Jack London
Tal des Mondes
Jack London

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Es war in der ersten Zeit auf der Madronjoranch, und Frau Mortimer war gerade zu ihrem zweiten Besuch gekommen, als Billy eines Tages mit einer ganzen Wagenladung Wasserröhren kam und Haus, Hühnerhof und Scheune mit Wasser aus den Reservoirs, die er unterhalb der Quelle anlegte, versorgte.

»Huh! Ich weiß meinen Kopf doch zu gebrauchen«, sagte er. »Ich sah, wie eine Frau auf der anderen Seite des Tales Wasser von der Quelle ins Haus schleppte, und es waren gut zweihundert Fuß. Da begann ich zu rechnen. Ich sagte mir, daß sie an einem Waschtag mindestens dreimal täglich Wasser schleppen müßte, und ihr könnt nicht erraten, wie viele Meilen ich herausbekam, die sie jährlich Wasser schleppen müßte. Hundertundzweiundzwanzig Meilen! Versteht ihr? Hundertundzweiundzwanzig Meilen! Ich fragte sie, wie lange sie da war. Einunddreißig Jahre. Ihr könnt selber multiplizieren. Dreitausendsiebenhundertundzweiundachtzig Meilen – nur um zweihundert Fuß Röhren zu sparen. Ist das nicht zum Verrücktwerden?

Nun aber, ich bin noch nicht fertig. Sobald ich eine Gelegenheit dazu habe, will ich mir eine Badewanne und einen festen Waschzuber anschaffen. – Und weißt du, Saxon, erinnerst du dich an den kleinen gerodeten Fleck, dort, wo der Wildwasserbach in den Sonoma mündet? Da ist ein Morgen Erde, und die Erde gehört mir. Verstehst du? Und andere Leute haben nichts auf dem Gras zu suchen, denn das Gras gehört mir. Etwas weiter aufwärts will ich ein hydraulisches Hebewerk anlegen. Ich kann ein gutes gebrauchtes Hebewerk für zehn Dollar kriegen, und das pumpt mehr Wasser, als ich brauche. Und dann will ich dort Alfalfa bauen, daß dir das Wasser im Munde zusammenläuft. Ich muß noch ein Pferd haben, mit dem ich herumreisen kann. Du brauchst Hazel und Hattie zu viel, als daß ich sie noch benutzen könnte, und wenn du erst Gemüse lieferst, kriege ich sie überhaupt nicht mehr zu sehen. Ich denke, ein weiteres Pferd wird eine gute Hilfe sein, wenn ich das Alfalfa baue.«

Aber in den nächsten Wochen geschah so vieles andere und Aufregenderes, daß Billy für eine Weile sein Alfalfa ganz vergaß. Erstens kamen geldliche Schwierigkeiten. Die paar hundert Dollar, die er gehabt hatte, als er in das Sonomatal kam, und alle Provisionen, die er seitdem verdient hatte, waren auf Verbesserungen und den täglichen Unterhalt draufgegangen, die achtzehn Dollar wöchentlich, die er als Miete für seine sechs Pferde in Lawndale bekam, reichten gerade für den Lohn der Leute, und er konnte sich das Reitpferd nicht kaufen, so sehr er es bei seinem Pferdehandel brauchte. Aber die Schwierigkeit überwand er, indem er seinen Kopf gebrauchte und zwei Fliegen mit einer Klappe schlug. Er begann, Kutschpferde einzufahren und fuhr mit ihnen dorthin, wo er andere Pferde besichtigen wollte.

Soweit war alles schön und gut. Da aber kamen neue Männer in San Franzisko ans Ruder, und auf der ganzen Linie wurde größere Sparsamkeit eingeführt und alle Arbeit auf den Straßen eingestellt. Das bedeutete, daß der Steinbruch in Lawndale, der einen Teil der Pflastersteine lieferte, schließen mußte. Er bekam nicht nur seine sechs Pferde zurück, sondern mußte sie auch noch füttern. Wo er das Geld hernehmen sollte, um Frau Paul, Gow Yum und Chan Chin zu bezahlen, das ging über seinen Verstand.

»Wir haben wohl mehr verschluckt, als wir verdauen können«, räumte er Saxon gegenüber ein.

»Es ist alles in Ordnung«, sagte sie, als sie zur Scheune kam, wo er ein müdes, aber immer noch widerspenstiges Pferd ausspannte. »Ich habe mit allen dreien geredet. Sie sind sich über die Situation ganz klar und sind vollkommen bereit, ihren Lohn eine Zeitlang stehenzulassen. Nächste Woche fangen Hazel und Hattie an, Gemüse zu fahren, und dann kommt das Geld von den Hotels hereingeströmt, und meine Bücher werden nicht mehr so leer aussehen. Und dann – ach Billy, du rätst es nie! Der alte Gow Yum hat ein Bankkonto. Er kam nachher zu mir – er hatte wohl darüber nachgedacht – und erbot sich, mir vierhundert Dollar zu leihen. Was sagst du dazu?«

»Daß ich nicht zu stolz bin, es von ihm zu leihen, wenn er auch ein Chinese ist. Er ist ein weißer Chinese, es kann schon sein, daß ich es jetzt brauche. Weil ich – nein, du kannst unmöglich raten, was ich gemacht habe, seit ich mich heute morgen von dir verabschiedete. Ich habe so viel zu tun gehabt, daß ich nicht einen Bissen zu essen bekommen habe.«

»Hast du deinen Kopf gebraucht?« lachte sie.

»Du kannst es gern so nennen«, sagte er und lachte auch. »Ich habe Geld hinausgeschmissen.«

»Aber du hast doch keins«, wandte sie ein.

»Ich habe Kredit hier im Tal, will ich dir nur sagen«, antwortete er. »Und ich muß gestehen, daß ich den heute nachmittag ziemlich hart auspreßte. Kannst du jetzt raten?«

»Ein Reitpferd?«

Er brüllte vor Lachen, was das Pferd so erschreckte, daß es durchgehen wollte und ihn halb vom Boden hob, als er es bei Maul und Hals packte.

»Ach, ich meine: richtig raten«, sagte er eindringlich, als das erschrockene Tier wieder auf dem Boden stand und ihn zitternd und mißtrauisch betrachtete.

