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Die Kreuzfahrer.

 

Wir folgen dir, Herr Jesu, nach
An deiner treuen Hand!
Kreuzfahrer sind wir insgesamt
Und zieh'n ins heil'ge Land!
Wir suchen deines Namens Ruhm,
Wie's deiner Jünger Art –
Es ist das Leben auf der Erd'
Ein' lange Kreuzesfahrt!

Der Weg ist weit, der Sturmwind treib
Das Schifflein hin und her!
Laß leuchten, Herr, dein Angesicht
Über dem dunklen Meer!
Hilf uns, wenn Anfechtung uns naht
Und uns bedräuet hart:
Es ist das Leben auf der Erd'
Ein' bange Kreuzesfahrt!

Bleib bei uns in des Todes Nacht,
Und wenn der Feind uns schreckt,
Breit deine Flügel über uns,
So sind wir wohl gedeckt!
Verbirg in deiner off'nen Seit,
Wer auf dich hofft und harrt, –
Dann ist das Leben auf der Erd'
Ein' sel'ge Kreuzesfahrt!

 

Ein wunderschöner Sommertag ging zur Neige. Die letzten Sonnenstrahlen glänzten über dem weiten Thüringerland, wie Rosenglanz lag's über Tal und Tannen, über den efeuumsponnenen Burgtürmen, die sich haarscharf vom Abendhimmel hoben. Kein Lüftchen regte sich. Sehnend zog das Ave Maria über die Berge und mischte seinen lieblichen Klang in das vielstimmige Geläut der Herden. Dann ward alles still, nur der Brunnen unter der Schloßlinde plätscherte sein Lied und die uralten Wipfel rauschten im Nachtwind.

Dunkler wurden die Schatten. Der lichte Schimmer über dem grauen Gestein wandelte sich in Purpur und das freundliche Tal schien in Glut getauscht, als läge das Kleid eines Kirchenfürsten darüber gebreitet. Und dann verblaßte die leuchtende Pracht, dämmerndes Violett deckte die Wiesen, die Nebelfrau schwebte langsam die Felsenstiege empor, der Talwind rauschte die Schlucht herauf, ein kurzes Kämpfen mit den Nachtgestalten, und der Hochwaldzauber zerrann.

In strahlender Glorie ging der Mond über dem Gebirge auf und übergoß die Erde mit seinem Silberglanz. Heller, immer heller ward die Welt, bis jedes Häuslein unten im Dorfe sichtbar war, jede Zinke, jedes Türmchen des alten Schlosses hinausragte in die stille, leuchtende Sommernacht. Hie und da glomm ein Lichtlein hinter den engen Fenstern, durch die offenen Türen sah man die rote Lohe des Herdfeuers. Aber bald verlosch der helle Schein, Leben und Arbeit rasteten, und der Wächter begann seinen Rundgang durch das träumende Dorf. Nur oben im Frauengemach auf Burg Mohrungen glühten die Fackeln bis nach Mitternacht am Kamin und die Kienäpfel knisterten, als sei Maria-Lichtmeß nicht weit. Denn wenn der Abend mit seinen Nebeln emporstieg, ward's kühl in den weiten Gemächern des alten, aus gewaltigen Felsquadern erbauten Kastells, und die junge zartgewöhnte Herrin, die vor kaum zwei Monden ihren Einzug auf Mohrungen gehalten, zog schaudernd den durchsichtigen Frauenschleier um die weißen Schultern.

»Bei uns in Schwaben ist's wärmer!« hatte sie, die großen blauen Augen zu ihrem Gemahl erhebend, lächelnd gesprochen, und seither brannte in der Kemnate allabendlich ein lustiges Feuer, und die junge Mohrungerin hielt die feinen Hände gegen die Flamme. Sie war schön in ihrer holden Weiblichkeit mit den tiefblickenden Augen und der schweren goldblonden Flechtenkrone über der weißen Stirn. Fast zu groß mochte die hochgewachsene, biegsame Gestalt dem Auge des Künstlers erscheinen, doch wenn Frau Heilweg neben ihrem Gemahl stand, sah sie sich um Haupteslänge überragt, und der Wunsch ihrer Mädchentage, ein wenig kleiner zu sein, war vergessen. Heut saß sie mit dem Sehnsuchtsblick vereinsamter Frauen am Kamin; lässig ruhten die zarten Finger, die bis zum Eintritt der Dämmerung die lichtgelbe Seide durch das kostbare Antependium gezogen, im Schoß und die blauen Augen träumten.

Der Burgherrin gegenüber saß der Hauskaplan, Gerhard Stark, eine hohe Mannesgestalt mit edlem, friedvollem Antlitz. Er war einer von denen, die sich durch Kampf und Not hindurchgerungen zu Stille und Frieden; der frohe, abgeklärte Ausdruck legte ein unumstößliches Zeugnis dafür ab. Seit langen Jahren schon weilte er auf Schloß Mohrungen. Er hatte Frau Heilwegs Gemahl erzogen und war später als der treuste Freund und Berater des Herrn Burkhard als Kaplan in seinen Diensten verblieben. Keinen der beiden Männer hatte es je gereut.

Als der junge Schloßherr sein edles Gemahl heimgeführt, hatte er ihr den treuen Gefährten gebracht und gesprochen: »Halte ihn lieb und wert, Heilweg, es ist mein treuster Freund, von dem ich nimmer lassen kann!« und die holde, goldlockige Frau hatte vertrauend die Augen zu dem ehrwürdigen Manne erhoben und die Hand in seine starke Rechte gelegt. »Seid gegrüßt, Ehrwürden,« sprach sie herzlich, und Gerhard Stark war's, als lächelte ihm ein Englein entgegen.

Bald waren die zwei gute Freunde, der Mann, der im Dienste der Kirche früh ergraut und alt geworden, und das junge, schönheitstrahlende Weib Burkhards von Mohrungen.

Wie eine Tochter blickte Heilweg zu dem neuen Freunde auf, mit dem sie so bald vertraut geworden; er aber freute sich des Sonnenscheins, der in den alten verödeten Mauern eingezogen, und pries die Wahl seines Herrn.

Hochsommer war's. Zum erstenmal seit dem festlichen Einzug der Neuvermählten war Herr Burkhard aus den Toren geritten, und die kurze Trennung dünkte Frau Heilweg endlose Zeit. Aber tapfer bezwang sie die Sehnsucht, besuchte die Armen unten im Dorf und freute sich des geistvollen Hausgenossen, der ihr die langen Abende verkürzte. Bis spät in die Nacht klang die Zither in der Kemnate, längst vergessene uralte Sagen aus Berg und Wald wurden wieder wach, und spät, mit hochroten Wangen und leuchtenden Augen, ging das junge Weib zur Ruh, wie einst daheim im Schwabenlande die kleine Heilweg.

»Ihr verspracht mir jüngst die Legende vom heiligen Kreuz zu Lucca, Ehrwürden,« bat sie eines Abends, als die Dämmerung ihre Schleier um die Türme wob und die Fackeln hereingetragen wurden. Damit legte sie den schimmernden Kirchenstoff, daran die fleißigen Hände geschafft, beiseite, lehnte sich im Armstuhl zurück und blickte erwartungsvoll zu dem Freunde hinüber. Gerhard Stark breitete die Hand über die Augen, als blende ihn der flackernde Schein im Kamin.

»Ihr sollt die heilige Kreuzeslegende vernehmen, edle Frau, aber wenn's dermaleinst geschieht, das man Euch ein Kreuz auflegt und den Wogen preisgibt, scheltet nicht den alten Gerhard Stark, sondern ruft den an, dem Wind und Meer gehorsam sind!«

Sie sah sprachlos in sein ernstes Antlitz.

»Ehrwürden!« hauchte sie endlich, und die zitternde Hand, die den goldenen Ehering trug, berührte leise den Arm des Freundes.

Da legte er sanft seine schlanke Rechte darüber, und die klaren, grauen Augen blickten sie ruhevoll an. Seine Kraft schien auf sie überzugehen; eine Ahnung von dem Frieden seines Herzens zog bei ihr ein, und der Schein der Leuchte, der ihm den Weg erhellte, strahlte in ihrer Seele wieder. Sie war ein glückliches, frohes Kind gewesen, das Liebe nahm und gab und allezeit helle, sonnige Wege geführt worden war.

Am Kreuz vorübergekommen war sie gar selten; in heiliger Zeit hatte sie wohl andächtig zu dem stillen, dorngekrönten Antlitz emporgeblickt, aber seinen tiefsten Sinn hatte sie nimmer verstanden. Man hatte daheim so wenig danach gefragt, und die Stunde, da sie vom Traum erweckt werden sollte, hatte ihrer jungen Seele noch nicht geschlagen.

Sie war durch das Leben gewandelt wie durch einen blühenden Rosengarten, hatte sich hier gefreut und dort gejubelt, hatte Blumen gepflückt und ihre hellen, fröhlichen Lieder gesungen. Und dann war der ritterliche Held gekommen und hatte die junge Braut im Sturm gewonnen. Er war anders geartet, als die vielen, die sie umworben, kraftvoller, gefestigter in seinem Wesen, ein ganzer Mann. Und die schöne Heilweg dachte oft, wenn sie an seiner Seite an den Ufern des Neckar wandelte: ein Edler mag gesessen und das kostbare Kleinod geschliffen haben, bis ihm die Klarheit des Kristalls daraus entgegenfunkelte!

Dann war der Neuvermählten am Schloßportal zu Mohrungen eine gesalbte Erscheinung entgegengetreten, Gerhard Stark. Da wußte sie's, wer ihr das Glück so rein und klar geschmiedet, und in frauenhafter Dankbarkeit ehrte sie den Getreuen und schenkte ihm ihr Vertrauen.

»Erzählt,« bat sie leise, als er noch immer gedankenverloren in die Glut blickte.

Gerhard Stark aber richtete sich empor und begann: »In der alten sizilianischen Stadt Corduba wohnten Juden und Christen nebeneinander. Die Juden waren reich, die Christen arm und von den Israeliten abhängig. Manch frommer Christ stand in jüdischen Diensten und arbeitete im Schweiße seines Angesichts um kargen Lohn. Das jammerte den Heiland, und die Macht seines heiligen Kreuzes beweisend, wandelte er die Armut der Christen in Reichtum, und der Juden Wohlstand in Armut und Abhängigkeit. –

Zu Corduba, der alten welschen Stadt, lebte ein junger jüdischer Goldschmied. Als der das seltsame Geschehnis gewahr ward, beschloß er, ein Kreuz zu arbeiten, schöner und kostbarer, als das Kreuz der Christen, mit Rubinen und Saphiren geschmückt. Das wollte er anbeten, denn er war durch das Wunder gläubig geworden und wollte ein Christ werden. Diesen Gedanken bewegend, trat er eine Reise an. Sobald er heim kam, wollte er das Werk beginnen.

Mond und Zeiten vergingen.

Der Jude kehrte von seiner Fahrt zurück.

Aber als er sein Haus betrat, war ein Wunder geschehen: ein Kreuz, so schön, wie er's nimmer erträumt, strahlte dem heimkommenden Manne entgegen.

Überwältigt sank er in die Knie und betete zu dem Heiland der Welt. Dann trug er den Schatz in ein geheimes Kämmerlein, Tag und Nacht glühten die Kerzen in dem stillen Raum, aus dem einstigen Feinde des heiligen Kreuzes ward ein treuer Jünger des Herrn. Und siehe da, alles, was er begann, ward gesegnet, und binnen kurzem kehrten Glück und Reichtum in seinem Hause ein.

Einige Zeit darauf gab der Goldschmied seinen alten Glaubensgenossen ein Gastmahl und bei diesem Anlaß ereignete es sich, daß einer der Geladenen das Christusbild entdeckte. Sofort rief er die übrigen Juden zusammen, den seltsamen Fund zu beschauen. Einer redete dies, der andere das, aber alle waren sich darin einig, daß der Abtrünnige an ihrer plötzlichen Verarmung schuld sei und Gott seine Sünde an ihnen allen gestraft habe. Zürnend und eifernd hielten sie einen Rat und beschlossen furchtbare Rache. Sie griffen den Unglücklichen, banden ihn auf das Kreuz, befestigten einen großen Stein daran und warfen ihn ins Meer.

Zu Corduba, der alten welschen Stadt, hatte man das Heiligste mit Füßen getreten.

Und dann ging die Nacht über dem Mittelmeer auf, eine sternklare, italienische Sommernacht.

Auf den stillen Wassern schwamm das Kreuz; weithin funkelten die Edelsteine, und ein lichter Schein lag über dem Kruzifixus.

Der Nachtwind trug den Rosenduft aus den Gärten herüber, leise plätschernd umspülten die Wellen das Heiligtum. Aber unter den Stamm des Kreuzes gebunden, betete der Ertrinkende in Todesnot: »Laß mich nicht versinken, Herr der Meere!«

Da wandte sich das Kreuz um, die Wasser hoben ihn empor und trugen ihn unversehrt über die nächtliche Flut.

