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Den Sommer verbrachte sie im Kastell Gandolfo. Ihr Traum war tief, und nur auf seiner Oberfläche glitt ihr Leben fort, so wie über die gespiegelte Welt des Sees ihr Kahn sein Ruder nachschleifte. Der Herbst spann sie von neuem dicht ein in die roten Schleier ihres Weinganges. Blitzende Wintertage führten ihr die Gestalten ihrer Sehnsucht, hartgliederig und herrisch blickend, in Wind und Gold durch Roms Ruinen dahin.
Die Gräfin d'Aulnaie, die Fürstin Urussow und die Gräfin Hatzfeldt kamen nach Rom und wurden bestürmt mit Bitten um eine Einführung bei der Herzogin von Assy. Sie erfuhren zu ihrer hohen Verwunderung, daß niemand ihre Freundin kannte. Die Herzogin erstaunte selbst, wie man sie an die Gesellschaft erinnerte: sie hatte vergessen, daß es eine gab. Während der folgenden Saison tanzte sie in den römischen Palästen, Wünsche aufregend ringsumher und von keinem Verlangen erwärmt, gerade wie einst in Paris – und doch nicht so leicht und nicht so leer wie auf jenen Parketts. Aus diesen kalt glänzenden Mosaikböden begrüßten sie, ihr den eigenen Widerschein verdunkelnd, die ernsten Augen ihres Traums.
Das dauerte drei Jahre. Im März 1880 brachte die römische »Intrasigente« mehrere Entrefilets über unbedeutende Zusammenstöße, die in Dalmatien zwischen Militär und Volk vorgekommen waren. Die nationaldalmatinische Sache und die Partei Assy waren mit merklichem Wohlwollen behandelt, und man fragte sich, warum. Das gefürchtete Blatt pflegte im Kampfe zweier Interessenten sonst keinem recht zu geben; meistens machte es beide verächtlich. Della Pergola, der Herausgeber, bewies dadurch, daß er von niemand bezahlt war. Das war eine bekannte Tatsache; es hatte noch jedes Ministerium unter seiner Kritik gelitten, und jede Partei erklärte er für eine Gesellschaft zur gegenseitigen Unterstützung bei Diebereien. Diese Unbedenklichkeit verschaffte ihm in der hauptstädtischen Presse eine Stellung, einzig und viel beachtet. Es gab auf der Welt bisher nur einen Menschen, den er ernst nahm, und der war nicht in der Lage, es ihm zu lohnen: es war Garibaldi.
Man wunderte sich noch über sein herzliches Betragen gegen die hungernden Untertanen des Königs Nikolaus, da feierte er an erster Stelle, in einem großen Artikel, die Herzogin von Assy. Jeder suchte begierig nach dem Brocken Bosheit, durch den der Journalist sein Lob tödlich zu machen verstand: es blieb umsonst. Man vernahm nur den wilden Preisgesang eines, der blaß und mit Tränen der Begeisterung in der Stimme alle Zurückhaltung vergessen hatte. Violante von Assy war die größte Seele der Zeit, ein Weib, das Männern Lehren gab im Ideal, in der Unschuld und der Tapferkeit. Ihre Person verdiente zur Religion erhoben und angebetet zu werden.
Der Hymnus ward belächelt, es hieß, daß es mit Della Pergola abwärts gehe. Alle bemitleideten ihn, weil er ohne Not sich der Überlegenheit begab, die man einer bösen Zunge verdankt. Aber die Mitleidigsten wurden schon tags darauf sehr übel zugerichtet. Die Herzogin fand die Nummer des »Intrasigente« unter ihren Briefen. Sie erkundigte sich bei der Blà, was der Vorfall bedeute.
»Wer ist dieser Della Pergola?«
»Paolo Della Pergola, du kennst ihn, du mußt ihn oft getroffen haben, er gehört zur Gesellschaft. Besinne dich nur, ein bartloser Kopf, rechts gescheitelt, ziemlich dicke Lippen, skeptischer Blick, herausfordernd – aber mit den Händen weiß er nichts anzufangen.«
»Ich finde ihn nicht ...«
»Er geht in die Gesellschaft nur der Selbstachtung wegen und ist frech, weil er verlegen ist. Er muß dir die Hand geküßt und einen höhnischen Witz gerissen haben, während er errötete.«
»Mir fällt nichts ein.«
»Noch immer nicht? Als Schriftsteller benimmt er sich gerade so. Er hat mit Ironie begonnen und mit Geringschätzung, einfach aus Furcht, sich Blößen zu geben. Wie er dann merkte, daß jeder sich über die Stiche freute, die der Nachbar bekam, und niemand ihn für seine Unverschämtheit zur Rede stellte, da hielt er sich am Ende wirklich für berechtigt, alle Welt zu verachten. Alle sind feige und bestochen, nur er nicht. Er aber lebt von der Feigheit der andern und von der eigenen Unbestechlichkeit.«
»Was will er also von mir, wenn er unbestechlich ist?«
»Wir werden sehen. Ja, er ist unbestechlich, und ich will nicht einmal sagen, daß er es aus Berechnung ist – wohl eher aus Vorurteil und aus Eitelkeit. Wenn alle ehrlich wären, würde er stehlen. Denn er muß anders sein, es ist bei ihm krankhaft. Inzwischen bekommt ihm seine Ehrlichkeit recht gut. Sooft Bankenskandale bevorstehen, verkaufen alle Zeitungen ihr Schweigen. Della Pergola gönnt sich das Vergnügen des Redens. Seine Auflage steigt um zwanzigtausend, und zum Schluß muß die Regierung, damit man ihren guten Willen sieht, ihm einen Orden geben.«
Die Herzogin besann sich.
»Wenn er also sich für unsere Sache begeistert, dann müssen alle andern über sie recht kühl denken.«
»Das ... müssen wir fürchten«, sagte die Blà. Die Herzogin erklärte:
»Nachgerade interessiert er mich. Was weißt du noch von ihm, Bice? Woher kommt er?«
»Aus dem Dunkel. Bald soll er Schauspieler gewesen sein, bald ein jüdischer Agent aus Buenos Aires. Ich glaube, er ist einfach ein Literat ohne Erfindungsgabe. Er kann keine Charaktere aus eigener Kunst erwachsen lassen, aber er versteht die in der Wirklichkeit gegebenen sehr geschickt zu zergliedern. Darum geriet er in die Politik und treibt nun Seelenanatomie an Ministern und Finanzbaronen. Seine Kollegen erkennen die Menschen nur an den Abzeichen ihrer Partei, Della Pergola weiß etwas von den Individuen. Er erklärt sie, was ja heute nicht mehr schwer ist, aus ihrer Physis, und diese wieder aus dem Unterleib. Der berühmte Dichter leidet ihm zufolge an einer Neurasthenikerphantasie, befruchtet durch Verdauungsstockungen. Hochgesinnte Weltverbesserer sind nach seiner Meinung gute Kerle, zu Kongestionen geneigt, die vielleicht in einer zu lange durchgeführten Enthaltsamkeit ihre Ursache haben. Bei den Prozessen der Bankdiebe ist der Staatsanwalt ein Monomane ohne Spur von Menschenkenntnis, der Richter ein am Hungertuch nagender, leberkranker Neidhammel, die Geschworenen sind eine verstörte Herde von Hineingefallenen, der große Verteidiger ist ein behender Witzbold, trivial und sentimental, mit einer aus Kolportageromanen geschöpften Weltanschauung, und der Angeklagte ein gutmütiger und erblich belasteter Trottel. Alle miteinander sind über die Maßen einfältig, nicht ganz zurechnungsfähig und hinreichend verächtlich. Die besondere Gabe Della Pergolas besteht darin, daß er dies alles auf unangreifbare Weise vorbringt. Er beschimpft keinen Gegner – er hat es überhaupt nie mit Gegnern zu tun, sondern eben nur mit Charakteren, die er zergliedert. Er treibt Psychologie – allerdings eine rechte Kammerdienerpsychologie, indiskret und untergeordnet.
Und zur Sühne für alle seine unfruchtbare Bosheit gerät er von Zeit zu Zeit in Ekstase bei der Nennung des Namens Garibaldi. Er spricht von ihm nur mit einer zärtlichen Rührung und fast geheimnisvoll, so, als dürfe man ganz besondere Beziehungen ahnen zwischen ihm und dem Alten. Er schleudert den großen Namen allen denen entgegen, die etwas zu leisten glauben: ›Seid wie er, wenn ihr könnt!‹ – mit dem Hintergedanken: ›Wenn ihr so wäret, wäret ihr unschädlich.‹ Der tiefste Trieb in dem allen ist der Neid, ein ruheloser Neid auf alle, die auch etwas können, und besonders natürlich auf die, die schreiben können. Della Pergola ist ein Plebejer, der selber gar nicht begreift, wo er soviel Talent her hat. Mit ebensoviel Staunen wie Triumph berichtet er seinen Lesern von jedem Geheimrat, der ihn in seiner Wohnung aufgesucht hat, um ihn vermittels vertraulicher Mitteilungen an sich zu locken. Er nennt das: von der Schreibstube aus Macht gewinnen.«
Die Herzogin betrachtete lächelnd ihre erhitzte Freundin. Sie legte ihr den Arm um den Nacken.
»Bice, du beschreibst ihn auffallend ... anschaulich. Gestehe, daß er dich sehr gekränkt hat.«
»Mich, niemals. Aber er hat ein paar Leute ... zergliedert, die ich verehrte. Ich hasse ihn als Räuber meiner Illusionen.«
»Und wenn das auch nicht geschehen wäre – du bist eben doch eine ... Kollegin. Gestehe, Bice?«
»Ich gestehe«, sagte die Blà.
Auf einem Ball beim Fürsten Torlonia ließ die Herzogin sich den Journalisten vorstellen. Nach den ersten zehn Worten zeigte es sich, daß er vollständig verliebt war.
Sie konnte sich kaum auf sein Gesicht besinnen. Es war kalt und hatte allenfalls etwas Englisches, vielleicht etwas von einem englischen Schauspieler. Er mußte immer in Haufen schwarzer Fräcke versteckt geblieben sein. Zwar hatte er längere Beine als der Durchschnitt, möglichenfalls bloß, weil er sehr enge Hosen trug und eine zu kurze Weste. Er spielte mit einem wunderschönen Stock, Jaspis und Ebenholz, mit dickem Kristallknopf. Seit kurzem brachte man Stöcke in die Salons mit; Prinz Maffa hatte die Mode durchgesetzt. Sie dachte: ›Ah! er hat ein Mittel gefunden, seine Hände zu beschäftigen. Sobald er es gefunden hatte, schrieb er seinen Artikel und wagte sich in meine Nähe.‹
Ohne Einleitung begann er ihr vorzuplaudern von Fürstentöchtern, die auf einsamen Meerschlössern anstatt mit Heldensagen an der Volksseele sich begeistern.
»Und endlich eröffnet sie, umrauscht vom Jubel der Armen, ihren großartig unschuldigen Kriegszug. Oh! Das Hohngelächter der Wirklichkeit wird niemals den Panzer ihres Traumes durchdringen: ich glaube es inbrünstig.«
»Sie setzen mich in Erstaunen«, sagte sie, und sie überlegte: ›Die Verliebtheit verschlechtert seinen Geschmack.‹
Er erklärte:
»Die Welt, Herzogin, liegt Ihnen zu Füßen, und Sie sind noch so kühl wie von Silber. Wie dürfte ich mich wundern, da Sie nichts Ungewöhnliches empfinden beim Anblick eines kleinen Kritikers, der Ihretwegen den Kopf verliert. Und doch saß er nach meiner Meinung ziemlich fest, dieser Kopf.«
»Ich halte ihn einfach für unverrückbar«, bemerkte sie.
»Sie ... glauben mir nicht?« fragte er leise, und er wendete seinen Stock hin und her. Der geschliffene Kristall zog ihren Blick an. Im Augenblick hielt er ihn so, daß sie, ungestört durch die Lichtbrechungen, ins Innere sehen konnte. Sie erblickte ein blau und schwarz geteiltes Feld mit einem geschlossenen Tor; davor lag ein weißer Greif.
›Welch eine Dreistigkeit von dem Menschen‹, so meinte sie im stillen, ›er trägt mein Wappen spazieren!‹
Sie hob die Schultern und sah weg. Er flüsterte kaum vernehmbar:
»Ich bin ja eigentlich ein Enthusiast! Glauben Sie nichts von dem, Herzogin, was man Ihnen über mich gesagt hat! Ich bin naiv und begeisterungssüchtig, und wenn ich nicht wüßte, daß dann alles aus wäre – in diesem Augenblick läge ich Ihnen zu Füßen!«
Sie verzog den Mund.
»Zum Dank für Ihr hochmütiges Lächeln«, setzte er hinzu. »Sie halten mich für abgefeimt, man hat es Ihnen eingeredet. Aber ich stelle mich ja nur so, um den Spott zu entwaffnen und Furcht einzuflößen. Ihnen gestehe ich es. Sie sehen: nichts von mir kann ich Ihnen vorenthalten. Glauben Sie mir?«
»Nehmen Sie mir endlich den Stock vor den Augen fort. Sie haben eine Geschmacklosigkeit begangen.«
Er deckte den Kristall mit seiner Hand zu und reizte sie dadurch noch mehr. Es war, als bemächtigte er sich ihres Bildes und ihres Geschicks, das jene durchsichtigen Wände bargen.
»Glauben Sie meinen Worten?«
»Ich gebe mir nicht die Mühe, an ihnen zu zweifeln.«
Er zog, unbeholfen aber entschlossen, einen Sessel herbei und setzte sich.
»Wissen Sie, Herzogin, warum man uns hier allein läßt?«
Seine Ausdrucksweise verblüffte sie einfach. Sie sah auf: der Salon war leer. Im Nebenzimmer wütete, grellbleich beleuchtet, auf seinem Sockel der kolossale Herkules, der den Lykas ins Meer schleudert. Dahinter ward ein Durchblick frei auf den Hof im Prunk seiner Galerie. Dort am Eingang drängten sich hundert Wartende.
Die Augen der Herzogin fragten, ohne es zu wollen. Della Pergola antwortete und faltete dabei die Stirn:
»Properzia Ponti.«
»Properzia«, wiederholte die Herzogin, »Sie, die das geschaffen hat – das dort?«
Sie fühlte einen Schauer.
Della Pergola nickte nach dem Herkules hin.
»Sie selbst. Übrigens hat sie auch die Lichtbündel darauf geworfen. Jeder Kandelaber steht dort, wo sie ihn hingestellt hat. Was für Fäuste hat diese Frau! Vor drei Tagen ist sie heimgekehrt aus Sankt Petersburg. Welch ein Triumph! Da haben wir sie!«
Eine mächtige Frau trat vor. ›So mächtig ist sie‹, sagte sich die Herzogin, ›daß der Kopf mit seiner Mauer von schwarzem Haar über der niedrigen Stirn viel zu klein aussieht. Hat nicht auch ihr Herkules einen winzigen Kopf?‹
Ein junger Mann, blond, fein und schmächtig, hob ihr den Umhang von ihren schweren Schultern. Sie nahm seinen Arm, in purpurnem Atlas gleißend.
»Wer ist das?«
»Herr de Mortœil, ein Pariser, wie Sie sehen. Sie hat ihn mitgebracht.«
»Und –?«
»Jawohl. Und um die Lächerlichkeit voll zu machen, will er gar nichts von ihr wissen. Sie reizt höchstens seine Eitelkeit.«
»Eine Properzia!«
Die Herzogin war ganz erschüttert. Wie konnte Größe sich so vergessen! Properzia war ein schreitender, wuchtender Marmorblock. Ihre starken Hände rangen mit andern Blöcken. Die Gedanken mußten in diesem Kopfe auf Marmortafeln stehen, in markigen Charakteren. Und ein geleckter Zwerg kritzelte, skeptisch lächelnd, seinen Namen hinein!
Sie empfand Unwillen über Properzia und eine heiße Verachtung, wie für eine Verwandte, die die Familienehre befleckt hätte. Die große Künstlerin ging vorbei, von ehrfürchtigen Gruppen gefolgt. Die Herzogin blieb sitzen und sah weg.
Der heftige Widerspruch gegen das arme Gefühl der andern weckte in ihr ein Gelüste nach Herzlosigkeiten. Sie äußerte:
»Properzia ist unförmlich wie ihre Kolosse, und wer hat die starken Hände, die sie behauen könnten? Doch nicht ihr Pariser.«
»Sie ist weicher, als man meint«, erwiderte Della Pergola. »So 'n dickes Mädchen.«
Sein niedriger Witz stieß sie ab; doch lachte sie.
»Endlich geben Sie sich zu erkennen. Also Properzias Erscheinung entringt Ihnen keine Poesie?«
»Ich wage nicht mehr ... Herzogin, Sie schüchtern mich ein. Es wäre nicht die erste Geschmacklosigkeit, zu der Sie mich verführen.«
Und er ließ die Strahlen des Kristalls zwischen seinen Fingern hervorbrechen.
»Wie haben Sie das nur fertiggebracht?«
»Sie können fragen? Die Sucht, von Ihnen bemerkt zu werden, hat mich aus meiner Rolle geworfen. Ich bin in Natürlichkeit zurückgefallen.«
»Von Natur sind Sie ...«
»Harmlos und leidenschaftlich. Sie glauben das noch immer nicht?«
Sie sah ihn ein für allemal mit den Zügen, die die Blà ihm gezeichnet hatte.
»Nein.«
»Aber Sie glauben, daß Properzia stärker ist als der kleine Pariser? Sie wird ihn bezwingen, er wird unter ihrer Last seine Spöttereien vergessen, nicht wahr? Nun wohl, Herzogin, ich trage in meinem Hirn einen kleinen witzigen Pariser, nüchtern, lasterhaft und geschmackvoll. Er hat große Furcht, sich lächerlich zu machen, und bietet niemals Angriffspunkte, Aber da kommt Properzia und faßt ihn an und drückt sein Köpfchen gegen ihre wogenden Steinschultern, daß ihm aller Witz ausgeht. Properzia ist die Kraft, die Unschuld der Taten, das große Empfinden. Properzia, Herzogin, sind Sie. Als ich Sie erkannt hatte, da war mein kleiner Pariser verloren.«
»Ich merke es.«
»Oh, Sie merken noch gar nichts. Hören Sie erst. Ich will für Sie arbeiten, Dalmatien soll in meinem Lande eine nationale Sache und Sie, Herzogin, sollen populär werden. Ich bin mächtig, und wäre ich's noch nicht, so würde ich es werden, weil Sie, Herzogin, meine Macht gebrauchen. Aber dafür fordere ich Ihre Liebe.«
»Bitte?«
»Ich will mich Ihnen ganz ergeben, und noch nie im Leben ergab ich mich – aber als Bezahlung verlange ich Ihre Liebe.«
Sie verstand ihn wirklich erst jetzt. Er machte ein Gesicht, so unverschämt wie ein Geschäftsmann, der sie überforderte, und erblaßte dabei vor Spannung. Das Übermaß seiner Frechheit lähmte ihre Empörung. Er belustigte sie.
»Sie wollen für mich schreiben«, sagte sie einfach. »Wie viele Artikel, und wann?«
»So viel und so lange, bis ich gesiegt habe. Ich setze meine Existenz aufs Spiel.«
»Wie mutig!«
›Wie fein‹, dachte sie, ›mich daran zu erinnern!‹
»Übrigens sind Sie Geschäftsmann und müssen die Gefahr übernehmen.«
»Aber dafür will ich, daß Sie sich von mir lieben lassen.«
Sie wollte ungeduldig werden, doch überlegte sie: ›Will ich mich durch Sentimentalität entehren gleich Properzia? Ich kann ihn gebrauchen, er wünscht, mit mir einen Vertrag abzuschließen. Warum nicht?‹
»Aber meine Gunst ist teuer«, äußerte sie. Er fragte hastig:
»Also Sie wollen?«
Er hatte es sichtlich kaum gehofft. Er bestätigte nachdrücklich.
»Also Sie wollen! Ich halte Sie dabei fest. Vergessen Sie nicht, daß Sie ja gesagt haben! Fordern Sie nun, was Sie wollen, ich bin zu allem entschlossen. Ich weiß, was ich tue ... Aber Sie haben nicht mehr das Recht, sich zurückzuziehen!«
»Schreien Sie wenigstens nicht so! Der Saal füllt sich, man hört uns. Warten Sie einen Augenblick, gleich beginnt die Musik.«
Sie sprach hinter dem Fächer. Der gewollte Leichtsinn ihrer Rede stieg ihr zu Kopf, er verschaffte ihr einen Genuß, unerwartet und bitter. Was für ein Liebhaber, der sie in Worten fangen wollte wie ein Advokat! Sie fing wieder an:
»Wer sagt mir, daß Sie selbst bei Ihrem Entschlusse bleiben? Sie haben den Kopf verloren, mein Lieber. Wenn Sie ihn wiederfinden, werden Sie sich erinnern, daß Sie unbestechlich sind.«
»Ich bin tatsächlich unbestechlich«, versetzte er wichtig. »Aber von Ihnen, Herzogin, will ich bestochen werden.«
»Meinetwegen.«
»Und zwar mit Ihrer Liebe.«
»Ich verstehe vollkommen.«
Sie betrachtete ihn und dachte: ›Morgen wird er sich selbst sagen, was das heißt. Der Ruf der Unbestechlichkeit ist für ihn alles. Sobald man erfährt, daß er interessiert ist, nimmt niemand ihn mehr ernst.‹
»Meine Gunst kostet ungeheuer viel«, erklärte sie. »Sie dürfen nur noch für mich schreiben und jedesmal mit sichtbarer Wirkung. Sie müssen agitieren, reisen, Ihre Persönlichkeit einsetzen: jede Minute Ihres Lebens ist mein.«
»Ist Ihr. Aber mir gehört Ihre Liebe. Sie können nicht mehr zurück. Sagen Sie, wann werde ich glücklich sein?«
»Oh, Sie haben es eilig. Erst der Erfolg, dann der Lohn.«
»Das geht nicht. Wie kann ich den Erfolg abwarten. Wenn er da ist, kann ich mich nicht mehr dementieren. Bedenken Sie nur. Dann werden Sie mich sitzenlassen, und ich bin um alles betrogen, um mein Recht, die Bestochenen zu verachten, und um den Genuß der Herzogin von Assy.«
»Unglaublich!«
Sie lachte laut auf. Er sagte ihr die unanständigsten Beleidigungen, in seiner Angst, bei dem Handel zu kurz zu kommen.
