Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Nun ist die Zeit der großen, feierlichen Ankunft da!
Unablässig tauchen die Gestalten und Gewalten meines neuen Meergeschicks am Horizont empor, kommen nahe zu mir hin und triften in verträumtem Abstand, eine nach der andern, heimlich leis in mein Bewußtsein ein.
Schon stehn am Himmel rings die ersten, fremden Wolkenzeichen und bei Nacht das erste, tropische Gestirn.
Die große Stille kam dazu, der erste, volle Hauch der Hitze und das flammende Aufblauen in dem reif und schwer gewordenen Schlag der Wasser.
Und zu neuer Welle, neuem Wind und Wolkenwunder reihen sich nun auch die Tiere in den Lüften und im Meer, die Rauchspur ferner Dampfer und der Segler märchenbunter Schein.
Da heißt es, wach und schläfrig sein zu guter Stunde, denn das unfaßbar Geheime ihres Sinns, das Namenlose, das undenklich überhabene Nichts, aus dem sie alle kommen, und in das sie wieder, wunderbar hinsterbend, schwinden, läßt sich nimmer mit genauem Forschen, mit Gewalt und heftigem Begehr erledigen!
Ich muß sie alle, so wie sie mir nahen, schwinden, wiederkehren, erst gemach mit Schlaf und Traum belagern, – muß sie aus dem blendend grellen Trug des Tags in die Geduld und Sanftmut nächtlichen Erahnens münden lassen, – darf nicht eifern und nicht fordern, – darf nur leise bittend lauschen und in tiefster Demut und Verwunderung andächtig harren, bis sich mir allmählich der verborgene Sinn, – der »Meersinn« aller dieser Dinge wie von selber offenbart und gibt.
Einmal vom Schiff, vom Erdenmeer mich trennen, – einmal aus aller Enge, aller Niederung aufsteigen können in die luftigen Räume der Passatgewölke, – hinauf, hinüber in das stille, feuchte Reich, wo alles traumhaft reif und weit und wohl gedeiht!
Da ist kein Ende, keine Grenze auszudenken: – unerschöpflich türmt sich Wolke über Wolke, Himmel über Himmel bis ins schwindlig Hohe, schwindlig Ferne auf.
Und alles ist im Ueberfluß vorhanden, – jedes dieser bunt gestalteten Gewölke übertrifft das andere noch an ozeanisch riesenhaftem Maß, an Freiheit, Kraft und leuchtender Erfüllung.
Bald sich meidend, bald sich kreuzend und durchsetzend, bald geschmeidig ineinander überfließend, verstrahlen sie sich rings durch alle himmlischen Geschosse hin.
Und mitten in dem wunderbar gebrochenen und zerspaltenen Wolkengitter, mitten in dem unabsehbar mächtigen Geström von Treppen, Pfeilern, Säulenhallen klaffen immer wieder Tore, wonnig weite Fenster auf, durch die das Auge frei bis zu der letzten, wolkigen Verstrickung und durch sie hindurch, hinaus ins ewige Jenseits der durchsonnten Himmelssäle schweifen kann!
Dort drüben brennt das Licht in einfach farbigem Glanz, – in einem unbegreiflich stofflos lautern Blau und Grün und einem Gelb, so hell und überirdisch dünn, daß man im Anschaun dieser heitern Kühle meint, der Himmel selber weite sich und öffne sich und gebe dem entzückten Blick die letzten, nie geahnten Wunderfernen preis!
Inbrünstig staun ich in ihr maßlos schimmerndes Gelaß und wünsche mir die Gabe leiser, labender Verwandlung.
Und bevor ichs nur gedacht, spür ich schon Schwingen an mir wachsen, und meine Seele schwebt befreit empor, – zieht aus auf Abenteuer, – auf wahre Lust- und Forscherreisen nie gekannter Vogelseligkeit!
In schwelgendem Ergötzen schwärmt sie durch die himmlisch lichte Wildnis hin und kostet ihre ganze, feierliche Breite, ihre Höhe und den Abgrund ihrer unerforschlich bodenlosen Tiefe aus.
Doch übersättigt und beinah verängstigt von der allzu reichen, allzu prahlerischen Pracht flieht sie bald wieder weg, besinnt sich auf sich selbst, steigt höher, immer höher auf und wählt sich endlich auf den letzten, leeren Wolkenstaffeln droben, – zunächst der kühlen Einsamkeit des Lichts, – den eigenen, stillen Hort und Ruhesitz!
Hoch in die lichte, abendlich verklärte Luft ragt, einsam leuchtend, eine Haufenwolke.
Vor ihrer allzu großen, einzigen Schönheit haben sich die Andern alle neblig trüb zum Horizont geduckt und hocken wie auf niederm Schemel unter ihr, mißmutig enge und erloschen, beieinander.
Nur sie, die Eine, Fremde, – die Schläferin dort oben, – darf allein ihr Haupt noch in dem goldenen Schein des Tages baden und sich unerschöpflich wallend, strahlend recken nach dem eigenen, herrlichen Gesetz!
Wie aus Marmor und aus Sonnenschaum geschaffen steht sie da und wandelt sich gemach von einer himmlischen Vision zur andern: – wird nacheinander Baum und Turm und weiches, schneeiges Gebirg, – und dehnt und neigt und wiegt sich immer weiter, bis die Nacht emporkommt und den ganzen, ozeanischen Raum, – Luft, Flut und niederes Gewölk, – mit ihrem Dunkel schwer und tropisch müd erfüllt.
Nur die Eine dauert noch in sie hinüber, und ihr hochgemutes Prangen geistert aus den Höhen lange noch auf Meer und Schiff herab.
Schöne Wolken schwimmen weithin am atlantischen Himmel.
Geisterfriedlich wandern ihre Züge durch die luftigen Auen, wenden sich bald hierhin und bald dorthin oder kehren läßlich ein, wo es gerade gut zu ruhen und zu wachsen oder zu vergehen scheint.
Bisweilen treffen sie sich an auf ihren lichten Gängen, einen sich zum Schwarme, trennen sich ein wenig und begehren wieder schweifend zueinander.
Keine Stunde währt, kein Augenblick, wo sie sich nicht in selig stillem Drang verzehrten oder aus dem unerschöpften Born der Himmelsleere neu erschüfen.
All ihr Wandeln und Verweilen, all ihr Dauern und Vergehn ist schwebend rein und leicht und sprudelt auf der ewigen Reise nach den weichen, himmlisch ungefähren Zielen, quellend, schwellend, unablässig fort.
Auf windgeschwelltem Fittich segelt eine Wolke, abseits von den andern, durch den stillen Raum. Noch eben lag ihr möwenblauer Duftball tief in einen Kranz von Federwölkchen eingelassen, wie ein schimmernd blasser Stein in seiner Fassung.
Aber ganz allmählich dehnte sie sich auseinander, schwang sich über das Geländer und begab sich träumend auf die Wanderschaft. Unentschlossen streicht sie noch ein Weilchen auf den blauen Pfaden hin und her, als suche sie nach einem Anlaß, ihren Drang und ihre Hoheit stattlich zu erweisen.
Wie von ungefähr trifft sie dabei mit einer Anderen zusammen, die gleich ihr allein noch durch die Himmelsleere schweift, weicht behutsam vor ihr aus und bleibt wie in verschlafener Lenkung stille stehn, bis Jene hoch an ihr vorbeigewallt ist.
Aber plötzlich wird sie wach und frisch!
Gebläht von irgend einer hohen Sendung breitet sie die Schwingen aus, jagt eilends hinter der Entfliehenden einher, erreicht sie in der Ferne und befiehlt ihr, still zu stehn.
Gewaltig tritt sie zu der Harrenden heran, vergießt sich ohne Zögern über sie und sprudelt ganz durch sie hindurch.
Und wie sie wieder von ihr geht, ist sie so stark und leuchtend wie zuvor, indessen die Verlassene, noch bebend von der geisterinnigen Umarmung, blaß und schwer zurückbleibt!
Sommerlässig haben sich die Wolken in die schwüle Schweigsamkeit des Tropenmittags eingebettet.
Nur noch eine Einzelne geht eifernd zwischen ihnen um und hält die ganze, schlummernde Gemeinde in gelinder Regung.
Schwelgend nahe streift sie über ihre Nachbarinnen hin und deckt sie nacheinander sanft mit ihrem Schein und ihrem guten Schatten zu.
Doch rührt sie sie nicht an!
Sie hält bloß schirmend eine Weile über ihnen still, wie wenn sie ihnen insgeheim von Wolkensaum zu -saum etwas hinüberreiche, – irgend eine himmlisch lichte Gabe, die man aus der Erdenferne nicht mehr deutlich sehen noch begreifen kann, – irgend eine Kraft vielleicht, wovon die Andre satt und ballig wird, – oder etwas lösend Weiches, was sie auseinanderrinnen läßt, oder gar nur ein vertrautes, leises Zeichen, unter dem die Dienende sich scheu zusammenduckt und der Gebieterin in seliger Betörung eine Strecke Wegs nachfolgen muß.
So sucht sie schweifend Eine um die Andre heim und treibt ihr Spiel und Wesen mit den sanften Wolkenschwestern weiter, bis sich auch die Letzte willig unter ihrem Anruf ausgegeben und im Raum vertan hat.
Aber mitten in der Pilgerfahrt empfängt sie selbst geheime Botschaft an das Jenseits, macht sich schleunigst auf und fliegt mit ihr hinüber in die stille, blaue Leere, wo auch sie aus irgend einem unerklärlich fernen Anlaß plötzlich auseinander rinnt und schwindet.
Kein Wahn, kein Traum vermag das Herz des einsam Fahrenden mit kläglicherem Fernweh zu erfüllen, als aus den Schatten abendlicher Erdenschwere in das Jenseits goldener, verloren ferner Strahlenwolken schaun zu müssen!
Unangefochten von dem flüchtigen Lauf der Erdenstunden schwelgen sie noch ganz allein in spätem, vollem Sonnenschein, verkündend, daß dort hinten, ratlos fern, noch eine andere Welt gedeiht, in deren Himmeln Glanz und Weite gilt, wenn es bei uns schon düster wird und müd und enge.
