Guy de Maupassant
Unser Herz
Guy de Maupassant

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II

Am anderen Morgen sagten sie sich an der Thür des Hotels Lebewohl. André Mariolle war zuerst heruntergekommen und erwartete sie, erregt vor Glück und Unruhe. Was würde sie thun, wie sein? Was sollte aus ihnen beiden werden? Welch glückliches oder gräßliches Abenteuer nahm seinen Anfang? Sie konnte aus ihm machen was sie wollte wie ein Opiumraucher, ein Märtyrer ganz nach ihrem Wunsch. Er stand neben den beiden Wagen. Zwei, denn sie mußten sich trennen. Er setzte seine Reise nach Saint Malot fort, um seiner Lüge getreu zu bleiben, sie kehrten nach Avranches zurück.

Wann würde er sie wiedersehen? Würde sie ihren Besuch bei den Verwandten abkürzen oder noch länger ausbleiben? Er hatte eine gräßliche Angst vor ihrem ersten Blick und ihrem ersten Wort, denn er hatte sie nicht gesehen, und sie hatten sich beinahe nichts gesagt während des kurzen Liebesrausches dieser Nacht. Sie hatte sich kurz entschlossen ergeben, aber mit schamhafter Zurückhaltung, ohne lange zu bleiben, ohne sich seiner Zärtlichkeit länger zu überlassen. Dann war sie mit leichten Schritten fortgegangen und hatte geflüstert:

– Morgen auf Wiedersehen, mein Geliebter.

Von jener kurzen seltsamen Begegnung blieb André Mariolle das Gefühl einer leisen Enttäuschung wie bei einem Manne, der nicht die volle Ernte der Liebe, die er reif meinte, hat einheimsen können und zu gleicher Zeit der Rausch des Triumphes: die beinah gewisse Hoffnung, bald den letzten Widerstand zu überwinden.

Er hörte ihre Stimme und zitterte. Sie sprach laut, erregte sich gegen einen Wunsch ihres Vaters, und als er sie auf der untersten Treppenstufe sah, gewahrte er um ihren Mund jenen kleinen verräterischen Zug, daß sie sich ärgerte.

Mariolle ging ihr zwei Schritte entgegen. Sie sah ihn und lächelte. In ihren plötzlich beruhigten Augen tauchte ein Wohlwollen auf, das sich über das ganze Gesicht verbreitete. Dann fühlte er in ihrem plötzlichen zarten Händedruck die Bestätigung, daß sie sich ihm geschenkt, völlig und ohne Reue.

– Wir werden uns also trennen! sagte sie.

– Ja, gnädige Frau. Ich leide darunter mehr, als ich zeigen kann.

Sie flüsterte:

– Es ist nicht lange!

Als Herr von Pradon nachkam, fügte sie leise hinzu:

– Sagen Sie, Sie wollten noch eine Reise von zehn bis zwölf Tagen nach der Bretagne unternehmen, aber thun Sie es nicht.

Frau Valsaci kam ganz bewegt herbei:

– Was höre ich eben von Deinem Vater! Du willst uns übermorgen verlassen. Aber Du wolltest doch mindestens bis Montag bleiben?

Frau von Burne antwortete etwas ernster:

– Papa ist aber auch zu ungeschickt, daß er nicht ruhig sein kann. Ich bekomme wie immer durch den Aufenthalt an der See Neuralgie, die sehr unangenehm ist und habe allerdings davon gesprochen fortzugehen, damit ich nicht vier Wochen auf der Nase liege. Aber in diesem Augenblick wollen wir doch nicht davon reden.

Der Kutscher Mariolles drängte zur Abfahrt, damit er den Zug in Pontorson nicht versäume.

Frau von Burne fragte:

– Wann kommen Sie denn nach Paris zurück?

Er schien zu zögern:

– Ja, ich weiß nicht recht. Ich wollte Saint Malot noch sehen, Brest, Douarnenez die Bucht von Trépassés, Audierne, Penmarch, Le Morbihan, – kurz, jene ganze Ecke des berühmten bretonischen Landes. Das kostet ganz gewiß – – – –

Er schwieg einen Augenblick, schien zu berechnen, zu überlegen und sagte:

– Fünfzehn bis zwanzig Tage.

– Das ist sehr lang! sagte sie und lachte. – Wenn ich wieder Nervenschmerzen habe diese Nacht, kehre ich schon in zwei Tagen zurück.

