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Am folgenden Morgen wurden wir mit Tagesanbruch durch die schrillen Pfeifen des Hochbootsmanns und seinem Gehülfen aufgeschreckt, welche Alles zum Ablösen riefen. Der Pilot war an Bord und der Wind günstig. Da die Fregatte nicht Anker geworfen hatte, sondern nur an den Tauen im Strome hing, hatten wir nichts zu thun, als loszubinden und anzuholen. In weniger als einer halben Stunde hatten wir alle Segel beigesetzt und fuhren gegen das letzte Viertel der Fluth. Tom und ich, wir waren auf dem Gange geblieben und sahen dem geschäftigen Treiben zu, ohne daran Theil zu nehmen, als der erste Lieutenant; nachdem das Schiff unter Segel gesetzt war, den Befehl gab, die Taue niederzuringeln.
»Ich meine, wir können auch helfen, Jacob,« sagte Tom, den großen Hals, welcher hinten heraufgewunden war, ergreifend und ihn nach vorn haltend.
»Von Herzen gern,« erwiederte ich und holte ihn vorwärts, während er ihn aufschoß.
Wie wir so beschäftigt waren, kam der erste Lieutenant auf's Vorschiff und erkannte uns.
»So gefällt mir's Bursche,« sagte er, »Ihr murret nicht, wie ich sehe, und das will ich nicht vergessen.«
»Ich hoffe, Sie werden nicht vergessen, daß wir Lehrlinge sind, Sir,« versetzte ich, »und uns erlauben, an's Land zu gehen.«
»Ich habe ein entsetzlich schlechtes Gedächtniß für solche Dinge,« war seine Antwort, als er nach dem Vorderkastell ging. Indessen vergaß er es nicht, uns an diesem Abende Lebensmittel zutheilen zu lassen und unsere Namen mit Bleistift in die Schiffsbücher einzuschreiben, obschon wir noch keinem Tische oder Maste zugetheilt wurden.
Am folgenden Morgen ankerten wir in den Dünen. Nachmittags sprang ein heftiger Wind auf und man konnte nur durch Signale mit dem Lande verkehren. Am dritten Tage legte sich der Wind etwas und nun gab man das Zeichen zum Ankerlichten und Abholen des Kapitäns. Mittlerweile kamen mehrere Boote vom Lande, und eines davon hatte einen Briefträger an Bord. Ich erhielt Briefe von Herrn Drummond und Herrn Turnbull, worin sie mir versprachen, sich sogleich an die Admiralität zu wenden, um meine Freilassung auszuwirken; auch von Marie kam ein Schreiben, das halb an mich, halb an Tom gerichtet war. Stapleton hatte Tom's Kahn genommen und war mit meinen Kleidern zum alten Beazeley hinabgefahren, welche sofort mit Tom's Kleidern nach Deal geschickt wurden. Tom erhielt einen Brief von seiner Mutter, der zur Hälfte von ihr, zur Hälfte von seinem Vater geschrieben war; indeß will ich den Leser nicht mit dem Inhalte desselben langweilen, da er sich vorstellen kann, was man bei solchen Gelegenheiten zu sagen hat.
