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Minerva

I

Properzia Ponti kam nach Venedig. Die Herzogin von Assy gab ihr ein Fest. Es war im Mai 1882.

Die Gondel der Bildhauerin hatte angelegt: man gab sich die Nachricht weiter durch das ganze Haus. Es war schon voll von Gästen, und alle drängten nach dem Eingang. Die Herzogin gelangte mit Mühe bis zur Treppe. Vor ihr her ging Jakobus Halm mit einem seiner Freunde, Herrn Gottfried von Siebelind, und öffnete ihr den Weg. San Bacco folgte mit dem Conte Dolan, einem venezianischen Nobile. Dieser sagte:

»Ich habe Venedig nie verlassen. Wenn ich sage nie, so meine ich, meine Abwesenheiten waren nicht der Rede wert. Aber weder zur Zeit der Deutschen noch später habe ich solch ein Fest gesehen. Ich glaube, nur der große Paolo hat es gesehen, und auch der nur, wenn er allein war mit seiner Leinwand.«

Die Herzogin wandte sich um.

»Ich glaube sogar, Conte, auch wir sind allein mit unserer Leinwand. Feste in Venedig! Im letzten Jahre der österreichischen Tyrannei gab man hier dreihundert Karten ab. Nach meiner jetzigen Übersiedlung habe ich keine fünfzig Besuche gemacht. Aber ich würde meine Lieferanten einladen und die Hotels von ihren Gästen entleeren, um meine Säle damit zu füllen!«

»Aha!« rief Dolan. »Jeder Mann nur ein Palettenklecks für unsere Leinwand.«

Ein zartes Rosa huschte über seine altjüngferliche Haut. Er war klein, kahlköpfig und bartlos, und sein Gesicht war schmächtig, fast dürftig. Mit schwachem Kinn und einer Nase, lang und beweglich, wiegte es sich auf einem weichlichen Halse; er tauchte kümmerlich, unschön und nackt aus den zu weiten Kleidern. Ein Kenner und Genießer von Formen und Farben, wie Dolan einer war, mußte bitterlich unzufrieden sein mit alledem. Aber sein schmaler Mund lag süßlich nach oben gezogen und von selbstgefälligen Fältchen umstanden, und die Augen blickten schwarz unter fallenden Lidern hervor und bis hinter die Stirnen, menschenfeindlich und dabei glücklich.

Herr von Siebelind zog ein Bein nach, und auch seine Stimme schleppte.

»Gar zu üppig!« seufzte er. »Ich leide darunter.«

Jakobus betrachtete ihn. Seine rote, braun punktierte Stirn schwitzte unter dem weißblonden Haar. Die Augen fuhren rötlichbraun und blank umher nach der schweren goldenen Blätterdecke: sie rauschte unter den Lichtgarben der Kerzen, – nach den Köpfen wilder Tiere inmitten hängender Kränze: sie funkelten und drohten, – nach den Wänden voll großer, kühler oder begehrlicher Leiber: sie herrschten über jeden, der sie ansah.

»Sie haben wieder einen schwachen Augenblick«, sagte der Maler. »Trotzdem wird man Ihnen eines Tages in diesem Hause eine Gedenktafel setzen, mein lieber Siebelind. Es wäre nicht ganz so köstlich, wenn Sie nicht ganz so findig wären.«

Und er streifte mit der Hand eine nackte, schreitende Figur; sie erhob sich vor der violetten Stickerei eines Pfauengefieders.

»Bloß diese Fama?« sagte Siebelind. »Zeigen Sie mir gefälligst auch die nackte Judith hier gleich gegenüber: eine lebendige Gotteslästerung. Zeigen Sie mir den nackten Knaben, der Ball fängt, den nackten Gaukler, der auf den Händen steht, das nackte Weib auf dem Rücken dieses unflätigen Zentauren  ... Das alles und noch mehr habe ich aufgestöbert in den staubigsten Winkeln, am Fuße von Brückenpfeilern, in sechsten Stockwerken und unter der Erde. Kolossale Findigkeit, sehr recht, mein Lieber. Ich bin findig wie ein Staatsanwalt bei mir zu Hause oder wie ein Konsistorialrat. Keine Nacktheit verbirgt sich vor mir! Mit gekniffenen Lippen gehe ich auf sie los. Sie, bester Jakobus, der Sie die Nacktheiten lieben, entdecken nicht die Hälfte von denen, die sich mir in den Weg stellen: denn ich hasse sie.«

Herr von Siebelind schnarrte, reizbar und männlich. Er ermöglichte seine Bekenntnisse durch eine Färbung von weltmännischer Ironie. Jakobus lachte ihn an.

»Sie sind gottvoll – aber sehr brauchbar.«

Die Gaffer und Schwätzer stießen sie hin und her. Sie gelangten endlich auf Zickzackwegen des Gedränges die ersten Stufen hinab, zu dem Absatz, wo die Treppe sich teilte. In zwei majestätischen Steinflüssen, eingedämmt in breite Rampen, flach und ruhig und bekleidet mit dem Prunk der Teppiche, sahen sie sie hinunterziehen. An dem weiten Altan, der die hohe Halle beherrschte, lehnten sie, die Herzogin in der Mitte, zwischen spiegelnden Säulen aus Malachit, die mächtig wuchteten auf den Marmorrücken großer Löwen.

Herauf und hinunter bewegte sich die Menge, und mit ihr, die Geländer entlang, stiegen in die Tiefe der Halle hinein die Statuen aus Bronze. Durch die Mitte des ungeheuren Vestibüls hindurch führte sie ihr Tanz und bis an das Tor, wo Properzia stand. Sie stand im roten Mantel, und ihre Geschöpfe reckten nach ihr die Arme.

Sie dankte ihnen keinen ihrer Grüße. Ihr Blick strich, langsam und vereinsamt, über das Gewimmel von Menschen. Es umflüsterte sie neugierig und floh sie vor Achtung. Die Herzogin sah es von oben; sie sagte sich, daß Properzia mit der Angst eines verwaisten Lebens kämpfe. »Mortœil hat sich verlobt, und sie kommt, um ihr Unglück zu genießen.«

Sie winkte der Künstlerin, die es nicht bemerkte, und ging ihr entgegen. Die anderen blieben zurück. Der Conte Dolan hob sich auf die Fußspitzen und klatschte in die Hände. Er rief über die Brüstung, und seine Stimme war überraschend tief und voll.

»Frau Properzia, setzen Sie sich dort drüben an die Seite der weißsamtenen Dame, die angesichts des Meeres thront unter einem goldenen Baldachin. Die gefesselten Mohren werden auch Ihnen huldigen, Frau Properzia.«

Die Fremde erhob ihren traurigen Blick zu den glühenden Fernen, voll andächtiger Krönungen, kniender Feiern im Duft von Frühlingslandschaften, wo auf weißen Terrassen, unter geschwungenen Brokatzelten eine goldblonde Königin zärtlich über die Welt erhöht ward von harten, dunkeln Kriegern und zwecklos thronte, weil sie schön war. Jenseits der zufälligen Menschenmasse, und mit ihr vermischt, erwärmte eine zweite Menge die Halle: ein gemaltes Volk prachtvoller und edler Genießender, in Säulengängen, an den statuenumsäumten Zinnen von Palästen, auf den Söllern luftiger Glockentürme, im vollen Blau gebadet und überflutet von Strömen des Lichts. Properzia sah, daß die Feste sich endlos fortsetzten in eine freie Welt der Freude hinein. Die Stimmen der Lust, die das Haus durchschwärmten, die glücklichen Gebärden, die es schmückten, sie gehörten den Gemalten. Mit ihren hellen Gewändern, ihren zuversichtlichen Mienen und ihren starken Handlungen berauschten sie die Gäste. Alle Gesichter glänzten vom Widerschein ihrer Lebensfülle. Properzia bestaunte sie mit stumpfem Neid. ›Ich war niemals wie ihr‹, dachte sie. ›Aber was ist jetzt aus mir geworden!‹

Dolan rief wieder aus der Höhe:

»Frau Properzia, nehmen Sie doch die Hand jenes mageren Pagen und lassen Sie sich zu dem Helden führen; er schaut von seinem Sockel auf Sie, er kennt Sie, Frau Properzia!«

Sansone von Assy setzte den Fuß auf die kunstreich gegossene Kanone, für die er die Stadt Bergamo dem König von Frankreich verkauft hatte. Sein Standbild ragte am Gestade, und um ihn zu bewundern, schwammen die Götter des Meeres auf Delphinen herbei. Starkfleischige Genien umflatterten ihn schmeichlerisch, Nymphen küßten sein Postament, und mit vollen Backen blies der Ruhm in die Tuba. Alles auf Erden und im Himmel wurde in Atem gehalten von diesem Heros. Nur die Pagen, ganz eingewickelt in die wollüstigen Gewänder der Frauen, die sich anschmiegten an den erzenen Mann, achteten seiner nicht. Diese Pagen waren schön wie der Tag und süß geängstet von den Lockungen, an die sie sich verloren. Properzia sah nur die Pagen in ihrer glücklichen Heimlichkeit. Ein brünstiges Bedauern erhob sich in ihr und machte sie schwach.

In diesem Augenblick stand die Herzogin vor ihr. Die Frauen umarmten und küßten sich. Sie schritten die Treppe hinan und durch die Säle. Herr von Siebelind wendete sich noch einmal zurück nach der Halle, nach den Frauen, die geschmückt, und den Männern, die heiter waren. Er sagte langsam:

»Jawohl, viel zu üppig. Ich wollte, die Kanone, auf der der Held sich spreizt, ginge los, oder von den schönen Damen käme unerwarteterweise eine nieder.«

»Aber Sie sind ...«, rief Jakobus. »Ja, wozu denn?«

»Nur damit man des Unglücks nicht ganz vergißt und des Leidens.«

»Sind Sie ernst?«

»Nur so ernst, wie man unter Freunden ist, die sich gern verblüffen«, schnarrte Siebelind, ganz Kavalier.

Vor ihnen her ging die Herzogin mit Properzia. Sie wurde von Dolan und San Bacco geleitet und ließ sich Platz machen von dem Herrn von Mortœil; er schritt voraus und führte die junge Clelia Dolan. Das Brautpaar flüsterte:

»Sie ist gekommen. Sie hat Sie nicht entbehren können, Maurice. Sie müssen sehr stolz sein.«

»Zweifellos. Sie ist unbequem, aber ehrenvoll. Und Sie, Clelia, stört das nicht?«

»Warum? Auch mich macht es stolz. Die große Properzia Ponti liebt meinen Verlobten – denken Sie nur.«

»Und eifersüchtig –«

»Eifersüchtig: keiner von uns, mein Lieber, hat das Recht, es zu sein. Es steht nicht im Vertrage. Sie wissen, warum wir ihn schließen. Papa will Sie zum Schwiegersohn, weil Sie einen guten Namen tragen, reich sind und besonders weil Sie ihm die Faustina mitbringen, seine liebe Faustina. Sie heiraten eine Venezianerin, denn Sie sind mit Ihrem Vaterlande, wie es jetzt aussieht, nicht einverstanden. Sie möchten aus Widerspruchsgeist sich selbst immer vornehmer vorkommen. Vor der Demokratie flüchten Sie in den stillsten und ablehnendsten Adelswinkel, den Sie finden konnten, in einen Palast am großen Kanal. Sie haben den meinigen gewählt, und ich habe nichts dagegen ... Sie wollen doch hiervon nichts leugnen?«

»Sie sind zu klug, Clelia.«

Sie blieben stehen. Es war in einem weiten, wimmelnden Saal, wo sich Gruppen bildeten zum Tanz. Unsichtbare Spieler setzten ein mit hellen Weisen. Aber von der Galerie, die droben die Wände umzog, kam ein Rauschen winkender Fächer. Die schönsten Frauen in langen Reihen beugten sich weit hinüber, klatschten in die Hände und riefen: »Es lebe Properzia!«

In der Mitte des Raumes erhob sich jener bronzene Jüngling, der den Kopf in den Nacken preßte und die Arme in die Höhe stieß. Sie spannten sich mit der Brust, den Lenden, den Beinen und den stürmisch auf den Zehenspitzen vom Boden sich abschnellenden Füßen zu einer einzigen bebenden Linie, die ein unsäglicher Drang war zum Licht. Properzia wußte es gar nicht, daß sie neben ihrem freiesten Werke stand. Man sah sie in seinem Glanze und begeisterte sich. Sie neigte zum Dank den Kopf, lässig und ohne Freude. Die Herzogin lächelte glücklich.

