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Zwei Tage waren seit unserem Aufbruche nach der unheilvollen Katastrophe vergangen; der dritte Tag hatte begonnen, und wir zwei einsamen Menschen marschierten wortlos in der Richtung, für welche wir uns entschlossen hatten, durch die Einsamkeit.
Noch nie im Leben war ich so mißmutig gewesen, wie jetzt, und das gewiß nicht ohne Grund. Bisher stets beritten gewesen, mußte ich mich nun auf meine steif gewordenen Beine verlassen. Die Kameraden waren verloren, und ich war so ziemlich von allem entblößt, was für einen Weg durch die Wildnis nötig ist. Zwar hatte ich meine Waffen gerettet; aber die Munition war mit dem Pferde und mit den Satteltaschen verloren gegangen. Ein Glück nur, daß sich noch eine Anzahl Patronen im Gürtel befanden! Die Mehrzahl derselben, etwa drei Dutzend, war für die Revolver, eine Waffe, welche ich zum Schießen von Wildpret, von dem wir leben mußten, nicht benützen konnte. Auch Pena hatte nur einige Kugeln in dem Beutel und wenig Pulver im Horne.
Wir wanderten durch eine der wildesten Partien des Gran Chaco. Der zur argentinischen Konföderation gehörige Teil desselben leidet allerdings unter dem Regenmangel der subtropischen Zone, doch überschwemmen während und nach der Regenzeit die Flüsse weite Strecken des Landes, und da entwickelt sich eine unvergleichliche Vegetationsfülle. Die Flüsse senden weite Buchten aus, welche den Bayous Nordamerikas oder den Maijehh des oberen Niles zu vergleichen sind. In ihrer Nähe und in derjenigen der Flüsse giebt es Waldungen, welche kaum zu durchdringen sind. Der spanisch sprechende Einwohner nennt sie Monte impenetrabile, undurchdringlichen Wald. Es giebt da nicht nur Bäume, sondern auch meilenweite Dickichte von stacheligen Mimosen und Leguminosen, die nur wenige natürliche Öffnungen frei lassen, welche von den Indianern als Pfade und Wege zu ihren Raub- und Handelszügen benützt werden. Dann kommen dazwischen weite Grasfluren oder unbewässerte, öde Strecken, auf denen man nur selten einen Kaktus oder eine Salzpflanze zu sehen bekommt.
Es giebt ausgedehnte Flächen, welche man mit der arabischen Wüste vergleichen möchte. Man nennt sie Travesias. Der stetig wehende Südwind häuft den Sand zu Hügeln, Medanos genannt, auf; daher fallen sie an der Nordseite steil ab; ihre Umrisse verändern sich beständig, da der Sand an der südlichen Seite aufsteigt und auf der nördlichen herunterfällt. Sie wandern also von Süd nach Nord.
Auch giebt es Stellen, welche wegen ihres Triebsandes höchst gefährlich sind. Als Adolf von Wrede im Jahre 1843 sich auf seiner denkwürdigen Entdeckungsreise in Hadhramaut befand, kam er am Bahr es Ssafy in der Wüste el Ahgaf an eine Stelle, deren Sand er, als er ihn faßte, beinahe unfühlbar fand. Es war ein bis oben an den Rand damit gefüllter Felsenkessel, und dieser Sand war sehr fein, so leicht und widerstand so wenig, daß, als Wrede mit dem Stocke hineinstieß, es ihm vorkam, als ob er ins Wasser stoße. Er legte sich vorsichtig auf den Rand des Felsens und band ein Gewicht an eine lange Schnur. Als er dasselbe in den Sand warf, sank es unter und zog ihm die Schnur aus der Hand. Keiner seiner arabischen Begleiter hatte sich wie er bis an dieses alles verschlingende Grab gewagt. Humboldt zweifelte an der Wahrheit dieser Schilderung, und Leopold von Buch nannte Wrede geradezu einen Lügner, Karl Ritter aber und der berühmte Arabist Fresnel retteten seine Ehre.
Die Araber hatten dem Reisenden erzählt, daß diese Gegend Bahr es Ssafy genannt werde, weil einst ein König Namens Ssafy, welcher vom Beled es Ssaba Wadian mit einem großen Heere kam, um in Hadhramaut einzufallen, den größten Teil seiner Truppen an der erwähnten Stelle verloren habe. Wrede war und blieb lange Zeit ein Märtyrer des Zweifels großer Geographen, welche seine wahren Berichte vom Studiertische aus recensierten. Und doch wissen nicht nur die Bewohner des Hadhramaut, sondern auch die Leute des südlichen Mendoza in Argentinien und die Indianer des Gran Chaco, daß es Gegenden giebt, welche mit tiefen, unergründlichen Triebsandmassen angefüllt sind, in denen Menschen und Tiere wie im Wasser versinken. Solche Stellen werden dort Quadales genannt.
Am Vormittage des dritten Tages kamen wir über eine grasreiche Pampa, welche sich endlos vor uns auszudehnen schien und ganz einer nördlichen Prairie glich, nur daß es eine andere Art des Grases und nicht das mir so bekannte Büffelgras war, durch welches wir bis an den Leib waten mußten. Seine langen Halme waren schmal und leicht; man fühlte sie kaum, und doch ermüdeten sie uns ganz ungewöhnlich. Man dachte dabei unwillkürlich an den Schnee, welcher, so leicht er ist, zu Wehen aufgehäuft, der Kraft einer Lokomotive zu widerstehen vermag.
Pena hatte sein Gewehr geschultert und schritt bahnbrechend voran. Aber als wir schon über eine Stunde lang durch dieses Grasmeer mehr geschwommen als gegangen waren, blieb er stehen, holte tief aufseufzend Atem und sagte:
»Jetzt steigen nun Sie einmal voran, Sennor! Noch eine einzige Stunde so, dann falle ich um. Da lobe ich mir doch die Prairien droben im Norden. Und ich möchte wetten, daß es, wenn wir diese Savanne hinter uns haben, noch viel schlimmer wird. Entweder läuft sie in eine Wüste aus oder in ein stacheliges Mimosenfeld.«
»Das glaube ich nicht,« antwortete ich, indem ich vorwärts deutete. »Sehen Sie den dunklen Strich ganz draußen am Horizonte? Das ist kein Mimosengebüsch, welches wir wegen seiner geringen Höhe auf eine so weite Entfernung gar nicht sehen könnten, sondern das ist Wald, hoher Wald.«
Er legte die Hand über die Augen, um von der Sonne nicht geblendet zu werden, blickte nach der angedeuteten Richtung und stimmte bei:
»Sie haben recht. Gott sei Dank; es ist Wald. Hoffentlich giebt es da ein Wildbret! Ich habe Hunger. Gestern gab es nur ein armseliges Meerschweinchen für den ganzen langen Tag.
Das ist für zwei so gesunde und kräftige Männer, wie wir sind, zu wenig. Haben Sie nicht auch das Gefühl eines gewissen Nichts in der Gegend Ihres Magens?«
»Und ob! Ich bin im stande und schieße mir einen Papagei, wenn ich nichts anderes finde.«
»Brrrr! Das lassen Sie! Ich weiß sehr genau, wie diese Art von Fleisch schmeckt.«
»Ich bitte um die Beschreibung!«
»Das weichste Stück, die Brust, gleicht dem Sohlenleder; die Schenkelstücke sind trocken und zähe wie ein alter, lederner Kofferüberzug, und an den Flügelblättern müssen Sie ganz genau so kauen, als wenn Sie ein Stück Rhinozeroshaut verspeisen.«
»Dann werde ich mir freilich etwas Besseres wünschen, und wenn es auch nur ein armer Pampashase wäre.«
»Den giebt es hier äußerst selten. Machen Sie vorwärts, daß wir den Wald erreichen!«
Wir stampften weiter, wohl drei Viertelstunden lang, dann zeigte es sich, daß der dunkle Strich, den wir am Horizonte gesehen hatten, wirklich Wald war. Nach kurzer Zeit konnten wir schon die einzelnen Baumarten, Ceibo, Channar, Algaroben und andere unterscheiden. Sonderbarerweise traten diese Bäume sofort als geschlossener Wald auf, ohne vorher durch Büsche eingeleitet zu werden. Als wir uns seinem Rande bis auf ungefähr hundert Schritte genähert hatten, blieb ich überrascht Stehen, denn ich erblickte vor mir den Beweis, daß es hier Menschen, und zwar viele, gegeben hatte.
»Was giebt's?« fragte Pena. »Warum stutzen Sie so?«
»Sehen Sie nicht den Strich, der sich längs des Waldrandes quer über unsere Richtung durch das Gras zieht?«
Er hatte diese Fährte noch gar nicht bemerkt, richtete den Blick auf dieselbe und meinte dann:
»Schade, daß sie schon vorüber sind und nicht eben jetzt erst kommen!«
»Wer?«
»Nun, die Hirsche. Natürlich ist's ein Rudel Hirsche gewesen. Das hätte einen Braten gegeben!«
Er schnalzte mit der Zunge; ich aber antwortete ihm:
»Wenn das eine Rotwildspur ist, so mögen Sie mich, besonders da Sie so hungrig sind, sofort mit Haut und Haar verspeisen.«
»Wer soll es denn gewesen sein, wenn nicht Hirsche?«
»Menschen und zwar viele.«
»Schwerlich, denn in diesem Falle würde die Fährte breiter sein. Und Sie haben die Spur ja noch gar nicht in der Nähe beachtet!«
»Für eine so allgemeine Bestimmung, ob sie von Menschen oder Hirschen gemacht wurde, ist eine genaue Besichtigung gar nicht notwendig. Hirsche haben kleine Hufe, mit denen sie nur leicht auftreten; sie stampfen das Gras nicht nieder, so daß es am Boden liegen bleibt.«
»Meinen Sie, daß Menschen stampfen?«
»Nein. Aber wenn ihrer viele hintereinandergehen, so vollbringt der Hintermann, was der Vordermann unterlassen hat: Es wird eine fest ausgetretene Fährte fertig. Kommen Sie!«
Wir kamen an die Spur, und noch hatte ich mich nicht niedergebückt, um dieselbe zu betrachten, als Pena ausrief:
»Wahrhaftig, Sie haben recht; es waren Menschen. Das ist ein Glück für uns, denn – –«
»Schreien Sie nicht so!« unterbrach ich ihn. »Noch wissen wir nicht, ob wir uns dieser völlig unbekannten Leute freuen dürfen.«
»Meinen Sie?« fragte er, nun leiser sprechend. »Wollen doch sehen!«
Er prüfte die Fährte ebenso wie ich und sagte dann:
»Ja, es sind nicht nur zwei oder drei, es sind jedenfalls wenigstens zehn Personen gewesen.«
»Sagen Sie zwanzig, dreißig, vierzig. Ja, ich behaupte, daß hier wohl an die fünfzig Personen gegangen sind und daß sie vor ungefähr zwei Stunden da vorüberkamen.«
»Alle Wetter! Woher wollen Sie das wissen?«
»Warten Sie noch! Es fragt sich besonders, von welcher Farbe diese Leute waren. Warten Sie, ich kann es ganz genau bestimmen!«
»Unmöglich!«
»Es ist nicht unmöglich, sondern im Gegenteile sehr leicht.«
Ich ging eine kleine Strecke auf der Fährte fort, hob einige abgerissene Halme auf, welche festgetreten worden waren, kehrte zurück, um sie ihm zu zeigen und sagte.
»Da lagen auf einer Strecke von kaum dreißig Schritten diese Halme; sie sagen mir alles, was ich wissen muß. Wenn diese Spur jünger und nicht bereits zwei Stunden alt wäre, so würde ich Sie ersuchen, sich mit mir zu bücken, damit wir nicht gesehen werden könnten. Wir haben es nämlich mit Indianern zu thun.«
»Und das haben Ihnen diese Grashalme gesagt?«
»Ja. Sie wissen doch, welcher Unterschied hinsichtlich der Fußbekleidung zwischen Cascarilleros (Rindensuchern) und den Indianern des Gran Chaco stattfindet?«
»Natürlich! Die letzteren gehen barfuß, die ersteren aber nie.«
»Nun, die Leute, welche hier vorüberkamen, waren barfuß, denn den Voranschreitenden sind diese Halme zwischen die Zehen gekommen und abgerissen worden.«
»Ah! Das ist möglich. Aber können diese Halme nicht auch durch Stiefel oder Schuhe oder auf eine andere Weise abgerissen worden sein?«
»Diese hier nicht. Reißen Sie einen Halm ab, oder er mag an Ihrem Fuße, an Ihrem Beine hängen bleiben und ab- oder ausgerissen werden, so bleibt er gerade, glatt und unverletzt, so wie dieser hier.«
Ich riß einen langen Halm ab und zeigte ihm denselben.
»Hier ziehe ich nun den Halm, den ich Ihnen soeben zeigte, zwischen zwei Fingern hindurch, indem ich ihn mit denselben ziemlich fest drücke. Was ist die Folge? Sehen Sie ihn jetzt an!«
»Er bekommt Bruch an Bruch und wird rund; er bleibt nicht mehr gerade, sondern er biegt sich krumm.«
»Ganz richtig! Das ist die Folge davon, daß er sich zwischen meinen Fingern befunden hat. Ganz dasselbe wird stattfinden, wenn ein Halm zwischen zwei Zehen gerät. Indem der Fuß sich vorwärts bewegt, wird der Halm durch die Zehen gezogen und abgerissen; er wird, wie der technische Ausdruck heißt, gerippelt und zieht sich krumm. Sämtliche Halme, welche ich aufgelesen habe, waren gerippelt; sie haben sich also zwischen den Zehen der Leute befunden, welche hier gegangen sind. Diese Leute waren also barfuß, folglich Indianer.«
»Hm!« meinte er. »Darauf wäre ich nicht gekommen. Sie haben aber jedenfalls recht.«
»Gewiß; wenigstens bin ich überzeugt davon.«
»Woraus schließen Sie aber, daß es so viele Personen gewesen sind?«
»Aus der Festigkeit, welche die Fährte noch jetzt besitzt. Zehn und auch zwanzig Personen, welche hintereinander gehen, treten das Gras nicht in der Weise nieder, daß es so lang liegen bleibend, förmlich in die Erde gedrückt wird, zumal wenn diese Leute barfuß sind.«
»Möglich! Aber wie kommen Sie auf die Zeit von zwei Stunden?«
»Das sagt mir der Grad, in welchem diese Halme welk geworden sind. Freilich, auf die Minuten läßt sich diese Zeit nicht bestimmen; aber ich bin überzeugt, daß meine Schätzung, überhaupt meine Ansicht die richtige ist.«
»Ich muß Ihnen beistimmen. Also Indianer waren es, und zwar fünfzig ungefähr! Nun fragt es sich, in welcher Absicht sie hierher kamen.«
»In kriegerischer. Händler waren es nicht, weil die Fährte beweist, daß die Indianer keine Waren bei sich gehabt haben, denn in diesem Falle wäre die Spur unregelmäßiger und auch breiter ausgetreten. Die Leute haben keine Lasten getragen, auch keine Tiere bei sich gehabt; sie sind frei und ledig gegangen, nur höchstens mit den Waffen in den Händen.«
»Und was thun wir jetzt? Haben wir diese Indianer zu beachten oder nicht?«
»Natürlich haben wir uns sehr um sie zu bekümmern. Es kann uns nicht gleichgültig sein, wenn sich ein Zug von räuberischen Wilden mit uns in derselben Gegend befindet. Wir müssen gewärtig sein, daß wir ganz unvermutet auf diese Leute treffen.«
»Das wohl nicht. Sie gehen gerade nach West, wir aber nordwestlich.«
»Ja, hier an dieser Stelle führt die Fährte nach West; aber Sie wissen ebenso gut wie ich, daß man, besonders hier im Chaco, nicht stets eine schnurgerade Linie einhalten kann. Die Roten kennen ihren Weg gewiß sehr genau; sie werden alle Hindernisse vermeiden und umgehen, müssen also oft von der ursprünglichen Richtung abweichen. Haben sie sich weiter von hier mehr rechts gewendet, und wir gehen geradeaus fort, so müssen wir mit ihnen zusammentreffen, was ich natürlich vermeiden möchte. Ich will lieber zwanzig mit Schießgewehren und Tomahawks bewaffneten Sioux begegnen als einem einzigen hiesigen feindlichen Roten, der mich mit einem vergifteten Pfeile leichter und schneller unschädlich macht, als diese zwanzig mit ihren ehrlichen Waffen. Übrigens muß ich unbedingt wissen, was und wohin diese Leute wollen. Bevor ich das nicht erfahren habe, kann ich mich nicht sicher fühlen. Wir müssen ihnen nach.«
»Dann adieu Hirschbraten und Ausruhen! Nur der Hunger bleibt!«
»Es geht mir nicht besser als Ihnen. Bedenken Sie, daß wir einen ausgetretenen Pfad vor uns haben; das Gehen wird uns nicht so ermüden, wie bisher.«
»Das ist aber auch das einzige Gute von der ganzen Sache!« brummte er mißmutig.
»Seien Sie doch nicht so niedergeschlagen. Wenn wir gar den Mut und die Lebenslust verlieren, so ist's aus mit uns.«
»Sie haben schon recht, daß Sie mich schelten. Ich bin von dem, was geschehen ist, so deprimiert, wie noch nie im Leben. Es ist, als ob der Satan sein Spiel gehabt habe. Wer soll da noch das alte Vertrauen und die frühere Freudigkeit besitzen?«
»Wir beide natürlich! Denken Sie etwa, daß das Schicksal, dem unsere Freunde verfallen sind, mir gleichgültiger ist als Ihnen? Ich bin länger mit ihnen beisammen gewesen als Sie, und so versteht es sich wohl ganz von selbst, daß die Katastrophe mir ebenso zu Herzen geht, wie Ihnen. Aber das Herz ist etwas anderes als der Kopf. Mag mein Herz mit einem noch so großen Leide beschäftigt sein, sobald es notwendig ist, daß der Kopf in seine Rechte tritt, so muß das erstere einstweilen schweigen. Und unsere Köpfe brauchen wir hier, wenn es überhaupt unsere Absicht ist, sie zu behalten und die Gefährten zu retten, falls sie noch leben.«
Wir waren, während wir zusammen sprachen, der Fährte mit raschen Schritten gefolgt, ich voran und er hinterdrein. Jetzt faßte er mich hinten, hielt mich fest und sagte:
»Bleiben Sie doch einmal stehen und sagen Sie die letzten Worte noch einmal! Ich muß vollständig falsch gehört haben. Wie meinten Sie? Sie geben sie nicht verloren?«
»Ja, so sagte ich.«
Er blickte mich mit einem ganz unbeschreiblichen Erstaunen an, deutete nach der Stirn, und meinte dann:
»So ist es bei Ihnen hier in dieser Gegend nicht richtig! Ich habe Sie für einen geistig gesunden und zuverlässigen Mann gehalten. Aber Sennor, was denken Sie denn eigentlich?«
»Ich denke, daß man den Totenschein eines Menschen nicht eher unterzeichnen darf, als bis man seine Leiche gesehen hat, und selbst dann muß man sich genau überzeugen, ob es auch wirklich die seinige ist.«
»Aber, es versteht sich doch ganz von selbst, daß sie tot sind! Ich glaubte, Sie möchten am liebsten wieder umkehren, um noch länger und eifriger nachzuforschen, als es bisher schon geschehen ist.«
»Und wenn ich das nun wirklich beabsichtigte?«
»So gehen Sie zurück! Machen Sie, was Sie wollen! Ich halte Sie nicht. Ich aber begleite Sie auf keinen Fall; darauf können Sie sich verlassen!«
»Nun, einstweilen folgen wir dieser Fährte. Kommt Zeit, kommt Rat!«
»Aber in dieser Angelegenheit nicht! Die ist vollständig vorüber und abgeschlossen. Sprechen wir nicht mehr davon!«
ich hütete mich, ein weiteres Wort zu sagen, und nahm den unterbrochenen Weg wieder auf. Er führte uns eine Viertelstunde lang immer am Walde hin und bog dann scharf in denselben ein. Es gab da eine Lichtung, einen breiten Streifen, welcher frei von Bäumen den Wald durchschnitt.
»Sie haben vorhin recht gehabt,« sagte Pena. »Die Roten kennen ihren Weg sehr genau. Man sieht, daß ihnen diese Waldblöße nicht ganz unbekannt gewesen ist, da sie sich so direkt nach derselben gewendet haben.«
»Das ist nur das Eine; das Andere aber ist, daß sie sich nun auf derselben Richtung befinden, welche auch die unserige ist. Hätten wir diese vorhin verfolgt, ohne der Spur nachzugehen, so wäre es uns vielleicht schwer geworden, uns durch den dichten Wald zu arbeiten. Und höchst wahrscheinlich hätte es dann ein Zusammentreffen mit den Roten gegeben, welches für uns verhängnisvoll werden mußte, weil wir nicht auf dasselbe vorbereitet waren.«
Nach kurzer Zeit traten die Bäume näher zusammen, so daß die Blöße schmaler wurde. Die Fährte führte rechts, nahe an den Bäumen hin. Ein plötzliches ängstliches und feines Kreischen von links her ließ mich stehenbleiben. Ein Eichhörnchen kam in höchster Eile über die schmale Lichtung gesprungen, gejagt von zwei Tieren, welche im Eifer der Verfolgung ebensowenig wie der kleine Flüchtling auf uns achteten. Als das Eichhörnchen den diesseitigen Wald erreichte, lief es am Stamme des nächsten Baumes empor, und seine Feinde folgten ihm.
»Zwei Soncho Monas!« rief Pena. »Das giebt einen guten Braten!«
Er nahm sein Gewehr schußfertig in die Hand und ich that dasselbe. Soncho Mona nennt der Bewohner des Gran Chaco den Rüsselbären, auch Coati genannt. Das Tier liefert nicht nur einen sehr gesuchten Pelz, sondern auch ein außerordentlich zartes und wohlschmeckendes Fleisch.
Das Eichhörnchen hatte einen weit hinausragenden Ast erreicht, flüchtete nach der Spitze desselben und that von dort aus einen kühnen Sprung nach einem niedriger liegenden Aste des nächsten Baumes, indem es sich dabei des Schwanzes als Steuer bediente. Die Coatis langten auf dem Aste an, auf welchem sich das Hörnchen einen Augenblick vorher befunden hatte, wagten aber nicht denselben Sprung zu thun, und blickten dem entkommenen Tierchen enttäuscht nach.
»Sie den hinteren und ich den vorderen!« sagte Pena.
Ich nickte. Die Schüsse krachten. Der eine Coati stürzte sofort herab; der andere suchte sich anzukrallen, konnte sich aber nicht halten, da er auch ins Leben getroffen war, und folgte dem ersteren nach. Als wir zur Stelle kamen, wo beide lagen, bewegten sie sich schon nicht mehr. Die Tiere haben ein fast so zähes Leben wie der Fuchs, dessen Größe sie auch besitzen; die Kugeln hatten also die richtigen Stellen getroffen.
»Na, da giebt's ja zu essen,« meinte Pena vergnügt. »Und was für ein Fleisch! Nun wollen wir freilich von dem Papagei nicht wieder sprechen! Nehmen Sie das Ihrige, und dann wieder weiter!«
jeder nahm seine Beute auf, und dann wurde der Weg fortgesetzt. Nach einiger Zeit traten die Bäume weiter und weiter auseinander, und wir kamen wieder auf eine so hochgrasige Savanne, wie die vorige gewesen war. Der Wald hatte nur in einem langen, schmalen Streifen bestanden. Die Fährte ging geradeaus, wie mit der Schnur gezogen. Das mußte uns jetzt sehr lieb sein, da dieser Umstand es uns ermöglichte, die. Indianer schon aus bedeutender Entfernung zu erblicken. Ich wollte den hinter mir herschreitenden Pena auf diesen Vorteil aufmerksam machen, warf ihm daher einige Worte zu, ohne mich umzusehen, und erhielt eine Antwort, welche ich nicht verstehen konnte. Ich fragte, was er gesagt habe, und verstand auch die nachfolgenden Worte so wenig, daß ich mich nun nach ihm umblickte. Fast hätte ich laut aufgelacht. Der gute Mann hatte den Mund so voll stecken, daß er allerdings nicht deutlich zu sprechen vermochte. Er kaute, als ob es sich um Tod oder Leben handle.
»Machen Sie es wie ich!« sagte er. »Schneiden Sie Ihren Nasenbären auch an!«
»Danke! Habe keine Lust.«
Wir waren der Fährte, seit wir den Wald hinter uns hatten, vielleicht zwei Stunden lang gefolgt, als wir wieder einen dunklen Streifen vor uns sahen.
»Das ist wieder Wald. Nicht?« fragte Pena.
»Wald, ja. Vielleicht ruhen die Roten dort unter den Bäumen aus. Sie haben einen Vorsprung von zwei Stunden vor uns, und länger macht kein Indianer Rast, wenn er sich auf einem Raub- und Kriegszuge befindet.«
»Von zwei Stunden ist keine Rede mehr. Bedenken Sie, daß die Roten sich durch das hohe Gras Bahn brechen mußten und also nicht so schnell vorwärts kamen wie wir, die wir einen offenen Weg haben. Die zwei Stunden haben sich auf eine vermindert.«
»Meinen Sie?«
»Ja, man sieht es ja aus der Fährte.«
»Das ist gut! Wenn sie noch lagern, können wir sie beschleichen, um Gewißheit zu erhalten, woran wir mit ihnen sind. Also gehen wir weiter!«
Er wollte voranschreiten; ich faßte ihn am Arme und hielt ihn zurück.
»Halt, Sennor! Wollen Sie in einer halben Stunde tot sein? Sie laufen den Wilden gerade in die Hände!«
»Hm! Sie meinen, daß sie uns sehen?«
»Ja. Der Weg führt schnurgerade nach dem Walde. Wenn die Roten diesseits desselben sitzen, so müssen sie uns von weitem kommen sehen. Wenn wir nur noch dreihundert Schritte thun, sind wir von dort aus deutlich zu erkennen.«
»So wollen Sie wohl hier warten, bis wir annehmen können, daß sie fort sind?«
»Das fällt mir nicht ein. Wir müssen nach dem Walde, aber nicht auf die Fährte. Wir schlagen einen kurzen Bogen, um ihn an einer entfernten Stelle zu erreichen.«
»Da versäumen wir Zeit!«
»Lieber eine Viertelstunde verloren als das Leben!«
Ich wandte mich rechts, um einen Umweg zu machen, und er gab zu, daß ich recht hatte. Wir erreichten den Wald an einem Punkte, welcher nach meiner Schätzung vielleicht zehn Minuten von demjenigen entfernt lag, an welchem die Fährte auf die Bäume stieß.
Diese standen ziemlich weit auseinander, zwischen ihnen nur einige Büsche, so daß es gar keiner Anstrengung bedurfte, vorwärts zu kommen. Wir wendeten uns links, um die Fährte wieder zu erreichen, aber mit größter Vorsicht, da wir bei jedem Schritte vorwärts auf die Roten stoßen konnten. Jeden Baum als Deckung nehmend, kamen wir langsam weiter. Wir hatten schon über die Hälfte der Entfernung zurückgelegt, als wir Stimmen hörten.
