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12. Kapitel.
Um Liebe und Glück.

Noch liegt deine Seele im tiefen Traum,
Wie unten die Perle im Meer!
Ach, daß erst der letzte Stern verblaßt,
Ach, daß es erst Morgen wär!

Morgen voll taufrischer Herrlichkeit,
Sonne im niedrigsten Raum,
Rosenblüte und Finkengesang, –
Und du wärst erwacht vom Traum.

Sigrid Alchhusen hatte umgesattelt und bereitete sich mit Frieda Händler zusammen auf die Missionsärztin vor.

»Das habe ich Ihnen ja gleich gesagt, daß es so kommen würde,« neckte Rose die Große. »Sie sind wie geschaffen für dies Gebiet: klug, energisch, dazu ein Herz von Wachs, – die armen Heidenfrauen werden es viel besser bei Ihnen haben, als sie es verdienen! Hoffentlich schlagen sie Sie nicht aus Dankbarkeit tot und pökeln Sie ein, – das soll ja vorkommen!«

Sigrid Alchhusen hatte kaum gehört, was Rose gesprochen. Sie erfaßte alles, was sie tat, mit ganzer Seele und widmete sich ihrer großen Aufgabe mit dem vollen Einsatz ihrer tüchtigen, zielbewußten Persönlichkeit. Sie und Frieda hatten sich eng aneinander angeschlossen. Sie arbeiteten zusammen, lebten zusammen. Rosa kam sich manchmal etwas überflüssig vor. Aber sie hatte ja Benz, was brauchte sie mehr? Außerdem ging sie zu Friedas großem Kummer immer mehr ihre eigenen Wege und zeigte sich allen schwesterlichen Ermahnungen und Bitten gegenüber, den Monismus doch wenigstens noch einmal eingehend zu prüfen, völlig unzugänglich. Bisweilen kam Sigrid Alchhusen Frieda zu Hilfe und fuhr mit einem Donnerwetter dazwischen, was aber scheinbar nur den Erfolg hatte, daß Rose sich über die originelle, rückhaltlose Art der Großen königlich amüsierte. Frieda kam's allerdings bisweilen vor, als sei diese Heiterkeit nicht ganz echt, als verberge sie etwas, das Rose sich selbst nicht eingestehen wollte.

Und dann war plötzlich das Unerhörte passiert: Rose trat eines schönen Morgens in das Schlafzimmer ihrer Schwester und erklärte: ›Ich fahre mit dem Neunuhrzug auf einen Tag nach Hause!‹

Frieda schnellte empor. »Was soll das?« Sie sah die Schwester scharf an.

»Hab nur keine Angst,« sagte die Studentin, »ich mache keine Dummheiten! Benz hat gestern schriftlich bei Mutter um mich angehalten. Da sich vieles aber mündlich besser erledigt, habe ich mich kurz entschlossen, selber hinzufahren. Benz weiß nichts davon. Das schadet aber nichts. Es ist ja nur in seinem eigensten Interesse.«

Frieda wußte, daß alle Versuche, Rose von ihrem eigenartigen Vorhaben abzuhalten, scheitern würden. Sie hatte jedenfalls noch andere Gründe, die sie nicht aussprach, die ihr aber wichtig waren. Sie wollte fahren und fuhr. Frieda kannte das.

»Du würdest ja doch nicht auf mich hören,« sagte sie. »Außerdem bist du alt genug, um selbst die Konsequenzen zu ziehen. Warum du aber nicht wenigstens Mutters Antwort abwarten willst, ist mir unverständlich!«

»Das werde ich dir später erklären.«

Und dann fuhr sie.