»Ist das schön?« rief sie. »Dieser Saal ist golden. Hier blühen die goldenen Arabesken aus dem vollen, in den goldenen Puttenfriesen drängen sich die gewaltsamen Kleinen, goldene Halbmonde scheinen hernieder, und die heldischen Spiele, Jagden und Taten der Großen umkreisen uns im Sturm der gewölbten Glieder. Die ungezähmte Truppe der Nymphen entstürzt dem Dickicht, sie möchte aus dem Schweigen des Bildes heraustoben; in mächtig verzerrte Münder ist ihr Geschrei gebannt. Die Kühnheit, auf ihren Löwen gestützt, greift nach dem Füllhorn des Überflusses. Der siegreiche Gladiator prahlt und frohlockt. Der Tragöde, die Maske in der Hand, schäumt von der Kraft des Göttlichen, das aus ihm redet. Auf den Balkonen starren die goldenen Eroberer, Helden, Befreier, und goldene Wälder schießen um sie her in die Höhe, in das keusche Mondlicht hinein, das Diana heißt. Denn dies ist der Saal der Diana.«

Properzia sagte plötzlich:

»Die Diana dort oben, Herzogin, sind Sie.«

Mortœil, Siebelind und Clelia Dolan fingen an zu lachen.

»Die Diana ist ja blond.«

»Jakobus, Sie wissen, wer die Diana ist«, versetzte Properzia.

»Ich habe nur die Diana machen wollen«, sagte Jakobus und errötete. »Vielleicht habe ich eine Diana gemacht, die in den Körper der Herzogin von Assy hineingestiegen ist.«

»Vielleicht doch«, sagten Dolan und San Bacco. Sie sahen sich zweifelnd um.

Die Herzogin erklärte:

»Vielleicht war ich es. Jetzt bin ich es gewiß nicht.«

Und sie ging weiter. Properzia war in den Anblick eines alten, müden Mannes versunken; ein in Nacktheit strotzendes Weib drückte ihm den Kranz aufs Haupt.

»Wie spät!« sagte sie vor sich hin. »Er war vielleicht voll vergeblicher Leidenschaft. Und sie kommt jetzt, wo er sie nicht einmal mehr begehren kann.«

Jakobus entgegnete ihr:

»Er ist ein großer Meister und empfängt seinen Lohn.«

Aber sie schüttelte den Kopf. Ihr mächtiges Auge, streng, gewölbt und schwer beweglich, brütete auf dem schlanken Rücken des jungen Mortœil. Er neigte die Stirn zu Clelias blondem Haar. Es häufte sich in großen Knoten über ihrem zerbrechlichen Nacken. Sie wehte dahin, weiß, leicht, unhörbar und duftig wie Blütenstaub. Properzia trug schwer und mühsam. Herr von Siebelind sagte zu seinem Begleiter:

»Sie hat alle höhere Würde über den Zaun geworfen; nun fliegt der gemeine Anstand hinterher. Ihr Geliebter verlobt sich, sie reist dem Brautpaare nach, und in der Menge, die der berühmten Frau zujubelt, sieht sie nur das kleine Mädchen, das ihr den Mann stiehlt.«

»Es ist ein großer und grausiger Anblick«, sagte Jakobus.

»Es ist kläglich und unglaublich schamlos. Aber es ist recht wohltuend, weil es wieder einmal die Nichtigkeit des sogenannten großen Menschentums vorführt.«

»Wenn Ihnen das wohltut ... Mortœil selber scheint ganz einverstanden damit. Ich habe gesehen, wie er ihr hinter dem Rücken der Kleinen Augen zuwarf.«

»So ein geliebter Mann!«

Siebelind feixte vor Haß.

»Meinen Sie, ahnungsloser Kunstjünger, daß er Lust hat, seine feine Stellung aufzugeben, die Stellung des kalten Herrn, der eine von Europas berühmten Frauen mit ihren Anträgen abweist?«

»Sie glauben, er verschmäht sie?«

»Aus Ehrgeiz, mein Lieber. Denn von einem, der Properzia nicht haben will, spricht man länger als von einem, der sie gehabt hat. Und dabei – muß ich es Ihnen sagen? – hätte er eigentlich Lust nach ihr.«

»Sie sind mir unheimlich, Siebelind. Sie haben in Liebesdingen das zweite Gesicht.«

»Ich ... ach ... ich ...«

Siebelind schwitzte, seine braunen Augen wanderten, voll heller Pünktchen, ratlos umher, und seine Stimme klang nach geheimem Händeringen. Plötzlich nahm er sich zusammen und schnarrte:

»Massenhafte Erfahrungen, Verehrtester. Als ich noch jung und schön war, selbstredend.«

Und er lachte albern.

Die Wände des Saales, wo sie jetzt standen, bedeckte milchiger Marmor, von rosigem Hauch durchzogen und unterbrochen durch flache Pilaster mit gläsernen Mosaiken in Silber und Blau. In seiner Mitte rundete sich ein kleiner Brunnen aus blauem Stein. Eine geigende Muse spiegelte sich im Wasser der Schale, und ihren silbernen Rand umtanzten zarte Amorinen. Der Saal war fast leer von Menschen. Die Herzogin sagte zu Properzia:

»Diesen Saal liebe ich, er ist silbern. Die Götter planen über uns an der Decke; ihre Füße stützen sich auf die marmornen Kapitäle. Die Göttinnen, in silbernen Helmen und mit großen, hellen Brüsten, liegen auf durchsichtigen Wolkenkissen mitten im tief leuchtenden Himmel. Sie sind schimmernd blond und weiß, gütig, mit schmalen Knien und juwelenreich. Die Götter, schwarzlockig, schlank und die Augen voll schöner Wünsche, bleiben immer Jünglinge; aber ihre Seelen werden immer reicher. Die Jugend der Göttinnen ist ewig im Aufblühen. Götter und Göttinnen sind weich, neugierig und wechselnd. Ihr Mund lächelt allem zu, was duftet, klingt und prangt. Die Räucherpfannen rauchen sinnenvoll. Eine silberne Luft gießt hier der Friede aus. In den Falten der blaßblauen und silbernen Fahnen zwischen den Säulen träumen stille Siege. Sie sind die Siege der Minerva. Denn dies ist ihr Saal.«

Properzia sagte:

»Die Minerva dort oben, Herzogin, sind Sie.«

Die übrigen sahen hin; keiner widersprach. Jakobus erklärte:

»Die Minerva, Herzogin, ist jene Frau, die ich malen wollte, damals, als ich im Hotel zu Rom Ihr Porträt machen sollte. Sie glichen ihr damals nur in kostbaren Augenblicken, und auch heute haben Sie sie noch nicht eingeholt. Aber Properzia sieht es schon jetzt, daß die Minerva Ihr künftiges Bildnis ist.«

»Auch ich sehe es«, bestätigte Dolan und legte den Kopf auf die Schulter. »Herzogin, Sie werden die Göttin einholen.«

»Ich hoffe, sie wartet auf mich«, sagte die Herzogin.

Als sie den Rücken gewendet hatte, schnitt Siebelind eine gequälte Grimasse und murmelte:

»Die Göttin da oben ist allerdings von geradezu ruchloser Schönheit, das empfindet überhaupt niemand so stark als ich. Aber Gott sei Dank haben Menschen niemals so silberblasse Schultern, und nie zerstäubt darauf das Haar in solchen rotgoldenen Flocken. Durch diese Hemden aus Spinneweb und durch diese vor Weichheit zergehenden Seiden gleiten keine menschlichen Finger. Menschliche Sinnlichkeit ist unmöglich so beschwichtigt, glücklich und ohne Kitzel. Es wäre auch geradezu empörend.«

Er brach ab. Clelia Dolan sah ihn mißtrauisch an und entfernte sich von ihm. San Bacco trat einen Schritt näher und fragte kampflustig und von oben herab:

»Sagen Sie mal, mein Lieber, warum äußern Sie eigentlich solche Dinge?«

Siebelind fuhr zusammen; er machte ein männliches und spaßhaftes Gesicht.

»Ich? Ja, man soll doch nur was sagen ...«

 

Die Gesellschaft wurde getrennt. San Bacco und Dolan verschwanden in einem Kreise von Bekannten. Clelia und Mortœil gingen weiter, dem dritten Saale zu. Properzia machte einen Schritt hinter ihnen her, aber die Herzogin erfaßte ihren Arm.

Auf der Schwelle begegneten die Verlobten einer großen blonden Frau, die sie begrüßte. Dann kam sie herein und gesellte sich zu der Herzogin. Sie war üppig und gelassen, ihr tief ausgeschnittenes Kleid prunkte mit gestickten Kränzen. Das gesunde Fleischrot ihres Gesichts durchbrach, den Puder. Es lösten sich von ihrer Erscheinung die seltensten Düfte, ein Klingeln und Blitzen von Brillanten und eine ganze Wolke gleichmütiger Herausforderungen. Die legte sich um die Männer und benahm ihnen den Atem.

»Lady Olympia! Welche Überraschung!« rief die Herzogin.

»Nicht wahr, süße Herzogin, ich hin lieb? Ich komme von Smyrna herbei, weil Sie ein Fest geben.«

»Aber ob Sie es meinen Festen zuliebe länger als vier Wochen in Venedig aushalten?«

»Wer weiß. Ein Freund erwartet mich in Stockholm. Süße Herzogin, ich bin glücklich bei Ihnen. Ihre Räume befördern die Stimmung; hier fühlt man sich leben. Dieser Saal, Herzogin, steht Ihnen am besten, Sie haben ihn sich klug zur Residenz erwählt. Ah! nicht jeder verträgt den Wohlklang, der hier in der Luft liegt; er beeinträchtigt die aufgeregten Reize. Es ist hier leer, wie Sie sehen. Ich meinerseits bleibe, weil ich Sie liebe, meine Schöne.«

»Verweilen Sie unbesorgt, Lady Olympia. Ihnen schadet weder die Wüste noch das Eismeer. Warum sollten Sie nicht auch im Licht meiner Minerva verführerisch bleiben.«

»Oh, ich liebe Ihre Minerva, und dem Künstler, der sie gemacht hat, möchte ich die Hand schütteln.«

Die Herzogin sagte zu Jakobus:

»Lady Olympia Ragg will Sie kennenlernen.«

Er trat heran.

»Lady Olympia, hier ist Jakobus Halm.«

Die große Frau faßte den Maler bei der Hand; es sah aus, als ergriffe sie von ihm Besitz.

»Ich beglückwünsche Sie. Sie müssen eine Menge Schönes zu verschenken haben. Ihre Farben machen solche Lust auf Genüsse. Man wird begehrlich – auch nach dem, der soviel verheißt.«

»Na also«, murmelte Herr von Siebelind, der unbeachtet beiseite stand. »Deutlicher kann sie gar nicht mehr werden.«

Er blinzelte von unten. Ekel und Neid zerrten seine Miene hin und her. Plötzlich machte er kehrt und entfernte sich. Sein steifer Fuß schleifte nach, und um in dem weiten hallenden Saal die Zuschauer darüber zu täuschen, setzte er auch den anderen auf den Boden, als sei er lahm. In der Ferne kamen ihm drei junge Damen entgegen; er musterte sie gierig. Wie sie sich näherten, sah er gleichgültig weg. Sie lachten, und er biß die Zähne zusammen.