Bald darauf kamen unsere Kleider an Bord, welche Tom's Vater einem alten Schiffskameraden zur Besorgung geschickt hatte. Wir befanden uns kaum in deren Besitz, als der Signalmatrose die Ankunft des Kapitäns meldete. Es waren so viele Matrosen auf der Fregatte, welche den Kapitän noch nie gesehen hatten, daß die Mannschaft keine geringe Neugierde verrieth, aus dem »Schnitte seines Klüvers«, das heißt, aus seiner äußeren Erscheinung, Folgerungen zu ziehen, was sie von einem Manne zu erwarten hätte, der die unumschränkte Gewalt hatte, sie glücklich oder elend zu machen. Ich sah mit Tom zu einer Hauptdeckpforte hinaus, als das Boot heranruderte, und war eben im Begriff, die äußeren und sichtbaren Merkmale des Kapitäns in Augenschein zu nehmen, als meine Aufmerksamkeit durch das Gesicht eines neben ihm sitzenden Lieutenants erregt wurde, den ich augenblicklich erkannte. Es war Wilson, der das Ruder gesponnen und den Kahn zum Sinken gebracht hatte, bei welcher Gelegenheit ich, wie sich der Leser erinnern wird, meine Freunde, den Oberbuchhalter und den Commis vom Tode rettete. Ich war entzückt über diesen Anblick, da ich hoffte, der Lieutenannt werde sich zu unsern Gunsten verwenden. Die Pfeife des Hochbootmanns widerhallte im Echo, als der Kapitän die Schiffswand emporstieg. Er erschien auf dem Hinterdeck und alles nahm den Hut ab, um ihm seine Ehrfurcht zu bezeigen. Die Marinesoldaten präsentirten das Gewehr und ihre Offiziere neigten die Spitze ihrer Degen gegen ihn. Als Erwiederung dieses Grußes ergriff der Allgewaltige die oberste Ecke seines Stülphutes mit zwei Fingern und dem Daumen, hob ihn einen Zoll weit vom Kopfe und setzte ihn wieder auf, indem er den Marineoffizieren die Weisung ertheilte, die Wache zu entlassen. Während er mit dem ersten Lieutenant auf- und abging, hatte ich Gelegenheit sein Aeußeres zu betrachten. Er war ein großer, sehr starkknochiger, hagerer Mann mit außerordentlich breiten Schultern, die eine herkulische Stärke verriethen (welche er auch nachher im hohen Grade entwickelte). Sein Gesicht entsprach den großen Verhältnissen seines Körperbaues; seine Züge waren hart, seine Augen durchdringend, seine Nase zwar kühn, aber dennoch hübsch und sein großer Mund mit den glänzendsten Reihen breiter Zähne besetzt, die ich je gesehen hatte. Nicht sowohl Strenge, als vielmehr Entschlossenheit sprach sich in seinem Gesichte aus. Wenn er lächelte, hatte es einen angenehmen Ausdruck. Seine Geberden und seine Sprache war voll Nachdruck und unter seinen Elephantentritten erzitterten die Schiffsplanken.
Er war ungefähr zehn Minuten an Bord, als er dem ersten Lieutenant auftrug, die Mannschaft heraufzurufen, – und das gesammte Schiffsvolk mußte sich auf die Backbordseite des Hinterdecks aufstellen. Es betrachtete ihn mit der Scheu, mit welcher eine Heerde Schafe einen fremden bissigen Hund anstarrt.
Nachdem Alle versammelt waren, redete er sie also an:
»Meine Bursche, da es sich so trifft, daß wir uns alle denselben Planken vertrauen müssen, so ist es gut, wenn wir einander verstehen. Es gefällt mir, wenn meine Offiziere auf ihre Pflicht achten und sich als Gentlemen betragen. Es gefällt mir, wenn meine Matrosen gute Mannszucht halten und thätig und nüchtern sind. Was mir gefällt, das will ich haben, Ihr versteht mich. Jetzt,« fuhr er, eine strenge Miene annehmend, fort – »jetzt blickt mir ins Gesicht und seht, ob ihr mit mir spielen zu können glaubt.«
Die Matrosen blickten ihm ins Gesicht und sahen, daß sie keine Aussicht hatten, mit ihm spielen zu können; – eine Ueberzeugung, die sie in ihren Mienen ausdrückten. Der Kapitän schien durch diese stumme Anerkennung befriedigt; um ihnen wieder Muth zu machen, lächelte er, und zeigte seine weißen Zähne, worauf er dem ersten Lieutenant die Weisung gab, die Mannschaft hinunterzupfeifen.
Sobald dieser Auftritt vorüber war, ging ich zu dem Lieutenant Wilson, welcher auf dem Hinterdeck stand, und redete ihn mit den Worten an:
»Vielleicht erinnern Sie sich meiner nicht mehr, Sir, aber wir trafen uns eines Abends, als Sie mit einem Nachen untersanken und nach meinem Namen fragten.«
»Ich erinnere mich desselben, Bursche: Ehrlich, – nicht wahr?«
»Ja, Sir.« Und nun setzte ich ihm unsere Lage auseinander, indem ich ihn um seinen Beistand bat.