»Sie sind noch da!« sagte Pena. »Jetzt heißt es, sich in acht nehmen! Wollen wir warten, bis sie fort sind, oder schleichen wir uns näher?«
»Das letztere. Ich muß wissen, wer sie sind! Legen Sie sich nieder, und kriechen Sie hinter mir her! Wir müssen es so einrichten, daß wir immer einen oder mehrere Stämme zwischen uns und ihnen haben. Da seitwärts rechts stehen einige Mimosenbüsche. Gelingt es uns, diese unbemerkt zu erreichen, so haben wir gewonnen.«
Wir schoben uns langsam dicht an der Erde hin und erreichten die Mimosen glücklich. Es galt, uns unter ihnen zu verbergen, was keine leichte Aufgabe war. Die Roten saßen nicht weiter als dreißig Schritte von diesem Gesträuch entfernt. Wenn wir die Zweige desselben bewegten, mußten sie es sehen. Dazu kam, daß die Mimosen außerordentlich stachelig waren. Aus diesen Gründen schoben wir uns nur Zoll um Zoll hinein, und es verging von dem Augenblicke, an welchem wir bei ihnen angelangt waren, gewiß fast eine halbe Stunde, bis wir unsern Zweck erreicht hatten. Wir staken so zwischen den engen, dichtbelaubten Büschen, daß wir keine Angst vor Entdeckung zu haben brauchten, falls die Roten nicht einen besonderen Grund fanden, ihre Aufmerksamkeit auf die Mimosen zu richten.
Auf dem Bauche liegend, schoben wir uns so weit vor, daß wir die Indianer sehen konnten. Es standen nur drei Bäume zwischen uns und ihnen, zwischen denen wir aber hindurchblicken konnten. Sie hatten ein Feuer brennen, und der Duft gebratenen Fleisches drang in unser Versteck.
»Ist das nicht ärgerlich?« flüsterte Pena mir zu. »Ich habe den Rüsselbären roh anbeißen müssen, und diese Wilden machen sich den saftigsten Braten!«
»Der Braten läßt mich sehr gleichgültig. Ich möchte wissen, zu welchem Stamme sie gehören.«
»Das ist schwer zu sagen.«
»Nun, Sie sind doch ein Kenner des Gran Chaco. Sie müssen also die einzelnen Völkerschaften desselben voneinander unterscheiden können.«
»Das kann niemand! Denken Sie etwa, es ist so wie bei den Indianern Nordamerikas? Bei diesen hat freilich jeder Stamm seine besonderen Merkmale, seine eigene Kriegsfarbe. Hier aber ist das anders. Sehen Sie sich diese Kerle an! Wie sind sie gekleidet? Eine weiße Leinwand- oder Kaliko-Hose und ein eben solches Hemd darüber, einen uralten Hut oder irgend einen ähnlichen Fetzen auf dem Kopfe. Sind das Unterscheidungsmerkmale?«
»Allerdings nicht. Wollen also wenigstens hören, was sie sprechen.«
»Ja, dann werde ich Ihnen freilich sagen können, zu welchem Stamme sie gehören. Horchen wir also!«
Die Roten schienen bei sehr guter Laune zu sein, denn sie sprachen sehr munter, aber nicht laut. Nur zuweilen ertönte ein Ruf der Freude oder der Verwunderung, und ein solcher war es gewesen, welchen wir gehört hatten und durch den wir auf sie aufmerksam geworden waren. Pena horchte lange. Interjektionen sind meist das Gemeingut sämtlicher Stämme; darum bilden sie kein Merkmal der Unterscheidung derselben. Dann aber schien einer etwas zu erzählen, was ihn in Eifer versetzte. Er sprach darum vernehmlicher, als bisher geredet worden war, und da flüsterte Pena mir zu:
»Jetzt habe ich es; jetzt weiß ich es. Es sind Mbocovis.«
»Kennen Sie diesen Stamm?«
»Stamm darf man nicht sagen; es ist ein Volk, welches wieder in mehrere Stämme zerfällt. Ich befand mich vor fünf oder sechs Jahren mehrere Monate lang bei einem derselben, in dessen Gebiete vortreffliche Chinchonas, standen. Der Wortschatz dieser Leute ist nicht bedeutend, und ich lernte in der Zeit, so kurz sie war, mich ganz gut ausdrücken; verstehen aber konnte ich sie noch viel besser.«
»Sie sollen das kriegerischeste Volk des Gran Chaco sein?«
»Das ist wahr. Glücklicherweise sind sie nicht zahlreich, und schwinden eben dieses streitlustigen Charakters wegen schnell und immer mehr zusammen.«
»Auch las und hörte ich, daß sie ganz besondere Feinde der Tobas-Indianer seien?«
»Auch das ist richtig. Diese letzteren sind friedfertiger Natur und den Weißen freundlich gesinnt; es giebt sogar welche unter ihnen, die sich seßhaft gemacht haben und einen kleinen Acker bauen, nämlich was man hier so nennt. Aber wenn sie angegriffen werden, so stellen sie ihren Mann. Sie sind der schönste Schlag der Indianer, während die Mbocovis, welche wir vor uns haben, mehr verkommen aussehen. Sie – alle Teufel, wer kommt denn da?«
Er hatte seine Rede unterbrochen und stieß diese letzteren Verwunderungsworte hervor, weil von der uns entgegengesetzten Seite zwei Männer kamen und sich zu den anderen setzten. Der eine war ein Indianer, auch nicht besser gekleidet als die übrigen; aber er trug eine Art Federkrone auf dem Kopfe und eine Flinte in der Hand, während die, welche wir bisher gesehen hatten, nur mit Messern, Lanzen und den gefürchteten Blasrohren bewaffnet waren.
Der andere war ein Weißer, kurz, breit und sehr kräftig gebaut. Ein dichter, schwarzer Vollbart rahmte sein Gesicht ein, welches ein alter, abgegriffener Sombrero beschattete. Auch er trug ein Schießgewehr in der Hand; die Griffe eines Messers und zweier Pistolen blickten aus der breiten, roten Schärpe, welche er als Gürtel um seine Hüften geschlungen hatte.
»Kennen Sie diesen Weißen?« fragte ich meinen Gefährten.
»Nein, aber seinen Begleiter. Ich habe ihn einmal in Paso de los Torros und das anderemal in Cardovo gesehen. Es ist EI Venenoso, der Häuptling der Mbocovis.«
»Diesen Namen habe ich noch nicht gehört.«
»Weil Sie noch nie hier gewesen sind. Hätten Sie sich nur eine Woche lang am Rio Salado befunden, so hätten Sie gewiß manches über diesen Mann erfahren.«
»EI Venenoso; das heißt zu deutsch doch wohl der Giftige?«
»Ja.«
»Verdient er diesen Namen?«
»Vollständig. Er ist der unversöhnlichste Feind der Weißen, weshalb es mich jetzt wundert, einen solchen in seiner Gesellschaft zu erblicken, und zugleich der größte Spitzbube des Gran Chaco. Blutdürstig wie ein Panther, hält er niemals Ruhe. Man kennt alle seine Thaten; aber er ist so listig und verschlagen, so ungeheuer vorsichtig, daß ihm niemals etwas zu beweisen ist.«
»Besitzt er auch Tapferkeit?«
»Keine Spur. Legen Sie überhaupt den Maßstab eines Sioux oder Apachen nicht an die Indianer des Gran Chaco. Rauben und stehlen, auch morden können sie; aber der Gefahr weichen sie stets aus. Es ist ein verächtliches und verkommenes Geschlecht.«
Die Roten aßen jetzt. Wir sahen schweigend zu, bis sie fertig waren. Dann standen sie auf, griffen zu ihren Waffen, und marschierten fort, ohne sich die Mühe zu geben, das Feuer auszulöschen. Der Häuptling und der Weiße gingen an der Spitze.
»Sie brechen auf,« sagte Pena. »Gehen wir ihnen gleich nach?«
»Nein. Noch wissen wir nicht genau, ob sie wirklich fortgehen. Ich werde mich ihnen nachschleichen. Warten Sie hier, bis ich zurückkehre!«
Ich kroch unter dem Busche hervor und ging den Roten eine ganze Strecke nach, bis ich überzeugt war, daß sie wirklich den Weitermarsch angetreten hatten. Dann wendete ich mich um. Pena steckte nicht etwa noch unter der Mimose, sondern er saß am Feuer. Er hatte dem Coati das Fell abgezogen, die Keulen desselben an einen Ast gespießt und hielt sie über das Feuer, um sie zu braten.
»Die Roten sind doch brave Leute!« lachte er. »Sie haben das Feuer nur deshalb nicht ausgelöscht, daß wir uns gleich an dasselbe setzen können. Sind sie fort?«
»Ja. Es wäre für Sie auch gar nicht gut, wenn sie noch da wären. Röstet dieser Mann ganz gemütlich seinen Asado, ohne überzeugt zu sein, ob sie zurückkehren oder nicht!«
»Der Hunger war größer als die Angst. Machen Sie es ebenso wie ich! Einen halben Coati für jetzt und die andere Hälfte für heute abend.«
»Wer weiß, ob wir heute abend zum Essen kommen! Ich muß wissen, wohin diese Mbocovis wollen; darum werden wir ihre Nähe aufsuchen, um sie besser zu belauschen als jetzt. Am Abend können wir uns ihnen weit unbesorgter nähern als am Tage. Vielleicht hören Sie etwas über die Absichten, welche sie verfolgen.«
»Wahrscheinlich! Aber wenn wir heute abend kein Feuer machen dürfen, so werde ich jetzt dafür sorgen, daß ich nicht zu hungern brauche. Ich brate also den ganzen Rüsselbären.«
Ich folgte seinem Beispiele. Nach Verlauf einer Stunde hatten wir gegessen und besaßen mehr als hinreichenden Vorrat für den Abend. Dann brachen wir wieder auf, um den Indianern zu folgen. Eigentlich hätten wir das gar nicht nötig gehabt. Wir wußten nun, woran wir waren, und brauchten uns, streng genommen, nicht weiter um sie zu bekümmern; aber sie gingen den Weg, den auch wir einschlagen mußten, und so waren wir unter allen Umständen gezwungen, uns auch weiter mit ihnen zu beschäftigen.
Ihre Spur war im Walde natürlich nicht so deutlich zu sehen wie draußen in der grasigen Pampa; aber sie war dennoch so leicht sichtbar, daß selbst einer, der nie in seinem Leben eine Fährte gelesen hat, nicht hätte irre werden können.
Diesesmal besaß der Wald eine weit beträchtlichere Ausdehnung als vorher. Es ging fast drei Stunden lang in demselben fort, und er war leider nicht so licht und zugänglich wie zu Anfang. Es trat mehr und mehr Unterholz auf, welches dichter und immer dichter wurde. Uns freilich war es leicht geworden, hindurchzukommen, denn die Roten hatten uns vortrefflich Bahn gebrochen. Aber wir durften das nicht benutzen, sondern mußten unsere Schritte zügeln, um nicht gar auf sie zu stoßen. Wir waren ihnen einigemale so nahe, daß wir ihre Stimmen hörten und das Knacken der zerbrochenen Äste und Zweige vernahmen.
Endlich aber hatte der Wald doch ein Ende. Wir kamen zwischen Büschen hindurch wieder auf Gras, mußten uns hier aber niedersetzen, da wir die Indianer vor uns sahen und, falls sie sich umblickten, auch von ihnen gesehen werden mußten. Erst als sie uns aus den Augen geschwunden waren, setzten wir den Weg fort. Das Gras hörte auf und dann kam eine breite Sandwüste. Der Sand war so kleinkörnig und tief, daß sich die Spuren der Roten auf das deutlichste abgedrückt hatten. Sie zu verlieren, brauchten wir nicht die mindeste Sorge tragen.
Unser Hunger war gestillt; desto mehr meldete sich der Durst. Wir hatten seit früh kein Wasser gefunden. Wo Bäume sind und Gras wächst, muß Wasser sein; das ist gewiß; aber wir waren eben nicht an eine Stelle gekommen, wo es zu haben war. Darum freuten wir uns herzlich, als wir in der Ferne eine Lagune erblickten. Auf reines Wasser war da zwar nicht zu hoffen, aber das giebt es in Gran Chaco außerhalb der Flüsse überhaupt nicht, und ich hatte schon mehr als einmal aus Pfützen getrunken. Aber als wir näher kamen, sahen wir uns enttäuscht. Die Salzpflanzen, welche am Ufer standen, belehrten uns, noch ehe wir das Wasser erreichten, daß es nicht trinkbar sei. Die Lagune war nicht groß. Man konnte das Ufer rundum überblicken. Pena suchte dasselbe mit den Augen ab, und zwar in so eigenartig forschender Weise, daß es mir auffiel und ich ihn fragte:
»Was suchen Sie? Fast möchte man meinen, daß Ihnen dieser Salzsee bekannt sei.«
Er schwieg, noch immer suchend, und antwortete dann:
»Ja, ich täusche mich nicht. Sie ist es!«
»Wer? Was?«
»Die Lagune, an welcher wir damals überfallen wurden. Das ist eine lange, lange Zeit her, als wir, eine ganze Gesellschaft von Rindensuchern, hier lagerten und von den Roten überfallen wurden. Wir schickten die Halunken blutig heim; aber mehrere von uns waren verwundet, und einen hatte ein Giftpfeil getroffen. Wir haben ihn am nördlichen Ufer begraben und, da es keine Steine gab, ihm einen hohen Hügel auf das Grab gebaut. Sehen Sie ihn da drüben liegen?«
Ich folgte mit dem Blicke der Richtung, welche seine ausgestreckte Hand andeutete.
»So kennen Sie also die Gegend?«
»Ja. Es sind zwar Jahre her, aber kein Mensch legt hier die Axt an die Wälder. sie bleiben wie sie waren. Da links geht es nach dem Flusse, wo die Isla de Taboada liegt, und weiter fort nach Santiago. Von rechts kamen wir damals vom Rio Vermejo herunter, und geradeaus geht es nach der Laguna de Carapa.«
»Bezieht sich dieser Name auf den Baum, welcher das Carapafett giebt?«
»Ja. Das ist ein sehr wichtiger Baum. Die Rinde und die Blätter desselben sind ein unschätzbares Mittel gegen das Wechselfieber, und aus den Früchten, welche die Größe eines Hühnereies haben, wird ein butterartiges Fett und das bekannte Tolicuna-Öl gekocht. An jener Lagune sollen große Massen, ganze Wälder ' dieses Baumes stehen.«
»Waren Sie einmal dort?«
»Nein. Man weiß, daß die Tobas-Indianer diese Wälder bewohnen und sie eifersüchtig bewachen, sie sind ihnen heilig und ihr größter Häuptling wohnt dort. Es gehen eigentümliche Gerüchte über ihn. Er soll ein Nachkomme der Inkaherrscher sein und eine weiße Farbe wie ein Europäer besitzen. Niemand außer seinem Volke hat ihn jemals gesehen. Ihm soll es zuzuschreiben sein, daß die Tobas-Indianer den Weißen und der Civilisation freundlich gesinnt sind. Ich habe Ihnen heute schon gesagt, daß die Mbocovis mit ihnen in ewiger Feindschaft leben. Diese Kerls werden doch nicht etwa dort einfallen wollen!«
Ich hatte die Mbocovis gezählt; darum antwortete ich:
»Achtundfünfzig Mann gegen einen ganzen Stamm der Tobas? Das wären ihrer doch wohl viel zu wenig!«
»Es kommt darauf an, was sie beabsichtigen und vorhaben. Sie wollen vielleicht heimlich stehlen. Da zieht man nicht mit großer Macht aus.«
»Stehlen? Und ein Weißer befindet sich bei ihnen?«
»Pah! Es giebt mehr weiße Spitzbuben als rote! Es giebt Leute, welche behaupten, daß die Roten das Stehlen erst von den Weißen gelernt haben, und ich werde mich hüten, diesen Menschen ihre Ansicht zu rauben. Denken Sie doch an den Sendador! Der Mann hat mehr auf dem Gewissen als zehn Indianerhäuptlinge. Aber da stehen wir und versäumen die Zeit. Wir wollen machen, daß wir weiter kommen.«
Die Sonne hatte schon über zwei Dritteile ihres Laufes zurückgelegt, als die Wüste ein Ende nahm. Das Gras spitzte erst sehr spärlich, nur hier und da, aus dem dürren Sande hervor; dann bildete es einige Inseln, weiche sich später vereinigten, und endlich gingen wir wieder über eine Prairie, die dritte des heutigen Tages. Die Sonne sank im Westen, als wir wieder Wald vor uns sahen. Pena fragte mich, ob wir auch jetzt wieder, wie schon einmal, den Wald auf einem Umwege erreichen wollten.
»Nein,« antwortete ich. »Wir bleiben hier, bis es vollständig dunkel geworden ist.«
»Ist es nicht besser, noch vor der Nacht in den Wald zu kommen?«
»Thäten wir das, so fänden wir die Roten nicht. Ich bin überzeugt, daß sie höchstens eine halbe Stunde vor uns sind. Sie haben also soeben erst den Wald erreicht und werden sich beeilen, ein Lager zu finden; das wird natürlich am Rande des Waldes oder doch in der Nähe desselben liegen, so daß es nicht schwer zu entdecken ist.«
»Ich bin mit dieser Berechnung einverstanden; sie ist besser als die meinige.«
Wir setzten uns also nieder, warteten, bis es dunkel geworden war, und brachen dann wieder auf. Schon nach kurzer Zeit zeigte es sich, daß meine Vermutung die richtige gewesen war. Es glänzte uns unter den ersten Bäumen hervor ein lebhaftes Feuer entgegen, und wir erblickten Gestalten, welche sich um dasselbe bewegten. Nun machten wir einen Umweg, indem wir einen Bogen schlugen, um den Roten in den Rücken zu kommen, was uns auch recht gut gelang. Dort lagen wir am Stamme eines Baumes und sahen, hinter demselben vorblickend, dem Lagertreiben zu.
Näher durften wir uns noch nicht wagen, denn es gab noch zu viel Bewegung unter den Roten. Da, wo sie lagerten, stand Wasser in einem ziemlich großen Tümpel, aus welchem es in einem bloß handbreiten Bächlein an mir und Pena vorüberfloß, jedenfalls um baldigst wieder zu versiechen. Wir tranken mit wahrer Wonne das köstliche Naß.
Die Indianer brachten aus ihren zusammengelegten Decken große Fleischstücke hervor, welche sie, wie am Mittag, am Feuer brieten. Während des Essens ging es heiter her, dann aber wickelten sich die Leute in die Decken und legten sich nieder, um zu schlafen.
Zwei thaten dies nicht, nämlich der Häuptling und der Weiße. Sie saßen ein Stück abseits der andern, mit dem Rücken gegen einen Baum, der so nahe hinter ihnen stand, daß sie ihn beinahe mit den Händen erreichen konnten, und unterhielten sich.
»Hinter diese beiden müssen wir kommen,« sagte ich.
Wir huschten also nach der andern Seite hinüber und schlichen uns dann hinzu. Da ich die Sprache der Mbocovis nicht verstand, so ließ ich Pena voran und hielt mich nur bereit, ihm sofort beizuspringen, falls man ihn sehen sollte.
Aber er machte seine Sache gar nicht übel. Als er den Baum erreicht hatte, legte er die Arme auf die Erde und seinen Kopf darauf, so daß das Gesicht nach unten lag und nicht gesehen werden konnte. Bei dem Scheine des flackernden Feuers, dessen Schatten gespenstisch hin und wieder huschten, hatte er das Aussehen einer Bodenerhöhung, und es gehörte mehr als ein gewöhnlich scharfer Blick dazu, in ihm einen Menschen zu erkennen. So blieb er lange Zeit liegen, während ich geduldig wartete. Ich hörte die Stimmen der beiden Sprechenden und konnte nur dem Tone derselben entnehmen, ob sie sich von etwas Angenehmem oder Unangenehmem unterhielten. Sie sprachen jetzt nicht mehr so angeregt wie vorher, sondern schläfriger; sie machten Pausen. Darum blieb Pena so lange liegen, denn er wollte natürlich nicht eher wieder gehen, als bis er wußte, woran er war, als bis er erfahren hatte, welchen Zweck der Zug hatte.
Endlich, nachdem er seine Stellung fast drei Viertelstunden eingenommen hatte, kam er zurückgekrochen und raunte mir zu:
»Kommen Sie! Ich weiß zwar nicht alles, aber doch genug!«
Wir schoben uns auf Händen und Füßen weit genug zurück, um nicht gesehen zu werden, und erhoben uns dann vom Boden, um nach der Stelle, an welcher wir uns vorher befunden hatten, zurückzukehren.
»Nun,« sagte ich dort, »ich bin sehr begierig, Ihren Bericht zu hören.«
»Jetzt noch nicht. Nehmen Sie Ihre Gewehre und Ihr Fleisch auf, und folgen Sie mir! Wir dürfen nicht ruhen, sondern müssen sofort aufbrechen, um einen Weißen, der vielleicht gar ein Europäer ist, zu retten!«
Das war genug für mich. Ich schritt hinter ihm drein, ohne ihn weiter zu fragen. Er ging in einem Bogen um das Lager herum bis an den Rand des Waldes und dann immer weiter, diesem letzteren entlang. Dabei hütete er sich, hinaus in die Grasprairie zu treten, wo wir eine sichtbare Spur zurückgelassen hätten, sondern er ging stets unter den ersten Bäumen hin, wo die Bodenvegetation niedriger war und die von unsern Füßen niedergetretenen Stellen sich bis morgen früh jedenfalls wieder aufgerichtet hatten. Freilich ging es in der Dunkelheit nicht so schnell, wie wir gewünscht hätten, aber in den anderthalb Stunden, die es in dieser Weise fortging, hatten wir doch gewiß eine gute Wegstunde zurückgelegt. Dann gelangten wir an eine Lücke, welche unsern Weg rechtwinkelig berührte, und wir lenkten in dieselbe ein, um ihr zu folgen.
»Jetzt dürfen wir sprechen,« sagte er. »Die Roten werden gleich von dort, wo sie liegen, durch den Wald gehen. Ich aber bin bis hierher gegangen, um ihn von hier aus zu passieren, damit sie nicht etwa morgen unsere Fährte sehen.«
»Wußten Sie denn, daß diese Lücke sich hier befindet?«
»Nein, ich erfuhr es von dem Weißen. Er stellte es dem ›Giftigen‹, dem Häuptlinge anheim, einen der beiden Wege, welche er beschrieb, zu wählen, und dieser entschied sich für den ihm nächstgelegenen. Darum nahm ich den andern, also diesen hier.«
»Haben Sie nicht vielleicht eine Bemerkung gehört, aus welcher sich erraten läßt, wer dieser Weiße ist?«
»Leider nicht.«
»Der Häuptling muß ihn aber doch wohl genannt haben!«
»Allerdings, aber er bediente sich eines so eigenartigen Wortes, daß ich gar nicht glauben kann, es sei der Name des Weißen. Wenigstens habe ich noch keinen Menschen gekannt, der so geheißen hat.«
»Wie denn?«
»EI Yerno.«
»Das ist freilich ein sonderbarer Name, denn Yerno heißt doch Schwiegersohn.«
»Allerdings. Jedenfalls lautet der eigentliche Name dieses Mannes anders, und er wird nur von den Rothäuten so genannt. Diese pflegen die Menschen lieber nach einer ihnen in die Augen fallenden oder sonst wichtigen Eigenschaft, als beim richtigen Namen zu nennen.«
»Dann wäre er ihnen also als Schwiegersohn wichtig, und daraus ist zu schließen, daß sein Schwiegervater ein Mann ist, welcher bei den Mbocovis in großem Ansehen steht.«
»Oder ist er der Schwiegersohn eines ihrer Leute!«
»Schwerlich. Dann würden sie dieser Verwandtschaftsbezeichnung nicht eine so große Wichtigkeit beilegen.«
»Nun, dem mag einstweilen sein, wie ihm wolle. Die Hauptsache ist das, was sie vorhaben. Sie wollen nämlich, wie Sie ganz richtig vermuteten, nach der Laguna de Carapa, um die Tobas zu überfallen.«
»Das sind doch Rote! Sie sprachen aber von einem Weißen, der vielleicht gar ein Europäer sei!«
»Allerdings, und damit war jener weiße Häuptling der Tobas gemeint, welcher ein Abkömmling der Inkaherrscher sein soll.«
»Was wollen sie mit ihm?«
»Der Weiße behauptet, daß dieser Häuptling große Schätze besitze. Er ist so kühn gewesen, bis an die Laguna de Carapa zu gehen und sich dort mehrere Tage lauschend umherzuschleichen. Da hat er gehört, daß die Tobas eben jetzt einen Kriegszug gegen die Chiriguanos, von denen sie beleidigt worden sind, unternehmen. Es bleiben nur wenige Krieger an der Laguna zurück, welche er mit den achtundfünfzig Mbocovis leicht überrumpeln zu können meint. Sie sollen aus dem Hinterhalte mit giftigen Pfeilen getötet werden, worauf die Frauen und Kinder leicht ermordet oder gefangen genommen werden können. Von diesen, den Frauen und Kindern, glaubt er durch Drohungen und Folterungen erfahren zu können, wo der weiße Häuptling wohnt, den auch er, wie alle andern Leute, el viejo Desierto, den alten Einsamen oder den alten Einsiedler nannte. Unter diesem Namen ist er nämlich überall bekannt.«
»Und dieser viejo Desierto ist es also, von dem Sie vermuten, daß er ein Europäer und nicht ein Sohn der Inkas sei?«
»Nicht ich, sondern dieser ›Schwiegersohn‹ sprach die Vermutung aus.«
»Gab er einen Grund dafür an?«
»Ja. Er sagte, daß der Desierto jährlich einmal nach Santiago komme, um dort gewisse Geschäfte abzumachen. Bei einer solchen Gelegenheit hat er ihn getroffen und mit ihm gesprochen. Aus gewissen Äußerungen, welche dabei aus dem Munde des Alten gefallen sind, glaubt er vermuten zu dürfen, daß dieser von europäischer Abstammung sei.«
»So! Das wäre freilich nicht das erste Mal, daß ein Europäer Häuptling eines wilden Stammes wird. Solche Fälle sind schon wiederholt dagewesen. Doch selbst wenn ich nichts davon gehört hätte, daß eine solche Vermutung gehegt wird, wäre ich entschlossen, ihn zu warnen.«
»Ich natürlich auch.«
»Die Roten mögen ihre Duelle immerhin untereinander ausfechten; ich bekümmere mich nicht darum; aber wo es sich um einen Weißen handelt, so fühle ich mich verpflichtet, mich seiner anzunehmen, auch wenn er nicht ein Europäer, sondern ein hiesiger ist. Aber wie den Weg nach der Laguna de Carapa finden!«
»Ich kenne ihn. Der ›Schwiegersohn‹ hat ihn dem Häuptling so genau beschrieben, und ich habe mir jedes Wort so sorgfältig gemerkt, daß ich gar nicht irren kann.«
»Wie weit ist es bis dorthin?«
»Er gab die Entfernung auf acht Stunden an, von dem heutigen Lager aus.«
»So können wir, wenn der Weg keine allzugroßen Schwierigkeiten bietet, schon am Morgen dort sein. Wann soll der Überfall geschehen?«
»Morgen abend. Der)Schwiegersohn‹ will die Mbocovis bis an eine versteckte Stelle führen, welche sie zu Mittag erreichen, und dann rekognoscieren gehen. Sie sollen seine Rückkehr erwarten und dann, wenn es dunkel geworden ist, mit ihm nach der Laguna aufbrechen.«
»Hat der ›Schwiegersohn‹ nichts gesagt, was auf seine eigentlichen Verhältnisse schließen läßt?«
»Kein Wort.«
»Auch nichts von dem, dessen Schwiegersohn er ist?«
»Nein – – und doch, jetzt besinne ich mich. Der ›Giftige‹ fragte ihn, wo sich jetzt sein Suegro befinde, und er antwortete, er sei nach dem Osten gegangen, um ein gutes Geschäft zu machen.«
»Sprach er nicht von der Rückkehr dieses Suegro?«
»O doch. Er bemerkte, daß er wohl bald zu erwarten sei und daß es dann wieder gute Gelegenheit zum Verdienst geben werde, da der Suegro sich am Parana doch jedenfalls nach fremden Reisenden erkundigt habe.«
Was mir gleich bei den ersten Äußerungen Penas, wenn auch nur ziemlich dunkel vorgeschwebt hatte, das wurde jetzt licht.