»Zwei Reitpferde?«

»Ach, du hast auch gar keine Phantasie. Aber ich will es dir erzählen. Du kennst doch Thiercoft. – Ich habe seinen großen Wagen für sechzig Dollar gekauft. Dann kaufte ich dem Schmied in Kenwood einen Wagen ab, nicht gerade besonders, aber er ist noch zu gebrauchen, für fünfundzwanzig Dollar. Und Pings Wagen kaufte ich – das ist etwas, das will ich dir nur sagen – für fünfundsechzig Dollar. Ich hätte ihn für fünfzig bekommen können, wenn er nicht gesehen hätte, daß ich ihn so gern haben wollte.«

»Aber das Geld?« fragte Saxon mit schwacher Stimme. »Du hast doch keine hundert Dollar übrig.«

»Habe ich dir nicht gesagt, daß ich Kredit hätte? Nun ja, den habe ich jetzt jedenfalls. Die drei Wagen bekam ich auf Kredit, und ich habe den ganzen Tag keinen Pfennig bar ausgegeben, außer für ein paar lange Peitschen. Dann kaufte ich drei gebrauchte Arbeitsgeschirre – doppelte Geschirre – für zwanzig Dollar das Stück. Ich kaufte sie von dem Mann, der für den Steinbruch fuhr. Er braucht sie jetzt nicht mehr. Und ich mietete ihm vier Wagen und vier Gespanne für einen halben Dollar täglich für jedes Pferd und einen halben Dollar täglich für den Wagen ab – das macht sechs Dollar täglich, die ich ihm an Miete bezahlen muß. Das Geschirr ist für meine eigenen sechs Pferde. – Laß mich sehen – ja – dann mietete ich zwei Scheunen in Glen Ellen und bestellte fünfzig Tonnen Heu und eine ganze Wagenladung Kleie und Gerste beim Kaufmann in Kenwood – denn ich muß doch die vierzehn Pferde füttern, weißt du, sie beschlagen und so weiter.

Ja, ich habe schon etwas verrichtet. Ich mietete sieben Mann, um für zwei Dollar täglich für mich zu fahren, und – oha, lieber Gott, was machst du denn?«

»Nein«, sagte sie mit tiefem Ernst, nachdem sie ihn in den Arm gekniffen hatte, »du träumst nicht«. Sie fühlte ihm den Puls und die Stirn. »Kein Zeichen von Fieber.« Sie roch seinen Atem. »Und getrunken hast du auch nichts. Also weiter, erzähl mir alles – was sonst!«

»Bist du noch nicht zufrieden?«

»Nein, ich will noch mehr hören. Ich will alles wissen.«

»Na ja, aber ich will dir nur erzählen, daß der Alte, für den ich in Oakland arbeitete, nicht so sehr viel klüger ist als ich. Ich bin ein glänzender Geschäftsmann, das kannst du sagen, wenn jemand mit einem Gemüsewagen kommt und dich fragt. Also du sollst hören – obwohl es mir unbegreiflich ist, daß die Leute in Glen Ellen mir nicht zuvorgekommen sind. Aber die schlafen wohl – denn in der Stadt wäre es ganz unmöglich, daß man so etwas übersehen könnte. Siehst du, es hängt so zusammen: du kennst doch die feine Ziegelei, die jetzt in Betrieb gesetzt werden soll, um die feuerfesten Klinkersteine zu machen? Und ich dachte über die sechs Pferde nach, die ich füttern muß, und die mich ins Armenhaus fressen würden, wenn sie hier herumliefen und nichts verdienten. Ich mußte sehen, ihnen Arbeit zu verschaffen, und da fiel mir die Ziegelei ein. Ich fuhr hin und redete mit dem japanischen Chemiker, der das Laboratorium unter sich hat. Nun ja! Die Geschichte sollte gerade in Gang gesetzt werden. Ich sah, wie es lag und dachte über die Sache nach. Dann fuhr ich zur Lehmgrube, wo sie gerade zu arbeiten angefangen hatten – du weißt, das feine, weiße, kalkartige Zeugs, worin wir sie bohren sahen, gerade vor den hundertvierzig Morgen mit den drei Hügeln. Es geht eine Meile bergab, und die Pferde können es bequem leisten. Die schwerste Arbeit wird es tatsächlich sein, die leeren Wagen nach der Lehmgrube zu fahren. Dann band ich das Pferd an, und begann die Geschichte zu berechnen. Der japanische Professor erzählte mir, daß der Direktor mit allen andern großen Herren mit dem Morgenzuge käme. Ich zerbrach mir nicht weiter den Kopf, sondern machte mich nur zu einer Art Deputation, die die Herren willkommen heißen sollte, und als der Zug einlief, stand ich da und begrüßte sie freundlich im Namen der ganzen Stadt, ja, und da war auch dieser Idiot, den du einmal in Oakland kennenlerntest, ein Boxer dritten Ranges namens – laß mich sehen, ja, jetzt hab' ich es – der große Bill Roberts, so hieß er, aber jetzt heißt er wohl Herr William Roberts.

Nun ja, wie gesagt, ich begrüßte sie recht hübsch und begleitete sie nach der Ziegelei. Dann nahm ich die Gelegenheit wahr und machte ihnen meinen Vorschlag. Ich hatte die ganze Zeit eine mörderische Angst, daß sie schon mit einem Fuhrmann abgeschlossen hätten, aber als sie mich fragten, wie ich es berechnete, wußte ich schon, daß sie es nicht hatten. Ich hatte die Zahlen im Kopf und redete drauflos, und der Vornehmste von der ganzen Gesellschaft schrieb alles in sein Notizbuch.

›Aber wir fangen in großem Stil an, und das gleich‹, sagte er, und sah mich scharf an. ›Was für Pferde und Wagen haben Sie, Herr Roberts?‹

Ich – ja, ich hatte ja nur Hazel und Hattie, und die sind dabei noch zu klein für schwere Fuhren. – ›Ich kann vierzehn Pferde und sieben Wagen stellen, wenn es sein soll‹, sage ich. ›Und wenn Sie mehr haben wollen, kann ich auch die verschaffen – mehr kann ich Ihnen nicht sagen.‹

›Lassen Sie uns eine Viertelstunde Zeit, um über die Sache nachzudenken, Herr Roberts‹, sagte er.

›Natürlich‹, sage ich von oben herab, wie der Teufel. ›Aber ich möchte zunächst ein paar Dinge sagen. Ich will einen zweijährigen Kontrakt haben, und meine Zahlen stehen und fallen alle mit einer einzigen Sache.‹

›Und was ist das?‹ fragte er.

›Mit dem Abladeplatz‹, sage ich. ›Jetzt will ich ihn Ihnen zeigen, da wir gerade an Ort und Stelle sind.‹

Und das tat ich. Ich zeigte ihm, daß ich Schaden dabei hätte, wenn sie an ihrem Plan festhielten, weil eine Senkung und dann wieder eine schwere Fahrt nach dem Abladeplatz kam. ›Alles, was Sie zu tun haben‹, sage ich, ›ist, einen Weg um den Hügel herum anzulegen und eine Art Brücke von siebzig oder achtzig Fuß Länge zu bauen.‹

Ja, Saxon – da hatte ich sie in der Tasche. Es war furchtbar einfach. Die Geschichte war eben nur, daß sie an nichts anderes als an Mauersteine gedacht hatten, während ich an das Fahren dachte.