Es überkam ihn eine so starke Bewegung, daß er am liebsten hätte rufen mögen: »Dank! Dank!«

Er begnügte sich damit, die Hand, die sie ihm zum letzten Mal hinstreckte, zu küssen, zu küssen wie ein Liebhaber.

Und nach tausend Abschiedsworten, Dank und gegenseitigen Liebenswürdigkeiten mit dem Ehepaar Valsaci und Herrn von Pradon, der durch die angekündigte Reise etwas beruhigt war, stieg er in den Wagen und entfernte sich, mit einem letzten Blick zu ihr.

Er kehrte ohne Aufenthalt nach Paris zurück, und sah sich nichts an unterwegs. Während der ganzen Nacht, die er in seinem Wagenabteil lag mit halb geschlossenen Augen, gekreuzten Armen, die Seele in Erinnerungen getaucht, dachte er an nichts anderes wie an den Traum, der in Erfüllung gegangen war. Sobald er daheim war und nur einen Moment für sich hatte in der Bibliothek, wo er sich gewöhnlich aufhielt, wo er arbeitete, schrieb, wo er beinah immer seine innere Ruhe fand inmitten seiner geliebten Bücher und bei seinem Klavier und seiner Geige, begann in ihm jene fortwährende Qual der Ungeduld, die wie ein Fieber unersättliche Herzen schüttelt. Unfähig bei einer Sache zu bleiben, sich mit etwas zu beschäftigen, genügte ihm nichts, seine Gedanken abzulenken oder seinen Körper aufzurütteln, keine der Gewohnheiten, mit denen er sonst seine Zeit vertrieb, wie Lesen und Musik, und er fragte sich, was er thun sollte, um diese neue Erregung zu bannen. Da kam ihm das Bedürfnis zu gehen, sich zu bewegen, jene Krise, die der Geist dem Körper übermittelt und die nichts ist als das instinktive unersättliche Bedürfnis jemand zu suchen und wiederzusehen.

Er zog den Überzieher an, setzte den Hut auf, öffnete die Thür, und während er die Treppe hinunterging, fragte er sich: Wohin? Da kam er auf einen Gedanken, an den er noch nicht gedacht. Sie mußten, um sich zu treffen, eine heimliche, hübsche, versteckte Wohnung haben.

Er suchte, lief hin und her durch die Straßen, die Boulevards, beobachtete aufgeregt die Portiers, ob sie verständnisinnig lächelten, die Vermieterinnen mit verdächtigen vielversprechenden Gesichtern, prüfte die Wohnungen mit zweifelhaften Möbeln und kehrte abends entmutigt heim. Von neun Uhr ab am anderen Morgen ging er wieder auf die Suche. Endlich entdeckte er, als es Abend geworden war, in einer kleinen Straße von Auteuil, mitten in einem Garten mit drei Eingängen, einen einsamen Gartenpavillon, den ein Tapezierer aus der Nachbarschaft versprach binnen zwei Tagen herzurichten. Er suchte die Stoffe aus, wollte sehr einfache Möbel haben aus lackiertem Fichtenholz und dicke Teppiche. Der Garten unterstand der Aufsicht eines Bäckers, der nahe einem der Eingänge wohnte. Er kam mit der Frau dieses Mannes überein, daß sie es übernehmen sollte die Wohnung in Stand zu halten, und mit einem Gärtner in der Nähe, daß er die Beete mit Blumen zu schmücken habe.

Alle diese Anordnungen hielten ihn bis acht Uhr abends auf. Als er totmüde heimkehrte, fand er klopfenden Herzens ein Telegramm auf dem Schreibtisch. Er öffnete und las:

»Ich bin morgen Abend wieder da. Näheres folgt. Miche.«

Er hatte ihr noch nicht geschrieben in der Befürchtung, seine Briefe möchten verloren gehen, da sie ja Avranches verlassen wollte. Sobald er gegessen, setzte er sich an den Schreibtisch, um ihr auszudrücken, was seine Seele empfand. Es dauerte lang und war schwierig, denn alle die Worte, Ausdrücke und Gedanken, die er fand, schienen ihm farblos, lächerlich und zu banal, um das zu sagen, was er empfand.

Am anderen Morgen erhielt er einen Brief von ihr, daß sie am Abend zurückkehrte. Sie bat ihn, einige Tage lang sich keinem Menschen zu zeigen, damit man auch wirklich an seine Reise glauben könne, und bestellte ihn am anderen Morgen gegen zehn Uhr früh auf die Terrasse an der Seine im Tuilleriengarten.