Nichts verbindet ihre sonnenüberflossenen Fluren mehr mit unserm Dämmerkreis, denn frei und lose schwimmen sie in ihrem eigenen, dünnen Reich und neigen sich vom Rand der Erde weg hinüber in die ewig lichterfüllten Räume, die nicht mehr zu uns und unserm irdischen Gelaß gehören.
Auch sie bewegen sich wohl und verwandeln sich, wie es die nahen Meergewölke alle tun, jedoch die ungemessene Ferne läßt sie unsern Blicken reglos ruhn in immer gleich gebenedeitem, stillem Schein, und die Musik der seligen Weltenleere strömt aus ihrem Glanz betörend süß und bang zugleich zu uns herein.
Sieben ungeheure Wolkentürme stehen leuchtend in dem kühlen Türkisgrün der Abenddämmerung.
Den sieben Felsentürmen gleich, die über einem Alpsee meiner Heimat ihre Firsten jäh und wild zum Himmel recken, starren sie, raumgleich gesondert und geballt, aus der gemeinsam nebeltrüben Niederung ins Hohe, Lichte auf.
Keiner ist dabei dem Andern völlig gleich, und doch erscheint auch Keiner nur für sich allein bestätigt, sondern Jeder heischt im Aufsprung und im steinern schweren Tragen Kraft und Widerhall von seinen Nachbarn.
Langsam wallen sie empor und wieder ab, und bleiben doch, gemäß der strengen Regel ihrer schwingenden Gewalten, in den Tiefen miteinander zäh verwurzelt und verwuchtet stehn: – drängt Einer etwas höher über sich hinaus, so schreiten ihm die Andern unverzüglich in verhaltenem Zeitmaß nach und rücken wieder, einigen Zwangs, mit ihm zur Tiefe nieder.
So kann Keiner je dem Zinnenkranz entsteigen und sich gänzlich von ihm lösen, sondern Alle miteinander bleiben in derselben siebenfachen Wandlung, siebenfach gebunden und befreit, beisammen als ein einziger Akkord von starrer, feierlicher, urverschollener Weise!
Im hell besonnten Wolkengarten keimt ein Regenbogen, – nur ein flüchtiges, buntes Endchen, das nie lange dauert und sich nie zum vollen Bogen ausreift.
Leicht erblühend, leicht vergehend, entzündet sich der zarte Farbenhauch bald hier, bald dort, wandelt, langsam weidend, über die geschwellten, sommerreifen Wolkentriften hin und gießt sich manchmal auch als himmlischer Staubbach vom Wolkenrand hinab, um zaghaft seinen Fuß im dunkeln Strom des Meers zu netzen.
Schmeichelnd in die Schattenschluchten eingeschlungen oder feurig frei die höchsten Zinnen überhängend siedelt er von Wolkenturm zu Turm, die Leere, die sich säumig zwischen ihnen dehnt, mit seinem Schimmerjoch beschirmend und besegnend.
Ueberall, wohin sie sich auch wende, ist die süß geschmeidige Buntheit seines Wandels so unendlich fein, so bebend schwach, daß sie, – im Sonnengold der Wolke oder im durchsichtig reinen, leeren Himmelsblau, – beinahe unsichtbar verhaucht.
Und dennoch hält der zarte Schein erstaunlich lange in den Lüften aus und rinnt aus seinen unerfindlich linden Quellen, einsam tröstlich weiter, immer weiter, bis ein rüstiger Dämmerwind heraufkommt und zuletzt auch seine stille Wunderflamme in den Höhen löscht.
Kurz eh die Nacht kommt, schleichen die Gewölke still nach allen Seiten auseinander und versickern sich allmählich in ein formlos graues, glastendes Gespinst.
Nur eine letzte Wetterwolke bleibt von ihnen, schwer und schwül verballt, am Himmel stehn.
Die lagert ihre Wucht trotzig in den weiten, leer gedunsteten Raum, – die einzige, feste Masse, – riesengroß gestaltet und im Nachglanz der versunkenen Sonne übermächtig golden strahlend!
Das gibt ihr etwas feierlich Verlassenes, uralt Gestocktes, grad als ob sie schon seit allem Weltenanfang in der trüben, traurigen Oede so gestanden und gewaltet hätte und auch bis an alles Ende unverrückt in ihr verharren wollte!
Doch ganz langsam sinkt ihr starker, goldener Schein in eine seltsam trübe, müde, bronzefarbene Verdunkelung hinein, – in eine herbstlich ahnungsvolle Glut, die nicht mehr lange dauern kann.
Und plötzlich stürzt sich auch, zum Zeichen nahen Untergangs, ein Regenschwall aus ihrer Mitte auf das Meer hinab und heftet sie mit seinem satten Guß fest an die ozeanische Tiefe an.
Davon verwandelt sich mit einem Schlag ihr Bild!
Der starre Wolkenklumpen wird zum Baum, – zum fabelhaften Wolkenbaum, – im Meere wurzelnd mit dem feuchten Stamm und mit dem düster glühenden Wipfel in die leeren Himmel langend!
Nebelhaft beschattet und kaum noch von einem dumpfen, roten Hauch umglommen bleibt der Stamm still und geschlossen stehn und rührt sich nicht mehr von der Stelle.
Doch der Wipfel, der sich auf ihn stützt, löst sich langsam aus der Erstarrung und beginnt in unruhvollem Drang zu wogen und zu gären.
Schwerlaubig wälzt er sich aufs Meer hinab, prallt wiederum empor und wächst und wächst, als ob er mit der gieren Trübung seines Dampfs den ganzen, weiten Himmelsraum erobern und erfüllen wollte!
Aber während er, – im Wahn, noch größer, noch gewaltiger zu werden, – sich stets weiter beult und ballt und dehnt, nährt er in seinem Innern selbst den Keim verderblicher Verödung. Denn zusehends zehrt der Regenguß an seiner Kraft: – je mehr sich dieser an dem eigenen Gerausche stärkt und festigt, desto dünner, flauer wird es innerhalb des Wipfels.
Schon pufft er allenthalben lose Wolkenbüschel aus dem zähen Laubverband ins Freie ab, – schon lockert er sich hier und dort, – schon äugt die blasse Leere unverhüllt durch seine Lücken!
Aber eh er sich, getrieben von der bösen, innern Blähung, völlig auflöst und in Nichts verliert, ist es, als wenn den welken Meerbaum noch einmal vor seinem Ende ein geheimnisvoller Odem müd durchluftete und sein verdunstendes Gelaub erschauerte: – der Stamm erbebt, – der Wipfel schwankt, – dann wischt ein letzter, abendlicher Hauch ihn ganz hinweg!
Ein Regen steht, allein und eigenwillig von den andern abgetrennt, am Horizont.
Wie eine Säule ragt sein Guß, aufrecht und stark und schlank vom Meer zum Firmament empor!
Als Kapitell trägt er zu Häupten eine wuchtend rund geballte Wolke und zu Füßen unter sich als Sockel auf der Flut die farbendunkle Fährte seines Schattens.
Aber lange bleibt er nicht allein, denn nach und nach fängt es in vielen, kleinen, von einander unabhängigen Wettern überall zu regnen an, sodaß, bald nah, bald fern, beinahe jede Wolke ihren eigenen Pfeiler auf das Meer herniedersendet!
Die gesellen sich und scharen sich allmählich zu gewaltigen Toren, köstlich ausgestrahlten Säulenreihen und zu feierlichen, märchenhaft weitläufigen Tempelhallen.
Aber niemals schließen sich die Wolkenkapitelle in den Höhen zu bedrückend schweren Lasten ineinander, – niemals wird es zwischen ihnen eng und bang im heiligen Gelaß, sondern jede Säule bleibt für sich allein und hat allzeit so reichlich offenen Himmelsraum um sich herum, daß überall die Sonnenstrahlen auf die Fluten wie auf spiegelblanke, heiterfarbige Fließen niederwallen können.
Durch die lichte, luftige Weile, die sich frei von einem Säulenschaft zum andern dehnt, verschwärmen sich die Fische und die Vögel in verzückten, schimmrig fernen Spielereien, und, wenn es besonders hoch hergeht, zieht gar einmal ein Regenbogen seine zarte Iris von den Wolkengiebeln zu den ragend schönen Säulen, zu den Schattensockeln, auf das Meer herab.
So ist es denn für uns ein sonderbar beglücktes und befreites Fahren durch die weite, regenbunte Tempellandschaft hin; denn von der frühsten Morgenstunde bis zum Abend bleiben ihre Tore, ihre Hallen, ihre Gänge in derselben sanften, zauberhaften Wallung offen stehen, und kein einziges Mal tritt eines von den Wettern nah an unsern Reiseweg heran. Sie verstreichen alle nur als weiche, flüchtige Form- und Farbenscheine so behutsam leisen Bogens fern um uns herum, daß wir, von ihren Schatten, ihrer Nässe unberührt, getrost auf sonnigen Fluren unsres Wegs dahinziehn dürfen.
Kaum, daß etwa einer von den Vögeln, aus dem abgelegenen Regenreich geschwinden Flugs zu uns herüberstreift, oder daß einmal ein flimmernd weißes Schaumband, das sich drüben um die dunklen Säulensockel schlingt, weit über See herglitzernd, bis in unsre sonnenlichte Fährte langt und so für Augenblicke wenigstens die beiden von einander abgetrennten Welten inniger zusammenbringt.
Erst spät am Abend, da ein frischerer Wind aufkommt, rührt plötzlich den atlantischen Tempelbau die erste, mächtige Erregung an: –
die Säulenkapitelle wallen laubig, dunstig auseinander, und die Pfeiler selber wachsen sich, von Wipfelfülle, Wind und Wandel schwer verbogen, zu geheim belebten Stämmen eines wunderwirren, feuchten Wolkenhaines aus.
Die fangen an, in stürmischer Fahrt den Meerraum zu durchmessen, und gelangen aus den träumerischen Fernen drohend nah zu uns herüber.
Keine einzige Säule springt mehr heil und klar ins Himmlische empor, kein Tempelsaal, kein Flur verstrahlt sich mehr vor uns in lichte, unbegrenzte Fernen, sondern immer dichter schließen sich die Regenstämme aneinander, immer tiefer wallt das Laubgewölk aufs Meer herab, – und eh die Sonne sinkt, hat uns der Wetterwald von allen Seiten satt umschlungen und in seinem trüb durchbrausten Schattenreich ertränkt!