Nun ja, sie überlegten ungefähr eine halbe Stunde, und das Warten machte mich fast ebenso elend wie damals, als ich darauf wartete, daß du ja sagen solltest, als ich um dich angehalten hatte. Ich ging die Zahlen noch einmal durch und berechnete, wieviel ich nachlassen könnte, wenn ich dazu gezwungen würde. Denn, siehst du, ich hatte den Mund ein bißchen voll genommen – mit richtigen Stadtpreisen und so weiter, und ich war bereit, ein bißchen nachzulassen. Aber dann kamen sie wieder.

›Die Preise sollten hier auf dem Lande niedriger sein‹, sagte der Vornehmste von der Gesellschaft.

›Nein‹, sage ich, ›hier ist ja ein Weintal. Hier gibt es nicht Heu genug für all die Pferde, das muß erst aus dem San Joaquintal geschickt werden. Ich kann wahrhaftig Heu und Häcksel billiger in San Franzisko kaufen, ja, und dazu frei ins Haus geliefert, als hier, wo ich es mir selber holen muß.‹

Und das überzeugte sie. Es stimmte, und sie wußten das. Aber – hör jetzt! Wenn sie nach dem Kutscher und den Preisen für das Beschlagen der Pferde gefragt hätten, so hätte ich heruntergehen müssen, denn siehst du, auf dem Lande gibt es keine Gewerkschaften für Kutscher und keine Gewerkschaften für Hufschmiede, und die Miete ist niedrig, und die beiden Posten werden ein ganz Teil billiger. Hm! Heute nachmittag habe ich eine mündliche Vereinbarung mit dem Schmied gegenüber der Post getroffen, er übernimmt die ganze Geschichte und läßt fünfundzwanzig Cent auf jeden Beschlag nach, aber darüber darf selbstverständlich nicht geredet werden. Aber danach zu fragen, daran dachten sie natürlich nicht – dazu waren sie zu sehr von ihren Ziegelsteinen in Anspruch genommen.«

Billy griff in die Brusttasche, zog ein juristisch aussehendes Dokument hervor und reichte es Saxon.

»Hier ist er«, sagte er. »Ja, ich meine, der Kontrakt, mit Vereinbarungen, Preisen, Strafen und allem. Ich traf Herrn Hale in der Stadt und zeigte ihn ihm. Er sagt, er sei großartig. Und da schloß ich ab. Ich war in der ganzen Stadt herum, in Kenwood, Lawndale, überall. Das Fahren für den Steinbruch endet Freitag dieser Woche. Und ich übernehme die ganze Geschichte und fange nächsten Mittwoch an, schaffe Holz für die Bauten und Ziegelsteine für die Öfen und alles andere hin. Und wenn sie dann so weit sind, daß sie mit dem Lehm anfangen können, dann bin ich es, der ihn ihnen hinschafft.

Aber das Beste habe ich dir noch nicht erzählt. Ich konnte nicht gleich Verbindung von Kenwood nach Lawndale bekommen, und während ich wartete, ging ich alle meine Zahlen noch einmal durch. Du rätst es nicht – nein, und wenn du tausend Jahre dazu brauchtest. Beim Zusammenzählen hatte ich irgendwo einen Fehler gemacht, ich hatte zehn Prozent mehr gesetzt, als ich selbst glaubte. Wenn das kein gefundenes Geld ist, dann weiß ich es nicht. Wenn du die beiden Extraleute brauchst, dann sag es mir nur. Aber natürlich werden wir die ersten Monate knapp sein, also leih nur ruhig die vierhundert von Gow Yum. Und sag ihm, daß du ihm acht Prozent Zinsen zahlst, und daß wir es nicht länger als drei bis vier Monate brauchen.«

Als Billy sich aus Saxons Armen gelöst hatte, begann er das Pferd auf und ab zu führen, damit es sich abkühlen konnte. Er blieb so plötzlich stehen, daß sein Rücken mit dem Maul des Pferdes zusammenstieß, und in der nächsten Minute hielt das Pferd sie beide in Atem, da es stieg und sich auf die Hinterbeine stellte. Saxon wartete, denn sie wußte, daß Billy eine neue Idee hatte.

»Verstehst du etwas von Bankkontos«, sagte er, »und von Schecks?«

 

Saxon stand unter dem Vater aller Madronjos und blickte Hazel und Hattie nach, wie sie vor dem schwer beladenen Gemüsewagen hinter der Pforte verschwanden. Dann sah sie Billy, der auf den Hof geritten kam. Am Zügel führte er eine rotbraune Stute, auf deren seidenweicher Haut die Sonne spielte.

»Vier Jahre alt, feurig und wild, aber nicht boshaft«, jubelte Billy, als er neben Saxon anhielt. »Eine Haut wie Seidenpapier, eine Haut wie Seide und doch stark genug, um den Kampf mit der stärksten Stute aufzunehmen, die je ein Füllen geworfen hat. Sie heißt Ramona – das ist ein spanischer Name – und sie hat auch einen mächtig feinen spanisch-amerikanischen Stammbaum.«

»Wollen sie sie denn verkaufen?« fragte Saxon und preßte die Hände in wortloser Begeisterung zusammen.

»Das ist wohl der Grund, daß ich sie mitgebracht habe, damit du sie sehen könntest.«

»Aber wieviel fordern sie denn?« lautete Saxons nächste Frage, so unmöglich kam es ihr vor, daß sie je ein so wunderbares Pferd besitzen sollten.

»Das geht dich nichts an«, antwortete Billy kurz. »Die Ziegelei bezahlt dafür, nicht mehr der Gemüsegarten. Wenn du dir etwas aus ihr machst, gehört sie dir. Was meinst du?«

»Das sollst du gleich erfahren.«

Saxon wollte sich in den Sattel schwingen, aber das Pferd wurde nervös und machte einen Seitensprung.

»Halt dich fest, bis ich sie angebunden habe«, sagte Billy. »Sie ist keine Röcke gewöhnt – das ist das ganze Unglück.«

Saxon packte Zügel und Mähne, setzte ihren Fuß mit dem Sporn in Billys Hand und schwang sich leicht in den Sattel.

»Sporen ist sie gewohnt«, rief Billy ihr nach. »Aber sie ist auf spanische Art eingeritten, du darfst sie nicht zu schnell bremsen. Bleib ganz ruhig und rede am liebsten ein bißchen mit ihr. Sie ist ein vornehmes Tier.«

Saxon nickte, sauste durch die Pforte und den Weg hinab, winkte Klara Hastings zu, als sie an der Pforte von ›Trillium Zuflucht‹ vorbeiritt, und sprengte weiter durch den Canyon am Wildwasser.

