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Alle Veränderungen, die die Szene während des ersten Aktes erlitten hat, sind aufgehoben worden. Auch der Thron steht wieder so, wie er ursprünglich stand. Die Schattenspieler erscheinen nicht wieder.
Schefaka ist auch in diesem Akt unablässig als Wirtin tätig. Das gehört zu ihrer Rolle als ›Seele‹. Und jeder bemüht sich, ihr zu zeigen, wie gern er sie hat. Alles, was sie tut und spricht, ist innerlich begründet, wie z. B. nur sie allein es sein darf, die den Befehl, das Innere des Turms zu erleuchten, zur Ausführung bringt.
Der Klang der ›Hämmer‹ muß sehr ernst genommen werden. ›Kulub‹ ist die Mehrzahl des arabischen Wortes für ›Herz‹. Die Herzensqualen, die der nach oben strebende, von seinen Widersachern gemarterte Mensch, in der Schmiede von Kulub ausstehn muß, sind durch diese Hammerschläge anzudeuten, die immer erdröhnen, sobald der Scheik von der Enttäuschung und vom Schmerz ergriffen wird. Diese Wirkung kann nicht durch irgendeine Schallspielerei hervorgebracht werden, sondern nur durch wirkliche Hämmer, die in Moll zusammenklingen und von so verschiedener Größe sein müssen, daß die folgende Klangfigur erreicht wird:
Schließlich noch die Bemerkung, daß, um der Spielleitung die größtmögliche Freiheit zu lassen, über ›An‹ und ›Ab‹ der handelnden Personen keine Vorschriften gemacht werden. Man hat sich den Beratungsplatz der An'allah nach rechts und links so offen zu denken, daß Auftritte und Abgänge ungezwungen erfolgen können und nicht durch irgendwelche Kulissen bestimmt werden.
Die gleiche Szene wie im ersten Akt.
Es ist gegen Mitternacht. Kein Mond und auch nur wenige Sterne am Himmel. Flackerndes Herdfeuer, also unruhiges, ungewisses Licht. Die Vorhänge des Zelts sind geschlossen. Man hört, noch ehe der Vorhang sich hebt, vom entfernten Duar Lager, Zeltdorf her schrille, arabische Musik, in die von Zeit zu Zeit auch Menschenstimmen mit den bekannten Ausrufen klingen. Wie es scheint, werden dort Reden gehalten, denen man Beifall spendet. Während der Pausen steigen aus dem Innern des Turms Harfentöne empor. Es ist, als ob die Harfen gegen den häßlichen Lärm im Duar aufkommen möchten, aber doch nicht könnten.
Bibel steht im Hintergrund links, mit unverhülltem Gesicht. Sie hat den Schleier zurückgeworfen und schaut erwartungsvoll zum Lager hinüber. Die Phantasie lehnt in der Mitte der rechten Seite an einem Mauerrest. Sie lauscht mehr nach den Harfen als nach dem Getöse im Duar. Das Getöse und der Harfenklang wechseln dem Inhalt des Gesprächs entsprechend ab. Bei hohem Inhalt klingen die Harfen; bei den andern Zeilen darf der Lärm zu hören sein. Das eine wie das andre aber endet, sobald Schefaka erscheint.
Bibel (besorgt)
Wie wird es sich entscheiden?!
Phantasie
Menschentümlich.
Bibel (schnell)
Du meinst: nicht gut?
Phantasie
Ich meine: immer gut.
In unsre Fehler tritt der Fuß des Herrn,
und Segen träufelt, wo wir es nicht ahnen.
(überlauter Lärm im Lager)
Bibel
Hast du gehört? Das ist ein Wendepunkt!
Wie bang mir ist!
Phantasie
Um beide?
Bibel
Ja, um beide!
(mit zusammengelegten und erhobenen Händen einige Schritte die Phantasie zugehend)
Nicht etwa, daß ich zweifle; nein, o nein!
Denn was die andern nur im
Wort erfassen,
das habe ich in
Wirklichkeit erfaßt,
und Gottes Wege sind mir wohlbekannt;
jedoch die Schläge deines Riesenhammers,
die möchte ich dem Vater gern ersparen,
weil sie ja schon den Sohn getroffen haben –
Phantasie (einfallend)
Ersparen willst du? Meine Schülerin?
Was wurde
dir erspart? Als Weib? Als Mutter?
(sehr ernst, unter leisen, getragenen Harfenklängen)
Wenn meine Zeit hier abgelaufen ist
und ich zurück zum Herrn der Welten kehre,
sollst
du die Seele aller Menschen werden,
an meiner Statt, doch herrlicher als ich.
Wie ich dir jetzt das Leid der Erde bin,
so darf ich dann die Seligkeit dir sein,
die unserm harten, trotzigen Geschlecht
nur durch das Kreuz gegeben werden kann.
Du hattest
schwer an diesem Kreuz zu tragen.
Nicht
einen Schmerz, den ich dir sparen konnte,
nicht
eine Qual, von der ich dich erlöste,
und selbst noch heut, an deinem größten Tage,
der dir verlorne Welten wiedergibt,
bist du gezwungen, dich zu überwinden
und dich zu beugen, wo du siegen sollst.
Und du, der nichts und nichts erlassen wurde,
die alles trug, was Menschen tragen können,
du willst ersparen, willst verzeihen! – Wem?
Warum grad diesem?
Bibel
Weil – ich kann nicht anders!
(fährt demütig fort)
Wenn unser Herr mir einst befehlen sollte,
an deiner Stelle hier zurückzubleiben,
so würde ich nur dann gehorchen können,
wenn ich vergeben und vergessen dürfte,
wo du, die Strenge, nur der Strafe dienst.
Gibt es denn keinen
andern Weg empor
als nur das Elend und die Schmach der Erde?
Ich will die Seele nicht des Tigers sein
und nicht des Löwen, sei er noch so edel
Nur Menschen, Menschen kann ich aufwärts führen,
Barbaren und Heloten aber nicht;
zwar Menschen, die im Schmerz geläutert sind,
gehämmert, wie in einer Geisterschmiede,
doch nicht gemartert und gequält – wie heut!
Phantasie (tief bewegt, beschattet die Augen mit der Hand, als ob sie in die Ferne schaue)
Ich sehe es, ich seh: es kommt – es kommt,
das hohe, edle, wahre Menschentum.
Es ist schon unterwegs. Die Sterne leuchten,
und tausend Sonnen rüsten sich zum Tage.
Wenn es erscheint, dann scheide ich von hinnen
(die Hände auf das gesenkte Haupt von Bibel legend)
und segne
dich, die Gottesgnade, ein.
Wie war es doch? Wie sagte ich zu dir?
Du sollst die Seele aller Menschen werden,
an meiner Statt, doch herrlicher als ich.
Noch herrlicher! Allein durch diese Gnade!
(zieht Bibel an sich)
Wohlan, ich nehme dich in meine Arme
und klage mich vor dir der Härte an –
Bibel (einfallend)
Sie lag in Raum und Zeit, doch nicht in dir!
Phantasie
So wird der Gütige sie mir verzeihen –
(Im Lager drüben krachen Freudenschüsse)
Bibel
Man schießt bereits.
Phantasie
Und schon ist's auch vorüber.
Bibel
Doch horch! Es kommt –
(beide lauschen)
Phantasie
– die ›Seele‹.
Bibel
Die Phantasie. Bibel.
Schefaka kommt in Eile und Aufregung.
Schefaka
Ich bringe Botschaft – gänzlich außer Atem
Ich muß mich setzen –
(geht zum Thron und läßt sich auf ihm nieder)
So, da sitze ich!
Kommt her!
(winkt sie von rechts und links zu sich her)
Doch nein! Es zerrt mich wieder auf!
(verläßt ihren Sitz und geht mit lebhaften Gebärden hin und her)
Wenn ich bewegt bin, muß ich mich bewegen!
(spricht in kurzen Absätzen, mit Zwischenpausen, während die Phantasie stehnbleibt, Bibel aber nach dem Alabaster geht, um sich niederzusetzen)
Sie ist noch gar nicht tot – sie lebt vielleicht –
Sie lebt sogar wahrscheinlich – ganz gewiß!
Doch darf sie niemals, niemals wiederkehren –
auch wenn sie wollte – ihres Glaubens wegen:
Das ist beschlossen worden – abgemacht!
Phantasie
Du sprichst von Bent'ullah?
Schefaka
Von Bent'ullah.
Von der Verstoßenen – ich liebe sie –
zwar heimlich – aber doch!
Bibel (in deren Nähe Schefaka grad kommt, sie liebkosend)
Du bist die Seele!
Schefaka (zornig)
Mir alles gleich – nur keine An'allah!
(gedämpften Tons, heimlich)
Dem Kadi soll es schlimm ergangen sein,
auch dem Imam – vom Scheik – Ich hab's erhorcht!
Doch öffentlich sind sie die besten Freunde –
und alles bleibt beim alten – auch das Schach.
(wieder laut)
Das wird ein stolzes, hoheitsvolles Spiel.
Soll ich euch sagen, wie und wo?
Phantasie
Wir hören!
Schefaka (stellt sich wichtig hin und zeichnet mit weit ausgestreckten Armen zu dem, was sie sagt, die Linien)
Da draußen in dem Sande von Achkam
sind vierundsechzig Felder abgeteilt,
auf denen
(erst nach links und dann nach rechts)
hier – und
hier – Figuren stehen.
Und vor den Feldern, also –
hier und –
hier,
sind köstliche Altane hochgebaut,
mit bunten Teppichen aus Farahan,
wo
(zeigt wieder nach links und nach rechts)
da der Scheik und –
da die Hexe sitzt,
um ihre Züge weithin zu verkünden.
(Im Hintergrund erscheint der Scheik der Todeskarawane. Die Phantasie setzt sich auf den Thron. Bibel, die auf dem Alabaster sitzt, zieht sofort den Schieler über ihr Gesicht. Schefaka aber fährt, ohne den Ankömmling zu bemerken, in ihrer Beschreibung fort)
Die Kampf-Figuren sitzen hoch zu Pferde,
und jeder Zug erfordert Reiterkünste,
bei denen wir den Feind beschämen würden,
wenn nicht der Scheik der Todeskarawane
das Schach zu reiten übernommen hätte.
Ich habe mich zunächst vor ihm gefürchtet;
doch bald ward dieses Bangen abgeschwächt,
und jetzt kann ich schon leidlich mit ihm reden.
Doch für die Rolle, die er spielen soll,
ist er gewiß und sicher nicht befähigt;
das sieht man ihm ja schon von weitem an!
Die Vorigen.
Der Scheik der Todeskarawane, der sich leise und langsam genähert hat und nun hinter ihr steht.
Scheik der Todeskarawane (heiter)
Das Schreckenskind! – Sieht es von weitem schon!
Schefaka (fährt zusammen, sieht sich um, weicht zurück)
Allah, Allah! Die Todeskarawane!
Ich bin belauscht! Ich muß mich wieder setzen!
(flüchtet sich zum Sitz ihres Vaters, auf den sie halb sich fallen läßt und halb wirklich fällt, weil er so niedrig ist. Hierüber erschrocken, schreit sie auf)
Oh, das ist tief!
Scheik der Todeskarawane
Wie es der Seele ziemt!
Schefaka (will ihn widerlegen)
Sie ist doch Königin!
Scheik der Todeskarawane
O nein!
Schefaka
Was sonst?
Scheik der Todeskarawane
Sie ist die niedrigste der Dienerinnen,
die niedrigste, die ich mir denken kann,
doch an der Seite dessen, der sie führt,
steigt sie empor zum allerhöchsten Throne.
Schefaka
Und der sie führt?
Scheik der Todeskarawane
Das ist der Geist.
Schefaka (schnell)
Scheik der Todeskarawane (ohne diese ihre Meinung zu beachten)
Doch dient auch er.
Schefaka
Ich denke, er beherrscht?
Scheik der Todeskarawane
Nur sich allein, als höchster aller Fürsten.
Hingegen, wenn er in die Tiefe steigt,
um die verlorne Seele heimzuführen,
dann wird er Knecht, der niedrigste der Knechte;
und wenn ihn nicht die Gnade Gottes hält,
ist er verloren – unten – wie die
Seele!
Schefaka (springt auf, ist ernst geworden)
›Und wenn ihn nicht – die Gnade Gottes hält,
ist er verloren – unten – wie die Seele!‹
Wie klingt mir das? Mir graust vor diesen Worten
Wozu dann dieser kalte, schwere Schmuck?
Wenn ich nur dienen soll, so ist er Lüge!