Es wurde getanzt, sie waren umringt von Geschwätz und Gekicher. Die erhitzten Körper drängten sich an ihren Knien vorbei. Della Pergola sagte, völlig bei der Sache:
»Es liegt mir daran, Mißverständnisse zu vermeiden. Also gleich bei Beginn meiner Kampagne, Herzogin, werde ich Ihr Geliebter. Mit dem Probedruck meines ersten Artikels in der Hand, gehe ich zu unserm ersten Stelldichein.«
Ein Wort entschlüpfte ihr:
»Sie scheinen an Glück bei Frauen nicht gewöhnt zu sein.«
Er starrte sie an, heftig überrascht.
»Ich habe Sie doch nicht gekränkt?«
»Wodurch denn? Aber es bleibt dabei –«
Sie stand auf.
»Erst der Erfolg.«
»Herzogin, ich bitte, versetzen Sie sich in meine Lage!«
Er blieb an ihrer Seite und stotterte:
»Wie kann ich mich denn darauf verlassen! Ich will ja nicht auf meinen Bedingungen bestehen – aber stellen Sie selbst mir annehmbare.«
Als sie nicht antwortete, erkundigte er sich ängstlich:
»Wenigstens ziehen Sie sich nicht zurück?«
»Durchaus nicht.«
»Ich soll also glücklich sein? Aber wann! Nun, ich soll also glücklich sein ...«
Sie ward in einen Kreis von Damen gezogen. Sie meinte:
›Er kann noch nicht daran glauben. Auch wenn ihn ein Geheimrat in seiner Wohnung aufsucht, glaubt er nur mit Mühe an sein Glück.‹
Gleich darauf bedachte sie:
›Aber von dem Geheimrat berichtet er sofort seinen Lesern! Wenn er ihnen morgen nur nicht erzählt, er stehe im Begriff, von der Herzogin von Assy erhört zu werden!‹
Er hätte es fast getan. Der Gedanke, der sein Stolz war, schlich sich tags darauf in alle seine Sätze. Er hatte Mühe, ihn aufzuhalten, sooft er aus der Feder wollte.
Er lehnte sich zurück, die Augen in denen des großen bronzenen Garibaldi, drüben am Rande des breiten Schreibtisches. Über zwei Säle herüber kam das Getöse der Druckerpressen. Della Pergola sann.
›Wie ist es gekommen? Sie hat sich, an welchem Zeitpunkt, das weiß ich nicht mehr, in meiner Phantasie festgesetzt. Ich bin ja eigentlich ein Dichter, ein zurückgestauter, Katastrophen ausgesetzter. Ich fragte mich, wofür die andern sie hielten. Für eine Volksfreundin. Das war natürlich Unsinn, wie alle Urteile der andern. Schlaue oder Übelwollende behaupteten, sie sei ehrgeizig. Aber sie ist viel mehr, sie ist stolz. Dalmatiens, des Ziegenreiches, Königin zu werden, ist für sie sicher kein Ziel, würdig einer Assy. Ich entschloß mich, etwas Ungewöhnliches in ihr zu sehen, eine große Schimärenfängerin, einen Garibaldi in Unterröcken – und einen unglücklichen Garibaldi. Welche wahrhaft tiefe Überlegung habe ich da angestellt!
Aber gleichzeitig hörte ich auf, in Gesellschaft zu gehen. Denn der Anblick dieser Frau wurde mir zu qualvoll. Ihre Schönheit, das Seltene ihrer Seele, ihre Fremdartigkeit, alles quälte mich, weil es mich dazu verpflichtete, ihr Freund zu werden, womöglich ihr Geliebter. Die andern waren Pack, alles Pack, außer mir und dieser Frau. Leider achtete ich sie nun einmal. Ich mußte zu ihr und war weniger gewandt als jeder Laffe. Es war überaus qualvoll, aber ich mußte.
Nun, gottlob, es ist geschehen. Einmal war ich nahe daran, etwas sehr Böses über sie zu schreiben, um die Aufregung, die ich ihr verdankte, doch einmal zu ihrer Strafe zu entladen. Dann fiel mir das mit dem Kristall ein. Alles ist mir gelungen, vermittels des Kristalls und eines Willens, kalt und klar wie er.
Ich habe ihr einen prachtvollen Stolz gezeigt voll hoher Empfindungen. Meinen Charakter habe ich ihr mit dichterischer Tiefe geschildert und dabei mit staatsmännischer Geschicklichkeit. Wie sinnreich habe ich ihr von Properzia gesprochen und von meinem kleinen Franzosen. Für sie greife ich in den Vorrat meiner Dichtergedanken, die ich der Welt keusch vorenthalte – wie sollte ihr das nicht schmeicheln. Ich bin überzeugt, sie ist schon ganz hingerissen.
Ah! Ah! Sie behauptet, ich habe den Kopf verloren. Aber wenn er wirklich fort ist, will ich die Gelegenheit benutzen und einmal genießen. Wozu gewinne ich Macht, wenn ich aus Vorsicht in meiner Schreibstube sitzenbleibe. Endlich will ich mich dem Überschwang überlassen, der Leidenschaft und der Unvernunft, der Donquichotterie und der Götzenanbetung.
Ja, ich werde sie anbeten, diese Violante von Assy – möglichenfalls sogar lieben. Aber ihr trauen, nein. Was ich besitze an Ruf, Ehre, Einsamkeit und Strenge, alles auf einmal für eine Frau wegzuwerfen, das ist eine Laune, die Laune eines großen Herrn, die ich mir gönne. Aber ihr das alles auszuliefern, bevor sie sich mir gibt, und ohne Sicherheit, daß sie es je tun wird – ich bringe es nicht fertig.
Wenn sie wüßte, wie gern ich es täte! Auch das ist qualvoll. Aber wenn ich hineinfiele – soviel Gutmütigkeit würde mich für immer unmöglich machen vor mir selber!‹
Er erschien bei ihr mit einem Manuskript, worin er die Sorge um die Geschicke Dalmatiens, abseits von den Parteien, einfach zur Pflicht der anständigen Leute erhob. Wer darüber lächeln konnte, war im voraus mit Verachtung zugeschüttet.
»Einverstanden, drucken Sie das.«
»Wann befehlen Hoheit«, sagte er mit einer tiefen Verbeugung, »daß ich mir das Honorar hole? Der Artikel wird bis dahin gesetzt sein.«
»Es bleibt dabei: erst der Erfolg.«
»Sie versteifen sich darauf?«
»Und Sie?«
»Also ist es unnötig, ferner davon zu reden?«
»Ich glaube fast. Sie sind unbestechlich.«
Er kam wieder und bat um Erhörung, nicht mehr wie um eine Bezahlung, sondern wie um ein Gnadengeschenk.
»Wenn Sie's nicht verdienen, sind Sie um so weniger berechtigt, etwas im voraus zu verlangen, das heißt, ehe ich Ihren Erfolg sehe.«
»Sie haben recht, ich habe ein Versehen gemacht.«
Und er fing von neuem an, ihr geschäftsmäßig die Gründe darzulegen, weshalb sie ihn rasch befriedigen müsse.
»Seien Sie klug. Der Frühling vergeht, die tote Saison kostet Sie wieder ein halbes Jahr. Nächsten Winter sind gewisse Skandale zu erwarten, die so einträglich sein werden, daß sie mich möglichenfalls dazu verführen, Ihre Sache im Stich zu lassen ...«
Sie hörte aus alledem heraus, daß er sie kaum begehrte. Sein Fleisch machte ihm, so heftig er sich manchmal gebärdete, fast gar nicht zu schaffen.
›Warum hat er damals bei Torlonia mit so ehrlichem Beben mir seinen unglaublichen Antrag gemacht? Was für ein seltsam hartnäckiger Sophist! Er hat sich vielleicht nur eine Herzogin in den Kopf gesetzt? Oder er will einfach recht behalten gegen mich wie in einem Zeitungsstreit?‹
Ihre Weiblichkeit empörte sich. Ihr Blick kehrte im Gespräch, als besänne sie sich auf ihn, voll und aufreizend auf sein Gesicht zurück. Sie legte zuweilen ihre Hand neben die seinige auf ein ausgebreitetes Druckpapier und hob sie gleich wieder auf. Er ward von dem Vorüberstreifen ihrer kühlen Epidermis aus der Fassung gebracht, sagte sich, daß er ein Narr sei, und nahm einen rohen Anlauf zur Galanterie. Darauf fühlte er sich von ihrem Hochmut wie mit einem kalten Mantel zugedeckt. Er stockte und erblaßte.
Einmal hatte sie die Genugtuung, ihn am Boden zu sehen. Sie erlaubte seiner Leidenschaft niemals, vollends aufzubrechen; sie glitt über ihren Abgründen hin wie eine Schlittschuhläuferin. Sie dachte daran, daß sie es in Paris, mit siebzehn Jahren, ebenso gemacht hatte, zur Zeit der Papini, Tauna, Raphael Rigaud. Sie gab sogar einem Einfall nach, der damals naiv gewesen wäre und der ihr jetzt bloß als ironische Übertreibung galt: ›Wenn er sich nur nicht erschießt, bevor er überhaupt etwas geschrieben hat!‹
»Ich verspreche alles, was Sie wollen!« rief er zu ihren Füßen. »Ich liege auf den Knien und umklammere die Ihrigen. Wie sollte ich mich Ihnen nicht auf Tod und Leben ausliefern. Aber ...«
Und er reckte die Arme in die Luft.
»Glauben Sie mir nicht, was ich in diesem Zustand sage! Heute ist, dem Himmel sei Dank, die Druckerei geschlossen, und morgen werde ich nichts von dem tun, was ich jetzt versprechen muß.«
»Ich weiß es, mein Lieber. Alles das ist überflüssig. Wenn Sie bloß aus Berechnung keine Trinkgelder annähmen, so hätte es keine Bedeutung. Aber Sie sind ein Gehirn- und Willensmensch und darum, ob ich Ihnen gewähre, was Sie wollen, oder nicht, vollkommen unbestechlich.«
Er sprang auf.
»Nein! Ich bin bestechlich! Wie soll ich es Ihnen nur begreiflich machen? Ich will von Ihnen bestochen werden! Ist es mir denn unmöglich, Sie davon zu überzeugen?«
Schließlich rannte er in völliger Verzweiflung aus der Tür.
Anfang Juli begab sich die Herzogin wie gewöhnlich ans Ufer des Sees von Albano. Sie bat den Journalisten, sie in Castel Gandolfo nicht aufzusuchen, und er versprach es, überlegen lächelnd.
›Wie wird sie in der Einsamkeit des Landlebens von ihrer Einbildung genarrt werden!‹ sagte er sich. ›Wie wird sie nach Zeitungsartikeln dürsten, die ihren Schimären ein wenig greifbares Leben zu fressen geben! Ich werde sie nicht aufsuchen, nein – aber sie wird zu mir kommen. Wer weiß, in vier Wochen habe ich sie vielleicht schon und schreibe trotzdem für sie erst im Oktober.‹
Die vier Wochen vergingen, und Deila Pergola fragte:
›Warum fühle ich mich gereizt und matt? Ich gehe ja niemals aufs Land, und die Großstadt, der ich täglich meine Verachtung beteuere, auch nur acht Tage zu vermissen, wäre mir unerträglich. Ist die Hitze dieses Jahr ungewöhnlich? Was fehlt mir?'
Er wußte es, und allmählich gestand er's sich in rücksichtslosen Ausdrücken.
›Wodurch beunruhigt mich diese Frau so tief? Die umfassende Weltverachtung, die ich Plebejer mir so erfolgreich angemaßt habe – ihr ist sie angeboren. Sie wird nie auf den Gedanken verfallen: Du bist auch ein Mensch. Daß man mich hieran erinnern könnte, das gerade ist meine ewige Furcht. Wie gern wäre ich vornehm, ganz unzugänglich vornehm! Und daß ich eine gefunden habe, die es ist, fast ohne darauf zu achten, das ist mein Schicksal.
Diese Frau gewinnt noch durch Abwesenheit. Man ahnt sie, eine ferne Juno, auf der Traumhöhe ihres Olymps, der, ich glaube fast, von lauter stummen Statuen erfüllt ist. Welche Pein, daran zu denken!‹
Um von ihr reden zu können, befreundete er sich mit Pavic, der gar nichts Besseres verlangte. Der Tribun haßte Deila Pergola; er sah in ihm den vorherbestimmten Liebhaber seiner Herrin. Eine postume Eifersucht quälte ihn. ›Ich bin tot für sie‹, bedachte er. ›Sie selbst hat mich umgebracht, die Ruchlose. Aber soll nun ein anderer sie besitzen, der nicht soviel wert ist, wie ich damals war. Was war ich für ein Held!‹
Sooft er den Journalisten traf, verlegte er sich mit Erbitterung darauf, ihn zu entmutigen. Sie schlichen zusammen um Mittag im stickigen Schatten der leinenen Schutzdächer den Korso entlang. Ein eherner Augusthimmel lastete auf den verödeten Palästen. Die Gecken mit ihren Mädchen waren von den Perrons vor den Kaffeehäusern verschwunden, die bunten Blumenverkäuferinnen schliefen, von den brennenden Schwellen der Portale flüchteten die goldenen Portiers. Beim Auftauchen eines vereinsamten Fremden mit dem Leinwandhut im Nacken traten die Besitzer sehr teurer Geschäfte auf die Straße hinaus und boten ihm ihre Waren um ein geringes an. Die Ausdünstungen der Läden, Parfüms, Blumen- und Tabaksdüfte durchdrangen den Geruch des erhitzten Asphalts, und eine leise Mahnung an Kloake plante über allem. Eine Zigarettenwolke blieb viertelstundenlang liegen in der stillen Luft.
Aufatmend betraten sie das Café Roma. Deila Pergola bestellte ein erlesenes Frühstück und durfte dafür beim Käse an den Erinnerungen des Tribunen teilnehmen. Die Lust, sich zu rühmen, kämpfte in Pavic mit der Furcht, des andern Begehrlichkeit zu entfesseln. Ein paar Gläschen grüner Chartreuse gaben den Ausschlag, und er zerlegte mit saftig gerundeten Händen vor den Augen des andern die Formen der Herzogin von Assy.
»Die Schenkel sind wunderbar lang und nervig. Sie, das feine, feste Fleisch! Man fühlt gleich die Rasse, wenn man's anfaßt.«
»Bilden Sie sich nicht ein, daß ich Ihnen ein Wort glaube«, sagte Deila Pergola giftig und mit leidender Miene.
»Aber erzählen Sie nur weiter!«
»Sie wollen daran zweifeln, daß ich die Herzogin besessen habe? Ja, mein werter Herr, soll ich Ihnen einmal das Sofa beschreiben, auf dem es geschah? Über der Lehne, ein wenig vorragend, so daß man sich leicht den Kopf daran stoßen konnte, schwebte eine große goldene Herzogskrone. Ich vergesse sie nie. Am innern Rande – und in meiner charakteristischen Lage, Sie begreifen, konnte ich von unten hineinsehen – war die Vergoldung abgeblättert. Nun? Kann man solche Einzelheiten erfinden?«
»Also war es sehr leicht, sie zu bekommen?«
»Leicht? Was Sie nur meinen; Sie, Freundchen, hätten sie niemals bekommen. Ich allerdings, ich – das war etwas anderes. Einem Manne wie mir war sie noch nie begegnet. Was war ich für eine Persönlichkeit! Wissen Sie, um mich spinnt sich ein gutes Stück Romantik. Die Liebe meines Volkes umgibt mich wie ein Wall – noch immer, und erst recht jetzt, da ich elend bin. Ah! Je elender wir alle sind, desto besser sind wir. Desto inniger bemitleiden wir einander, und desto demütiger werden wir. Trink, Brüderchen, trink ein Gläschen, du arme Seele. Wirst schon auch noch daran glauben lernen.«
»Und dann hat sie dich natürlich weggeschickt, du Unglücksmensch«, sagte Deila Pergola über die Schulter weg. Eine wütende Lust versuchte ihn, Pavic' weichen Bauch mit den Fäusten zu bearbeiten und ihm den fettigen Bart von den schlaffen Wangenpolstern zu reißen.
›Sie gehört mir‹, rief er sich zu. ›Zu meiner Pein gehört sie mir, weil ich sie nun leider einmal achten muß. Und dieses Tier hat mit seinem eklen Fleisch ihr köstliches berührt!‹
Die Vorstellung dieses Geschehnisses quälte ihn in der Hitze. Er nährte seine Gier mit immer neuen Vertraulichkeiten des Tribunen.
»Nun erzähl, wie sie dich weggeschickt hat!«
»Sie hat mich nicht weggeschickt«, erklärte Pavic und überwand ein Schluchzen.
»Sie war zu böse, diese Vornehme; darum ging ich. Sieh, was ich aus ihr gemacht habe und sie aus mir. Ich habe ihr meinen Odem eingeflößt, unter den Sonnenstrahlen meines Wesens ist sie aufgeblüht. Wäre sie denn ohne mich eine Volkserretterin geworden? Sie ist ja ein Weib, ein schwaches Ding, das Befruchtung braucht durch des Mannes Willen und Gedanken. Und einen Mann hat sie gehabt. Ah! Was war ich für einer! Glaube nur, du bekommst sie nie!«
Deila Pergola zuckte zusammen.
»Denn sie liebt mich, Brüderchen, sie sehnt sich nach mir. Einen solchen findet sie nie wieder. Aber sie hat mir mein Kind getötet, das ich sehr liebte; darum verließ ich sie. Mag sie sich nun sehnen, ich komme nie wieder. Nein, so wahr Gott mir helfe, ich widerstehe dem Übel.«
Er schluchzte aus dem Zwerchfell herauf und trank. Der Journalist betrachtete ihn: ›Ein Haufen ranzigen Fettes, ungewaschen und staubig; aber es steckt ein Zauber darin, der mich festhält.‹
Er gab Pavic die Hand, sein Gesicht zog sich dabei zusammen vor Haß.
»Auf Wiedersehen, mein Lieber. Morgen frühstücken wir wieder zusammen.«
Pavic blieb sitzen, die Hände in den Hosentaschen. Von unten herauf, mit blutgeäderten Augen, maß er den andern. Er schäkerte feindselig.
»Nur keine aussichtslosen Gelüste, Brüderchen! Seit ich sie verlassen habe, ist sie allem Liebesleben abgestorben. Wen sollte sie auch nach mir noch begehren? Sage es selbst. Dich doch gewiß nicht.«
Della Pergola ging und wusch sorgfältig die Hand, die Pavic' Rechte geschüttelt hatte. Die beklemmende Jammergestalt des Tribunen machte sich trotzdem in seinem Bewußtsein breit und täglich breiter. ›Ist er so geworden, weil er sie liebte?‹ fragte er sich mit einem Schauder. ›Und ich, wozu bin ich bestimmt? Welch Unglück, ein zurückgestauter Dichter zu sein! Die erzwungene Kälte und Unempfindlichkeit so vieler Jahre will auf einmal gutgemacht werden in einem Zyklon von Leidenschaft. Ist mir nicht zumute, als sollte ich in ihm verschwinden?‹
Nachts drückte ihn ein Alp. Pavic' zerfließende Fettsäcke erstickten ihn, er vernahm mit Grausen sein asthmatisches Kichern, rang mit ihm und meinte zu bluten. Am Morgen stellte er fest:
›Dieser unheimliche Christ und Trinker muß mir ohne mein Wissen Furcht eingeflößt haben. Um so besser. Jetzt mischt das einfachste Ehrgefühl sich in die Sache. Es wäre also feige, einen Schritt zurückzugehen. Es ist also entschieden, ich werde die Herzogin lieben.‹
»Ich werde hinausfahren und von ihr Besitz ergreifen!« rief er. »Die Ergebung in mein Verhängnis entbindet mich von allen Versprechungen, und sie soll es erfahren! Bis dahin setze ich endlich meine Phantasie in Freiheit – und wenn sie tödlich wäre!«
Er belauschte sie in Gedanken beim Bade im See, bekam aber mit aller Anstrengung nichts weiter zu sehen als ihr schwarzes Haar. Es trieb auf der hellen Wasserfläche, ein Stückchen Schulter schimmerte matt zwischen den Flechten.
»Ich merke wohl, ich habe in meinen Erinnerungen kein Sofa mit Herzogskrone. Ah! Könnte ich alle meine Sinne anfüllen mit ihrem Fleisch und satt und ruhig werden. Ich möchte sie besitzen, um das Recht zu erwerben, sie zu verachten und zu vergessen. Wüßte ich wenigstens, daß auch ihre Nächte schwül sind und auch ihre Tage qualvoll!«
Sie litt so viel, als er nur wünschen konnte. Anfang September, als die Hitze schwerer drückte, selbst unter den alten Steineichen der oberen Galerie, bat sie die Blà um einen Besuch. In dem hohen Laubgang über dem See kamen die Freundinnen sich entgegen. Sie umarmten einander schweigend, die Blà schlug die Augen nieder, sie fand nicht den Mut, ihr langes Ausbleiben zu entschuldigen.
»Ich hatte kaum gehofft, daß du kommen könntest«, sagte die Herzogin. »Du bist inzwischen eine Berühmtheit geworden, Bice. Welch seltsames Talent hast du bekommen! Aber du siehst überarbeitet aus ... nicht besonders glücklich, scheint mir.«
»Und du?« murmelte die Blà.
Sie erblickte gegen die Atlasdecke des Sees, die ein sanfter Lufthauch in schmale, goldblau schillernde Falten legte, das Profil der Herzogin noch feiner als früher, noch schärfer gebogen und noch durchsichtiger. Die Brauen kamen ihr beunruhigt vor von unbekannten Ängsten.
Sie gingen weiter, Hand in Hand und ohne zu sprechen. Die Herzogin kehrte gleich zu ihren Gedanken zurück, und die Blà besann sich, ob sie sie stören solle. Die Blà war still, zerstreut und scheu; ihr Elend verschlang sie. Piselli spielte noch immer mit dem Gelde der Herzogin, aber er gewann längst nicht mehr. ›Wenn du mich weniger lieben wolltest, du armselige Närrin!‹ sagte er. ›Das fremde Geld müßte mir ja Glück bringen, aber natürlich, eine so alberne Liebe wie deine hebt die Wirkung auf.‹
Sie suchte durch überhitzte, tollkühne Arbeit die anvertraute Kasse zu füllen, die er mit Spielerhänden täglich ausleerte. Mitten im leidenschaftlichen Zuge ihrer Phrasen sah sie plötzlich vom Papier auf, ihr Atem ging laut und heftig, und sie fühlte mit dem nutzlosen Sausen ihres Blutes die unwiderlegliche Hoffnungslosigkeit ihrer Anstrengungen. Bei den Verlegern fand sie niemals Geld, Piselli hatte es immer schon erhoben. Er sei doch in ihrem Auftrage erschienen? fragte man sie. ›Natürlich. Ich habe mich geirrt.‹ Und sie lächelte.