Im Osten dämmerte der Tag; im Glanz der Morgenröte zog das schwimmende Kreuz seine Straße.

Da überkam den Gebundenen mitten auf dem Meere aufs neue die Todesangst. Hunger und Durst und die Furcht vor dem entsetzlichen Ende hatten ihn geschwächt, mit Aufbietung der letzten Kräfte schrie er zu Gott. Und dann lag er und wartete ...

Da ward plötzlich der Himmel strahlend hell über ihm, so daß er geblendet die Augen schließen mußte; er fühlte sich von unsichtbaren Händen emporgehoben, das Kreuz ward aufgerichtet, und langsam und feierlich schwebte das Gnadenbild im Glorienschein über die erwachende See. Die letzte Angst war von dem Manne gewichen, fester und fester umklammerten die müden Hände das Kreuz, und seine Seele erfuhr es, daß sie einen allmächtigen Herrn hatte, den lebendigen Heiland.

Immer heller leuchtete das Wunder über den Wassern. In Rosenglut lagen die Küsten mit ihren träumenden Fischerdörfern, Myrten- und Lorbeerhaine schimmerten im Frührot.

Und weiter und weiter zog das Kreuz.

Als die ersten Glockenklänge den Tag verkündigten, stimmte der Gebundene einen jauchzenden Lobgesang an. Frohlockend klang's über das Meer, aller Angst und Todesnot zu Spott ein heilig' Lied vom Leben und Auferstehn.

Im Schatten seiner Ölbäume lag das alte Lucca mit seinen blühenden Laubengängen und Rosengärten.

Ein Fischer rüstete sich zur Fahrt, hell flatterten die weißen Segel in der blauen südlichen Luft; mit einem letzten Gruß zu seinem jungen Weibe hinüber bestieg er den Nachen und fuhr in den sonnigen Morgen hinaus.

Und dann löste sich plötzlich die Rechte vom Steuer; wie gebannt blickten die Augen auf das Wunder, das sich seinen Blicken darbot: »Heilige Mutter Gottes, das Kreuz unseres Herrn auf den Wassern!«

Seine Hände falteten sich, anbetend sank er in die Knie.

Näher und näher kam's, die überirdische Herrlichkeit blendete den zitternden Mann, er verbarg das Antlitz im Gewande. Da klang ihm eine Stimme entgegen, die Stimme eines Menschen.

Er sah empor und erblickte den an das Kreuz Gebundenen. Und dann faßte er sich ein Herz und lauschte den Worten des Fremdlings. Als er alles erfahren und das hochaufgerichtete Kreuz ihm die Wahrheit der seltsamen Mär bestätigte, rief er eilends seine Genossen. Der Jude ward von seinen Fesseln befreit und mit dem Kreuz im Triumph in die Stadt getragen. Dort empfing er nach einigen Tagen die heilige Taufe und ward einer der angesehensten Bürger Luccas.

Das heilige Kreuz hielt man allzeit hoch in Ehren. Eine herrliche Kirche ward erbaut, so schön, wie kein Gotteshaus in Lucca. In dieser Kirche erhielt das Kreuz, das über das Meer gekommen war, seinen Platz über dem Altar. Dort tat es Wunder über Wunder.

Wer mit Not und Gebresten kam, ward gesund; wer mit seiner Sündenlast unter dem Kreuz betete, fand Ruh' und Frieden.

Scharen pilgerten in die alte Stadt und zogen gestärkt wieder heim.

Aber all' Abend, wenn das Ave verklungen und das Volk das Gotteshaus verlassen, wenn die Sonne den letzten Strahl auf das Kreuz warf, kniete ein Mann am Altar und blickte in tiefer Andacht zu dem stillen, heiligen Antlitz auf. Lange verharrte er im Gebet. Es war, als hielt er ein leises Zwiegespräch mit dem Gekreuzigten, als habe er ein sonderlich Anrecht, in dieser stillen Stunde unter dem Gnadenbilde zu knien. Niemand störte ihn, jeder kannte den Mann, den die einbrechende Nacht in das Heiligtum führte – es war der Goldschmied von Lucca!«

Gerhard Stark schwieg. Seine Augen schweiften durch die offenen Bogenfenster in die Nacht hinaus, als müsse ihm draußen ein großes Licht scheinen.

Die Hände über den Knien gefaltet, saß Herrn Burkhards Gemahl. »Ehrwürden, welch wunderliebliche Mär!« flüsterte sie, und die hellen Tränen rannen ihr die Wangen herab.

Er nickte gedankenverloren.

»Ehrwürden, ist es ein wahrhaftiges Geschehnis?« fragten die roten Lippen.

»Eine Legende ist's, edle Frau, wie die christliche Kirche deren eine große Zahl besitzt, heilige Geschichten, die der Volksmund durch die Jahrhunderte getragen, den kommenden Geschlechtern zu Trost und Freude. Denn, ob manche der Überlieferungen durch die Sage ausgesponnen ward, ihre innerste Bedeutung und das Bild, das sie darstellen, bleiben dieselben, das Kreuz unseres Herrn in seiner Kraft und Herrlichkeit.«

Sie sah sinnend vor sich nieder, endlich begann sie zagend: »Ihr heißt das wundersame Geschehnis eine Legende, Ehrwürden, und redet dennoch von des Kreuzes Kraft? Nicht Wunder noch Zeichen geschehen in unsern Tagen, und doch fordert die Kirche den Glauben an Leben und Seligkeit? Bisweilen ist mir die Seele wie ausgestorben, ich fühle nichts und sehe nichts, Ihr aber redet von des Kreuzes Kraft und Sieg, von Leben und Auferstehn, und schau ich Euch ins Auge, so weiß ich's: was Ihr redet, ist große, heilige Wahrheit!«

Sie war dunkel erglüht, und als hätte sie zuviel aus ihrem Innenleben verraten, senkte sie das Haupt.

Er blickte ernst auf das junge, schöne Geschöpf, das sich mitten im Glück mühte und plagte, das eine zu finden, das alles Irdische überstrahlt. Und der Mann, der selbst so heiß gerungen, der heimlich mit den tausend Satzungen seiner Kirche im Streit lag und in aller Stille den Weg wandelte, den der große Augustinus gewandelt war – der fragte sich, in welcher Weise er einem in biblischer Wahrheit unerfahrenen Weibe zum Wegweiser werden könne.

Und dann kam er zu dem Schluß, zu dem er allezeit gekommen: der gerade Weg zu dem, der uns selig macht, ist der rechte – mochten sie draußen im Reiche tun und denken, was sie wollten, der Sohn Monikas war doch klüger gewesen als alle Kirchenfürsten und Bischöfe der Welt. Er wandte sich zu ihr. »Die Kraft des Kreuzes Christi ist ein Geheimnis, Frau Heilweg. Sie offenbart sich unserer Zeit nur selten in Wundern und Zeichen. Ein unsichtbares Kleinod, wird sie dessen Teil, der im Kreuz unseres Herrn den Frieden sucht.«

Sie seufzte. »Gar wenig weiß ich noch von solch hohen Dingen, nicht mehr, als ein armes Mägdlein auf der Schulbank.«

»Habt nur Geduld,« sprach er herzlich, »die Kinder und Unmündigen hat unser Herr gesegnet, das Wissen macht's nicht, aber, wer da anklopfet, dem wird aufgetan!«

Sie sah mit nassen Augen zu ihm auf. »Und wenn ich anklopfe, was wird mir dann – ein Kreuz? Ehrwürden, mir bangt vor dem Kreuz, wenn es mich in die Tiefe des Meeres zieht!« Aus ihren Worten klang heiße Angst.

»Frau Heilweg,« sagte er ernst, »wißt Ihr denn nicht, daß Ihr auf dem Meere wandeln sollt, so Ihr glaubet?«

Sie fuhr empor. Des Türmers Horn klang in die Nacht hinaus. Gleich darauf vernahm man Hufschlag im Hof, Stimmen wurden laut.

Der Kaplan war mit der Burgherrin auf den Altan hinausgetreten.

»Es ist mein Gemahl,« sagte Frau Heilweg, und in ihrer Stimme klang helle Freude, aber ihr Antlitz war marmorweiß.

Sie wollte die Treppe hinabeilen, doch schon trat er ihr entgegen und schloß sie in die Arme.

»Nimmer hätt' ich dich heut erwartet,« sprach sie glücklich.

Er hob ihr Haupt empor und blickte sie an. Auf seinem mannhaften Antlitz lag tiefer Ernst. Erschrocken richtete sie sich auf.

Und dann streifte ihr Blick seine Schulter – ein irrer, markerschütternder Schrei zitterte durch den hohen Raum – sie fuhr mit der Hand nach dem Herzen und brach in den Armen des herbeieilenden Gerhard Stark zusammen. Ein schmerzlicher Seufzer noch und die Sinne waren ihr entschwunden. Auf der Schulter Burkhards von Mohrungen leuchtete blutrot das heilige Zeichen der Kreuzfahrer.

*

In dem weiten getäfelten Schlafgemach lag Frau Heilweg mit geschlossenen Augen weiß wie ein Linnen in den Kissen. An ihrer Seite saß ihr Gemahl und wartete, daß sie den Blick erheben werde, aber es schien, als sollte sie in dieser Nacht nimmer erwachen. Ruhig atmete die Brust, doch auf den Wangen brannten zwei dunkle Flecke und um den Mund lag herbe Qual.

Er aber saß am Bette, in tiefem Schmerz um das Leid, das er ihr antun mußte und nicht lindern noch heilen konnte. In seiner Seele glühte Heiligeres als Frauenminne – die Liebe zu dem, dessen Blut für ihn am Kreuz geflossen, trieb ihn in die Ferne, die heiligen Stätten, da des Heilandes Fuß gewandelt, aus den Händen der Heiden zu befreien. Aber brennend heiß stand ihm die Träne im Auge, so oft er auf die holde zarte Frau blickte, die seit seiner Heimkehr wie tot hingestreckt auf dem weißen Lager ruhte.

Und so saß er und wartete. Er hatte das Gewand wechseln wollen, um sie beim Erwachen nicht aufs neue durch den Anblick des Kreuzes zu erschrecken, doch Gerhard Stark hatte die Hand auf das heilige Zeichen gelegt und gesprochen: »Sie muß es tragen!« So saß er denn und blickte in das stille, wunderschöne Antlitz, das die Goldflut des Haares wie ein Heiligenschein umgab. Die Hand, die seinen Ehering trug, lag matt auf der Brust, es schien, als sei alle Kraft und alles Leben aus ihrer Seele entflohen, so müde, todesmüde war der Ausdruck der Schlafenden. Stunden vergingen, über den Bergen glühte das Morgenrot. Er schob den Vorhang zurück, daß das Licht des jungen Tages hereinflutete.

Da seufzte sie schwer und tief, streckte erwachend die Glieder und öffnete die Augen.

Er trat an das Lager zurück. »Heilweg,« sagte er liebreich und neigte sich über sie. Ihr Blick fiel auf das Kreuz. Der ganze Jammer des vergangenen Tages stürmte auf die zarte, schwache Frau ein; überwältigt sank sie an die Brust ihres Gemahls und schluchzte: »Burkhard – gedenke der Kommenden!«

Er stand wie versteinert. Und als er dann auf sein Weib niederblickte, als er das laute Pochen ihres Herzens fühlte, da drang es auf ihn ein wie ein Gewappneter: »Du lassest sie in Schwachheit und Schmerzen zurück, die Gott deiner Hut vertraut!«

Er breitete die Hand über die Augen, und die bange Sorge um die geliebte Frau legte ihm die Worte auf die Lippen: »Hätt' ich's geahnt!«

Da zog sie ihn tief zu sich herab und schmiegte sich an ihn. »Wenn du heimkehrtest, wollt' ich's dir sagen, Geliebter,« flüsterte sie erglühend, umschlang ihn mit den weichen Armen und drückte die Lippen auf seinen Mund. Da küßte er sie wieder in Glück und Schmerz.

»Und du bist unwiderruflich gebunden?« hauchte sie.

»Ich habe auf das Kreuz geschworen,« antwortete er mit heiligem Ernst.

Dann schwiegen sie beide.

Fast hart erschien Burkhard das Wort des Freundes: »Sie muß es tragen!« Aber der Getreue ahnte es ja nicht, was dem jungen, kaum erblühten Weibe den Abschied und die kommende Zeit erschwerten.

Sanft drückte er sein Gemahl in die Kissen zurück und bat sie, noch ein wenig zu ruhen. Gehorsam wie ein Kind schloß Heilweg die Augen, aber er sah, wie die Tränen ihr unter den Wimpern hervorperlten.

Da wandte er sich noch einmal um, beugte sich über sie und sagte leise: »Heilweg, im Kreuz liegt Segen! Wir wollen es beide tragen, du und ich – merk' auf, mein Lieb, dann bringt's uns Heil und Frieden!«

Und dann ging er.