Aber, Freund, das sagen Sie erst jetzt?« rief ich aus. »Dieser Suegro ist am Parana gewesen und kommt jetzt zurück. Auf wen paßt das wohl? Wen meinen Sie?«
»Wen ich meine? Zum Henker, ich meine eben gar niemanden! Wen soll ich denn eigentlich meinen?«
»Dieser Suegro ist vielleicht noch weiter gewesen, aus dem Parana in ein kleines Nebenflüßchen gefahren und dann kurz vor uns wieder zurück!«
Er blieb stehen. Ich sah trotz der Dunkelheit, daß er mich groß anstarrte, und erst nach einer Weile stieß er hervor:
»Teufel! Zielen Sie etwa auf Geronimo Sabuco, den Sendador?«
»Natürlich!«
»Das wäre kühn! Sie denken jetzt, ebenso wie ich, natürlich stets an diesen Kerl, und folglich denken Sie auch in diesem Augenblicke an ihn und bringen ihn mit diesem Schwiegersohne, dessen Schwiegervater er gar nicht ist, in Verbindung!«
»Meine Vermutung ist nicht so grundlos, wie Sie meinen! Wissen wir nicht, daß der Sendador einen geheimen Aufenthalt hier im Chaco hat und daß er Indianer als Verbündete besitzt?«
»Allerdings.«
»Daß er, der berühmte Anden- und Pampasführer, Leute über das Gebirge gebracht hat, die niemals wieder gesehen worden sind?«
»Auch das ist richtig.«
»Daß wir ihn infolgedessen in Verdacht gehabt haben und noch haben, daß er diejenigen, die sich ihm anvertrauen, falls er dabei einen Gewinn ersieht, nicht durch die Pampa und über die Anden, sondern irre führt?«
»Wetter noch einmal! Sie steigen mir da ganz gehörig auf das Leder!«
»Ferner, hat nicht der Schwiegersohn gesagt, daß sein Schwiegervater sich am Parana wohl nach fremden Reisenden umgesehen haben werde?«
»Das waren allerdings seine Worte.«
»Und daß es dann wieder gute Geschäfte geben werde?«
»Caracho! Es wird hell in mir! Sennor, ich habe wirklich wunder gedacht, was für ein Kerl ich bin; aber mich dahinein zu denken, dazu habe ich mir die Zeit gar nicht genommen; das habe ich gar nicht für nötig gehalten!«
»Ja, so ist es. Ich frug Sie nach Nebensachen, und Sie besannen sich nicht einmal auf solche; jetzt aber stellt es sich heraus, daß dieses scheinbar Nebensächliche und Unwichtige gerade die Hauptsache ist!«
»So meinen Sie wirklich, daß der Sendador der Schwiegervater dieses Schwiegersohnes ist?«
»Ja. Es steht bei mir als Gewißheit da.«
»Man hat doch nie gehört, daß er eine Tochter hat!«
»Wer spricht von Töchtern und Mädchen! Und nun erklärt es sich sehr leicht, daß der Weiße, welcher sich heute bei den Mbocovis befindet, von diesen nur EI Yerno genannt wird. Der Sendador ist für sie der wichtigste Mann, den sie kennen; darum bezeichnen sie andere nach dem Verhältnisse, in welchem sie zu diesem stehen. Er hat, wenn er von seinem Schwiegersohne mit ihnen sprach, diesen jedenfalls stets nur ›mein Yerno‹ genannt, und nun bezeichnen sie denselben eben ausschließlich nur mit diesem Worte.«
»Es leuchtet mir immer mehr ein, daß Sie recht haben!«
»Und mir leuchtet immer mehr ein, daß ich ganz richtig sprach, als ich sagte, daß noch nicht alles verloren sei. Die Mbocovis wollen die Tobas überfallen, um den alten Desierto zu bekommen; wir aber drehen den Spieß um, indem wir sie überrumpeln, um den Sendador zu fangen!«
»Und nun wollen wir laufen, daß wir vorwärts kommen!«
Ja. Ich war teufelmäßig müde; jetzt aber spüre ich nichts mehr davon. Mit Anbruch des Tages müssen wir an der Laguna de Carapa sein.«
Wir schritten trotz der Dunkelheit aus, als ob wir wochenlang ausgeruht hätten. Es ist erstaunlich, welche Macht der Geist über den schwachen, müden, ja erfahrungsgemäß sogar über den wirklich kranken Körper hat! Meine vorher so steifen Beine waren plötzlich ganz gelenkig und die hohen Stiefel, welche mir zentnerschwer an den Füßen gehangen hatten, waren federleicht geworden.
So ging es durch die Lichtung, welche sich bald verengte und bald verbreiterte, durch den Wald, bis dieser von Baumeshöhe zu niederem Buschwerk niederstieg und sich dann in einzelne Sträucher auflöste, welche nach und nach verschwanden und einem sterilen Sande die Herrschaft überließen.
»Nun müßten wir uns eigentlich mehr rechts halten,« sagte Pena, »aber ich gehe nicht einmal geradeaus, sondern nach links hinüber, damit die Roten morgen früh ja nicht auf unsere Spur geraten, wenigstens so lange nicht, als sie aus derselben erraten können, daß wir aus demselben Wald gekommen sind, in welchem sie übernachtet haben.«
Der Sand war tief; wir versanken bis über die Knöchel in demselben. Aber obgleich wir über drei Stunden lang durch diese Wüste zu waten hatten, fiel es keinem von uns ein, an Müdigkeit zu denken. Dann kam wieder Gras, diesesmal kurzes, welches uns größere Schnelligkeit erlaubte. Pena bewies, daß er ein guter Cascarillero war, denn ich beobachtete die Sterne und fand, daß er bis jetzt nicht im geringsten von der geraden Linie abgewichen sei. Ich machte ihm eine lobende Bemerkung darüber, und er antwortete in selbstgefälligem Tone:
»Ja, ich muß Ihnen doch beweisen, daß ich wohl nicht ganz der Schulknabe bin, für den Sie mich ansehen werden. Jetzt aber halten wir uns wieder rechts, damit wir auf die richtige Linie kommen, was in anderthalb Stunden der Fall sein wird.«
Als diese Zeit vergangen war, blieb er stehen und sagte:
»Jetzt muß ich Ihnen etwas zumuten, was Sie mir nicht übelnehmen dürfen.«
»Was ist's?«
»Ziehen Sie Ihre Stiefel aus!«
»Ah, wir befinden uns auf der Marschlinie der Mbocovis?«
»Ja. Sie werden unsere Spur deutlich sehen, denn es kommt bald wieder Sand. Bemerken sie die Eindrücke unseres Schuhwerkes, so wissen sie, daß Weiße dagewesen sind. Ziehen wir es aber aus, so halten sie uns für Indianer.«
»Ein guter Fährtenleser läßt sich dadurch nicht irre machen. Er weiß selbst bei Barfußtapfen diejenigen eines Weißen von denen eines Roten auf den ersten Blick zu unterscheiden.«
»Das wäre viel! Fuß ist doch Fuß!«
»O nein! Erstens setzt der Weiße beim Gehen seinen Fuß aus-, der Rote aber einwärts; das ist die Folge einer Verschiedenheit des Körperbaues, besonders der Beckengegend. Und sodann ist der Rote, eben weil er, wie hier in Südamerika, barfuß geht, oder, wie in Nordamerika leichte, absatzlose Mokassins trägt, fast ausnahmslos mit Plattfuß gesegnet, während der Weiße eine hohe Fußbeuge besitzt. Die Folge davon ist, daß der Barfußtapfen des Roten glatt gedrückt ist, während derjenige des Weißen in der Mitte eine Erhabenheit zeigt. Bei dem ersteren sind die Zehen weniger, weil er mit dem ganzen Fuß auftritt, bei dem letzteren aber mehr eingedrückt, weil er mit Ferse, Zehen und nur dem auswärts liegenden Rande des Fußes schreitet.«
»Wenn Sie es in dieser Weise erklären, so leuchtet es mir freilich ein. Um die Roten irre zu machen, müssen wir also mit einwärts gerichteten Füßen laufen und die Füße platt aufsetzen.«
»Ich glaube nicht, daß die Mbocovis so scharfsinnig sind, auch hierauf zu achten. Sie werden unsere Spur nur daraufhin ansprechen, ob sie barfuß ist oder nicht, und damit basta.«
Wir hatten die Stiefel ausgezogen. Ich hing mir die meinigen auf den Rücken und dachte nun endlich auch an den Coatibraten, den wir ganz vergessen hatten. Wir speisten köstlich im Gehen und kümmerten uns nicht darum, daß wir wieder eine Sandöde zu durchqueren hatten. Diese war viel breiter als die vorige, und der Morgen begann zu dämmern, als wir sie hinter uns bekamen und eine Gegend erreichten, welche aus lehmigem Boden bestand, der allerlei Kräuter und kurzes Strauchwerk trug. In den Ästen dieser Büsche hingen dürre Halme, Grasstengel und anderes Zeug, ein sicheres Zeichen, daß wir uns einem größeren Gewässer näherten, welches zur Regenzeit seine niedrigen Ufer überschwemmte und später beim Zurücktreten diese Hochwasserzeichen an den Sträuchern hängen ließ. Dann trafen wir bald auf Bäume, die ich nicht kannte, auch noch nicht gesehen hatte.
»Das sind die Carapas, von denen die Lagune ihren Namen hat,« erklärte Pena. »Ich denke, daß wir nun bald das Wasser erreichen werden.«
»Wir brauchen uns nur dahin zu wenden, wo wir den üppigsten Pflanzenwuchs bemerken, und das ist geradeaus.«
»Das denke ich auch. Aber nun wollen wir die Stiefel wieder anziehen; sie noch weiter zu tragen, hat keinen Zweck, und es ist auch nicht notwendig, daß die Roten hier uns mit nackten Füßen sehen.«
»Die Roten – – das bringt mich auf eine Frage, auf welche ich schon längst hätte kommen sollen. Können Sie sich mit den Tobas-Indianern verständigen?«
»Sie etwa?«
»Keine Spur! Ihre Sprache ist mir gerade so unbekannt wie das Innere des Mondes.«
»So bin ich Ihnen doch einmal überlegen. Ich spreche diese Mundart noch besser als diejenige der Mbocovis.«
»So bin ich beruhigt. Wir müssen jeden Augenblick erwarten, Tobas zu begegnen, und wenn wir ihnen nicht erklären könnten, daß wir als Freunde kommen, so wäre wohl gar zu gewärtigen, daß sie ihre Blasrohre auf uns richteten.«
»Vor denen Sie einen gewaltigen Respekt zu besitzen scheinen!«
»Das leugne ich nicht. So ein heimtückischer Pfeil oder Stachelbolzen ist ein Ding, mit welchem man nicht spaßen darf.«
Wir gingen nun langsamen Schrittes weiter, die Augen nach allen Richtungen offen, damit uns nicht etwa die Anwesenheit eines Menschen entgehen könne. Aber es war keiner zu sehen.
Schon befanden wir uns nicht mehr im Freien, sondern unter dem gefiederten Laubdache eines geschlossenen Waldes, welcher ausnahmslos nur aus Carapabäumen bestand. Der Boden desselben war weich, und es befanden sich viele alte und neue, große und kleine Fußspuren in demselben; aber von denen, welche diese Eindrücke hervorgebracht hatten, war kein einziger zu sehen oder zu hören.
Dann sahen wir Wasser schimmern. Wir erreichten das Ufer und sahen die Lagune vor uns liegen. Sie verdiente weit mehr den Namen eines Sees, denn die Wasserfläche dehnte sich weit hinaus nach rechts, links und vorn und ließ kein gegenüberliegendes Ufer erkennen.
»Sonderbar!« meinte Pena. »Die Zeit, in welcher man wach zu werden pflegt, ist längst vorüber und doch kein einziger Mensch zu sehen!«
»Das verursacht mir weniger Schmerzen als der Umstand, daß wir auch keine Wohnungen entdecken.«
»Wir müssen den Spuren nachgehen!«
»Versuchen Sie es doch einmal! Ihrer sind so viele, und sie laufen so in und nach allen Richtungen durcheinander, daß sie uns unmöglich als Wegweiser dienen können. Wir müssen eben weiter gehen, um zu suchen. Die Hütten liegen auf jeden Fall in der Nähe des Wassers; halten wir uns an dieses, so müssen wir sie finden.«
Aber wir suchten vergeblich. Endlich nach langer Zeit hörten wir ein lautes Zeichen menschlicher Nähe. Der heisere Schrei eines Raubvogels ertönte in der Luft, und gleich darauf krachte ein Schuß.
»Wo war das? Rechts oder links?« fragte Pena, indem er stehen blieb.
»Links,« antwortete ich. »Der Schall täuscht zwar im Walde leicht; aber ich glaube mich nicht zu irren.«
Wir wandten uns in die angedeutete Richtung und erreichten einen Gegenstand, welcher meine höchste Verwunderung erregte, da ich so etwas hier in dieser Gegend gar nicht hatte vermuten können. Das war nämlich ein Felsblock, dessen Seite lotrecht wohl an die vierzig Ellen emporstieg.
»Ein Stein!« sagte Pena. »Hier im Chaco ein Stein! Wie mag der hierher gekommen sein!«
»Sie haben vollständig recht, zu erstaunen. Auch ich hätte es nicht für möglich gehalten. Sollte es ein so riesiger erratischer Block sein? Aber welche ungeheuere Kraft wäre es, die ihn von den fernen Cordilleren bis hierher gewälzt hat?«
»Was ist's für Gestein?«
»Das kann man nicht sagen, weil der Fels mit einer dicken Schicht von Flechten vollständig überzogen ist. Man muß sie entfernen. Aber jetzt haben wir anderes zu thun. Gehen wir um den Block herum! Vielleicht finden wir jenseits, was wir suchen.«
»Ja, gehen wir! Merken Sie nicht, daß es hier keine Fußspuren giebt?«
»Ja. Das ist auffällig, da in so geringer Entfernung ihrer so zahlreiche zu finden sind. Wollen die Arbeit verkürzen. Gehen Sie rechts und ich links um den Fels. Drüben treffen wir uns.«
Er folgte dieser Aufforderung; auch ich schritt weiter, indem ich den Boden genau untersuchte. Es war wirklich auffällig, daß die Spuren in der Nähe dieses Felsens aufhörten. Ich mußte daran denken, daß der viejo Desierto von den Tobas-Indianern heilig gehalten werde. Ich bog um die erste Ecke – hier dieselbe Erscheinung wie jenseits derselben. Bis auf eine gewisse Entfernung Spuren in Menge, nach dem Felsen hin aber nicht!
Letzterer hatte die Form eines fast regelmäßig viereckigen riesigen Quaders. Seine Länge war gewiß sechzig Ellen, seine Breite annähernd auch so viel. Die Seiten fielen lotrecht ab, und es war ganz unmöglich, daß jemand da hinaufgelangen könne. Die Bäume des Waldes reichten so nahe zu ihm heran, daß sie ihn mit ihren Zweigen berührten. Als ich um die zweite Ecke bog, sah ich Pena um die dritte kommen. Noch waren wir nicht in der Mitte dieser Seite zusammengetroffen, so sagte er:
»Keine einzige Fußspur am Felsen und auch kein anderes Zeichen, daß es hier Leute giebt!«
Ich wollte antworten, nahm aber das Wort von der Zunge zurück; denn ich sah etwas, was mich fast bestürzt machte.
Von links her aus dem Walde kamen nämlich die sehr deutlichen Stapfen zweier Menschen; mir zur Rechten zeigte der Fels einen breiten aber nicht tiefen Spalt, so regelmäßig, wie durch Kunst hineingearbeitet. In diesem Spalte stand eine Algarobe, an deren Stamm diese Stapfen aufhörten, ohne zurückzukehren. Auch Pena sah diese Spuren. Er betrachtete sie, blickte an dem Baume empor, schüttelte den Kopf und sagte:
»Hier sind zwei Menschen gewesen!« Ganz gewiß! Und zwar Indianer.«
»Sie sind bis an den Baum gekommen und nicht wieder zurückgegangen; nicht wahr, Sennor?«
»So ist es! Wohin müssen sie also sein, menschlicher Logik nach?«
»Hinauf auf den Baum!«
»Auf dem Baume befinden sie sich nicht, denn seine Belaubung bildet zwar nach außen eine dichte, grüne Wand; im Innern dieses Wipfels, welcher einer Laube gleicht, sind aber alle Äste und Zweige so deutlich zu sehen und zu überblicken, daß zwei menschliche Personen unsern Augen unmöglich entgehen könnten.«
»Vielleicht täuschen wir uns in diesen Spuren?«
»Nein. Die Männer sind barfuß gewesen. Der Boden ist feucht, und ihre Stapfen haben sich sehr deutlich abgezeichnet. Die Zehen sind nach dem Baume gerichtet. Hier sehen Sie ganz nahe am Stamme sogar Spuren, welche nur die Eindrücke der Zehen, nicht aber der Fersen zeigen. Das ist ein Zeichen, daß diese Leute hinaufgeklettert sind und, indem sie sich streckten, um mit den Händen den untersten Ast zu erreichen, die Fersen hoben und nur auf den Zehen standen. Hinauf sind sie also ganz gewiß. Und wenn nicht mehr auf dem Baume, so sind sie anderswo, jedenfalls im Felsen.«
»Man sieht doch kein Loch!«
»Das wird verschließbar sein. Betrachten wir uns den Stamm einmal genau! Der Baum ist alt und seine Rinde rauh und zerrissen; aber sehen Sie, daß sie an gewissen Stellen des Stammes und der Äste ganz glatt ist?«
»Ja. An den Ästen da, wo sie aus dem Stamme kommen!« »Das ist vom Klettern. Wenn diese Stellen so glatt poliert sind, so ist das ein Zeichen, daß der Baum sehr oft erklettert wird. Und nun betrachten Sie sich die Äste! Auch ihre Rinde ist rauh, aber der starke Ast, der erst bis an die Felswand reicht und sich dann umbiegt, ist auch glatt. Folglich haben die Kletterer ihn benutzt, um den Felsen zu erreichen. Was sie gethan haben, können wir auch thun. Also hinauf jetzt!«
Ich überzeugte mich, daß meine Gewehre fest über den Rücken hingen, und langte nach dem untersten Aste empor.
»Gott stehe mir bei!« sagte Pena. »Sie wollen hinauf? Sie wissen ja gar nicht, wen und was es da oben giebt!«
»O, das weiß ich sehr genau. Da oben wohnt el viejo Desierto, den wir suchen. Die beiden Indianer, welche hinaufstiegen, sind wohl seine Diener und werden sich bei ihm befinden.«
»Wollen wir nicht lieber rufen?«
»Nein. Jedenfalls befindet sich das Indianerdorf in der Nähe. Machten wir Lärm, so kämen die Leute herbei und würden uns wohl einen feindseligen Empfang bereiten, da wir uns in die Nähe dieses Heiligtumes gewagt haben. Ich will mich direkt an den Desierto wenden.«
»Das ist noch gefährlicher als das erstere!«
»Nein. Wenn Sie sich fürchten, so bleiben Sie unten!«
»Fürchten? Fällt mir nicht ein! Ich wollte nur den ungewöhnlichen Umständen Rechnung tragen. Ich werde Sie natürlich nicht allein hinauf lassen und komme also mit!«
Die Algaroben sind sonst nicht allzu hoch; diese aber besaß eine bedeutende Höhe. Der erwähnte glatte Ast stieß ungefähr da an den Felsen, wo sich die Höhenmitte desselben befand, also zwanzig Ellen über dem Erdboden. ich kletterte hinauf, und Pena folgte mir auf dem Fuße. Als wir den Ast erreicht hatten, erblickten wir, was uns von unten entgangen war, einen starken Strick, welcher gerade über und parallel mit ihm an den Stamm und drüben an den Felsen befestigt war, so daß man sich an ihm festhalten konnte, wenn man den kurzen Weg vom Baume nach dem Steine aufrecht gehend und nicht auf dem Aste reitend und rutschend zurücklegen wollte.
»Da sehen Sie,« sagte ich, »eine ganz praktikable und bequeme Einrichtung! Wer weiß, wie hübsch das Innere dieses äußerlich so verheißungslos aussehenden Felsens ausgestattet ist.«
»Aber wie kommen wir hinein? Es giebt ja keine Thüre!«
»Wir kommen genau so hinein wie die Bewohner. Eine Thüre muß es geben; vielleicht findet man sie, wenn man sie sucht.«
Ich schritt, mich mit der Hand an dem Seile festhaltend, über den Ast hinüber; dort mußte unbedingt der Eingang sein. Der Fels war auch hier mit grauen und grünen Flechten und Moosen überzogen, aus denen, wie es schien, eine dünne, verwitterte Wurzel herunterhing. Flechten haben keine solchen Wurzeln; ein andres Gewächs gab es nicht, zu dem sie hätte gehören können, folglich war mir ihr Zweck sofort klar. Ich ergriff sie und zog an ihr – – wahrhaftig, ich hörte den leisen, unterdrückten Klang einer Glocke!
Ich trat zwei Schritte zurück, um Platz für die Thüre zu lassen, welche jedenfalls nach außen zu öffnen war. Pena stand dicht hinter mir; der Ast war stark genug, mehr als uns beide zu tragen.
Da wurde die Felsenwand geöffnet. Ich sah eine Holzthüre, deren Außenseite künstlich mit den Flechten bekleidet worden war, so daß man sie von ihrer Umgebung nicht zu unterscheiden vermochte. Sie war so hoch und breit, daß zwei Männer neben einander hätten eintreten können.
Der sie öffnete, war ein Indianer. Er trug lange, sehr weite Leinenhosen und eine Ärmelweste, weiter nichts. Waffen sah ich nicht an ihm. Er war überzeugt gewesen, daß ein Kamerad von ihm Einlaß begehre. Als sein Blick aber auf uns fiel, so fehlte nicht viel daran, daß er vor Schreck zusammengebrochen wäre. Er hätte alles andere eher für möglich gehalten, als das Erscheinen zweier fremder, weißer Männer da oben auf dem Baume und vor der Thüre des so sorgfältig und ängstlich gehüteten Geheimnisses. Er wollte sprechen oder gar schreien, brachte aber kein Wort, keinen Laut hervor. Sein Mund stand offen; seine Augen traten weit hervor, und er zitterte am ganzen Körper.
Pena sagte einige Worte, welche ich nicht verstand, zu ihm; er antwortete nicht und starrte uns noch immer an. Da that ich kurz entschlossen drei Schritte vorwärts, schob ihn zurück und trat ein. Pena folgte sofort.
Da endlich erhielt der Indianer die Sprache oder vielmehr seine Stimme zurück, denn was er that, das war kein Sprechen, auch kein Schreien und Rufen, o nein! Es gibt kein Wort, welches die Töne zu bezeichnen vermag, die dieser Mann ausstieß, indem er von uns fort und in das Innere des Felsens hineinrannte. Man denke sich sämtliche Instrumente einer Militärkapelle verstimmt und dann unisono angeblasen, so hat man, nicht etwa den Ton, o nein, aber doch eine kleine Ahnung des Tones, welchen der Entsetzte aus seinen Stimmwerkzeugen preßte. Und dieses Gebrüll bekam in dem engen, dunkeln Gange, in welchem wir uns befanden, eine so verstärkte Resonanz, daß man hätte meinen mögen, es schrien hundert Teufel, welche abgestochen werden sollten, um Hilfe.
»Kommen Sie rasch,« bat ich Pena. »Hier wollen wir uns nicht empfangen oder gar abfertigen lassen.«
Wir schritten, so schnell es die Finsternis gestattete, vorwärts und gelangten an eine Thüre, weiche ich aufstieß. Was ich erblickte, fesselte mir den Fuß, so daß ich unter der Thüre stehen blieb. Vor mir lag ein kleines Stübchen, dessen Wände schwarz angestrichen und mit weißgemalten Totenköpfen ›verziert‹ waren. Von der ebenso schwarzen Decke hingen wohl zehn oder zwölf wirkliche Totenköpfe an Schnüren bis zu Manneshöhe hernieder. Linker Hand stand ein schwarz verhangenes Gebetspult mit einem Kruzifix, zwei Totenköpfen und einem brennenden Lämpchen. Rechter Hand sah ich ein wirklich elendes Lager, nur aus harter Streu und weiter nichts bestehend. Und mir gegenüber war eine Thüre gerade in demselben Augenblicke aufgegangen, in welchem ich hüben die meinige öffnete, und vor mir stand ein Mann, dessen Anblick ich nie vergessen werde.
Seine lange, skelettartige Gestalt war in einen schwarzen, talarartigen und bis auf die nackten Füße reichenden Rock gekleidet. Der glänzende Schädel war vollständig kahl, ohne jede Spur von Haar. Die Augen lagen so tief in den Höhlen, daß man denken konnte, man sehe sie gar nicht. Die Wangen waren so eingefallen, daß sie sich im Innern des Mundes fast berührten. Aber der starke, volle, glänzend silbergraue Bart, welcher bis auf den Gürtel niederreichte, war eine Greiseszier, die ihresgleichen suchte. Das Gesicht zeugte von unendlicher Entsagung. In den Zügen lag eine tiefe Traurigkeit, ein überwältigendes Herzeleid, für welches es keine Heilung giebt. Dies sah man, obgleich in diesem Augenblicke der Zorn und die Überraschung die Oberhand über das ausdrucksvolle Mienenspiel besaßen. Er stand wie der drohende Engel des Todes unter der geöffneten Thüre und rief in dumpfem Tone in spanischer Sprache:
»Ihr Verwegenen, ihr seid in diese Wohnung eingedrungen! Wisset, daß ihr verloren seid!«
»Nein,« antwortete ich in ruhigem Tone. »Wir wissen das weder, noch glauben wir es!«
Er musterte mich mit drohendem Blicke und fuhr dann fort:
»Wer hat euch nach der Laguna de Carapa gebracht?«
»Niemand. Wir haben sie selbst gefunden.«
»Und wer zeigte euch den Weg nach meiner Algaroba?«
»Kein Mensch.«
»Aber ihr seid herauf in diese Wohnung gekommen. Es muß euch doch jemand gesagt haben, daß sie hier liegt?«
»Sie irren. Es hat keiner uns gesagt, daß hier jemand wohnt. Wir haben keinen einzigen Menschen gesehen, also auch mit niemandem sprechen können.«
»Aber ihr habt doch den Baum erklettert! Folglich müßt ihr wissen, daß er die Treppe zum Felsen bildet!«
»Wir sahen Fußstapfen, welche bis an den Baum, aber nicht wieder zurückführten. Er war also erklettert worden. Und da sich niemand auf demselben befand, so mußte es hier oben eine Höhle oder überhaupt einen Ort geben, in welchem diese Leute verschwunden waren.«
»Ich höre, daß ihr sehr verwegene und gefährliche Menschen seid. Ihr kommt an diesen Ort, ergründet auf den ersten Blick dessen Geheimnisse und drängt euch in dieselben ein, ohne um die Erlaubnis zu fragen. Kein Fremder darf erfahren, daß ich hier im Felsen wohne. Wenn es einer weiß, so sagt er es weiter, und das darf nicht sein. Wer sich mit List oder Gewalt eindrängt, den muß ich unschädlich und stumm machen. Ihr werdet diesen Ort lebendig nicht wieder verlassen.«
Er sprach diese Worte, bei denen er drohend die Hand erhob, mit solcher Bestimmtheit aus, daß ich gar nicht daran zweifeln konnte, daß er gewillt sei, sie wahr zu machen. Dennoch antwortete ich in zuversichtlichem Tone:
»Ich denke nicht, daß Sie diesen Vorsatz ausführen werden! Der Ausgang steht uns offen. Wir brauchen nur zu gehen.«
»Ihr würdet nicht weit kommen, denn selbst wenn ihr das Freie erreichtet, so würden meine Krieger euch festnehmen. Ich brauche nur ein Zeichen zu geben, so eilen sie herbei.«
»Es wäre ihnen unmöglich, so schnell hier zu sein, weil sie bei den Chiriguanos sind.«
»Ah! Das weißt du?«
»Ja. Ich weiß, daß sie gegen diese Indianer gezogen sind.«
»So seid ihr Spione, welche sich um unsere Angelegenheiten bekümmern. Ich habe also doch richtig gedacht, als ich euch für gefährliche Menschen hielt. Verlaßt euch nicht auf eure Vermutungen! ja, die meisten meiner Leute sind zwar fort, aber es sind ihrer mehr als genug zurückgeblieben, um euch zu überwältigen!«
»Wir werden uns wehren. Wir haben Waffen!«
»Dazu kommt ihr gar nicht, denn ihr werdet die Algaroba gar nicht erreichen.«
»Weißt du nicht, daß die Thüre noch offen steht?«
Ich zeigte hinter mich. Er lachte kurz auf und antwortete:
»Sie wird sich sofort schließen. Paßt auf!«
Er zog an einer Schnur, welche neben ihm an der Thüre niederhing, und ein Schlag, welcher hinter uns ertönte, gab mir den Beweis, daß die Thüre nun geschlossen worden sei. Wir kannten den Mechanismus nicht und konnten also nicht fliehen. Übrigens lag das letztere gar nicht in unserer Absicht.