»Der soviel verheißt?« wiederholte die Herzogin. »Aber, Lady Olympia, er verheißt ja nicht: er gibt. Wände und Decken hat er erfüllt mit einem Leben ohne Ermatten. Was verlangen Sie noch?«

Lady Olympia erklärte, zuversichtlich lächelnd:

»Oh, für mich sind die schönen Sachen nur Versprechungen.«

»Und was versprechen sie Ihnen, Mylady?« fragte Jakobus mit spöttischer Betonung und im geheimen so beunruhigt, daß er zitterte. Sie betrachtete ihn.

»Wir werden sehen. Ich empfinde die Kunst sehr stark, mein Freund. Ich bin sogar eine Ästhetin, beruhigen Sie sich. Ich trage schwere Ringe ...«

Sie zog einen Handschuh ab und hielt ihm ihre Finger hin. Er roch das parfümierte Wasser, mit dem sie gewaschen waren.

»... und einen Haufen Breloques am Fächer«, ergänzte sie. »Ich liebe phantastisch geblümte Seidenkleider und fühle mich imstande, mit Lilienstengeln in den Händen den Omnibusdampfer auf dem Großen Kanal zu betreten. An Bildern finde ich viel Geschmack, und sie beleben sich mir, – sobald ein Mann mich in Stimmung versetzt. Das ist ganz unerläßlich, mein Freund. Ich verstehe keine Kunst ohne Liebe.«

Jakobus schlug die Augen nieder und bereute es. Properzia Ponti nahm ihm die Antwort ab.

»Ich aber«, äußerte sie langsam, laut und dennoch abgeschlossen in tiefes Sinnen, »ich habe immer Kunst geschaffen, glaube ich, weil ich von der Liebe nichts erhoffte – aus Nichtachtung, ja, aus Feindseligkeit.«

Die Herzogin versetzte:

»Und ich liebe die Bilder, weil sie mich beglücken. Ich bin mit den Bildern allein. Ich kenne nur sie, sie nur mich.«

»Weil Sie Pallas sind.«

Lady Olympia lächelte überlegen.

»Übrigens werden Sie sich bekehren. Sie, Frau Properzia, haben sich schon bekehrt. Nebenan prangt das Relief der Frau Potiphar, die ihrem Kleinen den Mantel abzieht ...«

Die Herzogin dachte:

›Und einige Schritte weiter steht ein Weib, das der Potiphar sehr ähnlich sieht und das in ihre große, liebestolle Brust einen Dolch senkt.‹

»Sie waren sehr jungfräulich, Frau Properzia«, so schloß Lady Olympia. »Jetzt aber schaffen Sie Kunst, weil Sie lieben.«

»Weil ich unglücklich bin«, sagte Properzia.

Die glückliche Frau nahm Properzias Arm.

»Kommen Sie zu sich. Verzeihen Sie mir, ich spreche Ihnen von Ihren Geheimnissen. Ist es meine Schuld? Noch nicht zwölf Stunden bin ich in Venedig und kenne schon Ihre Geschichte, Frau Properzia.«

»Da meine Leidenschaft wie aus einem Kessel, der zu lange geheizt ist, überall am Wege zischend hintropft, so darf mir jeder sagen, er habe mit dem Kleide darüber hingestreift.«

Die drei Frauen saßen auf den silbergrauen Lederkissen der Marmorbank, die sich an den Brunnen lehnte. Zu ihren Häupten geigte lautlos die Muse, in stillem Jubel kreisten die Amorinen. Der fallende Strahl plätscherte, auffordernd zu lauschen und zu empfinden. Jakobus stand vor den Frauen, die Hände auf dem Rücken, und sah zur Decke mit überlegter Teilnahmslosigkeit.

»Warum sind Sie unglücklich?« fragte Lady Olympia, liebevoll über Properzias Schulter gebeugt. »Weil Sie einen Mann lieben? Nein, meine Arme, sondern weil Sie nur den einen lieben. Wären Sie nicht auch unglücklich, wenn Ihr Meißel immer nur an einem, Stück Stein arbeiten müßte? Wieviel flüchtiger als Stein sind die Männer und wieviel zerbrechlicher! Wir sollten, schon aus Menschenfreundlichkeit, einen Mann nie länger behalten, als wir ein Bild betrachten. Die Männer sind hübsche Insekten mit bunt bestaubten Flügeln und sonst noch ein paar erfreulichen Eigenschaften. Sie dürfen an den Blumen, ich meine an uns, nur nippen, weil sie nicht viel vertragen, und auf alle Fälle weiß man nie, ob sie den Tag überdauern.«

Die Herzogin lehnte sich zurück und atmete tief.

»Ich meinerseits lebe gern unter Starken. Es befriedigt mich, zu wissen: sie werden noch dastehen, wenn ich verschwunden bin. Darum halte ich mich zu den Kunstwerken.«

»Die Kunstwerke«, erwiderte Lady Olympia, »haben höchstens den bunten Staub auf den Flügeln, aber es fehlen ihnen die anderen erfreulichen Eigenschaften, an denen ich hänge.«

Jakobus hatte begonnen, sich vor den Frauen hin und her zu bewegen. Dabei sah er über die große Blonde, sooft er an ihr vorbeikam, angestrengt hinweg; aber ihre Worte, die er zu verachten trachtete, durchstürmten ihn begehrlich und ängsteten ihn. Plötzlich blieb er stehen, starrte Lady Olympia an und sagte:

»Mylady, Sie haben offenbar eine Schwäche für Schwindsüchtige.«

Damit war seine Kraft erschöpft, und er ward rot. Sie erklärte achselzuckend und ohne Hohn:

»Ich spreche einfach nach den Erfahrungen, die ich immer aufs neue mache, von Tripolis bis Archangel. Es mag an mir liegen, aber noch kein Mann hat sich mir gewachsen gezeigt. Dabei vermeide ich es nach Möglichkeit, einem ernstlich zu schaden, – eben weil ich eine Menschenfreundin bin. Aus diesem Grunde halte ich mich, wie Sie wissen, an keinem Orte länger als vier Wochen auf. Frau Properzia, merken Sie es sich: so lebt man glücklich.«

Properzia erhob ihren langsamen, dunkeln Blick, ohne zu begreifen. Aber Jakobus half sich. Er brach in ein Gelächter aus wie ein Gassenjunge.

»Wir würden uns nicht verstehen, Mylady!« rief er aus. »Ich liebe den langen Dienst und die nachhaltigen Belohnungen!«

Er ermutigte sich an dem Anblick der Herzogin.

»Riesenwerke schaffen auf das Geheiß einer einzigen Frau. Ein ganzes Leben lang ihr nachfolgen an jedes Wasser und zu jedem Stück Glas und jedes ihrer Spiegelbilder auffangen ...«

Er brach ab, denn er merkte, daß er zu ernst war. Dieser Blonden, die nur aus Fleisch war, etwas Gefühltes zu erwidern, das war eine Entweihung.

»Ich habe Mortœil versprochen, die Quadrille ihm und Clelia gegenüber zu tanzen«, sagte er.

Lady Olympia lächelte gütig.

»Mortœil ist ja gar nicht beim Tanz.«

Er beachtete sie nicht mehr.

»Es ist hier schwül geworden«, bemerkte er noch, verneigte sich tief und ging.

Lady Olympia erklärte gleichmütig:

»Wundervoll kühl ist es.«

Sie reckte sich, streckte einen Arm über die marmorne Lehne und hielt die Hand unter die überfließende Schale. Diese Hand trug keine Juwelen, sie schimmerte machtbewußt und nackt. Die regnenden Tropfen schmückten sie mit feuchtem Geglitzer.

 

Die Ballmusik taumelte bunt vor die Füße der drei Frauen. Einige Paare kamen vorbei, mit glänzenden Augen; sie suchten in den Klängen nach Lust. Als der Saal wieder verlassen lag, fragte Lady Olympia und gähnte dabei:

»Dieser Jakobus errötet merkwürdig leicht. Und doch ist er sichtlich einer von den Männern, die mit uns gar keine Umstände machen.«

Die Herzogin meinte:

»Oh, sein Zynismus ist nur obenauf. Er hat ihn handhaben gelernt. Im Grunde, glaube ich, ist er ein Weicher, – wenn er auch scheinbar das Leben eines Unbedenklichen geführt hat.«

»Schon? Er ist sehr jung.«

»Weil er mager ist wie ein Knabe und ebenso weiche Haare hat und weil sein bewegliches Gesicht alle Erlebnisse mitspielt und keins behält? Trotzdem muß er ungefähr fünfunddreißig sein und hat manches hinter sich.«

»Welches Ursprungs ist er?«

»Ich weiß nicht. Er ist in Europa überall zu Hause, wo es eine Künstlerboheme gibt. Als ich ihn mir in Rom aus einem fünften Stockwerk herunterholte, hatte er schon im Piano nobile gewohnt. Er ist lange auf und ab gestiegen, mit Frauen und durch Frauen, glaube ich. Als Zwanzigjähriger hat er das Glück gehabt, der Sbrigati zu gefallen.«

»Der Lona Sbrigati?«

»Sie war noch eine unentdeckte kleine Schauspielerin. Jakobus verdiente nichts und lebte von ihr. In einem schwierigen Augenblick, oder als er sie nicht mehr brauchte, entließ er sie brutal. Erst seitdem soll ihre Stimme das tragische Timbre gewonnen haben.«

Properzia Ponti senkte den Kopf und legte die Hand vor die Augen.

»Dieser Zug nimmt Sie weiter nicht ein gegen Ihren Freund?« fragte Lady Olympia. »Süße Herzogin, ich bewundere Sie.«

Die Herzogin sah überrascht auf.

»Warum denn? Da es seine Werke sind, die leben wollen, – wie sollte er sich bei den Leiden der anderen aufhalten. Übrigens haben ihn seine galanten Abenteuer nichts von seiner seelischen Unschuld gekostet.«

»Meine große Seelenkennerin!«

»O nein! Ich frage niemals, wie es in fremden Seelen aussieht; ich fürchte zu sehr die unsauberen Antworten. Viel lieber begnüge ich mich mit Verkleidung, Oberfläche, Spiel, und lasse allen Seelen ihre Schönheit gelten, die eine geschickte Hülle angelegt haben. Die Schönheit aber, der wir ohne Enttäuschung bis auf den Grund der Seele gehen können, sie gehört nur den Kunstwerken und den seltenen Menschen, die vollkommen sind wie sie.«

»Und Jakobus?«

»Wenn er nicht selbst eine tief unschuldige Seele hätte, wie hätte er das dort malen können!«

Und sie sah im Saal umher, mit Blicken voll unangreifbaren Vertrauens. Lady Olympia erkundigte sich:

»Und woher wissen Sie seine alten Geschichten?«

»Er hat sie mir erzählt.«

»Er hat ... Und das macht Sie nicht nachdenklich?«

Die Herzogin lächelte.