Als sie wiederkam, war Ramona schweißbedeckt von dem schnellen Ritt, und Saxon ritt um das Haus herum, an den Hühnerhäusern und den blühenden Obststräuchern vorbei zu Billy, der mit seinem Pferde im Schatten oben auf dem Hange hielt und eine Zigarette rauchte. Zusammen blickten sie durch eine Öffnung in den Bäumen auf die Wiese hinab, die keine Wiese mehr war. Sie war mit mathematischer Genauigkeit in Quadrate, Rechtecke und schmale Streifen eingeteilt, die deutlich verschiedene Nuancen von Grün aufwiesen, wie es für einen Gemüsegarten bezeichnend ist. Gow Yum und Chan Chi gingen mit mächtigen Strohhüten herum und pflanzten grüne Zwiebeln. Der alte Hughie trabte, die Hacke in der Hand, an der Hauptader des Rieselsystems entlang, eifrig beschäftigt, einige Seitenkanäle zu öffnen und andere zu schließen. Aus dem Werkzeugraum auf der andern Seite der Scheune ertönten Hammerschläge, die Saxon meldeten, daß Carlsen die Gemüsekisten mit Draht zuband. Die heitere, hohe Stimme Frau Pauls erhob sich in einem Kirchenlied, das durch die Bäume zu ihnen klang, begleitet vom Schnurren eines Schaumpeitschers. Ein hysterisches Bellen verriet Possum, der irgendwo seinen immer gleich hoffnungslosen Kampf mit dem Eichhörnchen ausfocht. Billy nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette, blies den Rauch aus und sah weiter auf die Wiese hinab. Etwas in seiner Haltung sagte, daß er nicht recht froh war, und Saxons freie Hand suchte sanft seine Rechte, die auf dem schweißigen Pferd ruhte, aber wie wenn sein Blick nicht auf dem Tiere haften wollte, glitt er zu Saxons Gesicht empor.

»Hm!« sagte er ausweichend, als sei er eben erst aus einer Träumerei erwacht. »Die Portugiesen in San Leandro können uns bald nicht mehr viel lehren, was intensiven Ackerbau betrifft. Sieh das Wasser, das dort unten fließt! Weißt du – manchmal finde ich, es sieht so herrlich aus, daß ich Lust bekomme, mich auf die Knie zu legen und es einzuschlürfen!«

»Ja, daß man in einem solchen Klima so viel Wasser hat, wie man haben will!« rief Saxon.

»Und du brauchst keine Angst zu haben, daß es versiegt. Wenn der Regen uns narrt, dann haben wir ja immer noch den Sonomabach. Wir brauchen nichts zu tun, als eine Gasolinpumpe aufzustellen.«

»Aber dazu wird es nie kommen, Billy. Ich habe neulich mit Redwood Thompson gesprochen. Er wohnt seit Dreiundfünfzig im Tal und sagt, daß es nicht eine einzige Mißernte wegen Trockenheit gegeben hat. Wir kriegen immer Regen genug.«

»Komm, laß uns ein bißchen ausreiten«, sagte er plötzlich. »Du hast doch Zeit?«

»Ja, gewiß, wenn du mir erzählen willst, was dich bedrückt.«

Er sah sie hastig an.

»Nichts«, grunzte er. »Doch übrigens – doch etwas. Und es ist auch einerlei – früher oder später erfährst du es ja doch. Du solltest nur den alten Chavon sehen. Sein Gesicht ist so lang, daß er beim Gehen bald mit dem Kinn an die Knie stößt. Seine Goldmine geht auf die Neige.«

»Seine Goldmine!?«

»Ja, seine Lehmgrube, aber das kommt auf eines hinaus. Er kriegt zwanzig Cent für den Meter von der Ziegelei.«

»Das heißt also, daß dein Kontrakt mit der Ziegelei in die Brüche geht!« sagte Saxon, die gleich das Unglück in seiner ganzen Ausdehnung sah. »Was sagen die Leute von der Ziegelei?«

»Sie wissen weder ein noch aus, wenn sie auch hübsch den Mund halten. Sie haben rings auf den Hügeln eine ganze Woche lang Löcher gegraben, und der japanische Chemiker hat die ganze Nacht aufgesessen und das Zeug, das sie ihm bringen, analysiert. Es ist eine besondere Art Lehm, die sie brauchen, und den gibt es nicht überall. Die Sachverständigen, die über Chavons Lehmgrube berichteten, haben einen mächtigen Fehler gemacht. Vielleicht sind sie auch in ihren Bohrungen nachlässig gewesen, jedenfalls haben sie sich in bezug auf den Wert des Lehms verrechnet. Aber mach dir nichts daraus. Es wird schon alles werden. Du kannst nichts dabei machen.«

»Aber das kann ich doch«, sagte Saxon eifrig. »Wir brauchen Ramona ja nicht zu kaufen.«

»Damit hast du nichts zu tun«, antwortete er. »Ich bin es, der sie kauft, und der Preis bedeutet nichts im Vergleich mit dem großen Spiel, das ich vorhabe. Selbstverständlich kann ich all meine Pferde verkaufen. Aber dann verdiene ich kein Geld mehr mit ihnen, und es war ein guter Vertrag mit der Ziegelei.«

»Aber wenn du nun etwas von der kommunalen Wegearbeit bekommen könntest?« schlug sie vor.

»Ja, daran habe ich auch schon gedacht. Es besteht auch eine Möglichkeit, daß der Steinbruch wieder in Angriff genommen wird, und der Mann, der dort fuhr, ist nach Puget Sound gezogen. Und was tut es schließlich, wenn ich auch die meisten von den Pferden verkaufen muß? Ich habe ja dich, und du hast dein Gemüse. Das ist eine sichere Sache. Wir können nur in der ersten Zeit nicht so schnell vorwärts kommen, das ist alles. Das Land macht mir keine Sorgen. Ich habe alles geprüft, während wir dahinrasselten. Wir haben nicht einen Stein unterwegs getroffen, den wir uns nicht zunutze machen konnten. Und nun sag, wo du nun hinreiten willst.«

 

Sie ritten im Galopp durch die Pforte, lärmten über die Brücke und passierten »Trillium Zuflucht«, ehe sie beim Hange nach dem Wildwasser-Canyon abbogen. Saxon hatte sich ihr Feld auf dem großen Ausläufer der Sonomaberge als Ziel für ihren Ritt gewählt.

»Hör mal, mir fiel übrigens heute morgen, als ich Ramona holte, eine große Sache ein«, sagte Billy, der für den Augenblick alle Sorgen mit der Lehmgrube vergessen hatte. »Du weißt doch, die hundertundvierzig Morgen! Ich kam ein Stück weiterhin an dem jungen Chavon vorbei, und ich weiß selber nicht, warum – wohl nur zum Spaß – fragte ich ihn, ob er glaubte, daß der Alte mir die hundertundvierzig verpachten würde. Und was, glaubst du, antwortete er? Er sagte, daß sie dem Alten gar nicht gehörten. Er hätte sie selbst nur gepachtet. Deshalb ließe er immer sein Vieh dort weiden. Es ist ein Loch in seiner eigenen Wirtschaft, denn alles Land auf drei Seiten gehört ihm.