»So!« sagte er. »Ihr seid gefangen. Gebt eure Waffen an mich ab!«
»Meinen Sie? Das werden wir wohl bleiben lassen. Zwei so kräftige Männer, wie wir sind, haben es unter keinem Umstande nötig,- sich einem Einzigen zu ergeben.«
»Ich bin nicht allein. Überzeugt euch!«
Er trat vollends herein und dann zur Seite, damit wir sehen konnten, wer oder was sich hinter ihm befunden hatte. Dort schien eine zweite Stube zu liegen; wenigstens war es kein schmaler Gang, in welchem zwei Indianer standen, in deren einem ich den erkannte, welcher uns geöffnet hatte. Sie hatten jeder ein Blasrohr in der einen und einen winzig kleinen, jedenfalls vergifteten Pfeil in der andern Hand. Das war gefährlich, zumal sie jetzt, da sie unsere Augen auf sich gerichtet sahen, die Pfeile in die Rohre steckten.
»Wenn das alle Ihre Hilfstruppen sind, so sieht es schlecht um Sie aus!« sagte ich. »Der eine dieser Männer ist vor uns ausgerissen, und der andere wird wohl auch nicht mehr Mut besitzen.«
»Er lief aus Schreck davon, weil es für ihn unmöglich war, sich zu denken, daß fremde Leute an der Thüre sein könnten. Ihr habt denselben Eindruck auf ihn gemacht, welchen eine Gespenstererscheinung selbst auf den mutigsten Mann hervorbringt. Nun diese beiden aber wissen, daß ihr Menschen seid, fürchten sie euch nicht. Also gehorcht, und gebt augenblicklich eure Waffen ab, sonst werdet ihr dazu gezwungen!«
»Hören Sie uns vorher an! Sie haben doch noch gar nicht gefragt, was wir hier wollen.«
»Das brauche ich nicht zu fragen. Ich behandle euch als Eindringlinge, welche ihr seid.«
»Aber wir kommen in ganz freundlicher Absicht!«
»Schweigen Sie! Ich kenne dieses Gelichter. Ein Roter wiegt bei mir mehr als zehn Weiße, die sich im Gran Chaco nur in der Absicht herumtreiben, die Indianer gegen einander aufzuhetzen und dabei ihren Vorteil zu finden. Ich leide und dulde keinen Weißen hier bei uns. Sie alle sind Spitzbuben und noch Schlimmeres. Und wer so verwegen ist wie ihr, der ist doppelt und zehnfach gefährlich!«
»Sie irren sich, in uns wenigstens. Wir kommen, um Ihnen einen dankenswerten Dienst zu erweisen.«
»Lügen Sie nicht!« fuhr er mich an, indem er sich infolge meiner Ausdrucksweise nun doch veranlaßt sah, mich auch Sie zu nennen. »Sie wollen mich dadurch einschläfern, was Ihnen aber nicht gelingen wird.«
»Ich spreche die Wahrheit. Wir wollen Sie warnen!«
»Warnen?« lachte er auf. »Das haben Sie ganz und gar nicht nötig. Ich brauche von Leuten Ihres Schlages nicht gewarnt zu werden, denn ich bin mir selbst genug.«
»Wenn dies der Fall ist, so müssen Sie freilich sehr sicher sein, daß Ihnen nicht einmal ein unerwartetes Unglück geschehen kann!«
»Das bin ich auch. Wenn Leute Ihres Schlages mit einer Warnung kommen, so weiß man, woran man ist! Warnen Sie mich vor Ihnen! Das wird das einzig Richtige sein.«
»Aber, Sennor, Sie befinden sich wirklich in Gefahr, von den Mbocovis überfallen zu werden.«
»Danke!« lachte er höhnisch auf. »Aber diese Lüge ist schlecht erfunden!«
»Es ist die Wahrheit!« versicherte ich ihn.
»Können Sie es beweisen?« fragte er.
»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort!«
»Lassen Sie das! Ein Mann wie Sie hat keine Ehre, und also kann von einem Ehrenworte keine Rede sein!«
»Herr, Sie beleidigen uns mehr und mehr! Daß Sie uns unfreundlich empfangen, mag durch die Art und Weise unseres Eindringens entschuldigt werden. Worte aber, wie Ihre letzten sind, müssen wir uns verbitten!«
Auch ich war zwei Schritte vorgetreten und befand mich nun so wie er in dem so sehr an den Tod erinnernden Raume. Pena folgte mir und stellte sich neben mich.
»Ereifern Sie sich nicht!« antwortete der Alte, indem er eine Handbewegung machte, welche seinen Zweifel und auch seine Verachtung aufs deutlichste ausdrückte. »Es wird wohl bei dem bleiben, was ich gesagt habe. Woher wissen Sie denn, daß die Mbocovis mich überfallen wollen?«
»Wir haben sie belauscht.«
Er sah mich von der Seite her an und antwortete:
»Ich bin überzeugt, daß Sie nicht gelauscht haben.«
»Sennor, fast verstehe ich Sie nicht! Sie sind doch der Mann, welchen man el viejo Desierto nennt?«
»Der bin ich allerdings.«
»Nun, so befinden wir uns also am richtigen Orte, denn el viejo Desierto ist es, welcher überfallen werden soll, und zwar von den Mbocovis.«
»O, das glaube ich gern, daß diese Roten diese Absicht haben, denn sie sind unsere allerschlimmsten Feinde. Ich bin auch vollständig überzeugt, daß Sie uns warnen wollen!«
»Nun, dann sehe ich Ihrerseits keinen Grund, uns so zu behandeln, wie Sie es thun! Wenn wir Sie vor einem Überfalle warnen, so ist das doch wohl ein Dienst, für welchen Sie uns Dankbarkeit schulden!«
»Eigentlich, ja! Leider aber bin ich auch überzeugt, daß Sie diesen Dienst nicht mir, sondern sich selbst erweisen wollen. Der Fuchs warnt die Henne vor dem Marder, um sie selbst ,fressen zu können.«
»Sennor!« rief ich aus, denn ich wurde nun wirklich ärgerlich.
»Pah! Spielen Sie nicht den Zornigen! Ich weiß, woran ich bin! ja, vielleicht würde ich in Ihre Falle gehen; aber unglücklicherweise für Sie wurde mir schon einmal eine ähnliche gestellt; ich ging hinein und hatte dann große Mühe, wieder herauszukommen. Das habe ich mir sehr gemerkt, und darum wird alle Ihre Anstrengung fruchtlos sein!«
»Aber haben Sie denn das Recht, einen Menschen für einen Schurken zu halten und ihm das sogar in das Gesicht zu sagen, weil ein anderer, den Sie unter ähnlichen Verhältnissen kennen lernten, einer war? Ich an Ihrer Stelle würde vorher prüfen.«
»Das ist nicht notwendig. Ich habe Sie gesehen und kenne Sie!«
»Donner und Wetter!« entfuhr es dem guten Pena. »Das ist stark!«
»Aber wahr!« antwortete der Alte. »Ich bin Menschenkenner und kann mich auf meine Augen verlassen. Also Sie sind gefangen und haben Ihre Waffen abzugeben. Wollen Sie augenblicklich gehorchen oder nicht?«
»Nein!« antwortete Pena in sehr bestimmtem Tone.
»Und Sie?«
Diese Frage war an mich gerichtet. Eigentlich hätte ich mich fügen können und auch fügen sollen, denn es mußte sich ja herausstellen, daß wir es ehrlich meinten; aber sein beleidigendes und auch vollständig unmotiviertes Auftreten hatte mich in Zorn versetzt. Und wer sagte mir denn, daß es dann, wenn er zur Einsicht seines Irrtums kam, noch Zeit sein werde, die Mbocovis zurückzuschlagen? Vielleicht sperrte er uns den ganzen Tag ein. Dann kam der ›Schwiegersohn‹, überfiel das Indianerdorf, erfuhr die Wohnung des Alten und ich geriet mit diesem in die Hände der Mbocovis. Das mußte vermieden werden, und so konnte es mir also nicht einfallen, mich diesem Manne, welcher in seinem blinden Mißtrauen gar nicht prüfte, freiwillig zu überliefern.
»Nein,« antwortete ich kurz.
»Sie wollen sich wehren?«
»Ja.«
»Dann sind Sie verloren! Tretet ein!«
Die beiden Indianer kamen herein und richteten ihre Blasrohre auf uns, der eine das seinige auf mich und der andere das seinige auf Pena.
»Nun, haben Sie auch jetzt noch Mut?« fragte der Alte höhnisch.
Die Situation war freilich gefährlich. Es bedurfte nur eines leisen Hauches in die Rohre, so bekamen wir die vergifteten Pfeile in den Leib; aber ich sah, daß die Roten die Rohre noch nicht an den Mund genommen hatten, und antwortete:
»Gewiß! Versuchen Sie es immerhin, wer die Oberhand behält, wir oder Sie!«
»Natürlich wir! Sehen Sie dieses Messer! Die Spitze desselben ist auch vergiftet. Nur einen kleinen Ritz in Ihre Haut, und Sie sind nicht zu retten!«
Er brachte unter seinem Talar ein Messer hervor, welches er mir entgegenhielt. Unsere Lage war eine ganz und gar eigenartige. Rundum und über uns Totenköpfe, vor uns dieser Mann mit seinem vergifteten Messer und dazu die beiden auf uns gerichteten und so gefährlichen Blasrohre! Aber mochte es Leichtsinn oder etwas anderes sein, es kam mir vor, als ob ich mich schämen müßte, diesem alten Manne und seinen beiden Rothäuten zu gehorchen. Nein, sie sollten sehen, daß wir selbst ihr Gift nicht fürchteten.
»Pah!« antwortete ich. »Wenn ich will, so wird dieses Ihr Messer Ihnen gefährlicher als mir!«
»Mann, Sie sind wahnsinnig!«
Am Gegenteile! Ich bin sehr bei Sinnen und befinde mich gerade jetzt in derselben guten Laune wie vorhin Sie.«
»So will ich Sie von dieser Laune befreien, Passen Sie auf! Ich zähle bis zwei, und Sie haben Ihre Waffen hier vor mir auf den Boden zu legen. Thun Sie das nicht, so sage ich drei, und meine Leute blasen Ihnen den augenblicklichen Tod in den Leib!«
»Mögen sie blasen! Wollen sehen!«
jetzt starrte er mich ganz betroffen an. Er hielt mich wirklich für nicht recht bei Sinnen. Dann aber drohte er:
»Ganz wie Sie wollen! Also ich beginne. Eins – – zwei – –«
Er kam nicht weiter. Ich hatte nur drei Schritte weit von ihm gestanden. Ich sah, daß die Indianer, welche neben einander standen, die Rohre an den Mund nahmen. Ich sprang blitzschnell zwischen die Rohre hinein, faßte eins mit der Rechten, das andere mit der Linken, riß sie den Indianern aus den Händen, ließ sie fallen, ergriff den einen bei der Brust, schleuderte ihn meinem Gefährten zu und rief:
»Pena, nieder mit diesem!«
Dann schlug ich dem andern Roten die Faust gegen die Schläfe, daß er zusammenbrach, und wendete mich gegen den Alten. Dieser hatte mit Zählen innegehalten. Mein Angriff war ihm so überraschend gekommen, daß er den Mund noch offen hatte; doch erhob er die Hand, in welcher er das Messer hielt. Ich kam von der Seite an ihn, gab ihm einen Hieb auf den Arm, daß er das Messer fallen ließ, faßte ihn mit beiden Händen bei der Kehle, riß ihn nieder und gab ihm die Faust gegen den Kopf, so daß er die Augen schloß und, als ich die Hände wieder von ihm nahm, regungslos liegen blieb.
jetzt sah ich mich nach Pena um. Er kniete auf dem Roten, den ich ihm zugeschleudert hatte, und hielt ihm die Kehle zu.
»Ist er besinnungslos?« fragte ich.
»Nein,« antwortete er. »Der Kerl macht nur aus Angst die Augen zu. Soll ich ihn erstechen?«
»Nein. Wir binden sie alle drei. Es wird hier wohl einige Schnüre geben.«
»Ich habe mehrere in der Tasche. Und wenn sie nicht reichen, so schneiden wir die Kleider der Rothäute in Fetzen.«
Er zog einige Schnüre aus der Tasche, und ich half ihm, seinen Indianer so zu binden, daß er sich nicht regen konnte. Dann schlang ich den Lasso los und umwickelte mit demselben den Alten, der nun gewiß kein Glied zu rühren vermochte. Dem zweiten Indianer zogen wir die Jacke aus, welche wir in Streifen schnitten, mit denen nun auch er gebunden wurde.
»So!« sagte ich, als wir damit fertig waren. »Jetzt sind wir die Herren der Situation.«
»Das hat er freilich nicht für möglich gehalten, und ich selbst auch nicht,« gestand Pena.
»Nicht? Sie sagten ja auch, daß Sie sich nicht ergeben wollten!«
»Ich dachte, ihn von seinem Verlangen abzubringen, war aber doch, falls er bei demselben blieb, entschlossen, ihm zu gehorchen. Gegen diese Giftpfeile kann man doch nicht aufkommen!«
»Das sagen Sie, während wir soeben das Gegenteil bewiesen haben?«,
»Ja, wie das so schnell gekommen ist und wie es möglich wurde, darüber bin ich mir selbst nicht klar. Aber, was thun wir nun?«
»Wir betrachten uns die anderen Räume, welche es giebt. Wir müssen das schon aus Vorsicht thun, da es möglich ist, daß sich noch andere Leute hier befinden. Vor allen Dingen aber wollen wir nach dem Eingang zurück, um zu sehen, ob wir öffnen können. Nehmen Sie das Licht!«
Wir gingen durch den Gang nach der Thüre; sie war zu; es gab kein Schloß, keine Klinke, keinen sichtbaren Riegel.
»Jetzt sind wir eingeschlossen und können nicht hinaus!« sagte Pena. »Das kann gefährlich werden!«
»O nein! Selbst wenn wir den Mechanismus nicht entdecken, haben wir den Alten in der Hand, den wir zwingen können, ihn uns zu zeigen. Leuchten Sie einmal in die Höhe, gegen die Decke!«
Er that dies, blickte empor und sagte zugleich:
»Das ist's! Zwei Drähte, rechts und links einer!«
»Der eine wird zum Öffnen und der andere zum Schließen sein. Der alte Desierto kann beides von seiner Stube aus thun. Versuchen wir es einmal. Die Thüre ging links auf; also muß man, um sie zu öffnen, am linken Drahte ziehen.«
Ich that dies, und die Thüre sprang auf. Wir blickten hinaus nach der Algaroba und hinunter nach dem Stamm derselben. Es war kein menschliches Wesen zu sehen. Dann zog ich an dem rechten Drahte, und die Thüre fiel mit starkem Geräusch zu; sie wurde von einer verborgenen Feder geschlossen. Dem Mechanismus weiter nachzuforschen, gab es keine Zeit. Wir kehrten zurück und sahen, daß es außer der Schnur, an welcher der Alte gezogen hatte, noch eine zweite gab, eine an der rechten Seite der Thüre zum Öffnen und eine an der linken zum Schließen.
Der Indianer, welchen Pena niedergeworfen hatte, war bei Besinnung. Er hatte die Augen offen und folgte uns mit ängstlichem Blicke. Die andern beiden waren noch ohnmächtig. Pena legte dem ersteren einige Fragen vor, erhielt aber keine Antwort.
»Der Kerl schweigt,« sagte er. »Nun, es ist auch nicht nötig, daß er uns Auskunft giebt. Wir werden schon selbst finden, was wir suchen.«
Wir verließen die Totenkopfstube und gelangten in eine zweite, welche größer war. In derselben stand ein Tisch mit mehreren Stühlen. An den Wänden hingen Waffen der verschiedensten Art, Messer, Pistolen, Flinten, auch zwei Revolver, Pfeile, Köcher, Bogen und Schilde, Blasrohre.
Dann kam ein noch größerer Raum, in welchem eine lange Tafel stand, um die sich gegen zwanzig Stühle reihten. Das Ganze hatte das Aussehen eines Versammlungssaales. Die Tafel hatte natürlich nicht von draußen hereingeschafft werden können, sondern sie war hier oben gezimmert und zusammengesetzt worden.
An diesen Raum stieß ein kleinerer, in welchem ein roh gearbeiteter, verschlossener Schrank stand, daneben ein Tisch, auf welchem ich ein Schreibzeug erblickte. Weiter gehend, kamen wir in eine Küche. Da gab es allerlei Geschirr, nicht nur solches, welches man zum Kochen der Speisen braucht, sondern auch allerlei Geräte, Tiegel, Flaschen- und anderes, was man bei Personen findet, die sich mit Chemie beschäftigen.
»Sollte der Alte ein Apotheker sein?« meinte Pena.
»Möglich! Wenigstens scheint er zu quacksalbern. Gehen wir weiter!«
»Finden Sie nicht auch sonderbarerweise, daß die Luft in diesen unterirdischen Räumen ausgezeichnet ist? Gar nicht dumpf und moderig, wie man erwarten sollte!«
»Der Alte hat für Ventilation gesorgt. Sehen Sie das runde Loch hier in der Decke? Diese Öffnung geht nach oben.«
»Es muß eine ungeheure Arbeit erfordert haben, diese Gemächer aus dem Felsen zu meißeln!«
»Ja, wenn sie wirklich ausgemeißelt sind. Zu einer solchen Arbeit hätte es vieler Leute und einiger Jahre Zeit bedurft. Dieser Felsen ist – – –«
Ich klopfte an die mit Kalk getünchte Wand.
»Horch! Das ist nicht Felsen, sondern ganz weiches Mauerwerk. Es klingt wie Holz und Lehm. Doch das kann uns wenigstens für jetzt nicht interessieren. Wir müssen weiter gehen.«
Die Wohnung hatte wirkliche Thüren, aus gehobelten Brettern zusammengesetzt und mit Riegeln und Klinken versehen, ein wahres Wunder hier im Gran Chaco und dazu in diesem Felsen!
Im nächsten Raume stand ein hohes Regal mit allerlei Gefäßen, welche zugebunden waren. Auch Flaschen gab es, fest verstöpselt und mit Etiketten versehen. Während Pena leuchtete, nahm ich einige derselben in die Hand, um die Schrift zu lesen. Es waren lateinische Bezeichnungen von Arzneien. Dieser Raum schien die Apotheke des Alten zu sein. Vielleicht war er nicht nur der Anführer, sondern auch der Arzt seiner Indianer. Dem Regale gegenüber stand ein schmaler, sehr fest gearbeiteter Tisch und auf demselben ein Kasten aus starkem Eisenblech, welcher durch drei Hängeschlösser verschlossen war. Ich versuchte, ihn zu heben, doch gelang es mir durch das Aufbieten aller Kraft nicht, ihn auch nur um ein Haar breit fortzurücken. Bei näherer Besichtigung bemerkten wir, daß der Kasten angeschraubt war. Indem Pena seine Hand auf denselben legte, sagte er:
»Das ist's wohl, was der Schwiegersohn haben will. Ich glaube, daß wir da den Geldschrank des Alten haben.«
Er lachte dabei, denn er hatte im Scherz gesprochen. Ich aber antwortete ihm:
»Sie vermuten jedenfalls das Richtige.«
»Nicht möglich! Ein Geldschrank hier!!«
»Nun, wo ein so kunstvoll gearbeiteter Kasten gefertigt wird, da ist auch Geld zu haben, Papiergeld und silberne Pesos. Sie haben ja gehört, daß der viejo Desierto jährlich einmal nach Santiago geht. Der ›Schwiegersohn‹ hat es gesagt und ihn dort getroffen.«
»Wofür sollte der Alte das Geld bekommen?«
»Wer weiß es! Geht uns auch gar nichts an, wenigstens vorläufig nicht. Gehen wir jetzt weiter!«
Durch die nächste Thüre kamen wir in einen sehr großen, weiten Raum, welcher einem Vorratsgewölbe glich und dessen Decke von starken, hölzernen Pfeilern getragen wurde. Er hatte eine sehr bedeutende Länge und Breite, so daß der Schein unseres Lichtes nur einen kleinen Teil desselben zu erhellen vermochte.
Dieser Raum war rund an den Wänden mit in Basthüllen eingewickelten und sorgsam verschnürten Paketen bis an die Decke angefüllt. Auch in der Mitte waren lange Reihen dieser Pakete, so daß sie schmale Gänge zwischen sich bildeten, aufgestapelt. Es lagen mehrere einzelne Päcke am Boden. Ich hob einen derselben auf; er war leichter, als seine Größe hatte erraten lassen, und gab ein leises, knirschendes, prasselndes Geräusch.
»Rinden!« sagte ich. »Gewiß nichts anderes als Rinden.«
»Ah! Sollte der Alte ein Kollege von mir sein? Ein Cascarillero?«
»Warum nicht?«
»Das wäre ja höchst interessant! Aber welch eine ungeheure Menge da aufgestapelt liegt! Das muß doch Tausende von Pesos ergeben!«
»Nun, ihm kann es nicht schwer sein, solche Vorräte zu sammeln. Die Wälder hat er ja in der Nähe, und Arbeitskräfte stehen ihm genug zur Verfügung. Seine Indianer werden für ihn sammeln.«
»Ja. Er hat die Rinde dann nur nach dem Rio Salado zu schaffen und dort ein Floß zu bauen, um sie gut an den Mann zu bringen.«
»Dafür bekommt er Geld, und dieses Geld bringt er mit zurück und legt es in den Geldschrank. So ist das Vorhandensein desselben erklärt. Lassen Sie uns sehen, was es noch weiter giebt!«
»Sollte die Felsenwohnung noch größer sein? Wer hätte das vorhin vermuten können, als wir den kahlen, scheinbar unersteiglichen Stein vor uns liegen sahen! jetzt soll mir jemand sagen, daß es keine Wunder mehr giebt!«
Ich war gerade so erstaunt wie er. Dieser viejo Desierto war jedenfalls ein ganz ungewöhnlicher, ja bedeutender Mensch, welcher an anderer Stelle wohl auch eine andere und bedeutendere Rolle gespielt hätte. Aber wer weiß, was für Schicksale ihn nach dem Gran Chaco getrieben hatten; denn daß er nicht in demselben geboren sei, das hielt ich für gewiß, obgleich er einen solchen Widerwillen gegen Fremde und Weiße gezeigt hatte.
Das nächste Gemach bildete wieder einen Vorratsraum. Die Vorräte bestanden aber nicht in Rindenpaketen, sondern in Sätteln, welche an den vier Wänden hingen. Es waren ihrer wohl über fünfzig vorhanden.
»Sollte dieser Mann Pferde haben?« fragte Pena.
»Wahrscheinlich! Seine Indianer wird er wohl nicht satteln, um spazieren zu reiten.«
»Aber Indianer des Gran Chaco, und Pferde, und gar solche Sättel!«
»Warum nicht? jetzt traue ich dem Alten alles Ungewöhnliche zu. Man weiß ja, daß die Tobas-Indianer an Gesittung über den anderen roten Völkern stehen. Vielleicht haben sie das zu einem nicht geringen Teile diesem Einsiedler zu verdanken. Suchen wir jetzt weiter! Schau, dort hinten scheint es eine Treppe zu geben!«
Wir sahen keine weitere Thüre; aber in der hinteren Ecke führten Stufen empor, hölzerne Stufen, ganz regelrecht übereinander gefügt. Wir stiegen empor und kamen an eine Thür, welche nur angelehnt war; als wir sie aufstießen, befanden wir uns im Freien.
Die Thür war nicht etwa eine Fallthüre, sondern eine stehende. Über der Treppe war nämlich ein hölzerner Verschlag errichtet, ganz ähnlich den Treppenhäuschen der Schiffskajüten.
Also wir befanden uns im Freien, aber wir hatten nicht etwa einen Ausblick auf den Wald, auf die Umgebung des Felsens, sondern rundumher stieg eine Mauer auf, welche sicher eine Höhe von fünfzehn Ellen hatte. Das aber war es nicht, was unsere Verwunderung zuerst in Anspruch nahm, sondern unser Staunen wurde durch etwas ganz Anderes erregt. Wir befanden uns nämlich in einem – – Garten, ja in einem regelrecht angelegten und sorgfältig gepflegten Garten mit Gemüsebeeten, Beeten, auf denen Melonen gezogen wurden, Beeten mit allerlei Blumen und Blüten. An ihren Rändern standen blühende Rosenstöcke. Ganz im Hintergrunde lag ein hölzernes, schuppenartiges Gebäude, und an jeder Ecke gab es eine Laube.
Wir gingen zwischen den Beeten zunächst nach dem ersteren. Dort fanden wir Hacken, Spaten und Schaufeln, außerdem eine Menge anderer Werkzeuge, welche hier im Garten gar nicht gebraucht wurden. Pena kannte sie. Es waren Ausrüstungsstücke für Rindensucher. Dann gingen wir nach der nächsten Ecke, in die Laube.