Piselli behauptete sich als einer der Beherrscher des feinen Lebens. Er sprach seit kurzem das Italienische nur noch mit englischem Akzent und besann sich manchmal auf ein Wort. Diese Erfindung machte ihn vorübergehend zum begehrtesten Liebhaber der reichen Halbwelt. Es gab genug schöne Damen, die ihm heimlich gelegene, elegante Zimmer mieteten; er hatte es nicht nötig, zu seiner überanstrengten, trüben und abmagernden Gefährtin heimzukehren, deren erzwungene Heiterkeit und deren sanfte Liebe ihn reizte.
Wenn er zu lange fortblieb, hetzte die Angst sie umher zwischen Druckereien und Nachtlokalen. Piselli tat bei ihrem Erscheinen fremd, oder er lud sie, gut gelaunt, zum Trinken ein. Auch bot er sie dem Prinzen Maffa an, unter anschaulicher Anpreisung ihrer Vorzüge. ›Er stellt es sich nicht vor, der Arme‹, meinte sie, ›wie es wäre, wenn er mich nicht mehr hätte.‹ Um eine Probe zu machen, trat sie ihm im Restaurant Bucci am Arm eines Zeitungsdirektors entgegen. Tags darauf forderte er eine große Summe: ›... da du den reichen Kerl hast ...‹ Sie stand starr und zitterte; es sprach in ihr: ›Ich bin verloren.‹
Einige Tage später prügelte er sie zum erstenmal, und bald gewöhnte er sich, sie nur noch mit der Reitpeitsche zu besuchen. Er haßte sie für all das Geld, das, von ihr erarbeitet, in seinen unfruchtbaren Händen zerronnen war, für das, was sie ihm noch gab, und für das, was nicht mehr aus ihr zu erpressen war. Sie schauderte vor der wilden Falte zwischen seinen Brauen, vor seinem tierischen Blick und seiner dunkelrot herabhängenden Lippe. Dabei sehnte sie sich danach, unter seinen weißen, nervigen Fäusten zusammenbrechen zu dürfen. Den schmallendigen, beschwingten Hermes aus dem Sockel von Cellinis Perseus, der in ihrem Arbeitszimmer unter Garben von Orchideen und Rosen einen mageren Fuß zum Aufflattern erhob, Piselli schlug ihn einst mit dem Peitschenstiel zu Boden.
›Du hast ihn zerbrochen‹, sagte die Blà. ›Du, der sonst an Bedeutungen glaubt, siehst du nicht, daß du dich selbst zerbrochen hast? Ach, wüte nur gegen mich! Du kannst mich nicht anders töten, als indem du dich selbst zerstörst!‹
Und inzwischen nahm ihr Talent eine Entwicklung, der alle ratlos zusahen. Statt der kühlen Anmut ihrer ehemaligen Gedanken dampfte nun ein verzweifelter Geist aus allen ihren Sätzen. Ihre Worte rissen die Sinne des Lesers hin, als fühlte er die Arme einer Frau um seinen Hals, indes die Spitzen ihrer Brüste die Schriftzüge aufs Papier malten.
»Warum finden wir uns eigentlich so verändert wieder?« fragte die Herzogin. Sie besann sich.
»Bice, warum bist du unglücklich? Sage es nun.«
»Sage lieber du mir, was dich schmerzt. Ich, das weißt du, bin nicht unglücklich, wenn ich leide. Ich habe mein kleines Martyrium nötig. Aber du, Violante, du lebtest so still und sicher in deinem Traumreich, das eine weinrote Blättergardine von der Erde trennte. Warum bist du herausgetreten, wer hat den Vorhang zerrissen?«
»Die Zeit, Bice. Ich träumte zu lange. Und dann steckte jemand seinen Kopf herein und rief mich bei Namen: ich glaube, es war Della Pergola.«
»Das hat er fertiggebracht? Aber du hast ihn gestraft, nicht wahr? Oh, er denkt noch daran, wie du ihn behandelt hast. Sein Geist wird seit kurzem etwas mager, es heißt, daß seine Auflage sinkt.«
»Ich habe ihn nicht schlecht behandelt. Ich habe einen Vertrag mit ihm geschlossen. Er soll für mich schreiben, bis der Erfolg da ist. Dann werde ich seine Geliebte.«
»Du wirst ...«
Die Blà blieb stehen, sie hielt den Atem an.
»Du wirst seine Geliebte. Im Ernst, das würdest du tun?«
»Natürlich. Sobald es mir Glück bringt.«
»Du würdest dich einem Manne hingeben, von dem du etwas willst, deine Liebe würdest du als Bezahlung gebrauchen?«
»Warum nicht?«
»Wenn wir aus Leidenschaft, ich sage aus Leidenschaft, für eine Sache oder für einen ... Mann Dinge begehen, die der Bürger verurteilt – du findest das nicht schlecht?«
»Ich kenne nur schlechte Gefühle. Die Handlungen hängen von unsern Zielen ab. Mir scheint, sie kommen nicht in Betracht.«
»Wie bist du schön!« rief die Blà mit ausbrechendem Jubel. Sie stürzte an die Brust der Freundin.
»Wie bin ich dir dankbar!«
»Dankbar? Wofür? Aber Bice, du schluchzest ja.«
Die Herzogin hob das von Tränen ganz benäßte Gesicht von ihrer Schulter.
»Sieh, ich wagte schon gar nicht mehr, mich dir zu zeigen«, flüsterte die Blà.
»Wegen deines Orfeo? Du konntest glauben, daß ich ihn dir verdenke?«
»Nein, nicht wahr? Du verdenkst mir weder ihn noch sonst etwas, auch wenn du alles wüßtest. Warum sollen wir nicht einfach einander liebhaben, du und ich, unschuldig leben und alles tun, was unser Schicksal will. Wie sehr sehne ich mich nach einer unbewußten Seele! Wozu soviel Gewissen! Was neben und hinter unsrer Liebe geschieht, müssen wir es denn wissen? O Violante, nun brauche ich mich nicht mehr zu quälen!«
»Nein, Bice, beruhige dich!«
Sie küßte die Freundin auf die geschlossenen Augen, über denen das Glück wie ein breites Stück Sonne lag. Die Blà glaubte einen Augenblick, alles gestanden zu haben. ›Für eine Liebe, wie die von Violante und mir, ist die leere Kasse gar nicht vorhanden. Violante würde lächeln, wenn ich sie hineinsehen ließe. Denn nur was wir fühlen, ist Wahrheit, nicht, was wir geschehen ließen.‹
»Beruhige dich, Bice, du zitterst noch immer.«
»Ich will ja ruhig sein. Siehst du, ich denke nur noch an dich. Ich denke, du solltest ihn rasch handeln lassen und rasch tun, was du ihm versprochen hast. Wie gut wäre das, wie schlicht und unschuldig! Denke nicht weiter! Erobere dein Land und deinen Traum! Er liebt dich ...«
»Nun träumst du selbst, Bice. Wir sind ja erwachsene Leute, er und ich, ziemlich alt sogar und klug. Er besitzt einige Sinnlichkeit – natürlich habe ich sie aus ihm herausgelockt –, aber sehr wenig blinde Leidenschaft; oder wenigstens müßte er sich immerfort aufmuntern: ›Ich will blind sein, ich will blind sein!‹ Ich glaube ihm nicht, daß er aus Gier nach mir seine Rolle, die Rolle seines ganzen Lebens fallenläßt. Es scheint fast, als achtete ich ihn zu sehr, um es zu glauben ... Und doch hätte ich diesen Glauben nötig, als Beruhigungsmittel. Meine allzulange, verträumte Trägheit hat mich erschlafft und gereizt. Ich irre tagsüber in Qualen der Langenweile umher, und nachts liege ich mit schrecklichen Beängstigungen auf meinem Bett am weitoffenen Fenster. Ich lasse die Luft über meine entblößten Glieder streichen, ich fiebere, es wetterleuchtet, und ich sehe dürstend die dunkeln, kühlen Gestalten meiner Heimaterde, jene bronzenen Hirten, Räuber, Fischer und Bauern in den aufflammenden Horizont hineinragen. Wann siege ich? Bin ich in der Verbannung vergessen? Ist dies das Ende? Habe ich die Zeit der Taten verpaßt oder gar die Zeit ... des Lebens? Bice, kennst du solche Nächte? Die Angst schleicht sich bis in die Fußspitzen, ich erkaufe mir ein Stündchen dumpfer Erlösung, nicht mit Della Pergolas Liebe, sondern mit einem Pülverchen Chloral, Sulfonal oder Morphin.«
Der Mittag wuchtete auf dem verlassenen See; er glänzte weiß wie Zinn. Die Allee schloß sich, einsam und grün versponnen, in der Ferne mit Laubmassen, die dunkel blitzend von den Wipfeln bis zur Erde hinabzurauschen schienen. Die Freundinnen lehnten aufrecht an der steilen Rückwand einer alten Bank von Stein. Am linken und am rechten Ende umfaßte jede einen Löwenkopf, sie streichelten die abgeschliffenen Mähnen mit erregten, mattweißen Fingern, auf denen schmale Nägel blaß schimmerten. Die Blà neigte sich, einen Arm um die Herzogin zu breiten; sie glitten zueinander hin auf dem schlüpfrigen Marmor, lässig, aufseufzend nach den Beichten ihres Kummers, und glücklich, Schulter an Schulter zu ruhen. Die schwarzen Flechten der einen schlangen sich in die blonden der andern, ihre Düfte verwebten sich; die Wangen streiften sich weich. Die Blumen an ihren Gürteln küßten sich. Die leichten Falten ihrer hellen Kleider raschelten ineinander.
»Süße Violante«, sagte die Blà. »Weine!«
»Soll denn, was mir an Willen noch bleibt, in Tränen zerfließen?«
»Genieße doch deine Wehmut. Im Tiefsten sehnen wir uns alle nach dem Kreuz.«
»Ich nicht. Das härteste Kreuz ist das Sterben. Ich stoße es jetzt jede Nacht mit aller Kraft von mir und lebe – mit Martern zwar, aber ich lebe.«
»Wozu dich martern? Sieh, es ist so leicht, sich fallen, nein, sich gleiten zu lassen in den Tod hinein, so wie wir eben auf dem polierten Marmor einander zugeglitten sind.«
Die Herzogin richtete sich rasch auf.
»Nein! Ich klammere mich an meinen Löwenkopf. Soll ich mich an den Tod verlieren wie an den Traum, der mich allzulange verschlossen hielt? Jetzt fühle ich mich wieder leben. Die Schmerzen haben in meine dunkle Seele Fenster gerissen: es schaut nun so vieles aus mir heraus, soviel Künftiges, soviel Sehnsucht ... nach Dingen, die ich noch nicht ahne. Oh! Ich fühle Ehrfurcht vor dem Leben!«
Die Blà stammelte mit Tränen der Enttäuschung:
»Wie ruchlos ist der, der dich aufgeweckt hat. Wir waren Freundinnen, solange du träumtest.«
»Du wolltest meine Freundin sein: ich bin dir dankbar und höre nie auf, dich zu lieben. Aber auch ihm danke ich, weil er mich aufgeweckt hat. Wollte er nun handeln! Ich erfülle mein Versprechen und erfülle es mit Gleichgültigkeit und will mich gar nicht dafür rächen, daß ich es tue. Aber dies sind schwere Wochen.«
»Du Arme. Ein Mann kann uns schwere Wochen schicken.«
»Ein Mann? Ich denke sicherlich mehr an seine Druckerpressen als an seine Männlichkeit. Ich schlafe nicht mehr vor Ungeduld, das ist alles.«
»Ich, Violante, ich sterbe durch einen Mann und sterbe gern. Du, du quälst dich fast zu Tode mit deinem hochmütigen Willen, fast zu Tode. Aber wenn er dich endlich an seine Brust drücken will, der Tod, dann scheuchst du ihn von dir, den Tröster. Noch eben standen wir eng zusammengelehnt, süß durchzittert von unserm gemeinsamen Leiden und ganz ineinander überfließend. Und jetzt, unversehens, führt kaum noch eine Brücke von mir zu dir, kaum noch ein Wort. Wozu klage ich!«
»Damit ich dich in die Arme nehme, kleine Bice, so, und dir sage, daß wir uns lieben wollen, ohne zu sterben. Ehrfurcht fühlen vor dem Leben!«
Die Blà seufzte bitter.
»Es gehört manchmal sehr viel Ehrfurcht dazu, es auszuhalten. Du, Violante, bist eine Künstlerin, wie jener, den ich einst sterben sah. Ich bin eigentlich immer eine gute Bürgersfrau geblieben, habe aber doch vom schweifenden Elend der Namenlosen viel miterlebt. Der, den ich meine, war einer der Ärmsten. Seine Bilder verstaubten in Trödelläden, eine schmutzige Krankheit brachte ihn um. An seinem Bett saßen zwei Genossen und rauchten ihn an, und er redete im Fieber von seiner großen Sehnsucht nach all den Dingen, die in ihm schliefen und die er selbst noch nicht kannte: hörst du es, Violante? – nach seinen künftigen Werken. Seine Finger krampften sich in ein buntes Maskenkleid, das über einem Stuhl hing, sein Blick erstarrte an einer Feuernelke in einer irdenen Scherbe. Er war unfähig, seine Sinne loszulösen von dieser Erde, die er so unsäglich schön fand, und starb plötzlich, von gräßlicher Angst überwältigt, schreiend und sich sträubend.«
»Sein Sterben war gewiß recht unschön, er hätte es für sich allein abmachen sollen. Aber sein Leben ...«
»O gewiß, das Leben solcher Menschen wirkt ermutigend. Sie sind so erdenfroh, so selbstfroh und feuern uns an. Wir sollten einmal nach Rom fahren und uns anfeuern lassen.«
Tags darauf in der Frühe fuhren sie. Ihr Wagen hielt auf der Piazza Montanara inmitten eines besonnten Gewühls bunter Campagnabauern, die scharfriechende Pferdekäse von den zweiräderigen Karren luden und das Wasser edler Brunnenschalen über ihre Kohlköpfe spritzten. Die beiden Frauen betraten den kalten Schatten eines versteckten Gäßchens, des Vicolo San Nicolò da Tolentino, sie durchschritten ein geschwärztes Torgewölbe und erstiegen eine grünlich-feuchte Steintreppe, dämmerig unter kleinen Gitterfenstern. Im dritten Stockwerk sagte die Blà:
»Ich nehme an, daß du nichts von dem, was man dich hier sehen lassen wird, als Kränkung auffassen willst. Sonst wäre es besser, gleich umzukehren.«
Die Herzogin zuckte die Achseln.
»Du weißt, ich langweile mich.«
»Das wird gleich ein Ende haben«, meinte die Blà.
Zwei Stiegen höher klopfte sie. Man rief heftig: »Herein!« Bei ihrem Eintritt plumpste etwas zu Boden; ein großes, nacktes Weib war von der Matratze eines schmalen, eisernen Bettes herabgesprungen. Ein stämmiger, kleiner Mensch hieb mit dem Malstock auf seine Staffelei und brüllte:
»Willst du stehenbleiben, Kanaille!«
Aber sie ließ die Arme hängen, die schwarzen Haare zottelten ihr um das Gesicht, und sie beglotzte mit großen, dunkeln, tierischen Augen die beiden Damen. Ihr gegenüber, am andern Ende des Zimmers, breitete sich eine zweite, viel gewaltigere Nacktheit aus, ein weibliches Ungeheuer von rotem, lauem Fleisch und gleißenden Fettwölbungen. Sie bog die Schenkel in einem plumpen Tanze, preßte die Hände unter die überquellenden Brüste und lachte, breit, blond, mit zurückgeworfenem Kopf, geblähtem Halse und feuchten, dicken Lippen. Sie war auf die herabbröckelnde Kalkwand gemalt, und zu ihren Füßen stand in großen Lettern: »Das Ideal.«
Von der Gliederpracht dieser beiden stummen Geschöpfe flankiert, bevölkerten drei Männer den Raum: der starke Zwerg an seiner Staffelei, ein Schwarzer, Schmaler reglos in einem Winkel, und ein gut gewachsener junger Mensch vor der weiten, blauen Fensteröffnung. Er nahm die Hände aus den Hosentaschen, die Zigarette aus dem Munde und ging den Besucherinnen entgegen.
»Bester Jakobus«, sagte die Blà, »man kommt, um sich zu überzeugen, daß Sie von Ihrer Größe noch nichts verloren haben. Sie sind inzwischen halb verschollen.«
»Nicht meine Schuld. Habe zuviel gearbeitet, oder vielmehr, zuviel verkauft.«
»Um so besser. Meine Freundin will sehen, was Sie malen. Violante, ich stelle dir Herrn Jakobus Halm vor.«
Der Maler verbeugte sich kaum. Er zuckte die Achseln. Die Herzogin betrachtete ihn erstaunt. Er erging sich in ruhelosen Gebärden, seine Haut war gelblichbraun und trocken, reiches, braunes Haar rollte wellig in die helle, faltenlose Stirn. Auf seinen magern Wangen wuchsen die Haare schlecht, sie wehten ihm, altgolden, weich und in zwei langen Spitzen, vom Kinn. Er hatte eine kühne Nase, Augen scharf und sonnig, und blutrote, kurze Lippen. Er schürzte sie und zeigte, ohne zu lachen, seine weißen Zähne. Er trug eine hohe, schwarze Krawatte und keinen Kragen, ein zartes Hemd von blaßvioletter Seide, darüber eine entfärbte, alte Jacke, eine Flanellhose und an den Füßen ganz neue Lackschuhe. Er sagte:
»Schauen die Damen sich nur das Museum an. Es ist augenblicklich leider ein dürftiger Bestand, das Fehlende ersetzen Sie wohl freundlichst durch das Ideal.«
Und er wies auf die Vettel an der Mauer.
Das Modell hatte einen Kleiderrock erfaßt; es bekundete die Absicht, sich damit zu bedecken. Aber Jakobus bemächtigte sich der formlosen Hülle und schleuderte sie unter das Bett.
»Du willst den Damen deine Lumpen vorführen? Agata, wie unanständig! Die Damen sind gekommen, um etwas Schönes zu sehen. Das warme Goldbraun deiner Hüften ist bei weitem das Schönste, was du zu zeigen hast. Also ... Habe ich recht, meine Damen?«
Die Herzogin nickte und lächelte. Jakobus hatte mit schneidender Stimme gesprochen; er wandte sich hochmütig weg.
Dem Fenster gegenüber prangten zwei große Gemälde, zwei Ringer mit steinernen Nacken und vorspringenden Muskeln auf einem roten Teppich und ein schwarzer Campagnabüffel, die gewundenen Hörner aufgerichtet gegen den Feind. Die Herzogin verweilte davor, aber von hinten fühlte sie sich belästigt. Schließlich entdeckte sie, daß der Schwarze, Schmale sie aus seinem Winkel heraus gierig anstarrte. Sie musterte ihn gelassen. Lange, schwarze Haare fielen glatt auf seinen von zerkrümelter Kopfhaut weiß gesprenkelten Rockkragen. Er war bartlos, mit schmalen Lippen, großer blasser Nase und einem beklemmend heißen Blick von leidender Begehrlichkeit. Die Blà sah diesen Blick ihre Freundin entkleiden und besudeln; sie errötete vor Zorn. Die Herzogin sagte sich: ›Wenn er immer solch Gesicht machen muß, ist er offenbar ziemlich unglücklich. Denn auch der Geistloseste findet unschwer an ihm die wunde Stelle; ihm ist noch der Niedrigste überlegen.‹ Sie trat ihm, gütig und ernst, zwei Schritte entgegen. Der kleine Stämmige pinselte und keuchte; er schrie plötzlich:
»Da schauen Sie her, was ich mache! Es ist der Mühe wert!«
»Sie malen nach dem Modell, und Ihr Freund auch?«
»Meins ist nicht der Mühe wert«, erklärte Jakobus kalt; er kehrte seine Leinwand um.
»Bleiben Sie bei Perikles, schöne Dame, er ist mit sich zufrieden, er wird Sie überzeugen, daß Sie's auch sein müssen.«
Der Kurze hob die Achseln.
»Welch ein Narr! Will sich und andern einreden, daß er's besser könne, als er's macht. Merken Sie sich, meine Dame, wir können, was wir machen, und machen, was wir können: darüber hinaus gibt es nichts. Sehen Sie mal, wie meinem gemalten Weibsbild hier das Blut unter der Haut fließt. Das Blut unter der Haut malen können, das ist Kunst! Beaugenscheinigen Sie gefälligst den Trizeps von meinem Ringer da oben. Möchten Sie ihn anfassen? Er schwitzt, Sie würden dran klebenbleiben. Das Bild ist übrigens verkäuflich. Das andere ebenfalls. Wie das Vieh dort schneidig zusammengehauen ist! Ein Vieh! Das ist das Wahre, alles soll Vieh sein. Große nackte Leiber, gewölbte Muskeln, und das Blut soll man rauschen hören unter der Haut.«
Jakobus stellte sich zwischen ihn und die Besucherinnen.
»Wissen Sie wohl, daß ich mich schäme für den platten Prahler?«
Dann begann er wieder umherzuschlendern, mit fremder Miene, die Hände in den Taschen und den Mund voll Zigarettenrauch. Die weißen Wolken gesellten sich schwankend zu den Farben- und Terpentindüften, die Kästen und Flaschen entströmten. Der Kurze lachte lärmend.