Gleich darauf traf ich Ping. Er sagte, daß sie Hilyard gehörten, und daß er bereit sei zu verkaufen – nur, daß Chavon nicht das Geld dazu hätte. Dann bin ich auf dem Rückweg bei Payne vorgefahren. Er hat seine Schmiede aufgegeben – ein Pferd hat ihm einen Tritt in den Rücken versetzt, und er kann sich nicht wieder erholen – und jetzt hat er gerade angefangen, mit Grundstücken zu handeln. Ja, es habe seine Richtigkeit, sagte er. Hilyard wolle gern verkaufen und habe ihn schon gebeten zu tun, was er könne. Chavon habe es nur als Weide benutzt, und Hilyard wolle die Pacht nicht erneuern.«

Als sie den Wildwasser-Canyon verlassen hatten, wandten sie die Pferde und machten an einer Stelle, wo sie die drei bewaldeten Hügel sehen konnten, mitten auf den erwähnten hundertundvierzig Morgen, halt.

»Es wird schon einmal uns gehören«, sagte Saxon.

»Das soll es«, sagte Billy in einem Ton, als hege er keinen Zweifel. »Ich habe mir wieder die Ziegelsteinscheune angesehen. Sie ist wie geschaffen für eine ganze Schar von Pferden, und ein Dach wird billiger sein, als ich gedacht hatte. Aber jetzt, da es mit dem Lehm schief geht, können weder Chavon noch ich an einen Kauf denken.«

Als sie zu Saxons Feld kamen, das, wie sie jetzt wußten, Redwood Thompson gehörte, banden sie ihre Pferde an und gingen zu Fuß hinauf. Das Gras wurde gerade gemäht, und Thompson, der es zusammenharkte, rief ihnen einen Gruß zu. Es war ein stiller, klarer Tag ohne einen Windhauch, und sie suchten im Walde hinter dem Feld Schutz vor der Sonne. Hier kamen sie auf einen halbverwischten Pfad.

»Es ist ein Viehsteig«, erklärte Billy. »Ich möchte wetten, daß irgendwo zwischen den Bäumen eine winzige Weide versteckt liegt. Laß uns hier gehen.«

Eine Viertelstunde später kamen sie, einige hundert Fuß weiter den Hang hinan, auf eine offene Wiese. Tief unter ihnen lagen die hundertundvierzig Morgen, und sie befanden sich in gleicher Höhe mit den drei Hügeln. Billy blieb stehen, um das so ersehnte Land zu betrachten, und Saxon trat zu ihm.

»Was ist das?« fragte sie und zeigte auf die Hügel. »Dort oben, links von dem kleinen Canyon, auf dem Hügel gleich unter der Tanne, die sich ein wenig vornüberneigt?«

Was Billy sah, war ein weißer Einschnitt an der Seite des Canyons.

»Das verstehe ich nicht«, sagte er und sah forschend nach dem Einschnitt. »Ich hatte gedacht, jeden Zoll von dem Boden hier zu kennen, aber den Einschnitt habe ich noch nie gesehen. Erst Anfang des Winters war ich am Ende des Canyons. Dort ist es schrecklich wild. Die Seiten des Canyons sind so steil wie ein Kirchturm und dicht bewaldet.«

»Was ist das?« fragte sie. »Ein Erdrutsch?«

»Das muß es sein – von dem heftigen Regen. Wenn ich mich nicht sehr irre« – Billy vergaß die Fortsetzung, so eifrig beschäftigte ihn der Anblick des Einschnitts.

»Hilyard will für dreißig den Morgen verkaufen«, begann er wieder, scheinbar ohne Zusammenhang mit dem Vorhergegangenen. »Gutes Land, schlechtes Land, wie es sich trifft, dreißig für den Morgen. Das macht zweitausendzweihundert. Payne ist neu in dem Geschäft, ich werde ihn dazu bringen, auf die Hälfte seiner Provision zu verzichten, und ich werde schon günstige Bedingungen erzielen. Wir können immer die vierhundert von Gow Yum noch einmal leihen, und ich kann Geld auf meine Pferde und Wagen aufnehmen –«

»Willst du heute kaufen?« neckte Saxon ihn.

Ihre Worte drangen gar nicht bis zu seinem Bewußtsein. Er sah sie an, als hätte er gehört, was sie sagte, vergaß es aber im nächsten Augenblick wieder.

»Kopfarbeit«, murmelte er. »Kopfarbeit – wenn ich nicht ein gutes Geschäft mache –«

Er eilte auf dem Viehsteig zurück, dann aber fiel ihm Saxon ein, und er rief ihr über die Schulter zu:

»Komm. Mach schnell! Ich muß hinüber und es mir ansehen.«

Er lief so schnell den Weg entlang und über das Feld, daß Saxon keine Zeit zu fragen hatte. Sie war ganz atemlos, so hatte sie sich anstrengen müssen mitzukommen.

»Was ist es?« fragte sie eifrig, als er sie aus dem Sattel hob.

»Vielleicht nur Unsinn – ich erzähle es dir später«, antwortete er ausweichend.

Sie galoppierten über die Ebene, trabten die Hänge hinab, und erst, als sie die steile Böschung am Wildwasser erreichten, hielten sie die Pferde wieder an und ließen sie im Schritt gehen. Billys Zerstreutheit war jetzt verschwunden, und Saxon benutzte die Gelegenheit, um ein Thema anzuschneiden, das sie seit einiger Zeit bedrückte.

»Klara Hastings erzählte mir heute, daß sie Besuch bekämen. Jim Hazard und Mark Hall kommen mit ihren Frauen und Roy Blanchard –«

Sie sah Billy besorgt an. Als sie Blanchard nannte, hatte er den Kopf wie beim Klang einer Trompete gehoben, dann aber zuckte das Lachen in seinen blauen Augen, wo die Wetterwolken wie gewöhnlich kamen und schwanden.

»Es ist lange her, daß du einem Manne gesagt hast, er solle sich verziehen«, sagte sie vorsichtig.

Billy grinste dumm.

»Ach, mach dir nichts draus«, sagte er halb scherzend und halb überlegt. »Roy Blanchard darf gerne kommen. Ich erlaube es. Das ist alles schon so lange her. Übrigens habe ich auch zu viel zu tun, um mich mit solchen Dingen abzugeben.«

Dann spornte er sein Pferd zu schnellerer Gangart an, und als der Hang weniger steil wurde, ließ er es traben. Als sie »Trillium Zuflucht« erreichten, ritten sie in vollem Galopp.

»Du willst doch zuerst zu Mittag essen?« fragte Saxon, als sie sich dem Gatter der Madronjoranch näherten.