Er schüttelte den Kopf. »Unser Kapitän,« sagte er, »ist ein sonderbarer Mann. Er hat einen überwiegenden Einfluß, und wagt es, mehr als irgend Jemand in der Flotte, den Gesetzen der Admiralität zu trotzen. Wenn ein Admiralitätsbefehl zu Eurer Entlassung herabkäme, so würde er ihm gehorchen, aber um die allgemeinen Bestimmungen bekümmert er sich wenig. Zudem gehen wir in einer Stunde unter Segel. Indeß will ich mit ihm sprechen, wiewohl ich wahrscheinlich eine Schlappe über die Knöchel bekommen werde, da es die Sache des ersten Lieutenants ist und nicht die meinige.«
»Aber wie wäre es, Sir, wenn Sie den ersten Lieutenant bäten, für uns zu sprechen?«
»Wenn ich auch mit ihm spräche, so würde er es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht thun; die Matrosen haben einen zu großen Werth und der erste Lieutenant weiß, daß es dem Kapitän nicht gefallen würde, Euch zu entlassen. Er würde deßhalb nichts sagen, bis es zu spät wäre, und dann alle Schuld auf sich nehmen, als hätte er die Sache vergessen. Unser Kapitän hat einen so großen Einfluß, daß seine Empfehlung allein hinreichen würde, uns morgen Commandeursrang zu verschaffen, und wir müssen Alle für uns selbst Sorge tragen. Indeß will ich's versuchen, wiewohl ich Euch sehr wenig Hoffnung machen kann.«
Herr Wilson trat vor den Kapitän, welcher immer noch mit dem ersten Lieutenant auf- und abging, berührte seinen Hut und trug die Sache vor, indem er als Entschuldigungsgrund anführte, daß er mit mir bekannt sei.
»Nun, wenn der Bursche ein Bekannter von Ihnen ist, Mr. Wilson, so müssen wir die Sache freilich entscheiden,« versetzte der Kapitän mit spöttischer Höflichkeit. »Wo ist er?«
Ich trat vor, und Tom folgte mir. Wir setzten unsern Fall auseinander.
»Es gefällt mir immer, wenn die Leute aus dem Zustande der Ungewißheit herausgerissen werden,« sagte der Kapitän, »er macht sie nur verwirrt – also hört mich an: Wenn ich zufälliger Weise Jemand vom königlichen Blut gepreßt hätte, und der König und die Königin und alle Prinzessinnen auf ihre Knie vor mir niederfielen, ich würde ihn behalten, so lange nicht ein Admiralitätsbefehl zu seiner Entlassung käme. Wißt Ihr nun, woran Ihr seid, Bursche? Dann wandte er sich an Herrn Wilson und sagte: »Es würde mir angenehm sein, wenn Sie mir die Gründe angeben wollten, aus denen Sie es wagten, zu Gunsten dieser Bursche einzutreten, und ich hoffe, Ihre Erklärung wird befriedigend ausfallen. Herr Knight,« fuhr er zum ersten Lieutenant fort, »schicken Sie diese jungen Leute hinunter, und theilen Sie Ihnen Wache und Posten zu.«
Wir gingen die Gangtreppen hinab und achteten auf das Gespräch zwischen dem Kapitän und Herrn Wilson, denn wir befürchteten, er hätte sich durch seine Verwendung nichts Gutes bereitet. Aber als es vorüber war, schien der Kapitän zufrieden und Herr Wilson ging mit heiterer Miene weg. Wie ich nachher fand, gereichte es mir zu nicht geringem Nutzen. Die Matrosen wurden zum Essen gepfiffen; nach dem Mahle lichteten wir die Anker und setzten die Segel bei. So waren wir also förmlicher oder vielmehr unförmlicher Weise in Seiner Majestät Dienst eingeschifft.