»Geradeso hatte Gerhard Stark gesprochen,« zog es ihr durch den Sinn, und zu den Füßen dieses Meisters hatte Burkhard von Mohrungen gesessen.

Wie weit entfernt war sie von den zweien! Eine Kluft lag zwischen ihnen, und in der Mitte derselben stand wie eine Scheidewand das Kreuz.

Schluchzend barg sie das Antlitz in die Kissen. Den ersten Schmerz hatte er ihr angetan, den sie über alles andere auf Erden liebte; ihm selbst wollte das Herz darüber brechen, daß er ihn ihr antun mußte, aber er konnte es nicht hindern – eine größere Macht als Frauenliebe leuchtete sieghaft über seinem Leben, zum erstenmal fühlte sie's, und dann zogen ihr Gerhard Starks mahnende Worte durch den Sinn: »Frau Heilweg, wißt Ihr denn nicht, daß Ihr auf dem Meer wandeln sollt, so Ihr glaubet?«

O – sie sah es ja ein, sie war ein armes, törichtes Kind, das nichts wußte und alles verkehrt begann.

Und dann dachte sie an die wunderbare Legende, die der Freund ihr im Dämmer der Nacht erzählt. Wie ein Traum zogen die letzten Stunden an ihrer Seele vorüber mit ihrem Rückblick auf die Herrlichkeit vergangener Zeiten. Ja, der Goldschmied von Lucca hatte die Kraft des Kreuzes erfahren, aber erst nachdem die Fluten der Trübsal über sein Haupt gegangen waren – sie hätte den Mann um seinen Sieg und Frieden beneiden mögen. Und dann breitete es sich vor ihren Augen weit und hell, und in strahlender Glorie schwebte das Kreuz über das blaue Mittelmeer. Da meinte sie, daß das rubingeschmückte Kreuz von Lucca dem Purpurzeichen der Kreuzritter gar ähnlich sei.

Ein Lächeln verklärte das Antlitz der Träumenden, ein stilles, triumphierendes Lächeln, als habe sie ein hartes Werk vollendet! – –

*

Die Sonne war aufgegangen. Am Fenster seines Gemaches stand Gerhard Stark im priesterlichen Schmuck, zur Frühmette bereit, des Glockenrufes harrend.

Vor einer halben Stunde hatte ihn der Mohrunger verlassen. Vieles hatten die zwei miteinander beredet; der Mann, der ohne Zaudern gestern auf die Kreuzesfahne geschworen, war in schwerer Stunde schwankend geworden und mußte aus dem Munde des treuen Beraters das Wort vernehmen: »Wer Weib und Kind mehr liebt, denn mich, der ist meiner nicht wert!« Und dann hatte er den größten Sieg errungen, den ein Mann erringen kann: er beugte sich unter das Wort.

Nun war's still im Gemach. Der Priester Gottes bereitete sich, seines heiligen Amtes zu warten, und kniete anbetend unter dem Kreuz.

Es war immer wieder derselbe Weg, den er in Reu und Buße täglich ging, und an jedem Morgen erschien ihm der stille Zufluchtsort herrlicher, und das heilige Antlitz im Dornenkranz edler und schöner. Er umfaßte das Kreuz. Fremdes Leid und eigene Last drangen auf ihn ein und umringten den streitbaren Mann. Er aber legte eine Bürde nach der anderen im Glauben nieder, und als der erste Glockenton den Beter grüßte, stand er leuchtenden Angesichts auf. Mit einem letzten Blick auf die Stätte, wo er in Glück und Not seine Kraft suchte und fand, schritt er hinab zur Burgkapelle, in seiner Seele aber klang es jauchzend: »Siehe, ich sage euch ein Geheimnis!«

*

Herr Burkhard von Mohrungen hatte bestimmt, daß seine Gemahlin, falls er nach sieben Jahren nicht heimkehre, die Burg mit den dazugehörigen Gütern erben und bis zu ihrem Tode besitzen solle. Auch solle sie nach Verlauf dieser sieben Jahre frei sein, eine neue Ehe einzugehen. Das Kind aber, das ihm während seiner Abwesenheit geboren werde, solle die Mutter beerben mit gleichem Rechte, ob Sohn oder Tochter.

Diesen letzten Willen legte er verbrieft und versiegelt in Gerhard Starks Hände, befahl dem treuen Manne sein junges Weib und nahm Abschied.

Unter heißen Tränen hing Heilweg an seinem Halse, und die weichen Arme umschlangen den Geliebten, als wollte sie ihn nimmer ziehen lassen. Aber er machte sich hart und löste sich sanft aus ihrer Umarmung. Noch einmal preßte er die Lippen auf den blassen Mund, drückte dem Freunde die Hand und schwang sich auf den wiehernden Falben. Ein letztes Winken, und der kleine Zug hatte den Schloßhof verlassen.

Auf Gerhard Starks Arm gestützt, schritt die einsame Frau die Treppen hinan, dem Davonziehenden vom Luginsland den letzten Scheidegruß nachzusenden.

Da standen die zwei im lachenden Sonnenschein. Heilwegs lichte Gestalt hob sich hell vom blauen Himmel, und ihr weißer Schleier flatterte im Winde. Unaufhaltsam rannen ihr die Tränen über die Wangen, aber sie hielt sich mutig aufrecht und blickte unverwandt auf die kleine berittene Schar. Eine kurze Wegstrecke noch, und die weißen Mäntel mit dem Purpurkreuz verschwanden im Waldesdunkel, sie sah sie nicht wieder, vielleicht nie im Leben – vielleicht nur einen aus der stolzen Schar, und dieser brachte ihr einen Ring, einen letzten Gruß – es dunkelte ihr vor den Augen.

Da richtete sich die hohe Gestalt des Führers hoch im Sattel auf und schwenkte das Fähnlein zur Burg empor. Noch einmal sah sie die Schilde in der Sonne blitzen, die Kreuze leuchteten blutrot in der klaren Luft, dann verschwand eins nach dem anderen zwischen den Stämmen des Waldes.

Sie lehnte sich schwer an die Mauer, schlaff sanken ihr die Arme herab. Da nahm der treue Freund sie sanft bei der Hand und geleitete sie ins Frauengemach, wo sie zuletzt beieinander gesessen. Auf den Platz ihres Gemahls setzte sie sich nieder, legte den Kopf auf die verschränkten Arme und weinte wie ein Kind. Er stand still an ihrer Seite und ließ sie gewähren, er wußte, die Tränen taten ihr not.

Da ergriff sie plötzlich seine Hand: »Ehrwürden, ist das das Kreuz?« Sie sah hilflos zu ihm auf, als wollte sie hinzufügen: »Wie soll ich's tragen?«

Ihn aber faßte tiefes Erbarmen mit dem jungen Weibe, das den ersten bitteren Leidenskelch trinken sollte. Er legte die Hände auf ihr blondes Haupt und sagte liebreich: »Ja, Frau Heilweg, das ist das heilige Kreuz – der Herr segne's Euch!« – –

Monde waren vergangen. Thüringen lag still im Weihnachtsschnee und die Christglocken läuteten zum Vespergottesdienst. In den weißen Schloßhof blitzten die Sterne herab und der Vollmond vergoldete das Kreuz auf dem Kapellentürmchen drüben am anderen Flügel der Burg.

Frau Heilweg, der soeben die Gürtelmagd zum Kirchgang den Pelz um die Schultern gelegt, stand im Erker und blickte hinauf zu dem zierlichen Spitzdach, wo das heilige Zeichen der Christenheit in der Winternacht funkelte. Auf ihrem Antlitz stand der große Schmerz geschrieben, aber die Bitterkeit um den zarten Mund war gewichen, und in den Augen lag ein milder Glanz. Sie hatte viel gelernt an den langen Winterabenden, wenn sie Gerhard Stark zugehört oder sich von ihm trösten und vermahnen ließ. Und immer hatte sie etwas mitgenommen aus diesem Beisammensein am Kamin, und dieweil sie's getreu bewahrt, war's unversehens ein unermeßlich reicher Schatz geworden. Wenn sie dann in der Morgensonne spinnend am Fenster saß und den Gesprächen mit dem treuen Manne nachsann, so vermeinte sie, er habe sie in einen Saal voll königlicher Herrlichkeit geführt und ihr des Himmels Kleinodien beschert. Aber so oft sie ihm danken wollte, trat er zurück und wies seine Schülerin, wie einst der Täufer das Volk von Israel, zu dem, dessen Schuhriemen zu lösen er nicht wert sei.

»Ward meinem Worte Kraft verliehen, so ist's Gottes Gnade gewesen,« wehrte er ihren Dank ab. Im stillen aber dachte er: »Wär's ein Mann, den ich unterwiesen, er wäre in die Welt hinausgezogen und hätte ihre Weisen und Edlen gefragt: Ist's Wahrheit, was er geredet? Frauensinn wird im Stillesein stark, er findet im Betkämmerlein die Kraft des Kreuzes, und seines Glaubens Kraft ist nicht die geringere! Sieh zu, Gerhard Stark, prüfe und behalte von allem das Beste!« –

Frau Heilweg zog den Pelz um die Schultern und verließ mit einem letzten Blick auf das Kreuz ihr Gemach. Langsam schritt sie die Stufen hinab und wanderte über den verschneiten Hof der Burgkapelle zu.

Am Portal standen Mannen und Knappen und das harrende Ingesinde. Ehrerbietig grüßten sie die hohe Frauengestalt, und manch mitleidiger Blick flog zu dem stillen, blassen Antlitz hinüber.

Sie nickte ihnen freundlich zu, sprach hier ein liebreich Wort und tat da eine Frage, denn sie wußte um jede Not und Freude ihrer Untergebenen.

»Das ist eine rechte Kreuzträgerin,« sprach der greise Burgwart zu dem neben ihm stehenden Waffenmeister, »sie trägt ihr Leid, wie sich's gebührt!«

Zustimmend nickte der andere, eine ehrwürdige Reckengestalt, der einst den kleinen Burkhard auf den Armen getragen und später den Knaben im Fechten und anderen ritterlichen Übungen unterwiesen, und sein Auge folgte der Schloßfrau in die Kapelle.

In dem alten geschnitzten Herrenstuhl saß sie und lauschte dem Christgesang. Hätte man ihr gesagt, daß es nicht das letzte Mal sein werde, daß sie einsam das Fest der Weihenacht beging, das Herz wäre ihr stille gestanden, aber niemand sagte es ihr, und die, welche sie darum befragte, hatten nicht den Mut, der zarten Frau, die angstvoll die Augen auf sie richtete, in schwerer Zeit das Schwerste anzutun und ihr zu antworten: »Er kommt noch lange nicht.«

Sie wußte ja selbst, daß ein Kreuzzug zumeist länger währte, als ein paar Monde, daß Lenz und Winter kamen und gingen, wieder, immer wieder.

Und während sie still im Kirchenstuhl saß und die uralte, ewig neue Botschaft ihre Seele erquickte und über des Lebens Last erhob, versanken ihr Raum und Zeit vor der Ewigkeitsgröße der Weihnachtskunde. Ihr Herz erfüllte nur eine Sehnsucht: an der Krippe zu knien und den Heiland anzubeten, den benedeiten Sohn Mariens ans Herz zu nehmen und im Anschauen dieses Kindes Kraft und Leben zu empfangen.

Der Segen war gesprochen, das Kirchlein leerte sich. Sie lag noch immer auf den Knien. Da ward ihre Schulter leise berührt.

Vor ihr stand im priesterlichen Schmuck Gerhard Stark. Auf seinen edlen Zügen lag ein heller Glanz – »als hätte er das Jesuskind in den Armen gehalten,« dachte sie, während sie ehrfürchtig zu dem Freunde aufschaute. Da nahm er sie, wie so oft, mit mildem Lächeln bei der Hand und führte sie hinaus. Keines von beiden sprach ein Wort. Der Mann, dessen ganzes Sein in Gott wurzelte, hatte mitten im Licht gestanden und dem Himmelskinde gehuldigt. Aber auch ihr, die, das Haupt gesenkt, an seiner Seite schritt, strahlte Bethlehems Stern – er wußte es, ob ihr auch heiße Frauentränen den Blick umflorten. Ernst blickte der Getreue auf sie nieder. Es war ihm, als sei die ihm Anvertraute sein eigen geliebtes Kind.

Langsam wanderten sie über den weißen, glitzernden Hof. Über ihnen funkelten die Sterne.

Da stand Frau Heilweg still und lauschte in den Winterabend hinaus. Durch die offenen Kirchenpforten zogen die alten entzückenden Klänge, die in der Weihnacht das Kind von Bethlehem grüßen:

»Es ist ein Ros' entsprungen
Aus einer Wurzel zart!
Wie uns die Alten sungen,
Von Jesse kam die Art,
Und hat ein Blümlein bracht
Mitten im kalten Winter,
Wohl zu der halben Nacht!«

*

Der Winter war still dahingegangen auf Burg Mohrungen und früh im Jahr ward's Lenz. Ein Blütenschimmer, wie die ältesten Leute ihn nicht erinnerten, war aus grauem Geäst hervorgebrochen und schmückte das schöne Thüringer Land wie eine Braut. Alle Berge standen in Duft, alle Täler blühten, und über die junge Herrlichkeit spannte sich in leuchtendem Blau der Himmel. Finken lockten, Drosseln schlugen, ein Drängen und Knospen überall, ein Jauchzen und Jubeln in warmen Lüften!

