E. Marlitt
Das Heideprinzeßchen
E. Marlitt

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17.

Ich wollte diesen Augenblick benutzen, um fortzuschlüpfen, allein bei dem leisen Geräusch, das meine Bewegung verursachte, wandte sich Herr Claudius nach mir um.

»Bleiben Sie noch!« sagte er und streckte den Arm zurückhaltend gegen mich. »Der alte Mann war in großer Aufregung; ich möchte nicht, daß Sie ihm in diesem Augenblicke noch einmal begegneten.«

Er sprach so freundlich und gelassen wie immer ... Sollte ich in diesem Moment des Alleinseins ihm beichten, wie es sich mit dem Spuk in der Bel-Etage der Karolinenlust verhielt? ... Nein, ich hatte kein Vertrauen zu ihm, ich fühlte mich bis in mein warm schlagendes Herz hinein erkältet in seiner Nähe. So rückhaltlos meine ganze Seele Charlotte zugeflogen war, so wenig sympathisierte ich mit diesem Manne der kühlen Berechnung – sein eigentümlich gehaltenes Thun und Wesen, das weder bei sich selbst, noch bei den anderen ein Zuviel zuließ, stieß mich entschieden zurück. Er hatte zwar eben noch im Sinne der christlichen Liebe gesprochen – bei jedem anderen würde ich die Worte auf innere Herzenswärme zurückgeführt haben, von seinen Lippen klangen sie mir nur als die Rüge eines leidenschaftslosen, klaren Verstandesmenschen. Er hatte mich in Schutz genommen; allein so kindisch und urteilslos ich auch war, ich sagte mir doch, daß das nur geschehen sei, um die Uebergriffe seines Untergebenen abzuwehren ... Ich war eine viel zu beeiferte und enthusiastische Schülerin Charlottens, um nicht bei jeder Begegnung mit diesem Manne ihres Urteils über ihn eingedenk zu sein.

Jetzt gehorchte ich ihm aber und wartete geduldig, bis wir die dröhnenden Schritte des Buchhalters nicht mehr hören würden. Mechanisch schob ich den Sand des Weges mit den Fußspitzen zusammen – der plumpe Schuh in seiner ganzen Häßlichkeit kam zum Vorschein; das alterierte mich gar nicht – es war ja nur Herr Claudius, der neben mir stand, und dessen Blick darauf fiel.

»Ich will gehen und die Thür wieder schließen,« unterbrach ich das momentane Schweigen; mir fiel plötzlich ein, daß sie ja noch weit offen stand ... Ich wollte ihn um Verzeihung bitten, aber ich brachte es nicht über die Lippen.

»So kommen Sie,« sagte er. »Ich begreife nicht, wie Sie mit Ihren kleinen Händen das alte, seit Jahren verrostete Schloß haben öffnen können.«

»Das Kind –« sagte ich und mußte bei dem Gedanken an das liebliche kleine Geschöpf lächeln – »ich wollte durchaus das Kind nahe sehen, und die Leute, die so glücklich beisammen sind. Ich habe nie gewußt, wie es ist, wenn die Eltern ihre kleinen Kinder so sehr lieb haben.«

»Wie ist es Ihnen denn möglich gewesen, in das fremde Familienleben hineinzusehen?«

Ich deutete unbefangen nach dem Wipfel der Ulme, unter der wir eben hinschritten. »Da droben hab' ich gesessen.«

Er lächelte verstohlen, und trotz der Brille sah ich, daß seine Augen an meiner linken Seite niederglitten; unwillkürlich folgte ihnen mein Blick – o weh! die rachsüchtige Ulme hatte mir ein weitklaffendes und so regelrechtes Dreieck auf meinen schwarzen Staatsrock gezeichnet, als habe sie das Winkelmaß dazu genommen.

Ich fühlte, daß ich feuerrot wurde, und wenn es auch nur Herr Claudius war, ich schämte mich doch.

»O Gott – Ilse!« mehr brachte ich nicht heraus.