»Nun, Tom,« sagte ich, »mit Weinen gewinnt man nichts, und geschehene Dinge lassen sich nicht ändern. Hier sind wir einmal; laßt uns also thun, was wir können, um uns Freunde zu machen.«
»Das ist gerade auch meine Ansicht, Jacob. Hängt die Sorge, sie hat die Katze umgebracht; ich will mein Bestes thun, und ich sehe nicht ein, warum wir hier nicht eben so guter Dinge sein sollten, als irgendwo anders. Der Vater sagt, wir können überall glücklich sein, wenn wir unsere Pflicht erfüllen, und ich gedenke, die meinige nicht zu versäumen. Je mehr, desto lustiger, heißt es, und ich lasse mich hängen, wenn wir hier nicht unserer genug sind.«
Ich brauche kaum zu bemerken, daß wir uns in den drei oder vier ersten Tagen nicht sehr behaglich fühlten. Wir wurden der siebenten Tischgesellschaft und dem Vortop zugetheilt; denn ob wir gleich nicht regelmäßig zu Matrosen erzogen worden waren, so hatte doch der erste Lieutenant diese Verfügung getroffen, indem er sagte, er sei überzeugt, daß es in wenigen Wochen keine gewandteren Bursche an Bord geben werde.
Bald hatten wir den Kanal hinter uns, und Alles war äußerst neugierig, den Ort unserer Bestimmung zu erfahren, der in diesem beinahe ganz vereinzelten Falle geheim geblieben war, wiewohl sich nachher gewisse Muthmaßungen als richtig ergaben. Bei den gegenwärtigen Einrichtungen gibt es einen Umstand, aus dem unzweideutig hervorgeht, ob ein Schiff auf eine entfernte Station oder zu heimischem Dienste bestimmt ist – ich meine damit die Ausstattung mit Vorräthen und Lebensmitteln, welche, je nach der Station, für die ein Schiff bestimmt ist, anders ausfällt, so daß man mit Gewißheit errathen kann, wohin es geht. Dies ist ein schlimmer, aber doch leicht zu hebender Uebelstand; denn würde jedes Schiff, sei es zu heimischem oder fremdem Dienste bestimmt, wie zu fremden ausgerüstet, so könnte Niemand errathen, wohin es zu segeln im Begriff steht. Als die Flottenverproviantirungscommission noch bestand, war es unmöglich, ein Geheimniß daraus zu machen; jetzt aber, nachdem dieses Collegium abgeschafft ist, konnte man ohne große Mühe diesen Zweck aufs Vollständigste erreichen.
Die Immortalité war ein sehr schnell segelndes Schiff, und als der Kapitän (dessen Namen ich anzugeben vergessen habe – er hieß Hector Maclean), seine versiegelte Ordre öffnete, ergab sich's, daß wir zwei Monate lang zwischen den westlichen Inseln und Madeira kreuzen sollten, um einigen Kapern aufzulauern, welche viele von unsern Westindienfahrern auf der hohen See weggenommen hatten, wiewohl sie unter starker Bedeckung segelten. Dann sollten wir vor Halifax zum Admiral stoßen und eine Fregatte ablösen, die sich schon viele Jahre auf dieser Station aufgehalten hatte. In einer Woche waren wir auf unserem Posten. Das Wetter war schön, und der ganze Tag wurde dazu verwendet, die Mannschaft in der Behandlung des Geschützes, wie auch des Kleingewehrs, einzuüben, Segel setzen und verkürzen, Topsegel einreffen und das Schiff manövriren zu lassen. Der Kapitän gab seine Sache nicht leicht auf; und oft mußten wir zwanzigmal hintereinander Segel setzen oder verkürzen, bis er zufrieden gestellt war.
