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Zehntes Kapitel.
Frühstück bei Senators

Das Schicksal, das im Grunde nichts anderes ist als die Fügung der göttlichen Vorsehung, combinirt Menschen und Dinge und Ereignisse oft in ganz überraschender Weise. Wie ein guter Dramatiker den natürlichen Gang der Dinge benutzt, um unerwartete Lösungen von Verwicklungen und folgenschwere Begegnungen der handelnden Charaktere einzuleiten, so bedient sich auch der weise Lenker unserer Geschicke meistens der Vorfälle des alltäglichen Lebens, um seine Geschöpfe zu jenem hohen Ziele zu führen, welches er ihnen von Ewigkeit her bestimmt hat. Die kleinen Menschen auf dieser kleinen Erde sind frei – es ist wahr; doch die unerschaffene Liebe sieht die Gelegenheiten voraus, die ihre Geschöpfe benutzen werden, zu ihrem Heile und wahren Glücke. Warum die einen den Kampfpreis erlangen, die andern die Bestimmung ihres Daseins verfehlen, das ist das Geheimniß des Schöpfers, und der Schöpfer ist nicht gehalten, seinen Geschöpfen Aufschluß zu geben über die Verwendung feiner Gnaden, die er niemanden, auch nicht dem Heiligsten, schuldet. Das Geschöpf aber braucht dennoch nicht zu zagen und zu zittern; denn Gott will, daß alle Menschen selig werden. Viel begründeter ist die Furcht, daß wir mit freiem Willen Gott verwerfen und seinen gerechten Zorn auf uns herabbeschwören. Der Mensch, welcher guten Willens ist, darf sich getrost in die Arme der Vorsehung werfen; denn sie ist allweise und spendet ihm freudig, was er zu seinem Heile bedarf.

Merkwürdig: enttäuscht und unbefriedigt verließ Theo das Haus Pastor Turners, und schwärzer denn je erschien ihm die Nacht seiner Seele. Nichts konnte er denken, nichts hoffen, nichts wünschen als nur das eine: Ewige Wahrheit, nur einen einzigen Strahl deines Lichtes sende meinem Geiste! Wahrheit, nur Wahrheit, und wenn ich sie mit dem Leben erkaufen müßte!

Dein Leben, Theodor, verlangt der Allerhöchste nicht; aber Kampf hat er dir bestimmt, bevor du die Palme des Friedens, des Sieges erlangst.

Wer war denn der sonderbare Gast, der bei Göhrings mit am Tische saß und auf den alle mit einer gewissen neugierigen Scheu die Augen hefteten?

Theo wurde vorgestellt, und der fremde, ernste Herr mit dem würdigen Vollbarte war: »Pater Hermann Prätorius.«

Pater! Ordensmann! Katholischer Priester – und beim Frühstück mit den Damen der streng lutherischen Familie des Senators Dr. Göhring?

Als Theo zwischen der Chanoinesse und seiner Cousine Helene einen Platz am Tische eingenommen hatte, flüsterte ihm das junge Mädchen zu: »Der katholische Pastor ist der Sohn des verstorbenen Senators Prätorius, ein von der protestantischen Kirche Abgefallener. Er kommt aus Afrika, aus seiner Mission, um in Europa, auch unter den Hamburger Katholiken zu sammeln für seine Schule und seine Kirche. Er besucht ungenirt alle alten Bekannten. Gerade vor dem Frühstück wird er Mama gemeldet, die ihn früher gut gekannt hat. Dolores hatte ihn schon hier in der katholischen Kirche predigen hören. Ihretwegen hat Mama ihn empfangen und sogar zum Lunch gebeten. Theo, ich habe eine schreckliche Angst; ich habe noch nie mit einem römischen Pastor gesprochen!«

»Ich auch nicht, Lenchen,« lachte Theo; »aber fressen wird er uns schwerlich. Die Hammelcotelettes werden ihm hoffentlich genügen.«

»Aber Theo, wenn er uns bekehren will! Diese Leute machen so fanatische Propaganda.«