Oben in der Kemnate zu Mohrungen waren die Fenster verhangen, niemand hatte der sommerschönen Welt draußen acht, denn drinnen kämpften Leben und Tod miteinander wie zwei Gewappnete um ein junges, blühendes Leben. Auf den Stufen des Altars lag Gerhard Stark auf den Knien und rang in heißem Gebet um des Freundes Glück; aber die Nacht brach herein und keine Botschaft kam aus Heilwegs Gemach. Da endlich, als der Morgen graute, ward Herrn Burkhard nach schweren Stunden ein Töchterlein geboren.

Wie ein Marmorbild lag das junge Weib in den Kissen, als der Kaplan das Gemach betrat; keinen Blick hatte sie für das Kind, das an ihrer Seite in dem kleinen verschleierten Wiegenbettchen schlief. Die Augen geschlossen, glich sie mehr einer Toten als einer Lebenden. Um den schmalen Mund lag ein tiefer, herber Schmerz, der ihr Antlitz fast hart erscheinen ließ. Das Auge des Mannes ruhte in tiefem Mitleid auf den zarten Zügen. Vor seiner Seele stand plötzlich in scharfen Strichen das Bild ihres Lebens gezeichnet: ein Glück von wenig Monden, ein einsam Genesen mit der bangen Frage im Herzen: Wird dein Kind jemals den Vater sehen?

Und während sie also bangte und hoffte, versank fern im Mittelmeer ein deutsches Glück, und im Frauengemach woben sie den Witwenschleier. Er schrak empor bei den eigenen Gedanken – »Gott verhüte, daß sich solch Ahnen erfüllt!« sprach er leise und ging hinaus.

*

Frau Heilweg von Mohrungen schien ähnliche Gedanken im Herzen zu bewegen, wie ihr Freund. Als sie nach langen Wochen genesen, und ihr Kind zur heiligen Taufe getragen werden sollte, antwortete sie Gerhard Stark auf sein Befragen, welchen Namen ihr Töchterlein empfangen sollte, mit leiser Stimme: »Posthuma!«

Er sah sie erschrocken an. »Kennt Ihr die Bedeutung des Namens, Frau Heilweg?«

Sie senkte den Blick, aber schon rannen die Tränen ihr heiß herab, laut schluchzend barg sie das Antlitz in den Händen. »Sie ist ja ein Waislein!«

Er setzte sich an ihre Seite und bemühte sich, sie zu trösten und ihren Mut neu zu beleben. Aber er glaubte selbst nicht, was er sagte, und ihr Frauenherz fühlte den Zweifel aus seinen Worten.

Bang schüttelte sie das Haupt. »Heißt sie Posthuma,« beharrte sie, »warum soll ich mein Waisenkind nicht bei seinem Namen nennen?«

Da sah er, daß sie den Gedanken nimmer bannen konnte und schwieg; aber im stillen dachte er: »Ihre Kreuzfahrt ist härter als des Mannes Reise. Herr, schenk ihr helleren Sinn und frohere Zeiten!«

Wenige Tage später versammelten sich die Burgbewohner in der Kapelle. Es war ein kleiner, stiller Kreis, auf allen Gesichtern lag tiefer Ernst, und manche Träne rann, als die junge Mutter, in dunkle Gewänder gehüllt, mit bleichem Antlitz hereintrat und neben dem rosenumkränzten Taufstein Platz nahm. Es war, als wehe der Hauch des Todes durch den heiligen Raum, als sei man zu der stillen Tauffeier eines Nachgeborenen zusammengekommen. In schlichten, kurzen Worten betete Gerhard Stark über Heilwegs Töchterlein und taufte es im Namen der heiligen Dreieinigkeit: Posthuma. Heilweg hob den Blick nicht vom Boden, erst als man ihr das Kind brachte, sah sie schwermütig auf und nahm es in die Arme.

Ein tiefer Seufzer hob ihre Brust, als sie in die großen blauen Augen blickte, die zwei anderen so ähnlich waren.

Da trat Gerhard Stark heran. Die Hände breitend, segnete er Mutter und Kind.

Tiefer beugte sie sich über den Täufling, eine brennende Träne rann über das weiße Gesicht und tropfte auf das Händchen des Kindes nieder.

»Posthuma!« flüsterte sie mit erstickter Stimme, »Gott segne dich!«

*

Seit jenem Tage schien's, als habe die Schloßherrin von Mohrungen die letzte Hoffnung auf die Wiederkehr ihres Gemahls begraben. Ein Geist der Mutlosigkeit hatte sich der zarten Frau seit der Geburt ihres Kindes bemächtigt, den selbst die treueste Freundesliebe nicht zu bannen vermochte. Sie war krank und wußte es nicht. Aber der Mann, dessen Fürsorge sie anvertraut worden, wußte es und litt unter der heimlich getragenen Sorge, die er dem jungen schwermütigen Weibe verbergen mußte.

Von den Kreuzfahrern war jede Nachricht ausgeblieben, und auch in seiner Seele schlug der Gedanke immer festere Wurzeln, daß er das Mägdlein nicht umsonst Posthuma getauft.

Lieblich erblühte die Kleine, aber kein Lächeln erhellte Heilwegs Antlitz, wenn sie ihr Schmerzenskind in den Armen hielt.

Es war, als sei eine Saite in ihrem Seelenleben zerrissen, und der Ton kehre nicht wieder.

Sie fragte nicht wie sonst nach Gott und göttlichen Dingen, still saß sie spinnend am Kamin, lauschte zu dem Mägdlein hinüber, und gab dem Freunde zerstreute Antwort.

Zuletzt schwiegen sie beide und hingen ihren Gedanken nach, bis die Fackeln im Eisenring erloschen und die Herrin zur Ruh' ging. Mit großen, vorwurfsvollen Augen sah sie zuzeiten zu ihm auf, als wollte sie sagen: »Warum hast du mir die Legende vom heiligen Kreuz zu Lucca erzählt, Gerhard Stark? Mein Kreuz liegt längst tief unten im Mittelmeer und kommt nimmer zu Land!« Dann hätte er ihr antworten mögen: »Doch, Frau Heilweg, es leuchtet über den Wassern, das Kreuz versinkt nicht.«

Aber er wußte nicht, ob sie ihn verstehen werde, und schwieg.

Oben in seinen stillen vier Wänden gedachte er der Kranken unter dem Kreuz. Dort kniete er, bis eine feste, fröhliche Zuversicht über ihn kam, bis er auf sein Fragen und Flehen die Antwort empfing: »Wer da anklopfet, dem wird aufgetan!«

Aber der Zeit des Hoffens folgten lange Monde vergeblichen Wartens, und die Monde wurden zu Jahren. Die kleine Posthuma hatte längst laufen gelernt und wisperte mit süßem Stimmlein den Namen des fernen Vaters, den sie nimmer geschaut. Dann neigte sich Heilweg tiefer über die Spindel, und die blassen Wangen erglühten dunkel. »Schau hinab, Mägdlein,« sprach sie, wenn die Kleine ihr keine Ruhe ließ mit ihren Fragen, »schau hinab, ob der Vater heimkommt!«

Und das Kind trippelte zum Fenster und blickte auf die staubige Heerstraße hinab, beim Anblick jedes bewaffneten Reiters aufjubelnd: »Mütterlein, er kommt!«

Die einsame Frau nickte zum Fenster hinüber und die weißen Finger spannen den Faden weiter – die Zeiten waren vorüber, da sie Tag um Tag vom Luginsland über das weite Thüringerland schaute, sie wußte es längst, er kehrte nicht wieder.

Kreuzritter waren heimgekommen mit dem heiligen Zeichen auf wehenden Siegesbannern, aber keiner unter ihnen wußte etwas von den Mohrungern. Ein Edler hatte Herrn Burkhard mit seinen Mannen zuletzt vor Beginn einer Sarazenenschlacht gesehen, dann hatte er die kleine Schar aus den Augen verloren. Und das war lange her. Da wußte Frau Heilweg genug. Das Kreuzesheer war heimgekehrt, die letzten Nachzügler eingetroffen, aber kein Mohrunger Kind darunter. Durch ihre Seele zog ein schrilles, heißes Weh; was sie längst als ein Geschehnis betrachtet, nun stand's vor ihr als harte Gewißheit: verdorben! gestorben!

In Witwenkleidern trat sie vor das Ingesinde und die Mannen und sagte ihnen, was sie vernommen, und keiner der Getreuen brachte es übers Herz, ihr Trostworte zu sagen, wo sie keinen Trost wußten. Einer nach dem andern trat still heran, der Herrin schweigend wie zum Schwure die Hand reichend. Manch treues Auge blickte tränennaß in das jugendschöne, zum Tode betrübte Frauenantlitz, dann gingen sie, nur Gerhard Stark blieb bei ihr und geleitete die Verlassene in die Burg zurück. Da standen sie schweigend an Posthumas Bettchen, die, eben erwacht, mit rotgeschlafenen Wangen in den Kissen lag. Heilweg beugte sich zu dem Kinde nieder, doch beim Anblick des Witwenschleiers erschreckend, begann es ängstlich zu weinen. Mit heißen Augen wandte sie sich ab.

»Ich werd's ihr nimmer sagen können, warum sie Posthuma heißet,« schluchzte sie.

»Aber die Zeit wird kommen, da sie Euch darum befragt,« sagte leise der Freund.

Sie nickte ihm zu. »Ja, Ihr habt recht, zu langes Schweigen wäre ein Unrecht an meinem Kinde!«

Und dann geschah, was seit langen Zeiten nicht geschehen, sie setzte sich mit dem Kaplan in den Erker und redete sich ihr Leid von der Seele.

Und während sie sprach, ward ihr Auge klarer und stiller, die Härten, die ihrem Antlitz aufgeprägt waren, verschwanden, und der Mann ihr gegenüber sagte sich mit heimlicher Freude, daß das schwere Leid ihr einen Segen gebracht, dessen Kraft sie selbst freilich noch nicht spürte: den Segen des Kreuzes.

Nun würde sie es in seiner heiligen Schönheit erkennen und in seinem Licht ihre einsame Straße ziehen, ob Stürme sie umbrausten, Wogen sie umbrandeten. Sie war still geworden, und darum war sie stark.

In tiefer Trauer gedachte er des Freundes, den auch er seit der Rückkehr der letzten Kreuzfahrer zu den Toten zählte, aber seine größeste Sorge, die Sorge um das junge, vereinsamte Weib, war ihm abgenommen worden. Und wieder stand's vor seiner Seele groß und hell, ein Kleinod voll himmlischer Herrlichkeit, das kein Mensch ohne Gottes Erbarmen schauen kann: das Geheimnis des Kreuzes Christi.

*

Fünfzehn Jahre mochten vergangen sein, seit Herr Burkhard von Mohrungen die Heimat verlassen, da kam an einem hellen Sommermorgen ein Reiter unterhalb der Burg auf der Heerstraße vorüber. Auf der silbernen Rüstung blitzte die Sonne, Wehr und Gehänge funkelten, als seien sie eben der Waffenkammer entnommen, lichtblaue Federn wehten im Morgenhauch, knapp umschloß das Kettenhemd die stolzen Glieder. Das zurückgeschlagene Visier zeigte ein schönes offenes Mannesantlitz mit strahlend blauen Augen, die ernst und sinnend in die Welt schauten. Um den Mund lag's wie trübes Erinnern schwerer Tage, ob auch der klare Blick nicht gewillt schien, langes Trauern zu dulden.

Stolz ging der edle Rappe unter dem gewaltigen Manne. Lässig hielt die Linke den Silberzaum, über die Mähne des Trabers strich liebkosend die Rechte, so ritt er, vom Sonnenglanz umflutet, durch die Sommerherrlichkeit Thüringens.

Vor dem Bildstock im Schatten der Wildrose, die sich durch das Gestein der Burgmauer den Weg zu dem sterbenden Erlöser gebahnt, das heilige Antlitz vor des Wetters Unbill zu schirmen, machte er Halt und schwang sich aus dem Sattel. Vor dem Gekreuzigten die Knie beugend, betete er lange und inbrünstig, dann erhob er sich rasch, als trieb' es ihn eilends weiter. Da geschah's, daß, während er aufschaute, sein Blick oben wie von einem Zauber gebannt ward.