Wo ist auf einmal nur die trauervolle Meeresöde hingeschwunden, die mein Herz bis gestern noch so bang beklomm, – das Einerlei der grauen Regenstunden und der stechend scharfe Strahl der Sonne, der die Wasserlandschaft manchmal so aufdringlich hell und klar erscheinen ließ?
Ein Zaubergarten ist daraus geworden, – ein verwunschenes Lust- und Jagdgefilde meiner Phantasie voll mannigfaltigster, ergötzlichster Erregung!
Wo ich hinblick, wandelt sich ja in dem ganzen, weiten Meergelaß das Flüssige behend zum Festen und das Feste wiederum zu Duft und holder Feuchtigkeit!
Gießen sich doch allenthalb die Regen in schaumweicher Ueppigkeit aus ihren Wolkenkelchen, und ihr unaufhörlich gleitendes Bewegen flicht allzeit ein Band von zärtlicher Gemeinschaft zwischen den bewölkten Himmelslanden und dem blauen, wellenklaren Erdenmeere!
Wetterböen schreiten, breit und stattlich, über See, – Lichtschleier sprühen hinter ihnen drein, verstreuen flüchtig ihre bunten Saaten auf der Flut und schaffen immer wieder unerschöpflich neue, fliegende Gelände meiner Lust und Sehnsucht, – Inseln von gewichtiger Farbenmasse, – wahre Schattenkontinente voll breit hingeflossener, brauner und violenfarbener Dunkelheit.
Perlgraue Triften dämmern neben ihnen auf, reich geädert und durchsetzt von tief korallenroten Flammenpfaden und von irgend einem bunten Rinnsal dünn und rührend zart umsäumt.
Untiefen tauchen aus den ozeanischen Abgründen auf und färben über sich die See so hell und so durchsichtig grün, daß ihre Spur beinah wie lachend reife Sommermatten aus der Ferne heimatlich zu mir herübergrüßt.
Doch bald danach versinken sie schon wieder, und da, wo sie eben weilten, breitet sich von Neuem das gewohnte, stockend schwere Blau der Meerestiefen aus, das unter Wolkenschatten wie ein eng gepflügter Acker von merkwürdig rauher, indigodunkler Erde ruht.
Goldströme flüssigen Lichts durchwallen langsam seine Gründe, und geschmeidig braune Bänder drängen zwischen seinen dunklen Schollen durch, wie Bäche allertiefster, allerklarster Sepia, daß ich nicht weiß, ob sie vielleicht von Algensäften wirklich so getränkt sind oder nur im Widerstreit zu Blau und Grün und Violett ein flüchtiges Farb- und Schattenspiel bedeuten!
Immer neue Bläuen blühen auf, mit neuen Ufer- oder Inseldämpfen und mit köstlich buntem, flüchtigem Bach- und Stromgelände.
Niemals stockt der wundertätige Reigen, – niemals beut er meinen landverzückten Augen lange Rast und Ruhe, sondern die geliebten Bilder meines heimatlichen Erdenschauens rinnen alle ineinander über und verfluten sich am Ende immer wieder, schwindend, in den ozeanisch weichen Feuchtigkeiten, die kein Bleiben kennen, keine Festigkeit, kein Maß!
Wie lustig sind die Tage lichter Wanderregen!
Welche schöne Kurzweil ists, vom Deck aus wohlgemut in ihre mannigfache, himmlische Entfaltung schaun zu können!
Nie ist Langeweile oder müd gestockte Ruh in ihrem Tun, denn allerlei Wind hält sie durch Morgen, Mittag, Abend hin in steter, bunt geläufiger Verwandlung.
Da gibts Regen, welche wandern, und auch Regen, welche einsam zögernd in der Ferne stille stehen.
Große Wolken sammeln sich und sättigen sich in lang bewahrtem Feiern neu mit Naß und buntem Dunkel, und die andern, spielend klein und kaum dem Blau entschlüpft, vergeuden sich in einem einzigen, erstaunlich starken Guß im Umsehn bis zur Neige und sind einen Augenblick danach zu Licht und heiterm Nichts vertan, noch eh die dunklen Wasserströme, die sie speisten, gänzlich in den Lüften auseinanderflossen!
Oft löschen viele Regen miteinander aus, und die, die übrig bleiben, sammeln sich dafür zu kräftigem Verein und schreiten stattlich über See zu uns heran.
Oft säumen sie dabei noch lange in den Höhen, hängen, wagerecht verstürmt, in braunen oder violetten Strähnen in der Luft, bis endlich doch der Stärkste unter ihnen Meer und Schiff erreicht.
Oft wieder kommen sie auch langsam in der Tiefe zu uns her gekrochen, weit voraus der Herold Wind, – eine lustige, krause Bö, – am Tauwerk rüttelnd und um alle Kanten sausesingend, – dann, klar blau und rauh, ein Streifen aufgewühlten Wassers, und gleich hinter ihm die ölig spiegelglatte Schwelle, drauf der Regen prasselnd niederspringt!
Jedoch nicht immer fahren sie aus dumpf beladenem Gewölk hernieder, sondern irgend eine lichte, kleine Wanderwolke schleudert im Vorüberstreifen ihren flüchtigen Gruß auf uns herab.
Dann laufe ich erquickt im Segen ihres Stroms umher und labe meine Sinne an der lang entbehrten Kühle, an dem traumig traulichen Geräusch der Himmelswasser.
Aber kaum, daß uns für ein paar Augenblicke das ersprießliche Getöse einhüllt, tut sich hinter ihm schon wiederum die Welt der freien, hell besonnten Wasserauen auf, die mit der muntern Jagd der Vögel und der Fische oder dem bedächtigeren Schreiten der Medusenschwärme neu und doppelt schön bestellt ist!
Verdächtig lang hält sich die Morgendämmerung am Himmel auf und will mit ihrer grellen Buntheit gar nicht der gewohnten Tagesblässe weichen.
Blutrote und goldflammende Reflexe tanzen über das glasscharfe Grün der Flut, die sich nur ab und zu in trägem Wellenrieseln, untraut zuckend, rührt.
Etwas wie Föhnspannung durchzittert die Natur, – etwas verhalten Unheilvolles, dessen Nahen sich mit peinigender Schwüle meinen Nerven mitteilt!
Ganz allmählich läßt auch das gewohnte, steife Blasen des Nordostpassats, der als Gutwetterwind seit vielen Tagen unser ständiger Begleiter war, im Lauf des Morgens nach, und eh es Mittag ist, haucht er sich schon in wenigen, flauen Stößen vollends aus.
Doch nur minutenlang herrscht dumpfe Stille über uns, dann prallt von Süden her die erste, grobe Sturmbö brausend gegen unser Schiff!
Im selben Augenblicke springen allenthalben weiße Brander auf, Brechseen poltern an die Back, und klebrige Schaumballen flattern übers Deck, das mit der Reling, mit den Wanten und dem Mast wie glutumrissen vor dem glitzrig hellen Himmel auf und nieder stampft.
Und nun schiebt sich im Süden eine ungeheure Wolkenwand ganz langsam aus dem Meer empor: – zuvorderst schwärmen noch ein paar zersprengte Flackernebel durch die Luft, doch schon die nächsten Reihen quellen zu stumpf weißen, grauen, taubenblauen Rollen ineinander, die die formlos zähe, dicht verschlossene Wetterdecke hinter sich zur Höhe schleppen.
Dunkler, immer dunkler senken sich die Schatten in sie ein und setzen ihren Grund mit allertiefstem, lastend schwerem Indigo vom grünen Strahl der Meeresbreite ab.
Da kann es sich nicht mehr um schnell versprühte Kühlung handeln!
Das bedeutet nicht mehr lichte, lustige Wanderregen!
Nein, – in allen Fibern spür ich es: – nun kommt die große Wetterwende, – kommt der erste, schwere Tropenregen über uns!
Der ganze Himmel ist vom Sturmgewölk verhüllt.
Da taucht, gerade vor der tiefsten Wetterfinsternis, ein fremder Dampfer jäh am Horizont empor.
Vom föhnigen Glast umflammt steigt er, unheimlich klar und nackt, mit seinen Einzelheiten nacheinander aus der See: – mit den fuchsroten Masten, mit dem gelben Schlot, der weißen Brücke und dem tief geladenen, spiegelnd schwarzen Rumpf, an dem sich ab und zu, vom schweren Wellengang umbrandet, noch das Scharlachrot der Bodenfarbe grell entblößt.
Stumm, grußlos, wie ein Sinnbild meiner eigenen, bänglichen Erregung, hastet er an uns vorbei und ist, als wollte er sich vor dem drohenden Wetterunheil flüchten, schon nach kurzer Zeit nordostwärts an den andern Horizont gelangt, wo eine schmale Himmelslücke blendend hell geöffnet blieb.
Dort sinkt der Dampfer wieder rasch als winzig ferner, schwarzer Schattenriß ins Meer hinab.
Nur einen Augenblick lang irrt die zitternd dünne Fahne seines Rauchs noch durch die leere Luft, dann schließen die herüberstürmenden Gewölke auch die letzte, lichte Himmelspforte hinter ihm geheimnisschwer und düster zu.
Knapp, eh der Regen, der unheimlich langsam durch den eng- und dumpf gewordenen Raum herankriecht, unser Schiff erreicht, flammt in dem blinden Vorhang seines niederwallenden Geströms ein Regenbogen auf.
Nicht als ein leiser, sänftlich bunter Blütenhauch entfaltet sich sein Wandel, sondern zornigen Sprungs und mit so giftig scharfem, wildem Schein bricht er hervor, wie wenn von ihm die Wolken, – ja, die Luft, der Himmel selber brennten!
Im ersten Anhauch lag sein Flammenstreifen noch ganz flach dem Meere auf, doch rasend schnell schwang er sich ins Gewölk empor und reitet nun mit Macht hoch gegen uns heran.
