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Durch des Felsentores dunkeln Bogen
Schreitet Balder in das Tal der Stille,
Leises Lächeln auf den blassen Lippen.
Grau Gestein umragt die öde Straße,
Türmt sich nackt empor zum grauen Himmel,
Und in lautlos müden Wirbeln wälzet
Breit und träg der Fluß die grauen Wellen.
Keine Tanne säumt die kahlen Ufer
Und kein Halm entsprießt den glatten Mauern,
Keines Vogels Schrei durchbricht der Stille
Dumpfe Schwere, nur im Staub des Pfades
Künden Spuren, die kein Wind verwischet,
In der toten Zeichen stummer Sprache
Von den tausend hoffnungslosen Schritten,
Welche diesen letzten Weg gegangen.
Balder wandert. Seine Augen spähen
Auf zum Himmel und den grauen Wolken,
Ob die Nacht das fahle Licht nicht lösche,
Ob kein Stern von hohem Felsen blinke
Und kein Wind die Nebelschwaden scheuche.
Und er wandert weiter, Stund um Stunde,
Weiter mit dem trägen, trüben Flusse,
Weiter an den starren, steilen Felsen,
Und kein Morgenlicht und keine Sonne
Sickert nieder in die graue Oede,
Selbst der Schatten ist von ihm gewichen,
Alle Zeit in Ewigkeit zerfallen,
Tag und Nacht gelöst in ewige Dämmrung. –
Müd am Wegrand kauern zwei Gestalten,
Mann und Weib, und heben leis ihr Antlitz
Von den matten Knieen auf zum Wandrer,
Menschenantlitz, wie ein Buch des Leidens,
Von erbarmungsloser Hand geschrieben,
Mit des Schicksals harter Faust gezeichnet.
Und der Alte spricht in tiefem Staunen:
»Früh am Tage bist du aufgebrochen
Zu der fernen Reise, die wir andern
Spät am Abend erst begonnen haben.
Darum, siehe, sind wir müd geworden
Unter diesem bleigrau harten Himmel,
Und ich weiß nicht, sind wir Jahr und Tage
Oder Stunden nur vielleicht gegangen,
Und ich weiß nicht, wo das Ziel uns wartet,
Da wir uns zum Schlafe legen dürfen.
Schau die Hände an –: sie wollen ruhen;
Unser Leib ist welk wie Laub im Herbste
Und er folgte gern dem leisen Rufe,
Der ihn löste von des Lebens Mühsal.
Aber du, den Jugend schmückt und Stärke,
Warum gehst auch du den Pfad des Todes?
Dich hat seine Hand zu früh getroffen,
Eines Blinden Hand, die dunkel tastet.«
Aber lächelnd beugt sich Balder nieder
Und mit seinen starken Armen hebt er
Aus dem Staub die müden Wandrer beide,
Und sie schreiten alle langsam weiter,
Wortlos durch die große, graue Stille.
Da – auf einmal weicht der Fels zur Seite,
Breit vor ihnen liegt ein Sandgefilde
Bleich im blassen Licht, der Strand des Meeres.
Und die Wandrer stehn, und ihre Blicke
Gleiten suchend in die leere Weite –:
Well um Welle drängt sich ans Gestade,
Wirft vom Nacken ihre Silberkette
In den feuchten Sand und sinkt zusammen,
Aber tausend neue drängen vorwärts,
Wo die eine ihrer Last erlegen;
Ungezählt und ewig gleich entquillt es
Grauen Nebelwolken in der Ferne,
Die sich schlafend auf der Flut gelagert,
Und wie eine lange, leise Klage
Schwebt es hauchend übers bleiche Sandfeld,
Hallt es wider von den starren Klippen.
Horch –: wie süßer Sang von Silbersaiten
Leis Geriesel einer klaren Quelle,
Sprudelnd springt aus enger Felsenritze
Kühler Schimmerstrahl und sickert nieder
In des Sandes flache, glatte Schale.
Gierig recken Mann und Weib die Arme,
Knieen hin und beugen sich zur Quelle,
Schöpfen mit den hohlen Händen Labung,
Und es trinken lange ihre Lippen.
Aber Balder steht am Strand und spähet
Weit hinaus ins Spiel der grauen Wogen –
Und der Alten Hände sinken nieder,
Und sie seufzen auf und wollen sprechen
Und sie meiden eins des andern Auge
Und sie schreiten zaudernd von der Quelle.