Scheik der Todeskarawane
So wirf ihn ab, und mach dich frei von ihm!
Schefaka (langsamen Schritts rückwärts gehend, sieht ihn mit großes Augen an)
Ich leg ihn ab – ich leg ihn
wirklich ab –
Ich traue dir!
Phantasie
Das sollst du auch, mein Kind!
Bibel (steht von ihrem Sitz auf, zu Schefaka)
Gib her den Schmuck, das Kleid, die ganze Lüge!
Komm in den Turm, damit ich dich befreie
und deine Last auf
meine Schultern nehme,
für kurze Zeit –
(zur Phantasie)
Phantasie
Du darfst!
(Bibel nimmt Schefaka bei der Hand und verschwindet mit ihr in der Frauenabteilung des Zelts).
Die Phantasie. Der Scheik der Todeskarawane.
Scheik der Todeskarawane
Wir sind allein. Du bist – – –?
Phantasie (lächelnd)
Die Phantasie.
Scheik der Todeskarawane (nickt beistimmend)
›Die im Gefilde von Sitara wohnt,
dem hochgelegnen Tal der Sternenblumen.‹
Jawohl, jawohl; das wußte ich bereits.
Jedoch da oben liegt auch Märdistan
und auch Kulub, mit seiner Geisterschmiede.
Da lag ich einst, gefesselt und geknebelt,
im Feuer – in der Glut – um Stahl zu werden –
und alle Hämmer schlugen auf mich ein –
doch war ich still – ich trug die Qual und schwieg –
und als die Lohe meine Seele faßte,
da schrie ich auf, doch nur in meinem Innern,
zu Gott dem Herrn, daß er mir helfen möge.
Da schwanden mir die Sinne, und ich sah
vor mir ein gütig-mildes Angesicht
und hörte eine Stimme, die mich bat,
nur stark zu sein und mutig auszuharren,
Dann werde die Erlösung sich vollenden.
Und heut erkenne ich dein Angesicht
und deine Stimme.
Du bist es gewesen!
Phantasie (mit dem Finger auf ihn deutend)
Als
deine Phantasie. Du hast gehört:
Ich heiße stets wie der, dem ich mich füge.
Scheik der Todeskarawane
Als
meine Phantasie! O wärst du es!
Ich würde dich aus tiefstem Herzen bitten:
Führ mich zurück in mein vergangnes Leben,
um dann hinab
(auf den Turm zeigend)
in diesen Turm zu steigen
und mir zu offenbaren, wer ich bin!
Phantasie
Ich will es tun, doch nur, so weit ich darf.
Wer in Kulub zum Geist geschmiedet wurde,
der braucht nur Fingerzeige, weiter nichts.
Scheik der Todeskarawane
So will ich kurz und auch nur wenig fragen.
Stamm ich von
hier?
Phantasie
Du bist der Sohn des Scheiks.
Scheik der Todeskarawane
Und der Beweis?
Phantasie
Den wirst du selber finden.
Scheik der Todeskarawane
Und weiter: meine Mutter?
Phantasie
Ist dir nahe.
Scheik der Todeskarawane (freudig)
Ich danke dir, ich danke dir! – Mir
nahe!
Sie lebt! Sie lebt! Schon das ist mir genug!
(wieder gefaßt)
Und drittens: gibt es unten in dem Turme
wohl einen Saal mit einem Drachenbild,
vom Boden bis hinauf zur Decke reichend,
den aufgesperrten Rachen voller Zähne?
Phantasie
Das ist Kital, das Götzenbild des Kampfes,
in tiefem Blute stehend dargestellt,
und –
Scheik der Todeskarawane
– also doch! Wie leicht wird mir, wie leicht!
Ich kam so völlig ahnungslos hierher,
daß alles, was ich sah, mich nur verwirrte;
nun aber wird mir plötzlich alles klar,
und unser Schach wird noch ganz anders enden,
als ich erwartete – und wohl auch du!
Phantasie (gütig)
Und wohl auch ich?
Scheik der Todeskarawane
Du sahst mich in Kulub,
so kennst du mich, so weißt du, wer ich bin!
Ich reite Schach, zwar für die An'allah –
Phantasie (einfallend)
Doch eigentlich für Marah Durimeh!
Scheik der Todeskarawane
Ganz so, wie du!
Phantasie
O nein, doch etwas anders!
Scheik der Todeskarawane
Ja, anders: geistig, nicht im Sande draußen,
und auch nicht morgen oder übermorgen,
schon heut, schon hier, so meisterhaft, so zwingend,
daß ich, bevor das Schattenspiel begann,
schon wußte, wer dich leitet –
Phantasie (scherzend)
Die Vorigen.
Schefaka kommt zurück, wieder wie gewöhnlich gekleidet.
Schefaka
Ich komme ganz allein. Sie bleibt noch unten.
(zum Scheik der Todeskarawane)
Sie ist mein Gast. Sie wohnt in meinem Zelt.
Ich lud sie ein, weil ich sie liebe,
(sich an die Phantasie schmiegend)
beide!
Phantasie
Sie legt den Schmuck sich an?
Schefaka
Ja; denke dir!
Ich wollte helfen, doch sie litt es nicht.
Sie schickte mich herauf; ich sei hier nötig.
(macht sich an das Ordnen der Kissen, der Pfeifen, des Geschirrs usw. zum Empfang der erwarteten Verbündeten.)
Die Vorigen. Der Hakawati.
Hakawati
Ich sah in meiner Einsamkeit die Feuer,
die in der Ferne, rund im Kreise, glühen
und uns die Nähe der Entscheidung künden.
Da wollte ich bei Menschen sein.
Scheik der Todeskarawane (reicht ihm den Arm, um ihn an seinen Platz zu führen)
So komm!
(läßt ihn niedersitzen und bereitet ihm sorgsam den Tschibuk. Man hört Stimmen, die sich nähern)
Schefaka (hinausschauend)
Das ist des Vaters Stimme – und der Scheik.
Die Vorigen. Abu Kital. Babel.
Abu Kital (sehr angeregt, die Peitsche in der Hand)
Ein Bote ist aus Umm Welad erschienen,
zu sagen, daß die acht Erwarteten
bei Tagesende abgeritten seien.
Babel
Sie können also jeden Augenblick
im Lager drüben zu empfangen sein.
Man bringt sie uns herüber.
(setzt sich an seinen Platz und beschäftigt sich mit seinen Büchern und Figuren)
Schefaka
Maschallah,
Da muß ich eilen!
(gibt dem Scheik der Todeskarawane einen Krug in die Hand)
Hole Wasser! Schnell!
(er gehorcht, aber ruhig und lächelnd)
Abu Kital (zur Phantasie, die auf dem Thron saß, nun aber aufgestanden ist)
Ich suchte dich und finde dich erst hier.
Du hast die Schattenspieler unterwiesen,
mich über Bent'ullah zu unterrichten,
und wußtest also, was geschehen war.
Wie kamst du zu der Wissenschaft?
Phantasie
Sehr leicht.
Ich habe sie aus allerbester Quelle,
das heißt von beiden: Kadi und Imam.
Abu Kital
Sie leugnen es.
Phantasie
Sie sprachen miteinander.
Ich hörte es, nur sahen sie mich nicht.
Abu Kital
Die Folgen konntest du wohl nicht berechnen,
doch sind sie glücklich abgewendet worden,
und deshalb bin ich sehr mit dir zufrieden.
Du hast es außerordentlich verstanden,
ganz ohne Vorbereitung mich zu fassen,
mich aufzuwühlen und mir einzuflüstern,
grad das zu tun, was ich verwerfen muß.
Wird dir das bei den Feinden auch gelingen?
Phantasie
Noch besser als bei dir!
Abu Kital (ihr die Hand hinhaltend, in die sie einschlägt)
So nimm die Hand!
Ich bitte dich, mir Helferin zu sein.
Du wirst der alten Hexe zugesellt,
um alles zu erfahren, was sie spricht.
Das liefert Stoff zu einem Schattenspiel,
worin du dann –
Phantasie (einfallend)
Den habe ich bereits!
Abu Kital (wägend)
Ist er auch gut? Für meinen Zweck geeignet?
Er muß die Feinde dergestalt erregen,
daß sie die Pflicht der Gastlichkeit verletzen,
sich mit den Waffen gegen uns empören
und dann von uns –
(hält inne und fährt dann vorsichtiger fort)
Du weißt schon, was ich will!
Phantasie
Sei ohne Sorge, ohne alle Sorge!
Du wirst das Spiel noch eher kennenlernen,
als sich die Gäste heut zur Ruhe legen,
und sicher einverstanden mit ihm sein.
Abu Kital (anerkennend, zu Babel)
Ein Teufelsweib, die Phantasie!
Babel (auf sie deutend)
Ja, diese!
Abu Kital (zur Phantasie, eifrig)
Wie wäre es, wenn du im Schattenspiel
die Bibel bringen könntest – in Gestalt –
in weiblicher – die Feinde zu empören?
Nichts besser wohl als das! Von
mir erdacht!
Ich hab doch
Geist!
Phantasie (schlicht)
Die Bibel ist schon da.
Abu Kital (erstaunt)
Schon da? Schon da?
Phantasie
Hast du sie nicht gesehen?
Abu Kital
Gesehen?
Phantasie
Nicht gehört?
Abu Kital
Sogar gehört?
Phantasie
Sie durfte euch die heilge Fat'ha beten,
weil diese ganz im Sinn der Bibel ist.
Abu Kital
Das war die Bibel?!
(Rundum)
Hört ihr es, die
Bibel,
die das Umeha mir verleidet hat,
das Schnarren und das Knarren im Gebet!
Von heut an will ich es nicht wieder hören.
(zur Phantasie)
Doch aber hoffe und erwarte ich,
du meinst die Bibel
alten Testamentes;
das
neue untersagt uns der Koran. –
Und dann noch eins, von großer Wichtigkeit:
Versuche, bei der Hexe zu erlauschen,
in welcherlei Verkleidung oder Maske
der Geist des Abendlandes sich versteckt!
(drohend, mit entsprechender Gebärde)
Ich ziehe ihn hervor! An beiden Ohren!
Damit er ihre Züge nicht verändert
und mich mit fremden Finten überrascht.
(erklärend)
Sie läßt den Gegner Zug um Zug gewinnen,
bis fast zuletzt; dann aber greift sie ein,
läßt Schlag auf Schlag und Stoß auf Stoß erfolgen
und wirft ihn endlich matt zu Boden nieder.
Das ist ihr Kniff, an dem man sie erkennt.
Doch gegen
mich wird er vergebens sein.
Ich habe schon gezogen, wie ihr wißt,
ich bin doch
Geist, sie aber höchstens –
Seele.
Hakawati (die eigenen Worte Abu Kitals bringend)
Das alte Märchen! Immer nur dies Märchen!
Schefaka (zum Hakawati)
So laß ihn doch!
Hakawati
Er hat kein Recht dazu!
Babel (sehr bestimmt)
Er hat das Recht. Ich weiß es. Ich bin Babel!
Phantasie (warnend)
Der seinen Geist wie Salmanassar kleidet
und seine Seele wie Schamuramat.
Ich warne euch!
(auf Schefaka deutend)
Seht euch die Seele an!
Sie hat den Tand freiwillig abgelegt.
(zu Abu Kital)
Ich rate dir, das gleiche auch zu tun!
Abu Kital (hochfahrend)
Du meinst den Mantel von Elissa?
Phantasie (langsam nach dem Zelt gehend)
Ja.
Abu Kital
Den goldnen Reif von Eridu?
Phantasie
Auch den.
Abu Kital
Die Schlangenhaut –
Phantasie (einfallend)
Sogar die Suri-Klinge.
Abu Kital (erstaunt)
Sie weiß wahrhaftig alles, alles, alles!
Phantasie
Und nicht nur das! Drum warne ich, o Scheik;
denn wenn die Hexe des Schatrandsch erscheint,
so wird sie dir den König bald entblößen.
Das ist der Kniff, von dem du eben sprachst,
mit andern Worten zwar, jedoch der gleiche.
Drum halte fest den täuschenden Ornat –
denn wenn er fällt, muß sich die Wahrheit zeigen!
(verschwindet in der Frauenabteilung des Zelts.)
Die Vorigen, ohne die Phantasie. Der Neger kommt.
Vorbeter
Die acht Verbündeten sind angekommen.
Soll ich sie bringen?
Abu Kital
Ja. Im Festeszug!
(Vorbeter ab.)
Die Vorigen, ohne den Vorbeter.