»Auch dabei ist er rot geworden.«

»Süße Herzogin, Sie sind zum Erschrecken harmlos.«

»Frau Properzia«, sagte die Herzogin sanft und mit Schmerz. »Lassen Sie sich nicht wieder fallen.«

Sie hob ihr den Kopf empor. Lady Olympia vermutete:

»Sie werden doch auch den für unschuldig erklären, Herzogin, der das da angerichtet hat?«

»Nein, Frau Properzia, Sie müssen es ihm anrechnen und ihn weniger lieben!« sagte die Herzogin. »Wenn er böse ist, so verteidigt er damit keine Werke. Im Gegenteil, er zerstört die Ihrigen, Properzia. Sie sollten ihn verachten als einen sinnlosen Übeltäter.«

»Ich möchte ihn hassen«, sagte Properzia, »weil er so fein ist und so künstlich ... Aber darum liebe ich ihn ja«, murmelte sie mutlos. Sie raffte sich auf:

»Ich hasse nur das leichte, schmeichlerische Geschöpf, das ihn heiraten will ... nicht, weil sie ihn mir raubt – er ist mir ohnedies verloren –, aber ich fühle, sie wird ihn betrügen.«

»Merkwürdig!« rief Lady Olympia. »Ich fühle ganz dasselbe! In jedem Falle aber betrügt ihn der Vater noch vor der Tochter. Dieser kleine glatte Alte hat noch jeden hineingelegt, den ihm das Schicksal überantwortet hatte. Er wird dem eigenen Schwiegersohne den Beweis seiner Meisterschaft nicht schuldig bleiben. Was mich anbetrifft, ich habe in meinem Londoner Hause einen Hermes stehen, der echt sein sollte, nach dem Urteile von Kennern, die ihn im Palazzo Dolan untersucht haben, ehe ich ihn kaufte. Seltsamerweise versicherte mir später einer dieser Antiquare, mein Hermes sei eine recht tüchtige Kopie; der echte befinde sich noch immer am Großen Kanal.«

Die Herzogin berichtete:

»Ich habe keine Büste gekauft, obwohl sie mir angeboten wurde. Aber fast wäre der ganze Palast mein eigen geworden.«

»Sie irren sich«, erklärte Lady Olympia. »Eher wäre er vor Ihren Augen in Rauch aufgegangen. Nie hätte der alte Hexenmeister Ihnen erlaubt, ihn zu beziehen.«

»Nach allem, was ich seitdem erfahren habe, muß ich es fast glauben. Ich denke gern an meinen ersten Besuch. Ein weißhaariger Kammerdiener, dem ich unbekannt war, führte mich umher, geheimnisvoll, leise und ein bißchen betreten. Er zog von den großen Bildern die Vorhänge weg, mit Beschämung fast, als ob er mir gestattete, seine Herrschaft durchs Schlüsselloch zu belauschen. Er sprach von den Statuen, als ob sie es hörten, mit schwachem Erröten. Das hölzerne Konterfei des Dogen aus dem Hause Dolan und die riesenhafte Laterne seiner Galeere, die zwei oder drei Dutzend Porträts des Kardinals der Familie, die Glaskästen mit den Hüten, Kappen, Mänteln, Soutanen, roten Strümpfen des Kirchenfürsten und seine eingerahmten Manuskripte entzückten den greisen Diener und betrübten ihn. ›Was für große Erinnerungen!‹ rief er schwach. ›Und davon muß ein so berühmtes Haus leben! Es hat nichts weiter!‹«

»Er hat alles das so oft wiederholt«, bemerkte Lady Olympia, »daß er wohl schon längst selber daran glaubt.«

Die Herzogin erwiderte:

»Ich habe den alten Mann später noch öfter aufgesucht und ihn fast geliebt – eben deshalb, weil ich mir einbildete, er spiele aus dem Stegreif und mir zu Ehren. Leider weiß ich jetzt, er gibt seine Rolle aller Welt zum besten. Von der steinernen Flucht der Säle, durch die er mich geleitete, zweigte eine Reihe kleiner Gemächer ab. Ganz an ihrem Ende stand eine schöne weibliche Büste, eine Römerin. Ein junges Mädchen, hell gekleidet, umhalste sie. Sie schmiegte sich an den Sockel und schlug an seinem Rande einen Pergamentband auf. Es war als Abschluß der langen und kahlen Perspektive ein überraschendes und süßes Bild.«

»Clelia stellt immerfort Bilder. Ich glaube, sie tut es unbewußt.«

»Ich sehe sie gern. Damals ging ich sehr erfreut der sanften Erscheinung nach. Hinter mir raunte, wie ich näher kam, der Diener: ›Die arme junge Herrin, sie ernährt den Vater. Manchmal, wenn eine reiche Dame hier ein Stück kaufen möchte, gibt unser Fräulein Clelia es her, obwohl der Vater sie töten würde, wenn er es wüßte. Doch wie wäre hier sonst zu leben? Ja, auch diese Büste gibt unser Fräulein her, sobald jemand sie nach ihrem vollen Werte zu schätzen weiß.‹ Das junge Mädchen flüsterte, ohne sich umzuwenden: ›Meine liebe Faustina? O nein.‹«

Die Herzogin brach ab.

»Frau Properzia, ich bitte Sie, was haben Sie?«

Aus Properzias weitgeöffneten Augen quollen zwei große Tropfen. Sie traten langsam und zitternd, wie vor Angst, aus ihrer dunkeln Pforte. Die Weinende bat:

»Quälen Sie mich nicht so sehr. Diese Faustina hat mir gehört. Sie ist unter meinen Augen ausgegraben worden; ich liebte sie sehr und dachte, mich nie von ihr zu trennen. Dann habe ich sie Herrn von Mortœil geschenkt, weil er sie einmal um sich selbst drehte und dazu meinte, sie sei gut gemacht.«

»Gut gemacht!« rief die Herzogin. »Ein antiker Kopf soll gut gemacht sein? Ja, wer hat denn die Hand gesehen, die ihn geformt hat? Ist sie nicht lange mystisch geworden? Das Leben der Statuen hängt zuletzt nicht mehr von uns Menschen ab. Sie haben ihre Geschlechter und Ahnen gleich uns, und jede von ihnen ist einziger und freier und ewiger als wir.«

»Ich weiß nicht«, sagte Properzia. »Aber das war sein Urteil. Ich schenkte ihm die Faustina und bat ihn, sie so zu lieben, wie er mich nicht lieben könne. Aber als er sich verlobte, gab er sie dem Grafen Dolan.«

Die Herzogin legte ihr den Arm um den Nacken, sie sprach ihr dicht in die feuchten Augen hinein.

»Trösten Sie sich, meine liebe Properzia. In Ihrer Geschichte sind nicht Sie die Verschmähte. Wenn Faustina dem Herrn von Mortœil anvertraut hätte, wer sie ist, – er würde sie mit sich umhergetragen haben bis auf sein letztes Kissen. Aber er durfte nichts empfinden bei ihrem Anblick. Sie hat ihn nicht würdig befunden. Sie ist an ihm vorübergegangen, er vermochte sie nicht festzuhalten, der arme Blinde. Bemitleiden Sie ihn!«

»Bemitleiden Sie die ganze Gesellschaft!« verlangte Lady Olympia, rot vor Entrüstung.

»Dieses Mädchen! Keine junge Engländerin wäre solcher Unehrlichkeit fähig. Sie tut, als betrüge sie den Vater. Er sei alt und schwachsichtig, hat Ihnen der weißhaarige Schuft von Diener gesagt; er bemerke nicht, daß nachgemachte Gegenstände in seinen Sälen die echten ersetzt hätten. Die Contessina bitte nur um vier Wochen Frist, um die Kopien anfertigen zu lassen.«

»Das waren die Worte, die ich hinter mir brummen hörte.«

»Und nach vier Wochen hätte man Ihnen das schon längst vorhandene falsche Exemplar ausgeliefert, und das echte hätten Sie bezahlt. Der Conte betreibt das Geschäft schon lange, und vermöge des Witzes mit dem Kinde, das den Vater liebevoll hintergeht, erzielt er die höchsten Preise. Er ist ein Trödler, der mit Knochen und Haaren seiner Ahnen handelt.«

»Aber er tut es mit Leidenschaft«, behauptete die Herzogin. »Das fühle ich deutlich, sooft ich mit ihm zu tun habe. Ah! man mag mir viel Komödie vorspielen, aber die Empfindung für Kunstwerke erheuchelt niemand vor meinen Augen! Die Gegenstände der Kunst und der Erinnerung, die Dolan verschachert, er liebt sie gleichwohl, er liebt sie trüben, verbissenen, grillenhaften Herzens, wie er sein Kind liebt. Hat er es nicht dem künftigen Gatten seiner Tochter zur Bedingung gemacht, er müsse mit Clelia den Palast am Großen Kanal bewohnen und dürfe nie ohne des Vaters Erlaubnis die Tochter auf Reisen führen? Nun also, auf seine schönen Sachen ist er geradeso eifersüchtig. Zwar befällt ihn oft die Sucht, mit ihren Reizen eine begehrliche Flamme anzuzünden in den Augen der anderen. Sie sollen darum feilschen, von ihnen träumen und sie zu stehlen trachten. Aber es ist ihm einfach versagt, sich wirklich von ihnen zu trennen. Sie lassen ihn nicht los. Er muß sie fälschen. Ich fühle das.«

Lady Olympia stellte entschlossen fest:

»Er ist ein Betrüger.«

 

Aber die beiden Frauen gewahrten plötzlich, daß sie allein waren. Properzia trat gerade auf die Schwelle des dritten Saales.

Seine Öffnung war weit, und im Banne der nackten, verschlungenen und trunkenen Körper, deren Reigen ihn einfaßte, sah man die Menschen, die diesen Raum besuchten, allesamt werben, Gewährung lächeln und, versunken in den Genuß heimlicher Schauer, zitternd schweigen oder aufgeregt lachen. Mortœil stand plaudernd vor seiner Braut; sie legte den Kopf, schmachtend und lieblich, an einen Wandspiegel, behangen mit gemalten Girlanden. Die schillernden Vögel, die das Glas durchflogen, kreisten um den Widerschein von Clelias heller, lockerer Haarmasse.

Mortœil traf einer von Properzias Blicken. Er stutzte, zuckte die Achseln und sah weg. Aber gleich darauf ging er ihr nach, mit einer raschen Entschuldigung. Wie seine Braut verdutzt den Kopf aus dem Nacken hob, stand schon Jakobus Halm bereit, der umhergeirrt war. Er führte das junge Mädchen zu einem üppigen Ruhesitz, auf ein verwickeltes Prunkmöbel aus Gold und Purpur. Es war zu breit zum Sitzen, man lag darauf. Über ihnen an der Mauer genoß eine starke Bacchantin die Wut ihrer entfesselten Glieder.

Properzia stellte sich mit Mortœil vor den marmorn umrankten Ausgang zur Terrasse. Sie sagte:

»Sie sind gekommen, Maurice, Sie sind mir gefolgt, einfach weil mein Blick es verlangte. Also denken Sie noch an mich! Leugnen Sie es doch nicht, auch Sie leiden.«

»Es ist ja begreiflich«, erklärte der junge Mann. »Ich bin nicht mehr der Liebhaber der großen Properzia.«

Er lächelte verlegen und spöttisch.

»Ich komme mir gesunken vor.«

»Weiter nichts!«

»Clelia liebt mich nicht. Ich bin gewohnt, geliebt zu werden.«

»Sie sehen es. Brechen Sie mit ihr!«

»Was singen Sie mir da? Ah, Sie sind eine stürmische Frau!«

Sein freches Gekicher regte sie auf.

»Wir gehören zusammen. Brechen Sie mit ihr!«

»Aber meine Liebe ...«

»Sofort! Sonst betrachten Sie mich als verloren!«

Und mit einer schweren Gebärde zeigte sie ihm die große Statue jener Frau, die sich erdolchte. Gerade vor ihnen wuchtete sie scheinend weiß auf dem Hintergrunde des in Nacht verlorenen Wassers der toten Lagune. Sie wendete das Gesicht fort und legte es unter den einen ihrer Arme, aus Furcht vor dem anderen, der ihr den Tod gab – aber Mortœil wußte dennoch, es war Properzia. Er erschrak, seine Phantasie begann zu arbeiten, und plötzlich spürte er seine schmächtigen Begierden.