»Seien Sie ruhig, Frau Ilse darf nicht schelten, das leiden wir nicht!« sagte er freundlich, aber auch in so protegierendem Tone, als spräche er zu dem kleinen Gretchen. Und das verdroß mich – so kinderklein und hilfsbedürftig war ich doch wahrhaftig nicht ... In diesem Augenblick fiel es mir so recht auf, wie ganz anders doch Dagobert war. Er behandelte mich, besonders seit er wußte, daß ich bei Hofe vorgestellt werden sollte, als völlig erwachsene Dame. »Frau Ilse hat übrigens bereits für Ersatz gesorgt,« sagte er weiter. »Sie hat mir gestern eine Summe Geldes abverlangt zu einer Hoftoilette für Sie ... Bei dieser Gelegenheit muß ich Sie aber auf etwas aufmerksam machen. Solange die Frau dableibt, mag sie dergleichen Angelegenheiten in den Händen behalten; später jedoch werde ich Sie bitten müssen, sich direkt an mich zu wenden.«

»Muß das sein?« fragte ich, ohne meinen Verdruß zu verbergen.

»Ja, das muß sein, Fräulein von Sassen – es ist der Ordnung wegen.«

»Nun, da hat meine liebe Großmutter doch recht gehabt, wenn sie das Geld nicht leiden konnte ... Gott, was für Umstände, wenn solch ein paar Thaler von einer Hand in die andere gehen!«

Er sah mich lächelnd von der Seite an. »Ich werde Ihnen die Sache so leicht wie möglich machen,« sagte er gütig.

»Aber ich muß doch um jeden Groschen in Ihr dunkles Zimmer kommen?«

»Das freilich ... Ist Ihnen denn dies Zimmer so schrecklich?« –

»Das ganze Vorderhaus ist ja so kalt und grabesdunkel ... wie es nur Charlotte und Fräulein Fliedner drin aushalten? ... Ich stürbe vor Angst und Beklemmung!« – Ich legte unwillkürlich beide Hände auf die Brust.

»Das schlimme alte Haus – es hat schon einmal ein Frauenleben gefährdet!« meinte er schwach lächelnd. »Und nun ist es wohl auch schuld, daß es Ihnen bei uns nicht gefällt!«

»O, den Blumengarten hab' ich sehr lieb!« versetzte ich rasch, ohne seine Frage direkt zu beantworten. »Er kommt mir vor wie ein ganzes Buch voll Wunder- und Zaubergeschichten! Ich muß manchmal die Augen rasch schließen und die Hände und Füße festhalten, sonst – würfe ich mich unversehens mitten in solch ein Blumenbeet hinein!«

»Das thun Sie doch,« sagte er in seiner freundlichen Gelassenheit.

Ich sah ihn überrascht an. »Na, da würden Sie doch schön schelten,« fuhr es mir heraus. »Wieviel Bouquetgroschen gingen Ihnen da verloren! ... O Gott, und wie viel Samentüten!«

Er wandte sich ab, schloß die Thür zu, vor der wir standen, und zog den Schlüssel aus dem Schloß.

»Diese Bouquetgroschen-Weisheit haben Sie wohl aus demselben Munde, der Ihnen bereits von der Hinterstube erzählt hat?« fragte er, nachdem er den Schlüssel in die Tasche gesteckt hatte.

Ich schwieg – Dagoberts Namen konnte ich unmöglich aussprechen; von ihm hatte ich ja diese »Weisheit«, wie es Herr Claudius mit einem ganz leisen Anflug von Bitterkeit nannte. Er drang nicht weiter in mich.

»Aber die Karolinenlust und der Wald, gefallen sie Ihnen denn gar nicht?« fragte er.

»Es ist ganz schön hier –«

»Allein lange nicht so schön, wie in der Heide – nicht wahr?«

»Das weiß ich nicht – aber – ich habe heftige Sehnsucht nach dem Dierkhof! Ich leide oft schrecklich und ängstige mich, daß ich mir die Stirne an den vielen Bäumen einstoßen könnte.« Die Klage trat mir fast unwillkürlich auf die Lippen ... Das hatte mich noch niemand im Hause gefragt; sie setzten ohne Zweifel voraus, daß der Tausch ein überwiegend vorteilhafter für mich sei.

