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1. Zeit
Der erste Akt beginnt, wenn das Asr (Nachmittagsgebet) fällig gewesen ist, also zwischen drei und vier Uhr europäischer Zeit, und dauert bis in das Maghrib hinein (Gebet kurz nach Sonnenuntergang). Beim Anfang des Schattenspiels muß es schon so dunkel geworden sein, daß die Szene nur von Schefakas Feuer erleuchtet wird. Der Mohammedaner legt den Aufbruch zu großen Reisen und den Eintritt wichtiger Unternehmungen und Ereignisse am liebsten auf das Asr; darum wird auch hier die Handlung um die für ihn glückverheißende Zeit eröffnet.
Der zweite Akt fällt so, daß der Vorbeter den Ula (den Ersten Ruf) kurz nach Mitternacht kündet. Von nun an strebt alles dem Sonnenaufgang zu.
2. Ort
Die Handlung spielt sich auf dem Platz vor dem babylonischen Turm ab. In diesem Turm sind die in Mesopotamien ausgegrabenen Altertümer und Kostbarkeiten aufgestapelt, die den berühmten › Schatz der An'allah‹ bilden, nach dessen Besitz die andern Völker von jeher gestrebt haben und noch heute streben. Er wird von den An'allah aufs schärfste bewacht. Kein Fremder darf den Turm betreten. Sein Tor ist so groß, daß es mit den beiden seitlichen Riesensteinbildern den Hintergrund der Bühne füllt. Die Seitenwände des Eingangs sind aus Steinblöcken zusammengesetzt, deren Oberflächen babylonische Götterbilder zeigen. Die seitlichen Gestalten stellen geflügelte Löwen mit Menschenköpfen dar, Sinnbilder des Kriegsgotts Nergal. Die Haar- und Barttracht dieser Köpfe ist die alte babylonisch-assyrische.
Der Eingang zum Turm ist nicht frei, sondern, um die Bewachung zu erleichtern, durch ein daran gelehntes, großes Doppelzelt verhüllt, das jeder, der in den Turm will, durchschreiten muß. Dieses Zelt wurde stets von dem jeweiligen Scheik der An'allah, als dem berufenen Wächter des Turms, bewohnt. Als aber der jetzige Scheik um des Glaubens willen Weib und Kind verstieß, litt es ihn nicht mehr an diesem Ort, und er übergab das Zelt dem Gelehrten Babel, der nun mit seiner Tochter Schefaka darin wohnt.
Das Zelt ist aus schwarzem Stoff. Es besteht aus der größeren Männer- und der kleineren Frauenabteilung. Diese hat einen dunklen, jene einen weißen Vorhang. Der weiße Vorhang ist stets geöffnet und wird nur zum Schattenspiel niedergelassen, weil sich auf ihm die Schatten zeigen sollen. Hinter dem dunklen Vorhang nimmt während des Schattenspiels usw. die › Bibel‹ Platz, um dann zum Gebet hervorzutreten. Die Männerabteilung, in der Babel wohnt, liegt links, die Frauenabteilung, die Schefaka beherbergt, liegt rechts.
Vor dem Zelt erblickt man folgende Ausgrabungen: In der Mitte steht der sechstausend Jahre alte Thron des akkadischen Königs Sargani. Er ist aus Marmor und hat eine so hohe und breite Lehne, daß man den darauf Sitzenden von rückwärts nicht sehen kann. Dieser Umstand und eine dahinter befindliche Versenkung ermöglichen es nach dem späteren Wenden dies Throns, daß Abu Kital, der Scheik, scheinbar auf diesem Thron sitzen, zu gleicher Zeit als Schatten hinter dem weißen Zeltvorhang sprechen und sich dann doch wieder vom Thron erheben kann. – Rechts davon, immer vom Zuschauer aus gerechnet, steht eine altertümliche Ruhebank zum Sitzen und zum Liegen, aus weißem Alabaster von Martu; auf ihr liegt ein zusammengefalteter Teppich, der die Bank aber keineswegs verhüllen darf. – Links vom Thron ein niedriger Steintisch mit mehreren Sitzkissen. Das ist der Arbeitsplatz Babels. In der Nähe allerlei altbabylonische Dinge: Gefäße, Figuren usw., die Gegenstand seiner Studien sind. Während des Spiels dient die Beschäftigung der Darsteller mit ihnen zum Ausfüllen der Pausen. Auf dem Tisch drei Bücher: die ›Biblia des Alten Testaments‹, der ›Menschengeist‹, ein von Babel verfaßtes Buch, und die ›Menschenseele‹, eine Handschrift, an der er eben jetzt arbeitet.