In gewisser Weise war Frieda froh, daß die heimliche Verlobung, für die sie sich immer wieder verantwortlich machte, endlich ihren Abschluß finden sollte. Ein Vergnügen war das Anstandsdame spielen unter den obwaltenden Umständen wahrhaftig nicht, zumal die Sache längst öffentliches Geheimnis war. Nur das Brautpaar bildete sich ein, daß außer Frieda kein Mensch davon wisse. Das ging natürlich nicht so weiter. Eines von beiden mußte die Universität verlassen. Das stand Frieda fest.

»Bitte, sage Sigrid, ich wäre in Familienangelegenheiten nach Hause gereist,« hatte Rose ihr beim Abschied gesagt.

»Ich werde gar nichts sagen. Sigrid denkt sich schon ihr Teil. Bilde dir doch nicht ein, daß deine Verlobung ein Geheimnis ist!«

Rose schwieg. Der Gedanke war ihr allerdings neu. Aber ausgeschlossen war's ja nicht, daß Frieda recht hatte. –

»So, –« sagte sie, als sie eine halbe Stunde später allein in einem Nichtraucherkupee saß, »der erste Schritt wäre getan! Hoffentlich ist alles übrige ebenso einfach. Ich danke dafür, daß die ganze liebe Familie darüber zu Rate sitzt, ob wir uns lieben dürfen oder nicht. Mit Mutter werde ich schon fertig werden, aber ›die Onkels, die Tanten, Bekannt' und Verwandt'!?‹« sie lachte, sprang noch einmal auf und sah aus dem Fenster.

Langsam fuhr der Zug aus der Bahnhofshalle. Sinnend ging ihr Blick über die roten Giebel, über das vielhundertjährige Mauerwerk der ehrwürdigen Stadt.

Und draußen blühten die Berge, – wie schön war die Welt! – – –

Im Palais Korallus hatte sich manches verändert. Fräulein Meyer hatte sich am Tage nach der unliebsamen Erörterung betreffs Buxtehude auf Nimmerwiedersehen empfohlen. Ihren plötzlichen Aufbruch hatte sie durch die spitze Bemerkung illustriert, dies Haus sei kein standesgemäßer Aufenthalt für sie. – Asta Rille, die eine längere Erholung nötig hatte, war auf einige Wochen nach Hause gereist, – von den ›sechs lieblichen Töchtern‹ der Schulrätin waren also nur vier übrig geblieben.

Aber bald kam Ersatz: zwei junge Pädagoginnen, die sogar vor Roses kritischen Augen Gnade fanden. Jeder hatte sie gern. Die Lücke war in angenehmer Weise ausgefüllt. –

Am Tage nach Roses Abreise erschien Benz. Er war sichtlich überrascht, Frieda allein zu finden und begriff nicht, daß Rose ihm ihre Pläne nicht mitgeteilt hatte. Frieda suchte ihn, so gut sie konnte, zu beruhigen. Aber es gelang ihr nicht, die Wolken von seiner Stirn zu verscheuchen.

›Vielleicht wär's Rose ganz gut, wenn er ihr einmal entgegenträte,‹ dachte sie, aber sie sagte nichts. Das mußten die beiden unter sich abmachen.

Der kommende Tag brachte dann auch die erwünschte Gelegenheit. Rose war in glücklichster Stimmung heimgekehrt. Sie hatte jedenfalls erreicht, was sie wollte, hüllte sich aber vorläufig in Schweigen.

Nachmittags kam Benz. Sie empfing ihn allein. Frieda war noch im Kolleg.

Als er in ihr schönes, strahlendes Gesicht blickte, war aller Unmut verflogen. Er zog sie an sich und küßte sie. »Warum bist du denn heimlich auf- und davongegangen?« fragte er.