›Welch ein Weib!‹ sagte er sich. ›Es muß ein Vergnügen sein, sich von ihr zerdrücken und ausleeren zu lassen ... Wir haben ja solche liebenswürdigen Instinkte ... Nein, alter Freund, den Kopf hochhalten! Aber sie schlechthin verlieren, ohne sie gehabt zu haben, und mich ohne Vorbehalt an ein junges Mädchen verschenken, das solches Geschenk sehr wenig zu schätzen weiß – es wäre gar zu hausbacken. Ein bißchen Romantik wollen wir doch noch mitnehmen. Es sei!‹

»Properzia«, seufzte er, »wie lange gehöre ich nun schon Ihnen. Ich bin nach Petersburg gegangen, weil Sie so bestimmten, und Jahre darauf zurückgereist, weil Sie zur Heimkehr Lust hatten. Man kennt mich nur in Ihrem Gefolge, aber wenn auch alle mir zutrauen, es gehöre mir Ihr Schlafgemach, so bin ich in Wirklichkeit nur in Ihrem Vorzimmer zu Hause. Ich spiele vor mir selbst eine lächerliche Rolle, und mein Leben vergeht in lauter Angst, die anderen könnten es merken. Denn was die anderen auch denken: Ich habe Sie doch nie besessen.«

»Es mußte so sein, Maurice. Oder vielmehr, ich glaubte, es müsse so sein. Jetzt frage ich: warum?«

»Sie haben leicht fragen. Was konnte ich tun. Eine Properzia verführt man doch nicht. Man bittet sie nicht einmal. Im Anfang habe ich es getan; ich kam mir grotesk vor. Sie sagen, was Sie wollen. Sie nehmen sich den Mann, den Sie wollen; Sie sind Properzia Ponti.«

»Ich kann mich nicht hingeben, ich kann nicht fordern. Ein geheimes Stück von mir verbietet mir das, eine alte Angst, die von einem Jugendtage her in mir liegengeblieben ist. Nein, ich wollte überwältigt und geraubt werden gleich der Geringsten.«

»Ich verstehe Sie. Ich analysiere Ihr Wesen ganz ausgezeichnet. Sie sind die keusche Walküre, ah! Aber wenn ich doch nicht konnte – in seelischer Beziehung, meine ich. Sie sind mir zu mächtig, Sie schüchtern mich ein.«

Er dachte:

›Sie ist ungeheuerlich. Ich hocke auf ihrer Leidenschaft wie ein Äffchen auf einem Kriegselefanten. Ich gucke ungemein stolz in die Runde und riskiere meinen Hals den Gaffern zuliebe, die mich beneiden.‹

Inmitten seiner Scherze aber überwältigte ihn ihre Brunst. Sie stieg schwer und ihr selbst eine Pein in ihr auf und rüttelte an ihr und an ihm. Er fühlte ihre seelischen Umarmungen, so fest und unentrinnbar, als fielen schon ihre Glieder her über ihn. Er fürchtete für die Glätte seines gestärkten Hemdes und für das Gleichgewicht seines Gemüts.

»Wir begehren uns!« rief Properzia, mit der Hand auf der Brust. Mit gedämpfter Stimme, rasch und inständig redete sie weiter:

»Wir wollen uns doch endlich einfach lieben! Wir haben uns immer in einem künstlichen Garten gesucht, wie der dort unten.«

Und sie wies über die Terrasse weg auf den seltsamen freien Platz hinab, dessen hoch und blitzend umgitterter Rand bespült ward von dem leisen Wasser.

»Dort ist der Rasen aus grünem, feuchtem Stein, die Bäume sind in bemaltes Holz geschnitten, pyramidenförmig oder rund. In dem gläsern klingenden, dunkelgrünen Laube funkeln kleine Früchte aus blutigrotem Jaspis. Die Blüten sind aus Elfenbein und die Blumen aus Porphyr. Ich will eine Rose aufheben, da sie aus lauter winzigen Steinsplittern zusammengesetzt. So trügerisch ist jede liebe Regung, nach der ich in Ihrem Herzen greife, Maurice. Alles in unserer Liebe ist viel zu glatt, kühl, überlegt, verschlungen, vielfach: gerade wie hier im künstlichen Garten. Sollen wir uns nicht doch noch dort finden, wo es nach Erde riecht, sollen wir uns nicht einmal im Leben ins Gras werfen, wo wirkliche Nesseln uns brennen und warme Erdbeeren sich an unseren Lippen zerdrücken?«

Mortœil sah sich um, erhitzt, verwirrt und in dunkler Sorge wegen des Schauspiels, das er den Lauschern etwa böte. Aber Clelia entdeckte er nicht, und alle, die er sah, waren mit sich selbst beschäftigt. Die Götter an den Wänden leerten Schalen voll Rausch und Begierde über alle. Aller Blut wallte auf. Sie horchten darauf, wie es kochte, und ließen sich betäuben und entzücken. Mortœil hörte wie aus der Ferne Properzias Stimme.

»Geh! Brich deine Verlobung!«

Da drehte er sich um und ging.

Er fand Clelia auf den dicken Purpurkissen des verschnörkelten und vergoldeten Liegestuhles. Sie nistete nur darauf wie ein verflogenes Vögelchen während eines Sturmes, leicht, weiß und pochenden Herzens. Jakobus Halm drang auf sie ein, er redete aufgeregt, seine roten Lippen lauerten dicht über ihrer hellen Brust und fielen immerfort auf die kleine schwache Hand nieder, die ihnen wehren wollte. Clelia gebrauchte den Fächer als Schutz gegen den Bedränger und wußte es zu verhindern, daß er ihn zerbrach. Ihre Haltung war im Grunde sehr maßvoll und ihre Glieder überwacht. Sie stellte ein Bild, dessen Benennung lautete: »Eine Stunde der Selbstvergessenheit« – aber sie war keineswegs hingerissen.

Mortœil nahm, was er sah, ganz ernst. Bleich und gerade trat er an das Paar heran und weckte es aus seiner Versunkenheit.

»Ihr Betragen, mein Fräulein, ist vielversprechend.«

Clelia war kaum verlegen.

»Ich verspreche Ihnen überhaupt gar nichts«, erklärte sie.

»Mit Ihnen, mein Herr, habe ich später zu tun«, bemerkte Mortœil. Jakobus sah erst zu Boden, dann, sich besinnend, über den anderen weg in die Luft und schlenderte weiter, ohne sich zu beeilen.

»Was machen Sie denn, Maurice?« fragte das junge Mädchen leise. »Sie verstoßen ja gegen unseren Vertrag; er verbietet, eifersüchtig zu sein.«

»Es steht nicht in unserem Vertrage, daß Sie mich lächerlich machen dürfen.«

»Es ist ja nur ein Künstler. Nehme ich Ihnen Ihre große Properzia übel?«

»Das ist etwas anderes. Übrigens habe ich keinen Grund, eifersüchtig zu sein, da ich ja nicht in Sie verliebt bin – glücklicherweise.«

»Sie suchen wohl nach einer Beleidigung?«

»Ich verbiete Ihnen nur, Ihren ungeordneten Trieben vor aller Welt nachzugeben, solange Sie meine Braut sind.«

»Ich könnte ja aufhören, es zu sein. Was meinen Sie?«

»Das war's, was ich sagen wollte.«

»Also abgemacht.«

Und sie entfernten sich nach zwei Seiten.

Mortœil erblickte sich plötzlich, einigermaßen verstört, in der Mitte des Saales ganz allein. Properzia befand sich draußen auf der Terrasse, eingezwängt in einen Kranz plappernder Bewunderer, denen sie den Sinn der erdolchten Frau aufklären mußte. Der junge Mann sah unschlüssig nach ihr aus, ihre Figur erschien ihm plump.

›Wozu habe ich denn Clelia fortgeschickt?‹ fragte er sich, jäh ernüchtert. ›Dieser wandelnden Säule zuliebe?‹

Es ward ihm ganz kalt.

›Was habe ich denn da gemacht? Mit so einem verbrauchten Theaterrequisit –‹

Er betrachtete die weiße Statue mit Augen, gelb vor Gehässigkeit.

›– ist es dieser dicken Alten gelungen, mir Angst und Begehrlichkeit abzunötigen – mir mit all meiner Skepsis! Bin ich nicht lächerlich?‹

Er sah sich argwöhnisch um.

›Oh, sicher findet man mich schon lächerlich.‹

In diesem Augenblick kam Lady Olympia auf ihn zu, träge und mit aufforderndem Lächeln. Sie gab ihm im Vorübergehen einen Fächerschlag und sagte:

»Betrachten Sie sich als vorgestellt. Sie sind heute nacht mein Geliebter.«

Er blieb stehen. Drei Schritte weiter schaute sie nochmals nach ihm um, immer mit derselben gleichmütigen Genußsucht in ihrem Lächeln. Er erfaßte auf einmal die Lage und folgte ihr, ringend nach gemessener Haltung. Dabei überzeugte er sich, daß die Herzogin ihnen zusah. Er holte Lady Olympia ein und flüsterte ihr im Nacken:

»Wo? Wann?«

»Meine Gondel wartet«, erwiderte sie.

Sie verschwanden durch die Reihe kleinerer Gemächer, die die Flucht der Säle begleitete.

Die Herzogin blieb ganz vereinsamt im Saal der Minerva. Sie wollte spotten, aber ihre Lippen verzogen sich schmerzlich. Denn aus dem letzten der Säle schlug es ihr entgegen wie der Atem eines ungeheuren Glutofens. Sie preßte die bloßen Schultern mit Kraft gegen den Marmor der stillen Bank; er war geziert mit den Reigen lieblicher Geschöpfe, die ihr Fleisch kühlten und liebkosten. Sie drückte den Kopf in den Nacken, den Mund nach oben geöffnet, nach der silberklaren Luft der Götter, die an der Decke strahlten und feierten. Aber sie hörte es drüben singen und wüten, das schwere dunkle Blut, das dort Menschen und Götter irr und selig machte.

Bei der Ernte und im Genuß, unter Reben, im durchsonnten Schatten glänzten nackte, strotzende Menschen, ohne Scham und ohne Not. Breite Weiber mit saftigem Fleisch und geröteten Gesichtern lehnten sich satt an ihre Männer; die waren stark, ockerrot und nackt und bekränzt mit Weinlaub. Junge Mädchen, geschmeidig und fleischig, gebräunt und vom Weine durchpulst, zerdrückten mit den Spitzen ihrer Brüste die Trauben in der Butte. Hinter ihnen drängte und lachte der tüchtige Bursche, der sie nehmen durfte. Bacchus, fett, weinrot, lallend, wackelte im Triumph durch das Gewühl der vom Rausch gefällten Leiber. Auf Widderfellen sich rekelnd, woran noch die Köpfe hingen, und zugedeckt mit den Haaren wilder Tiere, von Traubensaft überquellend und zur Liebe gereizt, lüstern sich betastend und ganz ineinander verfleischt, spendeten sie mit nassen Mündern ihrem Besieger ein letztes Evoe. Bacchantinnen tollten, unzüchtig feixten Satyre. Jünglinge mit Tigerfellen über der Schulter bliesen lockend die Doppelflöte, und Mädchen boten ihnen den Pinienapfel. Ein Mann zerbiß sich mit einem Zentauren um ein Weib, das auf ihm ritt. Ein brauner Faun spielte Kindern zum Tanz. Sie sprangen begehrlich den Klängen nach, Mohnkränze glühten in ihren schwarzen Locken, am Boden brannten zerplatzte Granatäpfel. Tauben verbluteten neben Rosen. Es wurden Hermen entschleiert vor erwartungsvollen Jungfrauen. Die rote Luft wogte von brünstigen Geheimnissen – aber unter denen, die von ihr kosteten, tat keiner eine Frage. Sie jagten nicht nach Träumen gleich den Anbetern von Freiheit und Größe im Saale der Diana, sie feierten nicht die Schönheit wie im Saale der Minerva die Geweihten der Kunst. Sie waren im Banne ihrer Sinne und genossen das Fleisch. Atemlos, in zehrender Sucht, ohne aufzublicken und nichts wissend außer dem Pulsschlag ihres Blutes, frondeten sie der Göttin, an die sie für immer verkauft und verloren waren, der abwesenden Göttin, deren Bild sich nirgends zeigte, weder an der Decke noch auf den Wänden, noch in der Mitte des Estrichs. Aber die Herzogin sah sie herniederfahren, unerbittlich, nie gesättigt und stets siegreich. Es war Venus. Ihr gehörte jener Saal.