»Er schämt sich! Ganz recht, ihr alle dürft euch schämen, denn mit mir, dem Perikles, verglichen, seid ihr doch nur gemeine Bürger.«
Er hob ein dickes Beinchen über den Stuhl, er setzte sich rittlings hin, in Hose und Hemd, und blickte selbstgefällig umher. Von seinem pockennarbigen Borstenkopf rannen die Tropfen, und er redete donnernd:
»Was bin ich nur für ein Künstler! Und was für ein Arbeiter! Bei mir gibt's kein Bangen nach Stimmung und anderem Unsinn. Keine Zeit dazu, ich male einfach. Schlafe, weil's so heiß ist, von mittags elf bis abends sieben. Sie empfehlen sich hoffentlich bald, werte Damen, denn es ist halb elf, und ich begebe mich sogleich zur Ruhe. Von sieben Uhr abends bis in der Frühe um drei schmause ich und unterhalte mich ein wenig mit liebenswürdigen Personen. Kaum aber dämmert es, so male ich. Acht Stunden lang werden die Pinsel nicht trocken. Ha! Was für ein schönes Leben! Ich schaffe aus dem vollen! Kein wehmütiges Verlangen, wie bei dem Narren dort. Bei mir ist alles Wirklichkeit. Ich mache bloß die Hände rund und fühle sie auch schon voll von mächtigem, muskulösem, satt gefärbtem Fleisch. Gleich damit auf die Leinwand! Da gibt's kein Widerstreben.«
Er sprang mit einem Krach vom Stuhl, der auf die roten Fliesen klapperte, und er stürzte sich auf Agata, das Modell. Er packte sie vorn und hinten fest an und wog ihre Fleischfalten in seinen Händchen. Jakobus sprach über die Schulter weg:
»Perikles, verstelle dich mal eine halbe Stunde lang und tue so, als ob du gut erzogen wärest!«
Der Kurze feixte ganz erstaunt. Er steckte den Kopf unter das Bett; der Raum enthielt seinen Vorrat an Kleidungsstücken. Er holte ein Paar Manschetten hervor und zog sie über seine wollenen Ärmel. Dann widmete er sich aufs neue dem Modell.
Neben dem gemalten Ideal lehnte verkehrt an der Mauer eine große, gerahmte Leinwand. Die Herzogin berührte sie.
»Es ist schade um Ihre weißen Handschuhe«, sagte Jakobus. Er wendete ihr das Gemälde zu.
Sie schwieg mehrere Minuten, und er betrachtete ihr Profil. Es verschwamm weich auf dem wogenden Mittagsblau und vor den großen roten, grünen, violetten Flaschen, die am Fenster leuchteten. Die weiße, wenig gewellte Linie ihrer Gestalt stand zärtlich dort und still. Sie bog sich in den Hüften ganz leicht nach vorn, unbewußt verehrend und innerlich sich neigend vor der Göttin.
Jakobus sagte schließlich gedämpft:
»Ich merke, Sie sehen es. Sie sehen, diese Frau ist hochmütig, fremd und dem Weinen nah bei der Berührung mit etwas ›anderem‹, mit etwas Wirklichem. Dennoch muß sie dem Zentauren ihre Hand ums Horn legen, ihre magere, geäderte, langsame, kühle Hand. Es reizt sie ein Grauen, vielleicht auch ein hohes, entlegenes Mitleid.«
Die Herzogin bestätigte:
»So sehe ich es. Ich sehe auch, dies muß Botticellis Pallas sein, die verlorengegangene Pallas!«
»Ja. Ich habe mich daran gemacht, die Göttin nochmals zu erträumen, von der der Florentiner geträumt hat ... Tat er's? Nein, ich glaube den Berichten nicht. Er hat sie nicht gemalt, er hat nichts weiter fertigbekommen als die bekannten Studien. Aber der ungeheuere Traum derer, die vor vierhundert Jahren da waren, wirkt weiter in allen, die seitdem sich nach Schönheit sehnen. Wenn wir während eines Augenblicks sehr groß sind, so ist uns eine Empfindung, eine einzige, in den Pinsel geflossen, die vor vierhundert Jahren einer gehabt hat. Ich habe diese Empfindung festgehalten. Ich behaupte, dies ist die Pallas, die Botticelli gemalt hätte.«
»Diese Pallas ist nicht schön«, versetzte sie langsam. »Aber in ihren Augen brennt ihre Seele. Sie ist schön nur vor lauter Sehnsucht nach Schönheit. Wie tief fühle ich sie heute!«
»In dem, was Sie sagen, liegt alles. Unser ist die Sehnsucht nach der Schönheit, nicht ihre Erfüllung. Darum empfinden wir diese Pallas bis in die Tiefe. Die Erfüllung, vielleicht gehört sie solchen Tieren ...«
Seine Schulter zuckte nach dem Stämmigen hinter ihm.
»Jener erkühnt sich, die Schönheit sogar noch in diesen Schweinestall zu sperren – er selbst ein Schwein; und ich glaube fast, es gelingt ihm. Wenn ich das so mit ansehe, bilde ich mir schließlich etwas darauf ein, daß ich selbst der Schönheit nicht ins Gesicht blicken kann. Um es zu können, müßte sich meine Seele kräftigen, durch etwas Glück, mindestens durch Wohlleben. Dann, ahnt mir, würde ich einiges hervorbringen, wovon die Welt ...«
Er zögerte; dann brach es hinter zusammengebissenen Zähnen hervor, gequält und prahlerisch:
»Wovon die Welt sich nie etwas träumen ließ.«
Er stand mit verschränkten Armen vor der stillen Göttin, hochfahrend und seiner nicht ganz sicher. Die Herzogin sah sein Gebiß blinken zwischen den kurzen roten Lippen und ein rötliches Licht seine kühn verwirrten Haare bekränzen. Sie fand ihn nervig und hoch, mit knochigen Schultern, schlanken Beinen und ohne Bauch. Sie wandte sich nach der Blà um, die schmollend beiseiteblieb. Ohne es zu wissen, hatte die Unglückliche gehofft, ihre Freundin würde von diesen Menschen beleidigt und niedergedrückt werden. Sie sah sie angeregt und belebt und litt darunter. Sie nannte sich neidisch und böse und litt noch mehr.
»Bice«, rief die Herzogin, »betrachte doch dieses Meisterwerk. Das ungeschaffene Werk eines alten Meisters! Sein Genie muß zurückgekehrt sein, es muß vierhundert Jahre übersprungen haben! ... Das Bild wird wohl nicht verkäuflich sein? Auch könnte ich in diesem Augenblick nicht so viel geben, wie es wert ist. Ich biete dreitausend Franken.«
Auf einmal hielt alles den Atem an. Diese Wände hatten das Wort dreitausend noch nie vernommen. Schließlich stieß der kurze Perikles einen langen Pfiff aus. Jakobus sagte schroff:
»Das Bild ist tatsächlich noch nicht zu verkaufen. Übrigens behalte ich mir selbst es vor, den Preis zu bestimmen.« »Aber ...«, machte die Blà.
Aus dem Winkel des Schwarzen, Schmalen kam ein rauher Laut des Entsetzens. Perikles tollte im Zimmer umher, tonlos vor Wut. Plötzlich stand er auf dem Kopf. Als er wieder zu sich kam, keuchte er: »Der Narr!« und »Es ist gut, ich schweige.« Auf der Gasse rief ein Campagnole frischen Pferdekäse aus. Perikles legte zwei Kupfermünzen in einen Korb, den er am Seil aus dem Fenster ließ. Der Korb kehrte beladen zurück, Perikles stopfte sich den Mund voll Käse und warf die Rinde über die Schulter weg nach Jakobus' Seite, unter verächtlichen Grimassen:
»Treff ich ihn, treff ich ihn nicht, mir ist's gleich.«
Jakobus sah mit trotziger Miene an der Herzogin vorbei. Er wollte spöttisch sprechen und sprach sehr weich:
»Verehrte Frau, deren Namen ich nicht kenne, Sie haben sich geirrt, dieses Gemälde hat keinen ungewöhnlichen Wert. Das Genie des Florentiners ist keineswegs zurückgekehrt. Die Wahrheit ist einfach: ich bin einen Augenblick von Sehnsucht überwältigt und fortgetragen – und hielt gerade den Pinsel in der Hand. Ich sehne mich oft, aber gewöhnlich liegt der Pinsel am Boden.«
Die Herzogin lächelte, Jakobus machte sich ganz klein.
»Wir sehnen uns zuviel, und der Pinsel liegt am Boden. Oh, wir malen keine Pallas, wir sind selber Pallas: auch in unsern Augen brennt unsre Seele. Der Bellosguardo dort –«
Er deutete nach dem Schwarzen, Schmalen im Winkel.
»Der kann überhaupt nur glotzen. Sehen Sie sich doch den verdächtigen Menschen an mit dem Blick, der Sie, meine Damen, beleidigt, wenn Sie sich auch vorgenommen haben, sich hier durch nichts aus der Fassung bringen zu lassen. So wie er da steht und schweigt, ist mein Freund schöner als all das Dutzendpack Ihrer einwandfreien Gesellschaft. Er brennt vor Brunst – nach Kunst, er ist geil auf Schönheit, er ist immerfort so gelähmt von Begierde nach allem überwältigend Schönen, wovon die Welt voll ist, daß ihm Geist und Hand versagen: er malt gar nicht, er glotzt und ist dabei mehr Künstler als wir alle.«
Die Blà behauptete gereizt:
»Er ist abscheulich.«
»Er hat eine schöne Seele; genügt Ihnen das etwa nicht, meine Beste?«
Perikles kam herbei, die Reste des Käses in der einen Hand und in der andern eine Korbflasche.
»Ich erlaube mir kein Urteil über den Unsinn, den er Ihnen vorredet zur Beschönigung seiner Faulheit. Ich habe nur malen gelernt und nicht vernünfteln. Maler sollen mit den Händen sprechen. Aber eins will ich Ihnen doch mal erzählen. Dieser seelenvolle Jüngling hat gestern seine sämtlichen Skizzen und Entwürfe dem Juden verschachert und sich für den Erlös ein Paar Lackschuhe angeschafft. Da, sie sitzen ihm famos.«
Jakobus sah in die Luft; er trat von einem Fuß auf den andern.
»Ja, es ist wahr«, erklärte er wegwerfend. »Ich brauche den Luxus. Ich muß ihn eben bezahlen, wie es geht. Und wie teuer bezahle ich ihn! Sie halten diesen Raum für leer. Die Wand, an der meine Skizzen hingen, hat Perikles mit dem Scheusal angefüllt, das ihm das Ideal bedeutet. Meine Entwürfe sind fort, glauben Sie. Ja, aber ihre Geister sind dageblieben, wirre Phantome, die mich unablässig peinigen: sie wollen, ich soll ihnen zum Leben verhelfen. Kann ich's denn noch?«
»Man sollte die Skizzen zurückkaufen«, meinte die Herzogin. Der Maler zuckte die Achseln, die Blà erklärte:
»Der Jude, der sie kaufte, hat sie sofort an alle fliegenden Händler in ganz Rom ausgestreut. Für zwei Soldi wird Herr Jakobus sie fortgegeben haben, für einen Franken das Stück erwerben sie die billigen Kunstfreunde. Solche Originalzeichnungen sind riesig beliebt bei den Fremden.«
»Übrigens habe ich Ihnen einen andern Vorschlag zu machen«, versetzte die Herzogin. »Ich suche gute Kopien. Kopieren Sie, Herr Jakobus, doch nach Ihrem Belieben die Meisterwerke, die Sie reizen, und überlassen Sie mir alle Ihre Arbeiten gegen ein festes Jahresgehalt.«
Wieder horchten alle auf. Jakobus öffnete den Mund, aber die Herzogin unterbrach ihn.
»Bice, ist es dir recht, so gehen wir.«
An der Tür gab sie ihm ihre Karte; er sah sie nicht an. Er zog sich steif zurück.
»Sie kommen gelegentlich zu mir, hoffentlich einigen wir uns und schließen einen förmlichen Vertrag.«
Bei diesem Worte dachte sie an Deila Pergola. ›Welch ein anderer Vertrag! Mir ist es, als befreite mich dieser von jenem. Aber wünsche ich denn das?‹
Von der Schwelle übersah sie nochmals den Raum. Perikles wandte ihr seinen quadratischen Rücken zu. Bellosguardo glotzte obszön; in der Angst, sie aus dem Auge zu verlieren, atmete er laut, und sein blasses Gesicht bezog sich rosig. Agata, das Modell, kauerte, nackt wie sie war und friedlich wie ein Tier, auf der leeren Matratze des verbogenen eisernen Bettes. An der Wand tanzte massig die Vettel, die den Namen des Ideals führte. Der Kalk rieselte herab, von den roten Fliesen waren mehrere zerbrochen, eine fehlte. Buntbestickte, verschlissene Stoffetzen hingen über Strohstühlen. In den Ecken schichtete sich Gerümpel: verbrauchtes Malgerät, Marmorklötze, verschmierte Leinwand. Das alles prahlte grell im Nordlicht, und die roten, grünen, violetten Flaschen am Fenster schrien scheinend vor Jubel, daß alles das leben durfte. Mit einem letzten tiefen Blick in das Auge der Pallas ging die Herzogin hinaus, voll eines hochgemuten Glücksgefühls, getragen von der starken Lebensfreude, die diese armen vier Wände sprengte.
Jakobus begleitete sie über die erste Stiege. Sie gab ihm die Hand, er küßte sie schüchtern, fast demütig. Sie fühlte nur seine Barthaare über ihren Handschuh streifen; seine Lippen hatten ihn gar nicht berührt.
»Ich verkaufe die Pallas«, sagte er. »Sie kostet fünfhundert Franken.«
Sie lächelte.
»Ich nehme sie.«
Er kehrte langsam zurück. Sie stieg drei Treppen tiefer, da entstand droben ein wüstes Getrampel. Perikles stürzte herab, die Stockwerke des Hauses warfen ihn sich mit Getöse zu. Er reckte einen Marmortorso in die Höhe, einen mächtigen Unterleib und die Hälfte von zwei Brüsten. Er schnaufte und stockte; er hatte erfahren, wer die Fremde war.
»Hoheit, meine Bilder gefallen Ihnen nicht. Was kann ich dabei tun? Jeder hat seinen Geschmack. Aber hier ist ein Torso, ein antiker, Hoheit. Da gibt's keinen Geschmack, das braucht überhaupt nicht schön zu sein, dafür ist es eben ausgegraben. Ein Bauer in Palestrina hat's ausgegraben, der Pächter hat ihm einen halben Franken dafür gegeben, und ich habe dem Pächter zehn Lire geben müssen. Geben Sie mir zwanzig, Hoheit!«
»Schicken Sie mir den Torso.«
Sie stiegen in den Wagen; die Blà sagte trocken:
»Du siehst, dieser Perikles ist bei weitem der Rührigste und Geschickteste. Gemalte oder gehauene Körper, das gilt ihm gleich. Nur Körper müssen es sein. Solch ausgegrabener Rumpf hat für ihn sogar das Gute, daß er keinen Kopf zu machen braucht. Er bevorzugt den Unterleib.«
Die Herzogin antwortete nicht; sie dachte an all die Formen, die das Auge der Pallas, ein liebreicher Spiegel, herbeirief, um einzutauchen und schön zu werden. Wo fand sie diese verklärte Fülle? Am Nachmittag hatte die Blà Geschäfte; die Herzogin begab sich zu Properzia Ponti. Sie fuhr in die kleine, vom Staube vieler Kohlenkeller geschwärzte Seitengasse des Corso, wo die berühmte Frau wohnte. Das Haus war schlicht, mit schwerem Bronzeklopfer, einem Medusenkopf, am dunkelgrünen Tor. Es roch auf Flur und Hof nach alten Zeiten. Ein hinkender Diener führte sie über einen hallenden Vorsaal mit Truhen und Bänken, durch mehrere kleine Zimmer und in eine Galerie.
Dieser Gang war schmal, unermeßlich hoch und mit Glas überwölbt. Von allen Seiten drang das Blau ein, die Galerie war nur eine luftige Brücke aus Glas und Eisen, die über dem zwischen Mauern versenkten und von Arkaden eingeengten Gärtchen zwei Flügel des alten Hauses verband. Vor den Fenstern aber reckten sich Statuen stumm und schwarz in den Himmel. Die Bronzen glänzten stumpf wie feuchte Ackererde; und in Erde wurzelten sie als ihre Geschöpfe, verschlossen, langsam, stark und ohne Lachen: Bauern, mit dem Blick an ihren Spatenstichen, Jäger und Räuber, das Auge auf dem Opfer, nach dem ihre Büchse zielte, Schiffer und Fischer, den Hals vorgestreckt und die Pupille zusammengezogen vom Schein des Meeresfernen. Mädchen trugen wiegend den Traum von ihren Brüsten und ihren Hüften in die strahlende Luft hinein – und es war ein Jüngling da, ihm waren die Tierfelle von den Schenkeln gefallen, sein Kopf war in den Nacken gepreßt, und die erhobenen Arme spannten sich mit der Brust, den Lenden, den Beinen und den stürmisch auf den Zehenspitzen vom Boden sich abschnellenden Füßen zu einer einzigen bebenden Linie: sie war ein unsäglicher Drang zum Licht. Die Herzogin fühlte sich mitgerissen, der Boden entglitt ihr. Die blauen Himmelsweiten kreisten in ihrem Kopf. Ihr schwindelte, sie schloß die Augen. Ihr leichter weißer Ärmel flatterte auf, ihre schwarzen Flechten hoben sich im Lufthauch einer offenen Scheibe. Er brachte einen Duft von Rosen mit, bitter gewürzt mit Geruch von Lorbeer.
Der hinkende Diener meldete:
»Die Frau Herzogin von Assy.«
Und er entfernte sich.
Sie ging in die kahle Halle zu ebener Erde. Masken aus Gips hingen in weiten Abständen an den weißen Wänden. Ein Glasdach war in die Mitte der hohen Decke eingelassen. Darunter erhob sich ein Gerüst, mit leinenen Tüchern zugedeckt. Ein Kranz von Steinsplittern umgab es auf den Fliesen. Seitwärts stand ein marmorner Stuhl mit Figuren, wachsgelb und abgeschliffen. Es lag ein rotes Kissen darin; die Herzogin setzte sich hinein. Sie erblickte niemand, sie sah immerfort durch die breite, türlose Öffnung in der Mauer, dem Zuge der Bilder nach. Wohin führte er?
›In mein Land?‹ fragte sie. ›Dorthin, wohin ich solange meinen fruchtlosen Traum gesandt habe?
Aber mir scheint, hier ruhe ich schon am Ziel, mitten in dem Lande, das ich meinte, und brauche nur zu schauen. Diese Halbgötter sind schöner und freier, als mein Wunsch sie bilden konnte – und hier gibt es nicht einen versagenden Wunsch, nein, eine Hand, die sie alle geformt hat.‹
Sie wandte sich, erblassend: Properzia stand vor ihr.
Sie trug ein leinenes Überkleid; eine Schnur hielt es zusammen über den breiten Hüften. Auf winzigen römischen Schuhen, mit hohen Hacken in der Mitte des Fußes, war sie über den roten Läufer herbeigekommen, mächtig und ohne Laut. Sie sagte mit tiefer, sanfter Stimme:
»Sie sind hier zu Hause, Herzogin: ich ziehe mich zurück. Sie waren ganz bei Ihren Gedanken und erschrecken, da Sie mich sehen.«
»Ich sehe Sie zum erstenmal, Frau Properzia. Zum allererstenmal fühle ich, was schaffen heißt, das Leben schaffen um sich her ...«
Die Herzogin stand auf, durchrüttelt, schmerzhaft fast, von Ehrfurcht.
»Glauben Sie mir«, bat sie mit Stammeln.
Properzia lächelte, still und unberührt. Die Lobspender lösten einander ab, jeder suchte seinen Vorgänger zu überbieten, und dennoch kannte Properzia alles, was sie sagen konnten.
»Herzogin, ich bin Ihnen aufrichtig dankbar.«
»Hören Sie, Frau Properzia. Ich habe heute früh in den Augen eines gemalten Bildes empfunden, wie die Schönheit brennt, nach der wir uns sehnen. Hier bei Ihnen ist keine Sehnsucht mehr. Ich stehe hier, klein, aber schwer von Liebe, im Bereiche der Macht, die die Schönheit vollendet. Mein Herz hat nie so geschlagen, ich glaube, nach dieser Stunde hat der Himmel mir nichts weiter zu geben.«
Dabei sah sie unverwandt dem Reigen der Statuen nach.
»Diese Bronzen«, sagte Properzia, »sind in Sankt Petersburg gegossen.«
Sie führte ihren Gast die Galerie entlang.
»Großfürst Simon hatte sie bestellt; er starb, bevor sie fertig waren. Diese Frau mit dem Schleier über Mund und Nase und mit der Amphora auf dem Kopfe war seine Geliebte.«
Properzia erzählte gedankenlos. Sie wußte, die Besucher faßten für ihr Werk erst dann eine ungeheuchelte Teilnahme, wenn sie an jedes Stück eine Anekdote hing. Die Herzogin schwieg. Zwei Minuten später dachte Properzia:
›Was will diese große Dame? Natürlich ist sie eine von denen, die aus der Mode zu kommen fürchten, wenn sie sich nicht mit mir befreunden. Warum steht sie vor einem Kunstwerk, ohne es zu beurteilen? Sie findet keinen Arm zu kurz, kein Ohrläppchen zu dick, und obwohl sie selbst sehr schlank ist, keinen Busen zu groß. Sollte sie eine Ausnahme sein und Empfindung besitzen? Sie ist nicht aus boshafter Neugier gekommen, diese da, sie will nicht feststellen, wie elend mich der Mann gemacht hat, den ich liebe. Sie ist zu erregt. Ich glaube eher, sie liebt selbst. Ja, unglücklich muß sie sein wie ich: wie könnte sonst eine große Dame ein Kunstwerk empfinden?‹
Sie kehrten in die Halle zurück.
»Störe ich Sie? Wollen Sie arbeiten?«
»O nein. Ich lasse den Abend kommen, und wie dankbar bin ich ihm, da er mir ein schönes Gesicht mitbringt. Setzen Sie sich wieder in den Stuhl, Herzogin, schauen Sie die Galerie entlang, wie vorhin, und erlauben Sie mir, Ihr Profil in Ton zu kneten.«
Sie bog den Kopf der Abzubildenden zur Seite, mit unerwartet leichten Händen; und dennoch fühlte sich die Herzogin unter diesen Händen zerbrechlich und ihnen unterworfen, wie ein Stück Erde, das Leben bekommen sollte nach Properzias Sinn und Leidenschaft. Properzia ließ sich auf einen hölzernen Schemel nieder; sie rundete eine Medaille und genoß das Schweigen. ›Oh, brauchte ich nie mehr zu sprechen!‹
›Was für ein mageres, stolzes Profil, und wie sie blaß ist und zittert! Auch sie muß sehr lieben.‹
Und Properzia sank tief zurück in das düstere Feuer ihrer eigenen Liebe.