»Was hat er denn gesagt?«

»Noch hat er keinen Versuch gemacht. Er erzählt nur von Afrika, von seiner Reise u. s. w. und erkundigt sich nach alten Freunden. Aber es kommt noch, du kannst sicher sein.«

»Bitte, gib mir eine Tasse Thee! So, du meinst, es kommt noch? Wir wollen es abwarten.«

»Theo, ich bin nur froh, daß der Priester nicht in seiner Mönchskutte gekommen ist; ich würde mich halb todt ängstigen.«

»Wirklich?«

»Zumal weder Papa noch Octavio zu Hause ist.«

»Wo sind denn die?«

»Papa mußte heute Morgen nach Berlin zum Bundesrath, und Octavio hat Schwurgerichtssitzung, worüber deine Schwester Matty sehr enttäuscht war. Theo, die Chanoinesse ist heute wieder köstlich; sie hat gar keine Furcht vor dem Pater Hermann, sie nennt ihn immer monsieur l'abbé. Sieh nur, wie er sich mit Freddy unterhält – er wird ihn doch nicht katholisch machen!«

»Du bist doch ein albernes, furchtsames Geschöpf!« sagte Theo, wirklich ein wenig böse.

Freddy ließ sich von den wilden und halbwilden Schülern des Paters erzählen und meinte in seiner ungenirten Art: »Es kommt mir vor, als ob deine Afrikaner es viel besser haben als du und der andere Pastor, der bei dir ist.«

»Etwas ist daran schon wahr, kleiner Freund,« lachte der Pater; »die Buben müssen zwar auch fleißig arbeiten, aber der Missionar ist für sie zugleich Papa, Mama, Kindermädchen, manchmal sogar Koch, Schullehrer, Seelsorger, Arzt, Aufseher bei der Arbeit und noch manches andere mehr.«

»Dann mußt du aber schrecklich viel Geld verdienen, wenn du so viele Geschäfte auf einmal hast!«

»Keinen Pfennig, kleiner Herr! wir thun alles umsonst.«

Freddy, der bereits recht gut wußte, was in seiner Vaterstadt die treibende Kraft war, schaute den Pastor groß an und erklärte: »Ich würde mir für das alles gut zahlen lassen.«

»Bei uns geht das nicht. Wir nehmen nur, was für die Kirche, unsere ärmliche Wohnung und für Essen und Trinken nothwendig ist. Wir haben selten noch Geld übrig. Kommt es einmal vor, daß wir mehr haben, so brauchen wir einen Theil zur Abzahlung unserer Schulden und den andern geben wir den Kranken, Armen und Waisen.«

»Das würde ich nicht thun,« versicherte der Knirps.

»Was würdest du denn thun?«

»Gefüllte Chocoladebonbons kaufen und mir eine Locomotive anschaffen.«

»Eine Locomotive?« lachte der Pater.

Die Senatorin erklärte: »Vorläufig ist es noch sein Ideal, Lokomotivführer zu werden.«

»Oder Conditor!« rief Freddy.

Alle lachten herzlich, und die Chanoinesse predigte: »Freddy, sobald du wie Cäsar auf das Gymnasium gehst, wird dieses faible für Naschereien verschwinden. Cäsar hatte noch im vorigen Jahre solche knabenhafte bizarreries und ist jetzt ganz verändert.«

»Er will Reichskanzler werden,« versicherte Freddy dem Priester.

