Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Nachdem wir nun, soweit es in so flüchtiger Weise möglich war, die Natur des Werts, des Werts jeder beliebigen Ware analysiert haben, müssen wir unsere Aufmerksamkeit dem spezifischen Wert der Arbeit zuwenden. Und hier muss ich euch wieder mit einem scheinbaren Paradoxon überraschen. Ihr alle seid fest überzeugt, dass, was ihr täglich verkauft, eure Arbeit sei; dass daher die Arbeit einen Preis habe und dass, da der Preis einer Ware bloß der Geldausdruck ihres Werts, es sicherlich so etwas wie den Wert der Arbeit geben müsse. Indes existiert nichts von der Art, was im gewöhnlichen Sinn des Wortes Wert der Arbeit genannt wird. Wir haben gesehen, dass die in einer Ware kristallisierte Menge notwendiger Arbeit ihren Wert konstituiert. Wie können wir nun, indem wir diesen Wertbegriff anwenden, sagen den Wert eines zehnstündigen Arbeitstags bestimmen? Wieviel Arbeit enthält dieser Arbeitstag? Zehnstündige Arbeit. Vom Wert eines zehnstündigen Arbeitstags auszusagen, dass er zehnstündiger Arbeit oder dem darin enthaltenen Arbeitsquantum gleich sei, wäre ein tautologischer und überdies unsinniger Ausdruck. Nachdem wir einmal den richtigen, aber versteckten Sinn des Ausdrucks »Wert der Arbeit« gefunden, werden wir natürlich imstande sein, diese irrationale und anscheinend unmögliche Anwendung des Begriffs Wert richtig zu deuten, ebenso wie wir imstande sein werden, die scheinbare oder bloß phänomenale Bewegung der Himmelskörper zu erkennen, nachdem wir einmal ihre wirkliche Bewegung erkannt.
Was der Arbeiter verkauft, ist nicht direkt seine Arbeit, sondern seine Arbeitskraft, über die er dem Kapitalisten vorübergehend die Verfügung überlasst. Dies ist so sehr der Fall, dass – ich weiß nicht, ob durch englisches Gesetz, jedenfalls aber durch einige Gesetze auf dem Kontinent – die maximale Zeitdauer, wofür ein Mann seine Arbeitskraft verkaufen darf, festgestellt ist. Wäre es ihm erlaubt, das für jeden beliebigen Zeitraum zu tun, so wäre ohne weiteres die Sklaverei wiederhergestellt. Wenn solch ein Verkauf sich z.B. auf seine ganze Lebensdauer erstreckte, so würde er dadurch auf einen Schlag zum lebenslänglichen Sklaven seines Lohnherrn gemacht.
Einer der ältesten Ökonomen und originellsten Philosophen Englands – Thomas Hobbes – hat in seinem »Leviathan« schon vorahnend auf diesen von allen seinen Nachfolgern übersehenen Punkt hingewiesen. Er sagt: »Der Wert eines Menschen ist wie der aller anderen Dinge sein Preis: das heißt soviel als für die Benutzung seiner Kraft gegeben würde.«
Von dieser Basis ausgehend, werden wir imstande sein, den Wert der Arbeit wie den aller anderen Waren zu bestimmen.
Bevor wir jedoch dies tun, könnten wir fragen, woher die sonderbare Erscheinung kommt, dass wir auf dem Markt eine Gruppe Käufer finden, die Besitzer von Boden, Maschinerie, Rohstoff und Lebensmitteln sind, die alle, abgesehen von Boden in seinem rohen Zustand, Produkte der Arbeit sind, und auf der anderen Seite eine Gruppe Verkäufer, die nichts zu verkaufen haben außer ihre Arbeitskraft, ihre werktätigen Arme und Hirne. Dass die eine Gruppe ständig kauft, um Profit zu machen und sich zu bereichern, während die andere ständig verkauft, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen? Die Untersuchung dieser Frage wäre eine Untersuchung über das, was die Ökonomen »Vorgängige oder ursprüngliche Akkumulation« nennen, was aber ursprüngliche Expropriation genannt werden sollte. Wir würden finden, dass diese sogenannte ursprüngliche Akkumulation nichts anderes bedeutet als eine Reihe historischer Prozesse, die in einer Auflösung der ursprünglichen Einheit zwischen dem Arbeitenden und seinen Arbeitsmitteln resultieren. Solch eine Untersuchung fällt jedoch außerhalb des Rahmens meines jetzigen Themas. Sobald einmal die Trennung zwischen dem
Mann der Arbeit und den Mitteln der Arbeit vollzogen, wird sich dieser Zustand erhalten und auf ständig wachsender Stufenleiter reproduzieren, bis eine neue und gründliche Umwälzung der Produktionsweise ihn wieder umstürzt und die ursprüngliche Einheit in neuer historischer Form wiederherstellt.
Was ist nun also der Wert der Arbeitskraft?
Wie der jeder anderen Ware Ist der Wert bestimmt durch das zu ihrer Produktion notwendige Arbeitsquantum. Die Arbeitskraft eines Menschen existiert nur in seiner lebendigen Leiblichkeit. Eine gewisse Menge Lebensmittel muss ein Mensch konsumieren, um aufzuwachsen und sich am Leben zu erhalten. Der Mensch unterliegt jedoch, wie die Maschine, der Abnutzung und muss durch einen anderen Menschen ersetzt werden. Außer der zu seiner eignen Erhaltung erheischten Lebensmittel bedarf er einer anderen Lebensmittelmenge, um eine gewisse Zahl Kinder aufzuziehen, die ihn auf dem Arbeitsmarkt zu ersetzen und das Geschlecht der Arbeiter zu verewigen haben. Mehr noch, um seine Arbeitskraft zu entwickeln und ein gegebenes Geschick zu erwerben, muss eine weitere Menge von Werten verausgabt werden. Für unseren Zweck genügt es, nur Durchschnittsarbeit in Betracht zu ziehen, deren Erziehungs- und Ausbildungskosten verschwindend geringe Größen sind. Dennoch muss ich diese Gelegenheit zu der Feststellung benutzen, dass, genauso wie die Produktionskosten für Arbeitskräfte verschiedener Qualität nun einmal verschieden sind, auch die Werte der in verschiedenen Geschäftszweigen beschäftigten Arbeitskräfte verschieden sein müssen. Der Ruf nach Gleichheit der Löhne beruht daher auf einem Irrtum, ist ein unerfüllbarer törichter Wunsch. Er ist die Frucht jenes falschen und platten Radikalismus, der die Voraussetzungen annimmt, die Schlussfolgerungen aber umgehen möchte. Auf Basis des Lohnsystems wird der Wert der Arbeitskraft in derselben Weise festgesetzt wie der jeder anderen Ware; und da verschiedene Arten Arbeitskraft verschiedene Werte haben oder verschiedene Arbeitsquanta zu ihrer Produktion erheischen, so müssen sie auf dem Arbeitsmarkt verschiedene Preise erzielen. Nach gleicher oder gar gerechter Entlohnung auf Basis des Lohnsystems rufen ist dasselbe, wie auf Basis des Systems der Sklaverei nach Freiheit zu rufen. Was ihr für recht oder gerecht erachtet, steht nicht in Frage. Die Frage ist: Was ist bei einem gegebenen Produktionssystem notwendig und unvermeidlich?
Nach dem Dargelegten dürfte es klar sein, dass der Wert der Arbeitskraft bestimmt ist durch den Wert der Lebensmittel die zur Produktion, Entwicklung, Erhaltung und Verewigung der Arbeitskraft erheischt sind.