Sie lachte. »Heimlich? Ich bin ganz offiziell mit dem D-Zug gefahren!«

»Aber ich hatte keine Ahnung!«

Sie senkte den Blick. »Weißt du, Mark, ich hielt es für besser, daß ich ohne dein Wissen fuhr. Du hättest mich vielleicht zurückgehalten. Und ich mußte nach Hause. Ich wußte, meine Mutter würde gegen eine Studentenheirat sein, deshalb wollte ich persönlich mit ihr sprechen, um ihre Bedenken zu zerstreuen.«

Er hatte ihr schweigend zugehört. Mit jedem Augenblick wuchs das Erstaunen in dem hübschen, männlichen Gesicht. Und dann sagte er: »Aber, Rose, ich mache doch über kurz oder lang meinen Doktor und lasse mich dann irgendwo als praktischer Arzt nieder.«

»Ja, du, – aber ich! So schnell bin ich doch nicht fertig, ich stehe ja kaum im zweiten Semester!«

Er sah sie an, als verstünde er sie nicht. »Du kannst doch nicht als verheiratete Frau studieren,« sagte er dann.

»Aber natürlich, Liebster! Möchtest du eine dumme Frau haben?«

Eine tiefe Falte trat auf seine Stirn, er antwortete nicht sogleich.

Sie erschrak. Was hatte er nur? Zu den ausgesprochenen Feinden des Frauenstudiums gehörte er doch nicht! Nur die wilde Frauenrechtlerin war ihm unangenehm. Natürlich! Es war ja auch eine entsetzliche Sorte! Aber das war etwas ganz anderes! Gegen ihre Arbeit konnte er doch unmöglich etwas haben! – Und doch – was hatte er damals gesagt? Eine halbe Nacht hatte es sie gequält, und dann war all das Schreckliche gekommen. Jetzt fiel es ihr wieder ein: ›Ich glaube, daß die Vorbildung zu einem qualifizierten Beruf die Frau ihrem natürlichen Pflichtenkreise entfremdet.‹

Sie schmiegte sich an ihn. Die großen dunklen Augen sahen ihn unverwandt an.

Aber sie sollte einen schwereren Stand mit ihm haben, als sie gedacht.

»Ich finde, deine Mutter hat ganz recht, wenn sie eine Studentenehe nicht billigt,« sagte er ernst. »Sie kann zu Schwierigkeiten führen, die ich dir heute nicht erklären kann, auf die deine Mutter dich aber jedenfalls hingewiesen haben wird.«

Rose senkte errötend den Blick. »Sie hat mir allerhand gesagt, aber ich bin durchaus nicht davon überzeugt, daß diese Befürchtungen eintreffen müssen.«

»Sie hat mehr Erfahrung als du.«

Rose zuckte die Achseln.

»Sie weiß vom Hörensagen die Tragödie einiger junger Ehen, und darunter befinden sich unglücklicherweise auch zwei studentische. Das ist alles. Wie kann man aber von einem Fall auf den andern schließen? Die ganze Frauenfrage ist noch ein großes Problem. Weil mir eine Auffassung neu ist, braucht sie noch nicht schlecht zu sein!«

»Schlecht wäre zu viel gesagt; alogisch würde aber unter Umständen doch zutreffend sein. Wir müssen uns über eins klar sein, Liebling, denn die Sache ist zu ernst, und es steht zu viel auf dem Spiel: die Frau von heute rüttelt an den Grundpostulaten der Ehe, an den unerläßlichen Forderungen, die ein glückliches Familienleben bedingt.«

»Ja, das tut die Frauenrechtlerin, das Mannweib. Das gebe ich offen zu. Da wird alles auf den Kopf gestellt. Die ganze Behandlung der Frage ist von ihrem Gesichtspunkt aus, wie du sehr richtig sagst, alogisch, ich möchte sogar sagen paradox, in vielen Fällen pervers. Aber –«