In derselben stand eine Bank. Pena setzte sich nieder, legte die Hände zusammen, sah mich an und fragte:
»Hätten Sie das gedacht? Hätten Sie so etwas vermutet?«
»Nein, gewiß nicht.«
»Ich auch nicht. Hier, mitten im wilden Chaco einen Gemüse- und Blumengarten, wie man ihn in Buenos Ayres gar nicht hübscher sehen kann! Das ist wirklich erstaunlich! Das ist ein Wunder!«
»Das Vorhandensein dieser Wohnung ist nicht allzu erstaunlich. Der Alte hat den Felsen auf seinen Streifzügen entdeckt und ihn zu seinem Gebrauche ausgebaut. Aber, daß er einen solchen Garten angelegt hat, das begreife ich freilich nicht. Er ist jedenfalls ein Ascet, der das Leben von der strengsten Seite zu nehmen scheint. Und nun dieser Blumenflor, diese Lauben, und – sehen Sie, diese Aussicht!«
Innerhalb der Laube befanden sich rechts und links von der Mauerecke je eine viereckige, fensterähnliche Öffnung, welche von einem Vorhange grüner Blätter bedeckt waren. Ich schob das Gewinde zur Seite, und wir konnten nun über die Bäume weg weit in die Ferne blicken.
»Auch diese Fenster beweisen, daß er ein Mann von Überlegung ist,« sagte Pena. »Da sie durch diese Blätter bedeckt werden, kann man sie von unten nicht sehen. Aber wie er rundum auf den Rändern des Felsens eine so hohe Mauer hat errichten können, das ist nicht zu begreifen. Im Gran Chaco giebt es keine Steine.«
»Aber doch Lehm, um Ziegel zu brennen! Wir haben doch vorhin, als wir kamen, gefunden, daß der Boden lehmig ist.«
»Hm! So hat er seine Indianer als Ziegelstreicher und Maurer arbeiten lassen!«
»Höchst wahrscheinlich. Das ist aber vor nun schon langer Zeit gewesen, denn die Flechten und Moose haben auch die Mauer ganz bedeckt, so daß sie von dem eigentlichen Felsen, dem Fundamente, von außen gar nicht zu unterscheiden ist. Gehen wir einmal nach der nächsten Laube. Dort werden wir vielleicht das andere Ufer der Lagune sehen können.«
Wir schritten weiter durch die zwischen den Beeten hinführenden Gänge, welche anstatt des Sandes mit weicher Rindenlohe beschüttet waren, die das Geräusch unserer Schritte dämpfte. Die Laube, welcher wir uns näherten, war so dicht von großblätterigen Winden umrankt, daß wir von weitem nicht in das Innere sehen konnten. Darum erschrak ich fast, als uns aus derselben eine weibliche Stimme entgegentönte:
»Nun, Tio, hast du fortgeschickt? Ich möchte den Vogel doch haben, da ich ihn so gut getroffen habe.«
Diese Stimme klang mild und glockenrein; sie sprach spanisch. Wir beide blieben stehen und sahen einander an.
»Alle Wetter!« flüsterte Pena. »Eine Sennora!«
»Oder gar Sennorita!« lächelte ich ihm zu. »Nehmen Sie Ihr Herz in acht.«
»Pah! Mir wird keine gefährlich, weil keine mich mag. Aber eine Frau, ein Mädchen hier! Ich komme aus der Verwunderung gar nicht heraus!«
»Es ist freilich seltsam. Sie ist des Alten Nichte, das heißt ein Wesen, welches ich mir nicht so ganz und gar uralt vorstellen kann.«
»Himmel! Wollen wir vollends hin zu ihr?«
»Natürlich! Sie hat uns ja gehört.«
»Gehen wir lieber zurück! Wir haben nicht das Aussehen von Leuten, welche sich vor einer Dame verbeugen dürfen!«
Fast hätte ich laut gelacht. Dieser wackere Pena fürchtete sich vor einem weiblichen Wesen. Er sah es mir an und fügte hinzu:
»Stellen Sie sich eine junge, saubere Sennorita vor! Was soll die von uns denken, wenn sie uns in diesem Aufzuge erblickt!«
»Nun, so überaus zart und so weiter ist die Dame jedenfalls nicht!«
»Meinen Sie? Warum?«
»Erstens befindet sie sich im Gran Chaco; zweitens lebt sie mitten unter Indianern, und drittens scheut sie den Pulverrauch nicht.«
»Woher wissen Sie das?«
»Sie haben doch auch den Schuß gehört? Sie hat nach dem Raubvogel geschossen und ihn auch getroffen, wie sie soeben sagte.«
»Ja, so ist es. Na, eine Sennora, welche schießt, die wird es uns wohl nicht übelnehmen, daß wir keinen Frack und weiße Handschuhe mit nach dem Chaco gebracht haben. Also, mutig vorwärts!«
»Tio!« erklang es jetzt wieder aus der Laube. »Warum antwortest du nicht?«
»Weil er es nicht ist, den Sie gehört haben,« sagte ich, indem ich fünf oder sechs Schritte that, welche mich dem Eingang der Laube nahe brachten. Pena folgte mir. Ich konnte in das kleine, allerliebste Rankenhäuschen blicken. Dort saß ein Mädchen, welches bei meinem Anblicke auf das höchste erschrocken von dem Sitze auffuhr und dabei einen lauten Schreckensruf ausstieß. Pena glaubte, nachdem ich gesprochen hatte, nun auch einige Worte sagen zu müssen, und fragte, indem er sich verneigte, in beruhigendem Tone:
»Sind Sie erschrocken, Sennorita? Fürchten Sie sich nicht! Wir thun Ihnen nichts.«
Die Halbindianerin – denn daß sie das war, sah ich ihr an – hatte die eine Hand an die Pfoste des Einganges gelegt; die andere hielt sie an das Herz. Ich sah sie zittern, so sehr war sie erschrocken.
Sie trug ein ganz einfaches, bis auf den Boden herabfallendes, aus weißem Kattun bestehendes Gewand, eigentlich ein Hemd mit langen Ärmeln, welches über den Hüften von einem Gürtel aus rotem Zeuge zusammengehalten wurde. Das dichte, rabenschwarze Haar hing in zwei dicken Zöpfen weit über den Rücken herab. Ihr Gesicht war bräunlich gefärbt, schön gerundet und zeigte nicht die vorstehenden Backenknochen der indianischen Rasse. Sie hätte sich in Beziehung auf Schönheit mit jeder weißen Porteña messen können.
Daß sie leise zitterte, war wohl nicht eine Folge angeborener Ängstlichkeit. Sie lebte in tiefster Einsamkeit, unter Roten, bei denen sich selten ein Weißer sehen ließ. Sie hielt sich hier für allein, an einem Orte, den ein Fremder unmöglich aufzufinden vermochte. Und nun traten wir beide, die wir allerdings jetzt ein sehr wenig vertrauenerweckendes Aussehen haben mochten, vor sie hin; das mußte auch die Furchtloseste in tiefen Schreck versetzen.
Neben der Stelle, auf welcher sie gesessen hatte, lehnte das abgeschossene Gewehr an der Bank. Ihr kleines Händchen glitt langsam von der Pfoste nieder, griff dann mit einer schnellen Bewegung nach der Flinte, hielt uns dieselbe entgegen, und während die erbleichten Wangen wieder Farbe bekamen und die dunklen Augen zu leuchten begannen, fragte das schöne Mädchen in drohendem Tone:
»Wer sind Sie? Was wollen Sie hier?«
»Bitte, legen Sie das Gewehr immerhin beiseite!« antwortete ich. »Wir sind nicht als Feinde gekommen.«
»Haben Sie schon mit meinem Oheim gesprochen?« fragte sie.
»Natürlich!«
»Ja, es ist richtig,« sagte sie, indem sie das Gewehr weglegte. »Sie müssen ihn gesehen und mit ihm gesprochen haben, sonst könnten Sie nicht hier sein. Aber warum kommt er nicht mit?«
»Er hat infolge unserer Ankunft schnell einiges zu thun, wird aber bald nachfolgen.«
»Und warum haben Sie nicht unten Ihre Waffen abgelegt?«
»Weil wir beabsichtigen, nicht sofort wieder hinabzugehen, sondern hier zu bleiben. Doch werden wir uns nun jetzt ihrer entledigen, da es scheint, daß der Anblick derselben Ihnen unangenehm ist.«
»Unangenehm?« fragte sie, indem ein stolzes Lächeln über ihr Gesicht glitt. »Ah, Sie beurteilen mich nach Ihren Frauen! Ich fürchte die Waffen nicht, sondern ich liebe sie und bin im Gebrauch derselben geübt. Sie sind es ja, ohne welche wir nicht leben könnten. Doch, setzen Sie sich!«
Wir lehnten unsere Gewehre an die Mauer, und traten in die Laube, welche Raum für vielleicht sechs Personen bot. Als wir uns ihr gegenüber gesetzt hatten, musterte sie uns mit einem langen, offenen Blicke und sagte dann:
»Mein Tio muß ein großes Vertrauen zu Ihnen hegen, da er Ihnen sein Geheimnis so ganz und gar offenbart. Diesen Garten hat bisher nur ein Einziger betreten dürfen.‹,
Bei diesen Worten wurde ihr Gesicht plötzlich starr und finster, so daß ich unwillkürlich fragte:
»Und dieser Eine war kein guter Mensch?«
»Woher wissen Sie das?« fuhr sie auf.
»Ich vermute es.«
»Nein, Sie wissen es!«
»Gewiß nicht!«
»Sie kennen ihn! Sie haben ihn gesehen! Wo befindet er sich?«
Ihre Augen funkelten wie diejenigen der Jaguarete, wenn sie sich auf ihre Beute stürzen will.
»Beruhigen Sie sich, Sennorita! Ich kenne ihn wirklich nicht.«
»Warum sprachen Sie von ihm?«
»Weil Sie selbst seiner erwähnten.«
»Aber Sie behaupteten, daß er kein guter Mensch sei!«
»Weil ich es Ihnen ansah, daß Sie ihn nicht für einen solchen halten.«
Sie warf mir einen erstaunten Blick zu und sagte:
»Haben Sie das in meinem Gesicht gelesen? Nun wohl, Sie haben sich nicht getäuscht. Er ist ein Meineidiger, und – – ich hasse ihn!«
Sie ballte die kleinen Hände und drückte die Lippen fest zusammen. Wir hatten noch nicht zwei Minuten lang miteinander gesprochen, und ich kannte schon das Leid, welches sie in ihrem jungen Herzen trug. Das konnte nur bei so einem Naturkinde möglich sein.
Auch in dieser Laube befanden sich zwei Maueröffnungen. Vor der einen war der Rankenvorhang zur Seite geschoben, so daß man hinaus auf den See blicken konnte; sie deutete hinaus und sprach:
»Aus dieser Gegend müßte er kommen, dort, dem östlichen Ufer der Lagune entlang. Ich habe täglich nach ihm geschaut, aber er ist nicht gekommen. Ich hasse ihn!«
Da täuschte sie sich. Sie liebte ihn noch. Und wenn sie ihn jetzt gesehen hätte, dort drüben an der Lagune, so wäre ihr Gesicht wohl nicht so zornig geblieben, wie es jetzt war.
Wir beide sagten nichts. In sogenannter feiner Gesellschaft hätten wir eine Generalpause vermeiden müssen; hier aber durften wir uns ganz nach unserer Stimmung verhalten. Das Mädchen machte einen ganz eigenen Eindruck auf mich; es war, als ob ihr Herz und ihr ganzes Wesen offen vor mir liege, und doch saß sie als ein Geheimnis vor mir, dessen Enthüllung man unterläßt, weil es einem heimlich graut. Nach einiger Zeit fuhr sie fort, wie nur zu sich selbst sprechend:
»Ja, ich hasse ihn, denn er war ein Weißer.«
»Sie hassen die Weißen, Sennorita?« fragte ich.
»Ja. Sie lügen alle; sie sind treulos!«
»Vielleicht haben Sie einen oder auch einige kennen gelernt, welche diesen Eindruck auf Sie gemacht haben. Aber es giebt Millionen von Weißen. Meinen Sie, daß sie alle so sind, wie dieser Eine oder diese Einige?«
»Ja, alle sind so! Ich habe sie kennen gelernt, in San Antonio, wohin der Tio mich that, damit ich eine Dame werden solle.«
»Sie sind es geworden, Sennorita!«
Ich glaubte, ihr damit ein Kompliment zu machen, hatte mich aber sehr getäuscht, denn sie blitzte mich an:
»Nein, ich bin keine; ich will keine sein und auch keine werden! Ich wollte eine werden – – wegen ihm; aber er ist nicht gekommen.«
»Also hat es Ihnen in San Antonio nicht gefallen?«
»Nein. Und dennoch wäre ich geblieben, wenn die Menschen gut gewesen wären. Sie waren freundlich, und hinter dem Rücken sprachen sie Schlechtes von einander. Alle waren falsch, und alle waren schlecht. Ich bin entflohen.«
»Wie? Hoffentlich hat der Tio Sie zurückgeholt!«
»Nein; ich bin selbst gekommen.«
»Sie hätten diese weite Reise, welche durch die Wildnis führt, allein unternommen? – Eine Dame, welche – –«
»Ich bin keine Dame!« unterbrach sie mich zornig. »Nennen Sie mich nicht so! Ich wollte fort, zurück zu meinem Stamme. Man erlaubte es mir nicht. Da fiel es mir ein, daß ich die Herrscherin der Toba bin und daß kein Christ mir etwas zu befehlen hat. Als alle schliefen, nahm ich das Gewehr des Herrn, zu dem der Tio mich gebracht hatte, sein Messer und den Sattel; ich holte sein bestes Pferd und ritt davon. Nach fünf Tagen war ich bei den Meinen angekommen und gehe nicht wieder von ihnen fort!«
Der gute Pena machte ein höchst verblüfftes Gesicht; er war das leibhafte Erstaunen. Er konnte auch nicht damit zurückhalten, sondern fragte:
»Aber, Sennorita, haben Sie denn den Weg gewußt?«
»Ja, ich war ihn schon geritten, als der Tio mich hinbrachte.«
»Und da haben Sie es gewagt, sich zurechtzufinden? Fünf Tage lang!«
»Warum nicht?«
»Wovon haben Sie denn gelebt?«
»Von der Jagd.«
»So können Sie sich also auf Ihr Gewehr verlassen?«
»Ich habe vorhin einen Falken geschossen. Der Tio ging fort, um ihn mir holen zu lassen.«
Er hatte den Diener nicht fortschicken können, da mittlerweile wir gekommen waren. Ich war neugierig, in welchem Verhältnisse sie zu ihm stand, und fragte daher:
»Der Tio hat Sie wohl seit der frühesten Kindheit gepflegt?« »Nein. Ich lernte ihn erst kennen, als er zu uns kam.«
»So ist er nicht Ihr wirklicher Verwandter?«
»Nein; aber er hört es gern, wenn ich ihn Tio nenne. Er liebt mich so, daß ich ihn Vater nennen möchte; aber das duldet er nicht.«
»Wie lange ist es her, seit er sich hier befindet?«
»Elf Jahre. Ich zählte damals sechs.«
»Wo kam er her?«
»Aus Europa.«
»Wissen Sie das Volk, welchem er angehört?«
»Ja.«
»Wie heißt es?«
»Das darf ich nicht sagen; er hat es mir verboten.«
»Wissen Sie, warum niemand wissen soll, woher er gekommen ist?«
»Nein. Er hat sein Land verlassen, weil diejenigen, welche dort wohnen, ihn töten wollten.«
»Sie nannten sich die Herrscherin der Tobas. Wer ist der Häuptling derselben?«
»Das Volk der Tobas zerfällt in mehrere Stämme, deren jeder einen Häuptling hat. Die Herrscherin über alle aber bin ich, und der Tio regiert sie an meiner Stelle.«
»Wie kommt es, daß kein männlicher Herrscher vorhanden ist?«
»Der vorherige Herrscher war mein Großvater, und dieser ist tot. Der letzte Herrscher aber ist fortgegangen und nicht wiedergekommen.«
»Warum nicht?«
»Ich will es Ihnen erklären. Die Familie der Könige, welche über die Tobas herrschen, ist so alt wie das Volk selbst. Mein Großvater war der letzte Sprosse derselben. Er hatte keinen Sohn, sondern eine Tochter. Nach den Gesetzen der Toba mußte diese die Königin werden, und derjenige, den sie liebte, wurde der Herrscher. Alle Jünglinge des Volkes, welche sich durch Kraft, Tapferkeit oder Klugheit ausgezeichnet hatten, bewarben sich um ihre Gunst, aber sie mochte keinen von ihnen, denn sie liebte einen Weißen, der zu uns gekommen war. Die Ältesten traten zusammen, um zu beraten, und sie machten ihn zu ihrem Herrscher, denn er wurde der Mann meiner Mutter. Als ich geboren war, ging er auf die Jagd und kehrte nicht zurück. Mit ihm war auch das viele Gold verschwunden, welches die Toba aus den Bergen geholt hatten und das den Schatz des Volkes bildete.«
»So ist er vielleicht auf der Jagd verunglückt!«
»Nimmt man viele Pfunde Gold mit, wenn man zur Jagd geht?«
»Allerdings nicht. Aber hat man gesehen, daß er es nahm?«
»Nein.«
»So kann auch ein anderer der Dieb gewesen sein!«
»Nein. Wenn ein Toba das Geld gestohlen hätte, so hätte man später gesehen, daß er reicher geworden sei. Mein Vater war der Dieb, denn er war ein Weißer. Ich antwortete dir, daß niemand wieder von ihm gehört hat. Das ist auch wahr. Gehört hat keiner von ihm; aber gesehen hat ihn einer in einer großen Stadt, welche Montevideo heißt. Der Mann, einer unserer Krieger, war als Führer dorthin gekommen und sah meinen Vater, seinen entflohenen Herrscher, in einem prächtigen Wagen fahren.«
»Menschen sehen einander ähnlich!«
»Er war es, denn der Krieger ist dem Wagen nachgesprungen, der bald darauf vor einem schönen Hause gehalten hat. Als mein Vater ausstieg, trat der Krieger zu ihm und nannte ihn beim Namen. Mein Vater erkannte ihn und nahm ihn mit in das Haus. Er wollte ihm Geld geben, damit er schweige. Der Krieger nahm das Geld nicht; er erfuhr, daß mein Vater ein neues Weib habe, und als er ging, war sein Messer rot.«
»Ah! Was hat er gethan?«
»Was jeder Toba gethan hätte.«
»Herrgott! Deinen Vater hat er erstochen! Graut dir nicht dabei, wenn du daran denkst?«
»Nein. Er war ein Verräter; ihm ist sein Recht geschehen.«
Sie sagte das so kalt, als ob sie von dem fremdesten Menschen spreche. Dann fuhr sie fort:
»Meine Mutter hatte ihn sehr lieb gehabt; als er fort war, wurde sie krank und starb. Nun bin ich die Königin.«
»Und der, den du zum Manne nimmst, wird Herrscher deines Volkes?«
»Ja. Aber die Tobas werden keinen König wieder haben.«
»So willst du dich nicht verheiraten?«
»Nein. Auch er ist fort und kommt nicht wieder. Ich freue mich, daß ich sein Weib nicht geworden bin. Der Tio sagte, ich sei noch zu jung dazu. Er hätte mich auch verlassen, wenn er mein Mann geworden wäre.«
»Wer war er denn?«
»Ein Cascarillero.«
»Jung?«
»Jung und schön, stark und mutig. Alle Mädchen liebten ihn; aber er liebte nur mich, doch auch nur so lange, bis er ging.«
»Vielleicht kehrt er noch zurück?«
»Nein. Die Zeit, welche wir ihm stellten, ist doppelt verflossen.«
»Hat er euch auch bestohlen?«
»Ja.«
»Hm! Ich frage darnach, weil, wenn er in dieser Beziehung ehrlich gewesen wäre, Hoffnung vorhanden sein würde, daß er dennoch treu geblieben ist. Was hat er gestohlen?«
»Geld, viel Geld vom Tio und dem Stamme.«
»Dann wäre er ein ebenso gewissenloser Mensch, wie dein Vater war. Wie lange ist er hier gewesen?«
»Mehrere Jahre. Der Tio fand ihn verwundet in dem Walde und brachte ihn nach der Lagune, um ihn zu heilen. Er gewann ihn lieb und erlaubte ihm, bei uns zu bleiben. Er nahm ihn stets mit, wenn er ging, um Gold zu suchen oder Cascarilla zu sammeln. Dann liebten wir uns, und die Häuptlinge traten zur Beratung zusammen, wie damals bei meiner Mutter. Sie wollten Nein sagen und mich zwingen, einem aus meinem Volke meine Hand zu geben; aber der Tio hatte ihn auch lieb gewonnen und sprach für ihn und mich. Da gaben sie ihre Erlaubnis. Darauf kam die Zeit des Jahres, in welcher wir die Cascarilla nach dem Flusse schaffen. Der Transport erreichte denselben; unsere Leute bauten ein Floß und luden die Cascarilla darauf. Es wurde bemannt, und er machte den Anführer, denn er sollte die Cascarilla nach Santa F6 schaffen, sie dort verkaufen und dann mit dem Gelde zurückkommen. Unsere Ruderer kehrten zurück. Sie hatten ihn bis zum Schiffe begleitet, in welches die Cascarilla übergeladen worden war; er aber ist entflohen.«
»Wenn es so steht, so kannst du nicht behaupten, daß er ein Dieb sei. Er kann verhindert gewesen sein, sein Wort bis jetzt zu halten.«
»Das hoffte ich und glaubte es gern; nun aber ist meine Hoffnung vorüber. Der Tio hat einen Boten nach Santa F6 gesandt und erfahren, daß die Cascarilla verkauft und das Geld dafür ausgezahlt wurde. Ist das nicht der Beweis, daß der Verräter gestohlen hat?«
»Nein. Es ist Krieg in jenen Gegenden, und der Weg nach hier führt durch das Gebiet feindlicher Indianer. Wer weiß, wo er sich befindet, wo er steckt! Wer weiß, ob er noch lebt!«
Sie blickte durch das Fenster hinaus auf den See. Ihre harten, starren Züge, die das Gesicht in den letzten fünf Minuten angenommen hatte, wurden weicher und immer weicher, und in mildem Ton fragte sie:
»Sennor, meinen Sie, ich brauchte noch nicht zu zweifeln?«
»Das ist meine Ansicht. Selbst wenn er nie zurückkehren sollte, haben Sie kein Recht, ihn für einen Lügner, einen Meineidigen und Dieb zu halten. Dieses Recht haben Sie erst dann, wenn Sie beweisen können, daß er noch lebt und sich das fremde Geld unrechtmäßigerweise angeeignet hat.«
»Ich danke Ihnen, Sennor! Sie haben Recht. Mein Herz war hart geworden. Ich will ihn nicht hassen. Vielleicht kommt er noch zurück. Aber sagten Sie nicht, daß der Tio auch in den Garten kommen wolle? Was hat er zu thun? Sie sind seine Gäste, und ich muß Sie doch bewirten.«
Ich nahm, als ob ich es betrachten wolle, ihr Gewehr in die Hand. Es war noch nicht wieder geladen. Das beruhigte mich, denn diesem Mädchen war es zuzutrauen, wenigstens den Versuch zu machen, auf uns zu schießen.
»Er kann noch nicht kommen,« antwortete ich, indem ich das Gewehr an seinen Platz zurückstellte.
»Warum?«
»Er hat einen großen Fehler begangen, welcher ihn verhindert, so schnell bei Ihnen zu sein.«
»Welchen Fehler?«
»Das sollen Sie hören, und ich hoffe, daß Sie klüger sein werden, als er gewesen ist. Nicht wahr, Ihre Krieger sind auf einem Zuge gegen die Chiriguanos entfernt, und Ihr Dorf liegt unbeschützt gegen Feinde da?«
»Nein, es blieben einige Krieger zurück; die anderen sind alle fort.«
»Das ist sehr wenig. Wenn es nun einem Feinde einfallen sollte, Sie zu überfallen?«
»Den würden wir zurückjagen,«
»Mit nur einigen Männern?«
»Die brauchen wir gar nicht einmal dazu.«
»So! Wer soll denn kämpfen?«
»Wir Mädchen.«
»Ah! Sind die Mädchen Ihres Stammes so kriegerisch?«
»Sie waren es nie, und wir haben auch noch nicht ernstlich gekämpft. Aber seit ich weiß, daß mein Volk keinen König haben wird, sondern nur mich als Königin, habe ich die jungen Mädchen um mich versammelt und mir aus ihrem Kreise die stärksten, gewandtesten und mutigsten zur Leibgarde ausgewählt. Der Tio macht ihren Lehrer, und ich glaube, daß wir ebenso tapfer kämpfen würden wie die Männer.«
»Auch gegen die Mbocovis?«
»Gegen diese erst recht! Sie sollen nur kommen; sie waren es, welche den verwundet hatten, den ich liebe!«
»So sind Sie ihnen eigentlich nicht Rache, sondern Dank schuldig, denn dadurch haben Sie Ihren Geliebten kennen gelernt. Aber ich spreche nicht ohne Absicht von ihnen. Sie haben sich wirklich aufgemacht, um die Laguna de Carapa zu überfallen.«
»Was? Wirklich? Woher wissen Sie das?«
»Wir lagen in ihrer Nähe und hörten sie sprechen.«
Das Mädchen stand langsam und ruhig von ihrem Sitze auf, lehnte sich gegen die Mauer, kreuzte die Arme über die Brust und sagte:
»Das müssen Sie mir ganz genau erzählen, Wort für Wort! Ich muß alles, alles wissen, um dann bestimmen zu können, was geschehen soll!«
Eine andere wäre erschrocken oder sonst erregt von der Bank aufgesprungen und hätte vielleicht geklagt und gejammert. Ganz anders diese hier. Sobald sie erfuhr, daß dem Dorfe eine Gefahr drohe, war sie mit einemmale so kalt und besonnen, wie ein alter Krieger, welcher weiß, daß von seinen Dispositionen der Sieg abhängt.
Ich erzählte ihr den ganzen Hergang bis zu dem Augenblicke, an welchem ich draußen auf dem Baume die Schnur zur Klingel gezogen hatte. Bis hierher hatte sie mich mit keinem Worte unterbrochen, jetzt aber rief sie mir erschrocken zu:
»Das haben Sie gewagt, wirklich gewagt?«
»Ja.«
»Und Sie haben den Tio noch nie gesehen und noch nie mit ihm gesprochen?«
»Ich sah und sprach ihn heute, vorhin zum ersten Male.«
»Sennor, so wundert es mich, daß ich Sie beide vor mir sehe! Erzählten Sie es mir nicht selbst, so würde ich schwören, daß sie tot seien. Damit, daß Sie sich in sein Geheimnis einschlichen, haben Sie Ihr Leben verwirkt.«
»Handhabt er das wirklich gar so streng?«
»Ja. Ich wiederhole Ihnen, es ist ein großes Wunder, daß ich Sie lebend und unverletzt hier sehe.«
»Nun, wenn es nach ihm gegangen wäre, so wären wir allerdings nicht mehr am Leben.«
»Wer ließ Sie ein?«
Ich erzählte ihr den Hergang.