»Iß du nur«, antwortete er. »Ich brauche nichts.«

»Aber du mußt mich mitnehmen«, bat sie. »Was ist es?«

»Das darf ich dir nicht erzählen«, sagte er. »Aber geh hinein und iß.«

»Jetzt nicht mehr«, sagte sie. »Jetzt will ich mitkommen – daß du es weißt!«

Eine halbe Meile weiterhin verließen sie die Landstraße, ritten durch eine offenstehende Pforte, die Billy angefertigt hatte, und weiter über die Felder auf einem von einer dicken Schicht Kalkstaub bedeckten Wege. Es war der Weg, der nach Chavons Lehmgrube führte. Die hundertundvierzig Morgen lagen im Westen. Zwei in eine Staubwolke gehüllte Wagen tauchten in der Ferne auf.

»Das sind deine Pferde«, rief Saxon. »Ja, denk nur! Allein, weil du deinen Kopf gebraucht hast, verdienst du Geld, während du mit mir herumreitest.«

»Es macht mich ganz verlegen, wenn ich daran denke, wieviel Bargeld diese Gespanne mir täglich einbringen«, gab er zu.

Sie wollten gerade vom Wege auf die hundertundvierzig Morgen abbiegen, als der Kutscher, der den ersten Wagen fuhr, winkte. Sie hielten ihre Pferde an und warteten.

»Der große Rote hat sich losgerissen«, sagte der Kutscher, als er bei ihnen hielt. »Ganz durchgedreht – beißt und wiehert, schlägt aus und tritt. Er zerriß sein Geschirr, als wäre es Papier. Dann biß er Baldy ein Stück Fleisch, so groß wie eine Untertasse, heraus und brach sich schließlich ein Hinterbein. Es war die schlimmste Viertelstunde, die ich je erlebt habe.«

»Ist es sicher, daß das Bein gebrochen ist?« fragte Billy scharf.

»Ganz sicher.«

»Nun ja, sobald Sie den Wagen abgeladen haben, müssen Sie nach der andern Scheune fahren und Ben holen. Er ist auf dem Hofe. Sagen Sie Matthews, daß er vorsichtig sein soll. Und bringen Sie eine Büchse mit – Sammy hat eine. Ich habe jetzt keine Zeit. Warum konnte Matthews nicht mit Ihnen fahren, dann hätte er jetzt Ben holen können? Damit würden Sie Zeit gespart haben.«

»Ach, der wartet nur auf mich«, antwortete der Kutscher. »Er meinte wohl, daß ich Ben schon finden würde.«

»Und Zeit vergeuden – nicht wahr? Nun, machen Sie ein bißchen schnell!«

»So geht es immer!« sagte Billy brummend zu Saxon, als sie weiter ritten. »Keine Grütze im Kopf. Ein Mann setzt sich hin und hält sich selbst an der Hand, und der andere fährt los, um die Arbeit zu verrichten, die er hätte tun sollen. Das sind die Männer, die für zwei Dollar den Tag arbeiten.«

»Aber Köpfe zu zwei Dollar den Tag«, warf Saxon hastig ein. »Was für Köpfe kann man für zwei Dollar verlangen?«

»Das ist schon richtig«, gab Billy zu. »Wenn sie bessere Köpfe hätten, wären sie wohl wie alle anderen tüchtigen Leute in der Stadt, und die tüchtigen Leute sind auch Idioten. Sie wissen nichts von den großen Möglichkeiten auf dem Lande – sonst könnte man sie gar nicht weghalten.«

Billy stieg ab, entfernte die drei Balken, die das Gatter zu den hundertundvierzig Morgen bildeten, führte sein Pferd hindurch und legte die Balken wieder zurecht.

»Wenn mir die Geschichte erst gehört, dann kommt eine Pforte her«, erklärte er. »Das haben wir in wenigen Wochen dabei heraus. Das sind die tausendundein Kleinigkeiten, die zu einer ganzen Menge werden, wenn man sie zusammenlegt.« Er seufzte zufrieden. »Ich habe noch nie über solche Dinge nachgedacht, aber als wir Oakland verließen, begann ich zusammenzulegen. Es waren die Portugiesen in San Leandro, die mir zuerst die Augen öffneten. Bis zu dem Augenblick hatte ich geschlafen.«

Sie ritten am untersten der drei Felder entlang, wo das reife Korn noch nicht gemäht war. Billy zeigte mit einem Ausdruck von Abscheu auf ein schlecht ausgebessertes Loch in der Hecke und auf das Korn, das vom Vieh arg zertreten war.

»So etwas meine ich«, kritisierte er. »Veraltete Methoden. Und sieh, wie dünn die Saat steht und wie schlecht die Erde gepflügt ist. Elendes Vieh, elende Saat, elende Wirtschaft. Chavon hat den Boden acht Jahre lang ausgesogen und ihm nie einen Augenblick Ruhe gegönnt und nie das geringste hineingesteckt, außer daß er das Vieh auf die Stoppeln jagte, sobald das Stroh weg war.«

Etwas weiterhin kamen sie zu einer kleinen Viehherde.

»Sieh den Stier, Saxon! Räude, sag ich dir. Es müßte ein Gesetz geben, das verböte, solche Tiere am Leben zu lassen. Kein Wunder, daß Chavon so verarmt ist, und daß er jeden Groschen, den er an seiner Lehmgrube verdient, für Abzahlungen und Zinsen braucht. Grundbesitz allein tut es nicht. Sieh diese hundertundvierzig! Jeder Mensch mit ein bißchen Grütze im Kopf kann blanke Taler herausharken. Das werde ich ihm schon zeigen.«

Dann tauchte die große Ziegelscheune in der Ferne auf.

»Ein paar Dollar zur rechten Zeit hätten Hunderte für das Dach gespart«, meinte Billy. »Na, wenn ich kaufe, brauche ich jedenfalls nichts für Verbesserungen auszugeben. Und eines will ich dir sagen. Hier ist Wasser im Überfluß, und wenn Glen Ellen jemals trockengelegt wird, dann kommen sie zu mir, um Wasser zu kriegen.«

Billy kannte den Grund und Boden aus und ein, und er ritt auf halbverwischten Viehsteigen durch den Wald. Einmal griff er hastig in die Zügel, und beide hielten an. Gerade gegenüber, ein Dutzend Schritt von ihnen, stand ein halbausgewachsener roter Fuchs. Das wilde Geschöpf beobachtete sie etwa eine halbe Minute mit seinen kleinen schimmernden Augen, und es zuckte in den empfindlichen Nüstern, als sie die Botschaft auffingen, welche die Luft ihnen brachte. Dann sprang es auf sammetweichen Pfoten beiseite und war im nächsten Augenblick zwischen den Bäumen verschwunden.

»Das verfluchte Biest!« rief Billy.