»Meine Bursche,« sagte er zu der Mannschaft, nachdem er sie hatte auf das Verdeck rufen lassen, »das habt ihr ziemlich gut gemacht; ihr habt nur zwei Minuten dazu gebraucht, – nicht übel für eine frische Mannschaft, aber es gefällt mir, wenn es in anderthalb Minuten geschieht. Wir wollens noch einmal versuchen.«
Und es ward noch einmal versucht, bis es in anderthalb Minuten ausgeführt wurde. Dann sagte der Kapitän:
»Ich wußte wohl, daß ihr's könnt, und da ihr's Einmal gethan habt, so könnt ihr es natürlich auch ein andermal.«
Tom und ich blieben unsern guten Vorsätzen getreu. Wir waren so thätig und rührig, als wir nur sein konnten, und Mr. Knight, der erste Lieutenant, machte den Kapitän auf uns aufmerksam. Sobald man die Leistungen der verschiedenen Matrosen kennen gelernt hatte, nahm man einige Veränderungen in den Wachen und Posten, so wie auch in dem Rang auf den Schiffslisten vor, bei welcher Gelegenheit Tom und ich zu zweiten Vortopkapitäns, der Eine am Steuerbord, der Andere am Backbord, gemacht wurden. Dies war eine um so größere Beförderung für so junge Bursche, da wir nicht zu regelmäßigen Matrosen erzogen worden; aber es war der Lohn der Thätigkeit und des Eifers, den wir an den Tag legten. Tom war der Liebling Aller; er hatte immer einen Schwank in Bereitschaft und war zu jedem tollen Streich aufgelegt; überdies pflegte er den Kapitän nachzuahmen, was kein Anderer wagte. Indessen getraute er sich doch selten, seine mimischen Darstellungen unten zu geben, sondern er wählte gewöhnlich den Vortop zu seinen Erörterungen über das, was ihm gefiel. Eines Tages nahmen wir uns beide die Freiheit heraus, aber es war bei einer Gelegenheit, welche es entschuldigte. Tom und ich saßen hinten in der Jolle und besserten etwas am Zeuge, denn wir gehörten damals zum Boote, ob wir gleich später in den Kutter versetzt wurden. Die Fregatte ging etwa vier Knoten durchs Wasser, und die See war ziemlich glatt. Einer der Marinesoldaten fiel aus den Fockputtingen über Bord. Sogleich hieß es, »Mann über Bord!« und Alles war eifrig beschäftigt, den Steuerbordkutter mit der Eile niederzulassen, die in solchen Fällen erforderlich ist. Der Kapitän stand hinten auf dem Signalkasten, als der Soldat nach dem Stern getrieben wurde; der arme Bursche konnte nicht schwimmen, und Tom wandte sich zu mir mit den Worten: »Jacob, es würde mir gefallen, den Burschen zu retten,« und sprang alsbald über Bord.
»Und mir würde es gefallen, dir zu helfen, Tom,« rief ich und folgte.
Der Kapitän stand dicht hinter uns und hörte Beides. Wir hielten den Soldaten leicht zwischen uns über dem Wasser, und ehe eine Minute verging, hatte das Boot alle drei an Bord. Als wir die Schiffswand heraufstiegen, stand der Kapitän auf dem Gange. Er zeigte uns seine weißen Zähne und schüttelte sein Fernrohr gegen uns.
»Ich habe euch Beide gehört,« sagte er, »und es würde mir gefallen, noch mehr solche unverschämte Bursche zu haben, als ihr seid.«
Wir kreuzten immer noch und spähten unaufhörlich nach den Kapern, aber ohne Erfolg. Endlich legten wir in Madeira an, um zu recognosciren, und erfuhren dort, man hätte sie weiter südlich gesehen. Das Gallion wurde nach Süden gerichtet, bis wir den canarischen Inseln gegenüber lagen. Auf dieser Höhe angekommen, kreuzten wir ostwärts und westwärts, nordwärts und südwärts, wie es dem Wind, den Wellen und dem Kapitän gefiel. Bereits waren sieben Wochen von der festgesetzten Zeit verstrichen und immer hatte sich noch nichts gezeigt. Da versprach der Kapitän demjenigen fünf Guineen, der die Gegenstände unserer Verfolgung zuerst entdecken würde. Tom, ich und viele Andere erkletterten alle Augenblicke die Mastspitze und sandten unsere Blicke in die Ferne; nicht weniger aufmerksam zeigten sich die beorderten Mastwächter.