»Aber das darf ich nicht auf dich anwenden,« unterbrach er sie. »Lieber Schatz, das tue ich auch nicht. Ich weiß ganz genau, daß du z. B. danach strebst, in dem Milieu, das dich umgibt, zu bleiben, was du bist, nicht nur äußerlich, auch innerlich. Ich habe das stets an dir bewundert. Aber selbst wenn es dir auch auf die Dauer gelänge, dir das spezifisch Weibliche zu bewahren, was ich, so sehr ich dein Streben anerkenne, doch noch in Frage stelle, so bin ich andererseits überzeugt, daß du dem Dualismus, den die Vereinigung von Ehe und qualifiziertem Beruf mit sich bringt, körperlich wie seelisch nicht gewachsen bist. Dazu gehören andere Nerven und Kräfte, dazu gehört mit einem Wort das Genie, die psychophysische Ausnahme. Du bist ja jetzt schon bleichsüchtig, wie soll das später werden?«

Rose senkte das Köpfchen.

»Versteh' mich nicht falsch,« fuhr er fort. »Ich bin durchaus nicht gegen alle modernen weiblichen Berufe. Für den Beruf der Ärztin würde ich jederzeit eine Lanze brechen. Die Mitarbeit der Frau auf diesem Gebiet ist unter Umständen von größtem Wert für uns. Aber ich möchte hinzufügen: der unverheirateten. Den Kommentar mußt du selbst dazu setzen; ich will dir mit dem Worte einer Frau, die zugleich Mutter, Beamtin und Ernährerin der Familie war, nur den Beweis dafür liefern, zu welchen Konflikten solch ein Dualismus führen kann: ›Heute mit dreiundvierzig Jahren bin ich müde und gebrochen. Man bedarf einer Gesundheit von Eisen und eines verteufelten Mutes zur Erzielung solcher Erfolge.‹ (Adele Gerhard und Helene Simon, Mutterschaft und geistige Arbeit.) Das sind schwere Worte, nicht wahr?«

»Ach, du verstehst mich nicht,« seufzte sie. »Ich denke ja nicht an eine Riesenkarriere oder einen Lehrstuhl. Das hat mir früher vorgeschwebt, gewiß! Aber dann kamst du, –« sie sah mit reizendem Lächeln zu ihm auf, – »und ich sagte mir, wir würden zu wenig voneinander haben. Aber daß ein kerngesunder, junger Mensch wie ich die Ärztin nicht mit dem Frauenberuf vereinigen soll, sehe ich nicht ein.«

Er seufzte. ›Mit dem Mutterberuf,‹ setzte er in Gedanken hinzu. Aber er schwieg. Sinnend ruhte sein Blick auf ihr.

»Außerdem kommt noch eins dazu,« fuhr sie fort. »Du sollst Respekt vor deiner Frau haben. Denn Liebe bedingt Achtung und Respekt. Was ist denn eine Frau, die nur Strümpfe stopfen kann? Ich will etwas leisten. Sonst achtest du mich doch nicht. Ich kenne die Männer! Als Bräutigam finden sie alles wunderschön, nachher kommt der Rückschlag. Und eine Frau, die aus sich selbst nichts ist, wird immer die Kreatur des Mannes werden. Das klingt kraß, aber es ist so. Der Mann bildet sie nach seinem Willen, er biegt sie um, es ist ganz natürlich, daß es so kommt. Die Persönlichkeit geht verloren. Die Frau wird zur Puppe. Entweder himmelt sie ihn an, oder sie geht, sich in ihr Schicksal ergebend, wie ein Automat neben ihm her. Das ist das große Mißverständnis, welches durch das Wort ›Er soll dein Herr sein!‹ entstanden ist. Die Frau soll die Gehilfin des Mannes, sein Kamerad sein! Dazu gehört aber in erster Linie gegenseitige Achtung und Gleichberechtigung, bedingt durch die Anerkennung der Leistungsfähigkeit und der damit verbundenen Selbständigkeit des anderen.