Der Raum vor dem Turm bildet den vom eigentlichen Beduinenlager unterschiedenen und abseits liegenden Gebetsplatz der An'allah, auf dem auch die Versammlung der Ältesten des Volks, Dschemmâ genannt, abgehalten wird. Der Zutritt ist nicht jedermann gestattet. Dieser Platz wird von uralten, sonderbar geformten Mauerresten und von Palmen und Büschen eingeschlossen. Die Büsche sind meist Palmenausläufer, Oleander und Kapernsträucher. Ausgestattet ist die Örtlichkeit mit allerlei ausgegrabenen Merkwürdigkeiten, die das Gefühl erwecken, daß man sich hier mehr von alten, längst überwundenen, als von neuen Gedanken leiten lasse. Ganz vorn links steht am Gemäuer ein Tamariskenstrauch, hinter dem Marah Durimeh dem Anfang des ersten Aktes zuhört, ohne von den Mitspielenden bemerkt zu werden.
In der Nähe der Frauenabteilung brennt zwischen aufgeschichteten alten Ziegelsteinen immerwährend ein Feuer, an dem Schefaka den Kaffee kocht. Dieses Feuer bildet, falls nicht Fackeln angezündet werden, des Abends das einzige Beleuchtungsmittel für den Beratungsplatz. Daneben sieht man die runden Anrichtebleche, auf denen die kleinen Tassen und Untersetzer mit Kanne, Mörser und Kaffeemühle stehn. Weiterhin die Wasserpfeifen und einige hohle Elefantenfüße mit Tschibuks für die Gäste.
Weil Babel an diesem Platz wohnt, ist er der Wirt und seine Tochter die Wirtin aller Gäste, besonders aber des Scheiks, der täglich vom Lager herüberkommt, um seine freien Stunden hier zuzubringen. Babel ist sein Lehrer und Vertrauter und Schefaka der von ihm verzogene Liebling des ganzen Stammes.
Abu Kital (Vater des Kampfes)
Scheik der An'allah. Ungefähr fünfzig Jahre alt, hohe, breite Gestalt. Gewaltmensch, doch zur Veredlung veranlagt. Körperlich und geistig vollkräftig und gewandt. Leicht entflammt. Aufstrebend, aber in falsche Richtung geleitet. Hat stets die Peitsche in der Hand. Rauh, gegen Schefaka aber von weichster Gutmütigkeit. Kopfbedeckung Kefîje und Agâl.
Die Kefîje ist ein baumwollenes, bei vornehmen Beduinen seidenes Kopftuch, blau, rot, schwarz einfarbig oder mit Weiß gemustert. Ist sie aus Seide, so ist die Farbe meist gelb.
Der Agâl ist ein meist schwarzer Strick aus Ziegenhaaren, der zweimal um den Kopf gewickelt wird, um die Kefîje festzuhalten.
Ben Tesalah (Sohn des Friedens)
Scheik der Kiram. Nicht viel über zwanzig Jahre alt, aber doch schon volle Persönlichkeit. Edelmensch. Sehr ernst, aber mild. Ebenso selbstbewußt wie bescheiden. Seine Kleidung ist unzulänglich und ärmlich. Trägt auch Kefîje mit Agâl aber zerfetzt. Entweder barfuß oder nur in Bastsandalen.
Babel
Vielleicht vierzig Jahre alt. Rundglasige Brille. Ernst und grüblerisch, aber liebenswürdig und eindrucksvoll. Liebt den Scheik. Verzieht ihn. Man merkt ihm, ohne daß er dies beabsichtigt, immer an, daß er eigentlich ein Fremder ist, kein An'allah. Kopfbedeckung Fes, darunter leichtes Schattentuch.
Imam
Alter wie der Scheik. Wohlbeleibt. Glänzt in Würde und Behaglichkeit. Hält die Hände meist über dem Leib gefaltet und in ihnen den mohammedanischen Rosenkranz, der jede Gebärde des rechten Arms mitmacht, während der linke ruhig liegenbleibt. Ist ein guter Redner. Vom Kadi unzertrennlich. Trägt kurdischen Riesenturban, doch nicht übertrieben.
Kadi
So alt wie der Scheik. Langes, hageres Gegenstück zum wohlbeleibten Imam, ohne den er sich nicht wohl fühlt. Ist auch wie dieser gekleidet, mit kurdischem Riesenturban. Möchte gern wohlwollend sein, doch gelingts ihm nicht.
Hakawati
Ist über hundert Jahre alt und vom Alter gebeugt. Geht am Stock. Langer, silberweißer Bart. Trägt einen gewöhnlichen, aber phantastisch geschlungenen Turban. Ehrfurchterweckende Erscheinung. Schefaka nimmt sich in fast andächtiger Weise seiner an und behütet ihn auf Schritt und Tritt.
Vorbeter
Wohl dreißig Jahre alt. Ist ein Neger. Trägt auf dem Kopf nur den Fes. Hängt mit rührender Liebe am Scheik, obgleich dieser ihn schlecht behandelt.
Schefaka
Halberwachsen, fast noch Kind. Allgemein geliebt und darum verzogen, doch ohne eine Spur der üblen Eigenschaften verzogner Kinder. Ein vollständig unbeschriebenes, noch unberührtes Blatt.
Bibel (Bent'ullah)
Ohne Angabe des Alters. Ist fast stets verschleiert, und wenn sie am Schluß das Gesicht enthüllt, zeigt dieses keine Spur der vergangenen Jahre. Gestalt edel, Stimme tief und voll. Hagerkeit oder Körperfülle sind zu vermeiden.