Durch die unaufhörliche Uebung war die Schiffsmannschaft jetzt trefflich eingeschult; alle Abende wurden die Matrosen zur »Feldlerche,« das heißt zum Spiel und zur Erholung heraufgerufen. Unter den Unterhaltungsspielen zeichnete sich besonders eines durch die große Fröhlichkeit aus, zu der es Veranlassung gab. Da es die Matrosen gewandt machte, gefiel es besonders auch dem Kapitän. Es hieß »Folgt meiner Führung«. Einer von den Matrosen ist der Führer, und wer Lust hat, folgt ihm; bisweilen schließen sich vierzig bis fünfzig an. Was der Führer thut, müssen alle Uebrigen nachmachen; und wohin er immer geht, müssen sie ihm folgen. Tom, der immer der erste war, wenn es einen Spaß galt, war eines Tags Führer. Nachdem er das Takelwerk erklettert hatte, legte er sich auf die Raaen hinaus, schwang sich an den Topenanten wieder herein, rutschte auf den Etagen von Mast zu Mast, glitt an den Hinterstagen nieder und schwärzte sein Gesicht im Rauchfang, während ungefähr dreißig Mann mit Geschrei und Gelächter alle seine Bewegungen nachahmten. Die Offiziere mit der übrigen Mannschaft sahen zu und bewunderten ihre Behendigkeit. Plötzlich fuhr Tom ein ganz neuer Gedanke durch den Sinn. Es war ungefähr sieben Uhr Abends und eine Windstille eingetreten; Tom kletterte wieder am Takelwerk empor, und legte sich gegen die große Nocke hinaus. Ich und die Uebrigen folgten, und wie er am Backeneisen war, richtete er sich empor, hielt sich am Schwungtau, rief: »Folgt meiner Führung« und sprang von der Nocke in die See. Ich war der zweite und folgte ihm mit dem Rufe: »folgt unserm Führer!« die Uebrigen thaten deßgleichen, mochten sie schwimmen können oder nicht, denn es war ein Ehrenpunkt, nicht zurück zu bleiben.
Der Kapitän kam eben die Treppe herauf, als er einen Mann hinabspringen sah. Es war Tom. Er glaubte, er sei über Bord gefallen, aber wie sehr erstaunte er, als ihm zwanzig bis dreißig Mann zu zweien und dreien folgten, bis endlich die halbe Mannschaft über Bord war. Er glaubte, sie seien vom Teufel besessen, wie die Heerde Schweine in der heiligen Schrift. Viele, die nicht schwimmen konnten, aber zu stolz waren, um zurückzubleiben, liefen Gefahr, zu ertrinken. Der Lieutenant war genöthigt, den Kutter niederzulassen, um sie aufzufangen, und alle wurden wieder an Bord gebracht.
»Ein verdammter Bursche,« sagte der Kapitän zum ersten Lieutenant; »er ist immer vorn, wenn es einen tollen Streich gibt. Ja wohl da, folgt meiner Führung! Ruft Tom Beazeley.« Wir Alle weissagten Tom nichts Gutes. »Horch, Bursche,« sagte der Kapitän, »ein Scherz ist ein Scherz, aber es kann nicht Jeder schwimmen, wie du. Ich mag wegen deiner Tollheiten keinen meiner Matrosen auf's Spiel setzen; versuche es also nicht wieder – es gefällt mir nicht.«
Jedermann war der Meinung, Tom sei sehr wohlfeilen Kaufes weggekommen; aber er war der Liebling des Kapitäns, wiewohl Letzterer es nie offen an den Tag legte.
»Ich bitte um Verzeihung, Sir,« versetzte Tom scheinbar mit großer Demuth, »aber sie waren alle so schmutzig, weil sie sich im Rauchfang geschwärzt hatten; deßhalb dachte ich, ein bischen Waschen könnte ihnen nichts schaden.«
»Entferne dich, Bursche, und vergiß nicht, was ich dir gesagt habe,« erwiederte der Kapitän, sich abwendend und seine weißen Zähne zeigend.
Ich hörte den ersten Lieutenant zum Kapitän sagen: »Er wiegt zehn Mann auf dem Schiffe an. Er macht Alle lebendig und munter, und geht ihnen mit dem besten Beispiele voran.«