Und plötzlich greift er mit den beiden Enden übers Wasser zu uns her, als wollte er sich rund um uns herum durch Himmel und durch Flut zum Kreis verschlingen, doch im selben Augenblicke, da der Feuerring im Meer an unsre Bordwand rührt, huscht in den Lüften sein gespenstiger Brand, verlöschend, über uns hinweg, und mit ihm stürzt sich, – krachend wie ein Wasserfall, – in einem einzigen, furchtbaren Schlag der Regen selbst auf uns herab!
Ein wildes Tosen, Rauschen, Dröhnen füllt das ganze Schiff bis in sein Innerstes!
So dick, so prall geschlossen gießen sich die Regentropfen durch die Luft herab, daß ich von Vorkant kaum noch bis zur Back hinüber sehen kann!
Im Nu ist auch das ganze Ladedeck in einen einzigen, kniehohen See verwandelt, der im Hin- und Wiederschwanken brausend an die Bordwand brandet.
Unaufhörlich schnaubt und pfeift der Sturmwind um die Kanten, zerrt und rüttelt am Getäu und schmeißt die Segeltücher polternd auf und nieder.
Jedes Ding an Bord bekommt davon mit einem Male seine eigene, sonderbare Stimme, die, zusammenklingend mit den andern, die chaotische Musik des Sturms vermehrt.
Ins tausendfache Prickeln, das von all den feuchten Tüchern niederweht, mischt sich, bald hell, bald dunkel läutend, der gelassene Glockenklang der großen Tropfen, die sich lang gereiht an allen Simsen, Leisten, Stangen sammeln.
Aber über alles braust der Wellen- und der Wetterlärm mit herrischer Gewalt hinweg!
Fast drohend dröhnt der rauhe Ruf der Wogen aus dem trüb gestimmten Wasserrachen auf, – zerreißend jäh trifft Wind- um Windstoß auf das Schiff, – und doch dringt aus dem wild verworrenen Choral etwas zu mir herüber, das mich irgendwie verstohlen an die Heimat mahnt: – ans jauchzende Gestürm des Bergwinds, – an das träumerische Regenrauschen im Gelaub des Hochwalds oder an den sanften, sommertrauten Tropfenfall im Garten!
Gleich, als der erste Regen niederprallte, büßten unter seinem Druck die Wellen ihre ungezähmte Sprungkraft ein und duckten sich für Augenblicke ängstlich nieder.
Doch vom scharfen Zugwind aufgepeitscht, erhoben sie sich bald von Neuem aus dem Grund und reihen sich nun, hoch aufschäumend, in so sonderbar gleichartigen Ketten aneinander wie die Gipfelgrate eines strengen, wild verwetterten Gebirgs: – so steil emporgereckt, so felsenstarr fährt eine Reihe nach der andern aus dem grauen Nichts heran, – so weiß und schleierdünn wie Nebel- und Schneeschauer fegt das Gischten über ihre windzerfetzten Kämme weg!
Erst spät im Nachmittag läßt Wind und Wasserbrausen etwas nach.
Der Schaum versickert langsam auf den Höhen, und die Grate senken ihre scharfen Zacken wieder in die breit gewordenen, massig aufgebauschten Wellenrücken ein.
Immer weiter, tiefer, stiller wird es in den Tälern, – immer mächtiger entquellen draus die ungeheuerplumpen Kuppelwogen, – schwer und schaumlos zäh wie flüssiges, trübblaues Glas!
In ihrem wunderbar gleichmäßig schwanken Schreiten dehnen sich die Stunden mehr und mehr zu grenzenlosen, schwermutsanften Einsamkeiten aus.
Nur leise rauschend strömt der Regen auf die fleckig trübe Flut herab, in der die letzten Gischtgerinnsel wie zerwühlte, milchig weiße Linnen langsam niedersinken.
Lautlos treiben große, regenbogenschimmerige Blasen drüber hin, und schlummrig sanft, verträumt, wiegt sich die Schaumtracht des Kielwassers auf und ab.
So still ist es mit einem Mal rings um mich her geworden, – so versonnen, friedsam still, als führ ich bloß an irgend einem der geliebten, traulich trüben Regentage mit dem Rudernachen sänftlich über meinen heimatlichen See dahin!
Immer schwerer regnet sich der Meertag ein, – immer dunkler senken sich die Wetterschatten auf uns nieder, – immer dichter hängt das Feuchte, Dumpfe, Heiße um uns her!
Wie findet unser Schiff denn noch im grauen Einerlei den Weg?
Wo ist der Raum, – wo ist das Licht, – das traumhaft ferne, blaue Ziel?
Da zittert im Gewölk ein Hauch von Regenbogen auf, – ein Sonnenstrahl durchdringt die Finsternis, und eine Riesenwoge gibt uns, mächtigen Schwungs, mit einem Mal der freien, unbegrenzten Welt des Lichts zurück!
In einem einzigen, jubelnd hellen Klang vereint springt Strahl und Weite wieder auf das Meer und Schiff herab, und alle Not der Regenstunden ist vorbei.
Nur kurze Weile tränen noch die Tropfen glitzernd von den Tüchern und den Wanten aufs Verdeck herab, dann sind die Planken und die Brüstung im Umsehen von der frischen Brise trocken, lustig hell und klar geweht.
In unabsehbar langen Reihen rollen sich die Wogen aus den lichten Fernen gegen uns heran, und unser Schiff taucht rauschend in die blauen Schatten ihrer Täler nieder, – richtet sich empor und hebt sich wieder, tief beruhigt, zu den wundersam durchklärten Höhen ihrer Gipfel auf!
Unschädlich ferne hat sich schon die dumpf geschlossene Masse des Unwetters hinter uns verzogen und bedroht mit ihrer mürrischen Gewalt nun andere, unbekannte, nächtlich fremde Gegenden.
Wir aber treiben, vom Geschwärm der Fische rings umglitzert und umspielt vom sonnenseligen Schein der Möwenflügel, heil und friedlich durch den blauen Wellengarten hin, indessen sich am Himmel über uns warm goldene Gewölke feierlichst zur abendlichen Prozession zusammenscharen!
Wohin ich horche und wohin ich schaue, steigt durch Tag und Nacht das unerschöpflich quellende Gewelle auf, jagt himmelstürmend in die Höhe und kehrt immer wieder, still und schwer geworden, in die einige Heimat der gestaltenlosen Tiefe nieder.
Majestätisch zögernd heben sich die Wogen, eine um die andre, aus den Gründen, tragen bebend ihre Last empor und sind im Aufstieg schon beladen mit der ganzen Reife ihrer Hohezeit.
Und wenn sie oben angelangt sind, halten sie wohl um die Spanne eines einzigen Augenblicks im Schwingen ein, die Ruhe vor dem nächsten Niedersturz genießend.
Doch dann überwuchten, überwölben sie ganz langsam ihre Kuppeln, neigen sich zutal und schlagen wieder, wundersam begnadet mit Erfüllung, in die Tiefe nieder, wo sich ihre Nachbarinnen schon zum nächsten, schwellenden Beginnen wenden!
Wenn auch eine Jede unter ihnen anders ist, und Keine in Vergehn und Wiederkunft der nächsten völlig gleicht, sind Alle miteinander doch im selben Rang gehalten, – sind gleich reif und stark und schön, – und reisen hallend, strahlend, – Welle hinter Welle, – Schaum auf Schaum, – im immer gleichen, unermüdlich steifen, königlichen Prangen durch die Ewigkeit dahin!
Ein Regenwölkchen, licht und bunt gefärbt, treibt sich gelangweilt durch die sonnige Mittagsstille hin. Bald hier, bald dort läßt es den sanften Schleier seiner Tropfen lockend auf das Meer herniederwallen, ohne sich zum Bleiben zu entscheiden und sich sattsam zu vergießen.
Da hebt sich unvermutet ein Geschwärm hell schreiender Vögel von der bunten Wasserweide auf und schwebt in weitem Bogen eilends nach dem Ort des Regens hin.
Dort lassen sich die Einen wieder auf die Fluten nieder, grad als wollten sie in ihren feuchten Schattenfluren irgend etwas jagen oder fischen, – doch die Andern schrauben sich empor und kreisen vor der Wolke so beständig hin und her, wie wenn sie sie in ungeheurem Umgang rings umflöchten!
Ganz allmählich löscht die Ferne ihre Einzelheiten aus und mischt das zwinkernde Gefuchtel ihrer unzählbaren Schwingen immer dichter in die Wolkendämpfe ein, bis endlich Beide, – der lebendige Zufall ihres Fliegens und die linde Ohnmacht des verwallenden Gewölks, – berückend innig ineinander liegen.
Doch nicht lange dauert ihre himmlische Vereinigung, denn bald löst sich das Wölkchen wieder aus dem Spiel, verdehnt sich und versiegt und wird zu Luft und Duft und weicher, blauer Schattigkeit.
Die Vögel aber überdauern sein Geschick und bleiben gültig in der leeren Luft kraft ihres andern, erdgebundeneren Seins!
Geruhig kreisen sie noch kurze Zeit im Trüben der verwichenen Wolkenstatt, – dann teilen sie, unschlüssigen Gehabens ihre Schar und ziehen ab in langen, dunklen Triften, – hierhin und dorthinaus, – nach irgend einem andern, gleich vergänglichen, gleich wahnhaft unbestimmten Ort der ozeanischen Stille.
Aus lichten Morgenträumen holt mich ein merkwürdiges Rauschen in den wachen Tag.
Viel leiser, aber schärfer und auch etwas näher klingts als der gewohnte Lärm des Wellengischts.
Es ist ein Flüstern und ein Blasen, – so verlockend fremd und frisch und festlich froh, wie wenn der Wind in knisternd dünnen Seidenfahnen wühlte!
Voller Neugier späh ich nach den Fenstern hin, von denen mir der Ton zu kommen schien, doch nur das klare, wolkenlose Blau des Morgenhimmels füllt ihr Rund.
Enttäuscht will ich mich drum zum Weiterschlummern niederlegen, als mich nochmals, stark und deutlich, das geheimnisvolle Blasen anruft, und nun seh ich plötzlich in dem Rahmen meines einen Fensters eine große, weiße Möwe schweben!
Unbeweglich hängt sie in den Zauberangeln ihres Flugs und bringt es doch auf irgend eine wunderbare Art zustande, daß ihr Bild nie aus der Rundung meines Fensters weicht.