In der wuchernden Blütenwildnis der steinernen Mauerluke sah er das Holdeste, das er je im Leben erblickt: aus der Fülle der Sommerblumen, die sich auf zartem Stiel im Winde schaukelten, lugte ein süßes Antlitz mit großen, fragenden Augen auf den fremden Rittersmann herab. Eine kleine Gestalt war's, die das zierliche Köpfchen trug, die Gestalt eines kaum reifen Kindes. Bis auf den Mauerstein, da sie saß, floß wie Goldgespinst das schimmernde Haar und verhüllte die zarten Schultern wie ein seidenweicher Mantel. Und im jungen Antlitz die Kindesruhe, die noch kein heißes Fragen, kein jähes Erröten beim Anblick sieghafter Mannesschönheit kennt – wie es ihm gefiel, dies kleine, stolze Burgfräulein, das sich nicht von der Stelle rührte, noch dem vornehmen Fremden, der in seinem strahlenden Gewande schon mehr als einmal mit Thüringens Landgraf verwechselt worden, nach Kindesart seinen Gruß entbot. Nein, es wartete fein sittsam wie ein Jungfräulein, daß er die schimmernde Waffe vor ihr neigen möchte.

Und dann flog dem Manne ein Gedanke durch den Sinn, der ihm plötzlich Weg und Fahrt wandelte: »Wie mag dieses Kindes Mutter ausschauen?«

Er hatte des öfteren von der schönen vereinsamten Frau droben auf dem alten Kastell vernommen, die der Volksmund des Mohrungers Wittib hieß, aber es war an seinen Ohren vorübergerauscht, was man sich unten im Land von der edlen Heilweg erzählte. In diesem Augenblick ward's lebendig wie eine holde, halbverklungene Sage, und vor seiner Seele stieg lichtumwoben das Bild einer deutschen Frau ohnegleichen empor.

Er blickte einen Augenblick wundersam bewegt auf die beiden goldenen Ringe an seiner Hand, seit sechs Jahren trauerte er um sein junges Gemahl, sein einzig Kind spielte zu den Füßen einer Fremden und er selbst war noch so jung. – »Heilweg!« klang's ihm in der Seele. Sollte er heut' den Weg gefunden haben, der ihm die Heilung brachte von Kummer und Last? Er blickte wiederum an der steilen Burgmauer empor, wo sich das liebliche Bild vom lachenden Sommerhimmel abhob.

Mit derselben hoheitsvollen Würde saß das kleine Schloßfräulein rücklings auf dem Mauersims und blickte über die Schulter schweigend auf den Fremdling nieder.

»So wird sie noch lange sitzen, wenn du nicht ein Ende machst,« dachte er belustigt und neigte sich tief vor dem schönen Kinde, die Waffe wie zum Fürstengruß zur Erde senkend.

Da neigte auch sie das Köpfchen und das feine Gesicht erglühte wie eine Waldrose. Unruhig begann sie sich auf ihrem luftigen Plätzchen hin und her zu bewegen, so daß er besorgte, sie möchte ihm davonlaufen.

»Verzeiht, edles Fräulein,« begann er mit tiefem Ernst, »gar weit bin ich gereist und mein Rößlein kann nimmer weiter. Darf ich verhoffen, auf der Burg ein kurzes Obdach zu finden? Weit im Lande rühmt man die edle Gastfreundschaft der Herrin von Mohrungen – werd ich keine Fehlbitte tun? Ich bin der Ritter von Neuffen!«

Die Kleine hatte ihre Hoheit abgelegt und beugte sich so tief über den Mauerring, um das arme verschmachtete Rößlein zu sehen, daß der von Neuffen erschrocken ausrief: »Um aller Heiligen willen, Ihr werdet herabstürzen!«

Im selben Augenblick wieherte der stolze Rappe fröhlich auf, und das kluge Mädchen zog sich kichernd zurück: »Ich werd's der Mutter sagen!«

Da klang's oben im Rosengarten: »Posthuma! Posthuma!«

»Da ist sie schon!« rief die Kleine fröhlich dem Ritter über den Steinring zu; dann lief sie eilends, dem Rufe der Mutter zu folgen.

Ihm aber war's beim Klange des wehmutsvollen Namens, als würd' die Geschichte eines Frauenlebens mit seinem Glück und seiner Not lebendig – erwartungsvoll blickte er empor.

Und dann neigte sich Wolff Dietrich von Neuffen tief und ehrerbietig, viel tiefer noch als vor der kleinen Posthuma, als trüg' die blasse Frau im Witwenschleier den Hermelin.

Freundlich lauschte sie seiner Bitte, und ihr goldlockiges Ebenbild schmiegte das Köpfchen an die Schulter der Schloßherrin.

Der Mann auf der Heerstraße aber sann vergeblich, welche von den zweien die schönere sei, die vollerblühte Edelrose oder die zarte, halberschlossene Knospe.

»Seid mir willkommen auf Schloß Mohrungen, Ritter von Neuffen!« klang da Frau Heilwegs helle Stimme, und Posthuma lief den Steinring entlang, dem Ritter den Weg zum Burgtor weisend.

Es war alles gekommen, wie er's gedacht und verhofft.

*

Aus kurzer Einkehr in sengender Mittagssonne ward die nur allzu schnell dahinschwindende Rast von drei rosenumblühten Hochsommertagen.

Wolff Dietrich von Neuffen liebte Heilweg von Mohrungen in ihrem Kinde und wußte es nicht. Keiner trat zu dem edlen Gast und warnte ihn, denn niemand auf der Welt kannte die Geschichte seiner Seele, die ihm selbst ein Geheimnis blieb.

Unter der Burglinde saß er, in den Anblick ihrer Frauenschönheit versunken, und sann nicht darüber nach, wie alt Heilweg sein möchte; er sah nur immer wieder zu der hohen Gestalt im Witwenkleide hinüber und dachte, sie müsse noch viel holder sein mit roten Rosen im Gurt und sein kleines, mutterloses Büblein auf den Knien. Dann erzählte er ihr von daheim, von der alten, lindenumrauschten Burg mit den efeuumsponnenen Zinnen, von dem hohen, getäfelten Frauengemach mit der herrlichen Ausschau über Wald- und Talgründe, von dem einsamen Kinde mit den großen, fragenden Augen Frau Sabines. Warum er von dem allen sprach, wußte er selbst kaum, und als er geendet, zog's ihm durch den Sinn, daß er niemalen zu anderen Frauen von diesen Dingen geredet. Aber die Herrin von Mohrungen hörte ihm leise lächelnd zu, und Posthuma blickte, die Arbeit im Schoß, verträumt zu ihm hinüber, als sei Burg Neuffen ein verzaubertes Schloß, von Sage und Märlein umwoben. Doch am dritten Tage stand der Rappe gesattelt, und der Gast küßte zum Abschied ehrerbietig die Hand der Hausfrau. Leise drückte er die weißen Finger, und ein flüchtig Rot färbte ihr marmorkühles Antlitz – hastig wendete er sich ab, sagte der kleinen Posthuma Lebewohl und schwang sich in den Sattel. Ein letztes Grüßen, ein letztes Aufleuchten der farbenprächtigen Reitertracht im Glanz der Abendsonne, und die Zugbrücke ging donnernd nieder.

Posthuma blickte gedankenverloren auf die Stelle, wo er zuletzt gestanden und ihr zugewinkt.

»Gleicht der Ritter von Neuffen dem Vater, Mütterlein?« fragte sie leise.

Frau Heilweg beugte sich nieder und nestelte an ihrem Gewande. »Nein, Kind,« erwiderte sie und schritt langsam den Wendelstein hinan ins Frauengemach.

*

Eine Woche mochte vergangen sein, da hielt am Burgtor ein glänzender Zug.

In seidener Hoftracht und kostbarer Wehr schritt Wolff Dietrich von Neuffen über die Schwelle des alten Schlosses und warb um die Hand Heilwegs von Mohrungen.

Lange harrten Knappen und Mannen im Hof.

Endlich, nach Verlauf von fast einer Stunde, kehrte der Gebieter zurück, die Stirn umwölkt, mit klirrenden Sporen. Ohne ein Wort zu sagen, schwang er sich in den Sattel und sprengte aus den Toren der Burg. Nicht schnell genug konnte das Gefolge aufsitzen, in scharfem Trabe ging's von dannen.

Oben am Fenster der Kemnate stand eine blasse Frau und blickte dem Davonreitenden nach. Eine Träne stahl sich aus ihrem Auge und rann langsam die schmale Wange hinab. »Burkhard!« flüsterte sie mit erstickter Stimme.

»Mütterlein, warum ist der Ritter von Neuffen so bald wieder davongeritten?« fragte Posthuma, ins Gemach tretend. »Wie ein Sturmwind flog er von dannen, und ich hätt' ihm doch so gern meine Blumen gezeigt. Die Akelei steht in Blüten und das Rosmarinsträuchlein ...«

Sie stockte und blickte erschrocken auf die Mutter.

»Es ist nichts!« sagte Heilweg, ihre Tränen trocknend. »Ich dachte daran, wie einst dein Vater aus den Toren der Burg ritt und nimmer heimkam!«

»Aber der Herr von Neuffen kommt wieder, Mütterlein,« meinte Posthuma hoffnungsfröhlich. »Er hat mir ein Rosenbüschlein versprochen mit goldgelben Röslein daran, und die Akelei wollte er sehen! Glaubst du nicht, daß er kommt?«

»Ja, ich glaub's, Töchterlein,« sagte die Wittib, doch es war eine unfrohe Antwort. Sie strich ihrem Kinde das Goldhaar aus der reinen Stirn, küßte es und ging hinaus.

Mit schwerem Schritt stieg sie die Stufen hinan zu Gerhard Starks Gemach.

»Ehrwürden, ich hab' ihn abgewiesen,« rief sie dem Freunde entgegen, »und nun er fort ist, frag' ich mich, ob ich recht getan um des mutterlosen Bübleins willen!«

Der Kaplan stand am Fenster und blickte dem stolzen Reiterzug unten auf der Heerstraße nach. »Könnt Ihr nicht vergessen, edle Frau?« fragte er sanft.

»Nein, ich kann's nicht.« Sie war dicht an ihn herangetreten. Die ganze Kraft ihrer Liebe zu dem Toten trat ihm aus ihren Worten entgegen. »Ich hatte jüngst einen seltsamen Traum,« fuhr sie dann fort, und ihre Wangen färbten sich höher. »An der Küste des Mittelmeeres stand ich und sah ein Kreuz auf dem Meere schwimmen. Zuerst vermeint ich, es sei das heilige Kreuz von Lucca, das mir erschien, aber als ich näher hinblickte, war's das scharlachfarbene Zeichen der Kreuzfahrer. Die Wogen umringten es, der Sturm umbrauste es, aber es hielt ihrem Drängen stand. Und dann ward es plötzlich wie von unsichtbaren Händen emporgehoben, Wind und Wogen verstummten, und in strahlender Glorie schwebte es auf mich zu. Es war das Kreuz, das mein herzlieber Gemahl am Tage seiner Ausfahrt getragen!« Ihre Stimme erbebte: »Ehrwürden, ist's nicht ein Zeichen, daß er lebt und wiederkehrt?«

Sinnend blickte der Kaplan auf die schöne Frau. So wie er sie vor sich sah, war's ihm unmöglich, ihrem edlen Freier ein Fürsprecher zu sein.

»Der Traum ist wunderbar,« sprach er ruhig, »und bisweilen geschieht's ja auch, daß ein Traumbild uns den Schleier von den Augen nimmt und uns künftiger Zeiten Glück und Not offenbart. Aber glaubt nicht zu fest daran, denn wer sagt Euch, daß Eure Deutung des Traumes die richtige sei?«

»Ihr habt recht,« sprach sie leise, »ich kann irren. Aber warum kam das heilige Kreuz gerad' auf mich zu?«

»Kann's nicht sein, weil Euch ein Kreuz beschert ward, weil Ihr seit langen Jahren Eure Last tragt und doch immer fragen müsset: Ist's das Kreuz, oder ist's ein Wahngebilde, darunter ich seufze? Frau Heilweg, leichtlich ist's der letzte Gruß des geliebten Toten, den er Euch über das Meer sandte!«

Er faßte sanft ihre Hand, leise schluchzte sie in ihr Tüchlein. »Und Wolff Dietrich?« fragte sie endlich, ihre Tränen trocknend. »Ehrwürden, wir sind nicht nur für uns und unser Herzweh auf der Welt!«

»Nein, das sind wir nicht. Aber treue Minne darf nicht mit Kälte und Gleichmut gelohnt werden. Ihr müßt dem Ritter von Neuffen zum wenigsten von Herzen zugetan sein und ihm volles Vertrauen entgegenbringen.«

Sie seufzte. »Ich muß sehen, wie ich mit meinem Gewissen einig werd'!«

Sie reichte ihm durch Tränen lächelnd die Hand. »Wir sind allzumal auf der Kreuzesfahrt ins heilige Land, und ein jeder trägt seine Last – hab ich's nun verstanden, Ehrwürden?«

»Ja, das habt Ihr!« und Georg Stark wollte ihr noch ein Wörtlein mehr sagen, aber schon war sie die steinernen Stufen hinab, und Posthumas Stimme klang jubelnd und jauchzend im Wendelstein: »Mütterlein, ein Rosenstöcklein steht in meiner Kammer, drei goldgelbe Röslein hat's, wie ich sie nimmer gesehen; Mütterlein lieb, wie bin ich froh!«

*

Wolff Dietrich von Neuffen war wiedergekommen, einmal, zweimal – und das dritte Mal verließ er mit siegesfroher Stirn das Schloß. Frau Heilweg hatte dem Freiersmann versprochen, ihn, falls er noch ein Jahr warten wolle, zu erhören. Bis dahin wolle sie der Rückkehr ihres Gemahls harren, käme er in der gesetzten Zeit nicht heim, so sei sie bereit, dem Ritter von Neuffen die Hand zum Ehebunde zu reichen.