»Armes Kind!« sagte er, – nein, nein, das war keine Teilnahme! – Die Natur hatte ihm nur eine so weiche Stimme gegeben.

Wir betraten eben das Parterre seitwärts der Karolinenlust. Da stand der alte Erdmann, der neulich Ilse und mir den Eintritt in das Vorderhaus verwehrt hatte. Er hielt eine Mulde im linken Arm und streute unermüdlich Futter für das Geflügel auf den Kies. Herr Claudius schritt rasch auf ihn zu und hielt die Rechte zurück, die eben wieder einen Körnerregen hinwerfen wollte.

»Sie füttern viel zu verschwenderisch, Erdmann,« sagte er. »Gehen Sie da hinein in den Busch, überall keimen die Körner, die die Tiere mit dem besten Willen nicht bewältigen können; ich habe es eben mit großem Mißfallen bemerkt.« – Er griff in die Mulde und ließ die Körner durch seine schlanken Finger laufen. »Das ist ja der reine Weizen – Erdmann, da muß ich schelten! Sie wissen, daß mir eine solche achtlose Verschwendung ein Greuel ist. Bei uns kommt das Getreide nutzlos um, und manches arme Kind sehnt sich vergebens nach einer Semmel.«

Eine förmliche Erbitterung überkam mich – wie doch dieser Mann seinen Geiz zu beschönigen verstand! Er schalt nicht, weil ihm in dem verschwenderisch hingeworfenen Weizen ein paar Groschen verloren gingen. Gott bewahre! Die Semmel wurde beklagt, die für ein hungriges Kind möglicherweise hätte gebacken werden können.

Der alte Erdmann entschuldigte sich damit, daß auch nicht ein Körnchen Gerste mehr im Hause gewesen sei. Er zog wie ein schuldbeladener Sünder den Kopf zwischen die Schultern und suchte eiligst das rettende Boskett zu gewinnen ... Hu, diese abscheulichen blauen Gläser, wie sie ihm nachfunkelten. Ich mochte sie aber auch gar nicht mehr ansehen. Ich wandte das Gesicht weg; meine Hände griffen in das nächste Gebüsch und zupften und zausten an den Blättern und streuten sie achtlos über den Kies hin.

»Was hat Ihnen denn der arme Schokoladenstrauch gethan?« fragte Herrn Claudius' Stimme neben mir wieder so sanft und gleichmütig, als sei sie es gar nicht gewesen, die eben noch gescholten hatte. »Denken Sie einmal, wenn nun doch in den mutwillig und nutzlos abgerissenen Blättern ein klein wenig von dem Heimweh lebte, das Sie quält –«

»Ich bückte mich, las schleunigst die Blätter vom Boden auf, schichtete sie übereinander und legte sie auf den kühlen Rasen, dicht neben den Hauptstamm des Strauches, indem ich einen dickbelaubten Zweig über sie hinbog. ›Nun sterben sie wenigstens in der Heimat,‹ sagte ich und sah wider Willen in die Brillengläser hinein.«

»Werden Sie es hier aushalten können?« fragte er.

»Ich muß wohl – ich soll ja gebildet werden, und dazu gehören zwei Jahre« – ich faltete unwillkürlich die Hände – »zwei lange Jahre! ... Aber es hilft nichts, ich weiß nun selbst, daß ich lernen muß – ich bin doch zu entsetzlich unwissend in der Heide geblieben! ... Das kleine Gretchen da drüben weiß ja mehr als ich!«