Es verstrich eine lange Weile. Dann sah die Herzogin sich um: Properzia saß müßig, mit abwesendem Blick. Auf ihrem Schoß, zwischen ihren willenlos geöffneten Fingern lag die Arbeit.
»Das bin ich nicht«, bemerkte die Herzogin halblaut und neigte sich darüber. »Es ist elegant und kraftlos, es ist ein Mann ... wie kommt er unter Properzias Hände? Ach –«
Sie erschrak und beendete leise:
»Es ist der Mann.«
Properzia fuhr auf. Sie erkannte, was sie gemacht hatte, und starrte darauf hin, traurig, aber ohne Scham. Die Herzogin sah sich allein mit der großen Künstlerin im einsamen Walde der Seelen; Scheu, Mißtrauen und Eitelkeit waren draußen geblieben. Sie sagte:
»Wenn Sie ihn vergessen könnten!«
»Ihn vergessen! Lieber sterben!«
»Sie hängen an Ihrem Elend?«
»Und Sie nicht an dem Ihrigen?«
»Kein Mann macht mich unglücklich. Ich will glücklich sein.«
»Aber Sie sind krank, Herzogin, vor Leidenschaft!«
»Auch ich liebe. Ich liebe die schönen Geschöpfe dort.«
»Weiter nichts ...«
Die Herzogin starrte sie an, lange und mit Entsetzen.
»Properzias Geschöpfe«, sagte sie.
Properzia sah zu Boden.
»Sie haben recht. Ich bin schon so heruntergekommen, daß ich sage: weiter nichts, wenn man mir die Kunst nennt.«
Sie stand auf, sie murmelte:
»Sie sehen, ich muß mich sammeln.«
Und sie flüchtete in eine tiefe Fensternische. Die Herzogin wandte sich ab; aufs neue erfaßte sie jene heiße Verachtung, wie für eine Verwandte, die die Familienehre befleckt hatte. In die Galerie brach der goldrote Staub des Sonnenuntergangs. Die Statuen badeten darin, jung, ruchlos, unempfindlich und auf ewig unbesiegbar. Drüben, auf der Schattenseite, krümmte sich ein großer, starker Körper; die Nacht hüllte ihn grau ein in ihre Fledermausflügel. Plötzlich zog ein Laut durch den dämmerigen Raum, ein unheimlicher Laut der Tiefe: das Schluchzen einer Brust.
›Und doch ist es diese Schluchzende‹, sann die Herzogin, ›der die Freien, Schönen dort draußen ihr Leben danken.‹
Sie glitt zärtlich an Properzias Seite, sie legte ihr den Arm um die Schulter.
»Unsere Gefühle sind flüssig und untreu wie Wasser. Kehren Sie zurück, Properzia, zu den Werken aus Stein: die Steine veredeln uns.«
»Ich habe es versucht. Aber nur mein elendes Gefühl ist Stein geworden.«
Sie ging wankend und schwer bis in die Mitte der Halle. Von dem Gerüst unter dem Glasdach riß sie die leinenen Tücher; da schimmerte durch den webenden Abend ein marmornes Relief. Eine große Frau saß auf einem Bettrand und zerrte den Mantel von den Schultern eines flüchtenden Jünglings. Er sah sie über die Achsel an, fein und geringschätzig. Die Herzogin erkannte zum zweiten Male den jungen Pariser. Die Verschmähte auf dem Bettrand war Properzia Ponti, wild, der Gesittung und Selbstzucht entronnen und bearbeitet von einer Leidenschaft, die auf ihr grobzügiges Gesicht losschlug wie mit dem Hammer. Hinter sich vernahm die Herzogin das laute Atmen der anderen Properzia. Was da auf sie herniedersah, war noch einmal der gedämpft bleiche Marmorkopf, so ungezähmt wie jener und zurückverloren an die Natur und alle ihre Gewalten. Die Herzogin sagte sich:
›Ich sehe sie, wie sie ist, und das ist unwiderruflich.‹
Sie fragte leise:
»Dabei bleibt es?«
»Dabei bleibt es«, wiederholte Properzia.
»Diese Frau des Potiphar ist ungeheuerlich schön. Wie könnte ich wünschen, Sie möchten etwas anderes machen?«
»Etwas anderes! Eben noch, Herzogin, habe ich Ihr Profil machen wollen. Was aber ist daraus geworden?«
»Er ... Herr von Mortœil ... Aber mußte er's werden?«
»Wenn Sie wüßten! Ich will Ihnen etwas sagen, was ich weiß. Der rohe Stoff enthält immer schon das Bild, das glückliche oder qualvolle. Ich kann nichts daran ändern, ich muß es einfach herausholen aus dem Stein. Und in allen Steinen verbirgt sich nur noch der eine.«
Liebevoll und mit stillem Grauen forschte die Herzogin:
»Und hat das Werk Sie nicht einmal erleichtert?«
»In der ersten Stunde. Ich habe das Relief an einem einzigen Tage beendet: da war mir's, als habe ich meine Wut ausgetobt.«
»Wann war das?«
Bitter lachend erwiderte Properzia:
»Heute.«
»Und jetzt?«
Sie hob die Arme und ließ sie fallen.
»Und jetzt fühle ich wieder: ich könnte die Welt anfüllen mit ungeheuren Symbolen meiner Liebe und hätte, wenn sie voll wäre, noch nichts getan.«
Mutlos trat sie an das Fenster zurück und legte die Stirn gegen die Scheibe. Ein zerklüftetes Gebirge von Mauern und Dächern, spitz, braun, winklig, dehnte sich hoch über ihr, ungewiß durch die Nacht. Die völlige Dunkelheit kam plötzlich: drinnen erstarb das heiße Leben auf dem marmornen Relief, es tauchte sanft in den Schatten. Die Herzogin sprach wie zu sich selbst:
»Ich möchte Properzia in eine reinere Luft ziehen; sie lebt in der Schwüle. Ich möchte ein Haus bauen, auf dessen Schwelle alle Leidenschaften gleich diesem Marmor in Nichts zerfließen sollten – alle Leidenschaften, die nicht der Kunst gehören.«
Nach einer Weile fragte sie:
»Wollen Sie versprechen, zu kommen und mir zu helfen?«
Unversehens ward es hell; der hinkende Diener ging umher und entzündete die Gasflammen.
Sofort traten die beiden Frauen aus dem verschwiegenen Walde der Seelen heraus; sie sahen einander fragend an:
›Haben wir das zusammen erlebt?‹
Ihre Hände berührten sich zum Abschied, und jede von ihnen fühlte die andere erstaunt und beglückt:
»Wir sind also Freundinnen?«
Die Herzogin ging durch die Galerie hinaus.
»Ein Haus, glänzend und hoch genug für ein Leben aus dem vollen, wie das eure«, sagte sie stumm und innig zu den Statuen.
Sie wiederholte es sich am Abend bei der Rückfahrt aufs Land. Neben ihr schwieg voll Bitterkeit die Blà. Sie sagte sich:
›Violantes Augen glänzen, sie fiebert in einem ganz neuen Leben. Ich habe ihr die Pforte geöffnet und muß doch selber draußen bleiben. Ja, nun heißt es allein untergehen.‹
›Und ich bin feige!‹ rief sie sich zu, mit erbitterter Scham. ›Warum fliehe ich, schon zum zweiten Male, nach Castel Gandolfo? Weil ich mich fürchte vor Orfeo. Weil ich an seiner Seite schon den Tod stehen sehe, der ihm die Hand führt. Er haßt mich, der arme Geliebte, denn ich habe ihn zuviel geliebt; er wird mich töten. Sollte ich mich nicht in seine Hände befehlen, auch wenn sie mörderisch sind? Ja, ich will dankbar sterben.‹
Sie rollten durch das Städtchen Albano. Die Herzogin äußerte:
»Eine Bitte, Bice. Unterrichte mich gelegentlich von dem Stande unserer Kasse. Ich möchte wissen, über wieviel ich verfügen kann.«
Die Blà erwiderte leise und rasch:
»Gleich morgen hole ich die Papiere aus Rom. Nein, noch heute abend will ich dir die Hauptsache sagen. Die Hauptsache ...«, verhieß sie nochmals, mit einem Lächeln sanft und glücklich. Sie sann:
›Das eine hält mich noch zurück. Dann darf ich ihm gehören und unserm Schicksal.‹
Sie empfand ein Bedürfnis, gütig zu sein und, den Hals auf dem Block, die andern zu trösten.
»Heute nachmittag habe ich Della Pergola gesprochen«, versetzte sie. »Er war sehr herabgestimmt durch deine Standhaftigkeit. Du kannst zufrieden sein, süße Violante. Er gehört dir, grüble nie mehr darüber, quäle dich nie mehr.«
Die Herzogin lächelte.
»Mich quälen mit Della Pergola? Oh, Bice, kannst du dich noch entsinnen, daß ich unglücklich war, und sogar seinetwegen? Ich habe es vergessen. Ich denke schon all diese Zeit an ein Haus, das ich erbauen will. Ja, in Venedig will ich es errichten, denn mit seinen Statuen soll es sich spiegeln in einem trägen, dunkeln Wasser.«
Sie langten an.
›Ich habe sie verloren‹, dachte die Blà. ›Vielleicht ist dies unser letztes Beisammensein.‹
»Einen Augenblick!« flüsterte sie beim Aussteigen.
Sie wollte sagen:
›Ich bin mißgünstig gewesen und gehässig, weil du leben darfst und ich verurteilt bin. Auch feige war ich, und überdies habe ich dich bestohlen. Dennoch, Violante, glaube mir, daß ich ehrlich bin!‹
Sie stammelte und stockte.
»Schon?« murmelte sie. »Er ist da. Siehst du ihn?«
Ein Herr im weißen Flanellanzug ging mit wiegenden Hüften durch den Hintergrund des Gartens. Nach fünf oder sechs Schritten blieb er jedesmal stehen und stampfte mit dem Fuß. Sein Stöckchen sauste scharf durch die Luft, es traf links und rechts an den Beeten die Blütenbüsche; die roten Helioskelche flatterten ihm um den Kopf. Eine Flora, die halb den Weg versperrte, bekam von seiner eleganten Schulter einen Stoß, daß sie auf ihrem Sockel wackelte. Als er die Herzogin erblickte, eilte Piselli herbei, verbeugte sich geschmeidig und lächelte über seine gewölbte, knapp bekleidete Brust hinweg eitel und gnädig.
»Ich bin hier«, erklärte er immer wieder. »Herzogin, ich habe mir die Freiheit genommen. Warum mußten Hoheit mir auch meine geliebte Freundin entführen. Ich Armer bin gänzlich vereinsamt.«
Die Herzogin ließ sie allein. Piselli machte einen höhnischen Kratzfuß.
»Jaja, geliebte Freundin! Hierher aufs stille Land muß man sich also bemühen, um die Dame einzufangen. Entflattert war das Vögelchen, und man konnte kaum erfahren, wohin. Bin ich noch rechtzeitig gekommen, hat sie sich noch nicht verplappert? Nun hat aber der Ausflug ein Ende.«
Sie hatte den Kopf gesenkt. Plötzlich fühlte sie auf ihrem Arm seine gekrampfte Faust. Sie sah seine Stirnader hervortreten und seinen Blick verwildern. Sein Kehlkopf, anschwellend mit allen Halsmuskeln, schien ihr fürchterlich und bezaubernd. Er befahl zischend:
»Komm! Mein Wagen steht dort drüben. Du fährst heim, gehorchst, arbeitest und schweigst, du Racker!«
Ein Diener trat aus dem Hause; die Herzogin ließ zum Essen bitten. Sie folgten ihm.
»Das hilft dir nichts«, flüsterte er von hinten an ihrem Halse. »Wir fahren noch heute nacht. Was du verdienst, bekommst du.«
Sie flehte lautlos.
»Bis morgen früh, bitte!«
Er feixte.
Nach dem Diner saßen sie wortkarg beim Tee. Die weiche Nacht forderte auf, langsam und tief zu atmen und ebenso zu leben, ein lindes, feines, gütiges Leben. Die Herzogin träumte von Venedig und von einem Palast im Fächeln solcher Nächte. Begehrlich führte Piselli ihr seinen Körper vor, in allen Wendungen und Lagen. In seinem unbeherrschten Gesicht tobte der Haß. Die Blà wiederholte unbefangen:
»Im Ernst, Violante, wir müssen jetzt gleich gehen.«
»Aber warum?«
»Ich will dir sagen ... Orfeo ist vom Direktor der ›Tribuna‹ hergeschickt ... Zwei Redakteure sind erkrankt, mehrere auf Urlaub ... Man braucht mich in einer wichtigen Angelegenheit ...«
»Du verzeihst, Violante?« fragte sie beim Abschied, mit einer überraschenden Tiefe des Blicks.
Das Paar fuhr stumm unter den Steineichen dahin; von den Kronen troff das Mondlicht. Es tauchte als eine silberne Mädchenseele in den sanft lauschenden See. Große Sterne und große Früchte durchglühten und durchdufteten die Nacht. Piselli fühlte sich schwer gekränkt durch die Nichtachtung der Herzogin.
›Früher‹, meinte er, ›bat sie mich, ich möge mich gegen den Kamin lehnen und mich ansehen lassen. Dünke ich ihr heute nicht mehr schön genug, fein und von allen Frauen geliebt, wie ich bin? Haha, ich bin froh, daß ihre Kasse ausgeleert ist und daß diese da Angst hat. Welches von beiden Weibern ist mir eigentlich verhaßter?‹
Albano lag hinter ihnen, der Kutscher war betrunken, Piselli hatte sich überzeugt, wie er einnickte. Er fauchte, ratlos vor Wut. »Du!« schrie er plötzlich, und seine elegante Schulter prallte gegen die Blà, wie sie die Flora erschüttert hatte. Sie wendete langsam den Kopf weg; er stieß hervor:
»Du glaubst wohl, damit sei es abgetan?«
»Nein, das glaube ich nicht.«
Gehorsam blickte sie auf den Marmor seines Gesichts, unzerstörbar edel auch noch im Grauen. Er war daran, ihr die Handgelenke abzubrechen.
»Du hast es sagen wollen, Hündin! Hätte ich nicht Glück gehabt und wäre dir zuvorgekommen, so hättest du mich verraten.«
»Niemals! Niemals!« keuchte sie, und es ward ihr kalt bei dem Gedanken, daß sie es dennoch fast getan hätte.
»Die leere Kasse dir verzeihen lassen, dich lieb Kind machen, ein bißchen weinen und mich – mich ganz sachte abschütteln und verleugnen: das wolltest du. Närrin, die geglaubt hat, mich hineinlegen zu können! Habe ich dich abgefaßt?«
Die Tortur machte sie schwach, sie versuchte wieder den Kopf zu drehen. Sofort ließ er ihre Gelenke los und fuhr ihr von hinten an den Hals. Er würgte lange und mit Kraftaufbietung, völlig außer Fassung über ihre Demut und ihr Schweigen. Plötzlich überzog das Mondlicht ihr Profil: er sah es ganz blau. Er ließ los; sie fiel in die Ecke, halb bewußtlos. »Pfui, die Verräterin!« rief er noch. Er rülpste gewaltsam und spie seiner Geliebten einen Schleimfetzen mitten in die Stirn. Darauf fühlte er sich angenehm erleichtert, er zündete eine Zigarette an. Kaum vernehmbar sprach sie endlich, und rang noch mit dem Atem:
»Warum machst du kein Ende! Sei doch gnädig!«
Und da er höhnisch schwieg:
»Siehst du nicht, daß ich dich liebe?«
Er ahmte ihr versagendes Geflüster nach.
»Du hast mich ja! Hast du's eben nicht am Halse gefühlt? Sei glücklich, mein Schatz!«
»Dich haben!« sagte sie darauf deutlicher. »Ich wäre nicht einmal glücklich. Du sollst mich haben: Ich giere danach, dir zu erliegen, begreifst du das? Ich möchte mich dir rückhaltlos opfern, daß durchaus gar nichts von mir übrigbleibt. Ich sinne verzweifelt, was ich noch habe, um es dir geben zu können, um noch einmal die Wollust des Gebens zu spüren. Aber es ist schon alles dein. Meine Seele hast du verbraucht, ganz, so daß für ein zweites Leben von ihr nichts mehr da ist. Töte nun auch den Rest meines Leibes! Mein Leben war dein, nimm dir nun auch meinen Tod!«
Er hob grinsend die Achseln. Die Blà weinte mit offenen Augen in das mondweiße Feld hinaus. Aus fliegenden Wolken rannte es darüber hin, ein Schattenheer. Die Fliesen der alten Straße dröhnten wie vom Takt vieler Schritte, und an ihren Säumen reckten sich vor den schwarzen Massen der zerbrochenen Gräber die starren Frontispize mit den Masken ihrer Bewohner, unbeweglich und gefühllos. Die Blà sah keine von ihnen an, sie wagte sich nicht zu rühren. Sie fühlte den Schleimfetzen sich von ihrer Stirn lösen; sogleich erreichte er das Auge. Sie fürchtete sich vor dieser Nacht und ihrer Unerbittlichkeit und schämte sich vor ihr.
Im Oktober bezog die Herzogin wieder die Villetta auf dem Caelius. Es regnete schwül, sie atmete schwer in den Zimmerchen, wo die dumpfigen Wände und die dunkeln, leisen Möbel nach Weihrauch rochen. Die Vigne schloß wie sonst ein weinroter Vorhang: sie verstand nicht mehr die Süßigkeit des Ortes. Sie kehrte, Wind und Sonne des Morgens schon in Augen und Haaren, in ein Schlafgemach zurück, das noch voll hing von den Träumen der vorigen Nacht. Es trieb sie an, alle Fenster aufzureißen.
Pavic kam, frisch gebadet in der Luft des Kellers zu Trastevere, wo die Seinigen ihn mit Romantik umgaben, und erzählte von neuen Begeisterungen der dalmatinischen Patrioten. Eine gewaltige Entscheidung kündige sich an. Monsignor Tamburini bestätigte es. Die niedere Geistlichkeit im Heimatlande der Herzogin habe ihre Pflicht getan; das Volk sei nun fanatisiert wie noch niemals. Die mächtigen Mönchsorden, durch Versprechungen im Namen der Herzogin von Assy gewonnen, unterhielten überall die Hitze. Eine nie gesehene Revolte stand unmittelbar bevor: eine Mönchsrevolte. Die Dynastie Koburg war verloren, und Baron Rustschuk, den sie in ihrer Not zum Finanzminister gemacht hatte, stellte sich der Herzogin zur Verfügung. Tamburini zeigte ihr chiffrierte Depeschen, und San Bacco, höheren Hauptes als je seit seinem Siegeszuge nach Bulgarien, kommentierte sie mit Fechterstößen und mit Worten aus blinkendem Stahl.
Sie liebte ihn für seine Haltung voll Kraft und Spannung, für die straffe Linie seines vorgestellten rechten Fußes, für seine Arme, nervig verschränkt auf der Brust, für das stolze Beben seines roten Kinnbärtchens, das Blitzen seiner türkisblauen Augen und den Wirbel seiner schlohweißen Haare über der schmalen, hohen Stirn. Aber sie wußte ihm nichts zu erwidern. Sie schrieb an den Maler Jakobus Halm. Er möge die Kopie der Pallas des Botticelli ins Windsor-Hotel schicken, wo sie einige Zeit wohnen werde. Sie nannte ihm eine Stunde, zu der sie mit ihm plaudern wolle, über ihren bewußten Vorschlag.
Am Zweiundzwanzigsten sauste die Tramontanaluft klar, dünn und ganz durchgoldet dahin über die alte Campagna. Beim Grabmal der Caecilia Metella trafen sich die Fuchsjäger. Acht oder zehn junge Herren setzten eine Hand in die Taille, die der rote Frack schnürte, oder auf den mit weißem Leder knapp überzogenen Schenkel und ließen ihre Pferde tänzeln vor der Herzogin von Assy. Sie hielt im Schatten der mittelalterlichen Kirche, deren Trümmer mager und gespenstisch sich zackten im Angesicht des runden und festen, der Zeiten versicherten Grabes einer Heidin.
Von der Stadt her trabte jemand über das abgewetzte Pflaster der Heerstraße, ein einzelner dicker Jäger, eine Art Silen, rot und wackelig. Er langte an.
»Sie hier, Herr Doktor?« fragte die Herzogin.
Pavic wollte grüßen, vermochte aber die Zügel nicht loszulassen. Der Hut saß ihm tief im Nacken; seine Stirn war jetzt ganz kahl. Er verkündete ohne Übergang, besessen von seiner Idee:
»Gleich kommt Della Pergola. Ich habe ihn überholt.«
»Um mir das zu sagen, haben Sie sich auf ein Pferd gewagt?«
»Hoheit, was ist ein Pferd einem Manne wie mir?«
Er nahm einen Anlauf.
»Ich habe mich ehemals auf den Rücken des Volkssturmes gewagt, für Sie, Herzogin. Dann auf ein Schiff, wieder für Sie, und es kostete mich mein Kind, das ich sehr liebte. Endlich in die Verbannung und in die seelische Verödung, für Sie. Und Sie wundern sich, weil Sie mich auf einem armseligen Pferderücken sehen? Es geschieht ja für Sie ...«
Er schloß erregt, aber hoffnungslos. Sie sagte mit deutlichem Wohlwollen:
»Warten Sie einmal, Sie haben eigentlich Mut!«
Sie wunderte sich. Pavic' Figur kam wie hinter den Zeiten hervor auf sie losgeritten. Er gehörte einem Lebensabschnitt an, den sie geschlossen hatte, und erneuerte heute, an dem hellen Windmorgen ihres jungen Tages, in ihr keine bekannte Empfindung. Sie erinnerte sich, ihn verachtet zu haben. Aber jene Leidenschaft, die ihn verachtet hatte, war dahingesunken; Pavic selbst war tot mit ihr, ein Gespenst, das sich ihr noch nahen konnte, weil sie gerade im Schatten von gotischen Kirchentrümmern stand.
»Mut?« wiederholte der Tribun. »Ich muß Sie doch warnen, Herzogin, vor diesem Della Pergola ...«
»Aber das sieht ja aus wie eine Marotte, mein Lieber. Sie warnen mich, sooft Sie mich sehen. Was haben Sie?«
›Ich rase vor Eifersucht!‹ hätte er fast herausgeschrien. Dieser aufstachelnde Morgen und der nervöse, begehrliche Tanz des Pferdes brachten alles, was er seit vielen Wochen vorsichtig und mühsam umhertrug, zum Aufspritzen und Überschlagen: den ganzen Kessel voll Leidenschaft. Die Furcht vor einem verspäteten Nachfolger in der Gunst der Herzogin hatte Pavic verjüngt. Er war noch einmal toll vom Drange, zu wirken, wie zu seiner großen Zeit, als er drauf und dran war, ein Volk frei zu machen, weil man ihn, den Unterdrückten, als Studenten in Padua über die Achsel angesehen hatte.