Als sie sich dem Wildwasser näherten, kamen sie auf eine lange, schmale Wiese. In der Mitte war ein Teich. »Natürliche Wasserreserve, wenn Glen Ellen einmal Wasser kaufen muß«, sagte Billy. »Sieh dort am unteren Ende – es würde fast nichts kosten, einen Deich quer hindurch zu ziehen. Und ich kann auch eine Leitung anlegen und alles, was von den Hügeln herabrieselt, auffangen. Und Wasser wird Geld hier im Tal und das, ehe tausend Jahre vergangen sind. Und all die Schwachköpfe, die nicht sehen, was kommen wird, na ja, und die Inspektoren, die das Tal mit einer elektrischen Bahn von Sausalito mit einer Seitenbahn durch das Napatal beglücken wollen!«

Sie erreichten den Rand des Wildwasser-Canyons, und, sich im Sattel zurücklehnend, ließen sie die Pferde eine steile Böschung hinabgleiten und gelangten durch große Kiefernwälder auf einen alten, ganz verwischten Pfad.

»Dieser Weg ist in den Fünfzigern angelegt«, erklärte Billy. »Es war der reine Zufall, daß ich ihn fand. Ich fragte gestern Poppe danach – er ist hier im Tal geboren. Er sagte, das war damals, als die Goldgräber von Petaluma herüberkamen. – Aber das waren die reinen Wilden. Es waren Spieler, die ihn anlegten, und sie müssen eine Menge Idioten mitgebracht haben. Kannst du die Ebene dort und die alten Baumstümpfe sehen? Dort hatten sie ihr Lager, und unter den Bäumen errichteten sie ihre Spielbuden. Damals war die Ebene größer, aber der Bach hat ein gut Teil davon weggefressen. Poppe sagte, ein paar Mann wären totgeschlagen und einer gelyncht worden.«

Über den Hals der Pferde gebeugt, arbeiteten sie sich einen schmalen Viehsteig zum Canyon hinan und ritten dann über unebenes Gelände auf die Hügel zu.

»Weißt du, Saxon, du hast dich immer nach allem Schönen umgeschaut. Aber jetzt will ich dir etwas zeigen, das dich sprachlos machen wird – warte nur, bis wir durch diese Manzanitas hindurch sind.«

Nie auf ihrer langen Reise hatte Saxon eine so herrliche Aussicht gesehen wie die, welche sich ihrem Blicke zeigte, als sie aus dem Gebüsch herauskamen. Der halbverwischte Pfad glich einem unregelmäßigen roten Schatten, den die großen Riesentannen und breitästigen Eichen auf den weichen Waldboden geworfen hatten. Es war, als hätten all die verschiedenen Baumarten und Weinranken, die die Vegetation ausmachten, sich verschworen, das laubreiche Dach zu flechten. Ahorn, große Madronjos und Lorbeerbäume, hohe Eichen mit braungelber Rinde, abgeschält und verflochten mit wildem Wein und flammenden Gifteichen. Saxon lenkte Billys Aufmerksamkeit auf eine mit Farnen bedeckte Moosbank. Es war, als ob alle Hänge sich trafen, um diese mächtige Höhle und Laubhütte in der Tiefe des Waldes zu bilden. Der Boden zu ihren Füßen war feucht wie ein Schwamm. Ein unsichtbarer Wasserlauf rieselte unter breitblättrigen Farnen. Zu allen Seiten waren bezaubernde Durchblicke, wo junge Riesentannen schweigend und stattlich um gefallene Hünen standen, die den Pferden bis zur Schulter reichten und mit Moos bedeckt waren, während ihre Stämme und Wurzeln sich langsam mit der weichen Erde mischten.

Schließlich, nach noch einer Viertelstunde, banden sie die Pferde am Rande des schmalen Canyons an, der sich durch die Wildnis bis zu den Hügeln wand. Durch eine Öffnung zwischen den Bäumen wies Billy auf die Wipfel der sich neigenden Kiefern.

»Gerade darunter ist es«, sagte er. »Wir müssen dem Bachbett folgen. Ein Weg existiert nicht, aber du kannst sehen, daß es viele Stellen gibt, wo die Tiere über den Bach setzen. Du mußt dich auf nasse Füße gefaßt machen.«

Saxon lachte vergnügt und hielt sich dicht hinter ihm, während sie durch kleine Wasserpfützen plätscherten und auf Händen und Füßen die glatten Seiten des Felsens erklommen, wo das Wasser sein verheerendes Werk verrichtet hatte. Vorsichtig gingen sie unter den Stämmen alter, gestürzter Bäume hindurch.

»Der Berg hat keinen richtigen Felskern«, sagte Billy belehrend. »Das Wasser schneidet immer tiefer ein, und deshalb stürzen die Seiten zusammen. Sie sind so steil, daß sie gerade noch stehen können, ohne ganz einzustürzen. Etwas höher hinauf ist der Canyon kaum etwas anderes als ein Spalt im Boden, aber ein mächtig tiefer Spalt, das kannst du sagen, wenn dich einer fragen sollte. Man kann hinüber spucken, man kann sich aber auch den Hals darin brechen.«

Ihr Vorwärtskommen wurde immer schwieriger und schließlich wurden sie von einer engen Schlucht aufgehalten, wo eine Menge Treibholz sich auf ihrem Wege aufgehäuft hatte.

»Bleib du hier«, sagte Billy. Dann legte er sich flach auf den Boden und kroch durch das Gebüsch, das unter ihm krachte und knisterte.

Saxon wartete, bis das letzte Geräusch verschwunden war. Sie wartete noch zehn Minuten, und dann folgte sie Billy auf dem Wege, den er gebahnt hatte. An der Stelle, wo das Flußbett ganz unwegbar wurde, gelangten sie zu einem Hirschwechsel. Er lief den steilen Fels hinauf und bildete einen Tunnel in dem dichten Grün. Dann sahen sie einen Schimmer der sich neigenden Kiefer, gerade über ihren Köpfen, und kamen zu einem kleinen klaren Waldsee, der sich auf dem Grunde einer aus Lehmboden bestehenden Senkung befand. Diese Senkung war in jüngerer Zeit entstanden, offenbar dadurch, daß der Boden und die Bäume abgerutscht waren. Auf der andern Seite des Waldsees erhob sich eine fast senkrechte Wand. Sie wußte gleich, was es war, und sah sich nach Billy um. Da hörte sie ihn pfeifen und sah auf. Zweihundert Fuß über ihr an der weißen Wand, dicht unter dem Gipfel stand er und hielt sich an einem Baum fest. Der Abgrund war nur wenige Schritt von ihm entfernt.

»Ich kann die kleine Wiese hinter deinem Feld sehen«, rief er ihr zu. »Kein Wunder, daß dies nie jemand aufgestöbert hat. Die einzige Stelle, von wo man es sehen kann, ist das bißchen Wiese. Und du warst es, die es zuerst sah. Warte, bis ich herunterkomme – dann will ich dir alles erzählen. Ich habe es nicht früher gewagt.«

Man brauchte nicht besonders klug zu sein, um die Wahrheit zu erraten, und Saxon war sich denn auch gleich klar darüber, daß es der kostbare Lehm war, den die Ziegelei brauchte. Billy ging in einem großen Bogen um den Erdrutsch herum und arbeitete sich langsam an der Seite des Canyons von Baum zu Baum, als kletterte er eine Leiter herab.