So verließ ein glücksfroher Mann Burg Mohrungen.

Aber oben in der Fräuleinkammer stand ein goldhaariges Kind, kaum erblüht, in knospenhafter Schönheit und blickte dem Reiter gedankenverloren nach. Ein Marienblümchen hielt's in der Hand, und die zarten Finger zupften langsam die weißen Blättchen vom Stiel. »Er liebt mich!« Sie löste das letzte Blättchen, aber das junge Antlitz war trüb und bleich. Schluchzend lehnte sie das Köpfchen an die Mauer und flüsterte, dem Davonreitenden nachblickend: »Nein, nein, wie sollt' er mich auch lieben, mich töricht Kind – er liebt ja die Mutter.« – –

Hochsommer war's, das Korn reifte, und im dunklen Laube leuchteten die Rosen in später Blüte. Auf der Burg war ein stetig Kommen und Gehen, denn Heilweg sandte einen Boten nach dem andern nach dem Verschollenen aus, aber sie kehrten zurück wie in früheren Jahren – ohne eine Spur von ihrem Herrn gefunden zu haben. Ein greiser Knecht, der vor mehreren Jahren die Reise nach Palästina angetreten, um nach Herrn Burkhard zu forschen, kehrte in diesen Wochen unverrichteter Sache heim, krank und lebensmüde, den Tod in der Brust. Da erkannte sie, daß all ihr Suchen und Warten vergeblich sei. Mit heißen Tränen begrub sie ihre letzte Hoffnung und pflegte den treuen Alten bis an sein Ende. –

Still verging der Winter. Posthuma war zum lieblichen Mägdlein erblüht, aber als der Sommer wieder nahte, ward sie bleich und bleicher, und die Mutter sorgte sich ernstlich um sie. Manch kräftigen Heiltrunk bereitete sie dem zarten Kinde, manch Kräutlein und Wurzelwerk ward im Walde gesammelt, aber die Mittel schlugen nicht an.

So nahte die Hochzeit. Wolff Dietrich von Neuffen und seine Braut wollten den Tag, da sie zum zweitenmal zum Altar traten, in der Stille begehen.

So geschah's, daß außer den Trauzeugen niemand geladen ward, denn die nächsten Angehörigen des Paares weilten nicht mehr unter den Lebenden. Aber die Burg prangte in festlichem Schmuck, als sollten Kaiser und Könige in den alten Mauern einziehen. Rosengewinde umkränzten die Torbogen und schlangen sich von Fenster zu Fenster, Wimpel und seidene Bänder in den Farben des Hochzeitspaares winkten lustig aus dunklem Tannengrün, kostbare Teppiche hingen aus den Erkern nieder und bedeckten den blumengeschmückten Weg zur Kapelle.

Frau Heilweg war das Schaffen und Treiben im Grunde ihres Herzens nicht recht; aber sie mochte den treuen Untergebenen, die ihre Liebe zu ihrem Gemahl auf seine Witwe übertragen, nicht wehren. So war sie bald hier, bald dort, sprach hier ein freundlich Wort, lobte dort ein wohlgelungenes Werk, so daß alle glauben mußten, sie sei mit ganzem Herzen dabei. Nur einer stand oben im Gemach am Fenster und blickte auf das ungewohnte Leben im Schloßhof, auf die schöne blonde Frau, die die Witwenhaube erst morgen mit dem Hochzeitsschleier vertauschen wollte; der legte die Hand über die Augen und seufzte: »Herr Gott, wie soll's enden!«

Er hatte Heilwegs Kampf mit angeschaut und wußte, sie opferte mit ihrer Liebe zu dem Toten ein Stück ihres Herzens, aber als er sie in stiller Stunde gemahnt, sich selbst nicht zu verlieren, hatte sie ihm geantwortet: »Ich halte Wolff Dietrich von Neuffen gar wert und vertraue ihm von Herzen!« Da hatte Gerhard Stark ihr geglaubt und gedacht: »So geb es Gott, daß die Liebe dem Vertrauen folgen möge.«

Und dann war die Osterwoche gekommen, und die junge Posthuma hatte schluchzend vor ihm gekniet und ihm zitternd ihr jungfräuliches Beichtgeheimnis anvertraut: »Ich lieb ihn, aber nicht mit der Liebe des Kindes, meine Liebe ist heiße, sehnende Frauenliebe!«

Machtlos stand er da. Es half nichts, daß er ihr sagte: »Deine Liebe ist Sünde, reiß sie aus und zertritt sie!« Er wußte es nur zu gut, wie wenig solch Zertreten fruchtete, wie das mühsam ausgerottete Kräutlein immer wieder emporrankte und alles überwucherte. Er wußte es: in solchem Streit helfen nur jahrelange treue Ausdauer, Geduld und Gebet. Und Posthuma war noch so jung; kaum erblüht, war der Reif auf die zarte Knospe gefallen.

Er half dem armen Kinde, soweit es in seinen Kräften stand, zurecht und riet Heilweg, die sich, nichts ahnend, um das blasse Mägdlein sorgte, sie, sobald es irgend tunlich, fortzugeben. Sie sei ihr Lebtag nicht von der Burg gekommen, jetzund sei der Augenblick, da ihr Gottes schöne Welt offenstehe.

Und während sie noch zauderte, traf ein Bote der Landgräfin von Thüringen ein, welche die Mohrungerin bat, ihr nach ihrer Hochzeit die Tochter als Hofjungfer auf die Wartburg zu senden. So fielen die Würfel. Posthuma hatte sich sofort bereit erklärt, und einige Stunden später trug der Fürstenbote Frau Heilwegs Antwort ins Landgrafenhaus.

Aus dem offenen Fenster der Kemnate blickte das Mägdlein dem Reiter nach, als Gerhard Stark an ihre Seite trat und die Hand auf ihre Schulter legte.

»Es ist am besten so,« sagte er liebreich, »in der Ferne ist's leichter zu vergessen!«

Sie wandte ihm ihr holdes Antlitz zu.

»Zu vergessen, Ehrwürden?« fragte sie traurig. »Vergessen werd' ich nimmer, aber das Überwinden wird leichter sein in der Ferne! Nicht wahr, die Mutter weiß nichts?« fügte sie errötend hinzu.

Er schüttelte das Haupt.

»Nein, Posthuma. Was Ihr mir vertrautet, liegt als Beichtgeheimnis in meiner Seele verschlossen und bewahrt. Ob die Herrin selbst etwas ahnt oder erriet, weiß ich nicht!«

»Sie denkt, ich sei ein Kind!« seufzte Posthuma, »und ich war's ja auch bis ...« Sie reichte ihm die Hand und ging. »Habt Dank für alles, Ehrwürden,« sagte sie leise.

Er wußte nicht, was sie ihm zu danken habe, aber eins wußte er: daß er Herrn Burkhards Rückkehr heißer ersehnte denn je. Dann würde Frau Heilweg sich selbst und ihr Glück wiederfinden, und ihr blasses Kind aufblühen wie eine Rosenknospe. Und all der Schmuck, den das alte Schloß anlegte, und Myrtenkränzlein und Schleier, sie würden nicht vergeblich ihrer holden Bestimmung warten. – –

Aber so war's eben nicht. Hätte nicht sein Herrgott im Himmel gesessen, der fromme Gerhard Stark hätte etwas von grundverkehrtem Regiment geredet. Doch er schwieg wohlweislich.

*

Der Hochzeitstag war herangekommen. Auf dem Hochsitz unter der Burglinde saß der Ritter von Neuffen an Heilwegs Seite und redete mit ihr von vergangenen und künftigen Zeiten. Sie waren beide sehr ernst, als stünde ein Schatten zwischen ihnen, der sie in letzter Stunde scheiden wolle. Sie verhehlten sich's nicht und gedachten ihrer Toten an ihrem Ehrentage, aber trotz alledem lastete es auf den beiden Menschen wie Gewitterschwüle, als schickten sie sich an, ein Unrecht zu begehen.

Auf dem Burgwall spielte Posthuma mit dem neuen Brüderlein. Wie eine junge Mutter saß sie, den Kleinen auf den Knien, in der Mauerluke und erzählte ihm ein Märlein nach dem andern. So gut hatte klein Siegewart es lange nicht gehabt, und als sie enden wollte, schmiegte er sein Lockenköpfchen an ihre Brust und bettelte: »Mehr erzählen, lieb' Mütterlein!«

Sie erglühte dunkel und drückte das zarte Köpfchen an sich, während ihr die Tränen über die Wangen liefen, dann raffte sie sich hastig auf, hob den Knaben empor und trug ihn unter die Linde. »Das ist deine Mutter, Siegewart!«

Das Kind sah mit großen erschrockenen Augen in das schöne Frauenantlitz, das sich liebevoll zu ihm neigte, dann umklammerte es krampfhaft das neben ihm stehende Mägdlein: »Zu Mütterlein gehen!«

Posthuma wandte sich ab und suchte sich aus den kleinen Armen zu befreien. Auch Wolff Dietrich wollte seinen Buben Sohnespflichten lehren, und fast wären Tränen geflossen, da legte sich Heilweg ins Mittel.

»Laßt den Kleinen,« bat sie, »er wird sich gewöhnen,« aber in ihrem Auge stand eine Träne, und ein Schatten lag auf der reinen Stirn. –

Der Burgwart kam über den Hof und vermeldete der Herrin, ein Pilger aus dem heiligen Lande bäte um Obdach.

Frau Heilweg horchte auf, ihre Wangen röteten sich. »Der Mann soll Speise und Trank empfangen und auf der Burg nächtigen,« erwiderte sie. »Doch zuvor will ich ihn sehen.«

Mit leiser Sorge weilte Wolff Dietrichs Auge auf der schönen bräutlichen Frau. Hoffte sie immer noch? heut, da sie ihm zum Traualtar folgen wollte? Ein scharfer, schneidender Schmerz ging durch seine Seele – in diesem Augenblick erschien's ihm ein Frevel, die Hand nach dem lieblichen Weibe auszustrecken. Und doch – leichtlich war's sein Glück, das den Pilger heraufgeführt – sie würde, wie so oft schon, vergeblich nach dem Verschollenen fragen und endlich an seinen Tod glauben!

»Zur Zeit meines seligen Herrn war's Sitte auf Mohrungen, daß kein Pilger rastete, er habe denn zuvor ein Lied gesungen!« sagte der greise Burgwart, »soll ich ihn herführen?«

»Ja,« rief der Ritter von Neuffen, »führet ihn herauf,« und Heilweg stimmte ihm bei.

Der Burgwart ging und geleitete den Fremden in den Hof. Eine hohe Erscheinung war's, stolze Glieder umfloß das Pilgerkleid, höfische Art und adlige Sitten verrieten edle Herkunft. Ritterlich verneigte er sich vor der Burgherrin und begann zu singen:

»Ein Kreuz hab' ich getragen am Gewand,
Hinaus bin ich zogen ins gelobte Land.
Hab' gekämpft und gerungen um die heilige Stadt,
Da unser Herr und Heiland gelitten hat.
Jahr um Jahr mußt' ich schmachten in Haft und Pön,
Glaubt' nimmer, die deutsche Heimat zu seh'n.
Bis die Treue mich löst' aus der Heiden Gericht,
Und hinaus mich führte ans himmlische Licht! – – –
Heim bin ich kommen aus fernem Süd',
Im deutschen Burghof die Linde blüht.
Es sitzet die Braut auf hohem Altan
Und küßt einen fremden Rittersmann. –
Heim bin ich kommen, mein Herz ist leer.
Ich hab' keine bleibende Stätte mehr!
Nun will ich wandern gen Nord und Süd,
Wo die Woge rauscht und die Heide blüht. – – –
Heil wollt' ich werden von Not und Leid, –
Nun werd ich's nimmer in dieser Zeit!
Herr Jesus Christus, sei du mein Teil!
Weis' mir den Weg zum ewigen Heil!«

Er hatte geendet. Auf seinen Pilgerstab gestützt, blickte er in tiefem Sinnen vor sich nieder. Marmorbleich, mit gesenkten Augen, saß die Mohrungerin neben ihrem Verlobten.