Babel (froh)
Allah sei Dank! Sie kommen!
Schefaka
Alle acht!
Babel
Nun wird das Herz mir leicht!
Abu Kital
Es war dir schwer?
Babel
Das deine dir wohl nicht? – Du wirst's nicht leugnen!
Abu Kital
So ist die Freude um so größer nun,
daß ich nicht falsch, nicht fehl gerechnet habe.
Die Phantasie mag bangen um den Geist,
ich aber, ich, ich kenne mich genau
und lasse mir den König nicht entblößen.
(zum Scheik der Todeskarawane)
Und der bist du! Das weißt du wohl?
Scheik der Todeskarawane
Genau!
(Im Lager drüben wird es laut. Man hört Musik, einen arabischen Marsch)
Abu Kital
Ich prüfe dich zuvor!
Scheik der Todeskarawane
Ich bin bereit.
Abu Kital
Und deine Leute auch? Doch ist es leicht,
durch Ungeschick und Lumpigkeit zu wirken.
(der Zug nähert sich)
Babel (aufspringend, zu Schefaka, die zur Kulisse hinausschaut)
Sie kommen?
Schefaka
Ja, sie kommen.
Abu Kital (treibt allerlei Volk, das dem Zug vorausgeeilt ist und sich herbeidrängen will, mit der Peitsche hinaus)
Platz für sie!
Die Vorigen. Der Zug der Gäste.
Voran vier Fackelträger, die ihre Fackeln an Ort und Stelle bringen und sich dann entfernen. Nach ihnen der schwarze Vorbeter als Zeremonienmeister. Hinter ihm die Musik. Hierauf die Scheike der acht Stämme, auf deren Beistand Abu Kital rechnet. Diesem folgen die Ältesten der An'allah mit all den Personen, die bei der Nachmittagsberatung das Bild belebten.
Der Scheik steht in stolzer Haltung am Thron, die Peitsche in der Hand. Die acht Anführer bleiben im Hintergrund. Der Schwarze schreitet würdevoll bis dorthin, wo ihre Kissen liegen, um dann jedem einzelnen von ihnen seinen Platz anzuweisen. Ist dies geschehn, so entfernt er sich, um später zum Gebet wiederzukommen. Die Ältesten suchen zwar sofort ihre Plätze auf, setzen steh aber nicht eher, als bis die acht Scheike sich niedergelassen. Die Musik macht mit den übrigen die Runde und stellt sich wie am Nachmittag auf. Dann gibt Abu Kital das Zeichen zum Zuhören.
Abu Kital
Ich bin Abu Kital, des Kampfes Vater,
der Scheik der Beduinen An'allah,
und heiße euch willkommen.
(winkt nach den Sitzen)
Nehmet Platz!
Erster Scheik (vortretend)
Ich bin der Scheik der tapfern Hainin
und grüße dich!
Abu Kital
Ich danke dir, o Scheik!
(Der Gast bekommt vom Vorbeter sein Kissen angewiesen und setzt sich)
Zweiter Scheik (tritt vor)
Ich führ die Helden der Munafikin
und grüße dich!
Abu Kital
Du bist ein Tapfrer, Freund!
(Der Gast bekommt usw. wie vorhin)
Dritter Scheik
Ich bin der Scheik des Stammes Ger Amin
und grüße dich!
Abu Kital
Gesegnet sei dein Tag!
(wie vorhin)
Vierter Scheik
Ich bin der Scheik der treuen Beni Har!
Salam aleik!
Abu Kital
Ich danke dir, o Scheik!
Fünfter Scheik
Ich bin der Scheik der Krieger der Schukuk
und grüße dich von ihnen!
Abu Kital
Meinen Dank!
(wie vorhin)
Sechster Scheik
Ich bin der Scheik des Stammes Ukala
und sage meinen Gruß!
Abu Kital
Ich lobe dich!
(wie vorhin)
Siebenter Scheik
Ich bin der Scheik der Stämme der Schuttar
und bringe ihr Salam!
Abu Kital
Ich rühme dich!
(wie vorhin)
Achter Scheik
Ich bin der Scheik des Stammes Hukama;
er grüßt Abu Kital!
Abu Kital
Ich preise dich!
(Nachdem der Vorbeter auch dem achten Scheik sein Kissen angewiesen hat, entfernt er sich)
Imam
Ich bin der heilge Glaube, der Imam!
(setzt sich)
Kadi
Ich bin der Kadi, die Gerechtigkeit!
(setzt sich)
Babel
Ich bin die Wissenschaft und heiße Babel.
(setzt sich auf seinen alten Platz)
Hakawati (richtet sich mit Hilfe von Schefaka von seinem Sitz auf)
Ich bin das Märchen; weiter bin ich nichts!
(setzt sich)
(Der Scheik der Todeskarawane macht hier und da den Versuch, einen Platz zu bekommen, wird aber überall so scheel angesehn, daß er es vorzieht, weiterzugehn. Da nimmt Schefaka ihn entschlossen bei der Hand, führt ihn zum Zelt, schlägt den Vorhang der Männerabteilung zurück und weist ihm da einen bessern Sitz an, als er draußen hätte finden können. Er sitzt da wie auf einer herrschaftlichen Tribüne, von der aus er alles überschauen kann. Zu gleicher Zeit wird nebenan auch der Vorhang der Frauenabteilung zurückgeschlagen, und man sieht die Phantasie und Bibel, die der Beratung zuschauen wollen. Bibel ist verschleiert, und zwar so, daß der leichte, weiße Stoff die ganze Gestalt umhüllt und man nicht bemerkt, daß sie jetzt an Schefakas Stelle das sogenannte ›Gewand der Seele‹ trägt, also den Schmuck, den, wie der Scheik sich ausdrückte, ›einst Bent'ullah in heilgen Stunden trug‹.
So ist also grad den drei Personen der Eingang zum Turm der An'allah überantwortet, denen er durch den geplanten, blutigen Überfall verwehrt werden soll. Der ›Vater des Kampfes‹ hat inzwischen gesprochen und spricht weiter, ohne auf die drei Personen im Zelt hinter sich zu achten)
Abu Kital
Noch einmal rufe ich euch zu: ›Willkommen!‹
und sage Dank für euer Hiererscheinen.
Im Lager drüben wird das Mahl bereitet.
Inzwischen werde der Tschibuk gereicht
und die Beratung pünktlich vorgenommen;
(zum Himmel zeigend)
das Himmelszelt steht grad auf Mitternacht.
Doch, solltet ihr vielleicht ermüdet sein –
Erster Scheik (einfallend)
O nein!
Zweiter Scheik
O nein!
Dritter Scheik
Beginne nur!
Vierter Scheik
Abu Kital
Um was es sich hier handelt, wißt ihr schon;
ihr seid durch meine Boten unterrichtet.
Doch soll der Fall noch klar beleuchtet werden,
von dem Imam, von Babel und von mir,
und jeder wird nach seinem Stande sprechen,
um euch die heilgen
Rechte zu erklären,
die wir auf unser Morgenland besitzen,
und daraus folgend auch die heilge
Pflicht,
das Abendland mit seinem Christentum,
wenn nötig, mit Gewalt zurückzuweisen.
Es spreche der Imam!
Fünfter Scheik
Wohlan!
Alle (durcheinander)
Er spreche!
Imam (erhebt sich von seinem Platz und geht zum Teppich der Rede)
Ich spreche hier als unser heilger Glaube,
der im Koran zur Erde niederkam,
um uns den Weg zum Paradies zu zeigen.
Es gibt für uns nur diesen einen Weg.
Wir nennen ihn den heiligen Islam,
der für die Erde
Kraft und
Tapferkeit,
für später
Glauben und
Ergebung fordert.
Er war verkündet schon den ersten Menschen.
Die großen Väter und Propheten alle,
von denen uns die Heilge Schrift erzählt,
versuchten, ihn zu lehren und zu wandeln;
doch, was sie fanden, war die Richtung nur:
Der Pfad an sich blieb ihnen stets verborgen.
Da kam der mächtigste der Vorverkünder,
der Wunder ohnegleichen sprechen ließ.
Ich meine Isa
Jesus, den Marien-Sohn,
der sah den Weg, doch ging er stolz vorüber.
Er ragte hoch in die Unendlichkeit,
und seine Füße schritten über Sterne.
›Mein Reich ist nicht von dieser Welt‹, sprach er,
der weiter dachte als an Erdengröße;
dann stieg er über Grab und Tod hinaus,
hinauf zu dem, den niemand je erreicht.
Das war der messianische Verzicht
auf jedes Schollenrecht an dieser Erde,
und wer nicht stark genug ist zu entsagen,
der sei auch nicht so kühn, sich Christ zu nennen
Für uns steht Isas Himmelreich zu hoch,
als daß wir es im Sprung erreichen möchten.
Wir gehn den Weg, der keine Flügel fordert,
den alten Weg der Väter und Propheten,
den Isa nur als Gottes Sohn vermied
und den Mohammed dann nach ihm betrat,
damit Allah für seine Menschenkinder
nicht nur als Traumbild in den Lüften schwebe.
Der eine predigt abgeklärten Geistern;
der andre wird den Lebenden gerecht,
indem er den granitnen Sockel baut,
auf dem der Glaube festen Halt gewinnt,
um seine Hand nach oben auszustrecken.
Für Sterbliche ist Isas Himmelreich
nicht ohne festen Erdengrund zu denken.
Und dieser Untergrund ist der Islam,
der Gottes Reich auf strenge Felsen baut,
damit der Himmel nicht zusammenbreche.
So wollen wir denn mit der Christenheit
im Sinne ihres Welterlösers teilen:
Für
sie das grenzenlose Himmelreich
mit allem, was da oben strahlt und schimmert;
für
uns sei nur die winzig kleine Erde,
die jeder Christ als Jammertal bezeichnet,
aus dem das ewige Verderben gähne.
Dies Jammertal sei unser Paradies,
und dies Verderben unsre Seligkeit!
Ihr hört, ihr meine tapfren An'allah:
Für
sie den Himmel und für
uns die Hölle!
Das müssen doch selbst
sie bescheiden nennen!
Ihr seid mit dieser Teilung einverstanden?
Abu Kital (als Vorstimme der andern)
Für sie den Himmel und für uns die Hölle!
Vier Scheiks
Für sie den Himmel!
Die anderen vier Scheiks
Und für uns die Hölle!
Imam
Ich danke euch, ihr Tapfern, danke euch!
Es ist der Stolz des Stammes An'allah –
Erster Scheik (fällt schnell ein)
Nur euer Stolz?
Zweiter Scheik
Nur eurer?
Die übrigen Scheiks (durcheinander)
Euer Stolz?
Imam (sieht ein, daß er unvorsichtig war, winkt ihnen beruhigend zu und fährt fort)
Daß er den Himmel für die Hölle gibt
und diese Hölle dann zum Himmel macht,
damit sogar der Teufel selig werde.
Denn dieser war der erste aller Sünder
und sei nun auch der erste der Erlösten.
Das ist ein Werk für harte, schwere Fäuste,
Die unerbittlich dreinzuschlagen wissen!
Und wenn der Christ, anstatt Verzicht zu leisten,
Uns auch das Jammertal noch nehmen will,
So soll er diese Fäuste kennenlernen.
Wir sind bereit! Wir werden mit ihm fertig!
Erster Ältester
Wir sind bereit!
Zweiter Ältester
Wir sind bereit!
Alle (durcheinander)
Bereit!
(Waffengeklirr, Lärm der Instrumente und die bekannten Freudenrufe. Während dieses Lärms verläßt der Imam den Teppich der Rede, um an seinen Platz zurückzukehren, und Babel tritt an seine Stelle)
Abu Kital (mit der Peitsche auf den Imam deutend)
Das war der Glaube, der gesprochen hat.
(auf Babel zeigend)
Nun kommt die Wissenschaft. Und dann –
(klatschend)
komm ich!
Babel
Es ist verbrieft durch alte Pergamente,
durch ausgegrabene Papyrusrollen,
durch mündlich überlieferte Geschichten,
durch Steine, Platten, Ziegel und Zylinder,
sogar durch heilge Offenbarungsschriften,
daß lange vor Beginn der Völkerzeiten
ein Stamm von Riesen auf der Erde wohnte,
des Name lautete: ›Ich bin wie Gott!‹
Das waren wir, die heutgen An'allah.
Der Name ist der sicherste Beweis,
doch gibt es auch noch andere Belege,
die wissenschaftlich streng geordnet sind
und sich
(nach dem Turm deutend)
in unserm Schatz, im Turm befinden.