Er lachte leise auf. »Nötig ist Ihnen diese Lehr- und Leidenszeit freilich, wenn ich bedenke, wie sauer es Ihrer kleinen Hand wird, den eigenen Namen zu schreiben,« sagte er. »In zwei Jahren können Sie viel lernen; aber Ihr Vater und vielleicht auch andere werden wünschen, daß Sie manches nicht in Ihre junge Seele aufnehmen, was die Welt, und vor allem das Leben in einer Residenz, lehrt und verlangt ... Frau Ilse hat mich gestern ersucht, Ihr Thun und Treiben zu überwachen.«

Ein jäher Schreck durchfuhr mich – das litt ich nicht! Dagegen wehrte ich mich aus Leibeskräften! Freiwillig begab ich mich ganz gewiß nicht in das unerträgliche Joch, unter dem Dagobert und Charlotte schmachteten! Seltsam aber war es doch, daß ich nicht den Mut fand, ihm diesen meinen festen Entschluß ungescheut in das Gesicht zu sagen.

»Ich weiß nicht, was Ilse einfällt – das hat ja Fräulein Fliedner längst übernommen und Charlotte auch,« sagte ich zögernd. »Und Charlotte habe ich so sehr lieb, ihr werde ich ganz gewiß gehorchen.«

»Das soll eben vermieden werden,« versetzte er ernst. »In Fräulein Fliedners Händen sind Sie gut aufgehoben. Charlotte dagegen hat noch viel zu viel mit sich selbst zu thun, als daß sie die Verantwortlichkeit für Ihren Bildungsgang übernehmen dürfte ... Wenn ich ihren unumschränkten Einfluß auf ein unerfahrenes Gemüt zulassen sollte, dann müßte sie in allen Stücken ein Vorbild sein können – davon ist sie jedoch weit entfernt ... Charlotte ist im Grunde eine edle Natur, aber sie hat Schlacken in ihrer Seele – ich weiß es, ich werde oft genug warnend und verbietend zwischen Sie beide treten müssen.«

Hätte je ein Funken von Sympathie für diesen Mann in mir gelebt, bei seinem letzten, so rücksichtslos unumwundenen Ausspruch wäre er erloschen. Er rächte sich in diesem Augenblick bitter für Charlottens Plauderei hinsichtlich der Hinterstube – ich wußte es wohl – das war wieder einmal die hinterlistige Art und Weise der Revanche, die Dagobert so tief erbitterte ... Und zu allem gab mich Ilse diesem steifen, eingerosteten Zahlenmenschen ohne weiteres in die Hände. Er steckte mich zwischen vier Wände, ließ mich lernen, sprach von den mir am meisten verhaßten Schreibübungen, und in alles, was ich that, guckten die verabscheuten Brillengläser. Er sprach schon vom Verbieten und betonte vor allem meine schlechte Handschrift, die sich bessern müsse. Wenn er geflissentlich mein ganzes Wesen zu Widersetzlichkeit und Aufruhr reizen wollte, so konnte er kein wirksameres Mittel ersinnen, als diese verhaßten Schreibübungen, die er mir fürs erste zudiktierte. Es regte sich auf einmal etwas von der heimtückischen Schlauheit der Katze in mir.

»Sie werden mich recht viel schreiben lassen, nicht wahr?« fragte ich ganz ruhig und scheinbar unterwürfig.

»Und dazu haben Sie keine Lust,« sagte er statt aller Antwort – abscheulich! Er las mir die Gedanken vom Gesicht.

»Nein, dazu habe ich nicht die mindeste Lust!« bestätigte ich zornig. »Stecken Sie mich hinauf in die Bibliothek und lassen Sie mich lesen, und wenn ich monatelang keinen Atemzug frische Luft schöpfen und kein grünes Blatt sehen darf – meinetwegen, ich will's ertragen, ich thue es, aber schreiben! Nein! ... Es ist schrecklich, immer auf das weiße Papier zu sehen und eine krumme und gerade Linie nach der anderen hinzumalen, und unterdessen spukt und quirlt es durcheinander im Kopfe und vor den Augen, und die Füße finden keine Ruhe unter dem Tische – dann kömmt es mir siedend heiß herauf und klopft in den Schläfen, und ich springe auf und muß laufen, soweit mich meine Füße tragen!«