Damit wird der Gehorsam der Frau durchaus nicht ausgeschaltet, aber es ist nicht mehr der Gehorsam aus Schwärmerei oder Hilflosigkeit oder Angst oder der Himmel weiß was, sondern Gehorsam aus Liebe. Ist das nicht viel schöner?«

Er sah sie nachdenklich an. »Ich sehe nicht ein, daß die Achtung, die ich vor meiner Frau habe, von ihrer Leistungsfähigkeit in einem qualifizierten Beruf abhängig sein soll. Ich möchte sogar entschieden behaupten, daß sie ganz anderes bedingt. Das Weib, das ich liebe, schätze ich nicht nach äußerlichen Werten ein. Die Schätze, die ich suche, sind ganz anderer Art. Sie ruhen in dir, Rose, und ich weiß, ich werde sie heben!« Er sah sie mit leuchtendem Blick an.

»Gerade weil ich dich liebe, will ich ganz deinesgleichen sein,« sagte sie leise.

»Wer verwehrt dir das denn?«

Sie sah ihn groß an: »Du!«

»Liebe Rose, was du jetzt sagst, glaubst du selbst nicht. Ich will dich nur an den Vortrag des alten Schnitzler erinnern. Der setzte die Frau wahrhaftig nicht herab. Aber eins tat er: er schied Beruf und Arbeitsgebiet von Mann und Weib und warnte vor Grenzüberschreitungen.«

»Er sprach vom rein christlichen Standpunkt aus.«

»Doch nicht ganz. Sein Standpunkt war ein ethischer in christlicher Beleuchtung. Streichen wir die letztere, so bleibt die ethische Forderung, an der jedes moderne Kulturvolk festhalten muß, wenn es sich selbst behaupten will: Sittlichkeit. Soweit gebe ich Schnitzler recht. Seinen Zusatz, daß die Sittlichkeit ihre Existenz nur dem Christentum verdanke, kann ich natürlich nicht unterschreiben. Aber mit keinem Worte degradierte oder verkleinerte er die Frau, im Gegenteil! Ich erinnere dich nur an einen Satz: ›Die Frauen sind zu Hüterinnen der heiligsten Nationalgüter gesetzt.‹ Gibt es Größeres?«

Rose sah zum Fenster hinaus. Er hatte ja in gewisser Weise recht, obgleich sie bei dieser Gelegenheit erkannte, daß seine Weltanschauung doch noch stark von christlichen Erziehungseinflüssen durchsetzt war. Aber das war nur ein Übergang und würde sich bald verwischen. Beunruhigend war dagegen seine Anschauung von der Unvereinbarkeit von Ehe und Beruf. Eine heimliche Angst erfaßte sie. Der Gedanke, daß diese Stunde sie vor die Wahl zwischen Glück und Beruf stellen werde, jagte ihr das Blut durch die Adern. Und doch – mit ihrem Studium hätte sie ein Stück ihrer selbst drangegeben! – Wäre sie etwas weiter! Hätte sie ihren Doktor schon gemacht! Dann wäre ja alles gut gewesen, – aber so? Sie hatte es zu oft gehört und gesehen, wie ein Menschenkind, das nichts weiß und nichts kann, behandelt wird. Das war doch nichts neues! Selbst der hochbedeutsame Roman von Rudolf Stratz ›Alt-Heidelberg, du Feine!‹ behandelte dies Thema in eingehender Weise.