»Ist das nicht großartig?« sagte er triumphierend, als er sich neben ihr herabgleiten ließ. »Sieh nur – so hat es dagelegen, unter vier Fuß Erde verborgen, wo niemand es sehen konnte, ja, da hat es gelegen und gewartet, bis wir ins Mondtal kämen. Und da – bitte, da wird ein großes Stück hübsch abgeschält, so daß wir es sehen können.«

»Ist es denn der richtige Lehm?«

»Ja, darauf kannst du deinen Kopf wetten! Ich habe zu viel davon in den Händen gehabt, daß ich es nicht im Dunkeln erkennen sollte! Du brauchst nur ein kleines Stück zwischen den Fingern zu zerreiben – so! Ja, ich könnte es schon am Geschmack merken. Ich habe genug von dem Staub geschluckt, wenn ich mit den Arbeitern im Wagen fuhr. Aber jetzt sollst du nur sehen! Weißt du, daß wir, seitdem wir in dieses Tal kamen, nichts getan haben, als uns die Köpfe zu zerbrechen. Aber jetzt haben wir ausgesorgt.«

»Aber es gehört dir ja nicht«, wandte Saxon ein.

»Nun ja, aber dir wird kein graues Haar wachsen, bis es das tut. Von hier geht es direkt zu Payne, und dann schließe ich mit ihm ab. Vorkaufsrecht, verstehst du. Und unterdessen beschaffe ich das Geld. Wir müssen die vierhundert von Gow Yum leihen, und ich nehme, soviel ich kriegen kann, auf meine Pferde und Wagen und auf Hazel und Hattie und alles, was sonst ein bißchen Wert hat, auf. Und dann gebe ich Hilyard auf den Rest eine Hypothek, und es gehört mir. Ja, und übrigens – es ist, als nähme man einem kleinen Kind seinen Schnuller! Ich schließe mit der Ziegelei um zwanzig Cent das Meter ab – vielleicht mehr. Sie werden ganz toll vor Freude, wenn sie es sehen. Sie brauchen gar nicht zu bohren. Zu beiden Seiten liegen fast zweihundert Fuß, die freigelegt sind. Der ganze Hügel besteht aus Lehm, mit einer dünnen Erdschicht darüber.«

»Aber verdirbst du denn nicht den herrlichen Canyon, wenn du allen Lehm hin und her fährst?« rief Saxon erschrocken.

»Nein, nichts als den Hügel. Der Weg kommt von der andern Seite herab. Es sind nur zehn Minuten bis zu Chavons Lehmgrube. Ich will entweder den Weg selbst anlegen und mehr für die Fuhrmannsarbeit verlangen, oder die Ziegelei, kann ihn anlegen, und dann besorge ich die Fuhrmannsarbeit zum selben Preise wie bisher. Ich muß sicher mehr Pferde kaufen, um die Arbeit leisten zu können.«

Sie saßen Hand in Hand an dem kleinen Waldweg, um alle Einzelheiten zu bereden.

»Und weißt du, Saxon«, sagte Billy, als eine Pause eintrat, »jetzt mußt du singen: ›Wenn die Tage des Herbstes vorbei!‹ Du willst doch?«

Und als sie getan, um was er gebeten, sagte er: »Als du mir das Lied zum erstenmal vorsangst, saßen wir in der Eisenbahn –«

»Es war das allererste Mal, daß wir uns getroffen hatten«, fiel sie ihm ins Wort. »Was dachtest du damals von mir?«

»Dasselbe, was ich seither immer gedacht habe – daß du wie für mich geschaffen warst. Das dachte ich sofort, als wir den ersten Walzer tanzten. Und was dachtest du von mir?«

»Ach, ich mußte darüber nachdenken – und zwar gleich, als wir uns vorgestellt waren und uns die Hand gegeben hatten – ich mußte darüber nachdenken, ob du vielleicht der Rechte wärst. Ja, der Gedanke erstand im selben Augenblick in mir: Ist das der Mann?«

»Da fandest du also, daß ich nett aussah?« fragte er.

»Das fand ich, und meine Augen sind immer gut gewesen.«

»Weißt du«, sagte Billy, plötzlich zu einem andern Gegenstand übergehend, »nächsten Winter, wenn alles erst richtig im Gang ist – was meinst du dann dazu, eine Fahrt nach Carmel zu machen! Dann ist stille Zeit für dich und dein Gemüse, und ich kann es mir wohl auch leisten, mir einen Vorarbeiter zu nehmen.«

Zu seinem großen Erstaunen war Saxon nicht begeistert.

»Was ist los?« fragte er eifrig.

Langsam und zögernd, mit ehrbar niedergeschlagenen Augen, sagte Saxon:

»Ich habe gestern etwas getan, ohne mich mit dir zu beraten, Billy.«

Er wartete.

»Ich schrieb an Tom«, sagte sie mit furchtsamer Miene, als legte sie ein Bekenntnis ab.

Er wartete immer noch – er wußte selber nicht, worauf.

»Ich bat ihn, mir die alte Kommode zu schicken – du weißt, die von meiner Mutter – die er für uns aufbewahren sollte.«

»Hm! Dabei ist doch nichts Merkwürdiges!« sagte Billy erleichtert. »Wir können die Kommode ja gebrauchen – nicht wahr? Wir können uns auch die Fracht leisten, nicht wahr?«

»Du bist lieb, Billy, aber du bist doch ein bißchen dumm. Weißt du denn nicht, was in der Kommode ist?«

Er schüttelte den Kopf, und sie sagte so leise, daß es fast wie ein Flüstern klang:

»Das Kinderzeug.«

»Aber nein!« rief er.

»Ja, es ist wahr.«

»Ganz sicher?«

Sie nickte, und eine warme Röte stieg ihr hastig in die Wangen.

»Das habe ich mir gewünscht, Saxon, mehr als alles andere auf der Welt. Ich habe, seit wir ins Tal kamen, immer wieder daran gedacht«, fuhr er mit halberstickter Stimme fort, und zum erstenmal sah sie, daß er Tränen in den Augen hatte. »Aber nach allem, was ich getan hatte, nach all dem Krach, den ich gemacht hatte – da – wollte ich dich nicht quälen, ich habe auch nie ein Wort davon gesagt. Aber ich sehnte mich danach – ich sehnte mich danach, wie ich mich jetzt nach dir sehne.«

Er breitete die Arme aus, und sie schmiegte sich an seine Brust, und eine selige Stille senkte sich auf den kleinen Wildsee im Herzen des Canyons.

Saxon fühlte, wie Billy ihr warnend den Finger auf die Lippen legte. Sie bog den Kopf zurück, und zusammen sahen sie zu dem kleinen Hügel auf, wo ein Reh mit seinen gesprenkelten Kitzlein stand und sie durch eine winzige Lichtung zwischen den Bäumen betrachtete.

 


 


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