Eine Stunde zu früh war er schon da. Und er irrte in dem großen Garten hin, den nur morgendliche Besucher durcheilten, Beamte, die in die Ministerien am linken Seineufer gingen, Angestellte, Arbeiter aller Art. Es machte ihm Spaß, diese Leute eilig dahinschreiten zu sehen, die die Notwendigkeit ihr tägliches Brot zu verdienen zu aufreibender Arbeit trieb. Er verglich sich mit ihnen in dieser Stunde wo er seine Geliebte erwartete, eine der Größen der Gesellschaft. Und er fühlte sich als so glückliches, begnadetes Wesen, das außerhalb des Kampfes stand, daß ihn der Wunsch überkam dem blauen Himmel zu danken, denn die Vorsehung war für ihn nichts als ein zufälliger Wechsel zwischen dem Himmelsblau und dem Regen, dem tückischen Herrn über Zeit und Menschen.

Ein paar Minuten vor zehn Uhr stieg er zur Terrasse hinauf und lugte nach ihr aus.

Sie wird unpünktlich sein! dachte er. Da hatte er kaum die zehn Schläge der Uhr eines benachbarten Gebäudes gehört, als er meinte sie ganz in der Ferne zu sehen, wie sie mit schnellem Schritt den öffentlichen Garten durcheilte gleich einem kleinen Ladenmädchen, das ins Geschäft geht. Er zögerte, ob sie es wirklich war. Er erkannte ihren Gang, aber er wunderte sich über ihr verändertes Aussehen, so bescheiden in einem einfachen dunklen Kleid. Aber sie kam auf die Treppe zu, die zur Terrasse herausführte, in einer geraden Linie, als kennte sie den Weg längst.

Aha! sagte er sich, – sie scheint öfters hier herzukommen! Er sah, wie sie das Kleid hob, um den Fuß auf die erste Stufe zu stellen, dann wie sie eilig die übrigen hinaufeilte. Und als er ihr schnell entgegentrat, sagte sie mit leichtem Lächeln, in dem etwas Unruhe lag:

– Sie sind unvorsichtig, Sie müssen sich doch nicht so zeigen. Ich sah Sie ja schon beinah von der Rue de Rivoli aus. Kommen Sie, wir setzen uns hier auf eine Bank da hinter der Orangerie. Da müssen Sie mich ein andermal erwarten.

Er konnte nicht anders als sie zu fragen:

– Kommen Sie denn öfters hierher?

– Ach ja. Ich liebe diesen Platz sehr, und da ich früh aufstehe, so mache ich meine Spaziergänge hierher, wo die hübsche Aussicht ist. Und dann trifft man niemals jemand hier, während das Bois ja ganz unmöglich jetzt ist. Aber verraten Sie niemand das Geheimnis.

Er lachte:

– Ich werde mich wohl hüten!

Er nahm vorsichtig ihre Hand, die kleine Hand, die versteckt in den Falten des Kleides niederhing und seufzte:

– Ich habe Sie so lieb. Ich bin ganz krank durch das Warten. Haben Sie meinen Brief bekommen?

– Ja, ich danke. Er hat mir große Freude gemacht.

– Sie sind mir also nicht böse?

– Nein. Warum denn? Sie sind so lieb.

Er suchte nach glühenden Worten voller Dankbarkeit und Erregung. Er fand keine. Und zu sehr ergriffen, als daß er die Worte noch hätte wählen können, sagte er:

– Ich habe Sie so lieb!

Sie antwortete:

– Ich habe Sie hierher bestellt, weil auch hier Wasser und Schiffe sind. Es ist nicht so wie dort, aber doch auch ganz schön.

Sie hatten sich auf eine Bank gesetzt auf dem steinernen Wall, der den Fluß beherrscht, und waren beinah allein, von keiner Seite zu sehen. Zwei Gärtner und drei Kindermädchen waren die einzigen lebenden Wesen zu dieser Stunde auf der langen Terrasse.

An der Uferstraße ihnen zu Füßen rollten die Wagen, hin, ohne daß sie sie sahen, auf dem Bürgersteig unter ihnen klangen Schritte gegen die Wand, auf der die Anlagen sich befanden. Und da sie noch keine Worte fanden, blickten sie zusammen auf die wundervolle Pariser Landschaft von der Insel des heiligen Ludwig und den Türmen von Notre-Dame bis zu den Geländen von Meudon. Sie sagte wieder:

– Es ist wirklich reizend hier!