Prätorius entgegnete: »Man kommt oft im Leben zu Dingen, die man sich nicht träumen ließ. Als ich so alt war wie du, dachte ich auch nicht, daß ich mein Glück unter den Wilden Afrikas finden sollte.«

Die Chanoinesse sagte nicht ohne Bewegung: » Monsieur l'abbé, ich erinnere mich noch sehr gut des jungen Juristen. Ich glaubte noch bei dem Jubiläum Ihres seligen Vaters auf Bernsloh ganz fest, daß ich Sie bald als docteur en droit begrüßen würde. L'homme propose, Dieu dispose Der Mensch denkt, Gott lenkt.. Mon Dieu, diese Souvenirs, die ich so intact in meinem Herzen conservire, wie lebhaft stehen sie heute wieder vor meinem Auge! O Hermann – mais mille fois pardon, monsieur l'abbé – damals sagte ich zu Ihnen ›Hermann‹, ah, qu'est-ce que c'est que cette émotion? Woher nur diese Erregung? Liebe Senatorin, ich bin heute – mes enfants, pardonnez-moi, mais ce sont de si doux souvenirs, qui s'emparent de mon coeur autrement – – point du tout si disposé à pleurer Meine Kinder, verzeiht mir, aber das sind so süße Erinnerungen, die sich meines – sonst gewiß nicht so zum Weinen aufgelegten – Herzens bemächtigen. – monsieur l'abbé, Sie sind erstaunt, daß eine alte Frau …« Thränen erstickten ihre Stimme.

Mit Erstaunen bemerkten alle, daß auch der Priester gerührt ward, als er entgegnete: »Gnädige Gräfin, ich habe Sie auch nicht vergessen, seitdem ich Sie so viele, viele Male im elterlichen Hause und bei Onkel Brewer auf Bernsloh gesehen; für Papa gehörten Sie immer zur Familie. Wollen Sie mich nicht wie früher mon cher Hermann, mon fils nennen?«

» Je ne puis, Sie sind ein dignitaire geworden!«

»Ich bin ein armer Ordensmann. Sagen Sie ›Pater Hermann‹, dann ist alles gut.«

Als die Chanoinesse dankbar zustimmte, aber doch ein wenig weiter weinte, sagte Olly leise zu Mathilde: »Sie wird alt und kindisch.«

Mathilde schüttelte das Haupt: »Nein, Olly; Papa hat mir mal erzählt, sie habe in jungen Jahren den damaligen Dr. Prätorius geliebt. Aber der Doctor und spätere Senator und Bürgermeister heiratete eine Brewer, die Tante deines Bräutigams – du weißt ja – und soll nie etwas von der Neigung der Comtesse geahnt haben. Weil Tante Eveline trotzdem immer bei Prätorius und Brewers verkehrte, faßte sie eine mütterliche Zuneigung für den zweiten Sohn des Senators. Sie hat alles Leid dieser beiden Familien mit durchgemacht: wie Cäsar Prätorius, der älteste Sohn des greisen Bürgermeisters, sich erschoß, wie Hermann katholisch wurde, dann das Unglück der Eltern deines Zukünftigen … aber sieh nur, was hat denn Freddy vor? Um Himmels willen! was macht denn der Junge?«

Freddy war von seinem Stuhle aufgesprungen, hatte eine Mundharmonika aus der Tasche gezogen und stimmte hinter dem Stuhle der Stiftsdame tanzend das Lied an: »Ach du lieber Augustin, alles ist weg, alles ist hin!«

Man wußte nicht, ob man lachen oder schelten sollte. Die Senatorin befahl: »Freddy, kannst du dich unter Erwachsenen nicht gesetzter benehmen, so verlässest du sofort das Eßzimmer. Marsch! Mama ist sehr böse.«

»Alles ist weg, alles ist hin! Alles ist –«

»Freddiih! hörst du nicht, was Mama sagt? Sofort hinaus!«

Gehorsam verlangte die Senatorin von ihren Kindern. Unter dem heimlichen Kichern von Olga und Helene trat der übermüthige Junge seine Retraite an, nicht ohne einen sehnsüchtigen Abschiedsblick auf den Frühstückstisch geworfen zu haben.