Da neigte sich der Ritter zu ihr: »Heilweg, bietet dem Sänger den Ehrentrunk!«

Wie geistesabwesend stand sie auf, füllte den goldenen Becher mit Malvasier und schritt auf den Pilger zu.

Unbewegt schaute der Fremde auf die blasse Frau, die ihm den Willkommentrunk bot. Ihre Rechte zitterte, fast hätte sie den edlen Trunk verschüttet; purpurn glänzte ein Tropfen auf der weißen Hand, als sie ihn dem Gast reichte.

Er aber setzte den Goldpokal an die Lippen und leerte ihn bis zum Grunde.

»Auf das Glück Eures Hauses, edle Frau!« rief er mit hallender Stimme.

Ein Kleinod funkelte in seiner Hand, ein Edelstein klirrte im Becher.

»Verschmäht nicht den Dank eines wegmüden Mannes,« bat er und gab ihn ihr zurück.

Sie sah hinein. Auf dem Grunde des Bechers lag ein Ring von rotem Golde.

Ein Blick auf den Fremden, ein Aufschrei, und sie lag zu seinen Füßen: »Mein Herr und Gemahl!«

Sprachlos blickten die Umstehenden einander an. Herr Burkhard aber neigte sich über sein Weib und suchte es emporzurichten. Doch Heilweg stieß seine Hand fort und rief in ausbrechendem Jammer: »Hinweg! rühr' mich nicht an, ich bin deiner unwert in alle Ewigkeit! Eine Stunde noch, und ich beging die Todsünde, welche die Kirche mit Einmauerung straft – Bigamie! – Geh über mich hinweg, ich bin's nicht wert, daß mich dein Fuß berührt, daß der Saum deines Kleides mich streift – –«

»Heilweg,« bat er mit erstickter Stimme.

»Heiß mich nicht Heilweg,« rief sie leidenschaftlich. »Kein Mensch auf Erden wird heil, der mich angeschaut, das Weib, das zur Doppelehe geschritten. Verflucht ist die Stätte, da ich gesessen, der Becher, daraus ich trank, verflucht der Mann, den ich küßte, dem ich am Herzen geruht. – Gehet hinaus, Wolff Dietrich, und lasset die Rosse satteln, und bringt Euer unschuldig Büblein heim. Dann eilt, so schnell Ihr könnt, an das Grab des Erlösers, daß Ihr rein werdet an heiliger Stätte!«

»Heilweg,« bat der Mohrunger und strich über ihr goldenes Haar, »Heilweg, mein Herzlieb, du hast ja die Sünde nimmer begangen!«

»Ich wollte sie begehen!«

»Und hättest du sie begangen, so wär's keine Sünde gewesen. Wie konntest du ahnen, daß ich noch lebte!«

»Bigamie hätt' ich begangen,« stöhnte sie.

Er fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Sechzehn Jahr war ich in der Fremde, keine Kunde kam zu dir, und die Kreuzfahrer kehrten heim bis auf den letzten – ich spreche dich frei, Heilweg!«

»Ich habe gesündigt,« rief das gemarterte Weib.

»In meinem Testament, das ich versiegelt in Gerhard Starks Hände legte, stehet geschrieben, nach Verlauf von sieben Jahren solltest du, falls ich nicht heimkäme, frei sein, einen anderen Ehebund zu schließen.«

»Ich habe gesündigt und kann nimmer dein Weib sein! Seit jener Stunde, da mir im Traum das Kreuz erschien, war's mir ums Herz, als müßtest du heimkehren, aber ich achtete des heiligen Zeichens nicht und ließ mich betören. Ich habe gesündigt, stoß mich hinaus!«

»Heilweg, Heilweg!« Er hatte sie emporgehoben mit starkem Arm, da sah sie ihn mit großen, irren Augen an.

»Bigamie,« stöhnte sie. »Lieb', Glück – gestorben – verdorben!« und mit herzerschütterndem Wehlaut brach sie in den Armen ihres Gemahls zusammen.

Sie trugen sie ins Schloß, in das weite, helle Frauengemach, wo Brautkranz und Schleier ihrer Trägerin harrten. Da lag sie lang ausgestreckt auf dem weißen Lager, wie einst, da sie das rote Kreuz am Gewande ihres Gemahls entdeckt.

»Könnt Ihr mir vergeben?« sprach der von Neuffen mit erstickter Stimme. »Seit Jahren werdet Ihr tot gesagt, weit über Thüringens Grenzen hinaus klang die Kunde von dem furchtbaren Ende, das Ihr im Sarazenenlande gefunden, ich hab's nicht gewagt, zu Eurem Gemahl davon zu reden.«

»Herr von Neuffen,« unterbrach ihn der andere, »ich habe Euch nichts zu vergeben. Keinen von uns dreien trifft eine Schuld – es ist ein seltsam trauriges Geschehnis – und Gott, der Allmächtige, hat's zugelassen. Es ist mir leid um Euch, daß Euer Glück so jäh vernichtet ward, ständ's in meiner Hand, gern erbaut ich Euch ein neues. Laßt uns als Freunde scheiden – so Ihr meiner bedürft, bin ich allezeit bereit, zu Euch zu stehen!«

Die hellen Tränen standen ihm im Auge und rannen in den ergrauten Bart.

Wolff Dietrich von Neuffen brachte kein Wort mehr über die Lippen.

Er drückte die Hand Herrn Burkhards fest nach Mannesart und eilte den Wendelstein hinab.

Unten in der Halle saß Posthuma mit seinem Kinde.

»Lebt wohl, edles Fräulein,« sagte er, vor sie hintretend, »vergeßt die Zeiten, da der Ritter von Neuffen auf Mohrungen weilte.«

Sie sah nicht auf und suchte ihr verweintes Gesichtchen hinter dem Kleinen zu verbergen.

»Posthuma,« sagte er bittend, »schaut mich noch einmal an und vergebt mir!«

Da blickte sie ihn voll an. »Ich habe Euch nichts zu vergeben,« sagte sie leise, »Ihr habt mir nichts als Freude gebracht.«

Über sein Antlitz ging ein kurzes Leuchten, das aber ebenso schnell verschwand.

»Wenn Eure Mutter stirbt, werdet Ihr sagen, ich habe sie getötet!«

»Schweigt!« rief sie laut, daß klein Siegewart erschrocken zu ihr aufschaute, »eine Sünde wär's, redete ich also! Niemand trägt die Schuld an dem traurigen Geschehnis, Gott und die Heiligen haben es also gefügt, sie werden's auch zum besten wenden!« Sie war aufgestanden und reichte ihm die Hand, die er ehrerbietig an die Lippen zog. »Ich danke Euch, Posthuma,« sagte er leise.

Sie schritt dunkel errötend an seiner Seite zum Portal, wo am rosenumkränzten Gitter der Rappe scharrte.

»Bei Mütterlein bleiben!« schluchzte Siegewart. Sie neigte sich tief über das Kind, zwei weiche Arme schlangen sich um ihren Nacken.

»Siegewart kommt bald wieder!« flüsterte sie, während ihr die Tränen über die Wangen liefen.

Wolff Dietrich hob den Kleinen in den Sattel und schwang sich hastig hinterdrein. Noch einmal lag die Mädchenhand in seiner Rechten, noch einmal grüßte er sie tief und ehrerbietig, dann ritt er mit dem Letzten, das ihm von seinem Erdenglück geblieben, zum Tore hinaus.

»Siegewart kommt bald wieder!« klang es mit jauchzender Zuversicht durch den Sommertag, und der letzte Gedanke des scheidenden Mannes galt dem einsamen Mägdlein unter dem blühenden Hochzeitskranz am Portal. Heut' kam sie ihm zwiefach verwaist vor, obschon sie den Vater wiedergefunden.

»Posthuma!« sagte er leise, und die großen blauen Augen seines Kindes sahen ihn leuchtend an.

»Mütterlein heißt sie,« sprach Siegewart.

*

Auf Mohrungen brachen schwere Zeiten an. Wochenlang schwebte Frau Heilweg zwischen Leben und Tod. Und als sie dann langsam genas, war's kein frohes Gesunden, der Druck auf ihrer Seele blieb, sie achtete sich der Liebe ihres Gemahls unwert und erklärte, der Platz an seinem Herde gebühre ihr nicht. Schweren Herzens trug Herr Burkhard sein Leid. Gerhard Stark und Posthuma standen ihm treulich zur Seite und sprachen ihm Mut ein, so viel sie konnten, insonderheit der Freund tröstete ihn, der Zustand sei sicherlich ein vorübergehender, da sein Weib schon einmal nach der Geburt ihres Kindes von tiefer Schwermut befallen worden sei. Ein paar Monde Geduld, und sie werde mit Gottes Hilfe genesen. Aber Herr Burkhard glaubte ihm nicht. Seine holde, fröhliche Heilweg schwermütig und teilnahmslos im Erker sitzen und ins Land hinausstarren zu sehen, war mehr als der hartgewöhnte Mann ertrug. Er ging beinahe zugrunde an seinem Schmerz.

Posthuma war daheim geblieben, die Mutter zu pflegen, Herr Burkhard war in eigener Person zur Wartburg geritten und hatte die Landgräfin gebeten, seine Tochter vom Hofdienst freizugeben. Mit warmen Wünschen für sein Gemahl hatte die hohe Frau seine Bitte unter dem Vorbehalt erfüllt, daß das Mägdlein später den Posten als Hofjungfer antrete, wozu Herr Burkhard sich bereit erklärte.

Ein stiller, trauriger Winter ging zur Neige, aber der Lenz barg keimende Hoffnung. In einer lichten Stunde hatte Heilweg von Mohrungen ihrem Gemahl vertraut: wenn Gott ihr einen Sohn beschere, so wolle sie's glauben, daß sie wieder zu Gnaden angenommen sei. Und dann kam der Tag, auf den alle mit Zittern und Zagen gewartet. Langsam ging er dahin unter Harren und Bangen, aber als der Abend kam, lag ein blühendes Knäblein in der alten Wiege der Mohrunger, und Posthuma sang dem Brüderlein das erste Wiegenlied. Drüben in der Kemnate ruhte ein stilles, blasses Weib, das in dem großen Gottesgeschenk, das ihm zuteil geworden, sich selbst und sein Glück wiedergefunden. Zum erstenmal seit der Heimkehr ihres Gemahls schlang Heilweg, als er an ihr Lager trat, die Arme um seinen Hals und küßte ihn heiß und innig: »Burkhard, jetzt weiß ich's, ich gehöre zu dir!«

Und dann wollte sie ihm tausend Dinge erzählen, die, in der langen Zeit zurückgedrängt, auf sie einstürmten und ihre neuerwachende Seele bewegten. Und er hätte ihr zuhören mögen stundenlang, hätte ihr endlich erzählen mögen, wie der letzte seiner Mannen sein Leben für ihn eingesetzt und ihn aus der Gefangenschaft der Sarazenen befreit. Glücklich blickte er in die klaren Augen, die ihm entgegenstrahlten, wie einst, da er sein junges Gemahl über die Schwelle der Burg geführt. Aber dann siegte die Sorge um die Neugeschenkte. Er drückte die schmale Frauenhand an die Lippen, zog die seidenen Vorhänge vor die hellen Fenster und verließ mit einem letzten frohen Blick auf die Mutter seines Sohnes das Gemach.

Mit leichten Schritten stieg er den Wendelstein empor zu Gerhard Stark. Der Kaplan war erst am vergangenen Tage von einer Reise heimgekehrt, und die beiden Freunde hatten einander kaum gesehen.

»Nun erzähle, wie's dir gegangen!« sprach der Hausherr und setzte sich auf seinen alten Platz, wo er schon als Knabe gesessen. »Seit du heimkamst, hast du von nichts anderem vernommen, als von unserem Glück, man wird engherzig und schaut nur mit einem Auge, wenn man um sein Liebstes bangt!«

»Du sollst bald mit zwei Augen schauen lernen!« sprach der Kaplan. »Es ist nicht so gar weit ab, wo deine Fürsorge not tut, deinem eigen Fleisch und Blut gilt's!«

»Meinem Fleisch und Blut?«

»Ja.«

»Posthuma? Um des Himmels willen, was ist mit dem Kinde?«

»Siehst du's denn nicht, wie sie sich härmt? Aber so seid ihr alle miteinander! Einäugig, ich sag's ja.«

Herr Burkhard sah seinen Beichtvater sprachlos an.

»Er wird nicht kommen, nun und nimmer nicht, und derweil wird das Kind bleicher und bleicher, bis es zuletzt an der Auszehrung dahinsiecht,« fuhr Gerhard Stark fort.

»Aber so rede doch, wer ist's?«

»Nun, der von Neuffen.«

»Der – von – Neuffen?«

Herr Burkhard war niemalen im Leben so von Erstaunen überwältigt gewesen.

»Aber wir sind doch als Freunde geschieden!« rief er endlich.