Er lächelte auf mich nieder. »Ich kann mir denken, daß sich Ihre ganze Natur gegen das rein Mechanische sträubt,« sagte er. »Sie wissen ja noch nicht, daß die Feder ein beseeltes und beschwingtes Wesen in unserer Hand wird, daß sie alles das, was Ihnen im Kopfe ›spukt und durcheinander quirlt‹, ausströmen kann – wer sollte Sie auch darauf hingeleitet haben! ... Aber fragen Sie doch Ihren Vater – er hat mit der Feder in der Hand der Wissenschaft unberechenbar genützt, er wird ohne sie nicht leben wollen.«

»Nun, das will ich Ihnen auch sagen, daß ich sie gerade deshalb nicht ausstehen kann,« grollte ich. »Gibt es denn etwas Schöneres als den blauen Himmel droben und die köstliche Luft und den ganzen feierlichen Sonntagmorgen? Und da sitzt mein armer, lieber Vater da oben hinter den dicken grünen Wollvorhängen, in der Bücherluft, die nach Leder- und Moderpapier riecht und schwer von Staub ist, und schreibt sich die Finger fast herunter, und hat darüber längst vergessen, wie schön die Welt ist ... Und wenn ich dann hineintrete, so fährt er empor und muß sich erst besinnen, daß ich sein Kind bin ... Meine Mutter hat auch immer geschrieben – sie hat mich nie in ihre Arme genommen und mich niemals getröstet, wenn ich geweint habe – und so will ich nicht werden, durchaus nicht!«

Wir waren währenddem in die Halle getreten und standen vor dem Korridor, in den die Thür meines Zimmers mündete. Herr Claudius nahm die Brille ab und steckte sie in die Tasche ... Und wenn es auch nur Herr Claudius war und ich ihn nicht leiden konnte, auffallend schöne Augen hatte er doch – es ging mir genau so mit ihnen, wie mit dem wolkenlosen Mittagshimmel; er sieht sanft und harmlos mild aus, und wenn man fest hineinsehen will, da senken sich die Lider tief vor dem Sonnenfeuer, das ihn durchglüht.

Jetzt schwieg ich beklommen – die Brillengläser waren mein Bollwerk gewesen; mit ihnen floh mein Mut und verkroch sich in den allerentferntesten Winkel meiner Seele. Da kreischte draußen der Kies unter Menschentritten, die sich dem Hause näherten.

»Na, das nehmen Sie mir aber nicht übel, Fräulein!« hörte ich Ilse schon von ferne sagen. »Das ist mir ja eine greuliche Mode! ... So 'ne junge hübsche Dame und raucht wie ein Schornstein!«

»Ach, Sie haben nur Angst, daß Ihnen der Tabakrauch die brillanten Pensees auf Ihrem Hute verderben könnte, Frau Ilse!« lachte Charlotte.

»Dummes Zeug – fällt mir nicht ein! Aber das sage ich Ihnen, wenn ich mir dächte, daß das Kind je solch ein Papier zwischen seine kleinen Zähne steckte – ich packte auf der Stelle mit ihm ein –«

Sie verstummte; denn sie war auf die Schwelle getreten und stand vor uns. Charlotte, die neben ihr erschien, hatte eine Papierzigarre zwischen den kirschroten Lippen, und ihr lachendes Gesicht verschwand hinter einer dicken Rauchwolke, die sie, jedenfalls Ilse zum Trotz, kräftig ausgestoßen hatte. Bei Herrn Claudius' Anblick fuhr sie aber doch sichtlich frappiert zurück; sie wurde feuerrot und nahm schleunigst die Zigarre aus dem Munde. Ihr Anblick reizte mich zum Lachen, und die Leichtigkeit und Grazie, mit der sie die Zigarre handhabte, machte sie mir nur um so interessanter.

Herr Claudius schien sie gar nicht zu bemerken.