Ihm aber kam plötzlich wieder die Erinnerung an ihren Gang hoch oben in den Lüften, am Turm der Abtei, und immer noch daran denkend, was nun vergangen war und was ihn so bewegte, sagte er:

– Denken Sie noch an unsern Gang über den Steig der Tollen dort oben?

– Ja. Aber wenn ich jetzt daran denke, fürchte ich mich. Herrgott, ich würde schwindlig sein, wenn ich noch einmal hinüber müßte. Ich war durch die freie Luft, durch die Sonne und das Meer ganz darüber hinweggebracht. Sehen Sie einmal, lieber Freund, wie das wundervoll ist, was hier vor uns liegt. Ich liebe Paris so sehr!

Er war erstaunt. Er hatte das unbestimmte Gefühl, als ob irgend etwas, was dort oben in ihr gelegen, verschwunden sei. Und er sagte:

– Wo es auch sei, ich bin nur glücklich bei Ihnen.

Sie drückte ihm ohne Antwort die Hand.

Nun, wo er glücklich war durch die leise Berührung, glücklicher vielleicht als durch ein zärtliches Wort, wo ihm vom Herzen alle Verlegenheit genommen war, die ihn bisher doch bedrückt, konnte er endlich sprechen.

Er sagte langsam, beinah mit feierlichen Worten, daß sein Leben ihr für immer gehöre: sie könne mit ihm machen was sie wolle.

Sie war dankbar. Aber ein modernes Menschenkind, dem immer die Ironie im Hintergrund sich regte, lächelte sie und sagte:

– Versprechen Sie nicht zu viel!

Er wendete sich ganz zu ihr, blickte ihr tief in die Augen mit jenem Blick, der etwas von körperlichem Berühren hat, wiederholte noch einmal ausführlich, was er ihr eben gesagt, glühender und poetischer als er es ihr in so vielen überspannten Briefen geschrieben, drückte er es ihr mit solcher inbrünstigen Überzeugung aus, daß sie ihm wie betäubt zuhörte. Sie fühlte sich durch seine anbetungsvollen Worte geschmeichelt als Weib in jeder Faser, stärker und tiefer als sie es je empfunden.

Als er schwieg, sagte sie einfach:

– Ich habe Sie auch lieb.

Sie hielten sich bei der Hand wie Kinder, die auf der Landstraße nebeneinander hingehen. Sie sahen nun mit leeren Blicken die kleinen Dampfboote über den Seinestrom schießen. Sie waren allein in Paris, in dem verworrenen gewaltigen Getöse, das bald laut, bald schwächer hinaufbrandete; in dieser Stadt, erfüllt vom Leben und Treiben einer Welt – einsamer als auf jenem luftigen Turm. Und ein paar Sekunden vergaßen sie wirklich, daß es auf der Erde etwas anderes gab als sie.

Sie kam zuerst zur Wirklichkeit wieder zurück und erinnerte sich daran, daß es schon spät geworden sei.

– Wollen wir uns morgen hier wieder treffen? fragte sie.

Er überlegte ein paar Sekunden und war verlegen, bei dem, was er sagen wollte:

– Ja, ja, gewiß. Aber werden wir uns niemals anderwärts sehen? Es ist ja hier ganz still, aber hier kann alle Welt herkommen.

Sie zögerte:

– Das ist richtig. Und Sie dürfen sich ja auch vierzehn Tage lang mindestens vor keinem Menschen sehen lassen, damit man an Ihre Reise glaubt. Das ist reizend und ganz geheimnisvoll wenn wir uns treffen, ohne daß man weiß, daß Sie in Paris sind. Aber zu mir können Sie jetzt nicht kommen. Ich sehe also nicht, wie . . .

Er fühlte, daß er rot ward und sagte:

– Ich kann Sie auch nicht bitten zu mir zu kommen. Könnten wir uns nicht anderwärts treffen?

Sie war weder erstaunt noch verletzt, denn sie war eine praktische, logisch denkende Frau ohne falsche Scham.

– Gewiß! sagte sie. Man muß nur einmal überlegen.

– Ich habe es mir schon überlegt.

– Schon?

– Gewiß, gnädige Frau.

– Nun?

– Kennen Sie die Rue des Vieux-Champs in Auteuil?