Wir bauten damals Stadt und Festung Babel,
dazu den Turm, der bis zum Himmel reichte,
denn Babel heißt ›Tor Gottes‹, nicht ›Verwirrung‹.
Die Stadt wuchs sich zum großen Reiche aus,
die Menschen aber wurden immer kleiner.
Der Riese wohne in der Einsamkeit;
am Markt des Lebens muß er schnell verzwergen.
Wir waren nicht zur Winzigkeit bestimmt,
verschenkten Stadt und Reich an arme Leute
und zogen fort, zurück in unsre Wüste –
Abu Kital (stolz)
Verschenkten Stadt und Reich an arme Leute –
(gibt ein Zeichen, diese Worte nachzusprechen)
Alle (einstimmig)
Verschenkten Stadt und Reich an arme Leute –
Abu Kital
Und zogen fort, zurück in unsre Wüste!
(gibt das gleiche Zeichen)
Alle (wie oben)
Und zogen fort, zurück in unsre Wüste!
Abu Kital (hebt die Arme, schaut begeistert empor)
Wie groß von euch, ihr meine An'allah,
groß wie der Turm, der bis zum Himmel ragte!
Schaut nicht herab zu uns, um uns zu messen –
doch bietet mir ein Reich wie Babylon
und hier dagegen diese eure Größe,
so schwör ich euch, ich gehe und verzichte!
Phantasie (von ihrem Sitz im Zelt aufstehend, hebt warnend den Arm)
Du schwörst, o Scheik!
Abu Kital (dreht sich zu ihr um, bestätigend)
Babel (ihn bewundernd)
Groß wie immer!
Phantasie
Wie nun, wenn dich Allah beim Worte nähme?!
Abu Kital
So würde ich es halten!
(zu Babel)
Rede weiter!
Babel
Das war vor vielen, vielen tausend Jahren.
Nun kehrten aus der Wüste wir zurück,
um nach dem Turm der An'allah zu schauen.
Wir fragen diese Zeit; sie aber schweigt;
sie senkt das Haupt und deutet auf Ruinen.
Der Völker keins war dieses Baues würdig.
Das Höchste, was die Menschheit je erdachte,
erreichte kaum die erste seiner Stufen.
Da fuhr der Herr in seinem Zorn herab;
der Riese fiel zerschmettert vor ihm nieder,
und Weltenreiche brachen unter ihm.
Sein Körper löste sich in Schutt und Trümmer,
doch der Gedanke, der ihm innewohnte,
der wahre
Geist, stammt von uns An'allah
und soll im
neuen Leibe neu sich strecken,
an diesem gleichen Ort, an dem er stand,
doch nicht gekleidet in den gleichen Staub,
der ihn den Zwergen unbegreiflich machte.
Nicht wieder baun wir ihn aus Schlammgefüge,
o nein, granitne Taten brechen wir
aus dem Gestein der harten Gegenwart
und türmen sie zum höchsten Himmel auf!
Bricht dann auch dieses zweite Werk zusammen,
so mag Allah der Zukunft sich erbarmen,
denn Besseres als Taten gibt es nicht!
Abu Kital (die Hände hochhebend und das Zeichen gebend, diese Worte nachzusprechen)
Denn Besseres als Taten –
Alle (einstimmig, wuchtig)
– gibt es nicht!
Babel (vom Teppich der Rede an seinen Platz zurückkehrend)
Und dieses Beste wollen wir vollbringen!
Abu Kital
Wir wollen baun!
Imam
Wir wollen wieder baun!
Babel
Nicht einen Turm für heidnische Idole!
Imam
Nicht eine Warte für den Sternendienst!
Kadi
Nicht für Allah ein luftig Hirngespinst!
Abu Kital
Und doch für ihn, weil für sein Ebenbild!
Wir wollen baun für den, den er sich dachte,
als er beschloß: ›Laßt uns den Menschen machen!‹
Babel
Wir wollen baun für den Erwarteten,
von dem die Weisen aller Länder sagen,
daß er zwar spät, doch sicher kommen werde!
Abu Kital
Ein Weltenreich!
Imam
Das größte aller Zeiten!
Babel
Weil es von Pol zu Pol sich strecken soll!
Abu Kital
Für den ersehnten, wahren Erdenherrscher,
der
Geist besitzt, genug für alle andern,
und Fäuste,
(die seinen vorzeigend)
um Gebirge zu zerbrechen!
Imam
Den Held und Hort, den Riesen des Islam!
Kadi
Den An'allah, den wahren An'allah!
(hier stutzen die acht Scheike, und ihre Begeisterung fällt schnell zusammen)
Abu Kital
Der uns das Morgenland zu Füßen legt,
und dann die ganze andre Welt erobert!
Droh'n denn nicht rings umher die Völkerstimmen?
Und wir am Turme Babel sollen schweigen?
Amerika –
Alle An'allah (einstimmig)
– nur für Amerika!
Abu Kital
Der gelbe Osten –
Alle An'allah (einstimmig)
– für die gelbe Rasse!
Abu Kital
› Europa –
Alle An'allah (einstimmig)
– wahre deine heilgen Güter!‹
Abu Kital
Drum sei die Antwort, die wir ihnen geben:
›
Das Morgenland –
Alle An'allah (einstimmig)
– nur für die An'allah!‹
Abu Kital (erschrocken)
O nein!
Babel (ebenso erschrocken)
O nein!
Imam (hebt abwehrend die Arme)
O nein!
Kadi
Das ist ja falsch!
Abu Kital (wiederholt, um zu verbessern)
› Das Morgenland –
Alle An'allah (blind und taub in ihrer Begeisterung)
– nur für die An'allah!‹
(großer Jubel bei den An'allah, Tusch, Zwischenrufe. Die acht angeblich Verbündeten springen auf; sie verlassen ihre Plätze und treten von den An'allah zurück. Da erst merken diese ihre Unbesonnenheit. Der Lärm weicht tiefer Stille, durch die laut die Stimme der Phantasie erklingt)
Phantasie (im Zelt hoch aufgerichtet, die eignen Worte des Scheiks wiederholend)
›Sie läßt den Gegner Zug und Zug gewinnen,
bis fast zuletzt; dann aber greift sie ein,
läßt Schlag auf Schlag und Stoß auf Stoß erfolgen
und wirft ihn endlich matt zu Boden nieder.
Das ist ihr Trick, an dem man sie erkennt!‹
Abu Kital (in zorniger Verwirrung)
Was sollen diese meine Worte? Sprich!
Phantasie
Bisher hast du gewonnen, Zug um Zug;
gib acht, die Hexe kommt!
Scheik der Todeskarawane
Erster Scheik (der von dem tieferen Sinn dieser Plänkelei keine Ahnung hat, in kaltem schneidendem Ton zu Abu Kital)
›Das Morgenland nur für die An'allah!‹
Was dann für
uns?
Zweiter Scheik
Was dann für uns?
Dritter bis achter Scheik (durcheinander)
Für uns?
Erster Scheik
Der Bettelstab! Wohl gar die Sklaverei!
Zweiter bis vierter Scheik (durcheinander)
Der Bettelstab!
Fünfter bis achter Scheik (durcheinander)
Wohl gar die Sklaverei!
Abu Kital (breitet bestürzt die Arme)
Das war ein Irrtum, ein Versehen nur!
Imam (beistimmend)
Ein Irrtum!
Kadi
Ein Versehen! Ein –
Erster Scheik (scharf)
Wir wissen!
(zu Abu Kital)
Leb wohl, ersehnter, wahrer Erdenherrscher!
(geht fort, während draußen die Gebetsbretter geläutet werden)
Zweiter Scheik (zu Abu Kital)
Der Geist genug besitzt für alle andern!
(geht fort)
Dritter Scheik (zu Abu Kital)
Du Held und Hort!
Vierter Scheik (zu Abu Kital)
Du Riese des Islam!
(schickt sich auch zum Gehn an)
Abu Kital (den diese plötzliche Absage wie ein Schlag auf den Kopf trifft)
Warum – wieso – das ist – sie wollen fort!
(springt vor und faßt den vierten Scheik, um ihn zurückzuhalten, wobei die Stimme des Vorbeters schon nahe hinter der Szene zu hören ist)
Du bleibst – du bleibst! Ich will es – ich befehle!
Vierter Scheik
Befehlen willst du? Mir? Dem Beni Har?
Fahr hin, du Knabe! Lerne erst gehorchen!
(schleudert ihn von sich und geht. Abu Kital taumelt einige Schritte zurück und strauchelt dann nieder. Er ist so bestürzt, daß er das Aufstehn vergißt und fast tonlos vor sich hinzürnt)
Abu Kital
Vergriffen hat er sich an mir! Vergriffen!
Zu Boden mich geschleudert! Mich!
Schefaka (eilt herbei, um ihn zu unterstützen)
Steh auf!
Phantasie (noch hoch und aufrecht im Zelt)
Nun hast du dir den König
selbst entblößt –
Herunter mit dem Mantel von Elissa!
Abu Kital (steht verwirrt auf, zur Phantasie)
Wie meinst du das?
Schefaka
Sei still! Der Schwarze kommt!
(führt ihn zum Thron, auf den er sich, wie bewußtlos, niederläßt.)
Die Vorigen, ohne die ersten vier Scheike. Der Vorbeter, hinter ihm seine Gehilfen und das übrige Gefolge. Er läutet die Hölzer und singt dazu:
Heijh alas salâh! Heijh alal felâh! Auf zum Gebet! Auf
zum Heil! Heijh alas salâh! Heijh alal felâh! Allaliu
akbar! Allahu akbar!
(Dann kniet er nieder, hinter ihm auch alle, die mit ihm gekommen sind. Das Umeha mit den Verbeugungen beginnt. Das rüttelt den Scheik aus dem Zustand halber Betäubung auf. Er fährt empor, reißt die Peitsche aus dem Gürtel und springt zornig auf den Vorbeter ein)
Abu Kital
Was fällt dir ein, du Wurm, du Laus, du Wanze!
Ein solches Schnurren und ein solches Schnarren,
nachdem du das Gebet der Bibel hörtest!
Bist du verrückt?
Vorbeter (bleibt knien)
Was soll ich beten, Herr?
Abu Kital
Die heilge Fat'ha, nicht das Umeha!
Vorbeter (bescheiden, aber fest)
Die Fat'ha bet ich nicht!
Abu Kital (erstaunt)
Du weigerst dich?
Vorbeter
Du hast sie mir verboten!
Abu Kital
Allerdings,
und dazu hatte ich mein Recht. Verstanden?
Jetzt aber, jetzt will ich das Gegenteil,
und was ich will,
(klatscht)
geschieht; das ist bekannt!
Vorbeter (schaut bittend zu ihm auf)
Verzeih, o Herr! Ich möchte dich bewahren!
Gedenke an das ›rasche Ende‹, Scheik,
das du mit ihr heraufbeschworen hast!
Abu Kital
Nur mein Befehl und nicht mein Ende gilt!
Vorbeter
Und meine Lippe ist nicht deine Lippe!
Abu Kital
Die Fat'ha will ich!
(schlägt ihm bei der Silbe Fa die Peitsche über den Rücken)
Vorbeter
Nein!
Abu Kital
Die Fat'ha!
(gibt ihm einen zweiten Hieb)
Vorbeter
Nein!
Schefaka (eilt auf Abu Kital zu, der schon zum dritten Hieb ausholt, und fällt ihm in den Arm)
O Scheik, o Scheik, du prügelst das Gebet!
Abu Kital
Mit vollem Recht, wenn es mir nicht gehorcht.
(macht sich von ihr las und schlägt den Schwarzen wieder. Schefaka hängt sich an ihn und versucht, ihm die Peitsche zu entreißen. Aufregung bemächtigt sich aller Anwesenden. Man drängt herbei. Unwillen gegen Abu Kital wird wach. Der Scheik der Todeskarawane verläßt das Zelt, um sich des Bedrängten anzunehmen. Er tut das ruhig, ahne Leidenschaftlichkeit und Übereilung. Die Phantasie und Bibel bleiben im Zelt. Sie stehn nebeneinander. Die Jüngere im Arm der Älteren).
Imam
Was das Gebet betrifft, bin
ich der Herr.
Ich will nur das Umêha, nicht die Fat'ha!
Kadi
Und was das Recht zu strafen anbelangt,
so habe
ich es nur, kein
anderer!
Abu Kital (grimmig)
Allah, Allah, wie lustig es hier wird!