Marah Durimeh
Noch älter als der Hakawati, aber trotzdem von fast noch jugendlicher Rüstigkeit. Hochgewachsen, aufrecht. Höchste Würde, die um so mehr ergreift, als sie im Gegensatz zu diesem Alter der Anmut nicht entbehrt. Edles, leicht gebräuntes Gesicht, mit einigen Alterslinien, die aber keine Falten sind. Langes, volles, schneeweißes Haar, das in zwei starke Zöpfe geflochten ist, die, nach vorn getragen, fast die Erde berühren. Solange sie unerkannt bleiben muß, versteckt sie das Haar unterm Gewand. Sie trägt unter diesem Gewand den in der orientalischen Sage oft erwähnten ›Panzer von Kristall‹, den sie aber vor Beginn des zweiten Akts nicht anzulegen braucht, weil er erst am Schluß des Stücks gezeigt wird. Ihr Anzug ist orientalisch, doch nicht nach irgendeinem bekannten Schnitt. Faltenreich, doch ohne daß diese Falten der Schlankheit Eintrag tun. Er soll zwar den Gedanken unterstützen, daß Marah Durimeh die ›Menschheitsseele‹ ist, darf aber nicht zu phantastisch sein, weil es grad im Wesen der ›Menschheitsseele‹ liegt, ihre herrlichen Ziele nur auf dem schlichtesten Weg und in der ungezwungensten Weise zu erreichen.
Die An'allah
und die acht Scheike, die zur nächtlichen Beratung kommen, sind in die bekannte Beduinentracht gekleidet, mit Kefîje und Agâl, doch läßt sich durch die Abwechslung in Form, Farbe, Art und Weise das Bild in hohem Grade beleben. Die Kleidung der Kiram und der Leute der Todeskarawane wird an den betreffenden Stellen besonders angegeben.
Sonstiges
Das oft vorkommende Wort Scheik wird in verschiedenen Gegenden anders ausgesprochen. Für die vorliegenden Zwecke ist es am besten, ›Scheek‹ zu sagen und das zweite e wie ein leises i klingen zu lassen.
Der Islam schreibt für den Tag fünf Gebete vor und empfiehlt dem eifrigen Muslim, des Nachts noch zwei hinzuzufügen. Warum es hier, sowohl beim Asr und Maghrib als auch dann zuletzt beim Ula, nicht zum eigentlichen Gebet kommt, muß man Abu Kital verantworten lassen; doch ist es notwendig, die Form zu wahren, daß jeder Beter sich seines Gebetsteppichs bedient, der allerdings kein wirklicher Teppich zu sein braucht. Es genügt jeder Schal, jedes Kopf- oder Gürteltuch, ja jedes Stück Stoff, auf dem man zu knien vermag. Das Hervorsuchen und Vorsichhinbreiten dieser Hilfsmittel, sobald die Gebetsbretter geläutet werden, muß mit aller Umständlichkeit und Feierlichkeit geschehn, die der Aufgabe des Stückes entsprechen. Sobald das Gebet vorüber ist, muß jeder die kniende Stellung verlassen und seinen ›Gebetsteppich‹ in der gleichen Weise wieder an sich nehmen.
Das Umêha ist von allen mitzubeten, allein Schefaka und später auch Ben Tesalah und Marah Durimeh ausgenommen. Diese eigentlich von den ›heulenden Derwischen‹ herübergekommene Gebetsform wird rezitiert, und zwar einstimmig nach folgenden Noten:
Dieser Satz, der absichtlich völlig regelwidrige Betonungen enthält, wird unausgesetzt so oft wiederholt, wie es dem Vorbeter beliebt. Bei dem Zeichen ? wird Kopf mit Oberkörper geneigt, bei ^ wieder aufgerichtet. Man beginnt langsam und würdevoll, steigert aber die Schnelligkeit nach und nach so, daß der Körper mit seinen Verneigungen den Worten nicht mehr folgen kann; das Gebet bricht dann atemlos ab, um von neuem langsam zu beginnen.
Die › Fat'ha‹ ist die erste Sure des Korân; sie heißt darum die ›Eröffnung‹ (hebräisch: pâthach = er öffnete). Sie steht für die Mohammedaner an der Stelle des christlichen Vaterunsers.
Jedermann ist in irgendeiner Weise bewaffnet, die bei der Beratung zuhörenden Krieger sogar mit Säbel, Schild und Spieß. Darum ist es dem Scheik Abu Kital möglich, sich von ihnen zu bewaffnen und dasselbe auch für den Scheik der Todeskarawane zu verlangen. Die › Klinge des Kismêt‹ trägt er gleich von Anfang an in der Gürtelschnur.
Die Betonung der arabischen Ausdrücke ergibt sich aus dem Versmaß des Textes von selber. Wiederholt sei, daß der Araber fast durchweg die letzte Silbe betont: Korân, Kismêt, Salâm.