie-County-Zuchthause. Etwas andres geschah nicht für ihn. Dann konnte er stundenlang triefend daliegen, und schließlich kroch er in seine Koje. Ich war nicht so dumm, daß ich hinauslief und die Wärter bat, mir zu helfen. Und was hatte es auch zu sagen, wenn ein Mann einen Anfall hatte?
In der anstoßenden Zelle wohnte ein merkwürdiger Mensch – ein Mann, der zwei Monate hatte, weil er aus dem Schweinetrog von Barnum gegessen hatte – so erklärte er es jedenfalls. Er war ein elendes, blödes Geschöpf und im Anfang sehr friedlich und ruhig. Es verhielt sich übrigens auch so, wie er gesagt hatte. Er war hinter den Zirkus gekommen, und da er sehr hungrig war, war er geradeswegs auf den Trog losgegangen, in dem sich der Abfall vom Tisch der Zirkusleute befand. »Und es war wirklich gutes Brot«, versicherte er mir ein Mal über das andre, »gar nicht zu reden vom Fleisch.« Ein Polizist hatte ihn gesehen und festgenommen, und nun saß er hier.
Einmal ging ich mit einem Stückchen dünnen, festen Stahldraht an seiner Zelle vorbei. Er bat mich so inständig darum, daß ich es ihm durch das Gitter hineinreichte. Ohne andres Werkzeug als seine Finger brach er es schnell in kleine Stücke und machte dann ein halbes Dutzend sehr brauchbare Sicherheitsnadeln daraus. Die Spitzen schliff er auf dem Steinboden scharf. Von jetzt an betrieb ich ein richtiges Geschäft mit Sicherheitsnadeln. Ich lieferte das Rohmaterial und verhandelte die Fertigware, und er verrichtete die Arbeit. Ich bezahlte ihn dafür mit Extrabrotrationen und gelegentlich einem Stückchen Fleisch oder einem Markknochen.
Aber das Gefängnisleben nahm ihn sehr mit, und allmählich wurde er ganz unlenkbar. Die Vertrauensmänner machten sich ein Vergnügen daraus, ihn zu necken. Sie füllten seinen schwachen Kopf mit Geschichten von einem großen Vermögen, das ihm irgend jemand hinterlassen hätte. Um es ihm zu rauben, wäre er festgenommen und ins Gefängnis gebracht worden. Selbstverständlich gäbe es, wie er selbst wohl wüßte, kein Gesetz, das verbot, aus einem Schweinetrog zu essen. Daher wäre er zu Unrecht ins Gefängnis gekommen. Es sei ein Komplott, das man geschmiedet habe, um ihn um sein Geld zu bringen.
Ich erfuhr erst davon, als ich die andern über die Geschichte lachen hörte, die sie ihm aufgebunden hatten. Dann konferierte er sehr ernsthaft mit mir und erzählte mir von seinen Millionen und dem Komplott, und im Laufe des Gesprächs ernannte er mich zu seinem Privatdetektiv. Ich tat, was ich konnte, um ihn sanft aus seinem Wahn zu reißen, machte einige dunkle Andeutungen, daß es wohl ein Irrtum und daß ein andrer Mann mit dem gleichen Namen der Erbe wäre. Als ich ihn verließ, war er ganz abgekühlt, aber ich konnte die andern nicht von ihm weghalten, sie machten sich weiter über ihn lustig, und zwar schlimmer als je. Zuletzt hatte ich eine Szene mit ihm, in der er ganz mit mir brach, mir erklärte, daß er mich nicht mehr als Privatdetektiv haben wollte, und die Arbeit niederlegte. Damit hörte mein Geschäft mit den Sicherheitsnadeln auf. Er weigerte sich, weitere Nadeln zu machen, und bombardierte mich jedesmal, wenn ich bei ihm vorbeikam, durch das Gitter mit Rohmaterial.
Unsre Freundschaft war für immer aus. Die andern erzählten ihm, ich wäre ein Detektiv, der im Solde derer stehe, die sich gegen ihn verschworen hatten. Und unterdessen machten sie ihn ganz verrückt mit ihren Geschichten. Das eingebildete Unrecht, das man ihm zugefügt hatte, nagte an ihm, und zuletzt wurde er vollkommen toll und gefährlich für seine Umgebung. Die Wärter weigerten sich, seine Geschichten von den gestohlenen Millionen anzuhören, und wurden daher von ihm beschuldigt, mit im Komplott zu sein. Eines Tages warf er einem von ihnen eine Kanne heißen Tee ins Gesicht, und nun wurde die Sache untersucht. Der Gefängnisinspektor sprach ein paar Minuten mit ihm durch das Gitter.
Dann wurde er fortgeführt, damit sich die Ärzte eine Meinung von ihm bilden konnten. Er kam nie wieder, und ich denke oft darüber nach, ob er tot ist, oder ob er immer noch in irgendeiner Irrenanstalt von seinen Millionen erzählt.
Schließlich kam der große Tag, an dem ich in Freiheit gesetzt werden sollte. Am selben Tage wurde auch der dritte Vertrauensmann losgelassen, und das Mädchen, das ich ihm verschafft hatte, stand vor der Mauer und wartete auf ihn. Mein Kamerad und ich gingen zusammen hinaus, und wir gingen miteinander nach Buffalo. Sollten wir beide nun nicht immer zusammenbleiben, jetzt und in aller Zukunft?
An diesem Tage gingen wir die Hauptstraße entlang und fochten gemeinsam, und was wir an Kupfergeld erbettelten, verbrauchten wir für Bier; ein Seidel kostete drei Cent. Aber die ganze Zeit wartete ich auf die Möglichkeit, um zu entwischen. Ich traf einen Vagabunden in der Straße, und es glückte mir, von ihm zu erfahren, wann ein bestimmter Güterzug die Stadt verließ. Hiernach berechnete ich meine Zeit.
Als der Augenblick kam, saßen mein Kamerad und ich in der Wirtschaft, vor uns standen zwei Seidel schäumenden Bieres. Ich hätte mich gern von ihm verabschiedet, aber ich wagte es nicht. Ich schlich mich zur Hintertür hinaus und sprang über das Gitter. Es ging aber schnell, und ein paar Minuten später befand ich mich in einem Güterzuge der Western-New-York- und Pensylvania-Bahn und fuhr nach dem Süden.