– Nein.

– Sie führt von der Rue Tournemine in die Rue Jean-de-Saulge.

– Nun und? . . .

In dieser Straße oder vielmehr in diesem Gäßchen liegt ein Garten, in diesem Garten ein Gartenhaus, das den Ausgang gleichfalls zu den beiden Straßen hat, die ich eben genannt habe.

– Weiter?

– Dieses Gartenhaus steht zu Ihrer Verfügung.

Sie sann nach. Dann stellte sie ohne Verlegenheit zwei oder drei weiblich vorsichtige Fragen. Er antwortete. Es schien ihr zu genügen, denn sie flüsterte, indem sie aufstand:

– Gut, ich komme morgen.

– Um wieviel Uhr?

– Um drei.

– Ich werde Sie hinter der Hausthür von Nummer sieben erwarten. Vergessen Sie nicht, klopfen Sie nur, wenn Sie vorübergehen.

– Gut. Leben Sie wohl, mein Freund. Morgen auf Wiedersehen!

– Morgen auf Wiedersehen. Adieu! Dank. – Ich bete Sie an.

Sie waren aufgestanden.

– Begleiten Sie mich nicht, – sagte sie. – Bleiben Sie zehn Minuten hier und gehen Sie über den Kai fort.

– Adieu!

– Adieu!

Sie ging sehr schnell davon, so einfach, so bescheiden, so geschäftig, daß sie wirklich einer jener arbeitsamen Töchter von Paris glich, die früh durch die Straßen eilen, zu ehrlichem Lebensunterhalt.

Er ließ sich nach Auteuil fahren, denn er hatte Angst, die Wohnung möchte morgen nicht fertig sein.

Aber er fand lauter Arbeiter dort. Die Wände waren mit Stoff verkleidet, Teppiche lagen auf dem Boden, man hämmerte, klopfte, reinigte überall. Im ziemlich umfangreichen hübschen Garten, dem Überrest eines ehemaligen alten Parkes, der einige große Bäume enthielt, dicke struppige Gebüsche, zwei Grasplätze und gewundene Wege in den Anlagen, hatte der Gärtner aus der Nachbarschaft schon Rosen, Geranien, Reseda gepflanzt und zwanzig andere Sorten von Pflanzen, deren Aufblühen man sorglich verzögert oder beschleunigt, um aus kahlem Feld in einem Tag ein Blumenbeet hervorzuzaubern.

Mariolle war glückselig, als hätte er einen neuen Sieg über sie errungen. Und als er das bestimmte Versprechen des Tapezierers empfangen, daß alle Möbel am nächsten Morgen vor zwölf Uhr an Ort und Stelle sein würden, ging er davon und kaufte in verschiedenen Läden Nippessachen, um die Zimmer etwas wohnlich zu machen. Er erwarb zum Schmuck der Wände wundervolle Nachbildungen von berühmten Bildern, für die Kamine und Tische Fayencen von Deck und ein paar jener Nichtigkeiten, die die Frauen gern um sich sehen.

An diesem einen Tag gab er zwei Monate seines Jahreseinkommens aus, und er that es mit großer Befriedigung, indem er daran dachte, daß er seit zehn Jahren schon unausgesetzt gespart hatte, nicht aus Geiz, sondern weil er nichts bedurfte, sodaß er jetzt die Mittel besaß als großer Herr aufzutreten.

Am nächsten Morgen kam er schon zeitig ins Gartenhaus, wohnte der Ankunft der Möbel bei, stellte sie selbst, hing eigenhändig die Bilder auf, stieg auf die Leitern, beräucherte die Stoffe, spritzte Odeur auf den Teppich. In seiner Erregung, in dem Glück, das aus seinem ganzen Wesen sprach, war es, als sei ihm diese Arbeit das Unterhaltendste und Köstlichste, womit er sich je beschäftigt. Alle Augenblicke sah er nach der Uhr, überlegte wieviel Zeit noch vergehen würde, bis sie eintrat, trieb die Arbeiter an, gab sich Mühe immer besser anzuordnen, alles aufs vorteilhafteste einzurichten und zu stellen.

Vorsichtigerweise schickte er schon vor zwei Uhr alle Leute fort. Und während nun der Zeiger langsam das letzte Mal die Runde machte, sog er im Schweigen des Hauses, in dem er das größte Glück erwartete, das ihm je gelächelt, allein mit seinen Träumen genußvoll die Köstlichkeit der Stunde ein, ging hin und her vom Schlafzimmer in das Wohnzimmer, sprach laut vor sich hin allerlei Phantasieen im tollsten Liebesrausch, den er je durchkostet.