Leise murmeln scheu des Weibes Lippen:
»Denkst auch du des Brunnens hinterm Hause,
Den du selber aus der Erde grubest?
Süß wie diese Quelle war sein Wasser –.
Möchte wissen, wer es heute trinket?«
Und der Mann verhüllt sein Antlitz schweigend.
»Denkst du auch der jungen Silberbirken,
Die im Halbring um den Brunnen standen?
Schwach wie Halme waren sie im ersten,
Harten Winter, aber rank und ragend,
Da wir sie – zum letztenmal gesehen.«
Stöhnend reckt der Mann die alten Arme.
»Und der Acker, den aus steiniger Halde
Du an manchem heißen Tag gebrochen,
Und der Wald, den wir zurückgeschoben,
Und der Bach, dem wir das Bett gegraben,
Und das Haus –, gedenkst du unsres Hauses?
Warum mußten wir es jetzt verlassen,
Jetzt, im Frühling, da die Blumen alle
In den Fenstern leuchteten und prunkten?
Eben hatte sich die Saat gehoben
Aus der Scholle, und die Linde blühte –.«
Eng verschlungen ihre müden Arme,
Kauern Mann und Weib am Ufer nieder.
Welke Wange liegt auf schwacher Schulter,
Greisenhand auf zitternd kaltem Herzen;
Ihre Augen schauen nicht die Wellen
Mit den silberfunkelnden Geschmeiden,
Ihre Ohren lauschen nicht dem Liede,
Das gedämpft die Klippen widersingen,
Lauschen nur des Herzens armer Sehnsucht,
Schauen nur des Heimwehs reiche Träume.
Und die Lippe hat den Fluch vergessen,
Segnet nur: »O hartes, hartes Leben –,
Wer dich einmal noch genießen dürfte!«
Und sie lächelt leis im letzten Wunsche. –
»Auf, ihr zagen, müden Weggefährten!
Mut! Ein Segel seh ich ferne flattern,
Seh es gleiten aus den grauen Nebeln;
Hastig, wie ein schwarzer Wasservogel,
Stößt es dunkel vorwärts durch die Wogen.«
Wie ein Fels, an den die Wellen branden,
Hochgereckt steht Balder, und sein Auge
Folgt dem Flug des schattenschnellen Seglers.
»Sei willkommen, unbekannter Färge!
Sicher steuert deine Faust und ruhig
Durchs Gewoge dieser grauen Wüste.
Hat dich unser Sehnen hergerufen
Von dem fernen Strande, den ich ahne
Und nach dem mein Herz begehrt, das müde?«
Schaukelnd legt das Boot sich an die Küste.
Schlaff am Mast hernieder sinkt das Segel,
Und der schwarze Wimpel flattert leise.
Rank am Steuer ragt der greise Färge,
Und sein Blick, so blank wie eisblau Wasser,
Grüßt in stummem Staunen Balders Augen.
»Deines Herzens Ruf hab ich vernommen,
Blonder Jüngling, durch der Wogen Brandung,
Und er hat mein immer waches Segel
Hergeführt an diese stille Küste.
Aber ahnest du, was hinter jenen
Grauen Wolkenschleiern sich verhüllet?
Keinen trug mein Boot vom fernen Strande
Je zurück, wo alle Wünsche schweigen.«
»Sind nicht alle Wünsche, die mich hielten,
Längst verstummt auf diesem stillen Wege,
Einer nach dem andern abgefallen
Wie im Herbst vom Baum die welken Blätter?
Und die beiden müden Weggefährten,
Die des Schicksals Faust auf ihrem Nacken
Wie ein hartes Joch ein langes Leben
Lang geduldet, – welche Wünsche, glaubst du,
Möchten wieder sie zurück verlocken?«
Leise lächelnd spricht der greise Färge:
»Wecke sie, die müden Weggefährten,
Heiße sie zur letzten Fahrt sich rüsten!
Hier an diesem Strande hebt des Schicksals
Faust sich von dem tiefstgebeugten Nacken,
Denn dort drüben wohnt der Schicksalslose,
Wohnen, die des Schicksals Ring geschlossen
Und erfüllt und ausgemessen haben.«
Zu den schlummernden Gefährten schreitet
Balder, legt die Hand auf ihre Schulter,
Schüttelt sie und will die Müden rufen.