Nur ab und zu tut sie langsam und mit prachtvollem Nachdruck einen tiefen Flügelschlag voran.
Dann tönt aus ihrem Fittich jedesmal das feine, flüsternde Geräusch, das mich vorhin aus meinem Schlaf erweckte!
Ganz behutsam geh ich auf den Vogel zu, doch wie er mich gewahrt, schrickt er zusammen, schreit aus vollen Kräften sein wild klirrendes »Kai – Kai«, und wirft sich augenblicklich, jähen Schwungs, herum.
Und ehe ich am Fenster angelangt bin, um ihm nachzuschaun, schwebt er schon wieder, weit, weit von mir weg, auf seinen eigenen, fremden Pfaden durch das blaue Weltall des atlantischen Morgens hin.
In heißer Mittagstunde stehe ich allein an Deck und schaue träumend in den dunstigen Raum hinaus, wo einsam nah bei mir ein stiller, leuchtend großer Möwenvogel schwebt.
So niedrig weilt er neben mir, daß ich noch über ihn hinaus ein Band vom fernen Blau des Meereshorizontes sehen kann.
Doch manchmal ist er, ohne daß ich wüßte, wie es eigentlich geschah, mit einem Male aus der Wasserbläue in den lichtem Himmelsgrund hinaufgetaucht.
Mag sein, daß es ein kaum fühlbares Niedersinken meines Schiffes war, das ihn nur scheinbar etwas in die Lüfte hob, – mag sein, daß ihn ein warmer Windhauch oder auch sein eigener, leiser Wille wirklich höher trug, – für mich ist es nichts Anderes, als ob ihn jedesmal der sanfte Nachdruck meines Wünschens ganz allein emporgehoben hätte, – grade so, wie wenn man etwa eine Blume oder einen seltenen Kristall oder sonst ein köstliches, geliebtes Ding zur Höhe hält, um zu erproben, ob sein Bild ein schön gewandelt anderes sei, sobald es nur vom reinen Blau des Himmels rings umflossen werde!
Aber ehe ich dies recht entscheiden kann, ist seine strahlende Gestalt schon vor den dunkel prunkenden Meerplan zurückgekehrt, wo er geruhig weitertriftet, bis ihn irgend ein gelindes Regen wieder über mich erhöht.
Wie viel Beglückung, wie viel müd versonnenes Entsagen liegt für mich darin, so mit dem Vogel in der Luft einsam zu spielen und dabei nie recht zu wissen: – spiel ich eigentlich mit ihm? – Spielt er mit mir?
Oder sind wir alle Beide nur ein Spielzeug der Unendlichkeit, die uns ungefragt, in steter, leise währender Verwandlung auf und nieder trägt?
Eine Möwe streicht, knapp über Reling, neben mir dahin, – so satt am Schiffe, daß sie mit der Spitze ihres einen Flügels fast die Bordwand streift.
Vom vollen Sonnenlichte übergossen strahlt ihr Schnabel in hell goldener Klarheit, und der schmale Schmuckring um die Augen samt den Füßen, die bisweilen aus den Federn tauchen, um die Schwimmhaut zwischen den bekrallten Zehen lässig auszuspreizen, leuchten tief korallenrot.
Wie ist sie nah! – Wie ist sie schön!
Wie ruhsam bauschen sich die Schwingen im gelassenen Flug!
Wie köstlich lauter spiegelt sich der blaue Widerschein des Wassers unter ihrer Wölbung und im reinen Weiß der Brust!
Wenn ich doch mit ihr sprechen, sie mit Fragen und Geheiß bestürmen könnte, daß sie Antwort geben müßte auf die Inbrunst meines unvernünftigen Verlangens!
Immerfort schau ich zu ihr hinüber und rufe sie mit zärtlich leisen Namen an.
Doch ungerührt zielt sie mit Schnabel und mit Aug ins Ferne, Leere vor sich hin und achtet meiner nicht.
Hört sie mich wirklich nicht? – Spürt sie mich nicht?
Weiß sie denn gar nichts von der drängenden Gemeinschaft unserer Herzen in der uferlos verwogten Meer- und Himmelsöde?
Zögernd und mit innig bittender Gebärde streck ich meine Hand nach ihr hinaus, doch ohne Regung in den Schwingen weicht sie sacht vor meiner menschlichen Gewalt zurück.
Nur in dem Scheine ihrer Augen wähne ich ein Glitzern, ein ganz fernes, flüchtiges Aufblitzen, wie zum Zeichen, daß sie mich wohl weiß und auf die Spanne meines Armes achtet!
Denn im Augenblick, da meine Hand, betrübt ob des nutzlosen Unterfangens, wieder niedersinkt, kehrt auch die Möwe unverweilt an ihren alten Platz zurück.
Nun erst dreht sie den Kopf nach mir und schaut mir ins Gesicht und auf die Hände, um zu sehn, was ich wohl weiter dächte und im Schilde führte.
Und nachdem sie sich hierüber lang genug beraten, hält sie wieder unverwandt geradeaus und leidet mich fortan getrost an ihrer Seite.
Aber was mags dann nur sein, das sie so nah zu mir und meinem Schiffe drängt?
Nichts weiter wohl, als daß sie eine kleine Weile in der Grenzenlosigkeit des Meeres unsere wunderlich beschränkte Nähe spüren möchte: – sie möchte einfach bei mir sein, – ganz nahe, nahe bei mir sein!
Denn dieses bleibt für uns die einzige Gemeinschaft in der Urverlassenheit des Ozeans: –
Wir sind uns nah, – doch Keiner rührt den Andern an.
Sie schwebt und fliegt, – ich fahre schwer dahin.
Ihr Auge strahlt, – mein Herz staunt still und beugt sich schweigend vor dem dunklen, rätselhaften Walten, das uns also ewig trennt und eint!
Fünf Möwen fliegen stumm und unbeweglich neben uns einher: – schneeweiße, schöne, starke Vögel.
Seit dem frühsten Morgen schon verweilen sie genau am selben Platz und halten immerwährend gleiche Fahrt mit uns.
Nur wenn sie allesamt einmal derselbe, leise Lufthauch anrührt und gleich wieder freigibt, wehen sie vielleicht ein wenig weiter von uns weg und sinken danach, gleichgesinnt, an ihre alten Plätze hin, an denen sie wie in geheimer Bannung unser Schiff begleiten müssen: – stets der Eine mit dem etwas dunkler gelb gefärbten Schnabel vornean und die vier Uebrigen, in unverändert gleicher Ordnung, gleichem Abstand, hinter ihrem Führer drein.
Keiner unterscheidet sich sonst in der Tracht und Größe wesentlich vom Andern.
Keiner tut etwas für sich allein, sondern starr und leuchtend wie ein Sternbild stehn sie über mir im blauen Raum, als ob sie schon seit ewig dort verharrten!
Keine Störung bringt sie aus der Fassung, – nicht das funkelnde Gerät des Wachmanns auf der Brücke, – nicht das ungeschlachte Handwerk der Matrosen auf den Decks!
Sie schrecken nicht vor dem wild prasselnden Getös der Kohlenschlacken auf und sehen sich nicht einmal um, wenn mit dem Küchenabfall hie und da ein fetter Brocken über Bord geworfen wird!
Sie haben wohl ganz Anderes im Sinn: – sie fliegen einfach! Sie sind da!
So stell ich es mir vor, denn etwas Anderes kann ich nicht an ihrer kühlen, fremden Stätigkeit erkennen!
Reglos, schweigend, treiben sie einher, – und ihre Miene wechselt nicht.
Immer gleich strahlt Aug und Schnabel, – immer gleich spannt sich das Doppelsegel ihrer Schwingen.
Nur ganz selten rühren sie einmal die Flügel wie zu einem schwelgend tiefen, vollen Atemholen.
Doch dann feiern sie gemeinsam wieder lange Zeit in ihrem unbewegten Schweifen und sind nichts mehr als verträumtes Gleiten, Glanz und heile, lichte Schönheit!
Von dem Einen zu dem Andern frägt mein Staunen und berauscht, beglückt sich an der Wonne ihrer Schnäbel, ihrer Schwingen, bis es endlich Sättigung und Frieden in dem über Alles köstlichen, ruhseligen Glanze ihrer Augen findet.
Denn die blicken nicht so eng und so versponnen von der Mühsal eitlen Grübelns wie die unsern, sondern sie sind hell und herrlich aufgetan wie Fenster, daß das Bild der Welt durch sie hindurch, unverstellt und lauter, in die luftig dünne Weile ihrer Vogelseele wehen kann!
Unsäglich rätselhafte Klarheit muß dort drinnen wohnen, – eine Weite, die nach allen Seiten ungemessen auseinanderrinnt wie grenzenlos gereihte Säulenhallen, – wie Wellenrollen und wie Wolkenströme, – wie der dünne, reine, ewige Weltenäther selbst!
Ueber alle Meere, über alle Himmel hin, – von Auge zu Auge, – von Schwinge zu Schwinge spannt sich diese Seele!
O leichte, lichte Auflösung und Stille, so in Abertausenden von gleichen Augen, gleichen Schwingen seine eigene Regung zu genießen!
O traumhaft schöne Lust und Einfalt, so zu fliegen!
Aus schwindlig fernen Abendbreiten, wo sich Meer und Himmel ohne Unterschied in Eins verglitzern, stäuben sie als zwinkernd feine Licht- und Schattenflöckchen auf, – stürmen wachsend durch den leeren Raum heran, die Ferne mit den gierigen Flügelschlägen fressend, – gliedern sich in Rumpf und Schwinge, Kopf und Aug und Schnabel, – werden Vogel, – werden Wesen, – werden reißend schnelles, unzählbares Fluggespenst!
Schon gellt, vom knurrenden Braus der Flügel unterdunkelt, das Schellen ihrer Stimmen wild und fremd zu unserm Schiff, – schon sind die Ersten, Schnellsten da, – schon sind sie wieder weg, – und nun wälzt sich, in ungeheurem, stundenlangem Nachdrang, das gesamte abenteuerliche Heer der Vögel – Schwarm an Schwarm und Rotte hinter Rotte, – unabsehbar über uns dahin, bis von dem Aufruhr der begehrlich lauten Stimmen und vom brausenden Verkehr der Fittiche der ganze, weite Abendraum getrübt und dumpf durchwettert ist!