 

Die Menge der Gäste drängte die Treppe herauf. Sie kamen aus der Halle, vom Büfett, und waren erhitzt und geräuschvoll. Die Herzogin erhob sich. Der Raum hatte sich gefüllt, sie ward eingeengt von Unbekannten. Da sagte neben ihr eine schnarrende Stimme im militärischen Befehlshaberton:

»Ich bitte um Platz für die Frau Herzogin von Assy!«

Und Herr Gottfried von Siebelind schloß sich ihr an als ihr Kavalier. Im Gehen redete er:

»Herzogin, Sie haben uns hier unter den Schutz von Göttinnen gestellt, und nicht alle sind gütig. Überzeugen Sie sich, was dort drüben die Böse für Unheil gestiftet hat. Properzia, unsere unermeßliche Künstlerin, hält Wacht vor der Terrassentür, vereinsamt, verraten und ganz aus Stein. Der Dolch sitzt ihr schon ebenso tief im Busen wie ihrer geschmacklosen Statue. Auch die junge Clelia gewährt ein trauriges Bild – aber immerhin nur ein Bild. Sie beansprucht nicht, tragisch genommen zu werden. Nach dem Auftritt mit ihrem Verlobten besaß sie noch ihre ganze Gemütsruhe. Aber ihr Erlebnis war bemerkt worden, um sie her flüsterte man. Da wandelte sie, betrübt und zart, zu einer edlen Vase mit einem Tanz von Figuren. Sie stellte einen ihrer fehlerlos geformten Arme auf den Sockel und legte das Gesicht in die Hand, mit gemessenem Schmerz. Freundinnen umstanden sie. Sie bot sich der allgemeinen Bewunderung dar als klagende Nymphe, im Kreise der feuchten Genossinnen und neben einem überlaufenden Tränenkruge.«

»Herr von Siebelind«, äußerte die Herzogin, »Sie beobachten boshaft, aber einleuchtend. Als Sie mich soeben antrafen, war ich beinahe beängstigt durch die Vorfälle, von denen Sie sprechen. Mit denselben Vorfällen wollen Sie mich jetzt belustigen. Ich bin bereit.«

»Also Clelia spielt unglücklich«, so fuhr er fort. »Denn Jakobus bekümmert sich nicht mehr im geringsten um sie. Er streift planlos umher und stöbert nach Lady Olympia. Ein gefälliger Nächster wird ihn belehren, sie habe mit Herrn von Mortœil das Fest verlassen; darauf wird er erbleichen. ›Sie hat mich mit Clelia gesehen‹, wird er sich sagen. ›Ich habe ihr vorgeführt, wie ich werbe, wenn ich begehre. Ist nun dies die Antwort darauf?‹«

»Vorzüglich!« rief die Herzogin.

»Und man hält das für Liebesdramen!« sagte er unsicher und mit belegter Stimme. Seine braunen, rotgesprenkelten Augen blinzelten sie an, von unten und ohne Festigkeit. Er zog den Fuß hörbar nach, seine Stirn schwitzte, und in der käsigen Haut lagen die gelblichen Punkte so klar, als seien sie erhöht. Die Herzogin merkte plötzlich:

›Ach! Er ist kein harmloser Plauderer!‹

Und ihr Unbehagen kehrte verdoppelt zurück. Sie versetzte ablehnend:

»Ich meine allerdings, wir sehen hier mehreren Liebesdramen zu. Clelia ist eine sehr sympathische Heldin ...«

»Sie ist duftig, die Kleine, finden Sie nicht? Weil ihr Kopf sich unter großen, weichen, blonden Wellen versteckt, nimmt man kaum wahr, wie ausgearbeitet und feinzügig er schon ist. Noch umträumen wir sie mit Mädchenzauber – sie selbst träumt sehr ungern –, und durch den Goldstaub, den wir eigenhändig um sie herstreuen, erkennen wir noch nicht das Gesicht des alten Wucherers mit seinem grausam abschätzenden Blick und seinen sachverständigen Falten. Aber, Herzogin, glauben Sie es mir: sie ist die rechte Tochter des glatten, unbarmherzigen Trödlers, der Dolan heißt. Den Hang zum Erraffen, Festhalten und Nutzbarmachen, den er an altem Kram betätigt, sie hat ihn ererbt. Aber sie wird Besitz ergreifen von Menschen!«

»Woher wissen Sie ...«

»Sie windet sich, lieblich und spielerisch, an Jakobus hinauf und umklammert ihn. Er merkt es noch kaum. Hier, unter dem aufreizenden Schmuck dieser Säle, wo die große Kunst aus Jakobus herausgebrochen ist, wie aus Daphnes Fingern die Lorbeerzweige, hier will sie ihn einfangen. Für sie ist das ein Rechenexempel. Und gleichzeitig mit dem großen Künstler will sie den Geliebten der großen Künstlerin rauben und heiratet Mortœil. Man sagt, die Verlobung sei zurückgegangen. Beruhigen Sie sich, sie wird einfach nochmals geschlossen werden. Das ist Clelias zweites Exempel. Aber man bildet sich ein, das alles seien Liebesdramen!«

»Sie haben recht, solange Sie sprechen. Aber wenn wir jedem jungen Mädchen ihre reichen Flechten abschneiden und von ihrem armen Wesen das bißchen Goldstaub wegwischen wollten – gestehen Sie wenigstens, daß das traurig wäre.«

»Es wäre redlich wie die Aufdeckung eines Betruges. Schönheit ist unsittlich«, erklärte er, bissig und gramvoll.

»Vergebung!« stieß er gleich darauf im Kavalleristenton hervor. »Man ist ja nicht von Holz. Solch allerliebster Schelm hat ja unzweifelhaft auch ... Als ich noch jung und schön war ...«

Sie betrachtete ihn, als sähe sie ihn zum erstenmal, diesen Popanz, der abwechselnd greinte und schnarrte, diesen forschen und kläglichen, seltsam verwandlungsfähigen und unheimlich tiefen Fremden. Er war gebügelt, gescheitelt, parfümiert und in jeder Einzelheit von letzter Neuheit. Aber der erste beste Vorübergehende besaß die Macht, ihn den Kopf senken, die Hand an die Stirn führen und von seinem Wege abweichen zu lassen. Herausfordernd und behindert hinkte er dahin, eine musterhaft angezogene Gliederpuppe, die es verdroß, daß nur andere über ihre Muskeln verfügten und nicht sie selbst.

Sie gingen zwischen den engen Pforten, die ihnen hier und da die Menge öffnete, immer weiter: durch den Saal der Diana, die Treppe hinab und in die Halle, und zurück bis an die Schwelle des Venussaales. Sie kehrten abermals um. Siebelind sagte mit einem verschleierten Blick nach den Liebesgöttern und ihren Günstlingen:

»Jaja, das hält man für Liebesdramen!«

›Welche krankhafte Hartnäckigkeit!‹ dachte die Herzogin.

»Vor anderthalb Jahren, im Oktober«, so sprach Siebelind weiter, »starb in Rom eine arme Frau, die viel geliebt hatte, eines elenden Todes. Sie kannten, Herzogin, die Contessa Blà. Es gibt Männer, die, mit aller Zärtlichkeit geboren, ihre Sehnsucht in unsichtbaren Tränen ersticken müssen. Wenn die Frauen ahnten, welch Schatz von Gefühl in der Brust eines Ungeliebten versenkt liegt, sie würden ... ihn ungeliebt lassen. Die arme Blà hat sich einem glücklichen Herrn geopfert, den das weiter nicht wunderte und der die Liebe der Frauen geradeso munter auf den grünen Tisch warf wie das Taschengeld, womit sie ihn versahen. Am selben Tage – bemerken Sie dies wohl, Herzogin – war beim Fürsten Torlonia großer Rout, und Fräulein Clelia Dolan verlobte sich mit Herrn von Mortœil. Den grauen, mit scharfen Steinen besäten Weg, den die Blà soeben mit einem Seufzer verlassen hatte – zur selben Stunde beschritt ihn Properzia Ponti. Die Schicksale schließen sich mit unheimlicher Pünktlichkeit aneinander, zu einer wuchtigen Kette; sie umspannt uns immer enger, und schließlich verfangen wir uns darin, einer nach dem andern. Sie, Frau Herzogin, haben noch Zeit. Sie sind Diana gewesen, jetzt sind Sie Pallas. Der dritte Saal liegt noch in wüsten Träumen und wartet auf Sie. Venus ist noch abwesend.«

»Was reden Sie? Woher wissen Sie?« murmelte die Herzogin, und sie kämpfte mit einem unvernünftigen Grauen. Noch bevor sie sich besonnen hatte, fragte sie:

»Wer sind Sie?«

»Ich? Oh, ich ...«, machte Siebelind, und er zog sich innerlich ganz zusammen vor Scham und dem quälenden Drange, sich interessant zu machen.

»Ich komme nicht in Betracht«, seufzte er. »Da haben wir Clelia; sie ist herrschsüchtig und nichts weiter. Daneben Properzia; sie ist von einfältiger Begehrlichkeit und kennt keine Scham. Der junge Mann gehorcht verschiedenen Zugfäden; bald zieht Properzia an seiner Eitelkeit und seiner Ruhmsucht, bald Clelia an seinem praktischen Sinn und seinem Snobismus. Er wird so lange zwischen der berühmten Frau und dem reizenden Mädchen hin und her pendeln, bis alle drei ungewöhnlich unglücklich werden. Niemand wird wissen, warum, und man wird sich einbilden, das sei ein Liebesdrama. Aber es ist nur ein gesellschaftlicher Vorgang, wie eine Ordensverteilung oder ein Leichenbegängnis. Die Dramen, Herzogin, spielen hinter verschlossenen Türen, in der Brust der Ungeliebten. Ah! An den Schwellen der Säle, wo die Sinne schäumen, sich vorbeidrücken, kalt vor Verachtung und im Herzensgrunde die irre Hoffnung, eine mitfühlende Hand könnte winken, und dabei entschlossen, diese unmögliche Hand mit Strenge auszuschlagen. Die gedankenlosen Glücklichen hassen und sich festbeißen in ihren ahnungslosen Seelen, und wissen, daß man auch nur sein möchte wie sie, und sich seiner Triebe schämen, und stolz sein auf seine Scham, und entnervt von unfruchtbaren Gelüsten und ganz lahm vor Neid und aufgeweicht von hochmütigem Selbstbedauern. Von dem schaurigen Atem solcher Dramen sind sie niemals angeweht, die lauten Herrschaften, deren Gefühle im Ballsaal tanzen!«

Die Herzogin war empört und angewidert. Sie fragte von oben herab:

»Wodurch habe ich Ihnen Mut gemacht zu solchen Vertraulichkeiten?«

Er erwiderte mit leidender Hartnäckigkeit:

»Ich muß das alles sagen. Auch meine Stimme muß gehört werden, gerade hier, inmitten all dieser Malereien und Tänze, unter so vielen harmlosen Genießern.«

Sie schwieg und meinte im stillen:

›Warum schweife ich eigentlich schon seit einer halben Stunde mit diesem Verunglückten im ganzen Hause umher?‹

Es ward ihr auf einmal unerträglich. Sie sah sich nach Hilfe um, aber in der beweglichen Masse, die sie auseinanderdrückten und die hinter ihnen immer wieder zusammenfloß, glitten nur Unbekannte vorbei. Es schien ihr, daß diese Masse sie hoffnungslos einsperrte mit ihrem beunruhigenden Begleiter.

›Niemand unterbricht seine hassenswerten Reden, denn man sieht, wie ich lausche. Kann ich anders? Er vergewaltigt meine Aufmerksamkeit, dieser Ausgestoßene des dritten Saales. Ist's nicht, als begleiteten mich, indes er neben mir hinkt, von dorther alle die beängstigenden Stimmen, das irre Schwatzen, das Stammeln und verwahrloste Lachen? Sie gelangen zu mir durch das Schallrohr seiner ausgehöhlten Brust, verzerrt, getrübt und wie Krankenluft beklemmend. Der schwache Herzschlag dieses dürftigen Menschen leitet bis an mein Gehör den siedenden Puls all jenes entfesselten Blutes.‹

»Wer sind Sie?« fragte sie schließlich nochmals, fast wider ihren Willen.