Die Gräfin wollte von den Entschuldigungen der Mutter Freddys nichts hören. Sie war bereits wieder die Ruhe selbst und erklärte: »Er hat Temperament, c'est vrai. Aber Kinder dieses Schlages machen ihr Glück in der Welt. Theodor, Sie waren in dem Alter ähnlich; wenn auch nicht gerade so lustig.«

»Nicht so lustig?«

»Nein, Ihr Temperament hat sich in romantischen Lebensäußerungen documentirt. Aber der élan, diese plénitude de la vie fehlt keinem Göhring. Mon Dieu, ich habe Sie ja alle als Kinder gekannt, auch Ihren Gatten, liebe Senatorin! Die Prätorius haben eine andere propriété de famille …«

»Es wäre interessant, das zu wissen,« meinte der Pater.

»Sie wissen es, Pater Hermann.«

»Mag sein, gnädige Gräfin; aber ich habe nie darüber nachgedacht.«

»Ihr Wappenspruch gibt Ihnen das mot d'ordre.«

» Moribus paternis? Wieso?«

»Uebersetzen Sie es uns, Pater Hermann.«

Der Priester, der in seinem nunmehrigen Berufe schwerlich an Wappen und Wappendevisen dachte, mußte unwillkürlich lachen.

»Warum moquiren Sie sich, Pater Hermann?«

»Ich moquire mich nicht, gnädige Gräfin.«

»Aber Sie finden eine deplacirte Plaisanterie in meinen Worten!«

»Durchaus nicht. Es kommt mir nur so merkwürdig vor, an das alte Familienwappen zu denken, da der Missionär im Grunde nur die Devise hat: ›Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden‹.«

»Das ist ein herrlicher Gedanke, Herr Pater!« pflichtete die Senatorin bei, die den Priester immer vorurtheilsfreier betrachtete.

Die Chanoinesse fuhr fort: »Das haben Sie gerade wie ein veritabler Prätorius gesagt. Nun, je m'expliquerai en peu de mots: Die echten Prätorius besitzen das penchant, sich für die solide Tradition der alten Zeit zu enthusiasmiren. Ihr Papa war ein idealer Mann des Glaubens, des Rathes und der convictions traditionnelles. Ihr Onkel Julius in Triest verbindet mit seinem savoir vivre ein …«

»Aber warum muß ich denn hier einen Hymnus auf meine Familie anhören?« rief der Priester, zugleich heiter und bescheiden.

Die Stiftsdame war einmal im Feuer. » Eh bien,« sagte sie, »lassen wir die übrigen und sprechen wir von Ihnen.«

»Sprechen wir lieber von etwas Interessanterem …«

»Ihre Conversion, will ich sagen, hängt auch mit jenem penchant zusammen.«

Die Senatorin fiel ein: »Es wäre wirklich interessant, Herr Pater, über Ihre Gründe etwas zu hören, das heißt, wenn solcher Wunsch nicht indiscret ist. Sie erinnern sich, daß ich Sie nicht recht verstand, als Sie damals – noch als Referendar – mir Ihren Abschiedsbesuch machten, weil Sie in Innsbruck katholische Theologie studiren wollten. Ich habe mit meinem Manne oft über Sie gesprochen. Sie wissen, daß ich damals sagte, ich könne Ihnen nicht zürnen, da Sie als Mann Ihrer Ueberzeugung folgen müßten …«

»Ich erinnere mich ganz gut, Frau Senatorin. Sie fügten damals bei. Sie begriffen nicht, wie man eine Religion annehmen könne, welche die Heiligen anbete.«

»Offen gestanden, begreife ich das auch heute nicht besser.«

»Ich auch nicht,« fügte Olly bei.

»Erinnern Sie sich, Frau Senatorin, daß ich Ihnen damals sagte, wir Katholiken beteten die Heiligen gar nicht an?«

»Offen gestanden – nehmen Sie mir's nicht übel – glaubte ich Ihre Versicherung nicht recht.«

»Das merkte ich damals ganz wohl. Aber welche Gründe hatten Sie, Frau Senatorin?«

»Nun, zuerst habe ich den Hauptpastor Ehrenmann von St. Michaelis öfters gegen die Heiligenanbetung predigen hören.«