Dann ging er in den Garten. Die Sonnenstrahlen fielen durch die Blätter auf das Gras, warfen entzückende Lichter auf ein großes Rosenbeet. Auch der Himmel also lachte diesem Stelldichein. Dann wartete er an der Thür, die er ab und zu öffnete, in der Furcht, sie möchte sich in der Nummer irren.

Es schlug drei. Zehn Uhren von Türmen in der Runde wiederholten den Schlag. Jetzt wartete er, die Uhr in der Hand, zitterte vor Überraschung als zwei leise Schläge gegen das Holz geführt wurden, an das er das Ohr gelegt hatte, denn er hatte keinen Schritt auf der Straße gehört.

Er öffnete: sie war es. Erstaunt blickte sie sich um. Zuerst betrachtete sie ängstlich die Nachbarhäuser, dann ward sie ruhiger, denn unter den bescheidenen Bürgersleuten, die hier wohnten, kannte sie doch niemand. Dann sah sie sich mit befriedigter Neugier den Garten an. Endlich hielt sie beide Hände, die sie eben der Handschuh entkleidet, ihrem Liebhaber an den Mund und nahm seinen Arm.

Bei jedem Schritt sagte sie:

– Gott ist das reizend! Ist das frisch und nett.

Als sie das Rosenbeet sah, das die Sonne durchs Gezweig hell erleuchtete, rief sie:

– Aber das ist ja ein Traum mein Liebling!

Sie pflückte eine Rose, küßte sie und steckte sie an. Dann trat sie in das Gartenhaus. Und sie schien so befriedigt, daß er sich am liebsten vor ihr auf die Kniee geworfen hätte, obgleich im letzten Winkel seines Herzens das Gefühl schlummerte, sie hätte vielleicht mehr sich mit ihm beschäftigen können statt mit den Räumen. Sie blickte sich um und fand darin ein Vergnügen wie ein kleines Mädchen, das ein neues Spielzeug bekommen hat. Sie war in diesem hübschen Mausoleum ihrer weiblichen Tugend ohne jede Verlegenheit, und schätzte seine Eleganz als Kennerin, deren Geschmack man getroffen.

Als sie kam, fürchtete sie eine nüchterne Wohnung mit verbrauchten Stoffen zu finden, durch andere Stelldicheins etwa schon befleckt. Aber hier war alles neu, kokett, eigens für sie gemacht und mußte sehr teuer gewesen sein. Dieser Mann war wirklich ein großartiger Kerl.

Sie wandte sich zu ihm, öffnete in reizend ermunternder Bewegung ihre Arme: und nun hielten sie sich umschlungen – mit geschlossenen Augen – in einem jener Küsse, die erschauern lassen vor Glück und Schuldbewußtsein.

In dem tiefen Schweigen dieses Schlupfwinkels weilten sie drei Stunden miteinander Auge in Auge, Leib an Leib, Mund an Mund, – drei Stunden, die André Mariolle Seele und Sinne berauschten.

Ehe sie sich trennten, machten sie noch einen Spaziergang im Garten und setzten sich in eine Laube, wo man sie von keiner Seite sehen konnte. André sprach in seinem Überschwang zu ihr wie zu einem Idol, das für ihn von seinem Heiligenpiedestal niedergestiegen ist, und sie hörte ihm zu, ermattet, in einer Stimmung, wie er oft die Langeweile in ihrem Auge gesehen nach zu langem Besuch von Leuten, die sie nicht unterhielten. Aber doch war sie hingebend; ein weiches Lächeln spielte in ihrem Gesicht und sie drückte seine Hand ununterbrochen, vielleicht mehr unbewußt als absichtlich.

Seine Worte hörte sie kaum, denn sie unterbrach ihn plötzlich mitten in einem Satz und sagte:

– Ich muß fort, ich muß fort. Ich muß um sechs Uhr bei der Marquise Bratiane sein. Ich komme schon viel zu spät.

Vorsichtig brachte er sie an die Thür, durch die sie eingetreten. Sie küßten sich, und nach einem flüchtigen Blick auf die Straße ging sie davon, hart an der Mauer hin.