»Sie haben recht – leiden Sie das nicht, Frau Ilse!« sagte er gelassen. »Ihrem Hute wird der Tabaksrauch nicht schaden; aber den milden, keuschen Glanz der Weiblichkeit überzieht er mit einem häßlichen Ruß.«

Charlotte schleuderte mit einer heftigen Bewegung die Zigarre hinüber in den Teich.

»Hast du die Einladungen besorgt, Charlotte?« fragte er so ruhig, als sähe er die Leidenschaft nicht, die ihr aus den Fingern zuckte und aus den Augen flammte.

»Noch nicht – Erdmann wird sie gegen Abend forttragen –«

»Dann vergiß nicht, Helldorf eine Karte zu schicken.«

»Helldorf, Onkel?« fragte sie stockend, als traue sie ihren Ohren nicht; eine hohe Glut überflog ihre Wangen.

»Ja, er soll morgen mit uns essen – hast du etwas einzuwenden gegen meine Anordnung?«

»Das weniger – aber neu ist sie mir,« versetzte sie zögernd.

Er zuckte leicht die Achseln, zog den Hut höflich vor uns und stieg die Treppe hinauf; er ging nicht in das Bibliothekzimmer – ich hörte, wie er droben eine Thür aufschloß.

»Steht denn die Welt plötzlich auf dem Kopfe!« fragte Charlotte, die bewegungslos, mit niedergesunkenen Armen stehen geblieben war und den Schritten des Hinaufsteigenden gelauscht hatte, bis das Zufallen der Thür herunterklang. »Na, gnade Gott, das wird eine allerliebste Geschichte geben! ... Ich will Hans heißen, wenn uns Eckhof morgen die Suppe nicht versalzt!«

»I, was hat sich denn der alte Buchhalter um die Küche zu bekümmern!« rief Ilse ärgerlich – der unermüdliche Morgen- und Abendsänger hatte es bei ihr gründlich verdorben.

»Liebe Frau Ilse,« lachte Charlotte, »ich will Ihnen einmal etwas sagen ... An dem Geschäftshimmel der Firma Claudius kreist eine Nebensonne, und das ist Herr Eckhof. Onkel Erich thut freilich, was er will; allein er respektiert den hochweisen Rat und die Wünsche des Herrn Buchhalters in einer Weise, daß die bescheidene Nebensonne thatsächlich regiert ... Nun ist Eckhof Helldorfs Todfeind, ob mit Recht oder Unrecht, das weiß ich nicht, geht mich auch auf der Gotteswelt nichts an und ist mir schließlich sehr egal, denn ich kenne den – Menschen nicht, rein gar nicht! Ich weiß nur, daß Helldorf bis zu dieser Stunde mit keinem Fuß die Gesellschaftsräume im Hause Claudius betreten hat, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil es Herr Eckhof nicht wünscht ... Morgen nun soll er plötzlich an einem Diner teilnehmen, das Onkel Erich zwei angesehenen amerikanischen Geschäftsfreunden gibt – Eckhof wird wüten und mit Traktätchenschwung das Gericht des Herrn herabbeschwören – denn das ist eine Auszeichnung für Helldorf, wie sie der Onkel sonst nur hochehrwürdigen Glatzen oder weltberühmten Firmen gönnt ... Ich sage Ihnen ja, die Welt steht auf dem Kopfe, und es soll mich gar nicht wundern, wenn die steinernen Männer dort,« sie zeigte nach der Gruppe inmitten des Teiches, »aufstehen, ihre Reverenz machen und uns versichern, daß wir schöne Mädchen sind!«

Ich mußte lachen und auch Ilse schmunzelte wider Willen.

»Was thut denn Herr Claudius im oberen Stockwerk?« fragte ich – es wollte mir durchaus nicht in den Kopf, ja, ich ärgerte mich darüber, daß »der Krämer«, wie ihn mein Vater nannte, das Reich der Wissenschaft betrat.