»Ist der Pastor von der Richtigkeit seiner Behauptungen überzeugt?«

»Das muß ich doch von einem Geistlichen annehmen.«

»Er könnte sich aus Unwissenheit irren.«

»Ein studirter, eifriger, frommer Mann?«

»Ganz gewiß, Frau Senatorin. Glauben Sie mir, daß ich den Herrn Hauptpastor sehr hoch schätze. Seitdem ich katholisch bin, habe ich nie die geringste Abneigung gegen diejenigen gehegt, welche das altgläubige Lutherthum mit so viel Ernst, gutem Glauben und warmer, praktischer Frömmigkeit gegen die Liberalen vertheidigen, wie es der ausgezeichnete Prediger von St. Michaelis thut. Aber der Herr Hauptpastor kann sich ganz gewiß irren – aus unverschuldeter Unwissenheit. Denn jeder Katholik wird Ihnen sagen, daß unsere Kirche nur Gott anbetet. Einem Katholiken aber müssen Sie in Fragen seiner eigenen Religion mehr Glauben schenken als denen, die seinem Bekenntniß feindlich gegenüberstehen. Ein Katholik kennt eben und versteht seinen Glauben besser als ein Nichtkatholik.«

» Sans doute,« warf die Stiftsdame ein, »diese Concession müssen Sie dem Pater Hermann machen.«

»Nun ja,« erwiderte die Senatorin, »in der Theorie mag das so sein. Aber die Praxis lehrt doch, daß das Volk die Heiligen, besonders Maria, anbetet.«

»Mir ist kein einziger solcher Fall je zu Ohren oder vor die Augen gekommen,« sagte der Priester bestimmt.

»Die Deutschen sind durch Luther vielleicht davon abgekommen, oder weniger geneigt, ihres Charakters wegen, zu solcher Erniedrigung sich zu verstehen. In romanischen Ländern dagegen soll die Marienanbetung im üppigsten Flor stehen …«

»Aber, verehrte Frau Senatorin, in Frankreich und Italien bin ich selbst gereist und habe nichts gesehen.«

»Spanien soll das bigotteste Land sein.«

»Dolores!« rief die Chanoinesse. »Sie haben diesen Morgen noch gar nichts gesagt. Assistiren Sie dem Pater Hermann. Sie stehen mit Spanien en relation.«

»Ich kann nur sagen,« versetzte die kleine Frau, »daß wir die allerseligste Jungfrau verehren, aber nicht anbeten. Das wäre ja sonst eine Beleidigung Gottes, dem allein die Anbetung gebührt.«

Die Senatorin meinte: »Wie unterscheiden Sie denn Verehrung und Anbetung, Herr Pater?«

»Anbetung ist jene höchste Verehrung, die wir Gott schulden, weil er unendlich erhaben über uns steht, in seinen Eigenschaften das höchste Wesen, für uns und alle Dinge der absolute Herr, der Schöpfer und das letzte Ziel ist. Unendlich weit ist somit auch der Abstand zwischen Gott und dem heiligsten, begnadetsten seiner Geschöpfe, z. B. der Mutter unseres Erlösers. Während wir nun Gott anbeten, weil er das höchste Gut, der Anfang, Lenker und das Ziel der Welt ist, ehren wir die Heiligen einmal wegen der Gnadengaben, welche sie von Gott empfangen haben, dann aber auch wegen ihrer Tugenden, d. h. wegen ihrer bewunderungswürdigen, nachahmenswerthen Mitwirkung mit diesen vom Allerhöchsten empfangenen Gaben. Sie anbeten wollen, d. h. sie, die Geschöpfe sind wie wir, zu Göttern machen – ist natürlich ebenso absurd wie sündhaft; aber diejenigen, die Gott selbst so hoch begnadigt hat, und die ihrerseits so leuchtende Vorbilder für unsern Gottesdienst sind, nicht ehren wollen, ist auch verkehrt und unchristlich. Wenn Gott seinen Engel zu der Jungfrau sendet und sie grüßen läßt: › Ave Maria, gegrüßt seist du, voll der Gnade‹, dann darf ich das doch wohl nach dem Beispiele meines Herrn und Schöpfers auch thun?«

»Ganz gut,« meinte die Senatorin, »aber versteht das Volk diesen Unterschied, den Sie vielleicht nur als studirter Priester machen?«

»In jedem Volkskatechismus steht die Sache klipp und klar.«

»Aber man sieht doch in katholischen Kirchen, wie die Leute die Heiligenbilder schmücken und allerlei äußern Firlefanz vor denselben treiben!« rief Olga Göhring.