»Herzogin sollten es vergessen haben? Gottfried von Siebelind, von den Ziethen-Husaren. Leider nicht mehr aktiv. Accident mit Pferden, Karriere vor der Zeit unterbrochen.«

Plötzlich plauderte irgendein Herr ihrer zusammengewürfelten Gesellschaft ihr etwas vor.

»Ich weiß«, sagte sie lachend. »Sie haben mir bei der Einrichtung dieses Hauses die dankenswertesten Gefälligkeiten erwiesen. Sie lieben es, im Gespräch Ihrem Partner eine recht unglückliche Meinung beizubringen von Ihrer Person. Sie wollen eben um jeden Preis anders sein als die andern. Darum habe ich Grund zu fragen, wer sind Sie? Also, seit dem Accident mit Pferden ...«

»Seitdem verwalte ich unsern Familienbesitz.«

»Wo liegt er?«

»In Westfalen. Dort lebe ich unter lauter knorrigen Menschen. Können Sie sich vorstellen, wie mir zumute ist?«

»Die Familie von Siebelind ... ich besinne mich, wo ich von ihr gehört habe.«

»Familie von Siebelind klingt famos. Leider ist das nur façon de parler, wenn ich mich selber meine. Es gibt nur mich.«

»Alle gestorben?«

»War nicht nötig. Haben nie gelebt. Mein Vater – ich enthülle Eurer Hoheit ein Stück deutscher Geschichte – war eine Art August der Starke, der regierende Fürst von Himmelreich – Blindekuh. Durch Vermittlung der Tochter seines Hofapothekers verhalf er mir zum Leben. Ich bin sozusagen ein Kind der Liebe, mithin von Hause aus schön und vom Glück erkoren, wenn man es jetzt auch nicht mehr sieht.«

Er erzählte es von unten herauf, versteckt und wichtig. Sie sagte abgewendet:

»Ich mag niemand sich selbst verspotten hören. Es beschämt und quält mich.«

»Ach! Ich glaubte, es sei eine Genugtuung für die andern ... Aber natürlich nicht für die Herzogin von Assy ...«

Sie befanden sich in diesem Augenblick oben auf der Galerie, die die Halle umspannte. Wie sie nebeneinander an der Brüstung lehnten, sah sie in seinem Frack etwas blinken.

»Sie sind dekoriert? Ein weißes Kreuz in blauem Felde?«

»Eine Sittlichkeitsmedaille, Herzogin. Das Abzeichen eines Bundes zur Bekämpfung der Unsittlichkeit.«

»Soll heißen, der Liebe?«

Er bekannte gedämpft:

»Ja.«

»Aber da Sie ja ein ... Ungeliebter sind.«

»Ich bekenne mein Schicksal. Ich bin ein Bekenner.«

»Das ist hoch anzuerkennen, besonders da es Ihnen schwer wird. Gestehen Sie, wer gefällt Ihnen besser, Clelia oder Properzia? Mir schien es fast, Sie lieben alle beide?«

»Alle drei«, erklärte er.

Ehe sie es verhindern konnte, ergriff er ihre Hand und preßte seine Lippen darauf. Sie waren unangenehm heiß.

Und plötzlich war er verschwunden. In der nächsten Minute sah sie ihn bereits drunten in der Halle auf einen Kreis von Damen loshinken, steif und mit Willensanstrengung. Dicht vorm Ziel schwenkte er ab und sah gleichgültig weg, unter dem Spott der auf ihn gerichteten Lorgnons.

 

›Warum ist er geflohen?‹ fragte sich die Herzogin. Gleich darauf wußte sie den Grund: sie sah San Bacco auf sich zukommen. Er ging in einem Schwarm junger Mädchen, die sich an ihn hängten, ihn einhüllten in das leichte Geflatter ihrer Spitzen, Blumen und Haare und ihm vertraulich ins Gesicht lachten mit ihrem frischen Atem. Sie liebten ihn, denn sie fühlten, daß der Blick, mit dem er sie bewunderte, von Zweifeln frei war und daß der alte Ritter eine keiner Enttäuschung zugängliche Verehrung hegte für jedes hellstimmige Wesen im Schmuck langer Flechten, im Lichte unschuldiger Augen und in der Anmut schmaler Schultern. Sie ließen ihn erzählen von seinen Feldzügen, und sie belohnten ihn mit ihrem zärtlichen Gezwitscher, mit einem hingehaltenen weißen Handschuh, auf dessen Innenseite er seinen Namen kritzeln mußte, und mit Kotillonorden.

Er versicherte der Herzogin feurig, ihr Fest sei wundervoll geglückt.

»In Ihren Sälen, Herzogin, sind die Frauen schöner als sonst, und sie machen Ihre Säle schöner. Hier ist alles Pracht, edler Geist, Freude daran, den andern ein schönes Bild zu bieten. Und ich komme aus dem Parlament, wo die dürftigen Herzen mit Bosheit durchtränkt sind. Ehe ich dorthin zurückkehre! Bei Ihnen atmet man! Vom Kanal bis zur Lagune spielt die Frühlingsluft durch Ihr Haus und trägt jeden verbrauchten Atemzug aus den Mündern fort.«

Jakobus kam aufgeregt herbei und sagte:

»Die beiden sind wieder da. Hätten Sie das für möglich gehalten?«

»Wer?«

»Lady Olympia mit Mortœil. Sie haben eine, wie es scheint, genußreiche Gondelfahrt gemacht, jetzt wollen sie tanzen. Properzia darf zusehen, Arm in Arm mit Clelia. Ich finde, sie gehen etwas weit.«

»Auch Properzia soll tanzen, ich werde sie bitten!« rief San Bacco, die Wangen gerötet und lebendig wie ein Knabe.

»Ich werde nie dulden, daß man die große Frau beleidigt!«

»Wie wollen Sie's verhindern, Marquis. Übrigens ist sie nicht aufzufinden. Nun verlangt also Lady Olympia in ihrer Quadrille nach einem Gegenüber. Ich suche ein ihrer würdiges, Mortœil auch.«

»Der Schlingel!« murrte San Bacco. »Herzogin, Sie sollten ihn von einem Ihrer Gondoliere in sein Hotel bringen lassen!«

»Und Lady Olympia?«

»Sie ist eine Dame.«

»Kommen Sie, Jakobus«, sagte die Herzogin, »Wir wollen den Herrschaften gegenüber tanzen.«

Sie lachte herzhaft, und ihr Lachen schien alles zu verjagen, was von dem Geraune eines unzulänglichen Asketen in der Luft um sie her noch hängengeblieben war.

Sie gingen. Die Herzogin äußerte:

»Lady Olympia hat Sie aus der Fassung gebracht, geben Sie's zu?«

»Was ist da zuzugeben«, erklärte Jakobus. »Wir haben ja das Tier in uns, nicht wahr, das auf so einfache Lockungen hört. Ah! Solch ein Weib weiß das! Welche Unverschämtheit im Grunde! Und was für ein melancholischer Triumph! Ich ging mit so reinen Empfindungen in diesen Sälen umher, ich genoß meine eigene Blüte, von der diese Wände berankt sind, und sagte mir, daß ich Ihnen, Herzogin, zu Ehren blühe. Da kommt dieses Weib und zeigt mir, daß sie Macht hat über mein Tier. Ich kann es nicht leugnen, aber ich fühle mich unhöflich behandelt.«

»Also aus Eitelkeit ... Aber Sie ziehen die Sache doch nur hinaus. Sie denken ihr nicht im Ernst zu widerstehen, wie? Also warum machen Sie's nicht gleich ab? Jetzt wären Sie schon damit durch und vollkommen beruhigt – wie nun Mortœil statt Ihrer.«

»Ich konnte nicht. Sie, Herzogin, standen dazwischen und verleideten mir das Vergnügen.«

»Das tut mir leid ... Sollten Sie mich lieben?«

Er erschrak. Er errötete so tief, daß das braune Gold seines langen, geteilten Kinnbartes ganz blaß ward.

»Nein, nein! Was für eine Frage! Wodurch habe ich ...«

»Durch gar nichts. Beruhigen Sie sich. Dann hindert Sie also nichts, Lady Olympia zu lieben.«

»Erst recht nicht!«

Sie langten an und begrüßten die Wartenden. Lady Olympia war schlechter gepudert als vorher. Sie hatte feuchte Augen und süß belebte, glückliche Bewegungen. Mortœil war ziemlich blaß; er begegnete den neidischen und höhnischen Blicken mit schneidender Kälte. Die Musik begann sogleich, und während sie mit Mortœil und seiner Dame den Reigen schlangen und lösten, setzte Jakobus das Gespräch mit der Herzogin fort. Er sprach laut von Lady Olympia und sah ihr dabei gerade in die Augen. Sie lächelte gleichmütig. Seine Gebärden wurden immer hastiger.

»Wer liebt denn eine Lady Olympia?« sagte er. »Lady Olympia ist ein üppiges Bild, ich habe vergessen, sie im Saal der Venus anzubringen als Liebesjägerin, rot, breit, blond, den Kopf zurückgeworfen, so daß der Hals sich bläht, und lachend mit feuchten Lippen. Man wälzt sich mit ihr ins Gebüsch und läßt sich nehmen. Dann geht man und behält im Auge noch eine Zeitlang den Glanz von ihrem roten Fleisch. Sonst nichts. Sie ist ein Bild, und auf Bilder verstehe ich mich zu gut. Die liebe ich nicht.«

»Nun, glücklicherweise bin auch ich ein Bild. Bald stellen Sie mich an eine Saaldecke als Diana oder als Minerva, bald in den Salon zu Paris als Duchesse Pensée. Welch seltsamer Name, wie kamen Sie dazu?«

»Jenes Bildnis sind nicht Sie, Herzogin, es ist Ihr Gedanke – der Gedanke jener Minute, als Sie in meinem Atelier zu Rom vor die Pallas des Botticelli hintraten. Ich sagte Ihnen schon, ich würde Ihre Seele aus jener Minute zurückholen, sobald ich Sie aus den Augen verloren hätte.«

»Warum lassen Sie mich das Bild niemals sehen? Ich möchte es besitzen.«

»Es ist verkauft ... an eine deutsche Dame.«

»Wer ist sie?«

»Die Tochter eines rheinischen Industriellen ... Ich habe sie geheiratet.«

»Was sagen Sie da?«

Das En avant deux führte sie auseinander. Lady Olympia nahm Jakobus' Hand und wiegte sich mit ihm in der Mitte des Vierecks von Tänzern. Sie sagte:

»Sie sind unhöflich, mein Kleiner, aber ich bin Ihnen nicht böse. Sie gefallen mir nun einmal. Übrigens werden Sie mich für das alles bald um Verzeihung bitten.«

»Nur zu bald«, erwiderte Jakobus.

In der Pause zwischen zwei Teilen der Quadrille wiederholte die Herzogin:

»Was haben Sie gesagt? Sie sind verheiratet?«

»Und ich bin stolz darauf«, erklärte er. »Bedenken Sie, unmittelbar nach dem Erfolge, den ich mit Ihrem Porträt hatte, verheiratete ich mich mit einem jungen und reichen Mädchen, das in allem ungefähr das Gegenteil von Ihnen ist. Nein, Herzogin, ich liebe Sie nicht.«

»Sind Sie darüber immer noch nicht beruhigt?«

»Das Beunruhigende liegt darin, daß ich Sie zu oft male. Sie sind kein einfaches Bild wie Lady Olympia. Ah, die ist mit einer einzigen Leinwand abgetan für alle Zeiten! Aber Sie, Herzogin, Sie kommen mir fast vor wie einer meiner Träume. Wie gesagt, Sie beunruhigen mich immer aufs neue. Ich sehe Sie niemals endgültig.«

Sie mußten sich trennen.

»Ich hoffe trotzdem, Sie sind nur ein Bild«, versetzte er noch.

»Ich auch«, entgegnete sie.