Sie stand mit über der Brust gekreuzten Armen da und hörte mir zu, ohne ein Wort zu sagen, ja ohne eine Miene zu verändern. Nur als ich ihr berichtete, daß wir die drei gefesselt hatten, unterbrach sie mich mit der Frage:
»Aber sie sind nicht tot?«
»Nein; sie leben noch.«
»So fahren Sie fort!«
Sie hörte mir bis zum Ende zu, ohne die geringste Erregung zu zeigen, nur in ihren Augen glänzte ein öfteres Leuchten, welches bewies, daß sie innerlich nicht so ruhig sei wie äußerlich. Als ich dann fertig war, ließ sie die Hände sinken, legte mir die Rechte auf die Achsel und sagte:
»Sennor, der Oheim hatte ganz recht, als er behauptete, daß Sie ein gefährlicher Mensch seien, gefährlich nämlich für Ihren Feind. Zu uns aber sind Sie als Freund gekommen und werden es uns wohl auch bleiben!«
»Ich beabsichtige es allerdings, setze dabei jedoch voraus, daß ich nicht noch fernerhin beleidigt werde.«
»Sie werden kein ähnliches Wort mehr hören.«
»Was aber dann, wenn der Tio sich doch zu neuen Feindseligkeiten entschließt?«
»Ich werde mit ihm sprechen, und er muß nicht nur auf meine Stimme, sondern auch auf diejenige der Vernunft hören.«
»So gehen wir mit.«
»Ja – – oder bleiben Sie hier! Ich will es allein sein, die ihn befreit. Er ist stolz und es ist besser, er sieht Sie nicht als seine Überwinder vor sich stehen.«
»Verlangen. Sie da nicht zu viel, Sennora? Wir kennen die Geheimnisse dieses Schlupfwinkels noch nicht ganz. Wenn wir hier zurückbleiben, können sich allerlei Wolken, von denen wir keine Ahnung haben, über uns zusammenziehen!«
»Nein. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß Sie hier ganz sicher sind, daß Ihnen nichts geschieht, und daß Sie unter meinem Schutze stehen. Ist das genug? Wollen Sie mir vertrauen?«
»Ja, gehen Sie!«
Sie ließ ihr Gewehr liegen und ging. Pena blickte ihr nach, bis sie im Treppenhäuschen verschwunden war, und sagte dann:
»Wettermädchen! So eine Indianerin ist mir freilich noch nicht vorgekommen. Was meinen Sie, daß nun geschehen wird?«
»Sie wird mit dem Alten zurückkehren, und ich glaube, daß er uns um Verzeihung bittet.«
»Hm! So hoch versteigen sich meine Hoffnungen noch nicht. Er wird ein böses Gesicht machen!«
»Nur ein verlegenes. Es ist nicht angenehm, überwunden worden zu sein, nachdem man sich vorher so herrisch benommen hat.«
»Das Mädchen ist weit verständiger als der Alte. Wie sie da stand, so ruhig und stolz. Da sah man es ihr an, daß sie die Königin der Tobas ist!« sagte Pena.
»Sie können die Erfahrung machen, daß Frauen, welche die Gewohnheit besitzen, die Arme über die Brust zu kreuzen, meist energischen Charakters und festen Willens sind.«
Es verging fast eine halbe Stunde, ehe die Indianerin zurückkehrte. Sie kam nicht allein; der alte Desierto folgte ihr. Der Ausdruck seines Gesichtes war ein eigentümlicher. Scham, Ärger und ein wenig Reue, das war's, was man in demselben lesen konnte.
»Da bringe ich ihn!« sagte das Mädchen. »Er hat mir gesagt, daß er Ihnen verzeihen werde.«
Es wollte mir ein Lächeln über die Lippen schlüpfen, aber ich drängte es zurück. Warum sollte ich dem armen Manne nicht wenigstens scheinbar zugeben, daß er es sei, dem zu viel geschehen war? Er machte eine leichte Verbeugung und sagte:
»Unica hat mir mitgeteilt, wie sich die Sache eigentlich verhält. Das konnte ich nicht wissen. Wären Sie ausführlicher gewesen, so hätte ich mich anders verhalten.«
Nun, wir hatten ihm genau dasselbe gesagt wie ihr; er hatte kein Wort weniger erfahren als sie; doch fand er außer dieser keine andere Entschuldigung, und ich erleichterte ihm die Sache dadurch, daß ich ihm antwortete:
»Wir waren ohne Ihre Erlaubnis bei Ihnen eingedrungen; das mußte Ihren Zorn erregen, und so bitten wir nachträglich um Ihre Verzeihung!«
»Die haben Sie, Sennores. Nun aber ist die Hauptsache der Beweis, daß alles, was Sie uns berichten, sich auch so verhält. Wie wollen Sie den liefern?«
»Ja, Sennor, was soll ich Ihnen auf diese Frage antworten? Wenn Sie nicht unsern Worten glauben wollen, so müssen sie eben auf die Thaten warten. Wir warnen Sie, und damit sind wir am Ende unserer Aufgaben angelangt. Glauben Sie uns, dann gut! Glauben Sie uns aber nicht, nun, so können Sie ja warten, bis die Mbocovis kommen und über Sie herfallen!«
»Das letztere werde ich wohl vermeiden!«
»Behalten Sie uns hier, und wenn es sich herausstellt, daß wir die Unwahrheit gesagt haben, so schießen Sie uns eine Kugel durch den Kopf!«
Da flog doch ein kleines, ganz leises Lächeln über sein Gesicht und er antwortete:
»Sie wären mir diejenigen, denen man eine Kugel geben könnte, ohne befürchten zu müssen, daß man vorher selbst erschossen wird! Sennor, so verwegene Männer, wie Sie beide sind, habe ich noch nicht getroffen! Niemals hätte ich es für möglich gehalten, daß mir so etwas geschehen könne! Und noch dazu in meiner eigenen Klause, in Gegenwart zweier Indianer, welche so stark wie die Bären sind! Und dabei bedurfte es nur eines Hauches in die Rohre, so war es aus mit Ihnen! Wehe dem, der Sie zum Feinde hat!«
»Also, wehe den Mbocovis!«
»Betrachten Sie diese wirklich als Ihre Gegner? Was haben sie Ihnen gethan?«
»Nichts.«
»Nun, dann können Sie doch nicht von Feindschaft sprechen!«
»Eigentlich nicht; aber ich habe mich nun einmal auf Ihre Seite geschlagen und werde Ihre Feinde infolgedessen als die meinigen behandeln.«
»So würden Sie unter Umständen noch über die Warnung hinausgehen?«
»Ja; wir sind beide bereit, noch mehr zu thun.«
»Aber Sie haben doch gar kein Interesse dabei?«
Er war noch immer mißtrauisch, wie seine Fragen zeigten. Ich antwortete:
»Das Interesse eines jeden pflichttreuen Menschen, dem es ein Bedürfnis ist, Böses zu verhüten und dem Bedrängten beizustehen.«
»Aber das Recht kann auch auf der Seite der Mbocovis sein! Sie kennen weder sie noch uns!«
»Wir haben erlauscht, daß es sich um einen Raubzug handelt. Sie sollen überfallen und ausgeraubt werden. Man vermutet Reichtümer bei Ihnen und will sie Ihnen abnehmen; da kann doch gar kein Zweifel darüber herrschen, auf welcher Seite sich das Recht befindet.«
»Hm! Wenn Sie wirklich aufrichtig sprechen, so will ich es gern gelten lassen! Sie werden es begreiflich finden, daß ich gern wissen möchte, wer die Männer sind, von deren Verschwiegenheit die Aufrechterhaltung meines Geheimnisses nunmehr abhängig ist.«
»Das sollen Sie erfahren,« antwortete mein Gefährte. »Ich heiße Pena, aus Porto Allegre, ich bin Cascarillero.«
Als der Alte den Namen des brasilianischen Hafens hörte, erheiterte sich sein Gesicht. Ein Mann, der so weit von hier zu Hause ist, konnte ihm weniger schaden, als ein in der Nähe wohnender. Als er aber den Stand Penas erfuhr, verdüsterten sich seine Züge wieder. Er hatte einen Konkurrenten vor sich, und Konkurrenten ist niemals recht zu trauen.
»Cascarillero!« sagte er. »In welcher Gegend liegt Ihr Arbeitsfeld?« fragte er.
»Überall!«
»Halten Sie den Gran Chaco für reich an Rinden?«
»Natürlich!« antwortete Pena, dem es geheimen Spaß zu machen schien, den Alten zu beängstigen.
»So wollen Sie hier bleiben?«
»Möglich ist es. Es kommt darauf an, ob ich gute Kameraden finde.«
»Da warne ich Sie! Die Indianer des Gran Chaco dulden keine Weißen in ihrer Nähe.«
»Pah! Indianer giebt es überall. Ich habe sie stets da gefunden, wohin ich gekommen bin, ohne sie zu fragen, ob ich bleiben darf oder nicht. Ich mache mein Geschäft nicht von dem Willen der Roten abhängig. Wenn ich in ihrer Nähe einige Bäume abschäle, so können sie es sich ruhig gefallen lassen, denn das macht ihnen keinen Schaden.«
»Und wenn sie es aber doch nicht dulden wollen?«
»Dann habe ich hier eine gute Büchse und ein scharfes Messer, mit denen ich bisher stets zurecht gekommen bin. Und ich glaube nicht, daß man die Roten des Gran Chaco mehr zu fürchten hat als die, welche andere Gegenden bewohnen.«
»Irren Sie sich ja nicht! Hier ist die Heimat der vergifteten Pfeile, gegen welche Ihnen Ihr Gewehr und Ihr Messer gar nichts helfen können!«
»In Brasilien giebt's diese Pfeile auch, und es hat mich bisher noch keiner getroffen. Wie wir übrigens diese Dinger fürchten, das glauben wir ihnen gezeigt und bewiesen zu haben!«
Der Alte sah, daß seine Worte und indirekten Einwendungen keinen Erfolg hatten, und wandte sich nun zu mir, indem er sich erkundigte:
»Und Sie sind auch Cascarillero?«
»Nein. Wenn es Ihnen recht ist, so können Sie mich einen Viajador nennen.« Dann gab ich ihm auch meinen Namen an.
»Was, Sie sind ein Deutscher? Dann bin ich ruhig. Ein Landsmann wird doch unmöglich den andern ins Verderben stürzen.«
»Landsmann?« fragte ich überrascht.
»Jawohl! Ich bin auch ein Deutscher!«
»Was?« fragte Pena. »EI viejo Desierto ein Landsmann von uns! Wer hätte sich das einbilden können!«
Der Alte sah ihn erstaunt an und fragte:
»Auch Sie ein Landsmann? Das ist doch wohl nicht der Fall! Sie heißen doch Pena!«
»Übersetzen Sie doch einmal das Wort Pena ins Deutsche!«
Bis jetzt hatten wir uns der spanischen Sprache bedient; nun aber antwortete der Alte deutsch:
»Pena kann man übersetzen mit Schmerz, Qual, Sorge, Kummer – –«
»Halt!« fiel Pena ein. »Das ist's; so heiße ich. Kummer ist mein Name.«
»Also Sie wohnen in Porto Allegre, sind aber von drüben herüber?«
»Ja, aus Breslau.«
»Und Sie?« fragte er mich.
»Ich bin Sachse.«
»Gott sei Dank, denn da können Sie nicht – –«
Er hielt erschrocken inne. Er war in den letzten zwei Minuten ein ganz anderer geworden. Seine Stimme klang heller; seine Bewegungen waren lebhafter, jugendlicher, und sein Gesicht hatte einen beinahe glücklichen Ausdruck angenommen. Es war freilich auch eigentümlich, daß drei Deutsche sich im Gran Chaco und zwar an dieser geheimnisvollen Stelle trafen. Die Freude darüber hatte ihn zu einer Äußerung fortgerissen, die er nicht ungeschehen machen konnte. Er hatte zwar genug Besinnung gehabt, die zweite, deutlichere Hälfte zurückzuhalten, aber die ausgesprochenen Worte und die Art und Weise, in welcher er sie hören ließ, konnten uns leicht auf Vermutungen bringen, welche ihm unangenehm sein mußten.
Und, offen gestanden, kaum hatte ich sie gehört, so kam mir der Gedanke, daß er froh sei, zu erfahren, daß unsere Heimatsorte nicht in der Nähe des seinigen lagen. Ich brachte damit die Ausschmückung der Totenkopfstube in Verbindung und konnte mich des Gedankens nicht erwehren, daß es einen sehr, sehr dunklen Punkt in seiner Vergangenheit gebe, der es ihm wünschen lasse, uns in Beziehung auf sein Vorleben ein Unbekannter zu sein. Aber diese Gedanken und Schlüsse kamen nicht etwa langsam, sondern so blitzesschnell, daß ich, als er seine Worte kaum über die Lippen hatte, ihm schon antworten konnte:
»Ja, Gott sei Dank, daß wir Landsleute sind! Denn nun kann kein Mißtrauen mehr herrschen, und wir werden einander nach besten Kräften beistehen!«
Ich sagte das und brachte es so schnell nach seinen unterbrochenen Worten, daß er meinen sollte, wir hätten gar nicht auf dieselben geachtet. Aber Pena war weniger aufmerksam und zartfühlend. Er fragte:
»Dürfen nun auch wir erfahren, woher Sie sind?«
»Na-tür-lich!« antwortete der Alte in sichtlicher Verlegenheit. »Ich bin, ich – ich bin aus – –«
Er stockte. Dann raffte er sich wie unter einem Entschlusse auf, sah uns einen Augenblick prüfend an und fuhr dann fort:
»Nein, ich will Sie nicht belügen. Ich bin ein Deutscher; ich war ein Deutscher mit Leib und Seele, und das ist mein Unglück gewesen. Damals war ich Däne. Heute gehört meine Heimat zum deutschen Reiche. Heute könnte das nicht geschehen, was – – doch davon wohl später. Kennen Sie die Geschichte Schleswig-Holsteins?«
Wir bejahten.
»Ist Ihnen, als Sie davon lasen oder sprachen, vielleicht auch der Name Winter, Alfred Winter, vorgekommen?«
Ich sann nach, mußte aber verneinen; Pena auch.
»Dieser Winter bin ich. Vielleicht hören Sie meine Geschichte. Jetzt ist dazu nicht Zeit, und wir müssen uns erst kennen lernen. Die Hauptsache ist, daß wir über die Mbocovis sprechen. Vorher aber, Unica, du hast gehört, wer und was diese Herren sind – willst du sie nicht begrüßen?«
Er sagte das in deutscher Sprache zu ihr, und zu meiner lebhaften Verwunderung reichte sie uns die Hand und sagte in derselben Sprache, und zwar ziemlich fließend:
»Sie machen uns eine große Freude und sind uns nun doppelt willkommen!«
»Potztausend!« rief Pena. »Auch Sie sprechen deutsch, Fräulein Unica? Am Ende erfahren wir, daß Sie keine Indianerin sind, sondern aus München oder Wiesbaden stammen!«
»Das nicht,« sagte der Alte. »Wie ich mein Deutschland und seine Sprache liebe, so konnte ich nicht eine so lange Reihe von Jahren in dieser Einsamkeit leben, ohne die Laute derselben zu hören. Darum hat Unica mir den Gefallen thun müssen, meine Schülerin zu werden, und sie ist schnell so weit gekommen, daß sie sich auszudrücken vermochte. Später bekam sie noch einen anderen Lehrer, welcher –
Er hielt inne.
»Sprich weiter, Oheim!« forderte Unica ihn auf.
»Es thut dir wehe!« »Nein. Und diese Herren wissen schon einiges davon.« »So hast du es doch nicht hüten können!« »Ich sagte ihnen, daß ich die Weißen hasse.«
»Ja, hättest du sie nur alle gehaßt und nicht diese Ausnahme gemacht! Sie, meine Herren, sind nämlich nicht die ersten Deutschen, die sich bei mir befinden. Ich traf auf einem Streifzuge einen Verwundeten im Walde und nahm ihn mit zu mir. Er blieb bei mir, und es gelang ihm, sich unser ganzes Vertrauen zu erwerben und uns um vieles, vieles zu betrügen. Daß er ein Deutscher war, hat mir am wehesten gethan.«
»Wie hieß dieser junge Mann?« fragte ich.
»Wir haben uns das Versprechen gegeben, seinen Namen nicht mehr zu nennen.«
»Aber seinen Heimatsort dürfen Sie aussprechen?« »Ja. Er war aus Graz.«
»Also ein Deutschösterreicher! Ich möchte Sie bitten, diesen jungen Mann nicht ungehört zu verdammen. Wie lange ist es her, daß der Termin seiner Rückkehr fällig war?«
»Volle sechs Monate.«
»Das ist für die hiesigen Verhältnisse noch lange keine Ewigkeit. Wenn es Jahre wären, wollte ich mir Ihre Erbitterung oder, wenn ich besser so sage, Ihre Enttäuschung oder Hoffnungslosigkeit gefallen lassen. Aber sechs Monate! Von Buenos Ayres bis hierher ist es weit, und der Weg führt durch Gegenden, deren Bevölkerung jetzt aufgeregt ist. Jeder ist gegen jeden. Dabei rechne ich die Indianer gar nicht, durch deren Gebiet dieser junge Grazer zu reisen hat. Was für Begleiter sind denn bei ihm gewesen?«
»Auf der Rückreise? Gar keine, wenn er nicht zufälligerweise welche gefunden hat.«
»Er war also allein? Und da verdammen Sie ihn? Ich habe während meines nur kurzen Rittes quer durch das Land so viel erlebt und erfahren, daß ein anderer, der nicht so viel Glück wie ich besessen hätte, entweder zehnmal zu Grunde gegangen oder zwanzigmal zwischen den Rädern Ihres politischen und sozialen Getriebes mit schweren Verletzungen für lange Zeit verschwunden wäre. Und diesen jungen Mann geben Sie auf, ohne die Beweise seiner Untreue und Unehrlichkeit in den Händen zu haben?«
Unica warf mir einen dankbaren Blick zu; der Alte war verlegen geworden, doch sagte er, indem er den Versuch machte, sich zu entschuldigen:
»Ich habe auf meine Erkundigung erfahren, daß er in Buenos Ayres das Geld erhoben hat.«
»Das glaube ich gern; aber wissen Sie denn, daß er es nicht hat bringen wollen, sondern mit demselben durchgegangen ist?«
»Nein, das weiß ich nicht; aber ich denke es mir, oder vielmehr ich – – dachte es mir.«
»So lassen Sie diesen Gedanken einstweilen fallen, und warten Sie mit seiner Verurteilung, bis Sie sichere Beweise haben. Ich habe schon manchen Menschen kennen gelernt, dessen Mitmenschen ihn moralisch steinigten, und dann stellte es sich heraus, daß er rein war – reiner vielleicht als sie. Ich betrachte selbst den Gestrauchelten, den Gefallenen als einen Mann, der sich wieder erheben kann, der sich früher oder später erheben wird, und halte es für meine Pflicht, ihm die Hand zu reichen, indem ich der Worte des Heilandes gedenke, daß nur derjenige, welcher ohne Fehler ist, den ersten Stein auf den Sünder werfen möge.«
Unica reichte mir die Hand und sagte:
»Herr, ich danke Ihnen! Sie befreien mich von einer großen Qual.«
Der viejo Desierto blickte eine Zeitlang vor sich nieder und sagte dann, indem er meine Worte wiederholte:
»Und dann stellte es sich heraus, daß er rein war – reiner vielleicht als sie! Sie haben recht. Ich will noch nicht urteilen, da ich selbst ein noch schwereres Gericht zu fürchten habe. Ich will von neuem hoffen, daß er doch noch zurückkehrt. Und nun wollen wir diesen Gegenstand fallen lassen und uns mit der Angelegenheit beschäftigen, welche heute für uns die Hauptsache ist, mit dem Überfalle der Mbocovis. Damit das flott von statten gehe, will ich Ihnen eine kleine Anregung bringen, welche Sie hier im Gran Chaco wohl nicht gesucht haben werden. Aber setzen Sie sich nun endlich einmal!«
Er hatte mit dieser letzteren Aufforderung recht, denn seit er erschienen war, hatten wir im Stehen gesprochen. Unica schien zu wissen, was er holen wolle, denn als er sich entfernt hatte, ging sie nach einer anderen Laube und brachte aus derselben ein kleines Tischchen herbei, welches sie in die unserige stellte. Dann kehrte der Alte zurück und brachte – mehrere Weinflaschen und eine volle Cigarrenkiste.
»Ja, da wundern Sie sich wohl!« sagte er, als er unsere Augen sah. »Wein und Cigarren im Gran Chaco! Der erstere ist natürlich gekauft und per Maultier hierher gebracht worden. Die Cigarren aber sind eigenes Gewächs und auch eigenes Fabrikat.«
»Sie bauen Tabak?« fragte Pena.
»Ja, und zwar ganz vortrefflichen! Wenn Sie einige Zeit hier bleiben, was ich natürlich sehr hoffe und wünsche, werden Sie sehen, was ich meine Indianer gelehrt habe. Der Rote ist bei weitem nicht der lernfaule Mann, für den er gehalten wird. Stellen Sie ihn nur unter die richtige Leitung, und zeigen Sie ihm, daß Sie seine Menschenrechte achten; dann werden Sie bald sehen, daß er bildungsfähig ist. Wenn Sie ihm allerdings das sogenannte Glück mit Messern und Flinten aufzwingen wollen, so wird er starrköpfig, und das kann ich ihm nicht übelnehmen. Meine Tobas rauchen ihre Cigarren wie die feinsten Gentlemen, und zwar eine Sorte, um welche sie mancher Kenner beneiden würde. Und was die Hauptsache ist, sie bauen den Tabak selbst und machen sich auch die Cigarren selbst. Langen Sie zu, und stecken Sie sich eine an!«
Er hatte vier Gläser gefüllt und hielt uns die Cigarrenkiste hin.
»Ich habe freilich gehört, daß die Tobas sich vor den andern indianischen Stämmen vorteilhaft auszeichnen,« sagte ich.
»Was heißt auszeichnen! Sie haben eben einen Lehrer gehabt, wie ihn der Rote braucht. Geben Sie den andern Stämmen einen eben solchen, so werden sie bald ebenso vorwärts schreiten. Wir haben jetzt sogar angefangen, Wein zu bauen, und auf einigen Inseln der Lagune, die Sie von hier aus allerdings nicht sehen können und die wir dazu bestimmt haben, weil sie durch ihre Lage gegen Überfälle und Verwüstungen gesichert sind, ziehen wir Kartoffeln und eine Menge Gemüse und Küchengewächse. Sandigen Boden, welcher bekanntlich den besten Cigarrentabak erzeugt, haben wir genug. Das Fertigen der Wickel und das Rollen des Deckblattes habe ich meinen Roten leicht beigebracht, und so brauchen Sie sich nicht zu wundern, daß ich Ihnen eine Cigarre bieten kann, deren ich mich selbst vor Kennern nicht zu schämen brauche. Nun aber erzählen Sie mir einmal ganz ausführlich Ihre Begegnung mit den Mbocovis!«
Pena erzählte Wort für Wort, was er erlauscht hatte. Der Desierto hörte zu, ohne ihn zu unterbrechen, und sagte dann:
»Also dieser sogenannte Schwiegersohn ist hier gewesen, um zu rekognoscieren! Das muß er sehr klug angefangen haben, denn wir sind wachsam. Der Mann beweist, daß er ein sehr gefährlicher Mensch ist, und so werde ich ihn unschädlich machen.«
»Haben Sie eine Ahnung, wer er ist?« fragte ich.
»Nein. Sie vielleicht?«
»Ja. Sie kennen wahrscheinlich einen berühmten Andensteiger, welchen man nur EI Sendador zu nennen pflegt?«
»Von dem hat jedermann gehört; gesehen habe ich ihn nicht. Er ist ein Schuft, dem ich mich nicht anvertrauen möchte.«
»Haben Sie Gründe und Veranlassung, dieses Urteil über ihn zu fällen?«
»Mehr als einen Grund! Der Hauptgrund aber ist der, daß er der Teufel der Indianer ist. Er hetzt sie gegen einander auf, um dabei im Trüben zu fischen. Er hetzt sie auch gegen die Weißen. Ganz besonders sind die Mbocovis seine Verbündeten, und ich vermute, daß er bei ihnen seinen eigentlichen Fuchsbau hat, von welchem aus die Ausfallsgänge nach verschiedenen Richtungen gehen. Viele Zeichen, welche mir erst nach und nach aufgefallen sind, lassen mich das vermuten. Er hat auch unter anderen Stämmen Anhänger, mit denen er allerlei schlechte Streiche ausführt, aber die Mbocovis bilden seine Leibbrigade. Warum fragen Sie mich nach ihm? Kennen Sie ihn?«
»Leider! Das ist eine ganze Schreckensgeschichte.« Und ich erzählte einiges. »Später sollen Sie alles hören. Jetzt müssen wir vor allen Dingen über die Mbocovis schlüssig werden. Nur so viel will ich Ihnen sagen, daß ich diesen ›Yerno‹ für den Schwiegersohn des Sendador halte.«
»Alle Teufel! Ich wollte, Sie hätten recht!«
»Warum?«
»Weil wir in diesem Falle einen ausgezeichneten Fang machen würden. Gerät der Schwiegersohn des Sendador in meine Hand, so zwinge ich ihn, mir den jetzigen Aufenthalt seines Schwiegervaters zu verraten.«
»Er wird sich hüten!«
»Oho! Ich zwinge ihn! Und sollte ich ihn alle möglichen Qualen erdulden lassen! Dann kann ich den Sendador unschädlich machen. Ich hole ihn mitten unter den Mbocovis heraus!«
»Das wäre ein Unternehmen, dem ich mich sofort anschließen würde. Ich vermute, daß es eine Schar dieser Mbocovis war, denen wir unsere jetzige Lage zu verdanken haben.«
»Welche Lage?«
»Davon später, wie bereits gesagt. Der ›Schwiegersohn‹ muß unbedingt in unsere Hände geraten. Was Pena und ich dabei thun können, das soll sicher geschehen.«
»Das ist mir lieb, denn ich habe nur dreißig Männer, die, sozusagen, meine Leibgarde bilden und niemals mitgehen, wenn ein Kriegszug unternommen wird. Ich habe sie mit guten Gewehren versehen, und sie haben die alleinige Aufgabe, das Dorf und hier meine Wohnung zu beschützen. Sie sind die kräftigsten und zuverlässigsten Leute des Stammes.«
»Dreißig! Hm! Das könnte gehen, denn die Mbocovis zählen nur achtundfünfzig außer dem Schwiegersohne.«
»Sie meinen, das könnte gehen? Es kommen zwei Feinde auf einen Mann.«
»Und doch möchte ich bei meiner Ansicht bleiben, daß wir uns nicht zu fürchten brauchen,« entgegnete ich. »Der Angreifende befindet sich stets im Vorteile, weil er die Zeit, den Ort, die Art und Weise wählen kann und es also vermag, sich die vorhandenen Chancen möglichst dienstbar zu machen.«
»So geben Sie mir also recht! Die Mbocovis sind ja die Angreifenden; folglich befinden sie sich Ihren eigenen Worten nach im Vorteile gegen uns.«
»Sie wollen, verstehen Sie wohl, die Angreifer sein. Wir aber drehen den Spieß um und greifen sie an.«
»Ah, so meinen Sie?«
»Natürlich! Oder wollen Sie warten, bis Sie überfallen werden?«
»Warum nicht? Ich weiß ja nun, woran ich bin, und kann sie gebührendermaßen empfangen.«
»Wenn Sie sich den dazu passenden Ort wählen können, so will ich es gelten lassen. Ich kenne Ihre Niederlassung nicht, werde sie mir aber wohl ansehen dürfen. Ist sie groß?«
»Ja, groß und weitläufig.«
»Nun, wie wollen Sie ein solches Terrain vollständig besetzen? Mit dreißig Mann! Wie wollen Sie wissen, an welchem Punkte der Feind erscheinen wird?«
»Diesen Punkt kenne ich sehr genau. Ich kann jeden Feind zwingen, den Angriff gerade dort und nirgends anderswo vorzunehmen.«
»Wieso?«
»Ich habe natürlich für die Sicherheit der Meinen nach Kräften gesorgt, und das Terrain ist ein dazu sehr günstiges gewesen. Es zieht sich nämlich um zwei Seiten des Dorfes eine Bodensenkung, welche ich durch einen Kanal, den ich beliebig öffnen und verschließen kann, mit der Lagune in Verbindung gebracht habe. Die andern Seiten habe ich durch einen breiten, künstlichen Graben geschützt. Öffne ich den Kanal, so ist binnen einigen Stunden das Dorf von einem breiten Wassergürtel umgeben.«
»So! Und der Punkt, von welchem Sie sprachen?«
»Der besteht in einem schmalen Damm, welcher vom Wasser frei bleibt. Über ihn müssen also die Feinde kommen.«
»Haben Sie dabei daran gedacht, daß dieselben sehr wahrscheinlich schwimmen können?«
»Ja.«
»Nun, dann steht es ihnen trotz des Wassers und trotz Ihres Dammes frei, ihren Angriff dorthin zu richten, wohin es ihnen beliebt.«
»Das denken Sie. Aber Sie vergessen die Krokodile.«
»Werden sich welche in dem Graben befinden?«
»Die Mbocovis müssen das wenigstens annehmen. Die Lagune ist reich an diesen Tieren, die ich eben aus diesem Grunde nicht vernichtet habe. Es steht zu erwarten, daß welche in den Graben kommen, und, darauf können Sie sich verlassen, kein Indianer schwimmt durch ein Wasser, von welchem er nicht überzeugt ist, daß es frei von Krokodilen ist.«
»Können die Mbocovis sich nicht eines Ihrer Boote bemächtigen?«
»Nein. Wir werden natürlich dafür sorgen, daß dies nicht geschehen kann.«
»Oder können sie sich nicht schnell ein Floß anfertigen? Der Wald bietet ihnen Material genug dazu.«
»Hm! Daran habe ich freilich nicht gedacht!«
»Nicht? So ist das der schwache Punkt in Ihrer Befestigung. Aber auch angenommen, daß alles nach Ihrem Wunsche gehe, daß der Feind über den Damm komme und Sie ihn mit Ihren Kugeln niederschmettern, so bin ich erstens ganz und gar gegen solch ein Massacre von Leuten, welche doch nur verführt worden sind, und zweitens denke ich, daß es unsere Absicht ist, diesen ›Schwiegersohn‹ zu fangen. Erschießen Sie ihn, so bringen Sie sich um die Vorteile, welche Sie von seiner Gefangennahme erwarten.«
»Das ist freilich wahr! Sie haben recht.«
»Und noch ein Bedenken, welches sehr wohl zu berücksichtigen ist! Der Yerno war hier, um zu rekognoscieren, Er hat alles nach Wunsch gefunden. Er ist gegangen, um seine Leute zu holen, kommt heute nacht mit ihnen an und findet das Dorf von einem breiten Wassergraben umgeben. Was wird er denken?«
Der Alte antwortete nicht; er fuhr sich mit der Hand hinter die Ohren.