Die Stiftsdame richtete ihre Lorgnette aus das Mädchen: » Ma chère Olga, der Ausdruck ›Firlefanz‹ ist de mauvais goût. Sie hören ja, daß es den Katholischen Ernst mit ihrer Sache ist.«

»Ich kann nicht dafür, Gräfin, daß ich so denke,« schmollte die junge Dame.

Pater Hermann deutete ruhig auf ein Oelgemälde, das an einer Wand des Zimmers hing und mit einem Eichenkranze verziert war. »Frau Senatorin,« sagte er, »wenn ich mich nicht irre, stellt jenes Bild den seligen Papa Ihres Gatten vor.«

»Jawohl, es ist mein Schwiegervater, Oberalter Octavio Göhring. Sie müssen das Porträt schon früher bei uns gesehen haben. Doch warum meinen Sie?«

»Darf ich fragen, warum das Bild bekränzt ist?«

»Nun – am Todestage des lieben Verstorbenen pflegen wir in dankbarer Erinnerung an ihn alljährlich den Eichenkranz zu erneuern …«

»Ganz gut. Begreifen Sie nun vielleicht, Frau Senatorin, warum auch die dankbare, liebende Verehrung der Katholiken z. B. die Bilder und Statuen der Mutter unseres Erlösers ziert? Das größte Gut, das schönste Geschenk, nämlich Jesus Christus selbst, hat uns doch wohl Maria gebracht! Maria ehren heißt die Menschwerdung Gottes bekennen

Die Senatorin schwieg und dachte nach. Jetzt wagte Helene die schüchterne Frage: »Wir beten aber das Bild doch nicht an!«

»Helenchen,« rief Dolores, »als ob wir die Bilder der Heiligen anbeteten oder auch nur verehrten! Nein, vor dem Bilde denkt man bloß an die Person, welche es darstellt.«

Jetzt griff auch Theo ein: »Beten Sie dann nicht wenigstens zu den Heiligen?«

»Allerdings, Herr von Göhring,« nickte der Pater; »aber wir glauben auch, daß Gott, welcher die Heiligen seine Freunde nennt, ihnen nicht nur die Möglichkeit verleihen kann, unser Gebet zu vernehmen, sondern auch auf ihre Fürbitte hin uns zu helfen geneigt ist. Die Fürsprache eines guten Freundes gilt ja auch bei Monarchen und andern einflußreichen Menschen viel. Oder glauben Sie, daß Gott nicht im stande sei, seinen Heiligen Mittel zu gewähren, ihre Verehrer auf Erden zu verstehen und ihnen zu helfen?«

»Nein, das hieße wohl seine Allmacht verkürzen. Aber warum kann Gott das nicht selbst thun?«

»Er kann es und thut es auch selbst, aber oft auf die Bitte der Heiligen, um ihrer Verdienste willen und indem er sie als Werkzeuge oder Boten braucht.«

»Die Katholiken behaupten doch, daß Maria z. B. in Lourdes Kranke heilt?«

»Gott thut es auch da selbst, aber durch Maria, sei es weil sie ihn bittet, oder weil er ihr eine gewisse Macht gibt.«

Die Senatorin fiel ein: »Aber daß Sie Maria so überschwänglich ehren!«

»Frau Senatorin, sagen Sie lieber: Daß der gläubige Christ die Mutter Jesu so überschwänglich liebt! Oder: Daß Gott ein armes israelitisches Mädchen so überschwänglich geliebt und geehrt hat, daß er sie zu seiner Mutter erwählt hat! Nein, wir Menschen können nie für Maria thun, was Gott für sie gethan hat!«