Weil die verräterischen Schurken dort,
(mit der Peitsche hinter den vier Scheiken her drohend)
nicht folgten, wie ich es berechnet hatte,
wagt es nun gleich der ganze heilge Glaube
und auch das ganze, liebe, heilge Recht,
sich von mir loszusagen!
(spuckt aus)
Pfui der Schande!
(schleudert Schefaka von sich, so daß sie vor dem Scheik der Todeskarawane niederfällt, deutet auf den Neger und ruft herausfordernd)
Ich peitsche ihn, bis er gehorcht! Verstanden?
Und wer mich hindern will, der wage es!
(schlägt weiter auf den Schwarzen ein)
Scheik der Todeskarawane (hebt Schefaka auf und führt sie ihrem in der Nähe stehenden Vater zu)
Das ist Kital, das Drachenungeheuer,
die niedrige Gewalt, das – Menschentier!
Abu Kital (sich ihm zuwendend und vom Schwarzen ablassend)
Kital, Kital, ganz richtig! Hast du Mut,
so komm heran und hol dir meine Peitsche!
Scheik der Todeskarawane
Wozu denn Mut? Kital ist ungefährlich!
(geht langsamen Schritts auf den Scheik zu, die Augen fest auf ihn gerichtet)
Phantasie (ruft ihnen zu)
Schon wieder stellt er seinen König bloß.
Herunter mit dem Reif von Eridu!
(Die beiden stehn sich Aug in Aug gegenüber. Abu Kital kann den Blick des andern nicht ertragen und weicht einen Schritt zurück. Dabei wirft er einen halben Blick zur Phantasie hinüber)
Abu Kital (unsicher)
Was willst du nur mit deinem König immer,
und mit dem goldnen Reif von Eridu?
Hakawati
Das weißt du nicht? Und wagst, dich Geist zu nennen?
(Dieser Zuruf des alten Märchenerzählers gibt ihm Veranlassung, abermals einige Schritte zurückzutun, scheinbar, um ihn zu sehn, eigentlich aber, um dem Blick des Scheiks der Todeskarawane auszuweichen, der sich scharf in den seinigen bohrt und ihn immer weitertreibt, von der Stelle weg, wo der Neger mißhandelt wurde. Die andern machen Platz und schauen dem Vorgang, der sich ähnlich wie im ersten Akt abspielt, mit Spannung zu. Endlich kann der Scheik den unbeweglich auf ihn gerichteten Blick nicht länger ertragen)
Abu Kital (wild)
Hinweg mit deinen Augen, Leichenknecht!
Die Peitsche!
Scheik der Todeskarawane (den Blick nicht wendend)
Schlag doch zu!
Abu Kital
Du höhnst? – Sofort!
(Bei den Worten ›Du höhnst‹ holt er aus; bei dem Wort ›sofort‹ soll der Hieb fallen, aber der Scheik der Todeskarawane reißt ihm die Peitsche mit einem unerwarteten, blitzschnellen Griff aus der Hand)
Scheik der Todeskarawane (die Peitsche hinter sich hochhaltend)
Hier ist sie schon!
Abu Kital (auf ihn eindringend)
Zurück mit ihr!
Scheik der Todeskarawane (schleudert ihn von sich)
Mit dir!
Phantasie (mit den Worten Abu Kitals)
›Und ich der Scheik, ich bin die heilge Macht,
die ich symbolisch in die Peitsche lege,
um anzudeuten, was ich will und
(macht die Armbewegung des Peitschenknallens)
kann!‹
Scheik der Todeskarawane (die Kurbatsch betrachtend)
Ist das die ganze Macht? Die breche ich
(zerbricht die Peitsche)
und werfe sie dir in das Angesicht!
(wirft ihm die Peitsche ins Gesicht)
Imam (erschrocken)
O Schmach!
Kadi (ebenso)
O Elend!
Babel (ebenso)
Todesschimpf!
Alle (durcheinander)
O Schande!
Abu Kital (durch den erneuten Zuruf der Phantasie und die Schmach ganz außer sich)
Ein Todesschimpf! Gebt mir ein Schwert, ein Schwert!
(reißt einem An'allah den Säbel aus der Scheide)
Und einen Schild!
(nimmt einem andern den ledernen Schild)
Und den Dscherid! Schnell, schnell!
(bemächtigt sich des kurzen Wurfspießes eines Dritten und wendet sich mit diesen Waffen gegen den Scheik der Todeskarawane)
Und nun, du Hund, sink nieder! – Auf die Knie!
Die Todes-Sure sprich – mit dir ist's aus!
Abu Kital, den niemand je besiegte,
holt sich dein Herz und deine Eingeweide
zum Fraße der Schakale und Hyänen!
Scheik der Todeskarawane (hält ihm die Brust hin, hebt aber die Faust)
Stich zu! Stich zu!
Schefaka (abwehrend)
Den Unbewaffneten?
Scheik der Todeskarawane (verächtlich)
Das ist der ›
Geist‹, der tausend Waffen braucht,
um einen schwachen Körper zu vernichten!
Abu Kital
Scheik der Todeskarawane
Will ich gerettet sein?
Ich habe meine Faust, das heißt, mich selbst:
Stich zu!
Schefaka
Nein, nein!
Scheik der Todeskarawane
Stich zu!
Schefaka
Um keinen Preis!
Abu Kital (wegwerfend)
Du feiger Hund! – Er weiß, daß ich nicht darf!
(auf ihn zeigend)
Bringt einen Säbel, einen Schild und Spieß!
Gebt Waffen ihm, so viel ihr immer wollt!
Ich werde ihn zermalmen!
Schefaka
Schone ihn!
(Die An'allah bieten dem Scheik der Todeskarawane die Waffen an, er weist sie zurück)
Scheik der Todeskarawane
Behaltet eure Wehr!
(zu Schefaka)
Befürchtet nichts!
Abu Kital (höhnisch)
Das klingt sehr kühn – die Maske aller Memmen!
(befehlend)
Ein Schwert für ihn, damit er fechten muß!
(Mehrere versuchen dem Scheik der Todeskarawane ihre Säbel aufzudrängen. Er weist sie ab. Er steht grad an der Stelle, wo das Heft der in die Erde gestoßnen Klinge aus dem Boden ragt)
Scheik der Todeskarawane (zum Himmel aufblickend)
Verzeih, Allah, verzeih! Ich bin gezwungen.
Im Erdenblute kreist ein Sonnenleben.
Es soll mir heilig sein!
Abu Kital (spottend)
Er phantasiert!
Scheik der Todeskarawane
Doch mit dem Säbel!
(reißt die Klinge aus der Erde)
Nun denn – her mit dir!
Du sollst erfahren, wie ich phantasiere!
Abu Kital (erschrocken)
Die Klinge des Kismet! – Allah bewahre!
Babel und Imam
Die Klinge des Kismet!
Alle (durcheinander)
Allah! Allah!
Abu Kital
Die ich begrub, als wir den Krieg beschlossen!
(zum Scheik der Todeskarawane)
Der Brauch ist dir bekannt?
Scheik der Todeskarawane
Ich kenne ihn.
Abu Kital
Und zogst den Säbel doch!
Scheik der Todeskarawane
Grad ihn!
Alle (durcheinander, betroffen)
Grad ihn!
Abu Kital
So zogst du dir den Tod! Paß auf!
(dringt bei ›auf‹ mit dem Säbel auf ihn ein)
Scheik der Todeskarawane
Paß auf!
(schlägt ihm bei ›auf‹ den Säbel aus der Hand. Verwundertes Gemurmel)
Phantasie (mit lauter Stimme)
Ich biete Schach dem König!
(mit Nachdruck wiederholend)
Schach dem König!
Abu Kital (ohne darauf zu achten, staunend)
Wie war das möglich, Mensch! Paß auf!
(dringt bei ›auf‹ mit dem kurzen Wurfspieß auf ihn ein)
Scheik der Todeskarawane
Paß auf!
(schlägt ihm bei ›auf‹ den Spieß aus der Hand. Stärkeres Gemurmel, fast wie Beifall)
Abu Kital (betroffen und ergrimmt zugleich)
Es scheint, der Teufel ist mit dir im Bunde.
Ich schlag dich tot, du Hund! – Paß auf!
(holt mit dem Schild aus und dringt auf ihn ein, um ihn niederzuschmettern)
Scheik der Todeskarawane
Paß auf!
(nimmt den Säbel in die Linke und schlägt ihm bei der Silbe ›auf‹ mit der Rechten auch noch den Schild aus der Hand. Das reißt die Menge hin. Lauter Beifall erschallt. Die bekannten Zwischenrufe erklingen. Abu Kital starrt den Sieger wie abwesend an. Er läßt
die Arme wie Flügel hängen und spreizt alle zehn Finger auseinander. Er weicht vor ihm wie vor einem Gespenst zurück. Der Scheik der Todeskarawane steckt ruhig die Klinge des Kismet in seinen Gürtelstrick)
Phantasie (zu Abu Kital)
Nun auch herunter mit der Suri-Klinge!
Abu Kital (fast stotternd)
Nun auch – herunter mit –
(Er richtet, entsetzt über seine Niederlage, einen verständnislosen Blick zur Phantasie hinüber, ist nicht imstand, ihre Worte vollständig nachzusprechen, und wankt zum Thron, auf den er wie gebrochen niedersinkt)
Scheik der Todeskarawane (zum Vorbeter)
Steh auf und geh!
Nie wird Abu Kital dich wieder schlagen!
(Vorbeter mit seinem Gefolge und den Musikanten ab.)
Die Vorigen, ohne den Vorbeter, sein Gefolge und die Musikanten.
Fünfter Scheik
Nun gehn auch wir!
Sechster Scheik
Auch wir!
Siebenter Scheik
Auch wir!
Achter Scheik
Auch wir!
Babel
Ich bitte euch zu bleiben!
Imam
Bleibt noch!
Kadi
Bleibt!
Babel
Es ist noch viel zu sagen.
Imam und Kadi
Wichtiges!
Fünfter Scheik
Wir wollen nichts mehr hören!
Sechster Scheik
Nichts mehr!
Siebenter Scheik
Nichts!
Achter Scheik (in entschiedenem Ton)
Wer das Gebet uns mit der Peitsche drillt,
der kann auf unsre Hilfe niemals rechnen.
Fünfter Scheik
Sechster und siebenter Scheik
Drum gehn auch wir!
Achter Scheik
Wir alle!
(Einer nach dem andern würdevoll ab.)
Die Vorigen ohne die vier Scheike.
Abu Kital (zusammengesunken auf seinem Thron)
Sie gehn, Sie gehn! Das hab ich nicht verdient!
Ich war ihr Freund, ihr stets bereiter Helfer!
Scheik der Todeskarawane (ernst, nicht unfreundlich)
Schrei nicht, o Scheik; ich sage dir, schrei nicht!
Denn wer da schreit, ist dieser Qual nicht wert,
wird weggeworfen in den Brack und Plunder
und muß dann wieder eingeschmolzen werden!
Abu Kital (verstört)
Die Geisterschmiede! – Kindermärchen!
Phantasie
Horch!
Kann, was man wirklich hört, ein Märchen sein?
(Man hört in der Ferne Hämmer klingen, schwere, mittlere und kleine. Das macht einen ganz eignen Eindruck. Alle lauschen. Niemand weiß es sich zu erklären)
Babel
Das sind doch Hämmer!
Alle (durcheinander)
Hämmer, Schmiedehämmer!
Phantasie (erklärend)
Babel (tritt teilnehmend zum Scheik)
Fürwahr!
Hakawati
Die Geisterschmiede
Abu Kital (versucht sich aufzuraffen)
Was soll das Spiel?!
Phantasie
Es wird zur
Wirklichkeit!
Wir stehen auf dem Schachbrett Nummer zwei.
Bedenke das! Du selber hast's erfunden!
Du mußt vor allen Dingen jetzt beweisen,
daß du der Geist des Morgenlandes bist,
der es versteht, den Geist des Abendlandes
an beiden Ohren an das Licht zu ziehen!
Abu Kital (aufbrausend)
Er komme nur!
Phantasie
Er ist schon da!
Abu Kital
Schon da?
So zeige ihn! Grad dazu bist du hier!
Phantasie (tritt aus dem Zelt heraus, geht auf den Scheik der Todeskarawane zu und wendet ihn zu Abu Kital herum)
Wenn du befiehlst, so will ich gern gehorchen.
(die früheren Worte des Scheiks wiederholend)
›Es lagert eine Todeskarawane
im alten Bette von Abu Hasef,
wohl vierzig Männer stark, zerlumpt, zerrissen,
die Schuftigkeit in jedem Angesicht,
noch schwimmend im Gestank der Perserleichen,
die sie nach Meschhed Hossein gebracht,
von aller Welt verlassen, ausgestoßen,
geborne Teufel, jeder Sünde fähig.