›Della Pergola wird sie nicht haben‹, so beteuerte er sich täglich. ›Niemals!‹
Um zu verhüten, daß die Herzogin von Assy den Journalisten glücklich mache, fühlte Pavic sich zu allem entschlossen, zu Gesetzlosigkeiten und zu Übermenschlichkeiten. Er verfolgte Della Pergola, der ihm auswich. Auf jedem Gange traf der Journalist an irgendeiner Ecke die fette, verstaubte Gestalt, die ihn beschlich, geduldig und unausweichbar. Sie flüsterte ihm eine geheimnisvolle Warnung zu, wußte Dinge, die niemand wissen konnte, verweigerte Aufklärungen, verschwand und hinterließ in ihrem Opfer den Keim zu Einbildungen, voll eines unklaren Grauens. Pavic unterhielt Vertraute im Hause der Herzogin, er kannte jeden ihrer Schritte und jedes Wort, das sie mit Della Pergola wechselte. Heute drohte die Entscheidung: Pavic wußte es und trat zwischen die beiden. Er hatte Listen gehäuft, um vom Prinzen Maffa, seinem ehemaligen Klubgenossen, eine Einladung zur Fuchsjagd zu erlangen. Ein Gedanke hetzte ihn:
›Sie hat mich feige gesehen, ein einziges Mal, damals, als der Bauer gespießt ward. Seitdem war ich tot und vernichtet. Jetzt aber ... wer weiß ... stehe ich wieder auf.‹
Er sagte, bebend in stiller Entschlossenheit:
»Dieser Della Pergola ist nicht der, für den Sie ihn halten. Er wird Sie bloßstellen, Herzogin, er wird Ihre Sache erniedrigen, und schließlich wird er beide verraten, Ihre Sache und Sie.«
»Erklären Sie mir das!«
»Ich darf also deutlich werden, ich alter, treuer Diener? Hoheit, ich danke Ihnen. So wissen Sie denn, daß dieser Mensch mir längst alles erzählt hat, was Sie mit ihm abgemacht haben. Er ist ekelhaft ruhmredig; er begehrt eine Frau nur, um sie vor seinen hunderttausend Lesern mit Du anreden zu können. Wenn er jemals vertrauliche Erinnerungen besitzen sollte von einer Süßigkeit wie die meinigen ...«
Pavic erschrak heftig über das, was ihm entfahren war. Die Herzogin schien es gar nicht zu verstehen. Er schloß mit Entrüstung:
»... in den Kaffeehäusern am Korso würde er damit prahlen.«
»Also gut«, meinte sie belustigt. Sie ließ ihr Pferd die Kirchenmauer umgehen. Pavic folgte ihr.
»Er wird mich bloßstellen. Und wenn ich's geschehen ließe ... der Sache wegen ... Sie verstehen, Doktor, natürlich nur der großen Sache wegen?«
»Dann sage ich Eurer Hoheit, daß er für Ihre Sache niemals etwas tun wird. Ihre Gunst wird ihn nicht bestechen: Della Pergola ist unbestechlich.«
»Merkwürdig, das hatte ich ihm auch gesagt. Er hat es entschieden geleugnet. Ich glaube fast, mir zu Ehren macht er eine Ausnahme.«
»Glauben Sie es nicht, um des Himmels willen ...«
Ihr Pferd machte längere Schritte. Pavic schnaufte. Er lag, in der verzehrenden Spannung dieses Augenblicks, mit dem Gesicht auf dem Nacken seines Braunen; sein grauer Bart zerdrückte sich auf der Mähne, und er rollte von unten seine geröteten, geängsteten Augen der Frau nach, die ihn nicht sah und die mit Worten spielte. Pavic spielte sein Leben.
»Glauben Sie es nicht! Er kann nicht, selbst wenn er möchte. Lieber begeht er die ärgste Gemeinheit, als daß er sich bestechen läßt. Es ist krankhaft bei ihm ...«
Plötzlich blieben beide Pferde stehen und spitzten die Ohren. Pavic versetzte noch:
»Und wenn er Ihnen dennoch zu Willen wäre, so würden Sie keinen Nutzen davon haben. Ein bestochener Della Pergola hat sofort gar kein Talent mehr ...«
Er stutzte. Die Eifersucht, die ihn mutig machte, schärfte seinen Spürsinn. Er sah in Seelen hinein und erstaunte darüber.
Drüben beim Grabmal ward die Meute losgelassen. Erst war es eine dicke, wimmelnde Masse. Sogleich aber, in zwei, drei springenden Strahlen rissen sich Fetzen daraus los, und die stärksten der Hunde brachen voran, weiß mit braunen Flecken, über das kurze, harte Gras, gestreckt und bauchrutschend, mit Gekläff und hungernd nach Spiel und Mord. Der erste Jäger war Prinz Maffa, krumm über den Hals seines Fuchses. Seine rote Schulter leuchtete, die Sonne blitzte in etwas Goldenem, in seinem Horn. Er wand sich das Mundstück zu und blies. Alle Pferde griffen auf einmal aus, aufgeschreckt, zitternd, gierig. Das der Herzogin wieherte laut auf. Sie warf sich weit auf ihm zurück; ihre Arme und die Zügel spannten sich in zwei langen, straffen Strichen. Ihr Oberkörper schnellte, eine schwanke Gerte, über das Hinterteil des Tieres hoch hinaus. Es war weiß und zerschlug die Luft mit seinem goldenen Schweife.
Pavic keuchte und hopste, aber er blieb der Herzogin so nahe, daß ihr Schleier ihm um die Ohren wehte. Sein unfreiwilliges Schaukeln sah aus, als verbeugte sich ein gefeierter Volksmann nach links und rechts tief vor den Massen, die in seiner Vorstellung die Weiten der leeren Campagna füllten. Bei jedem Erdhaufen ward er in die Höhe geschleudert und plumpste hart in den Sattel zurück. Er war blaß, aber nur von der Gewalt der Erschütterungen, nicht vor Furcht. In alle möglichen Zwischenfälle war er zum voraus ergeben. Das größte Unglück, das er scheute, war nicht, vom Pferd zu fallen, sondern die Ankunft Della Pergolas zu versäumen. Und darum fiel er nicht.
»Sehen Sie?« flüsterte er durchdringend. »Hoheit, sehen Sie wohl?«
Della Pergola kam quer übers Feld herbeigesprengt, leicht und ohne Hast. Er lenkte sein Pferd neben das der Herzogin, grüßte und sagte mit ruhigem Atem und ohne eine Regung in seinem herben Gesicht:
»Blasen wir zum Angriff, Hoheit? Ziehen wir mit den aufständischen Mönchen zu Felde? Der Augenblick ist günstig.«
»Wie nie. Ich reise sogar ab.«
»Nach Dalmatien! Ich gehe mit! Ich lasse alles im Stich.«
»Ihre Pressen? Und meine Artikel?«
»Sie haben recht. Ich bin gedankenlos. Habe nur noch Begierden. Was wollen Sie? Drei Monate machtloser Brunst! In der Hitze! Auf dem toten Pflaster unseres Sommers! Ich kann nicht mehr.«
»Sie verraten sich ja.«
Sie sahen einander fest an. Dann riefen sie sich wieder, im Takt der galoppierenden Hufe, ihre kurzen Sätze zu. Hinter ihnen schnaufte Pavic.
»Sie ergeben sich auf Gnade und Ungnade. Meinen Sie, ich werde das nicht benutzen?«
»Meinetwegen. Ich bin fertig. Bin nicht gestorben. Drum will ich nun meinen Lohn. Weil ich ausgehalten habe. Morgen früh erscheint Ihr erster Artikel. Und erst morgen abend will ich glücklich sein. Ich gebe nach.«
»Ich auch. Noch weiter als Sie. Ich verzichte ganz auf Ihre Artikel. Ich habe die Lust verloren.«
»Auch zu ...?«
»Zu allem.«
Sie klatschte die Zügel auf den Pferdehals, warf sich weit zurück und stieß einen Schrei aus, vor reiner Lust, befreit und voll neuer Sehnsucht, dahinzufliegen durch lauter blaue Luft.
»Mir nach, wer mich liebhat!«
Sie schwebte gerade über einem breiten Wassergraben. Die Hufe zitterten, senkten sich und gruben sich drüben ins Erdreich. Della Pergola, gelähmt vom Schrecken über ihr Wort, starrte ihr nach. Er wollte halten. Im letzten Augenblick packte ihn die Angst vor Selbstverachtung, und er schlug mit der Reitpeitsche darauf los. Den Graben hatte er noch kaum bemerkt.
Plötzlich lag er ausgestreckt in der flachen Pfütze, mit dem Kopf auf dem schrägen Wall, und sah hoch oben durch das Blau, gläsern leuchtend wie Blau auf bemalten Scheiben, eine Schwalbe streichen.
Pavic sah nur, daß die Herzogin jenseits eines Grabens zu verschwinden drohte. Er keuchte: »Einen Augenblick!«, spornte sein Pferd und schloß die Augen. Er war sehr verwundert, als er sich drüben befand, zur Seite seiner Herrin und ohne den Journalisten.
Deila Pergola raffte sich auf, die Lippen gepreßt; er flüsterte sich heimlich zu, mehrmals nacheinander:
»Nur ruhig, um Gottes willen ruhig. Wir werden ja sehen.«
Er kletterte den Grabenrand hinauf, zog seinen roten Rock aus und versuchte ihn vom Schlamm zu säubern. Auf einmal blickte er auf.
›Das heißt eine Fuchshetze! Der Fuchs bin ich gewesen, ich ahnungsloser Knabe! Sie hat mich gejagt und zur Strecke gebracht. Sogar ihr fettiger Liebhaber durfte ihr dabei helfen. So ist es ...‹
Weit dahinten bewegte sich ihr verkleinerter Umriß und der schwankende des Tribunen. Ein leeres Pferd lief mit.
›Den Gaul werden sie einfangen, und heute abend lügt von mir und meinen Taten die ganze Stadt.
Aber noch von etwas anderm soll man sprechen, dafür werde ich sorgen!‹
Er machte sich auf den Weg. Den Kopf gesenkt und den Hut über den Augen, mit geballten Fäusten schlenkernd, ging er in rotem Frack und weißer Hose, arg besudelt und hastig durch das feierliche Land und grübelte Haß und Rache.
›Legen wir sie uns einmal klar! Ist sie kokett, hat sie mich mit Vorbedacht toll gemacht? O nein, sie denkt sehr wenig an sich. Eine Frau mit ihrem klaren Teint: ich sehe es unwiderleglich, ihre Seele ist viel zu hoch, unter den elend niedrigen Triumphbögen der Gefallsucht kann sie gar nicht hindurch.
Gott! Daß ich das noch immer glauben muß! Ich will nicht mehr! Aber es ist ihr nun einmal verflucht gleichgültig, ob man ihretwegen den Kopf verliert. Sie ist unempfindlich, so unempfindlich, daß sie dadurch wirklich böse wird. Pavic sagte damals im Café, wo er mit ihr prahlte: »Sie ist böse, diese Vornehme.« Er hatte recht, der abgedankte Opernsänger! Ah! Diese Vornehme! Es ist mein Schicksal, daß ich armer Snob eine wirkliche Vornehme getroffen habe. Ein einziges Mal, und das genügt.
Aber nun befreie ich mich von ihr! Wie, du willst nicht von deinem Olymp steigen, du böse Juno? So will ich dich herunterholen!‹
Er kehrte durch das Tor von San Giovanni in die Stadt zurück und nahm einen Wagen. Er kreuzte die Beine und pfiff durch die Zähne, seiner Macht vollkommen gewiß.
›Eine selbstherrliche Dame, die sich einbildet, über der menschlichen Gemeinschaft zu thronen, kühl, unsinnlich und unverantwortlich für die Geschicke der Niedern, die sich ihr aufopfern: was werde ich sie lehren? Erstens, daß sie ein gutmütiges, etwas gewöhnliches Geschöpf ist. Zweitens, daß die alltäglichen Partner ihrer platten Liebesabenteuer auf Wunsch die genaue Beschreibung eines gewissen Sofas geben können, mit einer gewissen Herzogskrone, in die sie in ihrer charakteristischen Lage von unten hineinsahen. Innen war die Vergoldung etwas abgeblättert.‹
Im Fahren rundete sich ihm der Artikel. Er war fertig erdacht und zugespitzt, als Della Pergola in der Via Campo Marzo ausstieg, vor den Geschäftsräumen seines Blattes. Am selben Abend erschien er.
Es war gegen zehn Uhr. Die Herzogin befand sich in ihrem Schlafzimmer im Hotel Windsor. Der Vorhang nach dem Salon war halb zurückgeschlagen. Das Gemach hatte eine hohe, vergoldete Decke und breite Fenster. Am Kronleuchter brannten alle Gasflammen. Auf den seidenen Stühlen lagen weiß eingebunden ein paar Lieblingsbücher. Die Kopie der Pallas hing an der Hauptwand.
Drunten, in der weiten, neuen und großartigen Via Nazionale, noch ganz fern, hörte sie ein Geschrei, das sie kannte: es wiederholte sich jeden Abend. Der jüngste Skandalartikel des »Intrasigente« machte seinen Weg durch die Stadt. Sie öffnete eine Scheibe und meinte zu verstehen: »Der Tod der Herzogin von Assy.«
Die Rotte näherte sich, fragwürdige Gesellen, die einen in Lumpen, volkstümliche Gecken die andern. Sie lungerten stundenlang vor der Druckerei des gefürchteten Blattes, einander bewitzelnd und bedrohend. Beim Erscheinen der frischen Zeitung gab es eine kurze, atemlose Balgerei; die Glücklichen, die die ersten Packen der feuchten Papiere errafft hatten, entrangen sich dem schwarzen Haufen und stürzten mit wüstem Gegröle den einträglichen Straßen zu, die des Nachts vom Leben fieberten. Wo sie vorbeikamen, bedeckte sich der Weg mit großen weißen Fetzen, von ungeduldigen Händen in das Licht der Laternen gehalten.
Allen voran stürmte ein Mensch mit einem Stelzfuß. Er war hochschulterig, seine spitzen Knochen durchbohrten seine Flicken. Seine Brust war hohl und seine Fäuste dürr und knotig. Sein graues Gesicht, beinahe ohne Umriß, sah verwischt aus vom Elend, mit ungewissen Schatten an Stelle der Augen. Aber den Oberkörper tobend nach vorn geworfen und mit seinem Holzbein hart aufstampfend auf das Pflaster, riß er den Mund auf, und ihm entsprangen, wie aus ihrer schwarzen Höhle, mit Rasseln und Pfeifen, dampfend vor Wut und voll eines Hasses, der sich überanstrengte, um sein Glück zu genießen, die Worte, überall gierig begrüßt.
»Hochwichtiger Artikel von Paolo Della Pergola! Der Zusammenbruch einer großen Dame! Entlarvung und moralischer Tod der Herzogin von Assy!«
›Was bedeutet das?‹ fragte sich die Herzogin.
Sie erkannte in alledem noch nichts weiter als das vom Krampf des Hasses verzerrte Gesicht des Schreiers. Die Spaziergänger umringten ihn und entrissen ihm die Blätter. Er sammelte eilig die Kupfermünzen ein, durchbrach den Kreis und hastete weiter, klappernd, kreischend und sich überstürzend. Und es war unbegreiflich, daß dieser Verkrüppelte und Todkranke alle seine Genossen immer wieder überholte. Was ihn an ihre Spitze stieß, war der Haß. Die Herzogin sah es: er wurde belebt vom Haß allein; der Haß erfüllte ihn ganz. Er konnte jeden Augenblick seinen Gliedern entströmen wie ein Gas: dann wären sie plötzlich eingeschrumpft und hingesunken.
Dieses Geschöpf, dessen sie sich nicht entsann und dem sie schwerlich bekannt war, schien ihr die gelungenste Verbildlichung jenes unerwarteten Hasses zu sein, der schon oft genug in ihrem Leben aus menschlichen Seelen vor sie hingetaumelt war. Jener Alte am Strande jenseits der Hafenbucht von Zara, der aus Bosheit zu tanzen begann, weil sie im Sturm die Ruder ergriff; die beiden riesigen Morlaken, die vor den Köpfen ihrer Pferde mit Äxten fuchtelten, damals, nach ihrer verunglückten Rede zur Menge; ein ganzes Volk, das, die von ihr geschenkten Gelage noch unverdaut im Leibe, sie ehrlich und sittlich umkläffte und ihr den Schimpfnamen der »Vornehmen« gab: – alles das zog sich zusammen zu den Zügen dieses Zeitungsausrufers. Sein Anblick deuchte sie traurig und ein wenig widerwärtig.
Sie schloß das Fenster und legte die dichten Gardinen davor. Dann schellte sie; sie wollte den »Intrasigente« lesen. Im selben Augenblick erschien ein Groom mit dem gefalteten Blatte auf dem Briefteller. Offenbar hatte man ihr Zeichen erwartet. Sie blieb unter dem Kronleuchter stehen und durchlief die Spalten; ihr Artikel prangte obenan. Sie hatte ihn noch nicht beendet, da näherten durch den Salon sich rasche, feste Schritte, die sie liebte; auf der Schwelle stand San Bacco. Er sagte:
»Herzogin, Sie haben mich gerufen. Da bin ich.«
»Sie sind mir willkommen, mein lieber Marquis«, erwiderte sie. »Aber gerufen habe ich Sie nicht.«
»Wie, Herzogin, Sie hätten mich nicht gerufen, damals, vor meiner Abreise nach Bulgarien, als Sie mir erlaubten ... trotzdem ... immer Ihnen zu gehören? Sie wußten zu jener Zeit noch nicht, wann und wozu Sie einen Ritter und braven Mann nötig haben würden. Heute wissen Sie's.«
Und er schlug auf das Zeitungsblatt, das er mitgebracht hatte.
»Sie nehmen das da zu wichtig.«
Sie berührte gleichfalls das ausgebreitete Blatt.
»Dies ist noch nicht die Gelegenheit, bei der mein Freund nicht zögern dürfte. Wäre dieser Zwischenfall früher eingetreten, vielleicht hätte er mich entsetzt. Unterdessen hat langes Warten mich müde gemacht und gleichgültig. Ich habe innerlich alles längst aufgegeben: verzeihen Sie mir, daß ich es Ihnen nicht früher gesagt habe. Ich verlasse Rom und ziehe mich von allem zurück.«
Er brauste auf.
Er faßte sich, faltete die Hände und wiederholte:
»Sie könnten! Herzogin, Sie könnten eine Sache verstoßen, die auf der Schneide steht. Ein Volk, das Sie anbetet und das in diesen selben Tagen in Ihrem Namen für die Freiheit kämpfen wird!«
Sie winkte ihm zu.
»Still, still, lieber Freund, ich weiß alles, was Sie zu sagen haben. Ich glaube nun gar nicht an den Sieg dieser sogenannten Mönchsrevolte. Aber davon abgesehen: dieses Volk wird herzlich froh sein, wenn wir es mit der Freiheit verschonen. Erinnern Sie sich der Zeit der Pächterunruhen? Wie sie mich haßten, weil ich ein paar liberale Reformen wagte, weil ich Aufklärung, Gerechtigkeit, Wohlstand einführen wollte! Ich aber liebte sie schwärmerisch, weil ich sie als tiernahe Halbgötter sah, als übriggebliebene Bildsäulen heroischer Zeiten, streng und bronzen unter großen, friedlichen Tieren, neben Haufen von Knoblauch und Oliven, bei riesigen, gebauchten Krügen aus Ton. Auf soviel Schönheit wollte ich ein Reich der Freiheit gründen. Heute verzichte ich und ziehe mit den Statuen allein meines Weges.«
Sie sprach immer leiser und dachte dabei: ›Was sage ich ihm?‹ Sie sah ihn heiter inmitten seiner Enttäuschung, leuchtend fast von der Reinheit seines Bewußtseins und ganz unangreifbar. Unwillkürlich vollführte sie mit der Schulter eine Bewegung nach der Wand; es war, als träte sie in den Schutz der Pallas. Er wollte ihr antworten; sie bat:
»Noch ein Wort, damit Sie mich verstehen. Bedenken Sie doch, wie viele Anstrengungen und welche Geldsummen waren nötig, um dem Volke ein bißchen Freiheitssehnsucht abzugewinnen. Lassen wir es nun endlich in Ruhe, es verlangt nichts Besseres. Wir beide und alle wirklichen Liebhaber der Freiheit machen uns lästig. Wir beschämen die Menschheit und ernten Feindschaft. Man gibt uns nach, um uns loszuwerden, und solche Geschehnisse, geboren aus Überdruß, Furcht und Bosheit, nennen wir dann einen Freiheitskampf.«
Sie schwieg. ›Ich habe die schlechte Rolle‹, dachte sie. ›Er kann mich demütigen im Namen des Ideals, das ich verehrt habe.‹ Und sie lächelte unsicher.
San Bacco sprach endlich, ohne Zorn, aus der von Weltklugheit verwaisten Höhe herab, in der sein Leben verlaufen war.
»Sie geben meinem Dasein unrecht ...«
»Nein! Denn es ist schön.«
»Aber Sie glauben nicht an sein Ziel.«
Sie streckte ihm die Rechte hin.
»Ich kann nicht anders.«
Er nahm ihre Hand und küßte sie.
»Und ich bleibe trotzdem der Ihrige«, sagte er.
Gleich darauf schlug er sich vor die Stirn.
»Aber wir reden!« rief er. »Wir klären einander über unsere Gesinnungen auf und stehen dabei uns gegenüber, jeder mit dem Zeitungswisch in der Hand, worin ein Wicht Sie, Herzogin, anzugreifen wagt! Sie! Sie!«
Er geriet in Bewegung, sein Bärtchen zitterte. Er fing an, durch das Zimmer zu laufen, hielt sich die Ohren zu und wiederholte:
»Sie! Sie!«
Und stehenbleibend:
»Das ist ja ganz unglaublich! Mir scheint, ich merke erst jetzt, wie unglaublich das ist!«
Sein Halskragen ward ihm zu eng, er suchte ihn mit zwei Fingern zu weiten. Die Worte blieben ihm aus; endlich entfaltete er den »Intrasigente« und trug laut den Artikel vor, polternd, stockend, sich überpurzelnd:
»Die gutmütige Frau, die für einen kleinen Umsturz in ihrem ganz uninteressanten Lande harmlose Pläne schmiedet ...«
San Bacco unterbrach sich und schleuderte Blicke umher, kühn anklägerisch und bis zu Tränen entrüstet, wie im Parlament, wenn er die Parteien der Satten vor seine Klinge forderte. Seine Kommandostimme machte sich schmetternd los.