Der Kaplan faßte seinen Arm. »Laß mich ein Wörtlein reden!« bat er. »Als Freunde oder, wie es in diesem Falle heißen mag, ›im Guten‹ scheiden, ist ein ander Ding als nach allem, was sich zugetragen, vor dich hintreten und frank und frei um deine Tochter werben! Ich würde an dem Manne irre werden, der so leicht vergißt, der so im Vollgefühl seines Wertes kommt und spricht: »Gib mir dein Kind!«

Herr Burkhard nickte: »Ja, du hast recht, aber woher stammt deine Weisheit?«

»Ich war auf Burg Neuffen,« lachte Gerhard Stark. »Nur, um zu kundschaften, bin ich hingereiset, denn ich hab's ja immer gewußt, wie die Dinge standen. So laß mich einmal ganz offen und ehrlich zu dir reden. Ich weiß, du wirst dem alten Gerhard Stark nicht zürnen. Also: Der Ritter von Neuffen hat, ohne es zu ahnen, die kleine Posthuma geliebt, als sie die Kinderschuhe noch trug. Die Liebe zu dem Mägdlein war's, die ihn zu der Mutter führte. Frau Heilweg dagegen hat nie eines anderen Mannes Bild im Herzen getragen als das deine, Burkhard. Als fünfzehn Jahre dahingegangen waren und ein Botschafter nach dem andern ohne Kunde heimkam, da hat sie glauben müssen, was ihr Herz nicht glauben wollte und hat dem Drängen des Ritters um des mutterlosen Bübleins willen nachgegeben. Gott sei's gedankt, der dich in letzter Stunde heimführte, bevor dieser Bund geschlossen ward.«

»Und du hättest es nicht hindern können?«

»Ich versuchte es, jedoch vergeblich. Beide waren in ihrer Täuschung verblendet, auch hätt' ich ja in meinen Vermutungen irren können.«

Er blickte sinnend zum Fenster hinaus über die blühenden Berge; ein Lächeln spielte um seine Lippen. Ihm, der nimmer Erdenglück gekannt, war's zum heißen Verlangen geworden, das Kind, das unter seinen Augen erblüht, glücklich zu sehen.

Da erhob sich Herr Burkhard und legte dem Freunde die Hand auf die Schulter.

»Gib mir einen Rat,« bat er, »ich kann doch nicht den Freier meiner Tochter ins Haus rufen?«

»Warte bis morgen,« sagte der andere, »den Seinen gibt es der Herr schlafend!«

Und die beiden Männer gingen auseinander. – –

Aber mit dem ersten Sonnenstrahl stand Burkhard von Mohrungen wiederum im Gemach des Freundes.

»Heilweg bat mich, den Ritter von Neuffen zum Taufpaten unseres Kindes zu wählen. Dann sei ein neues Band zwischen uns geknüpft und alles ausgeglichen, meinte die Kluge.« Er lachte. »Es gibt Dinge im Leben, darum muß man die Frauen befragen, und ich hab' mein Weib nicht einmal befragt und doch eine Antwort erhalten!«

*

In der Burgkapelle zu Mohrungen hatte Wolff Dietrich von Neuffen Frau Heilwegs Sohn über die Taufe gehalten. Eine Träne stand ihr im Auge, als der einsame Mann zu ihr trat und ihr das neugeborene Kindlein in die Arme legte – aber es war eine Träne hellen Glückes, und auf ihrem Antlitz glänzte ein Strahl frohen Hoffens, als sie zu ihm aufschaute. Neben ihr stand, lieblich wie ein Maimorgen, Posthuma, die schlanken Glieder von lichtblauem Atlas umflossen, die Wimpern gesenkt, an der Hand ein kleines Büblein, das sein Lockenköpfchen zutraulich an die schöne Gestalt schmiegte.

Heilweg wußte es, daß nicht nur das Kind sich die junge Mutter ersehnte – der Blick des Mannes, der beim Willkommensgruß auf der Tochter geruht, hatte ihr alles gesagt, und frohen, dankbaren Herzens sah sie in die Zukunft. Wie anders hätt' es kommen können, hätten nicht sichtbarlich höhere Hände ihre Lebenswege geleitet. Kurze Zeit erst war sie sich ihres neubescherten Glückes bewußt, aber diese kurze Zeit hatte genügt, um sie zurückzuführen in ihre Welt, auf den Platz, der ihr gebührte, an das Herz ihres Mannes.

Und dann klagte sie sich wohl an und hieß ihr Glück ein unverdientes, aber die Vorwürfe währten nicht lange, denn Herr Burkhard wußte sie alle zu entkräften, und das Gnadengeschenk, das Gott ihr in ihrem Sohne beschert, verdrängte Zweifel und Sorge aus ihrer Seele. Es war schön, das Leben, trotz Kommen und Gehen, trotz Welken und Altwerden, denn das Kreuz leuchtete über Meer und Land und zeigte jedem einzelnen seinen Weg!

So hatte das Zeitliche Ewigkeitswert für sie empfangen, und der Mann, dem sie angehörte, der an der heiligsten Stätte der Erde gekniet und nach zwiefacher Kreuzesfahrt heimgekommen, der hielt sein Kleinod fester als Leib und Leben, und gab seinem zagenden Weibe aus der Fülle seines reichen Schatzes, so oft sie es begehrte.

Ja, es war schön, das Leben! Und hätten sie an ihres Hauses Tür geschrieben: »Hier wohnt das Glück,« sie hätten dem nahenden Gast nicht zuviel verheißen.

Der Tag ging zur Neige, ein Sommertag voll Blütenduft und Fröhlichkeit.

Frau Heilweg und ihr Gemahl saßen mit Gerhard Stark auf dem Altan und schauten der untergehenden Sonne nach. »Wo bleibt unser Gast?« sprach sie, nachdem sie eine Weile schweigend in die dämmernden Täler geblickt.

»Siegewart wollte Posthumas Tauben sehen, aber sie bleiben lange aus,« erwiderte Herr Burkhard.

Er trat an die Rampe und spähte die verschlungenen Pfade des Gartens entlang.

Und dann ward sein Antlitz immer heller, als habe er einen Schatz entdeckt.

Unter rosenumsponnenem Laubendach schimmerte eine lichte Frauenschleppe beim blinkenden Wehrgehänge.

Auf dem Bänklein aber saßen der Ritter von Neuffen und Posthuma und küßten sich, als hätten sie die Welt ringsum vergessen. Ein jauchzendes Stimmlein zwitscherte dazwischen.

»Vater und Mutter!« klang es herüber, und der Himmel auf Erden lag in den Kindesworten.

»Du schaust ja aus, als sei dir noch ein zweiter Sohn beschert!« rief Heilweg und trat zu dem Gemahl an die Rampe.

»So ist's auch!« sprach er und zog sie an sich. »Schau, was dort unten im verschwiegenen Laubengange der Minne pflegt!«

Im selben Augenblick trat das junge Paar aus dem Schatten der Sommerrose ins Freie, Posthuma dunkel erglüht, Hand in Hand mit dem Langgeliebten, Wolff Dietrich ein glücksfroher Mann, der sein Kleinod errungen, beiden voran Siegewart, sein »Vater und Mutter« jubelnd.

Da legte Heilweg von Mohrungen den Arm in den ihres Gemahls und schritt an seiner Seite die Stufen hinab, den Kommenden entgegen. Gleich darauf lag Posthuma in wortloser Bewegung in ihren Armen.

»Das Beste, das Ihr Euer nennt, erbitt ich von Euch!« sprach der Ritter von Neuffen und neigte sich tief über die Hand der Burgherrin. Mit festem Druck umfaßte sie die Rechte des Mannes, sie sahen einander ins Auge und in ihren Blicken lag ein großes, tiefes Einverständnis, das Gelübde treuer Freundesliebe.

In stiller Freude stand Burkhard von Mohrungen dabei, und als er dann Posthuma ans Herz nahm, wandte er sich mit bewegter Stimme an den Sohn: »Ja, Ihr habt recht, das Beste, das wir haben, geben wir Euch! Haltet es hoch in Liebe und Ehren!«

Der kleine Siegewart hatte den Kaplan, dessen sonderlicher Freund er war, herbeigeholt, und Gerhard Stark trat mit seinem Segenswunsch zu den Brautleuten. Wolff Dietrich erklärte, ihm allein verdanke er sein Glück; wäre er nicht nach Neuffen gekommen, so säßen Vater und Sohn noch heute trübselig auf der stillen Burg und sehnten sich nach der lieblichen Mohrungerin. Davon wollte Gerhard Stark freilich nichts wissen: »Ich hab Euch nicht zu Gevatter gebeten, Herr von Neuffen,« sagte er, »bringt Euren Dank der edlen Frau, deren Sohn Euren Namen trägt!«

Und er trat noch einmal zu ihr und blickte in die klaren Augen, die ihm nie so hell geleuchtet wie heute, da er keine andere als Mutterliebe von ihr begehrte. Er wußte, sie brachte sie ihm entgegen voll und ganz – der Bann war gelöst, der letzte Reifen, der um ihr Herz gelegen, zersprungen.

In tiefer Bewegung küßte er Heilwegs Hände. Da schmiegte sich klein Siegewart an die hohe Gestalt und sagte, ungläubig in das holde Antlitz blickend: »Bist du die Ahne?«

Alle sahen auf die jugendschöne Frau, auf deren Antlitz das Glück die letzten Spuren schwerer Zeiten verwischt, sie aber hob das Büblein empor, drückte es ans Herz und sagte, das rosige Gesichtchen küssend: »Ja, Liebling, ich bin die Ahne!«

*

Es war spät geworden. Bis tief in die sternklare Sommernacht hatten die Schloßbewohner am Brunnen unter der Linde gesessen, wo vor Jahresfrist der Pilger das Kreuzfahrerlied gesungen. Nun war alles still, kein Laut störte den Burgfrieden, nur der Nachtwind regte leise die Wipfel und summte sein Feierlied um die Zinnen der Kapelle.

Oben im Frauengemach brannte die Ampel hinter purpurner Seide über dem verschleierten Wiegenbettchen des Täuflings. Die Hände über den Knien gefaltet, saß Frau Heilweg und wiegte ihr Kind. Sie merkte es nicht, daß der Vorhang sich regte, daß ein leiser Schritt nahte, die Mutterliebe ließ sie alles andere vergessen, unverwandt ruhte ihr Auge auf dem blühenden Knäblein, das sie in dunkler Zeit unter dem Herzen getragen. Wie ein Traum lagen die vergangenen Monde hinter ihr, vergangen war all ihr Leid wie ein Morgennebel. Sie dachte zurück an die Schmerzenszeit, da ihr Kreuz sie zu Boden gedrückt, da sie seine tiefe Bedeutung und den Segen, der von ihm ausging, nicht verstand – die Augen wurden ihr naß – was wär' aus ihr geworden, ohne das Kreuz – ein Glück von dieser Erde wär' ihr Teil gewesen und zu Erde wär's geworden!

Ein Schauer durchrann ihre Gestalt, ihre Hände falteten sich fester. Und dann fühlte sie eine Hand auf ihrer Schulter, vor ihren Augen strahlte und funkelte es von edlem Gestein, und in ihrem Schoße lag es herrlich, wie sie es im Traum auf dem Meere erblickt: das Bild des Gekreuzigten.

Wie gebannt blickte sie auf das wunderbare Kleinod, dann hob sie das Antlitz und sah in die Augen ihres Gemahls.

»Es ist die Abbildung des Kreuzes von Lucca,« sagte er. »Die schöne Sage wirst du schon vernommen haben! Trotz der hohen Forderung des Goldschmiedes konnt' ich's nicht lassen und kaufte das Kreuz, um es dir am Tage meiner Heimkehr zu schenken. In Sturm und Fährlichkeit, in Todesnot hab' ich's auf dem Herzen getragen, und wenn ich verzagen wollte, hat's mich getröstet und mir in die Seele geleuchtet wie das Kreuz auf den Wassern. Und dann hat's mich über das Meer geleitet in die Heimat zurück, in der Stunde, da ein anderer die Hand nach meinem Glück ausstrecken wollte – Heilweg – Kind – was ist dir?«

Sie war in die Knie gesunken, über ihr Antlitz rannen die Tränen, mit beiden Händen hielt sie das Kreuz umfaßt und drückte die Lippen darauf.

»Burkhard, rufe Gerhard Stark!«

Er verstand sie nicht, aber er ging und holte den Getreuen. – –

Mit strahlendem Antlitz stand Heilweg von Mohrungen an der Wiege ihres Kindes, in den Händen das Kreuz, als der Freund an ihre Seite trat. Sie hielt ihm das Kleinod entgegen: »Es hat ihn heimgeführt und mir den Weg gewiesen!«

Sein Auge schien in ferne Weiten zu blicken, als stände er am Ufer des Meeres und sähe wie einst der Mann von Lucca das Kreuz über den Wogen strahlen.

»Himmel und Erde werden vergehen, aber in diesem Zeichen siegen wir!« sagte er, und in seiner Stimme lag heller Jubel.

»Das walte Gott!« sprach Burkhard der Kreuzfahrer.


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