Doch plötzlich wird der Himmel wieder blaß und rein und still von ihnen, und der schaurige Vorüberzug verdonnert und verrollt sich wieder spurlos in der Ferne.
Denn kein Einziger der Tausende und Abertausende von Vögeln, die an mir vorüberfliegen, mag es leiden, daß ich ihm auf seiner Fahrt begegne, – Keiner gönnt sich bei mir einen Augenblick der Ruhe oder sonst ein Zeichen weilenden Vertrauens, sondern wenn sie über Bord auftauchen und mich unverhofft so nahe neben sich gewahren, entsetzen sie sich jählings über meine Art, schleudern sich mit einem gellen Schrei und Flügelschlag herum, kröpfen ärgerlich den Hals und schnellen ihn gleich wieder mit solch blitzgeschwinder, spukhaft drohender Verrenkung vor, als ob sie im Vorübersausen boshaft nach mir schnappen wollten!
Doch vielleicht ist die unheimliche Gestikulation nichts weiter als ein Wink aus der Bedrängnis ihrer maßlos überraschten Vogelseele, – ist vielleicht nichts Anderes als eine Art gespenstig alten Grüßens, – ist ein längst verschollener Brauch aus jener Zeit, wo sich noch Mensch und Tier und jegliches Gewächs, – Luft, Flut und Schlamm, – gleichgültig nah und freundlich waren.
Doch weil mich schon Aeonen erdenhafter Lenkung von den frei beflügelten Gesellen in den Lüften trennen, kann ich ihren Gruß nicht mehr begreifen und entgegnen: – ich erschrecke vor dem Anschrei ihrer Stimmen, vor der feindlichen Gesittung ihres Flügelschlags und vor der Dämonie des bösen Blicks, der mich aus ihrem unbewegten, fahlen Flaumgesicht beglotzt, und bleibe stumm und scheu im Zweifel jemals wiederkehrender Verständigung!
Wie eine einzige, geheimnisvolle Wolke, wie ein Ungewitter von Geflügel und Geschrei sind sie dahergekommen, haben mir mein Licht getrübt und meinen Sinn verwirrt, und sind auf einmal, alle miteinander, wieder fortgebraust, – ostwärts hinaus, – hinüber in die nächtlichen Gedünste, hinter denen, irgendwo verborgen, ihre Vogelinsel liegen mag!
Drei Felsenzacken, furchtbar jäh und glatt, – und Grate, die in sonderbarer Gleichung zwischen ihnen auf- und niederschwingen, – dazu ein vierter, ungeheurer Klotz, – allein und abgesprengt als prunkendes Stirndiadem nach Norden weisend: – so erscheint Sankt Pauls Rock im Atlantischen Ozean!
Wie ein zerborstener Kronreif liegt die Insel in der namenlosen Einsamkeit der Flut, – der letzte Ueberrest von einem riesigen Vulkan, der flammenbrausend einst vom Meerabgrund emporstieg, wuchs und wuchs und wieder niedersank, erlosch, ertrank, – undenkbar lange Zeit, bevor die ersten Menschen ihre Schiffe bauten.
Nun ragt sie übers Wasser, – eine alt und still gewordene Ruine, – ein zerfetzter Klippenkranz, – ein Riff, – ein Nichts!
Von keinem Quell erfrischt, von keinem Grün benutzt, – von Brandung rings umdonnert und von Haien wild umschwärmt, ist sie den Vögeln nur ein felsiges Genist und allen Schiffern nur ein scheu gemiedenes Zeichen auf dem langen Weg, der sie vom einen fernen Land zum andern bringt.
Denn Keiner, der an ihr vorüberfährt, hält an, um sie in Muße zu beschauen, zu umkreisen oder gar das unnütz wilde Wagnis einer Landung auf ihr zu bestehen, – Keiner sieht von ihr mehr als die eine starre, tote Felsenmauer und den Schwung der Grate, – Keiner weiß, wohin sich wohl rückwärts ihr Klippenwuchs verliert, wohin die Welle mündet, die am niedern Riff emporleckt und schwer nickend, schlummrig, über die ertrunkene Felsenschwelle in ein rätselhaft verborgenes Jenseits fließt!
Verschleiert und verschwemmt vom geisterhaften Hauch der Vogelwolke, die beständig vor ihr auf und nieder schaukelt, taucht das Bild der Insel aus der Flut empor, schwebt still vorüber und entschwindet wieder, – stumm und unerkannt und ohne jegliche Verheißung für das Menschenvolk.
Sankt Pauls Rock, – ewig starrendes Geheimnis in der schlaffen Dehnung der Gewässer, – du verwaiste Krone, – Einsaminsel in der Weltverlorenheit der Reise!
Auf Tausende von Meilen ist die Felseninsel den Seevögeln einziger Horst und Abendsitz.
Gratauf, gratab auf den zerfressenen Kämmen, – in jeder Felsennische und auf all den glatten Simsen des lotrecht zerklüfteten Gesteins seh ich sie hocken in verworren buckligem Gedräng, und nirgends ist ein offener Platz, ein Winkel mehr, den sie nicht längst schon unter sich verteilt, bestritten und besiedelt hätten!
Da ist fürwahr kein Aufenthalt für Menschen, ist kein Ziel und keine Hoffnung, wo allein die starken, wilden Fluggeschöpfe Herr und Meister sind!
Bespäht von ihren allzu hellen, zwiegesichtigen Blicken und bespien vom Unrat ihrer eklen Mahlzeit müßte sich der Gast verachtet und verloren fühlen.
Der erhitzte Dunst des Guanos würde seinen Atem würgen, und der Schrei, der polternd schwere Wurf der Flügel seinem Herzen Mut und Schlummer rauben.
Und doch, – was für ein Wohnen wäre es einmal dort drüben auf dem kahlen, toten Felseiland, – in nächster Nachbarschaft der zahllos überlegenen Vögel!
Welche Angst und Pracht in sturmdurchtosten Nächten!
Welches letzte, einsamste Versinken in der stummen Glut des Meermittags!
Nackt allerdings und wehrlos müßte man bei ihnen hausen und abschwören alle Eitelkeit des Menschenwillens. Stund um Stunde müßte man reglos ins ozeanische Nichts hinüberstarren, – müßte in verhaltener Ahnung dessen, was die Andern treibt, in höckeriger Unruh auf- und niedertreten, – müßte kreischen, müßte jaulen, wenn sich die gestrengen Mütter mit den Jungen zur Belehrung scharen, und dann wieder schweigend lauschen, wenn die Vogelgreise zur allnächtlichen Beratung schreiten, und am Ende gar mit überzeugter Lust und Wucht die Arme wirbelnd spreiten, um, gemeinsam mit den Andern, sich vom sichern Steingesimse in die Luft hinaus zu schwingen.
Doch dann würde es vielleicht gelingen, daß man von den Vögeln mancherlei erführe, was sonst aus der Menschenferne dumpf verborgen bleibt: – seltsame, fremde Kunde von dem Griesgram und der Kühle ihres ziellos steten Blickens, – von den dunklen Gründen ihres Schreis bei Tag und Nacht, – vom irren Rätsel ihrer Unzahl und der Gabe nie erschöpfter Fruchtbarkeit und auch vom Zwang der ewig gleichen, ungefragten Wiederkehr!
Und jedes winzige Geheimnis, das man solchermaßen ihrer Vogeldumpfheit abgelistet hätte, wäre gut zur Rückkehr in die erste, ferne Heimat, – in die erste, stumme Feier aller Kreatur.
Ganz, ganz allmählich würde man dann wie die Vögel sein und über ihre Art hinweg, – von Tag zu Tag, – von Nacht zu Nacht, – in immer tiefern Schlaf versinken, – würde nur noch brüten, nur noch glotzen, und am Ende selbst zur Insel werden, – zu dem Ewigstillesein und Harren des Gesteins, das sich vielleicht erst in den letzten, spätsten Erdenstunden noch einmal verwandeln und verjüngen darf!
Ihr draußen in der Luft und ihr im Meer, – ihr Vögel und ihr Fische, – ach, wie seid ihr fremd und frei!
In dunkler Wasserschwere steigt ihr willig auf und ab, und in den Himmeln schwebt ihr wolkenlicht und los, wohin euch immer Wind und Wünsche locken.
Aber wir auf unserm Schiffe sind nicht Vogel und nicht Fisch!
Wir fahren zwischen Luft und Wasser zäh dahin und können uns in keins von beiden heben oder senken, – keins wird uns zur Heimat, keins zur Ruh.
Ihr Freie, Fremde, Glückliche!
Wär ich doch bei der Schöpfung einer von den eurigen geblieben!
Die gesamte blaue Meeresweite wäre dann noch heute meine Weide und mein Nest, darein ich jederzeit mich bergen könnte, um gleich euch nach Lust und Not die offene Welt mit dem verschwiegenen, feuchten Schattenreich der Tiefe zu vertauschen!
Die fliegenden Fische, – ob sie nahe oder ferne, – einzeln oder scharenweise über See hinschwärmen, dünken mich nicht halb so ernst zu nehmen wie die Vögel!
Wenn sie auch bisweilen mit den strahlend weiten Augen und bewehrt mit ihren mächtigen Sichelschwingen fast wie echte, rechte Meeresvögel, reißend schnell und wild, die Luft durchfliegen, spüre ich in ihnen doch niemals die gleiche, dunkle, seelische Gemeinschaft, die mich mit den Vögeln stets vereint.
Sie sind für mich bloß Sachen, – einfältig lichte, lustige Spielsachen meiner Meeresphantasie, die mich in Eile und in Glanz auf meinem Reiseweg umgaukeln!
Ich lieb sie einfach, und ich möcht sie gerne haschen, – so wie man als Kind in flüchtiger Neugier nach den Schmetterlingen greift, um das Geheimnis ihres Dufts und ihres himmlisch bunten Schimmers zu erlangen.
Sinds denn überhaupt noch »Fische«, wenn sie so, zu Hunderten gedrängt, fast formlos farbenduftig durch die feuchten Fernen hauchen?