»Jawohl, das ist echt! Von Feigheit und Neid sind sie ganz zerfressen, diese Schreiber. Einer von uns will stolz sein und stark und das Schlechte bekämpfen: was erfindet der Schreiber, um den Großstrebenden klein zu machen? Er nennt ihn gutmütig. Nicht sehr schlau, aber immerhin gutmütig. Wie das abscheulich echt ist! Hören wir den feinen Herrn zu Ende, dann wird es sich finden, an wem das Wort ist!«
Er las weiter, kam aber endgültig ins Stocken. Sie sah ihn tief erröten und seine Hände beben. Er war bei den Zeilen vom Sofa und der Herzogskrone. Die Buchstaben verzerrten sich und wurden unkenntlich, doch wagte San Bacco nicht, von ihnen aufzusehen. Die Herzogin schwieg auch; sie wandte sich weg.
›Er schämt sich‹, sagte sie sich. ›Er schämt sich für den Menschen, der das schreiben oder gar glauben konnte. Und wenn ich zurückdenke in eine Zeit, die mich nichts mehr angeht, so ... tut er unrecht, sich zu schämen.‹
»Legen Sie endlich das Blatt weg«, befahl sie.
Er schleuderte es in die Ecke. Dann half er sich aus der Verlegenheit mit einem Wutausbruch.
»Ah! Ah! Das ist der Geist! Das ist seine Ehre! Das sind die Geisteshelden, die heute die Macht haben. Mehr Macht als das erlauchteste Genie der Tat! Da haben Sie einen von den feinen Köpfen, die höhnisch lächeln, wenn ein ehrlicher Mann von Dreinschlagen spricht. Die Ehre der Schreiber und Redner, da sehen Sie, was sich alles mit ihr verträgt. Aber es gibt Lagen«, schrie er mit einer Stimme, die sich brach, »Lagen, in denen nur noch der Geist gilt, der auf der Degenspitze blitzt!«
Sie verlangte:
»Töten Sie ihn nicht! Mir liegt nichts daran.«
»Aber mir!« rief er, steif aufgereckt und bebend vor Spannung. Und er verschwand.
Eine Sekunde lang war sie unruhig.
»Sage ich's ihm? Daß er wieder einmal eine Donquichotterie begeht und daß jenes armselige Sofa kein Hirngespinst ist! Dann verursache ich ihm einen viel gehässigeren Schmerz als das Florett eines Gegners, das ihm zwischen die Rippen fährt.«
Und sie trat zurück.
Von draußen kam ein Durcheinander böser Stimmen. San Bacco zeigte sich nochmals.
»Ihr Vorzimmer ist schon voll von Reportern. Sie sehen, ob ich recht habe, wenn ich einen schleunigen Strich mache über alles das. Vorläufig setze ich diese betriebsamen Neugierigen eigenhändig zur Tür hinaus.«
»Dank«, sagte sie und nickte ihm zu.
Sie ließ alle Flammen löschen und blieb im Halbdunkel zweier Kerzen allein.
›Was will Della Pergola?‹ so sann sie. ›Wozu belädt er sich mit der Unannehmlichkeit, mein Feind zu sein? Es ist doch allemal soviel leichter, einander auszuweichen, und noch leichter, gute Freunde zu bleiben. Er hat also keine Selbstbeherrschung und bringt es zu keinem distinguierten Verzicht, sondern will mir schaden. Aber womit? Mit einem lächerlichen Vorkommnis aus dem Leben einer andern, einer ehemaligen Bekannten. Denkt er, mich damit wirklich im Innern zu treffen? Mir scheint, ich habe ihn überschätzt. Oder will er mir äußerliche Schwierigkeiten bereiten? Dazu müßte er in die Zukunft fliegen können, der arme, langsame Denker, der sich noch immer bei einem seit so und soviel Jahren leerstehenden Sofa aufhält, und müßte gewisse Statuen von ihren Sockeln in das langsame Wasser stoßen, in dem sie ihre dunkel glänzenden Glieder betrachten. Die Statuen ...!‹
Sie träumte.
›Sie werden mich nie beleidigen durch Gier und Niedrigkeit. Sie verlangen nichts, als daß ich sie liebe, um mir alles zu geben, was sie sind. Sie vergreifen sich nicht an mir. So schwer ihre bronzenen Arme sind, ich werde sie nie zu fühlen bekommen. Ich werde frei bleiben und den Zentauren fremd am Horne führen ...‹
Plötzlich meinte sie, den Türvorhang rauschen zu hören. Sie fühlte einen Eindringling in der tiefen und weiten Dämmerung. Dahinten drückte sich ein breiter, dunkler Körper die Wand entlang.
»Wer ist da?« fragte sie.
Eine verschleierte Stimme antwortete: »Ich« und räusperte sich:
»Pavic.«
»Was wollen Sie?«
Pavic trat aus dem Schatten heraus. Er ermannte sich und sagte mit Schwung:
»Es ist geschehen, Frau Herzogin.«
»Was?«
»Der Verbrecher ist gerichtet.«
»Er ist ...?«
»Tot.«
Sie fuhr zusammen. ›Tot? Und mich freut das?‹ fragte sie sich. ›Ich habe ihn nicht gehaßt, solange er lebte. Aber da er verschwunden ist, tut es mir wohl. Das ist die Wahrheit. Denn es ist wahr, daß die Augen eines Feindes, die auf meinem Leben liegen, mit der Zeit Schmutzflecke hineinsehen würden. Es ist besser, sie schließen sich. Das Übelwollen der andern erinnert uns täglich daran, daß wir nicht allein und nicht ganz frei sind. Es träufelt unablässig in unsere Unbefangenheit und vergiftet sie. Es ist besser, man räumt es fort.‹
»Also es ist geschehen? Schon? Aber erst vor einer Stunde hat San Bacco mich verlassen.«
»Es geschah schon vor zwei Stunden«, sagte Pavic dumpf. »Vor zwei ...«
Diesmal war ihr Schrecken heftig.
Der Feind, der heute abend auf sie eingedrungen war, er war gar kein Lebender gewesen? Er hatte haßerfüllt zu ihr gesprochen – und war schon gestorben? Ihr Freund war gekommen, sie hatte von dem andern geredet und von seinen Angriffen. San Bacco hatte sie rächen wollen, – und alles das galt einem Toten?
»Aber San Bacco ...«, wiederholte sie, unsicher vor Grauen.
»Nicht San Bacco«, erklärte Pavic. »Ich selbst ...«
Sie stand auf. In dieser Nacht geschah zuviel Seltsames. Sie zitterte. Plötzlich hob sie den Schirm vom Leuchter. Der Kerzenschein traf Pavic' Gesicht; es war gedunsen, fahl, mit entzündeten Lidern und voll wirrer grauer Haare.
›Diesen Menschen habe ich verachtet und vergessen‹, dachte sie, ›weil er sich nicht spießen ließ anstatt eines Bauern. Aber für mich – für mich sein Leben zu wagen, dazu war er also doch imstande? All die Zeit lang war er immer dazu imstande?‹
Sie ging rasch auf Pavic zu und streckte die Hand hin.
»Er ist gefallen, im Zweikampf mit Ihnen, Pavic?«
Pavic tastete zögernd nach ihrer Hand. Seine erzwungene Haltung geriet ins Wanken.
»Nicht im Zweikampf«, lallte er. Und nach einer angstvollen Pause, schwer atmend:
»Ermordet.«
Sie zog die Hand zurück, ehe er sie berührt hatte.
»Sie haben ihn ermordet?«
Ganz schwach kam die Antwort:
»Ermorden ... lassen.«
Sein Kopf hing vornüber. Die Herzogin brach in verächtliches Lachen aus. Er zuckte, jäh aufgestört. Er vollführte mit den Armen eine Menge kurzer, unheimlicher, hampelmannartiger Stöße. Dabei haspelte er eintönige Worte herunter.
»Sie wollten, ich sollte mich opfern, damals, an dem Tage, seit Sie mich verachten ... Als der Bauer gespießt ward. Ich sollte mich opfern. Jetzt habe ich mich geopfert. Ich gehe unter ... gehe unter, während Sie lachen. Lachten Sie nicht immer? Zu allen meinen Leiden haben Sie gelacht. Es ist recht, daß Sie noch lachen, da ich untergehe. Sind Sie doch so böse! Sind Sie doch keine Christin!«
Sie fragte ernst und sanft:
»Warum eigentlich, warum taten Sie's?«
Pavic trug in diesem Augenblick den Kopf hoch. Er hatte sich empört gegen seine Herrin, zum erstenmal, seit er ihr gehörte. Er hatte ihr seine Bitterkeit und seinen schleichenden Groll ins Gesicht gesagt. Es war die letzte Stunde, die ihn soviel wagen ließ. Die letzte Stunde ermächtigte ihn zu allem, sie überhob ihn jeder Scham.
»Warum?« sprach er. »Weil ich Sie liebte, Herzogin. Weil ich Sie noch immer lieben mußte. Weil ich in den vielen Jahren meiner Erniedrigung niemals jenen einen Augenblick vergessen habe, da Sie mein waren.«
»Daran haben Sie noch immer gedacht?« fragte sie sehr erstaunt.
»Immer«, sagte er, edel fast in der Wahrheit seiner Empfindung.
»Ich hatte verzichtet«, setzte er hinzu, »weil ich mußte. Aber niemals gab ich es mit einem Gedanken zu, daß ein anderer kommen könnte und meine Stelle einnehmen. Endlich kam dennoch dieser Della Pergola, und ich war aufgebracht, als sei ich angegriffen und in meinen Rechten verletzt. Ich haßte ihn zehrend, mit krankhafter, elender Rachsucht, als den Räuber, der mich aus den letzten Hoffnungen vertrieb, in die ich mich geflüchtet hatte. Oh, Hoffnungen, die nicht einmal einen Namen hatten, so ohnmächtig waren sie. Aber er mußte fort, dieser starke Räuber. Sein Artikel von heute kam mir wie eine Erlösung.«
Er stöhnte auf.
»Eine Erlösung ...«, wiederholte nachdenklich die Herzogin. »Eine Erlösung«, sagte Pavic nochmals. »Nun gehe ich selbst mit ihm unter. Das macht allem Leid ein Ende und ist gerecht und dürfte nicht anders sein. Denn ...«
Er murmelte.
»Ich bin ja mitschuldig an seinem Verbrechen. Was er schamlos verraten hat, das wundervolle Geheimnis von der Herzogskrone, jawohl, von der Herzogskrone auf jenem Sofa, – ich habe es ihm selbst gesagt. Ja, Frau Herzogin, ich sagte es ihm, im Café habe ich mit Ihnen geprahlt: ich beschönige nichts. Ich war krank vor Gier und Eifersucht und Angst und Bosheit; ich mußte von Ihnen reden, Dinge von mir geben, die ich nicht einmal wußte, mich mit Ihnen brüsten, den Menschen, der Sie begehrte, demütigen, Sie, Frau Herzogin, demütigen, denn Sie waren so stolz, – demütigen auch mich selbst, durch die Gemeinheit, die ich beging ...«
»Es ist genug«, sagte sie, gepeinigt durch dieses Sichentblößen einer Seele. Pavic reizte sie. Halb abgewandt fragte sie:
»Wer hat es getan?«
»Wer es ...?«
»Wer ihn ermordet hat.«
»Einer tat es von den Jünglingen meines Klubs. Jener, der reinen Herzens ist, wissen Sie, mit seelenvollen blauen Augen, und noch nie ein Weib berührt hat. Er hat sich nach Schluß der Redaktion in Della Pergolas Privatbüro geschlichen, mit dem langen Messer, womit er immer nach der Puppe gestochen hat, die auf einem Pfahl stak und den König Nikolaus vorstellte. Della Pergola hat sich rasch umgedreht, – da saß ihm das Messer schon im Herzen. Denn der Jüngling hatte große Übung, weil auch die Puppe, die den König Nikolaus vorstellte, sich immer gedreht hatte ...«
»Bringen Sie ihn mir her, daß ich ihm danke. Er hat für mich sein Leben gewagt.«
»Ich kann nicht. Man hat ihn gefangen.«
»Ah! Und Sie, Pavic, gehen umher!«
»Jaja. Ich gehe noch umher ... noch einen Augenblick«, flüsterte er, fast unverständlich.
Sie schwiegen.
Endlich sagte die Herzogin:
»Nun verlassen Sie mich.«
»Jaja.«
Er schnitt eine kranke Grimasse und drückte sich wieder die Wand entlang, ohne sie anzusehen, weiß, mit dunkelroten Flecken hier und da im Gesicht.
»Noch eins«, rief sie, als er den Vorhang aufhob.
»Warum haben Sie es nicht wenigstens selbst getan?«
»Das – konnte ich nicht. Ich will mein Leben geben, aber – selbst zustoßen, – nein, es war unmöglich. Ich ... kann ... kein Blut sehen ...«
Und er ließ den Vorhang fallen.
Er schlich durch den Salon, schwerfällig schlürfend, mit der Krawatte hinter dem Ohr. Er fühlte sich verurteilt wie damals, als sie ihn zu sich gerufen hatte, nach dem Tode des Bauern, der gespießt ward. Nur daß heute alles endgültig war und daß keine erbärmliche Hoffnung übrigblieb und nicht einmal die Furcht, – weil ja das Leben in der Welt aufhörte.
Das Vorzimmer wimmelte schon wieder von Berichterstattern. Der Kammerdiener und Prosper, der Jäger, zankten sich mit ihnen und versperrten ihnen die Tür. Pavic hielt den Schritt an:
›Soll ich es ihnen sagen?‹ dachte er. Aber er ging weiter.
›Wozu. Ich mag nicht.‹
›Überwinde dich, Sünder!‹ rief er sich gleich darauf zu. ›Habe Mitleid mit den Armen, denen eine Notiz über deine Tat einen Bissen Brot einträgt.‹
Doch fühlte er sich unfähig, alle diese Neugier gegen sich zu entfesseln und all dies Leben über sich ergehen zu lassen, so lärmend, lüstern, eifersüchtig, schadenfroh und gewalttätig. Er sah sich schon abseits im Schatten. Er entfernte sich gesenkten Hauptes und litt darunter, mit Schweigen untergehen zu müssen, er, dessen bestes Leben ein lautes Spiel gewesen war.
Auf der Straße trat er an einen Polizeiwächter heran und fragte:
»Wo befindet sich der Bezirkskommissär?«
Vier Nächte später erfuhr die Herzogin die völlige Niederwerfung des neuen dalmatinischen Aufstandes. Dieselbe von Haß zerrissene Stimme verkündete sie, die ihr die Seelenschreie des toten Della Pergola ins Fenster geschleudert hatte, gleich Knollen Unrat, mit frischem Blut verklebt. Im Munde des elenden Krüppels ward die Trauerbotschaft von einem vernichteten Volke zum Triumphgeheul. Alles Unglück, das die Welt gebar, war ein Triumph seines Hasses. Den Glauben an jede schönere Zukunft ohnmächtig und alles Leben unnütz zu wissen, berauschte die sich selbst unbekannte Seele des fanatischen Sterbenden.
Sie ließ keinen der zahlreichen Besucher vor, die sich darauf einstellten. Sie wartete auf die Blà, aber die Freundin kam nicht.
Jakobus Halm begann das Bildnis der Herzogin. In dem streng verschlossenen Salon stand er ihr gegenüber, hinter der Staffelei herausspähend mit vorgestrecktem Halse und von unten herauf, und hing Phantasien nach über das Haus der Herzogin in Venedig und über seine eigenen künftigen Werke. Er war glücklich. Oftmals, nach langem, eifrigem Schweigen entfuhr es ihm:
»Gott! Was nun plötzlich alles möglich geworden ist!«
»Was ich alles können werde!« erklärte er. »Oh, ich konnte nichts, solange ich arm war und ohne Beifall. Um mich nur überhaupt leben zu fühlen, ließ ich mich von Perikles vergewaltigen und von seinen Kühen und schwitzenden Ringern. Sie machten mich krank und unfähig, den Pinsel aufzuheben; aber ich konnte mich wenigstens sehnen, wenn ich sie ansah, sehnen nach ... ah! nach dem, was ich jetzt machen werde! Zum Teufel mit all den Muskeln auf roten Teppichen, mit all den Fleischhackerstudien! Ihre Wände, Herzogin, sollen sich mit einem silbernen Licht bedecken, darin baden die wundervollen Formen sich leicht und frei von der Härte der niederen Körper. Alle thronen sie, schweben, fühlen sich, prangen und ruhen!«
Die Herzogin warf dazwischen:
»Wenn Sie mein Porträt nicht immer wieder übermalen wollten! Ich war schon gestern fast befriedigt, es war sehr ähnlich.«
»Ähnlich?« meinte Jakobus achselzuckend. »Es kann zufällig ähnlich gewesen sein. Ähnliche Porträts macht Ihnen jeder tüchtige Malersmann. Wonach ich suche, das ist eine Erscheinung, würdig der Herzogin von Assy; das Gesicht, das ihrer Seele gleichkommt. Ich habe aus kühler Haut und aus warmem Haar das Bild einer Empfindung zu machen, tief, gütig und dankbar, und eines Hochmuts, der nur sich kennt. Die Augen sehen unbewegt einem großen Leiden zu und sind schwer und süß von Sehnsucht. Die Frau, die ich malen will, ist vielleicht gar nicht die, die mir jetzt dort gegenübersitzt; aber sie kann es im nächsten Augenblick sein. Sie war es, die damals, wie sie mir zuerst erschien, ihren Blick in den der Pallas versenkte. Ich male Sie, Herzogin, aus der Erinnerung. Sie helfen in besonders gnädigen Sekunden meinem Gedächtnisse nach. Was ich hier auf der Leinwand andeute, ist die leere Form. Ich will sie beleben, wenn ich Sie nicht mehr sehe, nach Ihrer Abreise.«
Zum Schluß fragte er:
»Werde ich Sie je so reich, liebevoll und frei wiedersehen, wie Sie vor der Pallas standen? Ah! Damals war ich genußfähig, weil ich nichts zu malen hatte, weil mich die fiebernde Angst, Sie malen zu wollen, noch nicht erfaßt hatte. Die Dinge ansehen dürfen, ohne sie malen zu müssen: welch Glück!«
Baron Chioggia, der dalmatinische Gesandte, ließ die Herzogin dringend um eine Unterredung bitten; sie empfing ihn.
Er war ein alter Bekannter; schon seit Zara verkehrten sie. In Rom behandelte der Gesandte die Herzogin von Assy wie eine feindliche Macht, verbindlich und untadelig. Wünschte er sie als Freund zu besuchen, so verließ er den Sitz der Gesandtschaft in seiner offiziellen Equipage und begab sich ins Grand Hotel, wo er Wohnung nahm. Dann bestieg er einen Mietswagen und fuhr, in einen Privatmann verwandelt, zur Herzogin. Er kehrte ebenso ins Gasthaus zurück und verließ es als Diplomat, der seinen Posten wieder einnahm.
Heute aber hielt in der Via Nazionale sein Galagefährt. Der Gesandte König Nikolaus' betrat den Salon der Herzogin mit dem Koburgischen Hausorden auf der Brust. Baron Chioggia war ein geschmeidiger Fünfziger mit graublonden Favoris und einer leichten Bauchwölbung. Er war jovial, neugierig, zweifelsüchtig, außer in Geldsachen, dabei gebildet genug, um nichts ganz feierlich zu nehmen, nicht einmal sich selbst, aber sehr besorgt um seinen Ruf als boshafter Schelm. Man hielt ihn leicht für einen Finanzmann, und er hatte nichts dagegen:
Er sagte:
»Sie machen es Ihren Freunden gar zu schwer, Hoheit, mit sich zufrieden zu sein. Man spricht in ganz Rom nur von Ihnen, und gerade in dieser reichhaltigen Zeit versperren Sie Ihre Türen. Man fragt uns: was macht die Herzogin, wie nimmt sie alles das auf? – und wir müssen uns mit lahmen Erfindungen helfen, da unsere Eitelkeit uns einzugestehen verbietet, wir haben sie gar nicht gesehen.«
Die Herzogin hob die Schultern.
»Was verlangen Sie von mir, Baron? Ich bin müde, der Sommer hat mich angegriffen. Ich suche in strenger Zurückgezogenheit ein wenig auszuruhen, bevor ich nach Venedig fahre. Ich hoffe auf die Seeluft.«
»Dabei können Sie nicht einmal wissen, daß Don Giulio Braganza in eine Nervenheilanstalt gebracht werden mußte.«
»Ich bedauere es.«
»Ich nicht. Dieser guterzogene junge Mann hatte es ertragen gelernt, fünfzigtausend Franken auf einer Karte verschwinden zu sehen. Er war nicht reich und fügte sich in Glück und Widerwärtigkeit. Was konnte es ihm machen, daß die spanische Botschafterin ihn nicht liebte? Madame Pippa Pastinal ist reif, – noch reif, möchte ich sagen, bevor sie mehr ist als reif. Gleichviel: Don Giulio konnte über sie nicht wegkommen. Pippa oder die Nervenheilanstalt, hieß es für ihn, – und jenseits dieser Alternative lag doch die weite Welt. Ich kenne zartere Eroberer, als dieser Don Giulio einer war, die dennoch weit wichtigere Enttäuschungen mit mehr Würde überstehen ...