»Er wird,« sprach ich weiter, »sofort überzeugt sein, daß man seine Absicht auf irgend eine Weise erfahren habe. Natürlich verzichtet er, da er nicht Hunderte von Leuten bei sich hat, auf die Ausführung derselben, zieht sich zurück, und Sie haben das Nachsehen.«
»Das ist freilich wahr!« wiederholte der Desierto. »Ich muß es also anders anfangen, wenn ich diesen Schwiegersohn haben will. Aber wie?«
»So wie ich es denke. Wir gehen ihm entgegen und überrumpeln ihn an der Stelle, wo er die Dunkelheit erwartet.«
»Wo ist das?«
Pena beschrieb den Ort, dessen Beschreibung er aus dem Munde des Yerno erlauscht hatte.
»Ich weiß, ich weiß,« sagte der Alte. »Es ist dort eine tiefe Senkung des Bodens, welche so viel Feuchtigkeit enthält, daß mehrere hohe Bäume und ein ziemlich dichtes Gebüsch dort Nahrung finden. Also da wollen sie sich lagern! ja, dann werden wir sie dort überfallen!«
»Das muß aber höchst vorsichtig geschehen, damit sie uns nicht kommen sehen oder hören. Und da sie doppelt stark sind, so müssen wir gleich im Augenblicke des Überfalles die Hälfte niederschlagen und dann Mann gegen Mann kämpfen.«
»Lieber Freund, das ist fatal! Hier komme ich auf meine Behauptung zurück, daß sie uns überlegen sind. Wenn es Mann gegen Mann geht, so treten die Giftpfeile und vergifteten Messer in ihr Recht, und dann wird, selbst wenn wir siegen, unser Verlust ein bedeutender sein. Wir umzingeln besser das Gebüsch und schießen die Männer nach und nach nieder.«
»Dreißig Mann sollen achtundfünfzig umzingeln?«
›&Wir nehmen die Mädchen mit, welche auch ganz vortrefflich mit Pfeil und Bogen umzugehen verstehen.«
»Ein Kampf mit Mädchen gegen Männer! Das klingt fast lustig! Und wie soll das werden? Wir schießen aufs Geratewohl in die Büsche? So verputzen wir einen Zentner Blei und haben keinen Erfolg!«
»Gut! So halten wir sie umschlossen, bis es Tag wird. Dann können wir zielen.«
»Sie aber auch! Sie stecken hinter den Büschen und sind uns also verborgen; wir aber stehen im Freien und werden mit aller Gemächlichkeit über den Haufen geschossen!«
Der Alte stand auf, trat aus der Laube, schritt draußen einigemale auf und ab und rief dann in beinahe komischem Zorne aus:
»Zum Kuckuck mit Ihren Einwänden, Herr! Sie werfen mir ja meine ganze Kriegskunst, auf welche ich mir so viel eingebildet habe, in das Wasser!«
»Sie mag immerhin hineinfallen und drin liegen bleiben! Ihre Verteidigungspläne gehen von einer Ansicht aus, welche sich nicht für alle Fälle oder wenigstens nicht für diesen Fall als richtig erweist. Wenn Sie glauben, ein Kriegskünstler zu sein, so müssen Sie vor allen Dingen den gegebenen Verhältnissen Rechnung tragen.«
»Ich habe geglaubt, dies zu thun.«
»Sie ließen das Eine unberücksichtigt, daß wir den Schwiegersohn unbedingt haben wollen, und zwar lebendig. Auf einen Fernkampf dürfen wir uns also schon aus diesem einen Grunde nicht einlassen, ganz abgesehen von seiner Gefährlichkeit für uns.«
»Also Sie stimmen für den Nahekampf?«
»Ja, weil man sich da der Person dieses Mannes versichern kann. Ich erbiete mich, ihn auf mich zu nehmen, und Sie dürfen überzeugt sein, daß ich ihn bekommen werde. Ich schlage ihn gleich im ersten Augenblicke so nieder, wie ich Sie getroffen habe.«
»Das war ein Hieb, Herr! Ich habe über eine halbe Stunde lang bewußtlos gelegen! Aber wenn ich auch überzeugt bin, daß Sie ihn gleich mit diesem Schlage unschädlich machen und in unsere Gewalt bringen, so sind seine Mbocovis da, welche sich wehren werden. Zwei von ihnen gegen einen von uns! Das ist bedenklich. Ihr Nahekampf gefällt mir ebensowenig wie Ihnen mein Ferngefecht.«
»Es kommt ganz darauf an, wie wir uns arrangieren. Es ist ja gar nicht nötig, daß wir uns in Gefahr begeben. Ich setze den Fall, der Kampf bestände bloß darin, daß wir die Leute einzeln in Empfang nehmen und unschädlich machen.«
»Dieser Fall ist unmöglich.«
»Aber wir können ihn möglich machen. Auf welche Weise, das kann ich nicht sagen. Ich kenne das Terrain ja nicht. Wenn Sie mir das Dorf und die Umgebung desselben zeigen, so kommt mir vielleicht ein Gedanke.«
»Das will ich wohl gern thun, zweifle aber sehr daran, daß sich ein so prachtvoller Gedanke einstellen werde. Daß die Feinde uns einzeln in die Hände laufen, so daß wir sie nur willkommen zu heißen brauchen, das wäre mir freilich das allerliebste!«
»Vielleicht ist's möglich zu machen.«
»Nie! Sie mögen ja manches erlebt haben, aber dieses Land und diese Verhältnisse kennen Sie nicht!«
»Das ist sehr richtig. Aber wenn Sie mich jetzt umherführen wollen, so lerne ich sie kennen.«
»Wir können sofort aufbrechen, wenn Sie das wünschen. Während wir unsere Wanderung vornehmen, kann Unica den Tisch für Sie bereiten, an den wir bis jetzt noch nicht denken konnten. Sie werden nicht nur ermüdet, sondern hungrig sein. Bitte, kommen Sie!«
Wir leerten unsere Gläser, und mußten uns Cigarren einstecken. Dann verließen wir die Laube, um uns aus dem Garten in die Wohnung zu begeben. Wir gingen denselben Weg, den wir gekommen waren, Unica voran und der Alte hinterher. Er war in der Totenkopfstube für einen Augenblick zurückgeblieben. Als wir an den Eingang kamen und Unica die Thüre geöffnet hatte, sah ich, daß er einen dunkeln, breitrandigen Sombrero auf hatte. Dieser Hut war vorher nicht im Zimmer gewesen; daraus schloß ich, daß sich neben demselben noch ein anderes befinde, dessen Thüre uns nicht sichtbar gewesen war.
Unica schritt mit der Sicherheit der Gewohnheit über den Ast hinüber, faltete drüben den Saum ihres Gewandes fest zusammen und turnte sich mit großer Gewandtheit von Ast zu Ast bis zum Erdboden hinab, wo sie sich sofort entfernte, ohne auf uns zu warten. Als auch wir unten angekommen waren, sagte der Alte:
»Das Dorf besichtigen wir zuletzt. Jetzt will ich Sie zunächst nach dem See führen.«
Wir kamen an die Stelle, wo ich vorher mit Pena am Wasser gestanden hatte, um die Lagune zu überblicken. Von da aus gingen wir nach links weiter, immer am Ufer hin. Der Wald reichte überall bis an das Wasser, so daß wir uns unausgesetzt unter seinem Laubdache befanden. Nach einiger Zeit lag das Ufer plötzlich in einem fast rechten Winkel links ab und kehrte in einem weiten Bogen nach seiner vorherigen Richtung zurück. Dadurch bildete die Lagune einen Busen, in welchem eine ziemlich große Insel lag, die wir, als wir nach unserer Ankunft das Wasser erreichten, für Uferland gehalten hatten. Auch sie war mit Bäumen bestanden. Hinter ihr folgten noch mehrere, aber kleinere Inseln, welche näher am Ufer lagen als die erstere.
Unser Weg wurde jetzt schmal und bildete einen kurzen, brückenartigen Bogen, bei welchem linker Hand der Boden plötzlich abwärts stieg und eine Senkung bildete, die sich fernhin zwischen den Bäumen hindurch weiterzog.
»Das ist der Graben,« erklärte der Alte, »und wir stehen auf dem verdeckten Kanale, durch den er aus der Lagune gespeist wird. Später werden Sie das besser sehen.«
Wir waren noch nicht viel weiter gekommen, als die Bäume auseinander traten, und wir nun einen weiten Platz vor uns liegen sahen, auf welchem zahlreiche, verschiedengestaltete Hütten standen, zwischen denen sich regsame Menschen bewegten. Eben jetzt war von dorther der Klang einer Trommel zu hören.
»Das ist das Dorf,« erklärte der Alte.
»Und warum trommelt man?« fragte ich.
»Der Befehl dazu wurde jedenfalls von Unica gegeben. Sie versammelt die Leute, um ihnen mitzuteilen, daß sie überfallen werden sollen. Bei dieser Gelegenheit wird sie auch Ihre Anwesenheit erwähnen, und Sie werden sich eines höchst feierlichen Empfanges zu erfreuen haben.«
Bei diesen Worten ging ein leichtes, halb spöttisches und halb zufriedenes Lächeln über sein Gesicht. Dann fuhr er fort.
»Jetzt fahren wir nach der Insel. Die müssen Sie sehen.«
Es lagen mehrere größere und kleinere Boote am Ufer. Wir sprangen in eines der letzteren. Pena und ich griffen zu den Rudern und hielten auf die Insel zu, welche vielleicht fünf Minuten lang und halb so breit war. Wir sahen weder Menschen noch Tiere auf derselben. Am Ostrande standen schattige Bäume. Wo dieselben aufhörten, begannen Felder, welche von den Erfolgen des viejo Desierto zeugten. Dieser führte uns nach den Bäumen. Dort erblickten wir, unter den hohen Wipfeln derselben liegend, ein Gebäude, welches aus Ziegeln errichtet und mit Schilf gedeckt war. Aus seinem Firste stieg ein Kreuz empor, und über der Thüre waren in dunklen Buchstaben auf Kalkgrund die Worte Soli Deo Gloria zu lesen.
»Die Kirche,« erklärte der Alte.
»Wer ist der Priester?« fragte ich.
»Wir haben natürlich keinen,« antwortete er. »Die Gemeinde versammelt sich hier, und ich übersetze ein Evangelium oder eine Epistel und lese aus der Postille eine Erklärung. Der gute Wille ist für die That zu nehmen.«
Er zeigte uns die kleinen Felder, welche besser Gärten zu nennen waren; dann fuhren wir nach der nächsten Insel. Dort und auf den anderen weideten Pferde und Rinder.
»Pferde im Chaco sind selten,« sagte er. »Sie gehen auch leicht an der Moskitoplage zu Grunde. Wir wohnen aber in einer Gegend, wo es viel offenes Land, Sand- oder Grasflächen giebt, und da sind Pferde von großem Nutzen. Die Tiere geben meinen Leuten eine bedeutende Überlegenheit gegen die andern roten Stämme.«
Nun kehrten wir an das Ufer zurück und schritten dem Dorfe zu. Als wir aus dem Boote stiegen, hatte ich einen kleinen, rotbraunen Buben gar nicht beachtet, welcher dort gestanden hatte. Jetzt rannte er, was die Beine nur hergaben, dem Dorfe zu und schrie dabei auf eine so entsetzliche Weise, daß es mir bange um das Kerlchen wurde.
»Was hat der Kleine?« fragte ich. »Hat er solche Angst vor uns?«
»O nein,« antwortete der Desierto. »Er ist der Posten, welcher ausgesandt wurde, Ihre Ankunft der Festungskommandantin Unica zu melden. Sie werden eine großartige Parade sehen.«
Er sagte das mit einem Behagen, welches seinem sonst so finsteren Gesichte einen wirklich rührenden Ausdruck gab.
Die ersten Häuser des Dorfes bildeten eine breite Straße. Die Gebäude waren aus Holz, Lehm und Ziegeln errichtet und meist mit Schilf gedeckt. Sie hatten ein sauberes Aussehen. Es gab kein einziges, neben, vor oder hinter welchem nicht ein Gärtchen gelegen hätte. Menschen waren nicht zu sehen. Dieser Umstand erklärte sich sehr bald, als die Häuser weiter auseinander traten und eine Art Ring oder Marktplatz bildeten. Dort war nämlich alles versammelt, was in dem Dorfe lebte und webte. Es waren lauter Frauen, Mädchen und Kinder. Die Männer waren auf dem Kriegszuge abwesend. Einige Greise erblickte ich, welche zu alt und schwach waren, um an demselben teilnehmen zu können.
Alle Personen, welche da standen, wo wir vorüber kamen, verbeugten sich und sagten einen Gruß, den ich nicht verstand. Auf der Mitte des Platzes standen – – zwei Bataillone Militär, Fußtruppen! Das erste Bataillon, welches auch das erste Treffen bildete, bestand aus dreißig kräftigen Indianern, welche in zwei Gliedern standen und ihre Gewehre am Fuße hatten. Der Flügelmann aber trug das seinige umgehängt, weil er die Hände zur Bedienung der Trommel brauchte, welche an seinem Gürtel befestigt war. Sie bestand aus einem Kessel, welcher mit Fell überzogen war.
Das zweite Bataillon war Dameninfanterie und viel stärker als das erstere. Auch diese Amazonen standen in zwei Gliedern, die Köcher hinten, die Blasrohre in der rechten und die Bogen in der linken niedergesunkenen Hand.
Vor diesen beiden taktischen Körpern stand Unica mit umgehängtem Gewehre und einem Blasrohre in der Rechten. Als sie glaubte, daß wir nahe genug seien, schwang sie das Rohr, und der Trommler begann zu wirbeln, was er nur wirbeln konnte. Dann rief die Kommandantin ein lautes Kommandowort, auf welches die Gewehre, Blasrohre und Bogen präsentiert wurden. Dabei schrieen die Truppen ein Wort oder zwei, deren Bedeutung mir höchst unklar war. Der Alte sah es mir an und fragte mich.-
»Verstehen Sie, was sie schreien?«
»Nein.«
»Ich kenne die Sprachwerkzeuge meiner Roten und verstehe also die Worte. Unica hat sie ihnen einigemale vorgesagt, wie ich vermute, und zwar Ihnen zu Ehren, und nun schreit sie jeder und jede, wie es eben gelingen will. Es soll heißen: ›Deutschland hoch!‹ Hören Sie es nun heraus?«
Die Rotte Korah brüllte noch immer ohne Aufhören. Eine der Silben klang beinahe wie ›hoch‹; aber wehe dem armen ›Deutschland‹; was war aus ihm geworden! Kein einziger dieser Soldaten, und keine einzige der Amazonen konnte das Wort richtig aussprechen, und je länger sie es schrieen, desto mehr veränderten sie es. Der Doppellaut eu und die Vokale a und o blieben, aber die Konsonanten wurden in die so schwer auszusprechenden indianischen Gaumenlaute verwandelt. Die Zuschauer hielten es für ihre Pflicht, in die Ovation einzustimmen, und endlich heulte die ganze Menge, wobei die Schreier während der Pausen, in denen sie Atem holen mußten, so selbstgefällig fragende Blicke auf uns warfen, als ob sie sagen wollten: »Hört ihr es, wie vortrefflich wir mit eurer Sprache umzugehen verstehen!«
Wir traten zu Unica, um ihr zu danken, und sie gab ein Zeichen, worauf das Gebrüll augenblicklich verstummte.
»Soll ich exerzieren lassen?« fragte sie.
»Ja, bitte!« antwortete ich, um sie nicht zu betrüben, denn sie freute sich gewiß darauf, uns zu zeigen, was ihre Truppen leisten konnten.
Sie ließ rechts, links und auch ganz kehrt machen und dann marschieren. Die Truppen befleißigten sich des Gleichschrittes, aber wenn der Erfinder desselben, der ›alte Dessauer‹ jetzt neben uns gestanden hätte, so wäre er ob dieses so verschiedenen Trampelns ein wenig oder auch ganz aus der Haut gefahren. Endlich standen die Bataillone wieder in der alten Ordnung und ich lobte die prächtigen Evolutionen.
Nun wollte uns der Alte den Graben zeigen, und wir stiegen in denselben hinab. Der natürliche Teil desselben war mit Bäumen bestanden; am künstlich ausgeworfenen standen sie bis an das Ufer heran. Wir schritten da unten weiter, wohl drei Viertelstunden lang, rund um das Dorf; bis wir an die Schleuse kamen und in das Dorf zurückkehrten.
An dem großen Platze desselben, worauf vorhin exerziert worden war, stand ein nach den hiesigen Verhältnissen allerliebstes Häuschen, welches für Unica nach der Anweisung des Alten gebaut worden war. Darin residierte sie mit ihrem Hofstaate, und vor der Thüre desselben war für uns gedeckt.
Das heißt nämlich auf einem langen, roh gezimmerten Tische standen große, thönerne Schalen mit riesigen, dampfenden Fleischmassen, und auf kleineren Schalen gab es Früchte und allerlei Gemüse, welches gar nicht übel zubereitet war. Gabeln und Löffel waren nicht vorhanden; ein Messer hatte jeder mit. Die Stühle bestanden aus Holzteilen, welche durch Lederriemen fest verbunden waren.
Wir nahmen Platz und ließen es uns schmecken, während die sehr loyale Bevölkerung uns zusah. Dabei patrouillierte die Leibgarde gravitätisch auf und ab. Der Tambour ließ seine Künste hören, und bald gesellten sich noch andere Jünger der edlen Musika zu ihm, welche ein Konzert aufführten, bei welchem mir gewiß die Zähne locker geworden wären, wenn ich ihnen Zeit dazu gelassen hätte.
Das Publikum wollte sehen, wie wir aßen. Es drängte sich herbei, bis nahe zum Tisch heran. Zuweilen rief die Königin irgend einen kleinen Liebling zu sich, um ihm einen Bissen in den Mund zu schieben. Ich folgte diesem Beispiele und hatte sehr bald auf jedem Knie ein rotes Knirpslein hocken, welche beiden hoffnungsvollen Zappelmänner sich solche Fleischstücke in den Mund steckten, daß zwar nicht ihnen, destomehr aber mir vor Angst der Atem verging.
Die Leute hatten gehört, daß ihnen ein feindlicher Überfall drohe. Europäer wären da viel zu ängstlich und voller Sorge gewesen, als daß sie es über sich gebracht hätten, hier so ruhig zuzuschauen. Die Tobas aber verhielten sich so unbefangen, als ob sie von dem gegen sie geplanten Angriffe gar nichts wüßten. So können nur Indianer sein.
Der viejo Desierto hatte lange Jahre bei ihnen gewohnt, vermochte es aber doch nicht, seine Abstammung zu verleugnen. Er war voller Unruhe und konnte es kaum erwarten, bis das Essen zu Ende ging. Dann aber ließ er den Leuten wissen, daß jetzt Beratung gehalten werden solle. Die Zuschauer zogen sich sofort zurück; die Musikinstrumente schwiegen, und es trat eine Ruhe ein, als ob das ganze Dorf ausgestorben sei.
Eine Beratung in deutscher Sprache hatte es hier jedenfalls noch nie gegeben. Es war mir trotz der fremdartigen Umgebung so zu Mute, als ob ich mich daheim befände.
»Sie haben nun die Inseln und das Dorf gesehen,« sagte der Alte. »Sie hofften, daß Ihnen dann ein Gedanke kommen werde. Ist er da?«
»Ja,« nickte ich. »Es bleibt, wie ich sagte, daß die Feinde uns einzeln in die Hände laufen.«
»Herr, Ihr Wort in allen Ehren, aber das ist unmöglich!«
»Es ist sogar ziemlich leicht. Wenn Pena meiner Meinung ist, hoffe ich zuversichtlich, daß es gelingen wird.«
»Ich?« fragte der Genannte. »Natürlich bin ich Ihrer Meinung!«
»Langsam! Sie sollen eine gefährliche Rolle dabei spielen!« »Das wird man gewohnt. Hier zu Lande ist eben alles gefährlich. Machen denn Sie selbst mit?«
»Ja.«
»Nun, da dürfen Sie ja nicht denken, daß ich zurückbleibe. Dabei hoffe ich aber, daß die Rolle, welche Sie mir zugedacht haben, mich nicht von Ihnen trennt.«
»Sie bleiben an meiner Seite und teilen mein Los, mag geschehen, was da wolle.«
»So bin ich befriedigt. Sagen Sie nur, was geschehen soll!«
»Ja, sagen Sie es uns,« forderte mich auch der Desierto auf. »Ich bin sehr begierig, es zu hören.«
»Nun, die Sache ist eigentlich einfach,« erklärte ich. »Sie gehen hinüber nach der großen Insel und legen sich mit Ihren dreißig Männern unter die Bäume, nahe an das Ufer; ich aber bringe Ihnen die Mbocovis hinüber, immer fünf oder sechs auf einmal, und Pena hilft mir dabei. Sie haben nichts zu thun, als sie zu empfangen und festzunehmen.«
Der Alte starrte mich an, ob ich das im Ernste sage. Er schien gar nicht zu wissen, wie er meine Worte aufnehmen solle. Endlich rief er aus.
»Die Mbocovis werden sich hüten, sich so auf die Insel liefern zu lassen!«
»Warum nicht!« sagte Pena. »Sie wissen ja noch gar nicht, wie er es anfangen will!«
»Mag er es immer wie anfangen; sie machen nicht mit. Und warum gerade nach der Insel? Warum nicht hierher?«
»Weil ich einen Grund haben muß, sie zu teilen,« antwortete ich. »Hierher können sie zugleich kommen, alle mit einander. Wenn sie aber nach der Insel müssen und es ist nur ein einziges, kleines Boot dazu da, so müssen sie sich teilen und werden infolgedessen leichter überwältigt.«
»Aber wie wollen Sie sie denn auf den Gedanken bringen, gerade nach der Insel zu fahren?«
»Ich sage ihnen, daß Sie sich drüben befinden. Sie haben doch gehört, daß es zumeist auf Ihre Person und Ihren Besitz abgesehen ist.«
»So! Daß ich drüben bin? Und das wollen Sie ihnen sagen? Sie haben also die Absicht, mit ihnen zu sprechen?«
»Wie Sie hören! Wir haben doch eingesehen, daß es keinen Kampf geben kann, der nicht uns selbst auch Opfer bringt. Um diese zu vermeiden und um den ›Schwiegersohn‹ in unsere Hände zu bekommen, müssen wir zur List greifen, die einzig und allein darin besteht, daß wir die Feinde zu trennen suchen, um sie einzeln festnehmen zu können, und daß wir jeden Kampf mit ihnen vermeiden. Überfallen sie das Dorf, so können sie beisammen bleiben, und es wird unbedingt zum Kampfe kommen. Müssen sie aber auf die Insel, so können sie nur einzeln oder vielmehr in kleinen Gruppen hinüber. Begreifen Sie mich?«
»Ja doch! Aber wie wollen Sie ihnen das mit der Insel plausibel machen?«
»Ich sage ihnen, daß Sie alle sich auf diese Eilande begeben haben.«
»Was könnten wir für einen Grund dazu haben?«
»Sie sollen überfallen werden und zwar von den Chiriguanos.«
»Ah, gegen welche meine Leute jetzt gezogen sind! Aber ich kann Ihren Plan doch nicht durchschauen.«
»Er ist sehr durchsichtig, weil einfach. Hören Sie! Pena und ich sind Cascarilleros. Wir sind zu Ihnen gekommen und haben uns mit Ihnen verfeindet. Sie haben uns festgenommen, um uns zu züchtigen. Dabei sind wir von Ihren Tobas vollständig ausgeraubt worden.«
»Warum denn das?«
»Weil wir, um Glauben und Vertrauen zu finden, so thun müssen, als ob wir Ihre Feinde seien und einen großen Haß auf Sie geworfen hätten.«
»Ah so! Weiter.«
»Sie haben uns hier eingesperrt und außerordentlich schlecht behandelt. Inzwischen sind Ihre Leute gegen die Chiriguanos gezogen, von diesen aber geschlagen worden. Ein Bote ist heute gekommen und hat Ihnen das gesagt. Er hat Ihnen auch gemeldet, daß die Chiriguanos nun ihrerseits kommen, um Sie zu überfallen und sich zu rächen. Um sich zu retten, haben Sie mit sämtlichen Bewohnern das Dorf verlassen und sich auf die Insel geflüchtet. Verstehen Sie nun bald?«
»Jawohl! Sie wollen die Mbocovis nach der Insel locken und müssen ihnen also diese Geschichte erzählen.«
»Das wird nicht nur erzählt, sondern auch gethan!«
»Warum?«
»Erstens können die Männer auf den Gedanken kommen, sich zu überzeugen, ob die Geschichte wahr ist, und zweitens wird der ›Schwiegersohn‹ sich gewiß herbeischleichen, um zu rekognoscieren. Er muß sehen, daß Sie nach den Inseln hinüberziehen!«
»Hm! Viel Arbeit!«
»Das müssen Sie mit in den Kauf nehmen. Bei diesem Umzuge und da Sie nicht wissen, wie die Sache ablaufen kann, sind wir beide, Ihre Gefangenen, Ihnen im Wege. Darum geben Sie uns die Freiheit, behalten aber alles, was Sie uns abgenommen haben. Sie lassen uns sogar durch einige Ihrer Leute aus dem Dorfe und eine Strecke fortbringen. Es schadet gar nichts, wenn uns einer dabei einen Hieb versetzt. Wir armen, ausgeraubten Teufels wandern nun mißmutig und voller Wut auf Sie fort und treffen dabei auf die Mbocovis.«
»Alle Wetter! Jetzt begreife ich Sie!« rief der Alte. »Der Plan ist kostbar. Sie wollen sich den Leuten anschließen und ihnen helfen, sich an mir zu rächen?«
»So ist es. Der kleine Kahn, welcher uns vorhin getragen hat, muß hier am Ufer liegen. Er faßt im höchsten Falle sechs Personen. Die Mbocovis müssen also zehn- bis zwölfmal hinüber und herüber. So oft ein Trupp kommt, nehmen Sie ihn in Empfang.«
Aber wenn sie schreien, so ist die Sache verraten!«
»Wenn sie schreien, so sind Sie schuld daran. Sie müssen sie eben gleich so fassen, daß keiner schreien kann.«
»So wie Sie mich bei der Gurgel nahmen, nicht wahr! Das kann zehnmal gelingen und beim elftenmale doch nicht. Oder es kommen sechs; fünf von ihnen fassen wir richtig; der Sechste aber bekommt Luft und ruft um Hilfe.«
»Hm! Wenn ich dabei sein könnte! Das geht aber nicht. Wie wäre es denn – hm, ja, wenn Sie sich dazu hergeben könnten!«
»Wozu?«
»Die Kirche ist das einzige Gebäude auf der Insel; sie ist nicht verschlossen. Wenn wir die Mbocovis da hinein lockten!«
»In das Gotteshaus!«
»Warum nicht? Ich halte das für keine Sünde. Denken Sie, wozu im Kriege die Kirchen benutzt werden, und das sind wirkliche, geweihte Gotteshäuser, was aber hier wohl nicht der Fall ist.«
»Sie haben recht! Ich stimme bei.«
»Schön! Die Einzelheiten besprechen wir noch. Ich sagte vorhin, daß die Mbocovis auf den Gedanken kommen könnten, nachzusehen, ob das Dorf wirklich verlassen ist. Es muß also auch verlassen sein. Die Bewohner alle müssen am Abende hinüber auf die kleinen Inseln; Sie aber mit Ihren dreißig Kriegern besetzen die große. Geben Sie bereits jetzt die nötigen Befehle, und dann wollen wir noch einmal hinüberfahren. Ich muß mir einen passenden Landeplatz auswählen.«
»Das wollen wir. Aber Sie betrachten dabei etwas als ganz selbstverständlich, wogegen ich protestieren muß.«
»Was?«
»Daß Sie die Rolle übernehmen, welche die gefährlichste ist.«
»Haben Sie einen andern dazu?«
»Nein.«
»So muß es wohl dabei bleiben. Es fragt sich nur, ob Pena mitgeht.«
»Natürlich gehe ich mit!« antwortete dieser.