Sinds nur bunte, ozeanische Mückenschwärme oder einfach zarte, meerhaft unbeseelte Blumendinge, die in reichen Schwaden, wie der Wurf der Körner aus des Sämanns Hand, sanft oder feierlich aufs Wasser niederwallen?
Schön sind sie auf jeden Fall und unerklärlich fremd und anders als ich selbst!
Denn alles ist an ihnen so geschliffen blank und steif gestaltet, – starr wie ein Kristall, – und dabei doch voll wunderbarer, schillernder Geschmeidigkeit.
Wenn sie in halber Fahrt ganz nah ans Schiff gelangen und mit ihm ein Weilchen gleiche Richtung halten, kann ich jede Einzelheit an ihnen sehen und sattsam betrachten: – das hell messinggelbe und oft feuerrot durchflammte Auge und das Maul, das in den Lüften schöpfend auf und zu klappt, – den geheimen, lebenswarmen Purpur in den Kiementaschen, – das Gespann der drachenartig ausgespreizten Schwingen und den flinken Schwanz mit der glaslautern, breiten Steuerflosse.
Dann erscheinen mir die Farben ihrer Haut bald hart und kalt, bald schmiegsam weich und warm bestellt, denn blendend sticht bei einigen das Weiß des Bauchs vom Lackbraun und vom Schwarz des Rückens ab, – bei andern läuft es sanft verschwommen über in ein schlummeriges Perlenblau, und überdies sind sie noch ringsherum von zartem, spiegelnd nassem Schmelz begossen und hell grünlich, rot und gelb und violett umflimmert von dem allerschönsten Regenbogenschein.
Wie könnte ich mir da noch einen lustigeren Zeitvertreib ausdenken, als vom Bordrand in den morgenfrischen Raum zu schauen und zu raten, wo die sonderbaren Luft- und Wassersegler aus der Flut aufflitzen mögen, – wo sie wieder niedertauchen, und wie lange wohl das nächste Mal ihr Schweben dauert; – brechen sie doch immer da, wo man sie grade nicht erwartet hatte, unvermutet aus dem blauen Hinterhalt hervor und schießen wie ein Bündel Pfeile, reich und bunt bewimpert, durch die luftige Welt dahin!
Die Kleinsten unter ihnen kommen ganz geräuschlos hoch, – die Größten aber, die oft über zwei Handlängen messen, fahren wie ein prasselndes Gewitter aus der Flut empor und steuern ihr beträchtliches Gefährt mit großer Kraft, laut surrend, durch die Lüfte, – gehn einmal im Gleitflug wieder in die Tiefe nieder, um mit ein paar hastigen Flügelschlägen neuen Antrieb für die Weiterfahrt zu schöpfen, oder setzen gar einmal in kühnem Sprung quer über unser Vordeck weg.
Zumeist ist ihre Reise allerdings nur kurz und dauert kaum von einem Wellenkamm zum andern, aber manchmal gehts auch über Strecken von wohl hundert und zweihundert Metern frei dahin, wobei ihr Flug so sausend schnell sein kann, daß sie das Schiff in wenigen Augenblicken überholen!
Nur wenn ihnen die Raubmöwen einmal allzunahe auf den Leib gerückt sind, stürzen sie sich plötzlich und kopfüber flüchtend in die Flut.
Dann bleibt es eine Weile still ringsum, und nichts verrät mehr, daß sie unter der beschützenden Meerdecke heimlich weiter treiben, jeden Augenblick bereit, sich wieder in die Luft emporzuschnellen.
Und all dies, – das Tauchen und der Flug, – vollzieht sich leicht und unbekümmert wie aus lauter Spiel und Gaukelei; denn wenn dann wieder ihre Zeit gekommen ist, und nirgends mehr Gefahren für sie drohen, sprossen sie von neuem weithin aus der ozeanischen Flur, wie Unkraut neckisch bunt und rasch verblühend auf.
Ja, – sie sind wirklich nicht so ernst zu nehmen wie die Vögel!
Eine andere, fremde Seele haust in ihnen, – ein ganz anderes, gleichgültigeres Los!
Denn ihre Augen, die sie allezeit sperrangelweit aufreißen, glotzen ungezielt und teilnahmslos ins Ferne, wie durch eine Brille, die das Blicken glitzrig scharf und leer zugleich gestaltet.
Nichts vom zornigen Willen und nichts von der abgeklärten, weisen Ruh des Vogelauges ist in ihrem Schauen, sondern alles, was ich in der Eile des Vorüberflugs darin erraten kann, ist nur die leidlos überlegene Kühle ihres ganzen Wesens und vielleicht darüber noch ein Fünkchen von verzücktem Schmachten und Begehren nach dem ewig wohlen, nimmersatten Glück des Auf- und Niedertauchens zwischen Luft und Flut!
Im schwülen Schweigen des atlantischen Mittags, da kein Fisch mehr aus der Flut auftaucht, und keine Vogelschwinge über der einöden Bläue hängt, regt es sich plötzlich in den westlich fernen Breiten und kommt, leise schaukelnd, über See dahergeschwommen: – ein ganz lichtes, lockeres Geschwader märchenbunter, märchenzarter, winziger Blumenschiffe!
Das sind die Segelschwärme der Medusen, – jener Quallenarten, die, halb Tier, halb Pflanze, in unzähligen Scharen durch die Tropenmeere ziehn!
Man sagt, sie reisen mit den steten Winden und den Wasserströmen ohne Unterbruch von einer Festlandküste pendelnd immerfort zur andern, und dann wiederum zurück, und rasten nie.
Und wirklich triften sie nun Stunde um Stunde langsam von den westlichen Gewässern nach den östlichen hinüber: – bald nur spärlich in verdehnten Zwischenräumen, daß man zählen kann, wie eins ums andre sachte aus der Ferne ankommt und vorüberzieht, – bald in kleinen Nestern fruchtbar enge beieinander.
Aber nie sind sie so satt beisammen, daß sie sich berührten und dabei die zarten Wurzelfäden unheilsam verwirrten, – und auch nie so weit zerstreut, daß sie sich ganz verlören und ein Einzelnes von ihrer einigen Bahn abseits ins Leere irren ließen, wo es in der Oede des Alleinseins ratlos untergehen müßte, – sondern ein geheimer Sinn trennt sie und eint sie allesamt in wohlbestimmtem Abstand und geleitet sie in meerverschwommener Ferne stumm und unbegreiflich fremd an mir vorüber.
Nie zuvor sah ich ein anderes Ding so unerschöpflich bunt, so reich und weich, so wogenhaft geschmeidig über See hingleiten wie die Segelblasen der Medusen!
Alles, was an diesen pflanzenhaften Tieren zur Empfindung und zur Wehr, zum Nahrungschaffen und zur Fortpflanzung zu dienen hat, – all dieses torklige, verschlungene Gewächs der Gallertbänder und Polypenarme, – ist geheimnisvoll und blaß verquollen in die Wassertiefe eingesenkt und rings umschauert von der trüblich roten Wolke seiner Nesselfasern.
Nur die leeren Blasenkämme heben sich frei aus dem Wellengrund ans Licht empor, als richtige, kleine Segel, die im Winde bald gerefft, bald prangend ausgespannt getragen werden können.
Eng gekräuselt sind die Einen oder aufgelockt wie überreife Hyazinthendolden, und die Andern strotzend prall und nur am Rand ein wenig eingewulstet, – grad wie herrliche, halb offene Tulpenkelche, die in allen Regenbogenfarben schillern, – weinrot, violett und gelb und seltsam bläulich grün!
Vielleicht sind sie bis in ihr Innerstes durchdrungen von der salzigen Kraft des Meers, – vielleicht auch nur gebläht vom Auftrieb dünner Gase oder von der linden Bitterkeit der eigenen Säfte vollgeschöpft, da sie so satt und prall und dabei doch so wunderbar durchsichtig leer und bunt wie Seifenblasen scheinen können!
Niemals trüben sie sich, nie erlöscht das kühle Feuer ihrer Farben: – vom beständigen Meerwind und vom Sprühn des Schaumes spiegelblank befeuchtet treiben sie in immer gleicher, schlummriger Erleuchtung durch die dunklen Schatten- und die grellen Sonnenfluren und durchschiffen ohne Fährnis auch die blendenden Gischtwirbel, tunken unter einer Brechsee nickend in die Flut und tauchen mit dem perlenden Geschäume wieder unversäumt und wohlgemut ins Freie auf.
Nur wenn einmal ein allzugrober Regenguß in ihre zarten Blumenbeete prasselt, ducken sie sich ängstlich nieder, bergen ihre Hyazinthen-, ihre Tulpensegelchen und schlüpfen, – eins ums andre, – hurtig in die sichern Wassertiefen ein.
Dann verlöscht mit ihrem Welken plötzlich all das Blumenbunte auf dem Meere, und die regentrübe Bläue schäumt vereinsamt über sie dahin.
Doch mit dem ersten Sonnenstrahle strecken sie schon wieder ihre Kelche allenthalben aus dem feuchten Grund empor und segeln, sanfter oder leidenschaftlicher berührt, im ewigen Auf- und Niederschwung der Wogen schimmernd in die Fernen fort.
Wie sie sich aus den Tiefen heben und sich wiegen auf saumselig breiten Höhn!
Wie sie sich mählich neigen und vom Wogengipfel wieder in die Wassertäler niederfahren!
Welch ein Sehen ohne Augen! – Welch ein Fühlen! – Welch ein seliges Strömen unter ihnen Allen, wo das Eine von dem Andern nichts mehr weiß, als daß es gleichen Dranges sänftlich neben ihm in gleicher träumend ungefährer Nähe und Gemeinschaft wandelt und den gleichen, unerratenen Zielen zustrebt!
Keine Trennung und kein Mangel kann sie treffen, denn wenn auch die Letzten ihrer Schwärme hier bei uns in dunkle Nacht eintauchen, segeln doch die Ersten in der unverlorenen Ferne irgendwo schon wiederum im Lichte eines neuen Morgens, und ihr eng verschlungener Reigen strömt und strömt dahin von einem Sonnenaufgang ewiglich zum andern.
Rinnend blühn sie aus dem Meerabgrund empor, – reifen, – lösen sich vom Muttertier und mischen sich behutsam in die großen Schwärme, wo ein Teil den andern nicht mehr als sein Gleiches, Eigenes erkennt.