Ihr Scheik, zwar noch nicht alt, wie man mir sagt,
doch ebenso verkommen wie die andern‹ –
(nun mit eignen Worten fortfahrend)
soll im Turniere euer ›König‹ sein
und ist doch jener Geist des Abendlandes –
Abu Kital (sie unterbrechend, während der Scheik der Todeskarawane ruhig zum Zelt geht und sich dort niedersetzt)
Halt ein, halt ein! Für solche Art von Scherz
ist diese Stunde wahrlich nicht geeignet!
Die Freunde haben schmählich mich verlassen,
obgleich rundum schon ihre Heere lagern,
und ihr, ihr redet Dinge auf mich ein,
bei denen der Verstand –
Schefaka (ihn unterbrechend)
Der Schwarze kommt!
(Die Phantasie begibt sich wieder ins Zelt.)
Die Vorigen. Der Neger.
Vorbeter (meldet)
Die Gäste kommen wieder.
Abu Kital
Welche Gäste?
Vorbeter
Die ersten vier, die fortgegangen sind.
Abu Kital (sofort wieder auflebend)
Das deutet Gutes. Sag, sie sollen kommen!
(sich besinnend)
Doch nein! Noch besser sag, sie dürfen her!
Die Vorigen, ohne den Neger.
Abu Kital
Sie kehren um! Sie haben sich besonnen!
So billig aber kriegt ihr mich nicht mehr!
(zu den An'allah)
Ich will nicht weiter zürnen, doch seht zu,
jetzt eure Torheit wieder gutzumachen:
Das Morgenland nur für das Morgenland –
nicht aber einzig für die An'allah!
(zur Phantasie)
Und deinen Witz vom Geist des Abendlandes
besprech ich noch mit dir!
Schefaka (auf die Ankömmlinge deutend)
Da sind sie schon!
Die Vorigen.
Die ersten vier Scheike kehren zurück. Sie befinden sich in sichtlicher Aufregung.
Abu Kital (streng)
Ihr habt bereut? – So will ich mich bezwingen –
Erster Scheik
Bereut?
Zweiter Scheik
Bereut?
Dritter Scheik (spitzig)
Jawohl bereut!
Vierter Scheik (ebenso)
Abu Kital
So will ich sehn, ob ich verzeihen kann!
Erster Scheik
Verzeihen?
Zweiter Scheik
Wem denn?
Abu Kital
Euch!
Dritter Scheik (erstaunt)
Du uns?
Vierter Scheik (ebenso)
Du uns?
Erster Scheik
Du irrst auch jetzt, wie du dich immer irrtest.
Was wir bereun, ist nur die Nachbarschaft
mit dir, zu der wir jetzt gezwungen wurden!
Abu Kital (steht betroffen)
Zweiter Scheik
Wir können leider jetzt nicht fort von hier.
Schon als wir kamen, brannten rings die Feuer.
Wir glaubten, daß es eure Truppen seien,
die du zum Feste hier versammelt hast –
Abu Kital (schnell einfallend)
Nicht meine Truppen – das sind doch die euren!
Dritter Scheik
Die unsern? Warum sollten unsre Krieger
sich ausgerechnet hier am Turme lagern?
Erster Scheik
Wir wurden zur Beratung eingeladen.
Zweiter Scheik
Abu Kital
Sonst weiter nichts?
Vierter Scheik
Und morgen dann zum Fest.
Abu Kital (verläßt den Thron, weicht zur Seite, betroffen)
Sonst – weiter – nichts
Ich sandte später doch ein Eilkamel
mit meinem besten Reiter –
Erster Scheik (verwundert)
Wie? An uns?
Abu Kital
Zuerst an dich.
Erster Scheik (schüttelt den Kopf)
Es kam nicht an!
Abu Kital (erregt)
– nicht – an?
(außer sich)
Der Bote ritt noch zu den andern sieben –
Zweiter Scheik (einfallend)
Er kam auch da nicht an.
Dritter und vierter Scheik
Er kam nicht an.
Abu Kital
Allah – Allah – das ist –
Erster Scheik (ärgerlich auflachend)
Ein Meisterstück!
Zweiter Scheik
Jawohl, ein Meisterstück!
Dritter und vierter Scheik
Abu Kital
Von wem?
Erster Scheik
Von Marah Durimeh.
Abu Kital (noch einmal, aber lauter, entsetzt)
Von wem?
Zweiter Scheik
Von Ben Tesalah.
Abu Kital
Von dem ›Sohn des Friedens‹,
dem ›König‹ in dem Schach der Gegnerin?
Dritter Scheik
Von diesen beiden, ja.
Abu Kital
Wieso, wieso?
Vierter Scheik
Sie haben deinen Boten weggefangen
und nun an unsrer Stelle euch umzingelt.
Erster Scheik
Ist das kein Meisterstück?
Babel (erschrocken)
Wir sind umzingelt!
Imam
Wir sind umzingelt!
Kadi
Von den Feinden!
Alle (durcheinander)
Abu Kital (beginnt, sich zu sich selbst zurückzufinden; sie überschreiend)
Seid still, ihr Memmen, still; ich glaubs noch nicht!
Denn wär es wahr, so hätte sich wohl nie
auf Erden je ein solcher Narr gefunden,
wie euer Scheik es ist –
Schefaka (ihn unterbrechend)
Der Schwarze kommt!
Die Vorigen. Der Neger.
Abu Kital
Der Schwarze kommt, der Schwarze kommt, der Schwarze!
So heißt es immerfort – und wenn er kommt,
ist seine Botschaft immer widerwärtig!
(zu ihm)
Ich frage dich, ob das ein Ende nimmt!
Vorbeter
Das Ende ist schon da.
Abu Kital (begreift nicht)
Das Ende ist –
Vorbeter
Ich kann nicht mehr ins Lager.
Abu Kital (stammelnd)
kann nicht – mehr –
Vorbeter
Es ist besetzt.
Abu Kital (aufschreiend)
Vorbeter
Von den Kiram.
Sie zwangen mich, zu euch zurückzukehren
und dich von Marah Durimeh zu grüßen
und auch von Ben Tesalah, ihrem Scheik.
Erlaube, Herr, ich bleibe hier bei dir!
(setzt sich in einen Winkel)
Babel (legt den Arm um den Scheik)
Mein armer Freund!
Imam
Ich gehe!
Kadi
Nimm mich mit!
(Kadi und Imam schleunigst ab.)
Die Vorigen ohne den Imam und den Kadi.
Phantasie (den beiden nachschauend, zum Scheik)
Herunter mit dem königlichen Gürtel!
Abu Kital (die Hände vor das Gesicht legend)
Auch diese gehen fort, auch diese – diese!
Hakawati
Die Geisterschmiede, Scheik, die Geisterschmiede!
Scheik der Todeskarawane (vortragend)
›Da – jetzt, o Scheik, ergreifen dich die Zangen.
Man stößt dich in den Brand. Die Bälge knarren.
Die Lohe zuckt empor, zum Dach hinaus,
und alles, was du hast und was du bist,
der Leib, der Geist, die Seele –‹
Abu Kital (nimmt die Hände vom Gesicht, reckt sich stolz hoch)
Still doch, still!
Ich werde überrascht von diesem Blitz,
der aus dem klarsten Himmel niederfuhr
und mich
(zu den An'allah)
wie euch nicht vorbereitet trifft.
Ist es ein heißer, ists ein kalter Strahl?
Das muß ich fragen, und das muß ich wissen.
(schickt sich an, sich zu entfernen)
Ich eil sofort ins Lager, nachzuschaun –
Babel (schnell einfallend)
Ich gehe mit!
Schefaka
Ich auch! Ich lauf voran!
(will es tun)
Abu Kital (sie festhaltend)
Nicht übereilt!
(mild)
Ich weiß, ihr seid mir treu;
(gebieterisch)
doch gehe ich allein. Ich will es so!
(Abu Kital ab.)
Die Vorigen, ohne Abu Kital.
Hakawati (besorgt)
Er rennt in sein Verderben!
Phantasie
Nein!
Scheik der Todeskarawane
O nein!
Hakawati
Was weißt denn du? Du bist doch hier ein Fremder.
Scheik der Todeskarawane (zögernd)
Ein Fremder – dich kenn ich genau!
Hakawati
Wieso?
Scheik der Todeskarawane
Ich hab von dir gehört.
Hakawati
Von mir? – So sprich!
Scheik der Todeskarawane (verläßt das Zelt, geht auf ihm zu)
Du hast einst einem Menschen wehgetan!
Hakawati
Mit Absicht keinem!
Scheik der Todeskarawane
Aber doch!
Hakawati
Du scherzest!
Scheik der Todeskarawane
Mit deinem Messer hast du ihn verwundet!
Hakawati
Das tat ich nie!
Scheik der Todeskarawane
Er war gebissen worden.
Von einem Wurm. Von einer Assalah –
Hakawati
Der Wüstenschlange? Ah, jetzt weiß ich es:
Ich schnitt ihm schnell die Wunde aus; am Fuß
war sie – der Schnitt, der rettete sein Leben.
Scheik der Todeskarawane (tritt näher)
Hakawati
Es war ein Kind, kein Mann;
der Knabe unsres Scheiks, der –
(draußen ertönt ein Schrei Abu Kitals)
Schefaka (ringt die Hände)
Bei Allah!
Vorbeter
Mein Herr ist in Gefahr! Ich helfe ihm!
(springt aus seinem Winkel auf und eilt fort.)
Die Vorigen, ohne den Vorbeter.
Schefaka
Gefahr ringsum – ich habe Angst um ihn!
Babel
Ich nicht. Er ist ja Geist.
Hakawati
Du irrst.
Babel
Wieso?
Phantasie
Nicht Einzelwesen,
Drama ist der Mensch,
um Zeit und Ort mit Handlung zu beleben,
und der es dichtet, wohnt nicht im Gehirn
und nicht im Leib –
Babel (einfallend)
Du bist die Phantasie,
die anders denkt als ich, der streng Gelehrte.
Ich streite nicht, doch höre, was ich sage:
Wenn dieser Geist – verstehe wohl, er selbst –
mir öffentlich bekennt, er sei nicht Geist,
so werf ich alles, was ich schrieb, ins Feuer,
doch eher nicht!
Phantasie
Ich halte dich beim Wort!
Erziehe Menschen! Mensch soll jeder werden.
Jedoch zum Geist? – Das überlasse Gott!
(Ein greller Feuerschein leuchtet auf. Er ist ein verabredetes Zeichen. Zu gleicher Zeit erschallen Stimmen draußen)
Scheik der Todeskarawane (indem er zum Thron geht)
Jetzt wieder an das Schach!
Phantasie (laut)
Ich zwinge matt!
Die Vorigen.
Der Scheik der Todeskarawane steht am Thron, den Arm auf dessen Lehne. Vier seiner Leute bringen den Scheik der An'allah als Gefangnen. Sie sind nur notdürftig gekleidet und vollständig unbewaffnet. Er ist gefesselt und wird rechts und links je an einem Armstrick geführt. Hinter ihm der Schwarze, der aber nicht gebunden ist und sich sofort wieder in seinem Winkel niederhockt.
Abu Kital (in loderndem Grimm)
Da bringt man mich – wie eine wilde Bestie!
Man rang mich nieder – vierzig gegen einen!
(zerrt an den Fesseln. Zu den An'allah, die herandrängen, um ihm beizustehn)
Zurück mit euch! Es kann mir
keiner helfen,
Und ebenso verloren seid auch ihr. –
Die Todeskarawane war nur List.
Die Kerle sind verkleidete Kiram,
(auf den Scheik der Todeskarawane deutend und vor ihm ausspuckend)
und dieser da – der ist der ›Sohn des Friedens‹.
(Man sieht, wie sehr die anwesenden An'allah bei dieser unerwarteten Enthüllung erschrecken)
Erster Ältester
Der ist –
Zweiter Ältester
Alle (durcheinander)
Der ist der Sohn des Friedens?
(Fast alle Arme erheben sich, um auf ihn zu zeigen. Schefaka geht um ihn herum und betrachtet ihn mit weit geöffneten Augen)
Abu Kital (zu allen)
Ihr seid gefangen. Legt die Waffen nieder!
Die Feinde sind wie Sand am Meere da.
Wir werden totgedrückt, wenn wir uns wehren.