Die Verhältnisse lagen dort ganz anders wie hier. Aber die Pointe war dieselbe: das angefochtene Persönlichkeitsideal der Frau, die heiße Angst: ›Er macht eine Null aus mir, eine Puppe, ich bleibe nicht ich! Er kann nur den Kameraden achten, nicht die Frau!‹ Die Lektüre hatte Rose sehr gefesselt, die feine Schilderung des Milieus, die reizvolle Zeichnung der Typen hatten sie entzückt. Die Geschichte saß in ihrem Köpfchen fest. Lange hatte sie nicht daran gedacht. Und dann ward plötzlich alles wieder lebendig, und der lebhafte junge Geist machte sich zu nutze, was den eigenen Ideen entsprach und schaltete aus, was ihnen entgegenlief. Sie wußte in diesem Augenblick selbst nicht: war die Liebe zu dem Manne größer oder die Liebe zum Beruf? Und dann tauchte ihr ein Gedanke auf. Warum hatte er ihr seine Bedenken und Wünsche nicht gleich damals bei der Verlobung ausgesprochen? Gewiß, die Stunde war geeignet gewesen, alles andere über dem einen zu vergessen. Angesichts des Todes fiel alles Äußerliche, Nebensächliche fort. Nur die Hauptsache kam in Betracht. Die Liebe. Solche Stunden hatten etwas Großzügiges, Elementares an sich, etwas Überweltliches, – des Alltags Kleinigkeitskrämerei streiften sie ab. Aber heute war Alltag. Und die Frage des Mannes entsprang der Forderung des Alltags – war er nicht ganz im Recht? Gewiß – aber? – Hätt' er's ihr nicht doch gleich sagen müssen?

Ihr brausendes, impulsives Temperament ertrug keine Ungewißheiten. Sie schlang beide Arme um den Hals des Verlobten und rief: »Mark Albrecht, ich kann nicht davon lassen! Gäbe ich mein Studium auf, so gäbe ich mich selbst auf, so bin ich nicht mehr ich!«

Er erschrak. Das waren Worte, die das Äußerste streiften. Und er fühlte den raschen, treibenden Herzschlag an seinem Herzen, und sah in das schöne, erregte Gesicht, in die Augen, die mit heißer, leidenschaftlicher Frage an seinen Lippen hingen. Eins ward ihm in diesem Augenblick klar: nachgeben würde sie nicht. Aber ebenso klar ward's ihm, daß diese Liebe ein Teil seiner selbst geworden, daß ein Aufgeben derselben undenkbar für ihn war, wenn er nicht das Glück aus seiner Seele tilgen wollte für immer.

Und doch – war's eines Mannes würdig, gleich bei der ersten Differenz die Waffen zu strecken? Gab er damit nicht von vornherein seine Rechte auf? Denn hier galt's nicht das Zugeständnis eines Irrtums, das er um der Wahrheit willen niemals verweigert hätte, – hier galt's Nachgeben gegen die eigene Überzeugung um des lieben Friedens willen. Ob das richtig war? pädagogisch war's keinesfalls.

Andererseits war die Frau von heute eine andere als ihre Mutter und Großmutter. Sie wollte auch anders gewertet, anders behandelt sein. Die Type hatte eine Veränderung erfahren, wie vielleicht noch nie. Eine große, internationale Erhebung hatte die Frau auf den Markt des Lebens gerufen, ein neues, weit verzweigtes Schaffensgebiet hatte sich dem Weibe erschlossen, eine blühende Vielheit, ein Saatfeld, das tausend fleißige Hände zur Arbeit rief. Daß des Neulandes Überfülle, daß die Fremdartigkeit des erwachenden Lebens in ihren Anfängen auch Fehlfrucht und Mißwachs zeitigen würden, war doch nur erklärlich. Auch hier galt's Entwicklung. Im großen Ganzen, wie im Einzelnen. Denn gerade die Einzelne durfte nicht rückständig bleiben. Im Kampf mit dem Zeitgeist sollte die Frau sichtend und sondernd ihre Persönlichkeit bilden, sie sollte vor allen Dingen lernen, sich dieselbe zu wahren und ihr Ideal nicht durch tausend Einflüsse verbilden zu lassen. Das war aber eine Kunst, welche die Frau von heute nur ausnahmsweise zu üben verstand. Man mußte Geduld haben und durfte vor allem nicht rücksichtslos nivellieren, denn dann ging sicherlich mit vielen Schlacken mancher Edelstein verloren.

Er kämpfte mit sich.