» Vraiment!« ertönte die Stimme der Chanoinesse, »Ihr Cult scheint mir durchaus auf der Vernunft fondirt zu sein. Ihre Explicationen sind höchst interessant, Pater Hermann. Ich fange an, Sie zu begreifen. Ein Prätorius weiß, was er thut und warum er es thut. Je le savais.«

Die Senatorin erhob sich vom Tische, da schon längere Zeit niemand mehr frühstückte. Es war ihr nicht ganz lieb, daß das Gespräch eine solche Wendung genommen hatte.

Ehe man das Zimmer verließ, bat der Priester noch für Freddy: »Frau Senatorin, Sie sollten dem kleinen Mann jetzt verzeihen. Da steht noch ein so schöner Rest Apfeltorte, und manch anderer Leckerbissen wartet auf ihn.«

»Er war sehr unartig gegen die Gräfin Stormarn.«

»Der Schreck ist wohl Strafe genug.«

» Mon Dieu,« fügte die Chanoinesse bei, »er hat ja kein Kapitalverbrechen begangen! Heben Sie dieses grausame bannissement auf, liebe Senatorin.«

»Na ja,« lachte die Mutter. »Olly, sag Freddy, er könne allein weiter frühstücken. Ja, Herr Pater, meine Kinder müssen gehorsam sein.«

Lächelnd erwiderte der Priester: »Das ist recht. Gott, das Vorbild der Eltern, ist ja auch strict und gerecht in seiner Heiligkeit; aber Fürbitte stimmt ihn barmherzig.«

Die Chanoinesse erfaßte sofort den Vergleich. Sie setzte hinzu: »Pater Hermann, da Sie sich bereits auf die Fürbitte verstehen, wünsche ich, daß Sie ein Heiliger werden – c'est-à-dire, wenn Sie es noch nicht sind.«

Einfach erwiderte der so Angeredete: »Sie wünschen mir, was Gott von uns allen wünscht.«

Dann folgte er der Senatorin in das Nebenzimmer, und die Stiftsdame meinte zu Theo: »Diese Prätorius sind exceptionelle Menschen!«

Nach einer halben Stunde empfahl sich der Pater, nicht ohne von der herzensguten Senatorin ein Almosen für seine Mission erhalten zu haben. Es selbst zu geben, konnte sich freilich die strenge Lutheranerin nicht entschließen – sie schickte Freddy, und der drollige Knabe sagte: »Hier hast du etwas für deine armen Afrikanerjungens! Und wenn du mal nichts zu essen hast, kannst du deiner Frau oder deiner Köchin auch einen Theil von dem Geld geben. Es ist nur Papier – aber du bekommst Gold dafür!«

»Danke herzlich! Gott vergelt's, kleiner Freund! Du mußt auch noch ein Vaterunser für die armen Buben beten, willst du?«

»Keine Schwierigkeit!« entgegnete Freddy.

»Gut. Die kleinen Afrikaner werden das auch für dich thun. Ich werde ihnen von dir erzählen.«

»Hast du keine Kinder?«

»Keine Frau und keine Kinder, d. h. die Afrikaner sind alle meine Kinder. Also, Gott vergelt's!«

Theodor ging dem Priester bis an die Hausthüre nach: »Herr Pater, dürfte ich Sie wohl mal besuchen?«

»O gewiß, Herr von Göhring. Soll mich sehr freuen. Aber übermorgen früh reise ich weiter.«

»Und morgen kann ich nicht gut.«

»Haben Sie heute Zeit? Wollen Sie mich begleiten? Jetzt?«

»Ja, jawohl! Ich komme mit, wenn Sie gestatten. Nur will ich erst meinen Verwandten Bescheid sagen, daß ich mit der Bahn oder dem Dampfschiffe nach Flottbek zurückfahre. Sonst wartet der Wagen auf mich.«



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