(Man hört Waffengetöse, das Heulen der An'allah und das Jauchzen der Kiram)
Da hört ihr es! Das Lager ist umringt
und muß sich ohne Hieb und Streich ergeben!
Babel
Wie ist das möglich?
Abu Kital
Weil man uns belog!
Scheik der Todeskarawane
Zu deinem Heil! Wir bringen euch den Frieden!
Abu Kital (hohnlachend, indem er mit den gefesselten Händen da hinausdeutet, wo er soeben gefangengenommen wurde)
Mit einem Heer, das uns zertreten soll!
(mustert ihn vom Kopf bis zum Fuß und fährt dann höhnend fort):
Du bist wahrscheinlich jener
Edelmensch,
der nach dem Märchen hier am Turm erscheint, –
Hakawati (fällt schnell ein)
– um mit der scharfen Klinge des Kismet
Kital, den Kampf, den Drachen, zu besiegen,
den wahren Geist der Bibel zu befrein
und ihn
(nach dem Thron deutend)
auf diesen deinen Thron zu setzen.
Abu Kital
So also doch! Der erste Edelmensch!
Und ich, ich bin Kital, das Ungeheuer!
Wie du mich
in der Tat bemeistert hast,
so mußt du mich auch
bildlich überwinden.
Mit welcher Waffe?
Scheik der Todeskarawane
Einzig durch die Liebe
Zunächst muß ich dich zur Erkenntnis bringen,
daß es mit dir zum raschen Ende geht.
Abu Kital (spöttisch)
Und dann?
Scheik der Todeskarawane
Zur Einsicht deiner Niedertracht.
Abu Kital
Und dann?
Scheik der Todeskarawane
Zum Eingeständnis deiner Schuld.
Abu Kital
Und dann?
Scheik der Todeskarawane
Den ›Geist der Bibel‹ freizugeben.
Abu Kital
Und dann?
Scheik der Todeskarawane
Und dann hast du dich
selbst besiegt
und bist es wert, nach Märdistan zu gehen.
Abu Kital (lachend)
So fange an und schlage auf mich ein
mit deiner Liebe und mit deiner Güte!
Ich bin gespannt, wie das wohl enden wird!
(er läßt sich trotz seinen Fesseln anmaßend auf den Thron nieder)
Scheik der Todeskarawane (gleichmütig)
Du willst beginnen? Wohl, es sei gewährt!
Abu Kital (befehlend)
Zunächst: daß es mit mir zum Ende geht!
Scheik der Todeskarawane
So gebe ich dich frei.
(löst die Stricke, daß sie zu Boden gleiten. Auf seinen Wink gehen die vier verkleideten Kiram, die den Scheik gebracht haben, zum Zelt und stellen sich je zwei zu dessen beiden Seiten auf, woraus hervorgeht, daß man vor allen Dingen den Eingang zum Turm zu besetzen beabsichtigt.)
Abu Kital (der sichtlich nicht für möglich gehalten hat, daß man einem Feind wie ihm die Fesseln abnehmen werde, in betroffenem Ton)
Das ist die Liebe?
Da wird mir angst!
(zu den An'allah)
Legt schnell die Waffen ab!
Denn folgt auf solche Barschheit solche Güte,
so steht es schlimm für uns!
(Wieder leuchtet ein greller Feuerschein als Zeichen auf; es fallen draußen Schüsse)
Wer schießt?
Alle (durcheinander)
Wer schießt?
Scheik der Todeskarawane
Die Schützen von Ifkar.
Abu Kital
Die fehlen nie!
Phantasie
Sie melden sich.
Scheik der Todeskarawane (zum Scheik)
Du wirst sie sehn.
Schefaka (hebt die Hand)
Die Vorigen.
Die An'allah legen auf den wiederholten Befehl ihres Scheiks alle Waffen auf einen Haufen. Währenddes kommen vier arabische Krieger, die mit Yatagans kleiner ›Handschar‹, orientalisches, kurzes Schwert und langen Flinten bewaffnet sind; sie bringen den Kadi. Sie grüßen die Phantasie und den Scheik der Todeskarawane ehrerbietig und geben auf dessen Wink ihren Gefangnen frei. Dieser macht sich eiligst an seinen Platz; sie aber stellen sich bei ihren Kameraden von der Todeskarawane auf.
Abu Kital
Das heilge Recht – es stellt sich wieder ein!
(der Feuerschein leuchtet wieder auf. Man hört Schwerter zusammenschlagen)
Scheik der Todeskarawane
Das sind die Panzerreiter von Merad.
Abu Kital
Die kenne ich. Sie fechten wie die Teufel!
Die Vorigen.
Vier Gepanzerte, mit langen Schwertern bewaffnet, bringen die Scheike fünf bis acht. Sie grüßen die Phantasie und den Scheik der Todeskarawane ehrerbietig und geben auf dessen Wink ihre Gefangnen frei. Diese gesellen sich den andern vier Scheiken bei; die Gepanzerten schreiten zum Zelt und stellen sich dort, wie beschrieben, auf.
Abu Kital (spöttisch)
Die lieben Freunde – kehren treu zurück!
(der Feuerschein leuchtet abermals auf. Man hört Spieße und Schilde zusammenschlagen)
Scheik der Todeskarawane
Das sind die Scharen von Abu Afal.
Phantasie
Hakawati
Die Himmelstürmer!
Abu Kital (unzufrieden mit sich selber)
Und grad an diese hab ich nicht gedacht!
Die Vorigen.
Vier Lanzenträger, mit leichten Spießen und runden Schilden, bringen den Imam. Sie grüßen die Phantasie und den Scheik der Todeskarawane ehrerbietig und geben auf dessen Wink ihren Gefangnen frei. Dieser begibt sich eiligst zum Kadi; sie aber marschieren zum Zelt und stellen sich dort in der angegebenen Weise auf.
Abu Kital
Der heilge Glaube – will uns nicht verlassen!
(Der Feuerschein leuchtet nochmals auf. Man hört Hammerschläge, doch ohne daß man sagen kann, woher sie klingen)
Scheik der Todeskarawane
Das sind die Geisterschmiede von Kulub.
Abu Kital
Seit heute kenn ich sie. Wen bringen sie?
Scheik der Todeskarawane
Sie holen einen.
Abu Kital
Wen?
Phantasie
Abu Kital!
Die Vorigen.
Eine ungeheure Spannung hat die Anwesenden ergriffen. Alle Blicke und alle Bewegungen drängen zum Hintergrund. Da kommen sie, vier Schmiede, herkulische Gestalten, mit Schurzfellen; in den Fäusten schwere Eisenhämmer; auf den Köpfen kurdische Zackenmützen. Auch sie grüßen die Phantasie und den Scheik der Todeskarawane ehrerbietig; dann bleiben sie in einer Weise stehn, daß man ihnen deutlich ansieht, sie wollen jemand holen. Der Scheik ist bei der Nennung seines Namens erschrocken. Nun macht der Anblick dieser Gestalten einen solchen Eindruck auf ihn, daß er sich, als ab er eine Erscheinung vor sich habe, langsam aufrichtet und, innerlich getrieben, den Bericht von der Geisterschmiede vorzutragen beginnt. Hierbei haben die Hämmer leise zu erklingen, wie aus großer Höhe oder großer Tiefe, und nicht aufzuhören, bis die Harfen einfallen.
Abu Kital
Zu Märdistan, im Walde von Kulub,
liegt einsam, tief versteckt, die Geisterschmiede –
Babel (im bestimmten Ton, als Behauptung)
Da schmieden Geister!
Die vier Schmiede (einstimmig, indem sie bei den beiden Wörtern ›nein‹ und ›sie‹ ihre Hämmer schwer auf den Boden stoßen)
Nein, wir schmieden sie!
Abu Kital (fortfahrend)
Der Sturm bringt sie geschleppt, um Mitternacht,
wenn Wetter leuchten, Tränenfluten stürzen.
Der Haß wirft sich in grimmer Lust auf sie.
Der Neid schlägt tief ins Fleisch die Krallen ein –
Phantasie (einfallend)
Doch dieses Mal ist es wohl anders – anders.
(Indem sie weiterspricht, tritt sie aus dem Zelt. Hierbei wird der Überwurf, der ihre Gestalt verhüllt, von der Hand der Bibel festgehalten und hinter ihr herabgezogen. Nun sieht man sie als Marah Durimeh, im ›Strahlenpanzer von Kristall‹. Ihre langen, weißen Zöpfe fallen nach vorn. Die in den letzten Auftritten erschienenen Krieger, auch die Schmiede, verneigen sich tief, und unwillkürlich senken auch die An'allah und die übrigen Anwesenden ihre Häupter und heben die Hände, um ihr Ehrfurcht zu zollen. Sie spricht weiter, ohne darauf zu achten, daß die bisherige Hülle nicht mehr vorhanden ist)
Da steigt die Menschenseele selbst hernieder
und holt sich den, der
reif zum Schmerze ist.
(Auf ihren Wink treten die Schmiede zu Abu Kital und stellen sich, je zwei, zu beiden Seiten des Throns auf. Indem sie hierbei ihre Hämmer dröhnend aufstoßen, halten die bisherigen Hammerklänge mit einem schwer betonten Schlag auf, und die Harfen fallen ein)
Scheik der Todeskarawane (freudig auf sie zueilend)
Ich ahnte es. Ich wußte es sogar!
Ich grüße dich, du aller Menschen
Seele!
(sinkt vor ihr nieder)
Abu Kital (knickt vor Entsetzen auf seinem Thron zusammen)
So gehts mit mir zu Ende – allerdings!
Phantasie (legt dem Scheik der Todeskarawane die Hände aufs Haupt)
Und ich, ich segne dich, den Sohn des Leides,
der aber
mir nur Glück, nur Freude bringt.
Gib dieses Glück auch andern –
(rundum zeigend)
allen andern,
und frage nicht, ob sie des würdig sind!
(hebt ihn zu sich empor; die Harfen schweigen)
Abu Kital (noch immer entsetzt, zu Babel, auf die Phantasie deutend)
Sie ist die Menschheitsseele, wirklich, wirklich!
O Babel, Babel, wie belogst du mich!
Ein Narr war ich, an deinen ›Geist‹ zu glauben,
der alles andre war, doch nur nicht Geist!
Babel (schwer und gebeugt)
Ich sage nicht: verzeihe mir, o Scheik –
ich selbst, ich selbst kann mir ja nicht verzeihen!
(zu den andern, indem er die beiden Bücher nimmt und zum Feuer geht, um sie hineinzuwerfen):
Ihr wißt, was ich versprach –
Bibel (laut und gebieterisch)
Laß
mich es tun,
die ich noch
mehr als du zu opfern habe!
(Sie wirft den Schleier, der ihr Gesicht und ihre ganze Gestalt umhüllt, von sich und kommt aus dem Zelt auf ihn zugeschritten, um ihm die Bücher aus der Hand zu nehmen. Man sieht sie nun, genau so gekleidet und geschmückt wie in den ›heiligen Stunden‹ vergangener Zeit. Dieser Anblick wirkt wie ein Blitz auf Vater und Sohn, aber sehr verschieden. Während der erste laut aufschreit, besitzt der andre Selbstbeherrschung genug, sich einzufügen, obwohl er seine Erregung unmöglich ganz meistern kann. Aber, obgleich er still ist, sieht man ihm doch deutlich an, wie glücklich er sich in diesem Augenblick fühlt)
Abu Kital (vor Bestürzung fast brüllend)
Allah –! Sie lebt –! Sie lebt noch – Bent'ullah.
Imam (erschrocken)
Allah!
Kadi (ebenso)
Sie lebt!
Alle An'allah (durcheinander)
Sie lebt noch, Bent'ullah!
(Während der Imam und der Kadi sich am liebsten verstecken möchten, eilen die andern An'allah, die sie noch kennen, auch die Ältesten herbei, um ihr Gewand zu berühren und Saum und Falten zu küssen)
Bibel (wehrt sie freundlich ab)
Ihr kennt mich noch? Ihr seid mir noch ergeben?
Wie mich das freut! Doch wartet, wartet noch!
(Sie hat von Babel die beiden Bücher vom ›Menschengeist‹ und von der ›Menschenseele‹ bekommen und geht mit ihnen zum Feuer. Da lassen sich die Harfen wieder hören. Je näher die Bibel dem Herd kommt, desto höher flackern die Flammen, und desto lauter tönen die Harfen. Dort spricht sie)
Hinweg ins Feuer mit dem irren › Geist‹!
(wirft das Buch hinein)
Hinweg, hinweg auch mit der falschen › Seele‹!