Und mit mehr Anmut«, fügte er hinzu und küßte der Herzogin die Hand. Darauf sprach er sogleich weiter:
»Darf ich übrigens diesen Moment tiefer und freudiger Bewunderung wahrnehmen, um Eurer Hoheit den Frieden mit meinem Lande anzutragen, das auch das Ihrige ist: einen höchst ehrenvollen Frieden, wie Sie sehen werden.«
»Ich nehme ihn an, bevor ich weiß, wie er aussieht. Und wenn Sie kampflustig wären, Baron: ich bin es nicht mehr, – und was wollten Sie dabei machen?«
»Ich habe alsdann Eure Hoheit nur um Verzeihung zu bitten, daß wir nicht früher zu Ihnen gekommen sind. Aber nachdem eine Reihe der traurigsten Irrtümer uns dazu verführt hatte, in Eurer Hoheit eine Feindin zu sehen, hat eine Art Scham, jenes Schamgefühl, dessen auch Staaten und Dynastien fähig sind, uns verhindert, unser Unrecht gutzumachen. Die Zwischenträger, Spione und Fischer im trüben haben unserem Mißtrauen keine Ruhe gegönnt; sie haben uns sogar glauben zu machen versucht, hinter der jüngsten und hoffentlich letzten Erhebung einiger unzufriedener dalmatischer Untertanen verberge sich der Einfluß und das Interesse Eurer Hoheit. Mit um so größerem Vergnügen benutzen wir gerade diese Gelegenheit, um die Konfiskation des herzoglich Assyschen Vermögens aufzuheben, Eure Hoheit in den Genuß Ihrer sämtlichen Besitzungen wieder einzusetzen und Ihnen die Rückkehr nach Dalmatien freizustellen.«
Die Herzogin sagte belustigt:
»Mit einem Worte, mein lieber Baron: nach Niederwerfung der Mönchsrevolte halten Sie mich für vollkommen ungefährlich und sind entschlossen, sich um mein Tun und Lassen nicht weiter zu kümmern.«
»Welch eine unverdiente Kränkung!«
Der Gesandte sträubte sich mit spaßigen Gebärden und lächelte dennoch gelassen zustimmend. Er rief aus:
»Sie schlagen das Vergnügen, Herzogin, zu gering an, das ich daraus schöpfe, vor Ihnen auf der Hut sein zu müssen. Sie trauen mir hoffentlich den guten Geschmack zu, daß ich eine schöne Feindin besser zu schätzen weiß als eine häßliche Freundin.«
Sie machte eine zweifelhafte Miene.
»Aber das Wichtigste vergesse ich«, sagte er munter, und es folgte eine neue Anekdote aus der römischen Gesellschaft. Er verirrte sich in ein unstetes Geplauder, das die Herzogin anfangs befremdete und reizte. Allmählich verlor sich die Spannung, die die todschweren Ereignisse der vergangenen Woche ihr hinterlassen hatten. Eine Viertelstunde lang fühlte sie sich leicht, frivol und unwissend wie als Siebzehnjährige auf den Pariser Parketts, umtanzt von Bosheit und Verrat, die sie nicht berührten. Sie bedauerte es fast, als Baron Chioggia eine ernste Miene annahm. Er sagte als Freund, behutsam und mit halber Stimme:
»Herzogin, erteilen Sie mir für die Zukunft die Vollmacht, Sie vor Ihren Freunden warnen zu dürfen.«
»Es war nötig. Aber durfte ich mir soviel Freiheit nehmen? Sie haben unter anderem dem Monsignor Tamburini sehr viel Vertrauen geschenkt. Er hat es benutzt, um Ihr Geld einzustecken und von Ihren Gegnern noch mehr zu verlangen. Ja, er hat uns unmittelbar vor Ausbruch des jetzt beendeten Aufstandes die Ruhe im Lande angeboten für einen festen Preis. Wir hatten nicht nötig, ihn zu zahlen, wohlverstanden; wir waren unserer Sache ohnedies sicher.«
»Also San Bacco hatte recht: der Tamburini ist ein Wolf!« rief die Herzogin lebhaft. Sie war überrascht und nichts weiter.
»Auch Ihr großer Verehrer Pavic, dessen romantische Laufbahn nun so bühnengerecht geendet hat, führte seinerzeit ein kostspieliges Leben. Ihre gute Sache und Ihre Hoffnungen sind die Bezahler gewesen.«
›Ändert das etwas an dem Pavic, den ich kenne?‹ dachte die Herzogin. Sie fragte:
»Noch mehr?«
Der Gesandte genoß mit saftigen Lippen die Worte, die er von sich geben wollte.
»Beide aber, der Tribun und der Priester, konnten Ihrer Kasse, Herzogin, nicht so entscheidend zusetzen, wie sie gewünscht hätten. Denn das Beste geschah von Seiten eines Herrn Piselli, den man als Spieler, und leider als unglücklichen, kennt. Die Verwalterin der Kasse, die Ihnen befreundete und auch von mir sehr geschätzte Contessa Blà, hatte, wie man allgemein weiß, diesem Herrn nichts abzuschlagen.«
Die Herzogin unterlag einem plötzlichen Kältegefühl. Ihr Blick ward starr, er verließ das fein verzerrte Gesicht des Diplomaten und heftete sich irgendwo an die Wand. Es vergingen mehrere Sekunden, ehe es ihr einfiel, sich zu beherrschen; aber Baron Chioggia war in diesen Augenblicken blind. Er genoß zu eindringlich die eigene Bosheit. Er schwächte mit ihrem Gift sich selbst; seine Beobachtung trübte sich.
»Und wie kommen Sie zu diesen Kenntnissen?« fragte sie darauf.
»Man hat mich damit versehen. Hätte ich's Ihnen nur gestehen dürfen! Aber konnte ich es wagen? Hoheit, urteilen Sie selbst! Es war also eine andere, Ihnen gleichfalls nahestehende Dame, die Fürstin Cucuru, die mich häufig mit höchst reinlichen und treuen Berichten versehen hat.«
»Ach so«, sagte sie und verzog die Lippen, flüchtig angewidert.
›San Bacco hat auch das geahnt‹, meinte sie im stillen. Gleichzeitig ging ihr die Gestalt der Fürstin durch den Sinn. Sofort machte sie innerlich den ganzen Vorgang durch, der jetzt den schäbigen Salon der Pension Dominici zum Schauplatz hätte haben können und bei dem sie selbst die von einer entlegenen Sympathie berührte Richterin einer unwürdigen und grotesken Greisin vorstellte. Sie spielte sich diese Rolle, wie sie einstmals die lichtspendende und unerbittliche Bedrängerin der alten, dumpfen Leute in der Königsburg zu Zara oder wie sie in dem heimlichen Garten ihrer Kindheit das Märchen von Daphnis und Chloe gespielt hatte. Und gleich der dalmatinischen Revolution und gleich dem Echo von Pierluigis Pavillon endete alles mit Gelächter. Sie sah das rote, störrische Zauberinnengesicht der Alten bei der Enthüllung ihres zweifelhaften Geschäftes vor zorniger Verlegenheit kollern und prusten. Sie begann leise zu lachen, und der Gesandte lachte mit, ohne zu verstehen, warum. Sie erklärte es ihm.
Eine Zeitlang erheiterten sie sich auf Kosten der Familie Cucuru. Die Herzogin dachte dabei:
›Also alle Verbindungen, die ich für die dalmatinische Freiheit unterhielt, fallen plötzlich auseinander mit Geklingel wie zerbrochene Geldrollen. Die volle Höhe des Interesses und der Liebe, die meiner Sache dargebracht wurden, läßt sich in Zahlen ausdrücken. Wie einfach! Ich gab Geld, und dafür verschaffte man mir das Gefühl, in lauter Kämpfen, Unternehmungen und Gefahren zu stehen. In Wahrheit aber stand ich mit meinem Traum ganz allein – wie auf einem vereinzelten Felsen, an dem das Meer hinaufbrandet‹, so ergänzte sie träumerisch und meinte im Grunde ihres Geistes ihren heimischen Scoglio. Ein weißes Kind lehnte sich an seine Zacken.
Und dieser Gedanke verjüngte und reinigte sie. Sie hatte also in Wahrheit gar nicht teilgehabt an den Handlungen, die ihren Namen trugen, an dem ganzen, auf Erfolg gerichteten, ziemlich niedrigen Spiel mit menschlichen Trieben. Sie dankte dem Geschick, das sie daran verhindert hatte. Als sie endlich den Gesandten verabschiedete, bemerkte er ihre Genugtuung. Er stutzte. Draußen überlegte er, ein wenig beunruhigt.
›Was ist das? Ich kam doch zu ihr als der Überlegene? Ich habe ihr die ganze Zeit lang prickelnde Enthüllungen beigebracht; und jetzt, um es mir nur zu gestehen, fühle ich mich beinahe gedemütigt. Welche Macht hat diese seltsame Frau noch immer? Womit droht sie mir?‹
Und er suchte lange vergeblich, die Macht zu berechnen, die der geschlagenen Herzogin von Assy noch zur Verfügung stand.
In der Nacht konnte die Herzogin nicht schlafen. Sie hörte dem Sciroccosturme zu. Er fegte die verwehten Worte des Gesandten noch einmal zusammen, und unter so vielen nichtigen stieß sie immer wieder auf das eine unerträglich schwere, und ihre Gedanken hoben sich daran wund. Sie bedeckte das Gesicht mit den Händen.
›Welche Schande! Wie konnte sie das ertragen! Sie, zu der ich redete und mit der ich träumte wie mit mir selbst. Wie konnte sie so schlecht und unstolz vor sich selber leben!‹
Sie begriff es nicht; aber durch die lange Stille tönten ihr allmählich, leise und flehend, alle die sanften Klagen der Unglücklichen, ihre unerwarteten Bitten um Verzeihung, ihre Todessehnsucht. Die Herzogin erkannte jetzt auf einmal den zweiten Sinn hinter alledem, aber er erweichte sie nicht. Das gehetzte, fragwürdige, ängstereiche Dasein der Freundin gab ihr nichts ein als Widerwillen:
›Mit der Unreinlichkeit eines schlechten Gewissens in der Brust hat sie mich umarmt!‹
Gegen sechs Uhr schrak sie auf aus beängstigendem Halbschlummer. Auf der Straße stampfte ein Stock das Pflaster, und eine Stimme kreischte:
»Die Liebesgeschichten einer Dichterin. Die Contessa Blà von ihrem Geliebten übel ermordet.«
Als die Herzogin das Fenster aufgerissen hatte, befand sich der Ausrufer darunter. Er schrie ihr, ohne sie zu sehen, sein frohlockendes Unheil gerade ins Gesicht. Sie blickte in die schwarze Öffnung seines Mundes hinab. Der Geifer Della Pergolas und seine Sterbelaute, das Getöse der fallenden Dalmatiner und ihr Wimmern: alles war von diesem Munde nachgebildet worden, diese Zähne hatten sich wütend hineinverbissen, und dieser verdorbene Atem hatte es in die Luft hinausgekeucht. Aber der Tod der Blà entstieg ihm unheimlicher, lähmender als alles andere: – denn die Straße war leer. Der schreiende Krüppel ganz allein durchlief sie. Man wußte nicht, wen er verfolgte. Ringsumher war Schlaf; seine Stimme war das einzige Geräusch, – und wem galt sie? Inmitten des weiten Dämmergraus dünkte es die Herzogin, als seien die Ereignisse, die er verkündete, nicht dahinten in Welt und Wirklichkeit entstanden: nein, in dem zerfetzten, faulenden Leibe dieses unmenschlichen Wesens keimte und erwuchs alles Gräßliche. In dem Augenblick, da er es hinausschleuderte, ward es Wahrheit.
Sie klingelte. Eine halbe Stunde später saß sie schon im Wagen. Es war kalt, ein Sprühregen klimperte eifrig auf den Scheiben. Sie dachte: ›Ich habe wieder mit einer Toten gesprochen, die ganze Nacht.‹
Sie erreichte das Haus, das sie so oft erstiegen hatte, helle Treppen hinauf; über die letzte zog schon der Duft der Blumen, die das große Atelier erfüllten. Zerblätterte Bücher lagen neben Statuetten. Das weite Fenster strotzte von Blau, indes drunten auf dem Spanischen Platz das Leben fütterte. Ihr fiel ein:
›Wie sieht es jetzt dort oben aus? Was liegt dort jetzt?‹ Man sagte ihr, die Contessa Blà sei umgezogen, schon vor Monaten.
Sie fuhr vor Porta Piahin aus und hielt an einem der Neubauten, die Ruinen glichen. In einem Verschlage, wo es nach Mörtel roch, dürftig eingehüllt und umstanden von Kindern und Weibern aus dem Volke, lag die Blà. Ihre Stirn bedeckte eine Eisblase. Auf dem schlechten Bett ruhten ihre feinen Hände; die Haut schimmerte durch die zierlichen Spitzen des Hemdes. Ihr verschleierter Blick begrüßte die Herzogin; sie bewegte die Lippen.
Prosper, der Jäger, nötigte die Neugierigen hinaus. Die Tür ging knarrend immer wieder auf; er blieb draußen stehen und hielt sie zu.
Die Herzogin stand am Bett und schaute stumm nieder auf die Sterbende. Die Rechte der Blà regte sich leise, aber die Herzogin nahm sie nicht. Sie hörte nachdenklich dem qualvollen Geflüster der andern zu.
»Du kommst, Violante, und du weißt es nun, ich sehe es dir an. Und du willst mir nun nicht mehr glauben.«
»Was soll ich dir noch glauben?« fragte die Herzogin, versunken in die Betrachtung dieser Züge, die ihr soviel Treue bedeutet hatten. Ihre Klarheit und Süßigkeit waren also nichts gewesen als Heuchelei? Und sie blieben doch noch angesichts des Todes zurück. ›Wozu eine solche Heuchelei?‹ meinte die Herzogin. ›Welche furchtbare Anstrengung! Und sie endet sofort mit dem Nichts. Verlohnt es sich in diesem flüchtigen Leben wirklich, zu lügen?‹
Die Blà flüsterte beharrlich. Ihre Lippen formten jedes Wort viele Male vergeblich, bevor es vernehmlich ward. Endlich hieß es:
»Du sollst mir glauben. Ich habe dich geliebt, ich liebe dich und bin ehrlich.«
»Ich habe ja auch geglaubt, daß du mit mir träumtest. Es hatte ganz den Anschein. Aber inzwischen verrietest du mich, Bice!«
Sie rang die Finger ineinander.
»Wie konntest du das aushalten!«
Die Blà arbeitete fieberhaft an ihren Worten.
»Ich habe dich nicht betrogen. So glaube mir doch! Es waren nur meine Handlungen, die dich betrügen mußten. Aber meine Empfindung für dich ist ganz rein geblieben. Haben wir uns nicht versprochen, daß unter uns nur die Empfindung gilt?«
Und da die Herzogin schwieg:
»Um des Himmels willen, glaube mir!«
Sie warf sich in den Kissen höher hinauf. Die Blase rutschte ihr von der Stirn; aus der zurückgleitenden Hülle schälte sich ihr magerer, feiner Körper, zuckend in der Hast des Atmens. Auf ihrer linken Seite verschoben sieh die blutigen Tücher. Die Herzogin berührte ihre Stirn und strich ihr über die Hände.
»Beruhige dich, Bice, ich will versuchen, dir zu glauben!«
»Welch Glück, daß ich nicht gleich gestorben bin! Du würdest mich nun für eine Verräterin halten, unwiderruflich. Wie schrecklich! Niemand wäre da, der dir sagen könnte, daß ich ehrlich war. Höre doch nur, solange es Zeit ist. Wenn ich mitsamt deinem Gelde verbrannt oder in einem Abgrund verschwunden wäre, – würdest du mich Lügnerin nennen? Siehst du, er, der das Geld nahm, war stärker als Abgrund und Feuer. Ich vermochte nichts weiter, als. für dich zu empfinden und durch ihn zu sterben. Ach! wäre ich mutiger gestorben! Du weißt, wie ich es wünschte. Aber als es soweit war, ward ich schwach. Er hatte gemerkt, daß ich doch noch Geld hatte. Ich hatte es zusammengebracht, seit ich hier wohne, und es vor ihm versteckt, dort in der Ecke, wo die Fliesen aufgerissen sind. Wie er mich endlich tötete, verriet ich es ihm, in der letzten Angst. Das ist die Untreue, die ich an meinem Schicksal beging. Sonst war ich ehrlich, nicht wie die andern es meinen, wenn sie ehrlich sagen, – aber wie du es meinst, Violante!«
Sie verlor das Bewußtsein.
Die Herzogin dachte:
›Ich bin noch rechtzeitig gekommen. Wenn ich nicht mehr gehört hätte, was sie mir nun gesagt hat, – sie hat recht, es wäre schrecklich gewesen. Wir haben uns ja alles geglaubt, warum nicht auch dies? Wenn es doch die Wahrheit ihrer Seele ist. Im Namen unserer schönen Stunden ist es wahr!‹
»Es ist wahr, hörst du!«
Die Blà lag mit geschlossenen Augen; die Herzogin legte den Kopf auf ihre Brust, sie spürte keinen Atem. Eine jähe Angst packte sie.
»Bice, noch einmal! Wach noch einmal auf, ich habe dir noch ein Wort zu sagen. Ich glaube dir!«
Die Blà öffnete die Augen, sie lächelte.
»Ich danke dir«, sagte sie deutlich. »Deine Sache wird siegen, Violante. Nie habe ich daran gezweifelt.«
Und sofort begann der Todeskampf, mit Röcheln, mit wildem Hasten der Hände, mit angstvollen Fluchtversuchen des ganzen Körpers und mit Resten unverständlicher Worte, die dumpf heraufhallten, wie aus einem schwarzen, zuschnappenden Loch. Die Herzogin sah eine darin versinken, die ihre Freundin war. Die kopflose Eile des letzten Augenblicks packte sie, sie rief Worte hinein in das tiefe Dunkel:
»Ja, wir beide siegen, Bice, du glaubst es doch? Und ich liebe dich wie immer ...«
Sie hielt inne, ganz verwirrt. Das Loch hatte sich geschlossen, es kam kein Echo mehr.
Sie betrachtete darauf das vom ewigen Vergessen beruhigte Gesicht. Es war nicht sehr bleich, und es war wieder wie ehemals in sanftes Glück getaucht, ein wenig wehmütig und geneigt zu linden Schmerzen. Sie erkannte es wieder. Dieser Kopf war der Herd spöttischer und zärtlicher Poesien, die nach seinem Verschwinden zurückblieben in der Welt. Diese elegante Gestalt hatte ihren Weg beschritten, einsam, sicher, fein, um Leiden wissend und zurückhaltend. Wie war das möglich, was aus einem lieblichen Geschöpf des Geistes geworden war: die unterworfene Sache und das wehrlose Opfer eines wohlgebildeten Tieres, des dunklen Nachkommen dunkler Bauern, dunkler, dem Weine ergebener, fluchender und in Geiz und Trunkenheit ans Heft fahrender Bauern. Woher drohte solch ein Geschick, und wem drohte es nicht, wenn es eine Blà hatte treffen können?
Die Herzogin hatte einen Anfall von Schwäche zu überwinden. Ihr schauderte.
Nach dem Tode der Freundin fühlte sie sich in Rom vollends heimatlos und ohne Zweck. Sie beschleunigte ihre Abreise. In der letzten Minute, als die Türen nicht mehr bewacht wurden, drang Monsignor Tamburini bei ihr ein. Sie stand zum Ausgehen bereit vor dem Spiegel.
»Was wünschen Sie?« fragte sie.
»Frau Herzogin, es war mir in der letzten Zeit versagt, bis zu Ihnen zu gelangen. Es ist ja begreiflich, daß Sie nach allem, was Sie hier nach Gottes Willen betroffen hat, Rom verlassen möchten. Gewiß aber werden Sie vorher die nötigen Verfügungen treffen wollen.«
»Was für Verfügungen?«
»Unsere Niederlage hat die Partei Assy empfindlich geschwächt.«
»Es gibt keine Partei Assy mehr.«
»Wieso?«
In seiner Verblüffung fragte er ohne Umschweife:
»Hoheit wollen kein Geld mehr geben?«
Sie machte es noch kürzer:
»Nein.«
Sie betrat den Salon. Tamburini eilte ihr nach.
»Das haben Sie nicht bedacht, Frau Herzogin. Wenn Sie Ihre Sache aufgeben, – es ist schade, geht mich aber nichts an ... Ihre Verpflichtungen dagegen bleiben bestehen. Oder wollen Sie leugnen, daß Sie den armen Leuten verpflichtet sind, die den Aufstand gewagt haben?«
»Ich bin mir keiner Verpflichtungen bewußt, habe übrigens nichts zu verschenken.«
»Jetzt, wo Ihr Vermögen freigegeben ist!«
»Ich will Ihnen etwas sagen: Sie haben genug bekommen. Ich brauche jetzt Millionen, um einen Palast zu bauen, Statuen zu kaufen und viele, viele Bilder malen zu lassen.«
Tamburini polterte und wimmerte abwechselnd.
»Gewiß, Sie haben das nicht bedacht. Die dalmatinischen Klöster haben Ihnen zuliebe gegen die Regierung gewühlt, jetzt droht ihnen die Aufhebung. Tausende von Bauern sind verarmt oder umgekommen – für Sie, Frau Herzogin!«
»Nicht für mich. Jeder hat glücklicher werden wollen, – und wenn sie für diesen erklärlichen Trieb obendrein von mir Trinkgelder bekommen haben, so schweigen wir doch davon. Von den Mönchen rede ich ohnehin nicht, sie haben sich allzusehr bereichert. Tun Sie bitte nicht so, Monsignore, als ob wir den Ausgang dieses Freiheitskampfes nicht sehr wohl kennten. Ein Herr, namens Piselli, hat zuviel bekommen, ein anderer, namens Tamburini, nach seiner Meinung noch immer zuwenig: – das ist alles, und geht das mich etwas an?«
»Ob Sie das etwas angeht?« rief Tamburini, drohend aus Verlegenheit »Alle die Opfer, die Sie gefordert haben, die Tausende, die für Sie geblutet haben, die Tausende, denen Knechtschaft bevorsteht, und ihre Weiber und Kinder, die mit ihnen verhungern, – Sie lassen sie alle umkommen?«
»Sie sind schon umgekommen, oder wenn nicht, so ist es dennoch, als sei es schon geschehen. Die Bilder aber, die auf mich warten, sind unersetzliche Wesen. Ich darf sie nicht im Schatten des Ungeschaffenen vergessen und vergehen lassen. Das Leben von einigen tausend Menschen ohne Sinn und Schicksal ist uns beiden – seien wir doch ehrlich! – völlig gleichgültig.«
»Nein! Apage!«
Der Priester schrie ehern. Er stemmte die Linke auf einen Tisch und streckte die Rechte beschwörend gegen die Lästernde. Seine aufgereckte Gestalt, schwarz, breit, eckig, und sein galliges, starkknochiges und herrschsüchtiges Gesicht starrten von sittlichem Bewußtsein.
Die Herzogin betrachtete ihn.
»Ich hatte Sie fast für einen Heuchler gehalten, Monsignore. Ich beglückwünsche Sie zu Ihrer Ehrlichkeit.«
*