Aber starren Fels umklammern staunend
Seine Finger, taub Gestein erwecken
Nimmer seine Worte aus dem Schlafe.
»Gleichen Weg wie Tausende vor ihnen
Sind auch sie durch dieses Tal gewandert,
Gleicher Schrei nach traumlos ewiger Ruhe
Stieg aus ihrer und der andern Mattheit
Steil empor und strahlte wie ein Feuer
Weisend weit voran auf dunkelm Pfade.
Aber horch –: ein letztes Wünschlein wimmert
Scheu verborgen in dem ärmsten Herzen.
Und der Mund, von aller Qual verbittert,
Beugt sich dennoch, dennoch durstig nieder
Zu der Quelle, die vom Leben singet,
Und sie trinken gierig langen Zuges
Alle Sehnsucht wieder, die sie müde
Von sich weggeworfen, alle Hoffnung,
Die der plumpe Schritt der Not zertreten,
Und sie werden groß und still vor Heimweh
Nach dem fernen, nicht erfüllten Leben,
Nach der allzu früh verlassnen Heimat.
Schaue sie, die müden Weggefährten,
Lege deine Hand an ihre kalten,
Starren Glieder, an das abgeworfne
Streitgewand der fesselfreien Seele:
Schon zerbröckelt es in Staub und mischt sich
Mit dem Sand des totenstillen Strandes.
Auf den Schwingen ihrer Sehnsucht aber
Schwebt dem neuen Schicksal zu die Seele,
Letzter Wunsch ist neuer Ernte Saatkorn,
Schlüssel zu dem Tor des neuen Lebens.«
Unbekanntes Lied durchflutet Balder
Dunkler Sang von nie geahnter Süße,
Tausendstimmig und ein einziger Wohlklang.
Und er faltet vor der Brust die Hände
Und er spricht in brünstig leisem Beten:
»Das ich nie gekannt in meiner Armut,
Nie geliebt, bevor ich es verloren, –
Weiser, sage mir, was ist das Leben?«
Nach dem Steuer greift der greise Färge,
Auf am Maste fährt das schwarze Segel,
In die Wellen beugt des Bootes Bug sich
Und beginnt sie furchend aufzupflügen.
»Leben, Leben, – das ist all und eines,
Ist das Wandern und die Rast am Wege,
Ist die Nacht, die Morgenlicht gebäret,
Ist der Becher und der Wein im Becher,
Ist der Baum und ist die Frucht am Baume,
Leben ist: sein Schicksal reifen lassen.«
Ferne gleitet schon das dunkle Segel,
Fern verhallt der Gruß des greisen Färgen,
Stille wieder dehnt sich das Gestade,
Grau und grenzenlos des Meeres Oede,
Aber immer lauter klingt der Quelle
Silbersaitenspiel, und Balder lauschet
Lang dem wundersamen, süßen Sange,
Lang dem Lied vom rätselreichen Leben. –
Sommernacht mit leisen Händen segnet
Wald und Tal und weites Land und Ferne.
Dunkelgolden glühet von der Halde
Windgewiegtes Kornfeld, und die Bäume
Breiten tief die fruchtbeschwerten Zweige
Zu der Erde nieder, traumversunken.
Letztes Licht erstirbt auf weißen Bergen.
Aus dem finstern Walde schreitet langsam
Auf dem hellen, schmalen Pfad ein Wandrer,
Schreitet an dem Wiesenhang herunter
Und wie zwischen hohen, goldnen Mauern
Durch das Korn und hört es leise rauschen.
Und er lächelt still und schreitet weiter
Auf dem schimmernd blanken Wege talwärts,
Und es klingt sein Wanderlied verloren
Ueber Wald und Hügel in die Weite,
Und die Blumen lauschen und die Halme
Und die Birken, und im dunkeln Hause
Hebt sich aus den heißen Linnen schlaflos
Auch das kranke Kind empor und lauschet
Staunend durch die Nacht dem fernen Liede:
»Reife still heran zu reicher Ernte,
Goldne Frucht, – die Sichel hör ich singen.
Reife still in Licht und Sturm und Schatten, –
Alles will dir seine Hilfe bringen.
Reife still aus Leid und Lust des Lebens,
Menschenherz, dem hohen Tag entgegen,
Leg dich leis in deines Schnitters Arme:
Reife Frucht und reicher Erntesegen!« |