Rose war noch so jung. Sollte die Ehe ihr alles nehmen, was sie bisher geliebt, woran sie froh geschafft? Lag nicht eine Härte darin, die Frau, die sehnenden Geistes ausgegangen, die Höhenfeuer der Wissenschaft leuchten zu sehen, bei der Hand zu nehmen und in die grauen Höfe des Alltags zu führen?

Denn das Weib war noch nicht völlig in ihr erwacht. Die tiefe Schönheit echten Frauendienstes kannte sie noch nicht.

Mit großen Augen schaute sie sich suchend nach ihrer Krone um.

Und der Zweifel raunte: ›Ist's diese? ist's jene? – Ist's das strahlende Diadem äußerer Ehren, ist's der schlichte Reif des Weibes, das gewürdigt ward, den Mutternamen zu tragen?‹

Was er immer wieder beobachtet, bestätigte sich ihm in dieser Stunde auf das schmerzlichste: die Vorbildung zum qualifizierten Beruf entfremdete das Weib seinem ureigensten Pflichtenkreise. Es ging aus, ein fremdes Feld zu bauen, und sein eigener Garten verwilderte. Sollte er vor die Frau, die er liebte, hintreten: ›Bis hierher und nicht weiter!?‹ Wär's klug gewesen? Hätt' es ihr beiderseitiges Glück gefördert?

Und eine Stimme sprach: ›Hab doch Geduld, reiß den Weizen nicht mit dem Unkraut aus. Sobald Frauensehnsucht und Mutterschaft an ihre Tür klopfen, wird sie ihre Gelehrsamkeit vergessen und glückselig ihr Kindlein wiegen! Dann wird auch die Liebe zu dir schönere Blüten tragen, mit einem Wort, dann wird sie ganz Weib werden und nur noch nach der Krone des Weibes verlangen! So ist's gewesen von Anbeginn. Des Altertums kluge Medika zahlte der Minne ihren Tribut, die Frau im weißen Philosophenmantel folgte dem königlichen Gebot der Liebe! – Gedulde dich nur! Dies alles ist nur ein Übergang, die Sehnsucht eines starken Geistes nach Betätigung. Sie muß nur in die rechte Bahn geleitet werden. Doch nicht von heut auf morgen gelingt's. Wird eine zarte Blume zu früh umgepflanzt, geht sie ein. Darum hüte dich!‹

Und er lauschte der Warnerin.

Sinnend blickte er in das junge Antlitz an seiner Brust.

»Ich will ja gar nichts besonderes, ich will dir nur ebenbürtig zur Seite stehen, deine Gehilfin will ich werden, die dir unentbehrlich ist,« sagte sie leise. Und wieder grüßte ihn das Lächeln, das er so sehr liebte.

Die kluge Rose wußte es. Sie nutzte den Augenblick aus. Sie sagte nicht: ›Ich will nur noch meinen Doktor machen, dann gebe ich die Sache auf und bin ganz für dich da!‹ Sie hielt sich die Zukunft offen. Sie wahrte sich ihre volle Selbständigkeit: ›Deine Gehilfin will ich werden!‹

Er aber wiegte sich in dem schönen Traum: es ist nur ein Übergang, das Leben wird den natürlichen Wandel schaffen!

Und das stand ihm ganz fest. Es war undenkbar, daß eine Frau wie Rose, die ihm in jeder Hinsicht für das lieblichste Weibeslos prädestiniert erschien, das höchste Erdenglück ablehnen würde.

Aber niemand sollte ihr dies Glück aufdrängen.

Über Nacht sollte es kommen, wie der Frühling!

Nach grauen Wintertagen sollt' es ihr plötzlich entgegenklingen: ›Siehe, der Lenz ist erschienen!‹

Mark Albrecht von Benz war, wie alle Idealisten, Optimist vom reinsten Wasser. Und wann trägt der Optimismus schönere Blüten, als in den Tagen der Liebe?

So gab er nach. Er sollte es bitter bereuen.


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