»Er kramt jedenfalls zwischen seinen Fernrohren ... Haben Sie denn die zwei Auswüchse auf der Karolinenlust noch nicht gesehen? Der eine bildet die Kuppel im Antikenkabinett, und den anderen hat sich der Onkel zur Sternwarte eingerichtet ... Nicht wahr, das sieht aus, als hätte er auch höhere Interessen? Glauben Sie's um Gottes willen nicht – die Beschäftigung läuft ganz auf eines hinaus, er zählt droben am Himmel die blanken Goldstücke, wie die Thaler auf dem großen Kontor-Zahltisch.«

Sie griff in die Tasche und zog ein kleines, schmales Paket hervor. »Und nun, weshalb ich gekommen bin. Hier sind die Strümpfe – ein Dutzend – die ich für Sie aus R. verschrieben habe – sie sind eben eingetroffen und morgen bringt die Schneiderin den Anzug.«

»Lassen Sie sich doch nicht anführen, Fräulein; das ist doch sein Lebtag kein Dutzend!« rief Ilse und wog das Päckchen auf ihrer breiten Hand; es hatte genau den Umfang wie ein einziges Paar der berühmten Heidschnuckenstrümpfe. Sie schlug das umhüllende Papier zurück, ein wunderfeines, zartes Spitzengewebe quoll heraus.

»So – na, das ist ja recht schön!« sagte sie grimmig. »Da kann die Kleine auch in K. halb barfuß laufen ... Das sind mir ja recht vornehme Dinger, die kommen nie auf die Waschleine – nach dem ersten Spaziergang fliegen sie in die Lumpenkiste ... O weh, meiner armen Frau ihr Geld!«

Sie schritt spornstreichs nach dem Wohnzimmer.

»Lassen Sie sich nicht irre machen, Kleine,« sagte Charlotte in ihrem bestimmten Ton. »Ich trage jahraus, jahrein keine anderen, und wenn zehnmal Fräulein Fliedner über diese sogenannte Verschwendung ihre kleine Nase rümpft ... Ich habe nun einmal eine empfindlich feine Pariser Haut, und Sie müssen Ihrer Stellung Rechnung tragen, und damit basta!«

Sie huschte fort, und ich ging mit etwas ängstlichem Herzen Ilse nach. Sie hatte Hut und Gesangbuch abgelegt und stand eben mit dunkelgerötetem Gesicht vor dem Blumentisch in meinem Zimmer. Er sah schlecht und vernachlässigt aus. Ich hatte die Blumen von vornherein mit ungünstigen Augen angesehen und begoß sie nicht, obgleich mir Ilse streng dieses Geschäft zugewiesen hatte. Jetzt hingen die prachtvollen Blüten verschmachtend die Kelche nieder.

Ilse sagte kein Wort und zeigte nur mit dem Finger auf mein Werk, und da kam der Widerspruchsgeist und Trotz über mich.

»Ei, was geht mich denn der Tisch an?« sagte ich grollend. »Ich sehe gar nicht ein, weshalb ich mich mit den Blumen abquälen soll. Ich habe sie gar nicht von Herr Claudius verlangt – weshalb stellt er sie denn durchaus in mein Zimmer! Nun mag er sie auch pflegen lassen!«

»So ist's recht – es wird ja immer schöner!« sagte sie mit tonloser Stimme. »Spitzen an den Füßen und ein undankbares Herz. Leonore, auf den Dierkhof kommst du nicht wieder zurück, und – ich will dich auch gar nicht haben!«

Ich schrie laut auf und warf mich an ihre Brust – ihre Stimme hatte mir wie ein Dolch das Herz zerschnitten.

»Täubchen hat dich die Großmutter genannt,« fuhr sie unerbittlich fort; »ein schönes Täubchen! ... Wenn sie's nur gewußt hätte, was in dir steckt, da würde sie dich wohl –«

»Teufel genannt haben,« ergänzte ich zornig und tief erbittert gegen mich selbst. »Ja, ja, Ilse, das bin ich – ich habe ein böses, schwarzes Herz; aber ich hab's ja gar nicht gewußt, und nun überrumpelt es mich immer.«


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