»Ich könnte diese Rolle auch allein spielen, aber ich möchte auf alle Fälle Sie bei mir haben, falls ich Rat und Hilfe brauche.«
»Was den Rat betrifft, so haben Sie mich wohl nicht nötig. Aber in Beziehung auf die Hilfe können Sie sich auf mich verlassen.«
»Ich habe auch noch einen andern Grund. Sie verstehen die Sprache dieser Mbocovis, ich aber nicht. Nur durch Sie kann ich also erfahren, was sie sprechen.«
»Daran soll es nicht fehlen.«
»Aber Sie sind bei den Mbocovis gewesen, als Sie deren Sprache lernten. Es kann sehr leicht einer da sein, der Sie kennt. Darum müssen wir vorsichtig sein. Sie dürfen vorerst gar nicht auf die Mbocovis horchen, sondern müssen sich mit mir zu dem ›Schwiegersohn‹ halten, mit welchem wir spanisch sprechen. Währenddem wird es sich wohl zeigen, ob jemand Sie kennt. Ist dies nicht der Fall, so verraten Sie mit keinem Worte und keiner Miene, daß Sie die Roten verstehen.«
»Ja, seien Sie ja so vorsichtig wie möglich,« bat der Alte. »Wenn Sie Ihren Zweck nicht erreichen oder Ihnen gar ein Unglück geschieht, so sind auch wir schlimm daran. Ich wünschte, wir könnten diese Kerle fangen, ohne daß Sie sich in solche Gefahr zu begeben brauchen. Ich werde meine Leute nicht nur gut instruieren, sondern sogar einüben; sie sollen einander bei den Hälsen nehmen, bis sie die Besinnung verlieren, damit sie dann heute abend wissen, wie man zuzugreifen hat. Jetzt wollen wir nach der Insel.«
Der viejo Desierto rief seine Männer herbei und erteilte ihnen die betreffenden Befehle. Diese verbreiteten sie weiter, und so sahen wir die Leute in die Häuser eilen, um ihre Habseligkeiten, deren ein Indianer nur wenige besitzt, nach den Eilanden zu schaffen. Wir aber begaben uns nach dem Ufer und von da nach der großen Insel.
Die sogenannte Kirche bestand nur aus den vier Wänden und dem Dache. Von einer Seite nach der andern zogen sich die Reihen der Bänke, eingerammte Pfähle mit darauf festgebundenen Langhölzern, wie sie der Wald bietet. Vor denselben stand ein aus demselben Materiale gefertigter Tisch, welcher die Kanzel bildete, und hinter ihm ein Stuhl. Das war die ganze Einrichtung. Die Thüre hatte kein Schloß, sondern nur eine ganz gewöhnliche Holzklinke. Die Mauern waren ziemlich stark. Jede Seite besaß eine Fensteröffnung, welche mit einem Laden verschlossen war. Die Einrichtung war meinem Zwecke ganz entsprechend. Sie befriedigte mich so, daß der Alte mir dies ansah, was er durch die Frage bewies:
»Sie sind zufrieden? Denken Sie, daß wir diesen Raum benutzen können?«
»Ja; er ist sehr passend. Ich werde dafür sorgen, daß die Mbocovis hier hereingehen.«
»Wie wollen Sie das anfangen?«
»Da sie einzeln oder nur in kleinen Trupps herüberkommen, müssen sie auf einander warten. Dabei laufen sie, wenn sie sich im Freien aufstellen, Gefahr, von Ihnen gesehen zu werden. Aus diesem Grunde wird es ihnen einleuchten, wenn ich ihnen den Rat gebe, sich hier zusammenzufinden.«
»Was haben wir zu thun?«
»Zehn Mann von Ihnen stecken sich unter die Bänke und schleichen sich dann hinter die Mbocovis, um sie bei der Kehle zu nehmen. Es werden ihrer immer nur fünf sein; sechs faßt der Kahn, und einer muß ja wieder hinüber ans Ufer. Fünf von Ihren Kriegern greifen also von hinten zu, und die andern fünf haben das nötige Material bei der Hand, um sie zu knebeln und zu binden. Übrigens bedarf es nur bei den ersten Ankömmlingen ganz besonderer Vorsicht. Später können Ihre Leute sich vorn an der Thüre aufhalten und jeden Transport in Empfang nehmen. Man wird sie für die schon hier befindlichen Kameraden halten. Ein Hilferuf, wenn er nicht gar zu laut erschallt, kann schwerlich hier hinaus und bis an das Ufer dringen, und die Hauptsache ist, daß Ihre Leute stets nicht eher zugreifen, als bis die Thüre wieder zugemacht worden ist. Auch müssen die Gebundenen so bedroht werden, daß sie es nicht wagen, einen warnenden Laut hören zu lassen, wenn ein neuer Transport hereintritt. Übrigens werde ich es, wenn es immer möglich zu machen ist, so einrichten, daß ich mich mit Pena gleich bei den ersten Fünf befinde. Gelingt mir das, so brauchen Ihre Leute nur auf das zu hören, was ich sage. Es ist scheinbar an die Mbocovis, eigentlich aber an sie gerichtet. Suchen Sie Leute aus, die vielleicht ein wenig Spanisch verstehen!«
»Da habe ich zwei, die Sie leidlich verstehen werden, wenn Sie langsam und deutlich sprechen. Aber warum sollen sich nur zehn Mann hier verstecken? Ich habe ja dreißig!«
»Aus sehr guten Gründen. Erstens genügen zehn Mann vollständig, fünf Feinde zu überwältigen, und zweitens würden dreißig Menschen sich hier nicht so gut verstecken können, wie zehn. Sodann steht auch zu erwarten, daß der &Schwiegersohn‹ sich erst nach der Insel begeben wird, um sich zu überzeugen, daß meine Angaben auf Wahrheit beruhen und daß er seine Leute ohne Gefahr hier auf einander warten lassen kann. Er wird sehen wollen, ob es wirklich an dem ist, daß er sich Ihrer zu bemächtigen vermag. Darum muß er Sie und Ihre übrigen zwanzig Krieger sehen.«
»Bei der Dunkelheit wird er mich nicht erkennen!«
»Sie mit Ihrem Barte und langem, schwarzem Talare sind selbst im Dunkeln zu unterscheiden. Um ihm aber die Sache so leicht wie möglich zu machen, brennen Sie ein Feuer an, um welches Sie sich lagern. Die Stelle dazu müssen Sie so wählen, daß er sich ohne Mühe anschleichen kann und daß er auch zu der Einsicht gelangt, daß Sie sich um die Gegend, in welcher die Kirche steht, gar nicht bekümmern.«
»Sagen Sie mir den passendsten Ort!«
»So kommen Sie heraus!«
Wir verließen die Kirche und ich fand eine Stelle, wo das Feuer, genügend von der Kirche entfernt, angebrannt werden konnte. Der geheimnisvolle Mann blickte nachdenklich vor sich nieder. Pena mochte denken, daß er mit meinen Ratschlägen nicht einverstanden sei, denn er fragte:
»Was machen Sie für ein Gesicht? Können Sie vielleicht bessere und sachgemäßere Anordnungen treffen?«
»Nein, gewiß nicht,« lautete die Antwort. »Gut ist der Plan, ja, aber auch sehr kompliziert und nicht leicht auszuführen. Den zehn Personen, welche ich in die Kirche postiere, fällt eine schwere Aufgabe zu.«
»Suchen Sie nur Leute aus, welche derselben gewachsen sind! Der Angriff gilt Ihnen und nicht uns. Darum liegt es nur in Ihrem Interesse, sich Mühe zu geben. Uns beide geht die Sache eigentlich nichts an. Wir haben unsern Zweck erreicht und Sie gewarnt und könnten nun unsere Wege gehen. Anstatt dessen aber bleiben wir und nehmen sogar den schwersten und gefährlichsten Teil der Aufgabe auf uns. Es ist kein Spaß, sich unter die Mbocovis zu wagen; das werden Sie zugeben!«
»Freilich! Wenn ich daran denke, so möchte mir himmelangst um Sie werden!«
»Denken Sie nicht an uns, sondern an sich!« sagte ich ihm. »Und sorgen Sie dafür, daß meine Ratschläge befolgt werden. Ich bin, wie bereits erwähnt, überzeugt, daß der Schwiegersohn, der jetzt mit seiner Schar das Versteck vielleicht erreicht hat, sich nach der Lagune schleicht, um sich umzusehen. Lassen Sie den Umzug nach den Inseln recht auffällig vor sich gehen, so daß er es bemerken muß! Und ferner, da Sie uns ausgeraubt haben, so müssen wir auch äußerlich als Leute erscheinen, die sich als Gefangene in brutalen Händen befunden haben. Wir werden also unsere Anzüge zurücklassen, und Sie müssen für Kleidungsstücke sorgen, mit denen wir uns leidlich bedecken können.«
»Was?« fragte Pena. »Soll ich mich etwa nur in ein altes indianisches Hemde einwickeln?«
»Ja. Je ärmlicher wir aussehen, desto leichter finden wir Glauben und Vertrauen.«
»Mir auch recht! Soll es Fasching sein, dann bin ich mit der tollsten Verkleidung einverstanden. Ich werde auch meinen Haaren eine Frisur geben, welche Vertrauen erweckt.«
»Keine Überschwänglichkeiten! Es muß alles wahr und nicht gemacht erscheinen.«
»Aber unsere Waffen nehmen wir mit!«
»Nein. Wir haben unsere Fäuste, und gilt es, so genügt ein Griff, um uns in den Besitz von Messern und anderen Waffen zu bringen. Droht uns Gefahr, so ist es natürlich das erste, dem nächststehenden Roten seinen Kneif, seine Pfeile oder was er sonst hat, zu entreißen.«
»Ist diese Maßregel partout notwendig?«
»Ja. Wenn die Tobas uns feindlich behandeln und uns alles nehmen, so werden sie uns doch nicht gerade im Besitze dessen lassen, was für sie den größten Wert besitzt und, wenn sie es uns lassen, ihnen gefährlich werden könnte, nämlich unsere Waffen.«
»Sie haben recht. Wir wagen viel; aber ich denke, daß es gelingen wird.«
jetzt sahen wir Leute am Ufer erscheinen, welche die Boote losmachten, um ihre Habseligkeiten nach den Inseln zu schaffen. Weiter oben lag ein Floß, welches als Fähre für die Tiere diente. Auch dieses wurde in Gebrauch genommen. Es entwickelte sich zwischen dem Ufer und den Eilanden ein sehr reges und bewegtes Leben, welches selbst in größerer Ferne zu sehen war und auffallen mußte. Wir verließen die Insel. Als wir landeten und aus dem Boote stiegen, sagte ich zu dem Alten:
»Nun öffnen Sie die Schleuße!«
Wie? Ich soll das Wasser in den Graben laufen lassen? Sie sagten doch, daß dies Verdacht erregen würde!«
»Den erregt es nur in dem Falle, daß die Mbocovis diese Maßregel auf sich beziehen. Haben sie aber erfahren, daß Sie von den Chiriguanos überfallen werden sollen und vor diesen auf die Inseln geflüchtet sind, so werden sie es als ganz selbstverständlich nehmen, daß Sie Ihre verlassenen Wohnungen durch einen Wasserring vor der Zerstörung schützen wollen.«
Die Schleuße wurde aufgezogen, und das Wasser ergoß sich in einem breiten, starken Strahle in den Graben, so daß ich annahm, daß der Ringgraben sich zwar nicht binnen einigen Stunden, aber doch bis zum Abende gefüllt haben werde.
Nun galt es, den Umzug zu beaufsichtigen, und noch manches andere Nötige zu thun. Unser Plan wurde noch viel ausführlicher durchsprochen, als es bisher möglich gewesen war, wo es sich bloß um die Hauptzüge desselben gehandelt hatte. Alle möglichen Bedenken und Störungen wurden erwogen, um Beschluß zu fassen, was in den einzelnen, unvorhergesehenen Fällen gethan werden sollte. Und dann erhielten die mithandelnden Indianer ihre genauen Instruktionen.
Darüber war die Zeit des Mittages und auch ein ziemlicher Teil des Nachmittages vergangen, und wir, Pena und ich, mußten nun an den Aufbruch denken.
Der Alte besaß einen Vorrat von Stoff zu Anzügen für seine Leute, auch fertig gemachte Stücke, und bot uns diese zur Auswahl an. Ich durfte aber nicht darauf eingehen, da es unserm Zwecke nicht entsprochen hätte, neue Sachen zu tragen. Darum wurden zwei alte Hosen und indianische Hemden herbeigeschafft, und wir begaben uns nach dem Felsen, um uns in der Wohnung des Desierto umzuziehen und dort unsere Waffen aufzubewahren, da sie dort jedenfalls am sichersten lagen.
Als wir dann noch einmal in den Garten gingen, sahen wir wirklich aus wie zwei Menschen, welche der Gefangenschaft entronnen sind. Ich blickte durch eine Maueröffnung hinab zum See und rechts hinüber nach der Uferseite der Richtung, aus welcher wir nach der Lagune gekommen waren. Der Alte stand bei uns und erklärte uns den Weg, welchen wir einschlagen mußten, um nach dem Verstecke der Mbocovis zu gelangen.
»Jammerschade, daß ich um mein Fernrohr gekommen bin!« sagte ich. »Es würde mir jetzt gute Dienste leisten. Vielleicht könnte ich durch das Rohr den Schwiegersohn entdecken.«
»So kann Ihnen geholfen werden, denn ich habe ein Perspektiv.«
»Wirklich? Das ist vortrefflich! Holen Sie es!«
Er holte mir das Rohr, welches größer und besser als das meinige war, und ich richtete es nach dem Ufer der Lagune. Ich suchte dasselbe einigemale sehr sorgfältig ab, ohne etwas anderes als einige Vögel zu sehen.
»Sie irren,« meinte der Alte. »Der Yerno ist nicht da. Er wird sich hüten, am Tage nach der Lagune zu kommen, wo er so leicht entdeckt werden kann.«
»Und doch möchte ich darauf wetten, daß er da ist oder daß er dagewesen ist oder auch noch kommt!«
»Geben Sie sich weiter keine Mühe! Es ist vergeblich!«
Ich war auch davon überzeugt und setzte das Rohr ab. Pena nahm es mir aus der Hand und meinte:
»Lassen Sie sehen, ob ich ihn vielleicht erwische! Ich habe zwar kein Geschick dazu, aber ich weiß, daß –«
Er hielt inne, und sein Gesicht nahm einen gespannten Ausdruck an. Man erfährt sehr oft, daß, was dem einen trotz aller Mühe nicht gelingt, dem andern gleich beim ersten Versuche in die Hände läuft. So auch hier. Pena nahm das Rohr vom Auge und sagte in befriedigtem Tone:
»Ich habe ihn! Ich halte das Ding ans Auge, blicke hinein und sehe einen Kerl, welcher im Schilfe am Ufer liegt, gerade vor meinem Glase. Es war, als habe mir ein Unsichtbarer das Rohr gerade auf diese Stelle gerichtet.«
»Wo liegt er?«
Er beschrieb mir die Stelle, und ich fand den Mann. Die Entfernung war zu groß, als daß ich seine Züge hätte erkennen können; aber ein Weißer war es, und auch genau so gekleidet wie der Yerno.
»Er ist's!« rief ich erfreut aus. »Ich habe also ganz richtig vermutet. Daß er da ist und sich gerade dort befindet, das erleichtert uns unser Vorhaben außerordentlich. Kommen Sie schnell hinunter! Wir müssen hinüber zu ihm. EI Desierto geht auch mit.«
»Ich?« fragte der Alte erstaunt. »Sind Sie des Teufels?«
»Nein. Ich erkläre Ihnen die Sache unterwegs! Nehmen Sie zwei Stricke oder Riemen mit, um uns zu binden! Auch das Fernrohr wird mitgenommen.«
Ich ging rasch fort und sie mußten mir folgen. Als wir an der Algarobe hinuntergeklettert waren, konnte ich ihnen sagen, was ich vorhatte. Beide stimmten mir bei. Wir gingen zum Ufer und riefen dort zwei Indianer zu uns. Pena wurde an Händen und Füßen, ich nur an den letzteren gebunden; dann legte man uns beide in das Boot. Der Alte setzte sich zu uns, und die Indianer ergriffen die Ruder. Das Boot verließ den Anlegeplatz, um nach dem Punkte gerichtet zu werden, an welchem der Schwiegersohn lag.
Dieser hatte uns bisher nicht sehen können, da die Insel dazwischen lag; aber als wir um die Spitze derselben kamen, mußte er uns bemerken. Ich lag auf dem Bauche und legte das Fernrohr auf den Rand des Bootes, um zu beobachten, was er thun werde.
Er sah, daß der Lauf des Fahrzeuges gerade nach der Stelle gerichtet war, an welcher er sich befand, und kroch durch das Schilf zurück. Für einige Augenblicke wurde er durch dasselbe verdeckt, und ich verlor ihn aus den Augen. Dann aber sah ich ihn wieder erscheinen. Er richtete sich am Stamme einer Carapa auf und blickte nach uns. Dann legte er die Hände um den Stamm und kletterte an demselben empor. Ich hatte genug gesehen und schob das Fernrohr zusammen, gab es dem Alten und forderte ihn auf:
»Binden Sie mir nun auch die Hände! Der Coup wird gelingen. Er sitzt auf einem Baume.«
»Das ist ja tollkühn von ihm! Wenn wir ihn nun sehen!«
»Der Wipfel des Baumes ist dicht genug, ihn zu verbergen. Er wird hören wollen, was gesprochen wird.«
»Aber er könnte sich doch auch sagen, daß wir ihn gesehen haben und ihn nun fangen wollen!«
»Das ist seiner Ansicht nach unmöglich. Mit dem bloßen Auge konnte man ihn nicht sehen, und daß Sie ein Fernrohr haben, weiß er nicht. Daß er nicht flieht, sondern sich auf dem Baum verbirgt, ist ein Beweis, daß er sich sicher fühlt. Das Boot kommt ihm wichtig genug vor, um es ihn wagen zu lassen, zu bleiben, um erfahren zu können, was es will. Bis jetzt hat er uns zwei nicht sehen können. Nun aber wird er uns bald bemerken.«
Wir näherten uns schnell dem Ufer und stießen an einer Stelle an, welche von seinem Verstecke etwa zwanzig Schritte entfernt war. Er mußte also hören, was gesprochen wurde. Wir hatten es vermieden, dort anzulegen, wo er gelagert hatte. Seine Spur hätte uns auffallen müssen – was er freilich auch nicht berechnet hatte, der Unvorsichtige! – und dadurch wäre unsere unbefangene Handlung gestört worden.
Einer der Roten sprang an das Ufer und band den Kahn am Schilfe fest. Dann wurden wir beide einer nach dem andern ziemlich unsanft herausgewälzt. Der Alte knotete mir die Handfessel auf und sagte laut:
»So, jetzt könnt ihr euch selbst vollends losbinden. Macht euch dann aber schnell von dannen, und wagt es niemals wieder, euch auf dem Gebiete der Tobas sehen zu lassen! Erwischen wir euch wieder, so kommt ihr nicht mit dem Leben davon, wie jetzt. Fort mit euch, ihr Halunken!«
Er gab mir mit dem Ruder einen tüchtigen Hieb; der Rote band das Boot wieder los, sprang hinein, und dann ruderten sie zurück. Ich ballte beide Fäuste und drohte ihnen nach. Dann band ich mir den Riemen von den Füßen und löste auch die Fesseln meines Kameraden. Wir standen auf, reckten die Arme und Beine, befühlten die Stellen, an denen wir gebunden gewesen waren, und thaten überhaupt so, als ob wir lange Zeit gefesselt gewesen wären. Dabei machte ich Pena in leisen Worten auf den Baum aufmerksam, auf welchem der Mann saß. Wir näherten uns demselben, ohne bemerken zu lassen, daß seine zurückgelassene Spur, auf welcher wir jetzt standen, auffallen mußte, und blieben dann stehen, indem wir dem eben hinter der Insel verschwindenden Boote nachblickten.
»Endlich, endlich!« rief ich aus, indem ich tief Atem holte. Natürlich sprach ich so laut, daß es der auf dem Baume sitzende Yerno hören mußte. »Schon dachte ich, daß es unser Letztes sei! Ich glaubte, daß wir in das Wasser geworfen und ersäuft werden sollten.«
»Ich auch,« stimmte Pena bei.
»Daß dieser alte Halunke es nicht gethan hat, ist sehr dumm von ihm! Meinst du nicht auch?«
»So wäre es also gescheiter gewesen, wenn uns jetzt die Krokodile hätten, von denen diese verteufelte Lagune wimmelt?«
»Ja, nämlich von seinem Standpunkte aus. Er wäre uns dann für immer los gewesen.«
»Ah, so meinst du es! ja, er wird uns wohl bald wieder zu sehen bekommen!«
»Trotz seiner Drohung, die ich verlache! Hätte ich nur schnell wieder ein Messer und ein Gewehr; die erste Kugel wäre für ihn bestimmt!«
»Und ich ruhe nicht eher, als bis wir ihn samt all seinen roten Dieben weggeputzt haben! Uns auszurauben bis auf den nackten Leib und dann in diese Lumpen zu stecken! Was nun thun und anfangen? Wir können nichts schießen und nichts jagen. Wie wollen wir leben und uns bis zur nächsten Ansiedelung durchfristen? Von Wurzeln leben etwa, wie das liebe Vieh?«
»Was bleibt uns anderes übrig?«
»Der Henker hole den Kerl; wenn nicht, so holen wir ihn selbst! Aber wir müssen fort, sonst bereut er es, uns freigegeben zu haben, und kommt zurück.«
»Aber wohin?«
»Nun, irgend wohin, wo es Menschen giebt, die uns helfen können. Nach dem Rio Salado. Dort giebt es Orte genug.«
Ich blickte nachdenklich vor mir nieder und brummte in den Bart.
»Was sinnst du?« fragte Pena. »Bist du etwa anderer Meinung?«
»Ja,« antwortete ich, wie unter einem Entschlusse auffahrend. »Nach dem Salado ist's zu weit. Wir können unterwegs zehnmal verhungern und verkommen. Was denkst du? Wie wäre es mit den Chiriguanos?«
»Das ist ein guter Gedanke!« rief Pena erfreut. »Daran hätte ich kaum gedacht! Das ist vortrefflich! Das ist das beste, was wir thun können!«
»Nicht wahr! Wir suchen die Chiriguanos auf und fallen mit ihnen über die Schurken her. Wir holen uns alles wieder, was sie uns genommen haben, und noch mehr, viel mehr dazu!«
»Ja, viel mehr!« rief Pena triumphierend. »Wenn dieser alte Desierto wüßte, daß wir sein Gespräch mit der Königin belauscht haben! Nun wissen wir, wo er das viele Geld versteckt hat. Das wird natürlich unser. Alles übrige lassen wir den Chiriguanos. Dieser Hund soll dabeistehen, wenn wir seinen Kasten herausholen und aufmachen, gebunden und gefesselt wie wir während dieser Tage! Die Wut soll ihn halb umbringen und das übrige werden unsere Messer besorgen!«
»Nur erst welche haben!«
»O, die bekommen wir! Die Chiriguanos werden uns gerne als Verbündete empfangen und mit Waffen versorgen. Wollen keine Zeit verlieren. Machen wir also, daß wir hier fortkommen.«
»Ja, gehen wir! Wir werden diese Lagune sehr bald wiedersehen, und zwar unter ganz anderen Verhältnissen, als wir sie jetzt verlassen. Der Alte hat uns zwar streng befohlen, uns nur in östlicher Richtung zu halten, und gesagt, daß er uns beobachten lassen werde, aber wir gehen dennoch erst um den See. Es fällt ihm gar nicht ein, uns Aufpasser nachzuschicken; er hat keinen einzigen Mann dazu übrig, wegen des Überfalles, der ihm droht. Freilich weiß er nicht, daß wir alles erfahren haben. Komm fort!«
Wir gingen, indem wir langsamen Schrittes und uns unter den Bäumen haltend, dem Ufer folgten. – –