(wirft auch dieses hinein. Als es geschehn ist, jubeln die Harfen auf, dann verstummen sie wieder)
Babel (klagend)
So bin auch ich vernichtet!
Phantasie
Nein, o nein,
du mußt die Erde aus der
Höhe schauen,
denn nur nach dort hinauf zeigt sie sich wahr.
Du gehst mit mir!
Schefaka (tritt begeistert neben ihren Vater)
Phantasie
Auch du.
(zu Bibel)
Doch weiter!
Bibel (zu Babel)
Du hast, o Babel, nicht allein geirrt;
die Glut muß auch noch anderes verzehren.
(Während der folgenden Verse, die sie für alle spricht, wirft sie die Gegenstände, die sie nennt, ins Feuer und mit ihnen alles, was sie über ihren ursprünglichen, weißen, bescheidenen Anzug unten im Drachensaal angezogen hat. Hierbei erklingen die Harfen wieder)
Ins Feuer mit dem Gold aus Babylon
(wirft)
und mit den Steinen der Schamuramat!
Ins Feuer mit den Altupirti-Ketten
und mit den Perlen aus der Sündenflut!
Wenn ich als Fakira durchs Leben schreite,
soll keine Spange mir am Fuß erklingen!
Und bin ich müd, so such ich meine Ruhe
(die Hände zum Himmel hebend)
allein bei dir, o Herr, allein bei dir!
(Die Anwesenden sind tief ergriffen, so daß auch sie die Hände heben und, wie betend, das Schlußwort wiederholen)
Phantasie, Hakawati, Schefaka
Allein bei dir, o Herr!
Alle (einstimmig)
Allein bei dir!
(Während hierauf tiefe Stille eintritt, klingen die Harfen noch einige Takte weiter, und Bibel geht vom Feuer bis hin zu Abu Kital, um sich zu seinen Füßen niederzusetzen. Noch ehe sie dies tun kann, kommen der Imam und der Kadi zu ihr. Sie beugen sich vor ihr und drücken ihr Gewand an die Lippen)
Bibel
Ich zürne nicht, denn wer von dem Erlöser
so denkt und spricht, wie
(zum Imam)
du gesprochen hast,
der kann doch nicht mein Feind, mein Gegner sein!
(Hiermit schweigen die Harfen. Der Imam und der Kadi kehren entlastet an ihre Plätze zurück, und Bibel läßt sich vor Abu Kital nieder)
Abu Kital (fassungslos)
Du kommst zu mir – zu mir –?
Bibel (zu ihm aufschauend)
Dir beizustehn
in deines Lebens allerschwerster Stunde.
Abu Kital (überwältigt)
Allah, Allah! Und die verstieß ich einst,
um eitlen Ruhmes, eitler Ehre willen!
Welch eine Härte! Welche Niedertracht!
Wer kann mir das verzeihen?
Bibel
Gott und ich!
Abu Kital (wagt es, sich zu ihr niederzubeugen und ihr Haar zu küssen)
Ist das ein Märchen! Oder ists ein Traum?
Hakawati (freudig)
Das Märchen siegt!
Babel (entsagungsvoll)
Der Traum wird uns zerstört!
Scheik der Todeskarawane
Der schwere Traum vom
Geist des Abendlandes,
der euch mit Hilfe dieser
(auf die Phantasie deutend)
›alten Hexe‹
(lächelnd)
den alten Babelturm entreißen will!
(zur Erklärung)
Der
Geist des Morgenlandes ging nach West,
das Menschentum der Liebe zu verbreiten.
Er schwang sich auf zum
Geist des Abendlandes,
und nun er in die Heimat wiederkehrt,
Erscheint er fremd in seinem eignen Stamm
Und wird von euch verachtet und gehaßt.
Und doch und doch will ich nur euer Glück;
denn, kam ich auch mit Tausenden zu euch,
um dieses Glück euch Toren
aufzuzwingen,
so sag ich doch: Behaltet euern Turm,
behaltet euer Land, behaltet alles;
wir wollen nichts und nichts als nur das eine,
was uns gehört –
Abu Kital (schnell einfallend)
Was euch gehört? – Das wäre?
Phantasie
Der wahre Geist der Bibel, den Kital,
des Kampfes Drache, mir noch vorenthält.
Abu Kital
So holt ihn euch! Ich habe nichts dagegen.
Der Held, der ihn befreit,
(zum Scheik der Todeskarawane)
der bist ja
du.
Versuch es doch! Und wenn es dir gelingt,
so hast du mich, den Drachen, totgeschlagen!
Phantasie (zu den An'allah, befehlend)
So sputet euch! Hinweg mit diesem Zelt!
Macht frei die Tür, und öffnet weit das Tor!
Laßt in der Tiefe heilge Flammen leuchten,
und sucht den
wahren Schatz, den Geist – die Seele!
Bibel, Hakawati
Und sucht den wahren Schatz!
Babel (im schwersten Ton)
Imam
Den wahren Schatz!
Kadi
Den Geist!
Alle (durcheinander)
Den Geist – die Seele!
(Während dieser Wiederholungen beeilen sich die An'allah, das Zelt wegzunehmen. Schefaka nimmt eine der brennenden Fackeln und steigt in den Turm, um ihn zu erleuchten. Sobald das Zelt beseitigt und der Eingang frei ist, strömt eine Fülle des Lichts durch ihn auf die Szene hinaus)
Abu Kital (überrascht von dem Anblick)
Wie hell wird es da unten – zauberhell!
Und auch in meinem Innern will es tagen!
(über sich selber erstaunt)
Es ist kein Hohn, es ist kein Spott von mir,
wenn ich jetzt endlich, endlich eingestehe,
daß ich Kital, Kital, der Drache, bin,
der, wie das Märchen sagt,
(nach dem Turm deutend)
in diesem Turm
den Geist der Bibel an die Kette legte.
Ihr Körper wohnt im
Alten Testament,
das hier bei Babel auf dem Tische liegt;
(deutet zu Babel hin, der das Buch in die Höhe hält, um es zu zeigen)
ihr Geist, ihr
wahrer Geist, der wohnt im
Neuen,
und dieses habe damals ich versteckt,
weil Bent'ullah es über alles liebte,
obgleich es im Koran verboten war.
Nur einer außer mir hat es gesehen,
daß ich es nahm und wo ich es verbarg,
und dieser eine –
Scheik der Todeskarawane (hat mit gespanntester Aufmerksamkeit bis hierher zugehört; nun fällt er schnell ein)
ist das Kind, dein Sohn,
der unten in dem Saal des Drachens spielte
und grad an ihm emporgeklettert war,
als du das Buch – den Band –
(hält inne, sinnt)
Den muß ich sehn!
(geht zu Babel und betrachtet den Band des Alten Testaments)
Babel
Der Band, nach dem ihr sucht, war diesem gleich.
Scheik der Todeskarawane (sich erinnernd)
Ich – weiß es jetzt – ich weiß! Ich hole ihn!
(eilt zum jetzt weit offnen Tor des Turms, kehrt aber, von seinen Gefühlen überwältigt, um und kniet vor Bibel nieder)
Ich hole ihn – ich hole ihn – für dich –
du meine Mutter – meine – meine Mutter!
(Sie halten sich für einige Augenblicke umfangen; dann verschwindet er schnellen Schritts im Turm. Die Aufregung der Anwesenden ist durch diese neue Entdeckung aufs höchste gestiegen. Im Scheik gärt es. Er stottert fast, als er jetzt Bibel fragt)
Abu Kital
Sag, Bent'ullah – er ist – er ist –?
Bibel
Dein Sohn!
Hakawati (jubelnd)
Ich dachte es – er fragte nach der Schlange!
Das Kind! Der junge Herr! Der Stammeserbe!
(Die andern jubeln mit, denn nun ist der glückliche Ausgang sicher, und sogar die Niederlage des Scheiks bringt keine Schande, da er nur dem eignen Sohn unterlag)
Babel und erster Ältester
Das Kind!
Imam, Kadi und zweiter Ältester
Der junge Herr!
Alle (durcheinander)
Der Stammeserbe!
(Es erschallen die bekannten, begeisterten Ausrufe)
Abu Kital (in die Knie brechend, nach Atem ringend)
›Der keinen Vater, keine Mutter hat –!
Er wurde, schmutzig wie ein Ungeziefer,
im Dorngestrüpp der Wüste aufgefunden –!
Ein Wechselbalg, ein jämmerlicher Bastard!
(jetzt erklingen die Hämmer wieder)
Ihr hört, ihr hört – so hämmert es
(aufspringend und sich an die Brust schlagend)
auch hier.
Ich muß nach Märdistan, muß nach Kulub,
um abzubüßen, meine Schuld zu sühnen!
Phantasie
Und wenn ich dir verzeih?
Abu Kital
Das
darfst du nicht.
Du
steigst mit uns, denn du bist unsre Seele,
und wenn wir sinken, sinkst auch
du mit uns.
Wer
sinken will, der wimmere dich an!
Ich aber, ich, ich bin Abu Kital.
Ich kämpfte mich bisher nur in die Tiefe;
von heute an führt mich der Kampf empor –
der Kampf mit mir – das Hämmern in der Schmiede, –
Phantasie
Und euer Weltenreich? Mit dir als Herrscher?
Abu Kital (hebt die Hände und spricht seine eignen Worte aus dem ersten Akt)
›Doch, bietet mir ein Reich wie Babylon
und hier dagegen diese eure Größe,
so schwör ich euch, ich gehe und verzichte!‹
(Da hören die Hämmer mit einem letzten, kräftigen Nachdruck auf, und die Harfen fallen ein. Sie ertönen bis zum Schluß immerfort. Zugleich erklingen aus der Tiefe des Turms kraftvolle Schläge, und Schefaka erscheint, mit der Fackel in der Hand. Sie deutet in die Tiefe und spricht):
Schefaka
Er kletterte am Drachen hoch empor –
Abu Kital (einfallend)
In dessen Rachen ich die Bibel steckte!
Schefaka (fortfahrend)
Und schlägt nun mit der Klinge des Kismet
den Kopf herab –
Abu Kital (lebhaft)
Da muß ich helfen! Helfen!
(er eilt in den Turm)
Phantasie
Er selbst will helfen!
Hakawati
Welch ein Gotteswunder!
(Man drängt zum Turm, doch so, daß niemand dem Blick des Zuschauers im Weg steht und daß sich ein prächtiges Gruppenbild entwickelt, dessen Stellung dem Spielleiter überlassen bleibt. – Aus der Tiefe erschallen die Schläge und die Stimmen des Scheiks und seines Sohns, bei immerwährendem Harfenklang, dessen Stärke nach den äußeren Umständen wechselt. Dann ein Krach – es fällt ein schwerer Gegenstand)
Schefaka (hinunterblickend)
Das war der Kopf!
Hakawati
Das war der Kopf!
Alle (durcheinander)
Der Kopf!
(noch eine kleine Weile, dann scheinen die Harfen sich in Bewegung zu setzen; sie kommen näher)
Schefaka
Ich sehe sie! Sie bringen ihn getragen!
Alle (durcheinander)
Stimme des Abu Kital
Ja, wir haben ihn!
Stimme des Scheiks der Todeskarawane
Wir kommen!
(Schefaka schreitet mit der Fackel aus dem Tor heraus, in dessen Innerm Vater und Sohn erscheinen, den Kopf des Drachens tragend)
Abu Kital
Es war Betrug! – Nur Ton, kein echter Stein.
Schaut her!
(Sie schmettern den Kopf zur Erde, daß er in Stücke birst)
Da liegt Kital, das Ungeheuer;
das Buch ist frei, das er im Rachen hatte!
Scheik der Todeskarawane (nimmt das Buch aus den Trümmern des Kopfes und hält es hoch)
Das heilge Buch des Neuen Testaments!
Die Ältesten der An'allah (einstimmig)
Das heilge Buch –
Alle (einstimmig)
des Neuen Testaments!
Abu Kital
In dessen Geist ich meine Schuld nun büße,
die Schuld des Menschen der Gewaltsamkeit.
Ich will hinauf, hinauf nach Märdistan!
(greift nach der Hand des Scheiks der Todeskarawane)
Der Vater muß sich seinen Sohn verdienen.
Hinauf, hinauf, zum Walde von Kulub!
Die vier Schmiede (ihre Hämmer aufschlagend, einstimmig)
Da schmieden wir!
Phantasie (mit erhobener Stimme)
Und Gott gibt Geist und Segen!
(Die Harfen jubeln, der Vorhang fällt.)