Sobald er allein war und diese plötzliche Leere in sich empfand, nach der Liebe, die eine Frau in uns hinterläßt, nachdem sie verschwunden ist, und die kleine Wunde in seinem Herzen fühlte, als ihre Schritte verhallten, war es ihm, als wäre er ganz allein und einsam, als hätte er sie nicht besessen. Und er ging über die sandbestreuten Wege und dachte an den ewigen Zwiespalt zwischen Wunsch und Erfüllung.

Er blieb bis Einbruch der Nacht, bis er allmählich wieder ruhiger ward und er gab sich ihr hin in Gedanken mehr noch als er es gethan, wie sie in seinen Armen gelegen. Dann kehrte er in seine Wohnung zurück, aß ohne daß er wußte was und begann ihr zu schreiben.

Der nächste Tag schien ihm lang und der Abend endlos. Er schrieb ihr wieder. Warum hatte sie ihm nichts geantwortet, nichts sagen lassen? Er bekam ein kurzes Telegramm am nächstfolgenden Morgen, das ihm auf den Tag darauf ein neues Stelldichein zur selben Stunde gab. Das kleine Blatt Papier nahm ihm plötzlich die Unruhe der Erwartung, unter der er schon begonnen zu leiden.

Wie das erste Mal kam sie pünktlich, liebenswürdig und heiter, und der zweite Besuch in dem kleinen Hause von Auteuil verlief genau wie der erste. André Mariolle war zuerst erstaunt und etwas bewegt davon, daß er nicht zwischen ihnen die wahnsinnige Leidenschaft aufflammen fühlte, deren Nähe er geahnt. Aber er vergaß allmählich den Gedanken an das erwartete Glück in dem gegebenen Glück, wenn es auch etwas anders war. Er hing sich an sie durch die gefährliche Fessel der Zärtlichkeit, der stärksten von allen, der einzigen, von der der Mann nie loskommt wenn sie ihn recht gepackt hat, und die sein Herz zuschnürt bis es blutet.

Drei Wochen vergingen glücklich und schnell. Ihm war, als sollte es kein Ende geben, als würde es immer so bleiben, als wäre er für alle verschwunden und lebte nur ihr allein. Und in dem leicht entflammten Hirn des unthätigen Künstlers, der immer etwas erwartete und erwartete, stieg eine ungewisse Hoffnung auf, dies heimliche, glückliche Dasein möchte ewig dauern.

Alle drei Tage kam sie ohne Widerstreben. Und es war, als zöge sie der Reiz dieses Stelldicheins an, das hübsche, kleine Haus, das von seltenem Blumenflor umgeben war, die Neuheit dieser Liebe, bei der sie kaum Gefahr lief, denn niemand folgte ihr, aber die doch voll geheimnisvollen Zaubers blieb, mehr an, als die unendliche, immer wachsende Zärtlichkeit ihres Geliebten.

Dann sagte sie ihm eines Tages:

– Nun, lieber Freund, müssen Sie wieder in der Welt erscheinen. Morgen nachmittag kommen Sie zu mir. Ich habe erzählt, Sie wären zurückgekommen.

Er war außer sich:

– Ach warum so zeitig?

– Wenn man zufällig erführe, daß Sie in Paris sind, würde Ihre Anwesenheit hier so unerklärlich sein, daß man auf einen Verdacht kommen müßte.

Er sah ein, daß sie recht hatte und versprach, sie am nächsten Tage zu besuchen. Dann fragte er:

– Haben Sie denn morgen Empfangstag?

– Ja, sagte sie, ich gebe morgen ein kleines Fest.

Das war ihm unangenehm:

– Welcher Art denn?

Sie lachte ganz glückselig:

– Ich habe Massival durch tausend Überredungen dahin gebracht, daß er morgen bei mir seine Dido vortragen wird, die noch niemand kennt. Es ist ein Spiel antiker Liebe. Die Marquise Bratiane, die meinte, ein Patent auf Massival zu haben, ist ganz außer sich. Übrigens wird sie da sein, sie singt. Ist das nicht ein gelungener Streich?

– Werden viel Menschen kommen?

– Nein, nur ein paar intime Bekannte. Sie kennen beinahe alle.

– Darf ich nicht von diesem Fest wegbleiben? Ich bin so glücklich in meiner Einsamkeit.

– Nein, nein lieber Freund. Sie müssen doch wissen, daß ich Sie vor allen dahaben will.

Das Herz klopfte ihm; dann sagte er:

– Ich komme.



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