Wie sie wieder zusammentrafen, erklärte er:

»Ich liebe nämlich nur dort, wo ich wenig sehe und wo es für mich keine Kunst gibt. Meine Kunst will ich stark, streng, unpersönlich und von weichen Gefühlen unabhängig. Die Liebe ... Soll ich Ihnen erzählen, wo ich am meisten geliebt habe?«

»Tun Sie es.«

»Ich sollte irgendwo in Rußland Jagdbilder malen und ging jeden Morgen auf dem Wege zu dem Pavillon, der mir als Atelier diente, an einem eingefriedeten Stück Park vorbei. Nadelholz und Sträucher waren in die große Mauer eng eingefaßt, wie ein dicker Strauß. Ein dunkler Laubgang führte zu einem Brunnen, wo täglich eine weiße Gestalt sich regte. Ich sah nur einen Streif von einem weißen Gesicht und das Gleiten von zarten Gliedern. Und ich stand jedesmal lange, mit den Fingern um die Gitterstäbe, und spähte die sich verengende Perspektive hinab, nach der Seele im Park, wie ich jenes Wesen nannte. Es umkreiste den Brunnen, und ich fühlte das so, als umkreiste es vergeblich meine eigene Seele. So hab ich nicht wieder geliebt.«

»Das haben Sie also nicht gemalt?«

»Es war eben nur Gefühl. Es war kein Bild – wie Sie, Herzogin.«

Sie machten sich die große Verbeugung, und der Tanz war aus. Die Herzogin ließ die andern allein.

»Was meinen Sie, mein Kleiner«, fragte Lady Olympia den Maler, der verlassen dastand. »Sind Sie gezähmt?«

»Augenblicklich weniger als vorher«, erklärte er. »Ich bedaure es lebhaft.«

Sie nahm Mortœils Arm und befahl abermals ihre Gondel.

Jakobus schlenderte gesenkten Kopfes umher und sann:

›Warum habe ich ihr erzählt, daß ich verheiratet bin. Bei nächster Gelegenheit werde ich versichern, daß es irrtümlich geschah und daß ich mich scheiden lassen werde. Sie wird sagen – oh, ich kenne sie –, es sei recht so. Eine Frau schade meiner Kunst, ich gehöre ganz meiner Kunst. Und da die ihr gehört ... Ja, sie soll ihren Willen haben – und die andere auch, die mich so unhöflich bei meinem Fleisch anfaßt in dem Augenblick, wo ich am meisten Seele zu sein glaube und an die Seele im Park denke. Ah! Die Hand, die sie mir beim Tanze gereicht hat! Lady Olympia ist schon allzu stolz auf die Macht ihres Leibes, aber zu gewisser Stunde werde ich ihr dennoch gestehen, wie ich ihre Hand malen würde: in dem Augenblick, wo sie den braunen Kopf eines Knaben streichelt, der unter ihrer trägen Liebkosung zittert und keucht, oder wie sie die zerrupften Blätter einer dunkeln Rose hinausstreut in einen schwülen Wind ... Wo sehe ich dagegen die Hand der Herzogin? Auf der bilderreichen Wölbung einer köstlichen Vase. Sie gleitet an den Profilen der Figuren entlang. Die Mänade taumelt, die Nymphe lacht, und ein Widerschein ihres ewigen Prangens fällt auf die vergängliche Hand.‹

 

Niemand hatte Properzia das Haus verlassen gesehen. Endlich fand die Herzogin sie in dem künstlichen Garten über der Lagune, die Arme hinaufgereckt an dem hohen, dunkel blitzenden Gitterportal. Es sah aus, als hätte sie vergeblich daran gerüttelt und sei mit mutlosen Händen hängengeblieben in den weiten, verschlungenen Zweigen aus Eisen, zwischen den blauen Pinienäpfeln und den Lilien mit gelben, starrenden Blütenstengeln und im Banne des weißen Greifen droben auf der Spitze.

Die Herzogin berührte ihre Schulter und führte sie zurück, durch eine Reihe verschwiegener Zimmerchen bis an das andere Ende des Hauses. Im Kanal lagen die Gondeln unter der Brücke und zwischen den schwarz und blau gestrichenen Pflöcken; jeder von ihnen trug eine Herzogskrone. Sie stiegen ein und glitten davon, ohne einen Laut. Die letzten Festflammen erloschen im schwarzen Wasser. Die Paläste wuchteten schattig; blendend ins Mondlicht sprangen die Balkone. Die steinernen Masken starrten ihnen nach, von den Bogen der Portale herab; die stiegen mit müden, ausgewetzten Stufen in die Kanäle. Verlassene Steinbänke hingen über der traurigen Flut an den Fassaden. Die gebräunten Marmorquadern prunkten nächtlich, und aus den eisernen Quadraten der Fenster winkte ihnen die Hand des Schweigens. Über einen weiten, bleichweißen Platz ritt geräuschlosen Hufes ein erzener Reiter. Er war, mit grellem Angesicht über die Schulter weg drohend, entsetzlich und schön, das Abenteuer dieser Nacht: sie kniete vor ihm.

Hart glänzender wilder Lorbeer raschelte auf zerbröckelnden Mauern um Wappenhelme und Steinbilder. Davor schmiegten kleine Löwen den Kopf auf die Tatzen. Die Herzogin dachte:

›Über der Kunst wacht die Kraft. Die Kunst ist nie verloren.‹

Aber Properzia richtete sich plötzlich auf. Sie saß im Schatten; ihr Gesicht war ein blasser, verschwimmender Fleck auf dem schwarzen Tuch der Felza.

»Es ist, als wäre ich schon tot«, sagte sie. »Ich kann nicht mehr arbeiten. Er tötet mich. Und dabei begehrt er mich, ich weiß es. Aber er nimmt sich nicht, was er begehrt, denn er schämt sich der Natur. Oh, er ist so künstlich, und ich bin es nicht. Wenn meine Liebe vergiftete Stacheln hätte, um ihn zu reizen! Wenn ich eine herzlose und wollüstige Abenteurerin wäre oder ein eigensinniges, herrschsüchtiges Mädchen, das ihn nicht liebt. Aber ich habe nur meine einfache Leidenschaft, und die frißt sich selbst. Ich habe Anatomie gelernt und weiß, daß nach dem Tode oft der Magen sich selbst verzehrt. So ist meine Leidenschaft, denn er gewährt ihr keine andere Nahrung, – und es ist, als wäre ich schon tot.«

Die Herzogin erwiderte nichts, sie dachte:

›Properzia ist lächerlich und großartig. Wie konnte sie mich nur beängstigen? Ja, ihr heißer Atem ist mir, zusammen mit dem der anderen, aus dem Saal der Venus entgegengeschlagen und hat mich vor sich her gejagt, erschreckt und schwach. Properzias, Clelias, Jakobus' Brunst und die von Mortœil und Lady Olympia hat mich wie ein Kapuzenmantel, heiß und rot, bis über die Ohren zugedeckt. Sooft ich ihn abschütteln wollte, drückte Siebelinds verwachsene, feuchte und zitternde Hand ihn fester ... Ich war schwach. Warum habe ich Jakobus gefragt, ob er mich liebe ... Jetzt würde ich ihm bedeuten, er möge gefälligst mit der Ausmalung der Kabinette beginnen.

Dieser Properzia habe ich nichts dergleichen mehr zu sagen. Ich fühle, sie ist über alles hinaus. Aber ich höre auf, sie zu bemitleiden; ich fahre sie umher und bestaune sie. Ich bin zuviel hin und her getrieben zwischen Menschen, Listen, Träumen, Niedrigkeiten. Jetzt ruhe ich aus und schaue. Die drohende Größe des Colleone oder Properzias untergehende – welches Schauspiel ist glänzender? Die Seelen prangen neben den Kunstwerken, und ein Schauspiel bin ich mir am Ende selber. Wäre ich sonst nicht geradeso verloren wie diese hier? Alles, was mich überwältigen will, ich bezwinge es im Spiel. Die Sucht nach Freiheit und Größe brach über mich herein: ich spielte Diana und wußte es nicht einmal. Jetzt bin ich Minerva, sagen sie. Wissen sie, ob ich nicht Minerva spiele, weil ich ringe mit dem Fieber der Kunst? So spielte ich auf meiner Kinderinsel die süßen Gestalten der alten Dichtungen und lauschte auf das Echo von Chloes Stimme, die nach Daphnis rief.‹

Die Ruderschläge klappten unter den Brücken. Ihre Bogen überspannten schlank und schnell den engen Wasserpfad, und es nickten Büsche von einem Ufer zum andern. Sie nickten über die blaugrün beschatteten Mauern von Gärten in blaugrünem Licht, zwischen steilen, schmalen Palästen, blaugrün übergossen; Gärten mit unbewegten Wipfeln, ohne Vogelgesang und lauschend auf Brunnen, die nicht plätscherten. Der Ruf eines Gondoliers schallte herüber aus der Ferne, aus entlegenen Kanälen, wo die unbekannten Gondeln ihren dunkeln Weg befuhren, ihren glücklichen oder ernsten. Properzia horchte, irren Blickes. ›Dort gleiten sie hin‹, sann sie, ›Maurice und die Frau, die er heute liebt. Sie liegen weich ineinandergebettet ... Sähe ich ihn lieber sterben!‹

Die Gärten waren nun erstickt von turmhohen Steinkästen, durch Kohlen geschwärzt und triefend von Moder. Sie hatten kleine, hochgelegene Öffnungen und Türen ohne Brustwehr. Im Widerschein ihrer Lichter breitete sich über das Wasser, worin sie badeten, eine buntgefleckte, ölig schillernde Haut. In den Spelunken schrien die Trinker rauh, und schrill die Mädchen. Ein Gitarrenklang rollte unter dem Lärm hervor, wie eine kleine nasse Perle. Eine Vettel mit bloßen Brüsten hing aus einem Fenster unter den Sternen. Properzia sagte:

»Wir rudern vorüber, und niemand belästigt uns. Hier trat ehemals der Trunkene, dem eins der Weiber ihr Schlafgemach öffnete, ins Leere und verschwand in diesem zähen Wasser. Ich wollte, ich wäre das Weib und beträte, mit Maurice verschlungen, das gebenedeite Schlafgemach, wo alles endet.«

 

Plötzlich, mit wenigen Wendungen, gelangten sie in den Großen Kanal. Die Herzogin geleitete Properzia an ihr Hotel und fuhr nach Hause. Das Fest war erloschen, der Palast stand wie ausgekohlt, schwarz, mit geringen Lichtfunken. Diener trugen ihr Armleuchter voran durch die hallenden Säle. Die mächtigen Schatten der Gemalten stürzten übereinander her von den Decken. Ein Marmor funkelte auf; der silberne Rand des Brunnens kreiste weich glänzend um die Schale, die rann und tropfte, um die Amorinen, die tanzten, um die Muse, die geigte.

In dem letzten, auf die Lagune hinaus weit geöffneten Kabinett saßen am Kartentisch und beim Wein die spätesten der Gäste: Lady Olympia, Jakobus, Siebelind, San Bacco und Mortœil. Die Herren erhoben sich, San Bacco rief:

»Herzogin, Sie sind mit Angst vermißt worden. Wissen Sie es wohl?«

»Herzogin, wo waren Sie?« fragte Mortœil.

Er stellte eine unnatürliche Spannkraft zur Schau, und die Augen, die gerötet waren, fielen ihm zu. Lady Olympia legte sich wieder in den Stuhl, sie bewegte sich weich und satt.

»Sind Sie nochmals zurückgekehrt, Mylady?« sagte die Herzogin. »Auch ich war unterwegs unter dem Monde.«

Sie dachte an die blaugrünen Mauern mit den von Lorbeer umraschelten Löwen und lächelte, ganz erfrischt und heiter.

»Ich habe gesehen, wie Löwen, die sich mit Ruhm bedeckt hatten, gelangweilt gähnten, indes Löwinnen vorbeifuhren, brüllend vor Schmerz und Begierde.«

Lady Olympia blinzelte nach Mortœil hinüber; sie versetzte träge und friedevoll:

»Was wollen Sie? Auch Löwen ermüden.«

 


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