Rinnend treiben sie dann selber junge Knospen, – rinnend welken sie dahin und vollenden rinnend ihren schlummerstillen Kreislauf.
Wie wenn zwischen Morgendämmer und Erwachen Leib und Seele schimmernd ineinander weilen und gedeihen, wird mir im verträumten Anschaun der Medusen selbst so meerhaft wohl, so grenzenlos verwogend und verzichtend leicht zumute.
Leise, leise neigt sich mein Gewissen ihrer Unschuld zu und vertraut sich lächelnd ihrer linden, ahnungslosen Lenkung an, bis es mir endlich, selbst nur noch ein kleines, schleierbuntes Segel, mitten unter den Medusenschiffen, sanft im blauen Schweigen der Unendlichkeit entschwimmt!
Viel bunte Segel wandeln auf den Wasserstraßen hin und her, – die Masten goldrot, gelb und schwarz, und den schlohweißen Leib mit blauen, grünen, schwarzen oder roten Bändern fein verziert.
In mannigfaltigem Umtrieb verrichten sie ihr Werk und werden alle Augenblicke, wunderlich behend, ein andres, schönes Ding: – Turm, – Vogel, – Falter, – Blüte, – schaumiges Gewölk!
Ob sie nun leisen Bogens, lind geläufig durch die Fluten gleiten, – ob sie in beharrendem Entzücken reif und ragend still darin verweilen, – immer ist für mich ihr Nahen und ihr Gehen von derselben, unaussprechlich traumig schönen Glücksbedeutung.
Denn mit jedem kommt zu mir herein die ganz unbändige, nimmersatte Lust, zu winken und zu fragen und zu horchen auf den Gruß der unbekannten Weite, – und mit jedem, das am Horizont entschwindet, zieht, unwiderstehlich, meine Sehnsucht fort, – die Sehnsucht und der Glaube an das Wunder nie berührter, nie entweihter, ewig keuscher Ferne.
Drei Segler kreuzen nacheinander unsern Kurs, – wie stolze, meerhaft luftige Frauenwesen anzuschauen, die, mit ihren Tüchern winkend, werbend oder auch versagend, uns auf unserm Reiseweg ergötzlich bunt umschwärmen!
Halb ins Meerblau eingesenkt hält sich die erste Bark noch ferne hinterm Horizont.
Nur mit den Mastenspitzen und den kleinsten, obern Segeln äugt sie, wie verschämt, zu uns herüber, nickt uns zu und blinzelt uns mit ihren Flaggen gar bedeutsam aus der Ferne an.
Sie möchte uns wohl etwas sagen, etwas fragen, wenn sie sich dabei nur nicht aus ihrem halbgewahrten Meerversteck herausbequemen müßte!
Aber schließlich schwebt sie doch, aus Angst, von uns nicht mehr verstanden und erkannt zu werden, allsgemach ein wenig näher zu uns her, rafft, wie gelangweilt, unter mannigfachem Drehn und Wenden eines ihrer Segel hoch und läßt es wieder fallen, – spielt die Spröde, – spielt die Köstliche, – und kommt vor lauter Schöntun gar nicht mehr dazu, uns ihr Begehren deutlich lesbar kundzugeben.
Immer weiter bleibt sie hinter uns zurück, – immer unscheinbarer, blöder wird das lüsterne Gezüngel ihrer Flaggen, – bis sie schließlich einsehn muß, daß sie unwiderruflich die Partie mit uns verloren hat.
Doch erst am Horizont birgt sie die Wimpel, hüllt sich, niedersinkend, in den Schleier und den Schmerz der Unverstandenen, – kehrt sich ab von dieser Welt und begibt sich schmollend weg auf irgend einen andern blauen Meeresstrich, um dort mit besserem Gefäll ihr Glück im Winken und Erhörtsein zu versuchen!
Kaum ist sie verschwunden, tritt, beinahe an derselben Stelle, wo sie untertauchte, schon die zweite in die frisch bewegte Wellenszene ein.
Die schont sich nicht und ziert sich nicht und bleibt nicht lange jenseits hängen, sondern rüstig steigt sie, Ra um Ra und Tuch um Tuch, am Horizont empor und steht mit einem Mal vom Rumpf bis zu den Mastenspitzen fertig zwischen Luft und Wasser da: – ein spiegelblankes, flugbereites Seegefährt!
Gefällig legt sie sich im Wind vor uns zurecht, spreizt unverweilt die volle Pracht der Flaggen aus, – und nimmt, – und gibt, – und geht, – in einem einzigen, frisch entschlossenen Zug!
Und hinter ihr hebt sich die dritte Bark, bedächtiger, aus der See, – die Tücher alle steif und vollgepufft vom fernen, unsichtbaren Drang des Windes.
Breit verwallend und nachlässig zerrt sie die Schaumschleppe des Kielwassers hinter sich daher und hastet nicht und müht sich nicht, uns nahzukommen oder uns zu grüßen.
Ganz mit sich allein beschäftigt kreuzt sie stolz und stumm an uns vorüber, von den Toppen bis zum Deck herab altmodisch eingewandet in die schwere Tracht der Segel, – starrend von Geschnür und Falten und von prunkhaft aufgeblähten Wülsten: – grad wie eine fremde, strenge, königliche Frau!
Erst in der Ferne wendet sie sich um, bleibt stehn und schaut uns lang in kühler, überlegener Schwermut nach.
Im ersten Frühschein hebt sich eine Bark am Horizonte auf, – die Masten und die Segel alle noch umgeistert von dem Atem und dem Licht der fremden Weite.
Still und bunt tritt sie in unseren Bereich und bringt das unsichtbar Geheime mit sich aus der See empor: – den Gluthauch Afrikas vielleicht und Indiens Holzgerüche und der märchenhaft entlegenen Koralleninseln feuchten Duft.
Nur wenige Augenblicke hält sie sich, – halb Wahn, halb Wirklichkeit, – im Morgendämmer auf, dann taucht sie wieder, blaß und ferneschattig, in die Fluten ein.
Doch ihre letzte Spur, ihr letzter Schein wirkt wie die leise Mahnung eines späten, abenteuermüden Traums noch lang im Tage nach.
Am funkelnd blauen Horizont steht eine Segelbark, – so schön wie eine Blume aus dem Meer gesproßt, – so innig still, so bunt, so klar.
Ganz leise hebt sie sich und nickt im Andrang einer fernen, unsichtbaren Woge, öffnet zögernd ihre Segelknospe, wendet sie dem Licht, dem Winde zu und beginnt in träumender Berückung, langsam gegen uns heranzuschweben.
Wie ein Bündel Staubgefäße sprühen ihre Flaggen an hauchzarten Leinen aus dem Kelchgrund auf, wehen zitternd eine Weile aus und versickern wieder spurlos in den feuchten Lüften.
Und die Knospe schließt sich, – sinkt, – entschwindet in der Wogenbläue, die ihr letztes, lindes Rinnsal schlummrig überfließt und löscht.
Weiße Segel hauchen schimmernd durch die schwülen Mittagstunden hin.
Luftig, duftig wie verschwommene Gewölke kommen sie, eins um das andere, aus den größten Fernen still zu uns herüber und wallfahren wieder still ins Ferne, Ewige zurück.
Jedes winkt uns mit den Flaggen schüchtern lockend zu und bleibt doch immer in der träumerisch wehseligen Ferne ruhn, – hat immer seinen Ort am Horizont, wo Alles sacht entschwindet und hinüberneigt in eine andere, unsichtbare Welt, die wohl gleich weit, gleich blau und grenzenlos verwogend ist wie die, die uns hier rings umschleiert und umglänzt.
Vielleicht sieht jedes dort in jenen Räumen drüben fern ein anderes Segel stehn, – und dieses wieder eins, – und immerfort noch eins, – im Wetterschatten eins, – und eins im Licht, – und alle tragen an den Masten bunte Wimpel, – alle winken voller Sehnsucht, voller Ungeduld einander zu und spinnen so, – von Horizont zu Horizont, – von Meer zu Meer, – ein geisterlichtes, leises Netz von Fragen und Begaben.
Vielleicht, – ich weiß es nicht!
Denn eh wir selbst mit unsern Flaggen in das mittagschimmernde Gewebe eingenommen werden, lösen sich schon wieder sacht die Fäden unserer zärtlichen Beziehung, und ein Jedes von uns treibt, dem Andern unfühlbar entschwunden, auf den Pfaden seiner eigenen, traumigen Verlorenheit dahin!
Nur wenig ists, was uns die Segelschiffe, wenn sie uns auf hoher See begegnen, mit den Flaggsignalen aus der Ferne mitzuteilen haben: – ihren Namen nennen sie, den Heimathafen, Herkunft und auch Ziel der Reise, – und, wenns viel ist, hissen sie dazu das jederzeit willkommene Zeichen: – »Alles wohl an Bord!«
Und tun dies ohne jede Herzensrührung, ohne Lust, – bloß auf das nüchterne Geschäft bedacht, daß wir auf unserm Dampfer, altem Seemannsbrauch gemäß, die Kunde ihres Orts und Wohlergehens auf dem schnellsten Wege nach Europa weiterlenken, – ganz allein den Börsenmaklern und Versicherungsagenten zum Vermerk!
Und dennoch, – tief bewegt vom ständigen Heimweh und vom Fernweh meiner eigenen Reise, spür ich aus der spröden Sprache dieser unhörbaren, drei, vier Flaggenworte jedesmal die ganze Schwermut, die in unserm trotzigen Begegnen und Vorüberziehen liegt, – die ganze scheue und trübselig süße Melodie und Inbrunst alter Seemannslieder wiedertönen: –
»Ich heiße »Nixe«
Und gehör nach Bremen.
Schon seit vielen Wochen
Zieh ich durch die Tropenmeere hin
Und hab noch einen langen, langen Weg vor mir,
Bis ich in meiner Heimat
Wintergrauen Fernen bin. –
Es ist mir gut ergangen, bis hieher.
Ich grüße euch,
Denn ich muß gehn. –
Lebt wohl, lebt wohl auf eurer Trift! –
Ich fahr dahin,
Ich fahr dahin!«